Donnerstag, 31. Mai 2012

Walter Sickert


Da ist er aus der Kutsche gestiegen, er hat noch nicht ganz beide Füße auf dem Trottoir. Er ist noch unsicher in seiner neuen Rolle. Wir bewundern natürlich diese scharfen Uniformhosen. Die Bärenfellmütze hat er noch in der Hand. Alles an diesem Bild ist etwas unscharf, wie eine Photographie, bei der man die Entfernung nicht richtig eingestellt hat. Aber das gehört zur Technik des Malers dazu, so will er malen. Der platte Realismus wäre seine Sache nicht, das Bild zeigt sicher noch Reste vom Impressionismus, aber irgendwie scheint der Maler den schon überwunden zu haben. Es ist das Bild eines englischen Königs. So unscharf es gemalt ist, wir erkennen Edward VIII in der Uniform der Welsh Guards sofort.

Hochformate sind in der modernen Kunst ja nicht so häufig (Sickerts Lehrer ➱Whistler hat es gerne verwendet), hier noch einmal ein Bild in diesem Format. Es ist vierzig Jahre älter als das Bild von Edward VIII, aber irgendwie wirkt es beinahe moderner. Es ist ein Portrait von Aubrey Beardsley, auf dieser erstklassigen ➱Seite der Tate Gallery können Sie alles dazu lesen. Ich liebe ja solche Seiten mit vorzüglichen Katalogtexten. Die Kunsthalle meiner Heimatstadt Bremen hat auf ihrer Seite den Satz In Kürze können Sie sich hier die Highlights der Sammlung ansehen oder im Online-Katalog der Kunsthalle forschen. Der Satz steht da schon seit Jahren. Also die Tate Gallery hat schon begriffen, dass das Internet Zeitalter angefangen hat (auch wenn sie unglücklicherweise gerade einen relaunch ihrer Seiten gemacht haben), als ich vor einem Jahr Fragen wegen eines Gainsborough Gemäldes hatte, antwortete mir der Kurator Martin Myrone innerhalb von 24 Stunden. Während sich manche Transusen in Provinzmuseen sich nicht mal dafür bedanken können, dass ich Reklame für ihre Ausstellungen mache.

Wenn man das Bild von King George und Queen Mary betrachtet - mit der etwas unvorteilhaft durch den Rahmen des Autofensters abgeschnittenen Königin - dann kommt man auf den Gedanken, dass das nach einem Photo gemalt sein könnte. Ist es auch, Sickert ist in seiner Spätphase fasziniert von der Photographie. Was Gerhard Richter eines Tages macht, ist nicht ganz neu. Manche Kunstkritiker haben in diesen Bildern, die sein Spätwerk auszeichnen, einen Vorläufer der Pop Art erkennen wollen. Auch das Bild des jungen Königs auf dem Weg zur Trauerfeier für seinen Vater ist nach einer Photographie entstanden. Der Photograph hieß Harold J. Clements, er hatte das erste Photo des jungen Königs geschossen, musste aber bald feststellen, dass niemand mehr über sein sensationelles Photo redete. Alle sprachen nur noch über das Gemälde von Walter Sickert.


Das hier ist auch ein ungewöhnliches Bildformat. Die wichtigste Person, die amerikanische Fliegerin Amelia Earhart, sitzt ganz klein rechts im Cockpit ihres Flugzeugs. Kaum dass sie den Atlantik überquert hatte, war das Bild auch schon fertig. Der Maler hatte genau so lange dafür gebraucht wie Miss Earhart für ihren Atlantikflug, nämlich vier Tage.

Wieder ist ein Photo die Anregung für den Maler gewesen. Den Regen kann man auf dem Photo nur ahnen, weil man zwei Regenschirme sehen kann. Aber Amelia Earhart steht bei Sickert nicht in der Mitte von bewundernden Menschen, auf seinem Bild ist sie nur klein und verschüchtert ein Objekt der jetzt einsetzenden Vermarktung des ersten Transatlantikflugs einer Frau.

Sickert hat schon früh seinen ganz eigenen Weg in die Moderne gefunden, und er ist nicht ohne Einfluss auf jüngere englische Maler wie Lucian Freud und Francis Bacon gewesen. Manch einer, den er portraitierte, scheint ihn nicht besonders interessiert zu haben. Ich weiß nicht, ob Lord Farington (links) mit seinem Portrait sehr glücklich war. Das Bild vom Viscount Castlerosse, von dem es nur eine klitzekleine Abbildung im Netz gibt, ist vielleicht nur eine bösartige Karikatur.

Der Gesellschaftskolumnist, der die vielbeachtete Kolumne The Londoner's Log schrieb, sah auch ohne Sickerts Zutun nicht besonders gut aus. Sickert hat ihn nach dem Essen zweimal photographiert, mehr Kontakt brauchte er mit Castlerosse nicht. Über das Bild in kreischenden Farben wird ganz London reden. Sogar die Fachzeitschrift für Herrenmode Cutter & Tailor meldet sich zu Wort und beklagt den Schnitt des Anzugs. Frances Spalding sagt in ihrer Geschichte der modernen englischen Kunst über das Bild: Viscount Castlerosse, the gossip columnist, was delivered to the Royal Academy Summer Exhibition a toasted pink. Es ist ein swagger portrait in Lebensgröße. Eine Abstraktion in Gelb, Braun und Pink. Scheußlich, aber irgendwie faszinierend.

Mit diesem Herrn hier hat er sich allerdings sehr gut verstanden. Er hat ihn auch ermuntert, wieder mit dem Malen anzufangen und hat ihm Malunterricht gegeben. He is really giving me a new lease of life as a painter, schrieb Winston Churchill seiner Frau. Sickert har beim Malen des Bildes nur zwei Farben auf der Palette, ein dunkles Blau-Grün und Pink. Erstaunlich was man damit machen kann. Bilder in zwei Farben anzulegen hatte er sich angewöhnt, als er anfangs des Jahrhunderts aus Dieppe nach England zurückgekehrt war. Nach dieser ersten Skizze füllt er das Bild mit Farbe auf, bei Churchills Portrait hat er es gelassen. Und so sieht es ein wenig wie ein 3-D Bild aus, bei dem man vergessen hat, dem Betrachter die 3-D Brille zu geben.

Das Internet ist ungerecht zu Walter Sickert, der heute vor 152 Jahren geboren wurde. Die Bilder, die man finden kann, geben keinen repräsentativen Eindruck von seinem Werk und seinen Entwicklungsphasen. Die Tate Gallery hat natürlich einen großen Teil ihrer Sickerts im Netz; das National Museum Liverpool, das dieses schöne Strandbild von Dieppe (1902) besitzt, stellt es freundlicherweise auch ins Netz. Viele Sickerts sind in Privatsammlungen, die meisten Gemälde besaß Lord Beaverbrook, sie sind heute in der Beaverbrook Art Gallery in Kanada. Und die haben nun mal nicht so einen tollen ➱Internetauftritt wie die Tate Gallery.

Wenn man heute den Namen Walter Sickert (hier bei einem Vortrag im Jahre 1939) bei Google eingibt, wird man auf eine Vielzahl von Einträgen stoßen, die einem versichern, dass Sickert Jack the Ripper ist. Das verdankt der kosmopolitische Gentleman, der in der High Society ein und ausging - und der ebenso wie Whistler ein geistvoller Kunstkritiker war - einer etwas bescheuerten Tussi aus Amerika. Sie heißt Patricia Cornwell und hat Millionen dafür ausgegeben, um zu beweisen, dass Walter Sickert Jack the Ripper war. Hat Bilder von ihm gekauft und eins geschreddert. Auf der Suche nach DNA Spuren, da versteht sie was von, weil sie mal als Bürokraft in der Leichenhalle gearbeitet hat. Ich sage dazu lieber gar nichts. Wenn die Frau keine Multimillionärin wäre, wäre sie wahrscheinlich längst in der Psychiatrie.

Es ist ja ganz klar für all die Klatschenkallis, die an jede kurante Verschwörungstherorie glauben: wer solche Bilder malt, der schlitzt auch Frauen auf. Der Guardian schrieb vor zehn Jahren süffisant: The American crime novelist Patricia Cornwell was last night accused of "monstrous stupidity" for ripping up a canvas to prove that the Victorian painter Walter Sickert was Jack the Ripper. Even in the context of the crackpot conspiracy theories, elaborate frauds and career-destroying obsessions that London's most grisly whodunnit has spawned, Cornwell's investigation is extreme.

Not only did she have one canvas cut up in the vain hope of finding a clue to link Sickert to the murder and mutilation of five prostitutes, she spent £2m buying up 31 more of his paintings, some of his letters and even his writing desk. Und dabei wollen wir es auch mal belassen, crackpot conspiracy theories und monstrous stupidity ist nicht zu überbieten. Wenn Sie Seriöses über Sickert lesen wollen, dann gibt es nur einen Namen. Und der heißt Wendy Baron, nicht Patricia Cornwell. Frau Dr Baron ist übrigens in Debrett's aufgelistet, da wird Frau Cornwell wohl nie hinkommen.

Mittwoch, 30. Mai 2012

Artus


Heute vor 1470 Jahren ist der König Artus gestorben. Mehrere Internetseiten sind sich da sicher, dass es der 30. Mai war. Wie die auf den 30. Mai kommen, weiß ich nicht. Normalerweise ist ja am 30. Mai der ➱Weltuntergang. Für das Jahr 542 ist wohl ➱Geoffrey of Monmouth verantwortlich, aber wer hat sich das mit dem 30. Mai ausgedacht?

Then Sir Bedivere departed, and went to the sword, and lightly took it up, and went to the water side; and there he bound the girdle about the hilts, and then he threw the sword as far into the water as he might; and there came an arm and an hand above the water and met it, and caught it, and so shook it thrice and brandished, and then vanished away the hand with the sword in the water. So Sir Bedivere came again to the king, and told him what he saw. Alas, said the king, help me hence, for I dread me I have tarried over long. Then Sir Bedivere took the king upon his back, and so went with him to that water side. And when they were at the water side, even fast by the bank hoved a little barge with many fair ladies in it, and among them all was a queen, and all they had black hoods, and all they wept and shrieked when they saw King Arthur. Now put me into the barge, said the king. And so he did softly; and there received him three queens with great mourning; and so they set them down, and in one of their laps King Arthur laid his head. And then that queen said: Ah, dear brother, why have ye tarried so long from me? alas, this wound on your head hath caught over-much cold. And so then they rowed from the land, and Sir Bedivere beheld all those ladies go from him. Then Sir Bedivere cried: Ah my lord Arthur, what shall become of me, now ye go from me and leave me here alone among mine enemies? Comfort thyself, said the king, and do as well as thou mayst, for in me is no trust for to trust in; for I will into the vale of Avilion to heal me of my grievous wound: and if thou hear never more of me, pray for my soul. But ever the queens and ladies wept and shrieked, that it was pity to hear. And as soon as Sir Bedivere had lost the sight of the barge, he wept and wailed, and so took the forest; and so he went all that night, and in the morning he was ware betwixt two holts hoar, of a chapel and an hermitage.

Ja, so ist es gewesen. So hat es Sir Thomas Malory in Le Morte d'Arthur aufgeschrieben. Er war nicht der erste, der die Geschichte des sagenhaften Königs aufschrieb. Und er war nicht der letzte, es hat mit ➱Mark Twains A Connecticut Yankee in King Arthur's Court natürlich nicht auf, obgleich dieser Roman der ganzen Artusbegeisterung à la Lord ➱Tennyson ein Ende setzen sollte. Ich habe, als ich über ➱Marion Zimmer Bradley schrieb - und die Lektüre des Mabinogions empfahl - so locker daher gesagt Und über den Rest der Artusepik (oben der Anfang von Wolframs 'Parzifal'), die wirklich lesenswerte Literatur, reden wir ein andermal. Ich würde das ja auch mal gerne wahrmachen, wenn ich viel Zeit habe. Heute empfehle ich einmal die Lektüre von Malorys Le Morte d'Arthur. Es ist ein Buch von einem ganz eigenen Reiz, getragen von einer Schwermut des Untergangs. Sicherlich ist Chrétien de Troyes (bei dem sich Malory ständig bedient hat) größere Literatur, aber irgendwie ist von allen Versionen der Artusgeschichte die Malory-Version mein Liebling.

Und ich weiß auch, was aus dem Schwert Excalibur geworden ist, das Sir Bedivere in den See wirft (wie oben in der Version von Beardsley). Das steckt nämlich immer noch im Stein und wartet darauf, herausgezogen zu werden. Auf jeden Fall auf der Gravur, die den goldenen Boden meiner kleinen Hamilton (mit dem ➱Kaliber 982) ziert. Die Uhr hat einmal einem Charles A. Mohrle aus Dallas gehört, seine Loge Loyal Knights of the Round Table hatte sie ihm 1955 zur abgelaufenen Präsidentschaft geschenkt. Jetzt ist das schöne Teil an meinem Arm, da fühlt man sich doch gleich wie ein Ritter der Tafelrunde - und damit meine ich jetzt nicht die Monty Python Version.



Dienstag, 29. Mai 2012

Bettermann


In den siebziger Jahren zog mein Uni-Institut in einen scheußlichen Neubau, der zusammen mit anderen außerhalb des Campus lag. Die Bauten waren eigentlich als Behördenmehrzweckbauten geplant, die gesamte Uni-Verwaltung, die noch über die Stadt verstreut war, sollte da einen neue Heimat finden. Die Baumaßnahme war, wie immer bei solchen Bauten, auch mit einem kleinen Skandal verbunden, weil der Kultusminister den Bauauftrag ohne Ausschreibung einem Parteifreund aus seinem Heimatort hatte zukommen lassen. Irgendwann hatte jemand die Idee, die halbe Uni hier unterzubringen, und die Bauten bekamen den schönen Namen Fakultätenblöcke.

Und damit diese architektonische Tristesse ein wenig schöner wurde, gab es auch diese gefürchtete Kunst am Bau. Unser Institut bekam einen Bettermann, ein Ölgemälde in grellen Farben gespachtelt, das überdimensionierte Sonnenblumen zeigte. Einfach scheußlich. Wir trösteten uns damit, dass wir im nächsten Jahr einen Peter Nagel an der Wand hängen haben würden, denn es war beim Bezug der Gebäude vereinbart worden, dass die Bilder in den einzelnen Stockwerken von Jahr zu Jahr ausgetauscht werden sollten. Unglücklicherweise wurden sie allerdings von Handwerkern, die diese Regelung nicht kannten, eines Tages so in die Wand festzementiert, dass ein Austausch nie mehr möglich wurde. Wäre es dieses Bild gewesen, dass in Flensburg hängt, ich hätte ja nichts gesagt, aber es waren diese gräßlichen Sonnenblumen.

Gerhard Bettermann hat viele Gebäude mit seinen Kunstwerken verschönt. Er profitierte von dieser schleswig-holsteinischen Kunst am Bau Richtlinie, für die er selbst als Initiator mitverantwortlich war. 1954 gründete Bettermann den Landesberufsverband der Bildenden Künstler in Schleswig-Holstein und war bis 1970  dessen Erster Vorsitzender, eine Position, die ihm eine gewisse Macht (und viele Beziehungen) verschaffte. Dieses Mosaik, das eine Schule verschönt, ist gerade abgenommen worden, weil es zu zerfallen droht. Ich weiß nicht, ob man es nach der Restaurierung wieder anbringt. Denn der Ruf von Gerhard Bettermann ist auch ein wenig brüchig geworden.

Ich habe letzte Woche bei der Buchhandlung um die Ecke, wo es mal wieder eine Aktion Ein Kilo Buch für 5 Euro gab, einige Tüten voller Bücher abgeschleppt. War nicht so ergiebig wie vor Jahren, als mir die ganze Literatur zu ➱Charles Darwin zu einem Spottpreis in die Tüte purzelte. War aber doch ganz nett. Für den kleinen Carlo fiel auch ein Buch über Dinosaurier ab; wenn er nicht Indianer oder Pirat ist, interessiert er sich jetzt für Dinos. Eins der Fundstücke war ein Heft der Zeitschrift für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein aus dem Jahre 2010. Waren interessante Aufsätze über den Pastoratsgarten in Ulsnis und den Linden-Quincunx in Salzau drin. Der Band enthielt auch zwei Aufsätze über Gerhard Bettermann, passend zum hundertsten Geburtstag des Künstlers. Obgleich mich Bettermann nicht die Bohne interessiert, habe ich das doch gelesen. Weil ich alles über Denkmalschutz lese, was ich in die Finger kriege. Mein Freund Peter hat mich immer über den Denkmalschutz in Bremen auf dem Laufenden gehalten.

Aber was ich da über Gerhard Bettermann las, angeblich einen der bedeutendsten Künstler Schleswig-Holsteins, ließ mich doch erstaunen. Wieder wurde die Geschichte von dem armen unter den Nazis verfolgten Künstler aufgetischt. Konnte kein Bild verkaufen, weil seine Werke zur entarteten Kunst gehörten. Angeblich hat Goebbels persönlich seine Bilder aus einer Ausstellung entfernt. Irgendwie schien es sich noch nicht bis zum Landesamt für Denkmalpflege herumgesprochen haben, dass die ganze Lebensgeschichte von Bettermann ein Phantasieprodukt war. Ich kann da nur empfehlen, diesen ➱Artikel von ➱Nicolaus Schmidt zu lesen.

Als Bettermann Vorsitzender des Landesberufsverbands der Bildenden Künstler wurde, lief der Prozess gegen den Kunstfälscher Lothar Malskat noch (ja, der mit den ➱Truthähnen). Wie muss sich Bettermann damals gefühlt haben? Hat er Angst gehabt, dass seine gefälschte Biographie auch mal aufflog? Aber vor wem sollte er sich fürchten? Schläfrig-Holstein war damals ja noch in der Hand von NSDAP Parteigenossen, mit einem Ex-Nazi als ➱Ministerpräsidenten. Und wir hatten hier den Fall Heyde-Sawade und den Euthanasie-Arzt Werner Catel in seiner schönen Villa am Forstbaumschulenpark. Und dann dieser Theologieprofessor Martin Redeker, dessen Vorlesungen auf Papier mit dem Naziadler geschrieben waren.

Die Bettermann Mosaiken an den Gebäuden zerbröseln überall. Wie die gefälschte Lebensgeschichte des Künstlers. Muss man so etwas mit viel Geld erhalten? Das Geld hätte man auch jungen Künstlern geben können, wäre vielleicht besser angelegt. Für die Redaktion der Zeitschrift für Denkmalpflege bedarf es dringend einer Erarbeitung eines Werkverzeichnisses... ein Desiderat, da nicht nur die Arbeiten Bettermanns allzu vorschnell als rein kunsthandwerkliche Dekoration 'langweiliger' Architekturoberflächen abgetan wurden. Waren sie jemals mehr als genau das? Die Zeitschrift für Denkmalpflege hat den schönen Titel DenkMal! Diese Aufforderung sollte man beim Landesamt für Denkmalpflege mal wörtlich nehmen. Das Schöne am Ruhestand ist, dass ich diesen scheußlichen Bettermann neben dem Geschäftszimmer des Instituts nicht mehr jeden Tag zu sehen brauche.

Montag, 28. Mai 2012

Carl Larsson


Malen konnte er ja, dieser Carl Larsson, der heute vor 159 Jahren geboren wurde. Wie man auf diesem schönen Portrait seiner Frau und einem seiner Kinder sehen kann. Vielleicht hätte er so malen sollen wie ➱Anders Zorn, mit dem er befreundet war. Er ist in der Malerei aber seinen ganz eigenen Weg gegangen, hat beinahe nur noch sein Sommerhaus und seine Kinder gemalt. Das Haus in Sundborn heißt Lilla Hyttnäs, es ist heute ein Carl Larsson Museum. Nach den ersten Ölgemälden benutzt Larsson beinahe nur noch Wasserfarben. Lichtdurchflutet, pastellig. Ein ewiger schwedischer Sommer. Und immer wieder die Inneneinrichtung des Hauses, wahrscheinlich ein Vorbild für die schwedische Möbelindustrie.

Was wäre IKEA ohne ihn? Nein, ganz im Ernst. Die hatten nicht nur ein Sofa namens Sundborn im Angebot, die haben in ihren Katalogen auch immer wieder die Innenräume von Carl Larssons Bilderwelt nachgestellt. Ich kann bei IKEA nicht so richtig mitreden, weil ich wahrscheinlich der einzige Deutsche bin, der kein Billy Regal hat. Ich habe meine Bücherregale immer bei Lundia gekauft. Ist auch schwedisch, ist aber besser. Da kann man die Bücherregale mir Büchern füllen wie man will, sie biegen sich nicht durch.

Aber ich möchte noch einmal auf die Anfänge von Carl Larsson zurückkommen. Das Bild hier ist auch von ihm, gemalt in der französischen Künstlerkolonie Grez-sur-Loing. Dort hat er auch seine Frau, die schwedische Malerin Karin Bergöö, kennengelernt. Die beiden waren schnell der Mittelpunkt der Künstlergemeinde. Ein Bild wie Kröyers Gartenfest in ➱Skagen hätte auch hier gemalt werden können, mit den Larssons mittendrin.

Unter der Sonne Frankreichs hat der junge Schwede ein Naturerlebnis, das für ihn eine Wende darstellt: Zum ersten Mal sah ich die Natur. Ich warf meine bizarren Ideen auf den Kehricht und meine merkwürdigen Gedankenkombinationen in den See. Da mögen sie liegen. Nein, jetzt habe ich die ganze Natur umarmt, sie möge so einfach sein, wie sie will. Die junge brünstige Erde soll jetzt das Vorbild für meine Malerei werden. Aber von dieser Phase seines Werks wird wenig bleiben.

Was uns bleibt, ist das sonnenlichtdurchflutete Wohnzimmer von Sundborn als Vorbild für die IKEA Ästhetik. Und tausende von Postkarten, Bilderbüchern und Kalendern, die einen ewigen schwedischen Sommer zeigen. So nett das alles ist - und wer hat noch nie eine Carl Larsson Postkarte verschickt? - ich wünschte mir, er wäre als Maler einen anderen Weg gegangen.

So ist der der Maler des glücklichen Heims geworden (wie der Titel eines Buches über Larsson lautet), aber vielleicht hätte er seine bizarren Ideen nicht auf den Kehricht und seine merkwürdigen Gedankenkombinationen nicht in den See werfen sollen. Und malen sollen wie seine Freunde Anders Zorn und August Strindberg. Oder wie Fanny Brate, von der dieses Bild stammt, das wie ein Larsson aussieht.

Sonntag, 27. Mai 2012

Minen


Herman Wouk hat heute Geburtstag. Er ist der Autor des Bestsellers The Caine Mutiny, der in Deutschland Die Caine war ihr Schicksal hieß. Habe ich verschlungen als ich jung war. Bald danach kam auch der Film in die Kinos. Wurde ein Welterfolg dank Humphrey Bogart, der den anderen Schauspielern ein wenig den Ruhm stahl. Dabei waren Fred McMurray und José Ferrer auch hervorragend. Film und Roman handeln vom Minenräumen im Pazifik, Wouk kannte sich da aus. Wie Norman Mailer (The Naked and the Dead) oder ➱James Jones (From Here to Eternity) hatte er das erlebt, worüber er schrieb.

Ich habe Herman Wouk einmal gesehen. Er hielt einen Vortrag im Audimax der Hamburger Uni. Er sah so langweilig aus wie ein Versicherungsvertreter. Als erstes erklärte er lang und breit, wie man seinen Namen ausspricht. Nämlich so: [ˈwoʊk]. Worüber er sonst noch geredet hat, weiß ich nicht mehr, obgleich ich eigentlich ein hervorragendes Gedächtnis habe. Also, ich habe in dem Semester am gleichen Ort den amerikanischen Dichter ➱Karl Shapiro erlebt, von seinem Vortrag weiß ich nach beinahe einem halben Jahrhundert noch alles. Wahrscheinlich war es bei Wouk die Enttäuschung darüber, dass der Mann, der diesen fetzigen Roman geschrieben hatte, ein so langweiliger Mensch war, die mich alles hat vergessen lassen. Ich weiß noch, wo ich damals im Audimax saß und was Wouk an hatte (ein langweiliges amerikanisches Brooks Brothers Jackett), aber über seinen Vortrag weiß ich nichts mehr. Vielleicht lag es auch daran, dass ich die ganze Zeit diese schöne Frau in dem roten Burberry Mantel beobachtete. Wo um alles in der Welt kriegte man (frau) 1965 einen roten Burberry her?

Minenräumen im Pazifik ist sicher eine aufregende Sache, vor allem, wenn es in einem amerikanischen potboiler dargestellt wird. Und wenn Humphrey Bogart einen Kapitän spielt. In meinem Heimatort sah man das mit dem Minenräumen in den fünfziger Jahren nüchterner. Es war ja damals noch nicht so lange her, dass man die Minen aus den Bremer Häfen und der Weser gefischt hatte. In einem kleinen Kaff aufgewachsen, das nur aus Werften bestand, war ich in meiner Jugend umgeben von Kapitänen, mit denen meine Eltern befreundet waren. Die viel zu erzählen hatten.

Wäre aus Joseph Conrad ein Romanschriftsteller geworden, wenn er nicht zur See gefahren wäre? Der Kaphoornier Hugo Gottsmann war als Kapitän von Segelschiffen längst pensioniert, knüppelte aber mit über achtzig mit Hilfe einer kleinen Besatzung noch Luxusyachten für Abeking und Rasmussen über den Atlantik. Lieferte sie bei einem Millionär an der Ostküste ab, besuchte danach seine Kinder in Kanada und nahm dann das Flugzeug nach Hause. Zahlte alles A & R, die waren froh, dass sie einen wie ihn hatten. ➱Ernst Biet, dessen Vorfahren seit dem 18. Jahrhundert Kapitäne gewesen waren, ging beim Norddeutschen Lloyd gerade in Pension, war aber bei Reedereien und Werften noch als Kapitän für Probefahrten und die Übergabe von Schiffen an die neuen Besitzer begehrt. Hein Janßen, Jan Kampen und Hermann Bögel hatten eigene Schiffe. Nichts großes, aber es waren eigene Schiffe. Na ja, in den meisten Fällen gehörten sie noch der Bank, dies waren die Anfänge der deutschen Handelsschiffahrt nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch das 2. Petersberger Abkommen waren die Beschränkungen für den Schiffsbau aufgehoben worden, der neu geschaffene Paragraph 7d des Einkommensteuergesetzes bescherte den Reedern praktisch Steuerfreiheit (was glauben Sie, weshalb sich Rudolf Oetker jetzt eine Flotte aufbaut?). Und die verhasste C-Flagge brauchte von der Handelsschiffahrt auch nicht mehr geführt zu werden.

Hermann Bögel war so alt wie Herman Wouk, eine Generation jünger als Hugo Gottsmann und Ernst Biet. Sein erstes Schiff in den fünfziger Jahren wird nach seiner Frau Maja heißen. Maja Bögel war die beste Freundin meiner Mutter. Die Reedereiflagge (oben) sah ein bisschen aus wie der Jolly Roger, schwarz mit dem Vegesacker Wappen in der Mitte. Ich war mit meinem Bruder bei der Schiffstaufe dabei, aber als die vorbei war, wurden wir nach Hause geschickt. Weil die Gäste den Stapellauf noch gebührend feiern wollten, da störten Kinder nur, wenn die Eltern dem zollfreien Alkohol zusprachen.

Hermann Bögel war Marineoffizier gewesen, nach Kriegsende haben die Alliierten ihn "weiterbeschäftigt". Er durfte seine Uniform weiter tragen, nur die Hakenkreuze an der Mütze und im Adler über der rechten Brusttasche mussten verschwinden (ein Jahr später werden alle den dunkelblauen battledress der Royal Navy tragen). Die Engländer brauchten ihn (und viele andere), weil er die Fachkenntnisse hatte. Er war - wie Herman Wouk - auf einem Minensucher gefahren. Für das gefährliche Geschäft des Minenräumens wollten die Engländer keine eigenen Leute riskieren.

Das Schwimmen in der Weser war im heißen Sommer 1945 für Militärpersonal und Zivilisten verboten. Jetzt muss Kapitän Bögel (zusammen mit vielen anderen, die früher Minen gelegt oder Minen geräumt haben) für die German Minesweeping Administration (GMSA) in Elsfleth die Minen in der Unterweser und dem Bremer Hafen wieder räumen. Die neu geschaffene Behörde hat einen englischen Commodore, der passenderweise England heißt. Ihm war als Chef der Deutschen Minenräumleitung (mit der schönen militärischen Abkürzung, auf die das Militär immer so stolz ist: Chef D.M./R.L.) der Konteradmiral Fritz Krauss unterstellt.

Hugh Turnour England, RNR, hatte man aus dem Ruhestand geholt. Der Mann, der im Jahre 1900 Midshipman in der Royal Navy war und 1935 als Rear Admiral verabschiedet wurde (nachdem er im Jahr davor Adjutant beim König war), hatte sich seinen Lebensabend vielleicht auch anders vorgestellt. Aber irgendwie scheint die Royal Navy nicht ohne ihn auskommen zu können. Er kommandiert als Principal Sea Transport Officer Middle East Flottenteile im Mittelmeer, begleitet mit seinen Schiffen Konvois im Atlantik, ist bei der Operation Neptune dabei und nimmt dann für die Royal Navy den Hafen Hamburg ein. Den DSO Orden hat er zweimal bekommen, eigentlich könnte man ihn jetzt nach Hause schicken, aber nein, jetzt drehen sie ihm noch die ganze Sache mit dem Minenräumen an. Erst 1947 darf er nach Hause und bekommt dann auch gleich am Geburtstag des Königs den Bath Orden. Gleichzeitig wird auch der deutsche Admiral Fritz Krauss in den Ruhestand verabschiedet.

Die Disziplinargesetze und die Kriegsgerichtsbarkeit der Kriegsmarine gelten in der German Minesweeping Administration weiterhin, Admiral England möchte zwar die höheren deutschen Offiziere aus der Verwaltung entfernen, merkt aber dann, dass mit ihnen die Organisation ganz gut funktioniert. England hat ständig Ärger mit den Russen, die da eine neue deutsche Marine unter englischer Tarnung heranwachsen sehen. Denn der Oberleutnant der Reserve Hermann Bögel ist kein Kriegsgefangener, sondern zählt, wie alle in diesen Einheiten, zum Disarmed German Military Personnel. Ist vielleicht nur ein Euphemismus, machte aber doch einen feinen Unterschied. Die Schiffe fahren ab 1946 (ebenso wie die Handelsschiffe) unter der sogenannten C-Flagge, äußeres Zeichen eines Staates, der kein Staat mehr ist und keine Flagge mehr hat. Manchen Kapteins war das mit der Flaggenregelung zu blöd, und sie setzten stattdessen die gelbe Signalflagge Q als Symbol für Quatsch. Konnte man nichts gegen unternehmen, war vollständig korrekt, wenn jemand meckert, heißt das Signal nur alles an Bord gesund.

Hermann Bögel hat mir einmal lang und ausführlich die Geschichte vom Minenräumen in der Weser erzählt: Es war eigentlich völlig easy und ungefährlichEs waren ja auch noch viele bei der Truppe, die genau wussten, wo sie in den letzten Kriegsmonaten die Minen gelegt hatten. Zuerst haben wir die Bremer Häfen geräumt. Die Amis brauchten den Hafen in Bremen. Und da mussten ja auch die ganzen Wracks gehoben werden, die da im Wasser lagen, das waren über zweihundert Schiffe. Aber zuerst mussten die Minen weg.

Für den Rest der Weser bis Bremerhaven war der Engländer zuständig. Da wurden genau wie im Hafen kilometerlange Magnetschleifen in die Weser gelegt und an Generatoren an Land angeschlossen. Und dann nur noch an- und ausgeschaltet. Vierzehn Tage lang, dann waren die Akkus der Minen verbraucht und zündeten nicht mehr. Zur Sicherheit gab es immer Kontrollakkus an Land, wo man die Spannung messen konnte. Danach konnte man die Minen gefahrlos ausbaggern. Die Amerikaner haben die aus dem Bremer Hafen sofort auf einen Frachter verladen, Altmetall war auch für sie wichtig.

Die Tommies wollten nicht glauben, dass das Verfahren funktioniert. Wollten, dass wir einen Kutter über eine noch nicht geräumte Strecke fahren lassen, so als 'ne Art Sperrbrecher. Ist auch prompt hochgegangen, war aber keine Besatzung drauf. Danach haben sie sich nie wieder eingemischt. War sonst aber ein wirklich ein schöner Sommer, wir kriegten ein kleines Gehalt, hatten zu essen, hatten damals ja nicht alle. Und wir konnten abends von Bord, nachhause.

Am 9. September 1945 wird die Unterweser für minenfrei erklärt. Nicht überall ist es so ungefährlich. Vor allem in der Nordsee, wo das Verfahren mit den Magnetschleifen nicht so einfach funktioniert (bei Minen mit Druckzündern schon gar nicht) und man sogenannte Sperrbrecher einsetzen muss. Der Sperrbrecher Belgrano (oben) wurde 1946 durch eine Grundmine zerrissen und in zwei Teile zerteilt. Beide Teile blieben schwimmfähig und schafften es noch bis Hamburg. 1942 war dem Schiff vor Ameland das gleiche passiert, als es gerade seine hundertste Mine geräumt hatte. In der Deutschen Bucht wird es noch jahrzehntelang sogenannte „Zwangswege“ für die Schiffahrt geben. Die Akten der GMSA verzeichnen hunderte von Toten in diesen Jahren. Viele Marinesoldaten versuchen sich der Zwangsrekrutierung zur German Minesweeping Administration durch Desertion zu entziehen, Admiral England schreibt da einen Bericht nach dem anderen. Manche desertieren (wie England berichtet) in die sowjetisch besetzte Zone, sie werden merken, dass Minenräumen vielleicht doch das kleinere Übel gewesen wäre.

Ich bin (ebenso wie die Limeys) bei der Minenräumgeschichte mit den Elektrokabeln von Hermann Bögel immer etwas skeptisch gewesen, ich glaubte nicht, dass das funktionieren konnte. Aber Jahrzehnte später habe ich diese Geschichte beinahe genauso in einem Büchlein wieder gefunden, das mir meine Cousine Hannelore zu Weihnachten schenkte. Es heißt Kriegsende 1945: Vegesack und umzu und wurde vom Heimatmuseum Schloss Schönebeck herausgegeben. Hier schildert der Oberleutnant zur See der Reserve Rolf Zschernitz seine Erlebnisse, die ziemlich genau mit Kapitän Bögels Geschichte übereinstimmten. Rolf Zschernitz wird in diesem Sommer seine Braut Lotte Kruse heiraten, die zur standesamtlichen Trauung ein Kostüm aus einem umgearbeiteten Smoking ihres Vaters trägt (im Umarbeiten, Wenden und Färben von Kleidungsstücken ist man in dieser Zeit gut, es gibt ja sonst nichts). Rolf Zschernitz trägt seine Marineuniform, ohne die Hakenkreuze. Lotte Zschernitz wird an der Volksschule meine Klassenlehrerin werden. Und mein Heimatkunde-Heft aus der 3b vierzig Jahre lang aufbewahren. Irgendwann hat sie es wiedergefunden und meiner Mutter geschickt, ich habe es natürlich immer noch. Ich bewahre immer alles auf.

In dem Roman Im Schlepp: Roman der Besatzungszeit von ➱Harald Eschenburg (dem letzten Band der Familientrilogie) kommen die deutschen Minenräumer auch vor: Das deutsche Kontingent war nach Zahl der Schiffseinheiten bald umfangreicher als die gesamte Reichsmarine der Weimarer Republik, heißt es an einer Stelle. Harald Eschenburg, Marineoffizier der Reserve im Zweiten Weltkrieg, kennt sich bezüglich der Reichsmarine bestens aus. Sein Vater war da Admiral. Es ist im übrigen ein Roman, der nicht so spektakulär und melodramatisch ist wie The Caine Mutiny. Es ist ein altersweises Erinnerungsbuch an Krieg und Nachkriegszeit, dessen Lektüre sich unbedingt lohnt, wenn man wissen will, wie es nach 1945 in Deutschland aussah.

Beinahe alle Kapitäne, die meine Eltern kannten, waren im Zweiten Weltkrieg Marineoffiziere gewesen. Hein Janßen war auf einem U-Boot gefahren und in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Wie Ernst Biet (hier mit seiner Lieblingspfeife von Charatan im Mund), der schon im Ersten Weltkrieg auf U-Booten gefahren war. Im Zweiten Weltkrieg kommandierte er den Minenleger Ulm, der von der HMS Onslaught (oben) versenkt wurde (Biet ist der letzte, der von Bord geht, aber der erste, den die Engländer auffischen). Er hatte ja noch versucht, der HMS Onslaught zu entgehen und sogar die amerikanische Flagge hissen lassen, um die Engländer zu täuschen. Über das Schiff und die Besatzung war er nicht glücklich, der Minenleger Ulm war nämlich eigentlich ein Bananenfrachter, der in kürzester Zeit zu einem Behelfskriegsschiff umgebaut worden war.

Über diese Zeit spricht Ernst Biet nicht so gerne (er redet auch kaum über den Ersten Weltkrieg, als er mit Anfang zwanzig schon Marineoffizier wurde), seine Augen bekommen dann so etwas Leeres während er den Prince Albert Tabak aus der roten Dose in seine Charatan stopfte. Diesen leeren Blick haben Kapitäne häufig. Der Kapitänleutnant der Reserve Ernst Biet, der für diesen Krieg eigentlich viel zu alt war, verbrachte den Rest des Krieges in dem kanadischen Internierungslager Camp B bei Fredericton (New Brunswick). Er hat mir viel davon erzählt, auf die Engländer hat er nichts kommen lassen. Er hat mir einen kleinen Pinguin geschenkt, eine ➱scrimshaw Plastik, die er im Lager selbst geschnitzte hatte. Sie steht immer noch bei mir im Wohnzimmer. Bei mir sind diese Dinge gut aufgehoben. Ich bin der Hüter der Vergangenheit.

Das Camp B bei Frederictown ist ein berühmtes Lager. Bevor die Engländer hier gefangene deutsche Marineoffiziere unterbrachten, diente es als Internierungslager für meist jüdische Emigranten, die während des Krieges von England nach Kanada abgeschoben wurden. Eine Vielzahl von ihnen hat später dieses Lager in den ➱Lebenserinnerungen erwähnt, es gibt sogar einen kurzen ➱Dokumentarfilm darüber. Da sind jetzt die Deutschen wieder beisammen. Die einen, denen der Engländer das Schiff versenkt hat, und die anderen, die vor Hitler aus Deutschland geflohen sind.

Nach Dünkirchen scheint eine nationale Hysterie die sonst so besonnene und liberale Nation zu ergreifen. Die Deutschen in England, die bis jetzt noch nicht interniert sind, werden sofort interniert. Und werden (obgleich manche schon seit zwanzig Jahren in England leben) nach einem nicht zu durchschauenden System in die Länder des Commonwealth deportiert, vorzugsweise nach Kanada und Australien. Möglichst weit weg. Nikolaus Pevsner landet durch einen Zufall nicht auf dem Transportschiff ➱Dunera, die Tragödie der ➱Arandora Star lassen wir besser unerwähnt. Dies ist eine der vielen Tragödien des Krieges, vielleicht am besten zusammengefasst in dem anonymen Gedicht eines Deutschen, der im australischen ➱Camp Hay landete:

We have been Hitler's enemies 
for years before the war. 
We knew his plan for bombing and 
invading Britain's shore. 
We warned you of his treachery 
when you believed in peace. 
And now we are His Majesty's 
most loyal internees.

Kapitän Jan Kampen wird mir an einem heißen Sommertag, als er mit Fieber krank im Bett liegt, vom Seekrieg im Mittelmeer und in der Ägäis erzählen. Der massige Mann im seidenen Schlafanzug war froh, dass er einen Zuhörer hatte: Und wir hatten uns in dieser griechischen Bucht versteckt, ganz nah unter dem Ufer, aber am anderen Ende da kam immer dieser Engländer. Und dann haben wir die Zeit gestoppt und herausgefunden, der kam jeden Tag immer zur gleichen Zeit, auf die Minute genau. Das haben wir uns vier Tage lang angeguckt, und als der Tommy dann weg war, sind wir mit Volldampf raus aus der Bucht und weg. Vor Gibraltar sind wir beschossen worden, haben aber nicht viel abgekriegt. Mann, waren wir froh, als wir wieder in der Biscaya waren. Da bischa sonst nicht froh über, inne Biscaya zu sein. Aber diesmal doch. Und dann blickte er, wie alle Kapitäne, traumverloren ins Weite. Irgendwas von dem Erlebnis der See kann man offensichtlich nicht erzählen. Auf seinem Nachttisch lag Joseph Conrads Spiegel der See mit dem quietschegelben Schutzumschlag, den der Fischer Verlag der Joseph Conrad Gesamtausgabe verpasst hat. Alle Kapitäne, die ich kannte, lasen Joseph Conrad.

So erzählfreudig Hermann Bögel in Bezug auf die Nachkriegszeit war, über den Krieg hat er niemals etwas erzählt. Hat nie erzählt, dass er ein deutscher Kriegsheld war und 1942 das Ritterkreuz bekommen hat. Hatte mit seinem Kutter bei dem missglückten Angriff der Alliierten auf Dieppe ein englisches Schnellboot versenkt, ein zweites in Brand geschossen, mehrere Flugzeuge vom Himmel geholt. Steht heute lang und breit im Internet. So viel Aufsehen wäre ihm wahrscheinlich peinlich gewesen.

Warum haben diese Männer, deren ganzes Leben die See war, mir das damals alles erzählt? Sie erzählten diese Geschichten ja nicht jeden Tag, sie prahlten nicht mit ihrem Krieg. Wenn ich daran zurückdenke, klang manches wie eine Lebensbeichte. Ein Versuch, einem Jüngeren diese Vergangenheit zu erklären. Ich weiß es nicht. Ich durfte auf ihren Schiffen mitfahren, was eine tolle Sache war, wenn man jung ist. Aber es hat mich nie zur Marine gezogen, darüber habe ich wohl schon etwas gesagt, als ich über ➱Schnellboote schrieb. Ich glaube da steht auch drin, dass bei dem einzigen Mal, als ich auf einem Minenräumer mitgefahren bin, ein junger Leutnant zur See das Ding in Bremerhaven mit einem Krach gegen die Hafenmauer gesetzt hat. Nach dem, was mir Käpt'n Biet zuvor über die mangelnden nautischen Fähigkeiten der jungen Bundesmarineoffiziere erzählt hatte, fand ich das ganz passend. Natürlich hatte die neue deutsche Marine, deren Schiffe in meinem Heimatort gebaut wurden, auch wieder Minenleger, Minensucher und Minenräumer. Das hört nie auf.

Samstag, 26. Mai 2012

August Kopisch


Wie war zu Cölln es doch vordem,
Mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul: .... man legte sich
Hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,


Ehe man’s gedacht,
Die Männlein und schwärmten
Und klappten und lärmten
Und rupften
Und zupften


Und hüpften und trabten
Und putzten und schabten .....
Und eh ein Faulpelz noch erwacht, ...
War all sein Tagewerk ..... bereits gemacht!


Muss das schön gewesen sein, als es noch die Heinzelmännchen gab. Heute sind sie zu Mainzelmännchen degeneriert, das ist natürlich nicht das selbe. Mein Vetter Uwe hatte ein Buch mit den Heinzelmännchen, um das ich ihn sehr beneidete. Ich war fünf und wollte unbedingt auch so ein Buch haben. Habe ich nie bekommen, ich kriegte irgendein pädagogisch wertvolles Kinderbuch. Kamen Einhörner drin vor, war sicher auch nett, aber war natürlich nicht das Buch, das der Uwe hatte. Wenn man klein ist, will man immer Dinge haben, die andere besitzen, aber man bekommt sie nie. Das geht das ganze Leben lang so weiter.

Erstmals in der Literatur aufgetaucht sind die Heinzelmännchen in Ernst Weydens Buch Cöln's Vorzeit im Jahre 1826: Es mag noch nicht über fünfzig Jahre seyn, daß in Cöln die sogenannten Heinzelmännchen ihr abentheuerliches Wesen trieben. Kleine nackende Männchen waren es, die allerhand thaten, Brodbacken, waschen und dergleichen Hausarbeiten mehrere; so wurde erzählt; doch hatte sie Niemand gesehen. Zehn Jahre später verewigt August Kopisch die emsigen kleinen Wichte in seinem Gedicht. August Kopisch wurde heute vor 213 Jahren geboren. Allein die Sache mit dem ➱Gedicht über die Heinzelmännchen wäre es ja wert, ihn mal zu erwähnen.

Aber man sollte auch noch erwähnen, dass er ja eigentlich Maler ist (hier sein Blick auf Potsdam). Doch dann hat er sich beim ➱Schlittschuhlaufen die Hand gebrochen, da gibt er die Malerei erst einmal auf. Es zieht ihn jetzt nach Italien, da ist es wärmer. Er hofft, dass das gut für seine Hand ist.

Ist es offensichtlich, denn wenige Jahre später ist er schon wieder am Malen. Hier sein Bild von den ➱Pontinischen Sümpfen. Wenn man sich das anschaut, sollte man aber unbedingt dazu Rudi Schurickes ➱Capri-Fischer auflegen. Anders geht das nicht. Wenn Sie zu einer Generation gehören sollten, die nicht mit Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt aufgewachsen ist, sollten Sie es erst recht hören. Es sagt einem viel über die deutsche Italienbegeisterung der fünfziger Jahre. Wenn ➱Borgward seine Isabella nicht ➱Isabella genannt hätte, hätte sich das Teil bestimmt nicht verkauft. Borgward-Freunde sollten natürlich diese beiden Posts lesen.

Und Capri bringt mich jetzt mit einem wunderbaren Übergang zurück in das Jahr 1826, dem Jahr, in dem die Cölner Heinzelmännchen zum ersten Mal das Licht der Literatur erblicken. Da ist August Kopisch in Capri, aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: Es war im Sommer des Jahres 1826, als ich mit meinem Freunde Ernst Fries in der schönen Bucht, an der nördlichen Marine von Capri landete. Die Sonne neigte sich dem fernen Ischia zu, als wir in den rasselnden Uferkies hinabsprangen. Capri war die erste Insel, die ich betrat, und nie werde ich den Eindruck vergessen. Einer meiner liebsten Wünsche erfüllte sich. Ich hörte nun das Meer um alle jene wunderbar gestalteten Felsen rauschen, die schon von Neapel aus meinen Sinn zauberisch gefangen genommen. Jede brandende Wellenreihe sang mir zu: ich sei vom Festlande geschieden, auf einer Klippe, wo ein einfaches Volk von Fischern und Gärtnern wohnt, und der Hufschlag der Rosse und das Geroll der Wagen unbekannt ist. Mit ihren Felsen und Höhlen, und hängenden Gärten und alten Trümmern, und neuen Städten und Felsentreppen war mir die Insel schon von fern als eine besondere Welt erschienen, erfüllt von Wundern und umschwebt von grauenvollen und lieblichen Sagen, und nun, da meine Zeit nicht eng beschränkt war, durfte ich hoffen diese Welt in allen ihren Grenzen genau durchforschen zu können. Dieser Gedanke machte mich unbeschreiblich glücklich.

Sie können das gerne hier im ➱Volltext lesen. Es geht um nichts Geringeres als die Entdeckung der Blauen Grotte. Wer hat sie entdeckt? Natürlich August Kopisch. Blaue Grotte und Heinzelmännchen, mehr geht wirklich nicht.

Das Buch mit den Heinzelmännchen von meinem Vetter Uwe war kein gewöhnliches Bilderbuch. Es gab da Pappstreifen am Buchseitenrand, mittels derer man die putzigen Kerlchen auf den Bildern bewegen konnte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Als ich gestern das Internet nach solchen Büchern durchsuchte, stieß ich bei einer Waldorfschulen-Buchhandlung auf einen erstaunlichen Text: Zur Vertiefung in die Wirklichkeit des ernsten Spielbedürfnises des Kindes und seiner stufenweisen Phantasieentfaltung hat Brunhild Müller die Hinweise Rudolf Steiners zum beweglichen Bilderbuch in ihren Anmerkungen zusammengetragen. Rudolf Steiner spricht von den an Fäden gezogenen, Gesten ausführenden Figuren. Wer seinen Fingerzeigen nachgeht, wird die Entdeckung machen, daß wir mit diesem Werkbuch zur Anfertigung von Bilderbüchern, in denen die ganzen Figuren bewegt werden, einen Anstoß zu schöpferischem Tun für unsere Kinder und mit ihnen erhalten, den nun jeder nach seinem Vermögen weiter entwickeln und differenzieren kann. Bei Steiner sind Kriterien für das Bilderbuch aufgezeigt, die Wege zu weiteren Entdeckungen und innerer Sicherheit öffnen.

Rudolf Steiner als Vordenker der Pop-Up-, Klapp- und Ziehbilderbücher, wow! Rudolf Steiner war ein Name, der bei uns zu Hause besser nicht erwähnt wurde (und der Stil des obigen Textes bestätigt ja die  schlimmsten Vorurteile), für meinen Opa war das pädagogische Vorbild die preußische Kadettenanstalt. Das konnte ich noch erleben, weil ich zu der ➱Volksschule kam, an der mein gerade pensionierter Opa unterrichtet hatte. Hat auch keinem geschadet.


Das Goethezeitportal, das ich schon einmal empfohlen hatte, als ich über ➱Theodor Körner schrieb, hat eine hervorragende ➱Seite zu dem Thema August Kopisch und der Entdeckung der Blauen Grotte.

Freitag, 25. Mai 2012

Jessi Colter


Sie hat heute Geburtstags, da müssen wir natürlich gratulieren. Sie sieht heute nicht mehr so aus wie auf diesem Jugendphoto, aber sie ist immer noch auf der Bühne. Sie kam in diesem Blog schon einmal vor, als ich über ihren ➱Ehemann und das Album White Mansions schrieb. Ihre erste LP hieß A Country Star is Born, ich habe sie immer noch. Es ist ja erstaunlich, wie vieles von der Country & Western Musik heute noch gut klingt. Und damit meine ich jetzt nicht nur ➱Emmylou Harris oder ➱Johnny Cash. Es geht nichts über eine alte Hank Williams Platte mit diesem herzergreifenden high lonesome Falsetto:

Hear that lonesome whippoorwill
He sounds too blue to fly
The midnight train is whining low
I'm so lonesome I could cry


Ich habe darüber schon einmal geschrieben, falls Sie das zufälligerweise am 28. November 2010 verpasst haben sollten, lesen Sie doch noch einmal ➱Grand Ole Opry. Wenn Sie C&W nicht interessiert, dann brauchen Sie das natürlich nicht zu tun. Aber dies kleine ➱Video von Jessi Colter sollten Sie sich doch heute anschauen.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Oskar


Ich weiß nicht, ob Palladio (wenn er heute noch lebte) das da wirklich gebaut hätte. Eine Vielzahl von Journalisten fühlte sich allerdings angesichts dieser ➱Villa an Palladio erinnert. Ein gewisser Josef Ackermann bemerkte zu dem Haus: Jüngst habe ich ein Foto von Oskar Lafontaines Villa gesehen: Der lebt wesentlich prunkvoller als ich. Wird dem je vorgehalten, dass er sich vom normalen Leben entfernt hat? Ja, der gute alte Sozialneid oder The pot calling the kettle black.

Irgendwie sind Andrea Palladios Villen nicht so ordinär wie dieser quietschegelbe Pallazo Prozzo von Oskar Lafontaine im Saarland. Ich glaube, ich schreibe mal einen schönen Artikel zu Palladios Villen. Palladio ist zwar schon x-mal in diesem Blog vorgekommen, aber es gibt noch keinen Post, der Andrea Palladio heißt. Über diesen Baumeister zu schreiben wird auch erfreulicher, als über Oskar zu schreiben. Wie ich gerade auf den gekommen bin? Nicht weil er gerade mal wieder in den Schlagzeilen ist. Nein, er ist heute vor sieben Jahren aus der SPD ausgetreten. Da war der mal drin. Wie die Zeit vergeht. Schauen Sie sich doch mal diese wunderbare ➱Sendung an, ist zwar schon etwas älter, aber immer noch aktuell.

Mittwoch, 23. Mai 2012

Rockefeller


In Bremen gibt es eine Allee, die nach dem Kaufmann Franz Schütte benannt worden ist. Und überall in der ganzen Stadt kann man Spuren von Franz Schüttes Reichtum finden. Hier am Bremer Dom ist er als zweiter von rechts zu sehen, er hält einen Hammer und einen Geldbeutel in der Hand, Zeichen dafür, dass er die Restaurierung des St Petri Domes finanziert hat. Er hat auch das scheußliche Bismarck Denkmal finanziert und Tuaillons Rosselenker, der ➱hier schon einmal im Zusammenhang mit beliebten Schülerstreichen erwähnt wurde. Und ohne ihn hätte Bremen wahrscheinlich nicht den ➱Bürgerpark. Von seinem Vermögen ist noch etwas übrig geblieben, die Franz-Schütte-Stiftung tut gute Werke und fördert die Ausbildung begabter junger Menschen.

John D. Rockefeller, der heute vor 75 Jahren starb, war drei Jahre jünger als Franz Schütte. Die beiden Herren haben sich gekannt, sie waren sogar Geschäftsfreunde. Weil Rockefellers Firma Standard Oil zusammen mit Franz Schütte die Deutsch-Amerikanische Petroleum Gesellschaft begründet hat. Die sich irgendwann dieses Werbeschild zulegte. Ich weiß zwar nicht ganz, weshalb da ein Indianer drauf ist, aber vielleicht war es verkaufsfördernd. Lange hat sich der Indianer in der Werbung nicht gehalten. Aus der Firma Standard Oil mit ihren roten Zapfsäulen (wie auf ➱Edward Hoppers Bild Gas) wurde irgendwann ESS0.

Und die ESSO (die ja nichts anderes ist als die phonetische Wiedergabe der Abkürzung von Standard Oil S.O.) packte irgendwann den Tiger in den Tank. Und alle anderen Benzinfirmen hatten lustige Werbung. Das war eine unschuldige Zeit, als das Benzin billig war und sich der Tankwart noch um den Autler bemühte. Damals konnte man auch noch sagen: Einmal volltanken bitte! Das riskiert heute niemand mehr. Und Tiger gibt es natürlich auch nicht mehr, also keine Esso-Tiger aus Plüsch oder solche Tigerschwänze, die sich Manta-Fahrer an die Antenne montierten. Als der Tiger weg war, kam der Spruch Es gibt viel zu tun. Packen wir's an. Aber den schreibt heute kaum jemand ESSO zu, den hat die Politik längst geklaut. Klingt so wie Yes we can, redet auch niemand mehr von.

Franz Schütte und John D. Rockefeller haben ein Vermögen mit dem Lebenssaft der mechanischen Fortbewegungsmittel gemacht. Sie haben aber auch viele gute Werke getan. Heute werden immer noch Millionen mit dem Öl gemacht, aber tut noch irgendjemand gute Werke? Der EXXON Chef Rex Tillerson hat im letzten Jahr 34.9 Millionen Dollar verdient. Das ist ziemlich genau soviel, wie Winterkorn (VW), Zetsche (Daimler-Benz) und Reithofer (BMW) zusammen bekommen. Hat irgendjemand schon mal gehört, dass die gute Werke mit ihrem Geld tun?

Da gefallen mir diese aus dem viktorianischen Zeitalter stammenden Patriarchen wie Schütte und Rockefeller besser. Zumal Rockefeller auch noch die Dichtung liebte. Und selbst ein kleines Gedicht geschrieben hat:

I was early taught to work as well as play;
My life has been one long, happy holiday--
Full of work, and full of play--
I dropped the worry on the way--
And God was good to me every day.


Er hat es auf kleine Kärtchen drucken lassen und es überall verteilt, so macht man Menschen glücklich.  Und er hat im Alter jedem Erwachsenen, der er traf, einen dime (10 cent) in die Hand gedrückt (Kinder bekamen die Hälfte). Als er noch jung war, hatte er zwei Ziele im Leben: hundert Jahre alt zu werden und ein Vermögen von 100.000 Dollar zu haben. Die Sache mit den hundert Jahren hat er knapp verfehlt, aber sicherlich konnte er sagen God was good to me every day.


Dienstag, 22. Mai 2012

Robert Vernon


Es gibt keinen Wikipedia Artikel für ihn. Sein Name wird zwar in den Artikeln National Gallery und Tate Gallery erwähnt, aber that's all. Irgendwie ist das erstaunlich. Robert Vernon ist am 22. Mai 1849 in seinem Haus in der Pall Mall gestorben. Wenn man in der Mitte des 19. Jahrhunderts Pall Mall als seine Adresse angeben kann, hat man es ganz nach oben geschafft. Wenn man dann auch noch wie Vernon im Jahre 1838 in den Athenaeum Club aufgenommen wird, dann ist man im gesellschaftlichen Himmel der englischen Gesellschaft angekommen. Vernon wurde in Ardington in Berkshire beerdigt, weil er dort Grundbesitz hatte. Und einen nicht eben kleinen Landsitz, ➱Ardington House, den er 1833 gekauft hatte.

Dieses Bild von Sir Edwin Henry Landseer hängt heute in der Tate Gallery, die heute ja eher dafür bekannt ist, dass sie in Formalin eingelegte Kühe von Damien Hirst ausstellt (die aktuelle ➱Damien Hirst Ausstellung geht übrigens noch bis zum September). Das Bild hat den Titel A Dialogue at Waterloo, und Sie ahnen schon, dass der ältere Herr rechts niemand anders als der Herzog von Wellington sein kann. Hier erklärt er seiner Schwiegertochter die Schlacht von Waterloo, eine Szene, die es nur in der Phantasie des Malers gegeben hat. Das Bild stammt aus der Privatsammlung von Robert Vernon. Ich habe es deshalb ausgesucht, weil das, was hier dargestellt wird, etwas mit Vernon zu tun hat.

Der Turner stammt auch aus der Sammlung von Robert Vernon, aber es hat nur etwas mit ihm zu tun, weil er es direkt vom Künstler gekauft hat. Ohne die Beratung durch Kunsthändler, nur seinem eigenen Urteil vertrauend. Dabei hatte er nie studiert, war nicht jener englischen Klasse aufgewachsen, die Gemäldesammlungen in ihren Landsitzen besitzen. Über die Alexander Pope in seinem satirischen Gedicht A Man of Taste schrieb:

In curious matters I'm exceeding nice,
And know their several beauties by their price;
Auctions and sales I constantly attend,
But choose my pictures by a skilful friend;
Originals and copies much the same,
The picture's value is the painter's name
.

Dies Bild von John Frederick Herring, das The Frugal Meal heißt, ist auch aus Vernons Sammlung. Er wird es mit Vergnügen gekauft haben. Es ist zwar nicht in der gleichen Liga wie der Turner, aber der Maler war in seiner Zeit sehr geschätzt, selbst Königin Victoria bestellte Bilder bei ihm. Lebte er heute noch, würde Elizabeth II bei ihm Pferdebilder bestellen. Mit Pferden kennt Vernon sich aus, er hat sein Vermögen mit ihnen gemacht. He amassed a large fortune as contractor for the supply of horses to the British armies during the wars with Napoleon, steht im ➱Dictionary of National Biography.
Es wundert mich nur, dass er keinen ➱George Stubbs in seiner Sammlung hatte.

Wenn man die Armee des Herzogs von Wellington mit Pferden beliefert, dann muss man natürlich auch einen Landseer besitzen, auf dem der Duke of Wellington, Waterloo und Pferde drauf sind. Pferdehändler (und ihre modernen Nachfahren die Autohändler) haben ja im Volksmund einen etwas zweifelhaften Ruf. Wir können sicher sein, dass jemand, der einer der größten Armeelieferanten zur Zeit Napoleons ist, mit allen Wassern gewaschen ist. Aber Vernon kauft seine Bilder nicht, um damit einen Reibach zu machen. Er kauft Kunst, um Künstler zu unterstützen. Er braucht keine Berater, er braucht keine Kunsthändler. Und keine Kunstkritiker mit ästhetischen Theorien. Maler sind ihm dankbar dafür. He sees more in my pictures than I ever painted, hat Turner über Ruskin gesagt. Das Bild von Constable oben, ➱The Valley Farm, hat er in Constables Studio gesehen und es sofort gekauft. Stunden vor ihm war ein Kunstkritiker bei Constable, der den Maler mit feinsinnigen Theorien genervt hat. Robert Vernon sieht das Bild und kauft es, obgleich es noch nicht ganz fertig ist. He saw it free from the mustiness of old pictures - he saw the daylight purely - and bought it - it is his - only I must talk to you about price for he leaves all to me, schreibt Constable einem Freund. Vernon hatte Constable gefragt, ob das Bild für jemand bestimmten gemalt sei, und Constable gab zur Antwort: Yes, sir, it is painted for a very particular person, - the person for whom I have all my life painted. Maler malen erst einmal für sich selbst. Vernon wird Constable dreihundert Pfund für das Bild bezahlen, so viel Geld hat der Maler mit keinem seiner Bilder verdient.

William Etty hat für das scheußlich kitschige Bild, das Constable nur the bumboat nannte (lesen Sie doch den ➱William Etty Post, das bilde ich nicht noch mal ab), wahrscheinlich noch mehr erhalten. Er konnte dem Bündel Bargeld, dass Vernon nach dem Abendessen auf den Tisch legte, nicht widerstehen. Vernon lädt in vielen Fällen die Künstler zum Essen ein und lässt danach die Pfundnoten knistern, eine etwas zivilisiertere Form des Pferdehandels. These men were not buying 'safely' - there was plenty of more conservative painting around to decorate their houses. They were buying with the panache with which they made their money; but they weren't throwing their money away, sagt Anthony Bailey in seiner William Turner Biographie über Männer wie Robert Vernon, Jacob BellElhanan Bicknell, Benjamin Godfrey Windus und John Sheepshanks. Andere würden alte Niederländer oder Italiener kaufen, diese Männer kaufen englische Kunst.

Sheepshanks hat sein Vermögen als Tuchfabrikant in Yorkshire gemacht, er wird fünfhundert Bilder für eine neu zu gründende Nationalgalerie stiften. Sheepshanks und Vernon sind jetzt eine neue Sorte Sammler, das Sammeln von Kunst wird in den Anfangstagen der Herrschaft von Königin Victoria nicht mehr die Sache des Adels (oder der Kunsträuber wie ➱Marschall Soult) sein. Jetzt sammeln die entrepreneurs. Und sie sammeln nicht für sich, sie haben das Ziel, der Nation eine Sammlung englischer Gegenwartskunst zu verehren. Ab 1844 war Vernons Sammlung für die Öffentlichkeit zugänglich, 1847 wird er sie der National Gallery stiften, von wo sie eines Tages in die Tate Gallery wandern wird.

Vernon hat seine Herkunft gerne im Dunklen gelassen und sich als self-made man stilisiert. So ganz stimmt diese from rags to riches Geschichte nicht. Schon sein Vater hatte ein gut gehendes Fuhrgeschäft (und eine kleine Gemäldesammlung), Robert Vernon macht daraus einen florierenden Kutschenverleih. Also so etwas wie Sixt für die ➱Regency Zeit. Für die Dandies, die mal gerade eben ihren Schneider bezahlen können, aber keine eigene Kutsche wie ➱Lord Byron besitzen. Dann kommt der Krieg gegen Napoleon, an einem Krieg kann man immer verdienen. Wellington hat allerdings sein Lieblingspferd Copenhagen nicht bei Robert Vernon gekauft.

Auf dem Portrait von Henry William Pickersgill (ganz oben) hat Robert Vernon eine beinahe militärische Haltung angenommen. Als wolle er den Herzog von Wellington imitieren. Es ist die Pose eines viktorianischen Gentlemans mit einem touch von Dandy, der sich hier mit einem seidenen Morgenmantel über der Gesellschaftskleidung und dem kleinen King Charles Spaniel auf dem Schoß sehr privat gibt. Die Anpassung an die oberste Klasse der sich in dieser Zeit immer stärker formierenden englischen Klassengesellschaft ist perfekt.

Natürlich ist Robert Vernon in der Geschichte der Kunst kein Unbekannter, auch wenn das Fehlen von Wikipedia Artikeln das suggerieren könnte. Robert Hamlyn hat ihn in dem Büchlein Robert Vernon's Gift: British Art for the Nation 1847 im Jahre 1993 gewürdigt. Es ist eine Sammlung, die einen Zeitgeschmack wiedergibt, das macht sie besonders interessant. Vergleichbar mit der Sammlung des in England lebenden Hamburger Millionärs ➱Gustav Christian Schwabe, die die Hamburger Kunsthalle leider nach der letzten Ausstellung 1970 in den Keller verbannt hat. Über diese Sammlung schreibe ich gerne noch einmal.

Alle Bilder im Text sind aus der Sammlung von Robert Vernon. Man kann die ganze Sammlung auf der ➱Seite der Tate Gallery bewundern. Hoffentlich schreibt mal jemand einen schönen Wikipedia Artikel für Vernon, arbeitslose Kunsthistoriker muss es doch auch in England geben. In dem hübschen kleinen Roman The Clothes on Their Backs von Linda Grant (der knapp den Booker Prize verfehlte) bewirbt sich die Heldin bei der National Gallery und wird dort abgelehnt. Als sie empört dort anruft, bekommt sie die Antwort, man hätte hier promovierte Kunsthistoriker, die an der Kasse Ansichtskarten verkaufen würden. Ich fand die Romanstelle beim Lesen sehr komisch, aber es ist wahrscheinlich auch ein bisschen wahr.