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Sonntag, 31. März 2024

Ostern


Happy Holy Week! verkündete Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social. Ich weiß nicht, ob happy das richtige Wort für die Karwoche ist, aber hören wir ihm zu: As we lead into Good Friday and Easter, I encourage you to get a copy of the God Bless The USA Bible. All Americans need a Bible in their home and I have many. It's my favorite book. It's a lot of people's favorite book. Der ehemalige Präsident macht in der Karwoche Reklame für eine Bibel der God Bless the USA Bible Company. Die Bibel kostet 59.99 Dollar, und vielleicht bekommt der Donald etwas ab. Er kann ja jeden Cent gebrauchen. Man bekommt für das Geld nicht nur das Alte und das Neue Testament in der King James Version, da ist auch noch die Declaration of Independence, die US Constitution und der Text des Lieds God Bless the USA von Lee Greenwood mit dabei. Das Lied, das der Country Sänger Greenwood vor vierzig Jahren geschrieben hat, ist laut Donald Trump eine National Anthem.

Amerikanische Theologen sprechen angesichts der Vermarktungsaktion der Trump Bibel von Häresie und Sakrileg. Aber was kümmert das den Mann, dessen liebstes Buch die Bibel ist. Ein Reverend Benjamin Cremer hat auf dem Twitter Nachfolger über Trumps Aktion getwittert: It is a bankrupt Christianity that sees a demagogue co-opting our faith and even our holy scriptures for the sake of his own pursuit of power and praise him for it rather than insist that we refuse to allow our sacred faith and scriptures to become a mouthpiece for an empire. Wo er recht hat, hat er recht. 

Am Anfang Amerikas standen Glaubensflüchtlinge aus England, deren liebstes Buch auch die Bibel war. Der Prediger John Winthrop hat 1630 in seiner berühmten Predigt gesagt: For we must consider that we shall be as a city upon a hill. The eyes of all people are upon us. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte sich Winthrops Worte als Vorbild genommen: I have been guided by the standard John Winthrop set before his shipmates on the flagship Arbella three hundred and thirty-one years ago, as they, too, faced the task of building a new government on a perilous frontier. "We must always consider", he said, "that we shall be as a city upon a hill—the eyes of all people are upon us". Today the eyes of all people are truly upon us—and our governments, in every branch, at every level, national, state and local, must be as a city upon a hill—constructed and inhabited by men aware of their great trust and their great responsibilities. Donald Trump weiß wahrscheinlich nicht, wer John Winthrop war. 

Wenn man Winthrops Predigt als Vorbild nimmt, dann muss man auch sagen, dass sich die verschiedenen puritanischen Gemeinden Neuenglands oft spinnefeind sind. Jeder kann etwas aus der Bibel herauslesen, da wird sich in der Welt bis heute nichts ändern. Und die Puritaner betreiben Hexenjagd, was Ambrose Bierce zu seiner Rational Anthem herausforderte:

My country 'tis of thee,
Sweet land of felony,
Of thee I sing--
Land where my fathers fried
Young witches and applied
Whips to the Quaker's hide
And made him spring.


Der Begriff Hexenjagd ist wieder en vogue. Niemand gebraucht das Wort so häufig wie Donald Trump. Es gibt zwar keine Hexenjagd auf Donald Trump, aber es gibt eine Verbindung zu der Zeit, als in Amerika wirklich eine Hexenjagd herrschte. Und diese Verbindung heißt Roy Cohn, der Rechtsberater des faschistoiden Senators Joseph McCarthy. L'avocat du diable hat ihn der französische Journalist Philippe Corbé genannt. Und Roy Cohn hat dem jungen Donald Trump die Dinge beigebracht, die Trump für seinen Aufstieg brauchte: leugnen, lügen, angreifen, verleumden, verklagen. Niemals entschuldigen. Man wünschte sich, Amerika hätte heute wieder jemanden wie John Wise. Ein Mann, der es wagt, die angeklagten Hexen in Salem zu verteidigen; und der Jahrzehnte vor der Declaration of Independence einen Traktat schreibt, den Historiker heute die erste Declaration of Independence nennen. Dieser Text steht allerdings nicht in der Trump Bibel.

Aber lassen wir die Amerikaner die Amerikaner sein, wir haben unsere eigene Kultur. Und wir haben den Dichter Paul Gerhardt, der uns noch einmal sagt, was Ostern bedeutet. Angesichts des ganzen Kommerzes und tausenden von Werbespots im TV zum Osterfest, könnten wir das beinahe vergessen:

Auf, auf, mein Herz,
mit Freuden nimm wahr,
was heut geschieht;
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt
da, wo man uns hinträgt,
wenn von uns unser Geist
gen Himmel ist gereist.

Er war ins Grab gesenket,
der Feind trieb groß Geschrei;
eh er's vermeint und denket,
ist Christus wieder frei
und ruft "Viktoria",
schwingt fröhlich hier und da
sein Fähnlein als ein Held,
der Feld und Mut behält.

Das ist mir anzuschauen
ein rechtes Freudenspiel;
nun soll mir nicht mehr grauen
vor allem, was mir will
entnehmen meinen Mut
zusamt dem edlen Gut,
so mir durch Jesus Christ
aus Lieb erworben ist.

Die Welt ist mir ein Lachen
mit ihrem großen Zorn;
sie zürnt und kann nichts
machen, all Arbeit ist verlorn.
Die Trübsal trübt mir nicht
mein Herz und Angesicht;
das Unglück ist mein Glück,
die Nacht mein Sonnenblick.

Ich hang und bleib auch hangen
an Christus als ein Glied;
wo mein Haupt durch ist gangen,
da nimmt er mich auch mit.
Er reißet durch den Tod,
durch Welt, durch Sünd, durch Not,
er reißet durch die Höll;
ich bin stets sein Gesell.

Er dringt zum Saal der Ehren,
ich folg ihm immer nach
und darf mich gar nicht kehren
an einzig Ungemach.
Es tobe, was da kann,
mein Haupt nimmt sich mein an,
mein Heiland ist mein Schild,
der alles Toben stillt.

Er bringt mich an die Pforten,
die in den Himmel führt,
daran mit güldnen Worten
der Reim gelesen wird:
Wer dort wird mit verhöhnt,
wird hier auch mit gekrönt;
wer dort mit sterben geht,
wird hier auch mit erhöh
t.

Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Osterfest.

Freitag, 29. März 2024

Karfreitag


Tenebrae:

Nah sind wir, Herr,
nahe und greifbar.
Gegriffen schon, Herr,
ineinander verkrallt, als wär
der Leib eines jeden von uns
dein Leib, Herr.
Bete, Herr,
bete zu uns,
wir sind nah.
Zur Tränke gingen wir, Herr.
Es war Blut, es war,
was du vergossen, Herr.
Es glänzte.
Es warf uns dein Bild in die Augen, Herr.
Augen und Mund stehn so offen und leer, Herr.
Wir haben getrunken, Herr.
Das Blut und das Bild, das im Blut war, Herr.
Bete, Herr.
Wir sind nah.


Paul Celan (1959)

Donnerstag, 28. März 2024

Inspector Foyle

Da kauft die ARD endlich mal eine englische Qualitätsserie (gesendet bei One), und dann versehen Sie das Ganze mit einem falschen Titel. Die Serie heißt jetzt hier in Deutschland Inspector Foyle, in England war es Foyle's War. Christopher Foyle ist allerdings kein Inspector, auch kein Chief Inspector wie Barnaby oder Morse. Er ist ein Detective Chief Superintendent, das ist etliche Dienstgrade höher als ein simpler Inspector. Da drüber kommen nur noch die Chief Constables. Und so wird Foyle in der Serie mal mit Inspector mal mit Kommissar angeredet, aber manchmal sagt auch jemand Detective Chief Superintendent zu ihm. Steht auch an der Tür seines Dienstzimmers. Warum kriegen die bei der ARD so etwas nicht hin? Mich ärgert solcher Unsinn.

Der Detective Chief Superintendent Foyle ist in diesem Blog schon zu Hause. Lesen Sie doch Foyle's War, Invasion und die Schimanski Jacke. Die ARD scheint die vier Videos der ersten Serie von 2002 gekauft zu haben, zwei sind schon in der Mediathek. Auch wenn die Serie über zwanzig Jahre alt ist und der Held einen falschen Dienstgrad hat, es ist immer noch besser als der deutsche Zelluloidschrott zum Thema Krimi, den wir jeden Abend ertragen müssen. Ich habe natürlich alle 28 Folgen von Foyle's War auf DVD, geht nicht anders. Die deutsche DVD zur Staffel 1 kostet bei Amazon 23,79, die Gesamtausgabe (Englisch + remastered) kostet dort 51,63€. Man bekommt eine Menge England und englischer Geschichte für den Fuffi.

Noch mehr englische Krimiserien finden Sie in den Posts: Michael InnesEnglische Krimiserien, PrequelEndeavour, Kreuzworträtsel, Inspector Lewis, Inspector Barnaby und die Mode, Inspector Gently und Janker.


Mittwoch, 27. März 2024

old men forget


Old men forget war ein Motto, das auf der ersten Seite meiner beiseitegelegten Autobiographie Bremensien stand. Es war ein Zitat, das ich seit langem kannte. Old men forget ist der Titel der Autobiographie von Duff Cooper, die für mich Jahrzehnte zuvor ein wunderbares Leseerlebnis gewesen war. Duff Cooper hat seinen Titel natürlich von Shakespeare, das old men forget steht in der Rede, die Henry V am Tag des Heiligen Crispin hält. Duff Cooper, von dem ich auch sein Buch Talleyrand gelesen habe, hat mich in meiner Jugend schwer begeistert. Hinter dem lebendigen Feuilletonstil verbarg sich große Belesenheit, hatte der Spiegel geschrieben. So wollte ich auch schreiben: Feuilletonstil mit großer Belesenheit. Ich mache das, glaube ich, immer noch. Duff Cooper kommt häufig in diesem Blog vor. Unter anderem in dem Post Operation Mincemeat. Ich habe seine Bücher Talleyrand und Old Men Forget für Sie hier im Originaltext. Das Schönste an Coopers schöner Autobiographie ist der Anfang, ein Liebesgedicht, das er für seine Frau Lady Diana geschrieben hat. Und obgleich der Poetry Month April noch nicht angefangen hat, stelle ich das heute mal hier hin:

Fear not, sweet love, what time can do; 
Though silver dims the gold 
Of your soft hair, believe that you 
Can change but not grow old. 

Though since we married thirty years 
And four have flown away, 
As bright your beauty still appears 
As on our wedding day. 

We will not weep that spring be past. 
And autumn shadows fall; 
These years shall be, although the last, 
The loveliest of all.

Old men forget, ich vergesse im Alltag auch manches. Aber einiges vergesse ich nicht. Zum Beispiel, dass der Yogi in Amerika heute Geburtstag hat, und ich ihm gratulieren muss. Er wird bestimmt das Brioni Jackett tragen, das ich ihm vor Monaten geschenkt habe.

Montag, 25. März 2024

Wunderteam?

Heute vor siebenundachtzig Jahren wurde in Wien die Operette Roxy und ihr Wunderteam von Paul Abraham aufgeführt. In Anwesenheit des österreichischen Fußballnationalteams, das man auch das Wunderteam nennt. Weil sie unter ihrem Kapitän Matthias Sindelar beinahe jeden in Europa schlagen können. 1931 gegen die Schotten 5:1, gegen die Mannschaft des Deutschen Reichs 6:0 und 5:0 im Rückspiel. Und dann kommt noch das 8:1 gegen die Schweiz und das 8:2 gegen Ungarn. Das alles verdankt die Mannschaft ihrem Trainer Hugo Meisl. Der starb 1937, ein Jahr später fielen die Deutschen in Österreich ein. Es ist vielleicht gut, dass Hugo Meisl da schon tot war. Denn der Mann, der im Ersten Weltkrieg als Hauptmann der österreichischen Armee viele Orden belommen hatte, kam aus einer jüdischen Familie. Kurze Zeit nach der Premiere von Roxy und ihr Wunderteam war Paul Abraham, der den Fußball ins Opernhaus gebracht hatte, schon im Exil.

Wenn die Nazis kommen, werden viele österreichische Fußballvereine aufgelöst, vor allem die jüdischen Vereine in Wien. 1938 ist auch das Ende vom Wunderteam. Die Mannschaft wird aufgelöst und soll mit der deutschen Mannschaft verschmolzen werden. Sepp Herberger versuchte mehrfach, Matthias Sindelar für die deutsche Nationalmannschaft zu gewinnen, aber der weigerte sich. Ich brauche das alles nicht zu vertiefen, denn es gibt in diesem Blog schon einen Post, der Wunderteam heißt. Dem auch zahlreiche Links zu all den Fußball Posts in diesem Blog angehängt sind.

Haben wir in Deutschland jetzt ein neues Wunderteam? Ist Toni Kroos der Retter des deutschen Fußballs? Das erste Tor in Lyon nach 7,92 Sekunden, wann gab es so etwas schon mal? Den bisherigen Rekord hielt Lukas Podolski, der 2013 neun Sekunden benötigte. Die nächsten drei Jahre darf Nagelsmanns Team noch in den Adidas Trikots spielen, dann gibt es Nike. Ist auch egal, die Trikots werden eh in China produziert. Wie geht es nach diesem Erfolg mit der Nationalmannschaft weiter? Ist Julian Nagelsmann die fünf Millionen Euro wert, die ihm der DFB im Jahr bezahlt? Es bleiben viele Fragen.


Freitag, 22. März 2024

N***r Jim


Das ist das Wort, das man nicht schreiben darf. Nicht sagen darf. In Amerika auf keinen Fall. Weil es das N-Wort ist. Mark Twain hat das nicht gewusst, dass er das N-Wort nicht gebrauchen darf. Der nennt doch einfach eine Romanfigur in Huckleberry Finn Nigger Jim. Zweihundertneunzehnmal kommt das Wort nigger in dem Roman vor. Hat ein Professor namens Alan Gribben nachgezählt. Und alles in einer Ausgabe des Verlags NewSouth Books in Montgomery (Alabama) gestrichen, die niggers und die injuns. Man habe die hurtful epithets durch less offensive words ersetzt, sagt der Verlag. Aus dem Wort nigger wurde das Wort slave. Der schwarze Schriftsteller Ishmael Reed schrieb im Wall Street JournalThose who wish to ban the use of ethnic slurs in American literature don’t have the manpower to accomplish such a deed. The fact that Mark Twain has been singled out means those who are crusading against the author haven’t read much of American literature. Ernest Hemingway hat über den Roman, der nun wahrlich kein Kinderbuch ist, gesagt: All modern American literature comes from one book by Mark Twain called 'Huckleberry Finn'. If you read it you must stop where the Nigger Jim is stolen from the boys. That is the real end. The rest is just cheating. But it's the best book we've had. All American writing comes from that. There was nothing before. There has been nothing as good since.

An solch einem Buch pfuscht man nicht herum. Es gibt Grenzen für diese amerikanische Krankheit, die political correctness heißt. Was Thomas Bowdler vor zweihundert Jahren Shakespeare angetan hat, hat nie aufgehört. Wir lassen mal eben Huck Finn und seinen schwarzen Freund wo sie sind, ich komme gleich noch auf das Buch zurück. Ich habe hier einen Text vom Anfang der 1930er Jahre. Robert Gilbert, der König der Schlagertexte, hat unter dem Pseudonym David Weber den Text geschrieben. Die Musik ist von Hanns Eisler und gesungen hat die Ballade vom Nigger Jim niemand anderer als Ernst Busch:

Als Nigger Jim aus dem Urwald kam
Und sich ein Trambahn-Ticket nahm
//: Zwischen Harlem und Manhattan ://
Da brüllten die Herren: Hinaus mit dir,
Was willst du schmutziger Nigger hier
//: Bei unsern weißen Manschetten?! ://
Und sie packten ihn beim Kragen,
Und sie warfen ihn vom Wagen
Hinunter auf den Damm,
Denn die Herrschaften mit der helleren Haut
Die dachten, sie hätten die Stadt gebaut
Und auch die schöne Tram.

Darum gibt es eine Abteilung für weiße Gentlemen,
Darum gibt es eine Abteilung für schwarze Gentlemen
In der Trambahn, in der Trambahn, mein Junge, merk es dir.
Darum gibt es eine Abteilung, mein Junge, merk es dir.

Da kam der Krieg und die Prohibition
Und mancher kriegte den letzten Lohn
//: Zwischen Harlem und Manhattan ://
Jim zog nach Süden, da brüllten sie:
Eine Lady hat er geküsst, das Vieh!
//: Und warfen ihn dreifach in Ketten ://
Doch bevor sie ihn erhängen
Mit biblischen Gesängen
Befragt den Pfarrer Jim:
Ob die Herrschaften mit der helleren Haut
Am Ende auch den Himmel gebaut?
Denn ach, das wäre schlimm:

Sicher gibts denn auch ’ne Abteilung für weiße Gentlemen,
Sicher gibts denn auch ’ne Abteilung für schwarze Gentlemen,
In der Trambahn, in der Trambahn, die zum Paradiese führt.
Sicher gibts denn auch ’ne Abteilung,
In der Trambahn, die zum Paradiese führt!

Will da irgendjemand das N-Wort in diesem Text streichen?

Zurück zu Huck Finn. Es gibt eine neue Version des Romans, allerdings nicht ohne das N-Wort. Der Roman heißt James und wurde von dem Amerikaner Percival Everett geschrieben. Ist vor vier Tagen bei Hanser erschienen, rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse. Der Hanser Verlag bietet hier eine Leseprobe an). Der Ich-Erzähler des Romans ist nicht Huck, sondern Jim, die ganze Perspektive ist umgedreht: Diese weißen Jungs, Huck und Tom, beobachteten mich. Sie spielten immer irgendein Phantasiespiel, in dem ich entweder ein Schurke oder ein Opfer war, auf jeden Fall aber ihr Spielzeug. Es lohnt sich immer, Weißen zu geben, was sie wollen, deshalb trat ich in den Garten und rief in die Nacht hinaus:‚Wersndas da draußnim Dunkeln?‘Sie rumorten unbeholfen herum, kicherten. Es war dem Hanser Verlag wichtig, diesen Roman beinahe gleichzeitig mit der amerikanischen Originalausgabe zu veröffentlichen. 

Der Übersetzer ist Nikolaus Stingl, man kann ihn wohl einen Star-Übersetzer nennen. Er hat Cormac McCarthy und Thomas Pynchon übersetzt. Und Colson Whitehead, einen Autor, der zu selten in diesem Blog erwähnt wird. Immerhin habe ich ihn in den Post Roland Barthes hineingeschrieben. Für den Hanser Verlag hatte Stingl schon Percival Everetts Romane Erschütterung und Die Bäume übersetzt. Wenn Jim gleich am Anfang des Romans sagt: Es lohnt sich immer, Weißen zu geben, was sie wollen, dann ist damit schon eine Tendenz dieses Romans angeschlagen. Und der nigger ist auch im Text, Stingl übersetzt das mit Nigger. Regt sich jemand auf? Der Roman James ist eine Trouvaille, aber nicht meine eigene. Mein Freund Hombre, der über Ralph Ellison promoviert hat (und ein Dutzend Mal in diesem Blog vorkommt), hat mir die Leseempfehlung gegeben. Eine englische Ausgabe besitze ich dank booklooker auch schon. Eine deutsche Audio Version des Romans gibt es auch. Wenn man glaubt, einen Bestseller zu haben, werden verlegerisch alle Register gezogen.

Sonntag, 17. März 2024

Caspar David Friedrich (5)

Braucht man einen Caspar David Friedrich Roman, um den Künstler zu verstehen? In dem Post Skying habe ich in Lea Singers Roman Anatomie der Wolken erwähnt. Einen charmanten kleinen Roman, der 2015 erschien. Lea Singer ist ein Pseudonym für Eva Gesine Baur, die nicht nur Kunsthistorikerin ist, sondern auch gut schreiben kann. Sogar sehr gut. Judith von Sternburg sagte in der Frankfurter Rundschau über den Roman: Es ist aber auch für Goethe-Leser ein großes Vergnügen, wie fidel und prägnant Lea Singer ihn (den Wolkigen) zu fassen bekommt. Viele Autoren, die punktgenau einen Caspar David Friedrich Roman im Jahre 2024 herausbringen, können allerdings nicht besonders gut schreiben.


Die Frau am Fenster: Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich ist, so schreibt der Verlag: ein Roman über die wenig bekannte Frau, die großen Einfluss auf sein Leben und seine Kunst hatte. Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Geschrieben von einer Frau namens Birgit Poppe, die auch Kunstgeschichte studiert hat. Man kann Teile des Roman hier lesen. Wenn man das gelesen hat, dann weiß man, dass man diesen sorgfältig recherchierten Herz-Schmerz-Roman nicht unbedingt zu kaufen braucht. Die Ehefrau des Malers ist auch in dem Roman Caspar David Friedrich mit Caroline in Greifswald präsent, von dem der Sandstein Verlag hier eine Leseprobe anbietet. Sie werden sofort sehen, dass es sich nicht um einen richtigen Roman, sondern um eine graphic novel handelt. Sechsunddreißig Seiten, durchgehend illustriert von Maiken Albert.

Dazu schreibt das Pommersche Landesmuseum Greifswald, welches das Büchlein herausgegeben hat: Nach der Hochzeit im Januar 1818 griff er zur Feder und berichtete seinen Brüdern in Greifswald von den neuen Lebensumständen. An dieser Stelle setzt die Graphic Novel mit ihren zahlreichen Illustrationen ein, welche den Leser an der Reise in den Norden mit seinen wildromantischen Landschaften, die den Künstler so geprägt haben, teilhaben lassen. Basierend auf dem herzlichen Briefwechsel zwischen den Greifswalder und Dresdner Friedrichs wird diese Pommern-Reise im Sommer 1818 mit all ihren Zwischenstationen rekonstruiert. Das Buch öffnet ein Fenster in die Vergangenheit und ermöglicht es, zwischen verwinkelten Werkstätten, kuriosen Zeitungsmeldungen sowie windigen Inselausflügen Interessantes über Caspar David Friedrich und seine Familie zu erfahren. Muss man dafür zwanzig Euro ausgeben?

Es hat schon vor dem Jahr 2024 Caspar David Friedrich Romane gegeben. Christoph Werner hatte in seinem Roman Um ewig einst zu leben (2006) die Idee, die Maler Caspar David Friedrich und William Turner in einem Roman zu vereinen. Der Roman spielt in London und Dresden zwischen 1815 und 1835. Das letzte Jahr ist wichtig, denn da ist Turner in Dresden gewesen. Aber wir wissen, dass er Caspar David Friedrich nicht getroffen hat, das wäre nun zu schön gewesen. Wahrscheinlich hat Turner den Maler Friedrich gar nicht gekannt. Der Roman ist 2019 in einer englischen Übersetzung in einem Self-Publishing Verlag erschienen, aber ich habe keine Rezensionen dieser Ausgabe gefunden. Es scheint aber schon verramscht zu werden. Man kann im Internet zwei Leseproben (hier und hier) der deutschen Ausgabe lesen. Und feststellen, dass Christoph Werner kein besonders großartiger Erzähler ist.

Aber Eberhard Rathgeb, der kann schreiben. Und er kann Bilder sehr gut beschreiben. Und er hat etwas zu sagen. Was er sagt, kommt manchmal überraschend und zwingt uns zum Nachdenken: Ohne den Protestantismus, der die geistigen und kulturellen Umbrüche um 1800 prägte, wäre er ein anderer geworden. Er war in diesem Sinne ein Kind seiner Zeit, nicht anders als Kant, Fichte, Hegel und Schleiermacher. Die protestantische Selbstprüfung und die pietistische Erziehung ordneten ihm den Innenraum, in dem seine inneren Bilder hingen, die Originale, die er auf die Leinwand übertrug. Die Landschaftsbilder, die er malte, sind ein Spiegel der modernen Einsamkeit. Er schaute auf seinen vielen Wanderungen in die Natur mit großer Wachheit und Aufmerksamkeit, aber auch mit dem Staunen der Verlorenheit, ganz so, als stände die Zeit still. Auf seinen besten Bildern ist die Welt in ein absurdes Licht getaucht. In ihr scheint der Mensch nicht mehr vorgesehen zu sein. Die Natur hat ihn von sich abgestoßen, sie hat sich von ihm gelöst. Es gibt keinen Weg zurück. Was bleibt, ist zu warten, darauf, was noch passieren könnte. Es liegt nicht in der Hand des Menschen. Die Natur wird das letzte Wort haben. Wenn Sie noch etwas mehr aus Rathgebs Maler Friedrich lesen wollen, dann klicken Sie hier.

Der Caspar David Friedrich Roman der Stunde ist natürlich Zauber der Stille: Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten von Florian Illies. Seit Oktober 2023 auf dem Markt und auf Platz eins der Spiegel Bestsellerliste. Da wird er wahrscheinlich bis zum Geburtstag des Malers im September bleiben. Illies hat mit einem großen Zettelkasten hunderte von kleinen Geschichten und Anekdoten gesammelt, Wichtiges und Unwichtiges. Und das präsentiert er uns in einem stilistischen Feuerwerk. Ferdinand von Schirach hat über das Buch gesagt: So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen – einfach großartig. Teile des Buches sind bei GoogleBooks lesbar. Sie können sich einen Eindruck von dem Werk verschaffen, bevor Sie es kaufen.

Der erste Caspar David Friedrich Roman stammt von dem heute vergessenen Schriftsteller Fritz Meichner (1895-1969), der auch mit Wir Drei einen Roman über Philipp Otto Runge geschrieben hat. Meichner war nach dem Abitur 1914 Soldat geworden und geriet 1916 in russische Gefangenschaft. Darüber hat er ein Buch geschrieben, hat aber auch Bücher über Charles Dickens (Genius des Herzens) und Hans Christian Andersen geschrieben. Sein Roman Caspar David Friedrich: Roman seines Lebens ist unter verschiedenen Titeln erschienen. So zuerst 1937 unter dem Titel Landschaft Gottes: Ein Roman um Caspar David Friedrich. Der Berliner Union Verlag, der den Roman vor fünfzig Jahren (passend zur Hamburger Friedrich Ausstellung) wieder herausbrachte, wusste dazu zu sagen: Die Handlung des Romans ist klar aufgebaut, findet Höhepunkte in farbig geschilderten Szenen, die Charaktere werden sauber und treffend gezeichnet. Der Gestaltenkreis um Friedrich wird dem Leser anschaulich und sachlich getreu vor Augen gestellt, darunter so hervorragende Persönlichkeiten wie Heinrich Kleist und Carl Gustav Carus. Vor allem tritt die alles durchwirkende innige Natur- und Menschenliebe Friedrich überzeugend hervor. So führt der Roman den Leser auch zu einem tieferen Verständnis der Werke Friedrichs, zeigt sein Ringen um eine neue Form des malerischen Ausdrucks, seine tiefe Verwurzelung in der Heimat und seinen glühenden Patriotismus. Ich habe mir bei booklooker ein Exemplar für drei Euro bestellt. Wenn das Buch gut ist, hören Sie hier demnächst mehr.

Samstag, 16. März 2024

sechs Millionen Leser


Sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionensechs Millionen sechs Millionens sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionensechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionens sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen. Sechs Millionen Leser in dreizehn Jahren und drei Monaten. 

Als ich anfing, wusste ich nicht, was dieses SILVAE werden sollte, werden könnte. Die meisten Bücher werden wieder vergessen. Bleibenden Eindruck machen nur diejenigen, wo der Autor sich selbst ganz hineingelegt hat. In allen großen Werken ist der Autor selbst ganz wieder zu finden. In meinem Werke stecke ich selbst ganz.‎ Das ist nicht von mir, obgleich ich das auch sagen könnte. Aber es ist von Schopenhauer, einem Philosophen, der mir immer lieb ist. Doch dies ist nicht der Tag für ein Resümee. Trapattonis wunderbarer Satz Ich habe fertig wird hier heute nicht stehen. Ich mache weiter mit dem, was ich mache. Und bis ich Montaignes Satz J'ay faict ce que j'ay voulu: tout le monde me recognoist en mon Livre et mon Livre en moy da drunter schreibe, ist noch etwas Zeit. Wenn der Herrgott will.

Sonntag, 10. März 2024

Caspar David Friedrich (4)


Kunstfreunde und Kunsthistoriker sind immer glücklich, wenn es für einen Maler ein vollständiges Werkverzeichnis gibt. Das kann dauern, bis es erscheint, und häufig ist es bei dem Erscheinen schon veraltet und nicht mehr relevant. Immer wieder werden neue Werke des Malers entdeckt, andere aus dem Verzeichnis gestrichen. Rembrandt ist ein berühmtes Beispiel. Vor hundert Jahren gab es noch mehr als siebenhundert Gemälde, die von Rembrandt stammen sollten. Heute ist von den siebenhundert Bildern (die sie hier anklicken können) nur noch die Hälfte wirklich echt. Und die Bremer Rembrandts sind auch nicht von Rembrandt.

Zweihundert Jahre nach Caspar David Friedrichs Geburt erschien das erste große Werkverzeichnis, und das hat seine Geschichte. Der Kunsthistoriker, der es erstellt hat, ist heute auch beinahe vergessen, er hat keinen Wikipedia Artikel, und auch das Dictionary of Art Historians kennt ihn nicht. Das habe ich schon in dem Post vergessen gesagt. Karl Wilhelm Jähnig wurde als Kustos der Dresdner Galerie 1937 entlassen, weil er mit einer jüdischen Ärztin verheiratet war. Das Ehepaar emigrierte in die Schweiz. Jähnig wurde 1944 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, er verlor sein Vermögen und das Haus in Dresden in der Caspar David Friedrich Straße. Aber in Dresden hat man den Dr Karl Wilhelm Jähnig nicht ganz vergessen. Gerd Spitzer, Oberkonservator an der Dresdner Galerie Neue Meister im Albertinum, gab seinem Buch Caspar David Friedrich in der Dresdener Galerie den Untertitel Karl Wilhelm Jähnig zum Gedächtnis. Man kann das schöne kleine Buch aus dem Sandstiein Verlag antiquarisch immer noch finden.

Karl Wilhelm Jähnig hatte 1915 als Freiwilliger Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Gemäldegalerie Dresden angefangen, das ist eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Berufsbezeichnung, die uns heute seltsam vorkommt. Er stieg vom Freiwilligen Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter zum bezahlten Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und zum Kustos auf. Der Direktor der Galerie war Hans Posse (hier auf einem Gemälde von Georg Oehme), der hier schon in dem Post über Christian Friedrich Gille erwähnt wurde. Er war eine tragische Figur, ein Mann der Moderne, der mit den Nazis eigentlich nichts am Hut hatte und dann als Hitlers Sonderbeauftragter für den Sonderauftrag Linz endet. Jähnig erarbeitet in den zwanziger Jahren zusammen mit Klara Steinweg den ersten Katalog der Dresdner modernen Galerie, der 1930 veröffentlicht wird. Und er erwirbt sich durch Vorträge und Publikationen einen Ruf als Spezialist für die Dresdner Romantik. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft sieht in ihm den richtigen Mann, der ein Werkverzeichnis von Caspar David Friedrich erstellen kann.

Er wird die Publikation seines Lebenswerkes nicht mehr erleben, und es steht auch noch ein ganz anderer Autor auf dem Katalog. Der heißt Helmut Börsch-Supan, er war ein junger Kunsthistoriker, der mit einer schmalen Arbeit über Caspar David Friedrich (Die Bildgestaltung bei Caspar David Friedrich) promoviert worden war. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft beauftragt ihn, aus dem Archiv von Jähnig ein Werkverzeichnis zu erstellen. Das wird er tun, aber er tut zu Jähnigs Forschungen etwas hinzu, was Jähnig sicherlich kaum gutgeheißen hätte: alles in Friedrichs Werk wird von ihm symbolisch und christlich erklärt. Ein Name fehlt auf dem Buch, und das ist der Name von Jähnigs Ehefrau Dr Britta Jähnig, die alle Notizen und Notizzettel ihres Mannes in ein lesbares Manuskript verwandelt hatte, mit dem Börsch-Supan arbeiten konnte.

In dem Post Johan Christian Clausen Dahl habe ich dazu geschrieben: Helmut Börsch-Supan hat bei der Überarbeitung des Caspar David Friedrich Kataloges 1973 - den Karl Wilhelm Jähnig erstellt hatte - das Katalogwerk mit einem bizarren Symbolgeflecht überzogen: wir können fortan sicher sein, dass bei Caspar David Friedrich kein Piepmatz durchs Bild fliegt, der nicht eine symbolische Bedeutung hat. Aber manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie schon Freud wusste, und es ist mir ein wenig zuwider, jedes Schiff und jeden Anker im Hafen als ein christliches Symbol zu sehen. Eine ähnliche Interpretationssucht hatte auch schon einmal die amerikanische Literaturkritik befallen, die damals alles, was länger als breit war, als Penissymbol interpretierte. Dieses sicherlich symbolische Bild von Friedrich hat übrigens Johan Christian Clausen Dahl einmal besessen, für eine würdigere Bestimmung für die Kgl. Gemälde-Gallerie hat er es der Dresdner Gemäldegalerie geschenkt.

Man kann das mit der übertriebenen Symbolik, dem bizarren Symbolgeflecht, die Börsch-Supan beherrscht, anders formulieren als ich.  John Russell hat in der New York Times von der tight, unvarying formula gesprochen, mit der Börsch‐Supan jedes Bild interpretiert. Und der Greifswalder Professor Reinhard Zimmermann schreibt: In diesen Zusammenhang gehört auch die sofort mit Erscheinen des Buches 1973 aufgebrochene Kontroverse um die Deutung der Kunst Friedrichs, die bis heute die Forschung belastet. Börsch-Supan hatte durch eine konsequente ikonographische Analyse der Bilder deren eindeutige Lesbarkeit behauptet, wobei er eine fast durchweg christliche, um das Thema von Tod und Auferstehung kreisende Gedankenwelt herausarbeitete. Dieser Auffassung, die der gängigen Romantik- und Friedrichvorstellung widersprach, wurde die These von der Bedeutungsoffenheit der Kunst Friedrichs, die keine eindeutigen Interpretationen zulasse, entgegengestellt; die christliche Ausdeutung wurde von einer anderen Forschungsrichtung der 1970er Jahre mit einer politischen beantwortet.

Das Bild hier zeigt die zweibändige Ausgabe der Zeichnungen von Christna Grummt, die 2011 erschienen ist. Grummt konnte sich auf Vorarbeiten stützen. Da gab es die Greifswalder Dissertation Caspar David Friedrich als Zeichner von 1966 von Sigrid Hinz (allerdings nur in maschinenschriftlicher Form), die als Anhang ein Verzeichnus der Zeichnungen hatte. 1974 erschien als eine Art Begleitbuch zu Jähnigs und Börsch-Supans Werk Marianne Bernhards Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk mit einem Nachwort von Hans H. Hofstätter. Kann man antiquarisch noch finden, kostet nicht die Welt.

Das Werkverzeichnis Caspar David Friedrich: Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen brauchte ich mir 1973 nicht zu kaufen, ich erhielt es als Jahregabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, dessen Mitglied ich damals war. Es ist, trotz der symbolischen Sperenzchen von Börsch-Supan ein Standardwerk geblieben, das man heute antiquarisch ab hundert Euro noch finden kann. Reinhard Zimmermann hat auf dieser Seite eine Überarbeitung und Korrektur gefordert, aber aus dem dort avisierten Projekt scheint nichts geworden zu sein.
 
Johan Christian Clausen Dahl war Norweger, er war mit Friedrich befreundet, entfernte sich in seinem Werk aber immer mehr von dem Dresdner Maler, den man nach seinem Tod schnell vergaß. Und es sind nicht wir Deutschen, die Friedrich aus der Vergessenheit geholt haben. Das muss ich zum Schluss noch sagen. Nein, es ist ein Norweger namens Fredrik Ludvig Andreas Vibe Aubert, ein Maler und Kunstwissenschaftler, der Friedrich aus der Vergessenheit zurückholt. Er hatte seine Doktorarbeit über Dahl geschrieben, was ihm ein jährliches Regierungsstipendium einbrachte. Er entdeckt Friedrich um 1900 und beginnt über ihn zu schreiben. Zuletzt Caspar David Friedrich, "Gott, Freiheit, Vaterland" (Berlin: Cassirer, 1915). Wenn die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 dem Werk von Friedrich Raum eingeräumt und Beachtung geschenkt wurde, dann war das Auberts Verdienst. Hätte er länger gelebt, hätte er vielleicht das erste Caspar David Friedrich Verzeichnis gemacht.

Donnerstag, 7. März 2024

same procedure as every year

Die Süddeutsche betitelte vor einer Woche ihre Besprechung des Kieler Tatorts vom letzten Sonntag mit dem Wort Fickfackerei, und dieses Wort kam in dem Tatort auch vor. Ich habe es gehört, weil ich diesen Tatort gesehen habe. Sie können daraus schließen, dass mich Husten, Schnupfen und Tüddeligkeit noch immer im Griff hatten, denn freiwillig würde ich mir keinen Borowski Tatort angucken. Tja, und dann kam irgendwann dieses Wort, und ich grinste mir eins. Um am nächsten Tag festzustellen, dass es einen Gewinner beim Ringen um die Top Ten der Posts gab. Das war der Post Fickfackerei aus dem Jahre 2015, den mehr als hundert Leser in der Nacht angeklickt hatten. Hätten meinetwegen noch mehr sein können, denn die magische Zahl von sechs Millionen Lesern am heutigen Tag wäre schön gewesen, jetzt muss ich noch ein paar Tage warten.

Ich schreibe heute nichts Neues, ich stelle etwas vom letzten Jahr hier ein: ... Vielleicht schreibe ich einmal mehr zu dem Thema. Heute geht es nicht, da ist eine kleine Feier angesagt, nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus. Aber vielleicht lege ich zur Verblüffung der Gäste einmal eine Townes van Zandt Platte auf. 

Das habe ich vor zehn Jahren in dem Post Townes van Zandt geschrieben. Dass der Sänger am 7. März Geburtstag hat, kann ich mir leicht merken, weil das auch mein Geburtstag ist. Wie das dann bei mir aussieht, das wissen Sie, wenn Sie den Post Geburtstagsfeier gelesen haben. In diesem Jahr habe ich auch alkoholfreien Rotwein für die Gäste, die noch Auto fahren müssen. Der Wein kommt von dem Weingut Carl Jung; ich weiß nicht, wie er schmeckt, aber ich habe den genommen, weil der Dr Carl Jung vor über hundert Jahren ein Verfahren entwickelt hat, um den Alkohol aus dem Wein zu bekommen.

Meine Freunde werden heute sicher Geschenke mitbringen, die Post hat schon Päckchen und Pakete gebracht. Aber ich möchte meinen Lesern heute auch etwas schenken. In dem Post Print on Demand hatte ich gesagt, dass ich einen kleinen Roman geschrieben und ohne fremde Hilfe daraus dieses Buch gemacht hatte. In dem Post ce n'est jamais fini habe ich das erste Kapitel davon veröffentlicht. Warum sollen Sie nicht einmal diesen ganzen autobiographischen Liebesroman lesen? 

Der kleine Roman heißt jetzt nicht mehr Souvenirs et Regrets, er hat jetzt den Namen → Que reste-t-il de nos amoursvariatio delectat. Und wenn Sie den Titel anklicken, sind Sie schon mittendrin im Liebeswirrwarr. Der erste Romantitel war eine Gedichtszeile von Jacques Prévert, der zweite Titel ist eine Gedichtszeile von Charles Trenet, es ist viel Frankreich in dem Text. Wenn Sie beim Lesen das Gefühl haben, Sie kennen das alles schon, dann betrügt Sie ihr Gefühl nicht. Beinahe alles stand hier in den letzten zwölf Jahren schon mal im Blog. Ein Photo von der Romanfigur spendiere ich Ihnen auch. Das habe ich 1961 von ihr in Kopenhagen gemacht. Das Auto gehört ihr natürlich nicht, aber sie sieht gut damit aus.

Diese schöne Frau kommt nicht in dem kleinen Roman vor, aber ich muss sie unbedingt erwähnen, weil sie auch heute Geburtstag hat. Sie ist schon häufiger in dem Blog erwähnt worden, das erstemal im Jahre 2010 in dem Post London. Da lebt sie nämlich, da wollte sie unbedingt hin. Mit Zitaten wie nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus hat sie keine Schwierigkeiten, denn sie hat Klassische Philologie studiert und hat einen Doktortitel. Von Zeit zu Zeit schaut sie in meinen Blog. Als ich ihr vor Jahren die Geschichte Sommerurlaub vorbeischickte, schrieb sie mir, dass die ihr gut gefallen hätte, ich sollte mal daran denken, den Beruf zu wechseln und Schriftsteller werden. Für einen Berufswechsel bin ich zu alt, ein richtiger Schriftsteller wird sowieso nicht mehr aus mir, ich bin nun mal ein dilettierender romancier manqué.

Das mit dem alkoholfreien Rotwein im letzten Jahr war nix, ich habe mich gestern mit einem Fachmann unterhalten und richtig guten Rotwein geordert. Es kommen heute auch nicht so viele Gäste, manche sind im Urlaub, andere in der Reha. Issnix, wenn man alt wird. Aber Päckchen und Pakete haben die Briefboten in den letzten Tagen schon massenhaft vorbeigebracht. Es werden wohl wieder viele Bücher sein. Eins habe ich schon gelesen, war kein Geburtstagsgeschenk, sondern das neueste Buch einer Freundin. Stelle ich demnächst hier vor. Die Tage mit Husten, Schnupfen und Tüddeligkeit brachten aber auch viel Ruhe mit Musik. Und das Beste, das ich in der Woche gehört habe, das sollten Sie auch hören. Klicken Sie hier mal Friedrich Kleinhapl mit seinem Cello an, ist unglaublich.

Wenn hier einige Tage nichts stand, dann heißt das nicht, dass ich nichts schreibe. Ich schreibe den Text von  Que reste-t-il de nos amours immer ein wenig um. Das beginnt schon damit, dass ich den Text von Veinte años vor das Ganze gestellt haben. Ich schreibe auch gerade an einer Geschichte, in der die schöne Buchhändlerin mal wieder auftaucht. Die Geschichte wird Chorprobe heißen; ich weiß schon was passiert, ich muss das nur noch aufschreiben. Diese Tätigkeit als romancier manqué ist eine lästige Sache.

Sonntag, 3. März 2024

Apanatschi

Ich habe gelesen, dass viele die Schauspielerin Uschi Glas unter dem Namen Apanatschi kennen. Ich hoffe mal, dass das stimmt, ich habe den Film nie gesehen. Und ein Karl May Leser war ich eh nie. Ich habe dem Talkshow im Fernsehen und der Sonntagsbeilage meiner Zeitung entnommen, dass die Uschi gerade achtzig geworden ist. Sie sieht ja immer noch ganz passabel aus. Manche Frauen schaffen es nicht, die Schönheit der Jugend mit ins Alter zu nehmen. Ingrid Steeger ist das nicht richtig gelungen, Christine Keeler nun ganz und gar nicht. Da ich immer noch unter der Husten, Schnupfen, Heiserkeit leide, die ich am Ende von die blauen Zifferblätter beschrieb, gibt es hier nichts Neues. Aber gleich zwei alte Posts, der erste gratuliert der Uschi zum siebzigsten Geburtstag:

Ach, war sie da niedlich. Hier auf dem Photo ist sie mit Werner Enke und der Regisseurin May Spils zu sehen. May Spils kam aus Twistringen, einem kleinen Kaff bei Bremen. Wenn man da herkommt, will man da raus. Wie May Spils. Oder Reinhold Beckmann. Obgleich es da angeblich so schön ist, es gibt sogar ein Lied auf Twistringen:

Perle, du in Niedersachsen,
Stätte schönster Fröhlichkeit,
Twistringen, ans Herz gewachsen
Bist du mir in aller Zeit.

Aber wir lassen das mal beiseite und konzentrieren uns auf diese junge Dame. Hier ist sie, wie auf dem Photo oben, bei den Dreharbeiten zu dem Spielfilm Zur Sache Schätzchen. Das vierundzwanzigjährige Schnuckelchen und die schnoddrigen Dialoge machten 1968 den Film zu einem Kultfilm. Es war nicht der erste Film von Uschi Glas. Sie hatte schon eine kleine Rolle in Der unheimliche Mönch gehabt. Und war das Halbblut Apanatschi in Winnetou und das Halbblut Apanatschi gewesen. Zu der Zeit hatte Catherine Deneuve schon La Vie de château (lesen Sie hier mehr dazu), Les Demoiselles de Rochefort und Belle de Jour gedreht, das sollte man nicht vergessen. Und 1968 kam auch Truffauts Baisers Volés ins Kino, der Henri Langlois (der hat hier natürlich einen Post hat) gewidmet war, das war ein ganz anderes Kino.

Doch der Film Zur Sache Schätzchen, der ein wenig vom französischen Kino abgekupfert war (und ein klein wenig von À bout de souffle hatte), wurde in Deutschland ein ungeahnter Erfolg, über sechs Millionen Deutsche gingen ins Kino. Ich auch. Sogar zweimal. Es gab drei Bundesfilmpreise, die Goldene Leinwand, ein goldenes BAMBI und die deutsche Nominierung für Cannes. Und Uschi Glas hatte fortan den Spitznamen Schätzchen der Nation.

Gefilmt im Sommer 1967 in München-Schwabing, war "Zur Sache, Schätzchen" einer der Erfolgsfilme des Jahres 1968 - dem Geist der Zeit entspricht der Film dabei auf so unorthodoxe, spielerische Weise, dass er ihm eigentlich schon wieder zuwider läuft: "Zur Sache, Schätzchen", das ist der federleichte Traum, die Regeln der Gesellschaft mit nichts außer Kraft zu setzen, als mit ein paar Scherzen und sinnfreien Bemerkungen (von denen es einige, so "Es wird böse enden" zum geflügelten Wort gebracht haben). Hier kommt zuerst das Wurstbrot (bei dem "die Wurst so richtig überlappt"), dann die Weltrevolution. Schreibt der Spiegel, nun wissen wir Bescheid. Das Photo hier zeigt die beiden Hauptdarsteller im letzten Jahr.

Ein Zeitzeuge hat zu dem Film gesagt: Auf seine Weise hat mich der Film wohl auch deshalb angesprochen , weil er die Ereignisse von 1968 so ganz anders auf den Punkt brachte - eben nicht mit langen Theoriedebatten. Aber alles, was Martin tut oder vor allem nicht tut, ist Auflehnung, und er hat auch noch seinen Spaß dabei. Das war natürlich kein politisches Programm, aber es drückte den Umbruch aus, den wir, die wir damals Mitte 20 waren, verspürten. Der Zeitzeuge, der hier redet, wird Jahre später am Gitterzaun des Kanzleramts rütteln und Ich will da rein brüllen. Auch für ihn gilt einer der Sprüche des Films: Es wird böse enden.

Zur Sache Schätzchen war der beste Film von Uschi Glas, was danach kam, gehört nicht gerade zu den Perlen der Filmkunst: Der Gorilla von SohoImmer Ärger mit den PaukernZur Hölle mit den PaukernDie Tote aus der ThemseVerliebte Ferien in TirolWir tun uns in Deutschland schwer mit komödienhafter Leichtigkeit. Wir haben jemanden wie Curt Goetz gar nicht verdient. Man kann den Film leicht preiswert als DVD bekommen, man kann ihn sich immer noch ansehen. Gut, er hat ein wenig Patina angesetzt. Aber Uschi Glas, Werner Enke und die Filmmusik (und das BMW Cabrio) reißen alles heraus. Man darf sich natürlich zuvor nicht Richard Lester wunderbaren Film The Knack …and How to Get It angesehen haben (Sie könnten jetzt noch mal eben den Post Richard Lester lesen). Die DVD enthält auch noch ein sehenswertes Interview mit Werner Enke und zwei Kurzfilme (Das Portrait und Das Manöver), allein diese Extras würden den Kauf der DVD lohnen.

Ich überlasse das letzte Wort zu dem Film Zur Sache Schätzchen Else Buschheuer, die in ihrem Buch Verrückt bleiben! Mein Leitfaden für freie Radikale über Strategien zur Bekämpfung von Depressionen schreibt: Ein frischer Schlafanzug wirkt manchmal Wun­der. Legen Sie eine DVD ein, nichts Neues, lieber einen vertrauten Film, über den Sie lachen oder wenigstens müde lächeln können. Für mich wäre das »Zur Sache, Schätzchen«, der hilft mir immer. Der Film ist auf illusionslose Weise lustig, er ist intelligent, aber nicht oberschlau, er ist sexy, aber frei von Kitsch. Ein kleiner Film für kleine Tage.
          Uschi Glas wird heute siebzig, da gratulieren wir herzlich.

Und dann habe ich noch ein wenig mehr, nämlich einen Post Zur Sache, Schätzchen aus dem letzten Jahr:

Heute vor fünfundfünfzig Jahren hatte der Film Zur Sache, Schätzchen Premiere. Das Publikum liebte den Film, die Kritik auch. Die sprach vom Neuen Deutschen Film, das Pamphlet dazu hatte Joe Hembus mit seinem Buch Der deutsche Film kann gar nicht besser sein geliefert. Das war 1961 in Bremen bei Schünemann erschienen, einem Verlag, der die konservativen Bremer Nachrichten herausgab und nicht für revolutionäre Neuerungen bekannt war. Der sich aber in den sechziger Jahren eine Reihe namens City Buch leistete, in der ganz erstaunliche Bücher erschienen. Wie zum Beispiel das erste Buch über den Western, Jean-Louis Rieupeyrouts Le Western, Ou le cinéma américain par excellence, in deutscher Übersetzung. Oder der Co­mic Bar­ba­rella von Jean-Claude Fo­rest. Und Karl Mickinns Altweibersommer mit einer nackten Schönheit von Paul Wunderlich auf dem Schutzumschlag. Da war Joe Hembus bei Walther H. Schünemann schon richtig aufgehoben. Zwanzig Jahre später schrieb er zusammen mit dem Truffaut Spezialisten Robert Fischer das Buch Der Neue Deutsche Film. Das bei Goldmann erschienene Buch hatte ein Vorwort von Douglas Sirk.

Drei Tage nach Beginn der Dreharbeiten schrieben May Spils und ihr Hauptdarsteller Werner Enke das Drehbuch um. Der Film sollte wie Godards Außer Atem, mit dem er viele Ähnlichkeiten hat, mit dem Tod des Hauptdarstellers enden, aber jetzt war gerade in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen worden. Soviel Realität wollte man dann doch nicht haben. Denn mit der Realität und den beginnenden Revolutionen auf der Straße hatte der Film wenig zu tun. Es sollte nicht böse enden. May Spils drehte 1968, als alles politisch wurde, einen unpolitischen Film über das Nichtstun

Wenn man sich die Top Ten der erfolgreichsten Filme in Deutschland anschaut, dann muss man sagen, dass die wenig mit dem zu tun haben, was wir 1968 nennen, nichts von Vietnam, dem Prager Frühling oder den Bremer Straßenbahnunruhen. Die deutsche Filmwelt sah an der Kinokasse so aus: 

1.  Das Dschungelbuch (27.394.000)
2.  Zur Sache, Schätzchen (6.500.000)
3.  Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe (6.000.000
4.  Zum Teufel mit der Penne (6.000.000)
5.  Die Nichten der Frau Oberst (5.000.000)
6.  Zur Hölle mit den Paukern (4.000.000)
7.  Immer Ärger mit den Paukern (4.000.000)
8.  Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe II – Sexuelle Partnerschaft (3.500.000)
9.  Die Wirtin von der Lahn (3.000.000)
10 Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung (3.000.000)

Von diesen Filmen habe ich nur Zur Sache, Schätzchen gesehen. Es gab andere Filme in den Kinos. Wie zum Beispiel Baisers volés und La mariée était en noir von Truffaut oder Les Biches von Chabrol, das war eine ganz andere Welt. Werner Enke und Uschi Glas machten den Film zum Kultfilm. Uschi Glas, die einen Nackauftritt verweigert hatte, war gleich in drei Filmen der Top Ten des Jahres 1968, neben Zur Sache, Schätzchen war sie auch in Zur Hölle mit den Paukern und Immer Ärger mit den Paukern zu sehen. Und in dem Edgar Wallace Film Der Gorilla von Soho. Die beinahe gleichaltrige Catherine Deneuve hatte da schon Die Regenschirme von CherbourgEkelLeben im Schloß und Belle de Jour gedreht.

Die deutsche Komödie aus dem Jahre 1968, die mit https://zursacheschaetzchen.de eine eigene Internetseite hat, hat sich gehalten. May Spils und Werner Enke versuchten mit mehreren Filmen an diesen Erfolg anzuknüpfen, das hätten sie lassen sollen. Diese Schwabinger Leichtigkeit konnte man nicht wiederholen. Wenn Sie wollen, können Sie den Film hier sehen.