Sonntag, 27. Juli 2025
Gassenvenus
Donnerstag, 24. Juli 2025
Sommerausstellung
Dienstag, 22. Juli 2025
der 22. Juli
Vormals, eh ich noch liebte, sah ich dich wahrer,
Später machte dein Duft mich blind –
Da er mir wehte, um wieviel glaubt ich ihn klarer,
Reiner als Nacht, als Schnee und Wind.
Aber vorzeiten – da sah ich uns schon zusammen,
So wie wir heut beieinander gehn:
So auf der Asche von ganz erloschenen Flammen,
Einsam entfremdet und ohne Verstehn.
Seh ich ins Auge dir, seh ich in deinen Grund,
Keine Flammen glühten dort je für mich,
Ach, und die meinen vergehn, die dir nichts galten.
Aber so rein und stille verzehrten sie sich
Daß ich dich nie in Armen gehalten,
Nie deinen Atem gespürt, deinen Mund.
Rück-Auferstehung in Schlamm, daß wir drin wühlen –
Ich sah sie bei Penny,
Marlboro Light
Coca Cola
Tampons,
sie schritt, beschaute die Regale,
eine griechische Göttin, allein der Kinderwagen störte, durch
Ich sah sie in der Bar, sie strahlte vor Dummheit und
Ich sah sie hinterm Schalter der Bank, besonnt von der
Ich sah sie am Pariser Platz Baustellen fotografieren;
topless lag sie am Ufer der Spree, die wie sie ganz Idee war
(Ich rede, ein für alle Male, nicht von der Liebe.
Ich rede von Orpheus, Béart):
der Fluß wie die Regnitz, Nil in der Donau von Linz,
das Krokodil und der Tiger; wir hinter Gittern,
durch die uns Helena ansieht: annunziata,
wir und die Stäbe zwischen dem Engel und ihr –
Ich sah sie Ticketts kontrollieren, sah im Konzert ihren Körper,
die Augen geschlossen, lauschen; auf ihrem Kleid lag die Hand;
auf der Hand eine andere, männliche, Venen wie Vipern,
wenn sie sich lieben, in Knäueln, die beißen;
– sah sie sich bücken, als ihrer Ferse das Nylon riß;
momentlang, als sie sich bückte, der Schimmer von Fleisch
zwischen Gummi und String, ihr Finger strich an der Masche;
sah sie zu Hunderten, Eine, in jeder Haut und Ethnie,
sah dich in alleden meinen, Béart, mir verlorenen Frauen,
die dich verloren, denn hundertköpfig has your house
many mansions, die du hingehst, uns vorzubereiten.
Über den Duft deines Nackens schreitet uns die Zeit ab
unter dem Landvermesser, der mit dem Zirkel einsticht;
die Mannvermesserin probte das Gen wie den Wein,
den sie in der rasant ausgeworfenen Netzhaut kaute:
das war bei Hertie; testosteronale Lage und Traube;
zog schon das Netz wieder ein, legte die Beute aufs Band
und bezahlte Marlboro Light, Coca Cola, die Tampons –
Freitag, 18. Juli 2025
Relinquunt Omnia Servare Rem Publicam
Am 18. Juli 1863 greifen die Truppen der Nordstaaten das →Fort Wagner an, das ist die zweite Schlacht um das Fort im Hafen von Charleston. Sie wird bis zum 7. September dauern, da hatte die Armee der Südstaaten das Fort geräumt. Bei dem ersten Angriff am Abend des 18. Juli stirbt der Colonel Robert Gould Shaw, der das 54th Massachusetts Infantry Regiment kommandiert. Es sterben im amerikanischen Bürgerkrieg eine Vielzahl von Colonels, aber der Tod von Shaw hat eine besondere Bedeutung. Denn sein Regiment ist eins der ersten im Bürgerkrieg, das nur aus schwarzen Soldaten besteht.
Es stirbt an diesem Tag nicht nur der Colonel Shaw, es sterben auch viele seiner Soldaten: Two months after marching through Boston, half the regiment was dead, heißt es in Robert Lowells Gedicht →For the Union Dead. War es Heldentum? Oder schlichte Unvernunft, ein Regiment von völlig unerfahrenen Soldaten, die kaum eine militärische Grundausbildung erfahren hatten, in diesen Angriff zu führen? War dies ein Vabanquespiel? Die Hoffnung, der Angriff könne gelingen und das Regiment könne berühmt werden? Dies Photo zeigt den Sergeanten William H Carney, der schwer verwundet die Regimentsfahne nach dem Angriff rettet, The old flag never touched the ground, boys. Er wird als einer der ersten farbigen Soldaten die Medal of Honor bekommen.
Robert Gould Shaw kam aus einer sehr reichen Bostoner Familie, die sich für die Abschaffung der Sklaverei engagierte. Seine Familie war mit Harriet Beecher Stowe befreundet, und der junge Robert Gould Shaw hatte Uncle Tom's Cabin mit Begeisterung gelesen. Seine Eltern hatten ihn auf teure Privatschulen in Amerika, der Schweiz und Deutschland geschickt, er war nirgendwo glücklich. Er bestand die Aufnahmeprüfung von Harvard, aber er verließ die Universität ohne Examen. Er geht im April 1861 zur Armee und wird im Mai zum Leutnant befördert. In den nächsten anderthalb Jahren wird er mit seinem Regiment, der 2nd Massachusetts Infantry, in den Schlachten von Winchester, Cedar Mountain und Antietam sein. Er wird zweimal verwundet und wird am Ende des Jahre 1862 zum Captain befördert.
Der Gouverneur von Massachusetts John Albion Andrew war seit der Emancipation Proclamation dafür eingetreten, dass schwarze Regimenter (mit weißen Offizieren) aufgestellt werden sollten. Und er bot dem Sohn von →Francis George Shaw die Stelle als Colonel des 54th Massachusetts Infantry Regiment an. Der fünfundzwanzigjährige Captain zögerte, er glaubte nicht, dass das neue Regiment an der Front eingesetzt würde. Er hatte keine Lust zum Etappendienst. Aber dann nahm er doch an, wurde zuerst zum Major befördert und erhielt dann den Rang eines Colonel, als er das neue Regiment übernahm. Wenn er am 18. Juli 1863 stirbt, wird er in einem Massengrab landen. Shaw’s father wanted no monument / except the ditch, / where his son’s body was thrown / and lost with his 'niggers', heißt es in Lowells Gedicht.
Aber er wird ein Monument erhalten. 1897 hat er in Boston ein →Denkmal bekommen, gestaltet von dem Bildhauer Augustus Saint-Gaudens. Es ist eins der ganz wenigen Denkmäler des Bürgerkriegs, auf dem afroamerikanische Soldaten zu sehen sind. Der Spruch auf dem Denkmal Relinquunt Omnia Servare Rem Publicam (der auch der Untertitel von Lowells Gedicht ist) gilt ebenso für sie. Auch wenn sie nie den versprochenen Sold der weißen Soldaten bekommen haben. Auf der Rückseite des →Denkmals kann man lesen: The White Officers taking life and honor in their hands cast in their lot with men of a despised race unproven in war and risked death as inciters of servile insurrection if taken prisoners besides encountering all the common perils of camp march and battle. The Black rank and file volunteered when disaster clouded the Union Cause. Served without pay for eighteen months till given that of white troops. Faced threatened enslavement if captured. Were brave in action. Patient under heavy and dangerous labors. And cheerful amid hardships and privations. Together they gave to the Nation and the World undying proof that Americans of African descent possess the pride, courage and devotion of the patriot soldier. One hundred and eighty thousand such Americans enlisted under the Union Flag in MDCCCLXIII-MDCCCLXV.
Booker T. Washington sagte 1897 in seiner →Eröffnungsrede: If through me, a humble representative, nearly 10,000,000 of my people might be permitted to send a message to Massachusetts, to the survivors of the Fifty-fourth Regiment, to the committee whose untiring energy has made this memorial possible, to the family who gave their only boy that we might have life more abundantly, that message would be, tell them that the sacrifice was not in vain. Ein anderer Festredner am 31. Mai 1897 war der Philosoph →William James (der Bruder von Henry James), der hier seinen einzigen öffentlichen Auftritt hatte. Er war gekommen, weil sein Bruder →Garth Wilkinson (Wilkie) James einer der Offiziere des Regiments gewesen war. Der Captain James war bei dem Angriff auf Fort Wagner schwer verletzt worden und war 1883 im Alter von achtunddreißig Jahren gestorben.
William James sagte in seiner Rede: How soon, indeed, are human things forgotten! As we meet here this morning, the Southern sun is shining on their place of burial, and the waves sparkling and the sea-gulls circling around Fort Wagner’s ancient site. But the great earthworks and their thundering cannon, the commanders and their followers, the wild assault and repulse that for a brief space made night hideous on that far-off evening, have all sunk into the blue gulf of the past, and for the majority of this generation are hardly more than an abstract name, a picture, a tale that is told. Only when some yellow-bleached photograph of a soldier of the ‘sixties comes into our hands…do we realize the concreteness of that by-gone history ... The photographs themselves erelong will fade utterly, and books of history and monuments like this alone will tell the tale.
Das Denkmal ist in das Gedicht For the Union Dead von Robert Lowell gewandert, zu dem ich in dem Post Denkmäler eine deutsche Übersetzung habe. 1980 hat man dem Denkmal auch die Namen der toten →Soldaten des 54th Massachusetts Infantry Regiment hinzugefügt. Auf den Gedanken war man 1897 nicht gekommen, obgleich man die Namen kannte und sogar Photographien der Soldaten hatte. Die hätte Augustus Saint-Gaudens benutzen können, aber er tat es nicht. 1989 kam der Film ✺Glory in die Kinos, das Drehbuch stammte von einem Mann, der vorher das Drehbuch von Rambo geschrieben hat. Es ist kein guter Film, es wäre mir lieber, man würde den jungen Colonel mit dem Denkmal von Saint-Gaudens und dem Gedicht von Lowell verbinden und nicht mit diesem Machwerk.
Vor wenigen Jahren ist das Denkmal aufwendig restauriert und in einer ✺National Rededication Ceremony am 1. Juni 2022 neu eingeweiht worden. Der Yale Professor David W. Blight sagte damals: We have a republic today in trouble. We have a democracy in great peril. What are we giving up for the republic? We’ve all lived through recent years and the removal of a number of Confederate monuments. This monument has always been here, for 125 years, saying ‘The Confederacy did not win this war.’ Walk up here. Stand near it. Get inside these faces that Saint-Gaudens captured … Go stand right up there with them. And then back away a little bit and feel the movement of this monument. Feel the movement of the men’s legs. Hear their feet in the pavement as they march. Hear the clanging of some of those rifles behind them as they move forward, forward toward their deaths. This monument tells a story like no other monument about that war. It says African Americans had to die to be counted as people and from that, maybe, just maybe the American Republic could be reinvented, reimagined, and maybe still preserved.
Montag, 14. Juli 2025
Bastille Day
Heute ist der französische →Nationalfeiertag, da wird wieder überall Allons enfants de la Patrie, le jour de gloire est arrivé! gesungen. Und es gibt eine Militärparade auf den Champs-Élysées, so etwas können die Franzosen gut. Donald Trump war am 14. Juli 2017 von der ✺Parade begeistert: It was two hours on the button, and it was military might. We're going to have to try to top it. Das hat er in diesem Jahr an seinem Geburtstag versucht, das Ergebnis war etwas →kläglich. Nicht zu vergleichen mit dem, was die Franzosen auf den Champs-Élysées und am Himmel von Paris hinkriegen.
La douce France ist der Titel eines Chansons von ✺Charles Trenet (den kennen Sie schon aus dem Post Que reste-t-il de nos amours) aus dem Jahre 1941, in dem der Sänger den Franzosen etwas wiedergibt, was sie unter der deutschen Besatzung zu verlieren glaubten: ihre nationale Identität. Die Identität eines ländlichen Frankreichs der Vergangenheit (cher pays de mon enfance), wo das Leben noch schön ist:
Douce France
Cher pays de mon enfance
Bercée de tendre insouciance
Je t'ai gardée dans mon cœur
Oui je t'aime
Et je te donne ce poème
Oui je t'aime
Dans la joie ou la douleur
Aber dieses la douce France ist älter, viel älter. Es taucht zuerst im Jahre 1080 im Chanson de Roland, dem Rolandslied auf. Wenn Roland im Sterben liegt, blickt er auf Spanien und auf seine Eroberungen zurück:
Le comte Roland s'étendit dessous un pin.
Vers l'Espagne, il a tourné son visage.
Bien des choses lui reviennent en mémoire,
Tant de terres que le baron conquit,
La douce France, les hommes de son lignage,
Charlemagne, son seigneur qui l'éleva.
Il ne peut s'empêcher de pleurer et de soupirer.
Charles Trenet nimmt dieses Erinnern (Bien des choses lui reviennent en mémoire) beinahe wörtlich wieder auf, wenn er singt Il revient à ma mémoire des souvenirs familiers. Erinnerung an la douce France bei Roland, dem Paladin von Karl dem Großen, Erinnerung an ein douce France vor der deutschen Besatzung bei Charles Trenet. Das mit dem douce France im Rolandslied weiß ich schon lange, nicht weil ich aus Bremen komme und die Stadt einen Roland hat. Sondern weil ich mich einmal zusammen mit meinem Freund Peter in den Semesterferien durch das altfranzösische Rolandslied gequält habe. Das habe ich schon in dem Post Charlemagne gesagt. Wenn Sie beinahe alles über Roland und Karl den Großen wissen wollen, dann lesen Sie diesen Post.
Die Marseillaise, die am heutigen Tag überall in Frankreich gesungen wird, hat nichts von dem la douce France. Es ist ein Kriegslied, dem Claude Joseph Rouget de Lisle den Titel Chant de guerre pour l’armée du Rhin gegeben hatte. Es war dem Marschall Nikolaus von Luckner gewidmet, dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee (unser Seeteufel Graf Luckner, der Telephonbücher zerreißen konnte, ist sein Urenkel gewesen). Es ist ein blutrünstiger Text, der eigentlich nicht mehr in unsere Zeit passt.
Als Nicolas Sarkozy (dessen Frau Carla Bruni Trenets ✺La douce France auf italienisch gesungen hat) im Jahre 2005 anordnen wollte, dass jedes Schulkind in Frankreich die Nationalhymne auswendig lernen sollte, fragte sich der Sänger Graeme Allwright, ob kleine Kinder in der Schule wirklich diesen Text lernen sollten: Je me suis toujours demandé comment les Français peuvent continuer à chanter, comme chant national, un chant de guerre avec des paroles belliqueuses, sanguinaires et racistes. Und er fügte hinzu: Le jour où les politiques décideront de changer les paroles de La Marseillaise, ce sera un grand jour pour la France. Aber dieser jour de gloire ist nicht gekommen, Sarkozy interessierte das alles nicht. Und so schrieb Allwright eine neue, pazifistische ✺Marseillaise:
Pour tous les enfants de la terre
Chantons amour et liberté.
Contre toutes les haines et les guerres
L’étendard d’espoir est levé
L’étendard de justice et de paix.
Rassemblons nos forces, notre courage
Pour vaincre la misère et la peur
Que règnent au fond de nos cœurs
L’amitié la joie et le partage.
La flamme qui nous éclaire,
Traverse les frontières
Partons, partons, amis, solidaires
Marchons vers la lumière.
Es wäre schön, wenn sich dieser Text einmal durchsetzen würde. Eine alternative Marseillaise hat sich ein französischer Präsident allerdings schon einmal anhören müssen. Nicht am 14. Juli, sondern am 10. Mai 2019 im Jardin du Luxembourg bei einer Feierstunde zur Abschaffung der Sklaverei in Frankreich. Da sang die in Nigeria geborene ✺Omo Bello die 1867 von Camille Naudin in New Orleans geschriebene Marseillaise Noire vor Präsident Macron.
Bei YouTube finden sich hunderte von Aufnahmen der Nationalhymne. ✺Mireille Mathieu ist dabei (aber ✺Edith Piaf ist viel besser); und auch ✺Charles De Gaulle, der die Hymne 1945 bei seiner Heimkehr nach Frankreich eigentlich sehr gut singt. Wir haben Aufnahmen von Opernsängern, ✺Kindern, Militärkapellen (auch dem ✺Chor der Roten Armee) und Nationalmannschaften. Die Beatles tauchen mit ✺All you need is love auch manchmal auf. Und immer wieder dazwischen der Filmausschnitt aus ✺Casablanca. Ich habe mich durch ein halbes Hundert von Aufnahmen durchgearbeitet (und dabei meinen neuen kleinen Bluetooth Lautsprecher gestestet), auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: Wie soll die Marseillaise gesungen werden? Opernsänger und ✺Opernsängerinnen fallen aus, zuviel Theatralik, zuviel Pathos. Obgleich man ✺Fjodor Schaljapin, der lange in Frankreich lebte, immer anhören kann. ✺Marthe Chenals erstaunliche Aufnahme aus dem Jahre 1915 auch. Serge Gainsbourg mit seiner als skandalös empfundenen ✺Reggae Version und sein Auftritt in ✺Straßbourg sollten auch erwähnt werden.
Ich habe nach langem Suchen eine Version gefunden, die ich sehr schön finde. Ich weiß nicht, wer da die Hymne singt, aber so sollte das Lied gesungen werden, einfach und schlicht und ohne Pathos. Diese Nationalhymne findet sich bei YouTube in einem kleinen, sehr ironischen Video, das ✺Le jour de gloire est arrivé! heißt und seit 2012 im Netz ist. Wir sehen Szenen aus einem alten Spielfilm, wo eine vornehme Dame mit einer Louis Vuitton Tasche mit unsicherem Schritt ein schlossartiges Haus verlässt. Sie beachtet die im Hof liegenden Toten nicht; als sie in der Einfahrt des Hofes stehenbleibt, ihren Mantel lüftet und zu einer Art Striptease ansetzt, erklingt die Nationalhymne. A cappella, nicht strahlend von einem Heldentenor gesungen, sondern eher von einem Chansonnier mit Trauer in der Stimme. Und dazwischen immer wieder Szenen von émeutes und Polizeigewalt, die uns beweisen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Und dass offenbar manche das aux armes, citoyens falsch verstanden haben. Diese Szenen sind zeitlos, Straßenschlachten und Polizeigewalt gibt es in Frankreich immer wieder. Das hört nie auf. Außer bei Corona, da war Ruhe.