Der Maler Albert Aereboe (1889-1970) ist bisher von der Kunstgeschichtsschreibung weitgehend ignoriert worden – ungeachtet der Tatsache, daß man ein einziges Bild („Der Einsiedler“) immer wieder in Ausstellungen der zwanziger Jahre gesehen hat, schrieb die Zeit im Jahre 1983. Da gab es in der Kieler Kunsthalle gerade eine Aereboe Ausstellung für den am 31. Januar 1889 geborenen Maler. Das ein Meter siebzig große Bild des Einsiedlers, das nach dem Wunsch von ➱Arthur Haseloff vom Künstler in Der Alchimist umbenannt wurde, hängt in der ➱Kieler Kunsthalle. Manchmal auch nicht, dann ist es mal wieder ausgeliehen. Aereboe hat den Zusammenhang des Bildes mit Dürers ➱ Melancholie I betont. Und es ist, von der Biographie des Künstlers betrachtet, ein melancholisches Bild.
Denn die nackte Frau im Hintergrund, die von einem durchsichtigem Schleier umweht wird (und die an das Bild ➱ Der Liebeszauber eines rheinischen Meisters erinnert), ist vielleicht niemand anderes als seine Frau Julie Aereboe, die im März 1927 im Alter von neununddreißig Jahren gestorben war. In diesem ➱Bild, das auch in Kiel hängt, hat Aereboe sie zwei Jahre vor ihrem Tode im Stil der Neuen Sachlichkeit gemalt. Altmeisterliche Maltechnik verbindet sich mit der neuen Sachlichkeit und dem Abstrakten, sagte die Presse über seine Bilder. Die Neue Sachlichkeit ist schon häufiger in diesem Blog erwähnt worden, ich liste die Posts unten einmal auf.
Albert Aereboes Frau Julie kam aus Bremen, sie leitete an der Kunstgewerbeschule Kassel die Textilklasse. Dort hat sie auch ihren Mann kennengelernt, der die Klasse für Dekorative Malerei leitete, beide wurden 1923 zu Professoren ernannt. Seit 1925 hielten sich beide mehr und mehr auf Sylt auf, wo Aereboes Atelierhaus gerade fertiggestellt worden war. Diese ➱Frau in den Sylter Dünen von Julie Aereboe-Katz ist in den zwanziger Jahren gemalt worden, der Maler hat es 1962 der ➱Kunsthalle Bremen geschenkt. Man kann es hier im ➱Katalog anklicken, erstaunlicherweise funktioniert der mal. Man kann darüber spekulieren, ob der frühe Tod der aus einer jüdischen Familie stammenden Malerin nicht eine Gnade war, man weiß nicht, was aus ihr in den dreißiger Jahren geworden wäre. Zu Marie Caroline Julie Aereboe gibt es ➱ hier eine sehr informative Seite.
Noch einmal der Einsiedler, der zuerst Mein Ahnherr Jens Aereboe hieß. Es hat weniger Ähnlichkeit mit Dürers Melancholie I als mit Dürers ➱Hieronymus im Gehäus. Wenn er aus dem Fenster blicken würde, könnte der einsame Gelehrte die Sylter Dünen sehen. Aereboe hat sein Strandhaus geliebt. 1939 musste er es verlassen, das Gelände war zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Der Lübecker zog in sein Berliner Studio (das er schon 1925 eingerichtet hatte). Wurde dort allerdings ausgebombt, sodass er wieder nach Sylt kam. Er liebt es da: Hier ist die Gestaltung der Landschaft auf die einfachste Formel gebracht. Der unendliche Horizont des Meeres und die übergroße Kuppel des Himmels machen das Planetarische der Erde fühlbar und lösen in mir kosmische Verbundenheit aus. Diesmal zieht er zu seiner Schwägerin nach Kampen. Der Einsiedler hängt in Kiel an einer weißen Wand (dies hier ist ein Photo von irgendeiner Ausstellung), und er beherrscht einen ganzen Raum. Wenn man das Bild betrachtet, fängt man an, Geschichten zu erfinden. Mit Regentropfen an den Scheiben und schönen nackten Frauen, die im Hintergrund aus der Dunkelheit kommen.
Aereboe (hier ein Photo des Malers) schreibt 1936 in einem Brief an Arthur Haseloff, Ordinarius für Kunstgeschichte und Direktor der Kieler Kunsthalle, er wollte etwas darstellen, wie man es in wüsten Träumen erlebt. Es springt eine Tür auf, ein kalter Windstoß aus einem schwarzen Loch. Es rieselt einem kalt über den Rücken. Der Mann nun vorne sitzend, mit viel zerbrochenem Lebensglück, schuf sich nun diese Sphäre, zurückgezogen von allem, was ihn in seiner genießerischen Ruhe und Einsamkeit stören könnte und lauscht auf die feinsten Geräusche in der Natur, denkt an große Fernen, an den Menschen, an die runde Welt, an schöne Reisen mit Schiffen. Feste große Linien, Grenzen legt er sich fest, so daß nicht dieser da vorn sitzende, sondern der Beschauer des Bildes als ein Gegensatz das in schaukelnden Tritten hereintretende Glück empfinden muß. Das kosmisch Machtvolle in verschleierter süßer Lieblichkeit gegen das Machtlose des geistigen menschlichen männlichen Willens.
Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst wandern Bilder überall hin. Wo hat man ➱Raffaels Putti und Dürers betende Hände nicht schon gesehen? Ein Ausschnitt von Aereboes Bild der roten Jacke aus dem Jahre 1924 ist auf Uwe Timms Entdeckung der Currywurst gewandert. Gibt man bei Google Aereboe und rote Jacke ein, bekommt man als Ergebnis Currywurst, das ist schon komisch. Kunsthistoriker haben zu dem Bild etwas anderes zu sagen: Der Raum hinter der roten Jacke und die Lichtverhältnisse sind bewußt verwirrend, Realität und Spiegelung vermischen sich. Vorder- und Hintergrund sind nähergerückt und mit der gleichen präzisen Schärfe gesehen. Die beklemmende Stille, die sich mit einer gespenstisch-irrationalen Bewegtheit verbindet, gibt dem Kleidungsstück in seiner Verfremdung eine überhöhte kafkaesk-unheimliche Bedeutsamkeit, ein magisches Eigenleben, das uns verunsichert und gefangennimmt zugleich.
Das steht 1984 in der Weltkunst, ich könnte so etwas nicht schreiben. Könnte schon, will es aber nicht. Mich erinnert die rote Jacke an die roten Jacken auf den Bildern von ➱Wilhlm Busch und an meine schöne rote Capalbio Jacke, die ich schon in dem Post ➱Sportjackett erwähnt habe. Die rote Jacke von Aereboe ziert nicht nur Uwe Timms Novelle, sie ist auch vorne auf dem Buch Der Maler Albert Aereboe 1889-1970 von Brigitte Maaß-Spielmann abgebildet, ein Buch, das auch einen Werkkatalog enthält. 84 Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen aus der Zeit zwischen 1918 und 1930 gab es damals in Kiel zu sehen. Brigitte Maaß hatte 1981 bei ➱Wolfgang J. Müller über Aereboe promoviert, ihre Arbeit ist immer noch das Standardwerk zu dem Maler.
In Kampen, wo eine kleine Künstlerkolonie entstanden war, wird man Aereboe 1959, als er wieder in seine Heimatstadt Lübeck zieht (die man im Fenster dieses Selbstportraits aus dem Jahre 1924 sehen kann), zum Ehrenbürger machen. Er wird die Insel immer wieder besuchen: Wenn ich Jahrzehnte auf Sylt gelebt habe, dann ist es die unvergleichliche Meeresnatur dieser Insel gewesen, die mich bannte und immer wieder aufs Neue inspirierte. Nicht alle haben ihn da geliebt, 1947 wird bei einer Ausstellung in dem Kampener Restaurant Sturmhaube das Ölgemälde Der Alchimist von einem Unbekannten zerstochen. Und dass er am Haus seiner Schwägerin, wo er nach dem Kriegsende eine private Malschule unterhält, die Pergola hat abreißen lassen, um an deren Stelle einen Hühnerstall zu bauen, haben ihm viele Nachbarn nie verziehen. Aber Hühner sind nach dem Krieg wichtig. Ich weiß noch, dass wir damals auch Hühner hatten. Und Kaninchen. Und ein Schwein im Keller, mit dem ich mich angefreundet hatte. Aber das hatte in der Nachkriegszeit kein langes Leben.
Für die Sängerin ➱Emmi Leisner war die Insel Sylt, wo sie seit den ➱zwanziger Jahren ständig zu finden war, eine Insel der Erholung. Für sie verbreiteten die Dünen von List ... im Abendlicht eine herrlich exterritoriale Stimmung. Es könnte in der Wüste sein, in Persien oder in Mexiko. Aereboe, der ein Wappen für List entwirft, spricht von dem dumpf wallenden Meer und den satten Weiden, er ist nicht so weit in der Welt herumgekommen wie die Flensburger Sängerin, die er 1959 malt. Es ist eins der letzten Bilder, das er auf Sylt malt: Gerade malte ich Emmi Leisner. Eine ganz verwickelte Arbeit. Aber ich habe sie hinbekommen, wie man so sagt: Wie sie leibt und lebt.
Mit dem Bild der Sängerin ist er wieder ein wenig zu dem Stil seines Hauptwerkes zurückgekehrt, das in der Neuen Sachlichkeit liegt. Da malt er nicht mehr gegen Butter, Fleisch und Eier ... unter beträchtlichem Verbrauch von Kobaltblau Landschaften mit großen Sommerhimmeln. Er ist kein Revolutionär der Malerei gewesen Brigitte Maaß-Spielmann sagt in ihrer Dissertation über den Maler: Wo die Bildidee mit begründeten Gefühlen, mit dem eigenen Erleben vereint wird, schafft Aereboe überzeugende Leistungen; andernfalls ... droht der Bildausdruck ins Banale abzugleiten. Und das wollen wir natürlich nicht.
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