Mittwoch, 17. September 2025

Joachim Körnig ✝


Als ich ihn kennenlernte, fuhr er ein BMW Cabrio und hatte eine Omega Speedmaster am Arm. Der BMW ist über die Jahrzehnte einem soliden Mittelklassewagen gewichen. Die Speedmaster ist ihm mal im Badezimmer auf die Fliesen gefallen, das überlebt auch die Moonwatch nicht. Aber er nahm den Verlust philosophisch. Als ich ihm Que reste t´íl de nos amours vorbeischickte, schrieb er mir: Gerade habe ich Que reste t´íl de nos amours, gespielt von Jacky Terrasson, gehört. Amours gibt es ja noch, und doch anders als früher. Solchen Gedanken darf man sich aber nicht überlassen. Wie sprach schon Epiktet: 'Wünsche nicht, dass geschieht, was Du wünschst, sondern wünsche, das geschieht, was geschieht!' Die Buddhisten sagen mit ihrem Gebot des Loslassens im Kern ja nicht zufällig Gleiches. Ich habe ihn letztens gefragt, ob er noch an einer alten Speedmaster oder einer Omega Seamaster 300 interessiert sei. Denn ich kannte jemanden, der sich von diesen Klassikern trennen wollte. Aber er sagte mir, er brauche überhaupt keine Uhren mehr, er sei schwer krank und hätte nicht mehr viel länger zu leben. Ich dachte erst, er würde ein wenig übertreiben, aber es war todernst gemeint. Er ist am 30. August im Alter von achtundsiebzig Jahren gestorben.

Der Rechtsanwalt Dietrich von Boetticher hat für seinen Weggefährten und Freund eine Traueranzeige in die Süddeutsche gestellt. Der Zeitung war Achim Körnig sehr verbunden, weil er mal eine Zeitlang einer der Autoren der Glosse Streiflicht war. Wenn man die Posts in seinem Blog Nachtgazette liest, dann ist vieles davon nicht so weit entfernt vom Streiflicht. Denn die 'Nachtgazette' ist eine Internet-Zeitschrift, die jenseits der Hektik des Alltagsgeschehens Strukturen des menschlichen Tuns und Seins aufzeigen will. Da ersteres zu Lasten des letzteren traditionell eher wirr erscheint, werden Humor, Satire und Karikatur dabei nicht zu kurz kommen. Am 29. Juni 2025 konnte man in seinem Blog lesen: Die seit 2007 bestehende NACHTGAZETTE wird aufgrund bevorstehenden Ungemachs für ihren Herausgeber, Chefredakteur usw. leider vermutlich bald eingestellt werden. Das mit dem bevorstehenden Ungemach verriet Unheil, aber der Blogger und Karikaturist arbeitete immer noch an einem Buch, in dem die besten Posts des Blogs erscheinen sollten. Vielleicht führt seine Familie ja diese Arbeit fort.

Das einzige Photo von Dr Joachim Körnig im Internet ist dieses hier, das ihn mit einem 1,30 großen Hecht im Dieksee stehend zeigt. Den Dieksee hatte er direkt vor der Tür seines schönen kleinen weißen Hauses, in das der Architekt viele Stilelemente von Palladio eingebracht hatte. Achim Körnig war ein leidenschaftlicher Angler. Und Schwimmer, da hätte er die Seamaster 300 gut tragen können. Aber er schrieb mir: Heute trage ich schnöderweise die weiter abgebildete chinesische Addiesdive, die ein durchaus taugliches NH35-Automatikwerk von Seiko aufweist und zum Schwimmen geeignet ist. Und er fügte hinzu: Die Anleihe der Addiesdive bei IWC stört mich nicht. Bin eben ein hoffnungsloser Fall. Als ich ihm den Post Sportuhren schickte, in dem die kleine Wittnauer Allproof erwähnt wird, die er mir mal geschenkt hatte, schrieb er: dieses Geschenk ist mir - wie so vieles - komplett entfallen

Aber wir haben die letzten dreißig Jahre nicht nur über Uhren geredet, wir haben viel häufiger über Jazz geredet. Weil er mir immer wieder CDs zuschickte, den besten Jazz aller Zeiten. Diese CDs tauchten hier schon in dem Post CD Player auf: All die vielen selbst gebrannten CDs (von hervorragender Qualität), die 'Round Midnight' heißen, sind natürlich keine Raubkopien. Die stammen aus einer Radiosendung, die Achim Körnig mal mitternachts bei einem bayrischen Privatsender hatte. Und die er mir netterweise kopiert hat. Erstklassiger Jazz! Der dottore in giurisprudenza hat früher auch mal gelegentlich das 'Streiflicht' für die 'Süddeutsche' geschrieben. Jetzt ist er Blogger. So enden wir alle. Ich habe über die Jahre mehr als dreißig CDs von ihm geschenkt bekommen. Wenn bei mir nicht Bach oder Mozart aufliegt, dann ist eine von den Round Midnight CDs im CD Player. Gary Thomas (der schon in Lush Life erwähnt wird) hätte ich wahrscheinlich ohne Achim Körnigs CDs nie kennengelernt. Vieles andere auch nicht. 

Du bist nicht mehr da, wo du warst, aber du bist überall, wo wir sind, steht am Ende des kleinen Gedenkvideos, das die Familie bei der Süddeutschen ins Netz gestellt hat. Achim Körnig ist immer noch bei mir, wenn ich seine CDs höre, ich lege mal eben für ihn Miles Davis Round Midnight auf. Und ich habe noch ein kleines Gedicht von Vachel Lindsay, das Written for a Musician heißt:

Hungry for music with a desperate hunger
I prowled abroad, I threaded through the town;
The evening crowd was clamoring and drinking,
Vulgar and pitiful--my heart bowed down--
Till I remembered duller hours made noble
By strangers clad in some suprising grace.
Wait, wait my soul, your music comes ere midnight
Appearing in some unexpected place
With quivering lips, and gleaming, moonlit face.

Samstag, 13. September 2025

Chipocalypse Now

.........   Ich möchte es nicht vergessen, und das hat jetzt nichts mehr mit der Kunst der Pittura metafisica zu tun, dem Pianisten Alfred Brendel zum neunzigsten Geburtstag zu gratulieren. Und natürlich auch dem amerikanischen Schauspieler Robert Duvall, der heute ebenfalls neunzig wird. Wir kennen ihn aus dem Film Apocalypse Now als Colonel Kilgore (= kill + gore). Der die berühmten Sätze sagt: You smell that? Do you smell that? Napalm, son. Nothing else in the world smells like that. I love the smell of napalm in the morning. You know, one time we had a hill bombed, for twelve hours. When it was all over I walked up. We didn't find one of 'em, not one stinkin' dink body. But the smell! You know – that gasoline smell... the whole hill! Smelled like... victory. (Pause) Some day this war is going to end...

Und an dieser Stelle muss ich doch noch einmal Donald Trump zitieren, ich hoffe, es ist das letzte Mal, dass er in diesem Blog auftaucht. Bei einem Treffen mit Vertretern der Kriegsveteranen im Jahre 2017 behauptete Trump, begleitet von seiner Assistentin Omarosa Manigault-Newman, dass der Colonel Kilgore in dem Film von Agent Orange und nicht von Napalm redet. Obgleich er von allen Seiten korrigiert wird, beharrt er auf seiner irrigen Meinung. Wie immer. Weil es für ihn eine andere Realität als für den Rest der Welt gibt. In der Colonel Kilgore nun eben I love the smell of Agent Orange in the morning sagt (lesen Sie mehr zu dieser bizarren Szene in The Daily Beast). Seine Assistentin für Öffentlichkeitsarbeit, die erste Farbige im Weißen Haus wurde Ende des Jahres gefeuert. Was ein Fehler war, denn Omarosa schrieb über ihr Jahr im Weißen Haus ein Buch. Trump nannte sie daraufhin auf Twitter that dog. Irgendwie wird uns der Prolet mit dem großen Maul, der Amerika zur Bananenrepublik gemacht hat, fehlen.

Das stand hier am 5. Januar 2021 in dem Post das elfte Jahr. Ich möchte darauf noch einmal zurückkommen. Nicht wegen des Proleten mit dem großen Maul, der Amerika zur Bananenrepublik gemacht hat. Sondern wegen des Bildes im ersten Absatz, das den Schauspieler Robert Duvall als Colonel Kilgore in dem Film Apocalypse Now zeigt. Er trägt da ein gelbes Halstuch, das ist die Farbe der Kavallerie, das wissen wir aus dem Film She Wore a Yellow Ribbon. Auch wenn sie keine Pferde mehr haben und zur Musik von Wagner Ritt der Walküren mit Hubschraubern unterwegs sind, hat die Air Cavalry heute immer noch ein Pferd im Wapperl. Die Szene mit den Hubschraubern und die Szene, in der Colonel Kilgore I love the smell of napalm in the morning sagt, bleiben immer im Gedächtnis. 

Auch im Gedächtnis von Donald Trump. Denn der Colonel Kilgore, für den Robert Duvall einen Oscar bekommen hatte, ist zurückgekommen. Er ist nur ein bisschen fett geworden und wird jetzt von Donald Trump gespielt. Der sich auf seiner hauseigenen Plattform Truth Social dank der Articial Intelligence als Lieutenant Colonel Donald Kilgore Trump inszeniert und gerade der Stadt Chicago den Krieg angesagt hat. Weil er das Verteidigungsministerium in Kriegsministerium umbenannt hat: Chicago about to find out why it’s called the Department of WAR. Und statt des Satzes I love the smell of napalm in the morning steht in diesem Bild: I love the smell of Deportations in the morning.

Kaum ist das US-Kriegsministerium neu so benannt, da droht Donald Trump der Stadt Chicago in 'Apocalypse Now'-Manier mit Waffengewalt. Was soll man dazu noch schreiben? fragte Johannes Schneider in der Zeit. Gibt es wirklich Antworten auf diese Frage? The President’s threats are beneath the honor of our nation, sagte der Bürgermeister von Chicago Brandon Johnson. Mehr als beneath the honor of our nation kann man eigentlich nicht sagen. Ehre und Würde sind keine Begriffe, die zu dem Präsidenten Trump passen. In seiner Phantasiewelt bekommt alles, wie in George Orwells 1984 einen neuen Namen. Nicht nur der Golf von Mexico. Der Verteidigungsminister heißt jetzt Kriegsminister.

Manchmal wird die Nation durch ill will and resentment zu einem Krieg gezwungen, contrary to the best calculations of policy. Manchmal handelt die Regierung through passion what reason would reject und unterwirft sich pride, ambition and other sinister and pernicious motives. Das sagt der erste Präsident Amerikas in seiner Abschiedsrede. Dieser Absatz endet mit dem Satz: The peace often, sometimes perhaps the liberty, of nations has been the victim. Wir wollen mal hoffen, dass Trumps Kriegsminister keinen Krieg im eigenen Land anfängt. The peace often, sometimes perhaps the liberty, of nations has been the victim.


Sonntag, 7. September 2025

Borodino

Kund ward dem fränkischen Geschlechte
Wie Russen stehen im Gefechte,
Was unser Faustkampf heißt!
Wie unsre Brust die Erde dröhnte,
Ein tausendfältig Donnern tönte,
Der Reiter mit dem Rosse stöhnte,
Tod und Verderben kreist.

Es dämmerte. Wir standen fertig
Und waren neuen Kampfs gewärtig
Beim nächsten Morgenroth —
Doch nach und nach verstummt das Knallen,
Zum Rückzug alle Trommeln schallen
Wir aber zählten die gefallen,
Verwundet oder tot

Ja! Männer gab's zu unsern Zeiten,
Stark im Gehorchen und im Streiten,
Männer von Stahl und Erz!
Nur Wen'ge ließ die Schlacht am Leben,
Und, wär' es nicht um höh'res Streben,
Sie hätten nimmer preisgegeben
Moskau, des Landes Herz!

Die Schlacht bei dem Dörfchen Borodino am 7. September 1812 war die blutigste Schlacht von Napoleons Russlandfeldzug. Napoleon wird ein Viertel seiner Truppen verlieren, die Russen ein Drittel. Von den 600.000 Mann, mit denen Napoleon am 24. Juni die Memel überschritt, sind ihm noch 130.000 geblieben. Ein Jahr nach der Schlacht wird Napoleon im Gespräch mit Metternich in Dresden sagen: Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen ... Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und die Polen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter. Metternich vermerkt in seinen Erinnerungen, dass Napoleon statt des sich scheren etwas Derberes gesagt hätte. Wahrscheinlich hat er je me fous gesagt, was manche mit Ich scheiße auf das Leben von Millionen wiedergeben.

Es sind die deutschen Verbündeten, die den Blutzoll zahlen müssen. Von den 30.000 Bayern, die Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais kommandiert, kommen nur 5.000 zurück. Der bayrische Maler Albrecht Adam, dessen Bilder schon in den Posts Moskau brennt und Beresina 1812 zu sehen sind, schrieb über die Schlacht von Borodino: Der Mittag kam und des furchtbaren Mordens war noch kein Ende. Ein General nach dem andern wurde verwundet zurückgebracht, von vielen war die Todespost eingetroffen, bluttriefend schleppten sich die Soldaten aus dem Kampfe, an vielen Stellen war das Feld mit Leichen bedeckt; was ich an Verwundungen und Verstümmelungen an Menschen und Pferden an diesem Tage gesehen, ist das Gräßlichste, was mir je begegnete und läßt sich nicht beschreiben. Dies Bild hat er in den 1830er Jahren gemalt, es beruht aber auf einer Bleistiftzeichnung, die er am 7. September 1812 anfertigte. Man kann das Bild als Borodino 1 bezeichnen, denn er hat für den bayrischen Kronprinzen noch ein zweites sechs Quadratmeter großes Bild der Schlacht gemalt.

Es ist ein langer Weg von der Memel nach Moskau, auf dem Napoleon immer mehr Truppen verliert. Und zehntausend Pferde. Er hat noch nicht begriffen, dass dies ein Todesmarsch ist. Die ersten Gefechte bei Mogiljow und Ostrowno brachten keine taktischen Vorteile. Bei Witebsk glaubt Napoleon, eine Entscheidungsschlacht schlagen zu können, doch der General Peter von der Pahlen hält ihn einen halben Tag lang auf. Napoleon verschiebt den Angriff auf den nächsten Tag, aber da sind die Russen schon verschwunden. Die Brücke über die Düna hat Pahlen auch angezündet. Napoleon bleibt erst einmal zwei Wochen in Witebsk, seine ausgehungerte Garde plündert sie Stadt. Napoleon überlegt sich, ob es nicht besser wäre umzukehren.

Wenn die Franzosen dann unter großen Verlusten Smolensk einnehmen, haben die Russen wie in Witebsk die Stadt geräumt und alles vernichtet, was den Franzosen von Nutzen sein könnte. Dass man das Vordringen des Feindes bis Smolensk zulässt, übersteigt seine Vorstellungskraft, sagt Tolstoi in Krieg und Frieden über den russischen Zaren. Aber was soll der General Barclay de Tolly denn machen? Er hat zu wenig Truppen, um sich Napoleon in offener Schlacht zu stellen. Viele der adligen russischen Offiziere halten den Deutschbalten für einen Verräter. Sie Deutscher, Sie Wurstmacher, Sie Verräter, Sie Lump; Sie verkaufen Russland! Ich weigere mich, weiterhin unter Ihrem Befehl zu stehen, wird der Bruder des Zaren ihn anbrüllen. In der Schlacht bei Borodino kommandiert Barclay noch den größten Teil der russischen Truppen; er verliert im Kampf fünf Pferde unter sich und neun der Adjutanten an seiner Seite werden getötet oder verwundet. Ein Feigling ist er nicht.

In Krieg und Frieden wird Andre Bolkonskij im Gespräch mit Pierre Besuchow auf dem Schlachtfeld von Borodino über Barclay sagen: »Ja, und in Smolensk hat er durchaus korrekt erwogen, daß die Franzosen uns umgehen könnten und größere Streitkräfte besäßen. Aber das konnte er nicht begreifen«, rief Fürst Andrei in plötzlich hervorbrechendem Ingrimm mit hoher Stimme, »das konnte er nicht begreifen, daß wir dort zum erstenmal für die russische Erde kämpften, daß in den Truppen ein solcher Geist steckte, wie ich ihn noch nie kennengelernt hatte, daß wir zwei Tage hintereinander die Franzosen zurückgeschlagen hatten, und daß dieser Erfolg unsere Kräfte verzehnfachte. Er befahl den Rückzug, und alle Anstrengungen und Verluste waren vergeblich gewesen. Verrat lag ihm ganz fern. Er bemühte sich, alles so gut wie nur irgend möglich zu machen; er überdachte alles: aber eben deshalb taugt er nichts. Gerade deshalb taugt er in diesem Zeitpunkt nichts, weil er alles so gründlich und genau überlegt, wie es eben in der Natur eines jeden Deutschen liegt. Wie kann ich es dir nur deutlich machen, was ich meine ... Nun, denke dir, dein Vater hat einen deutschen Diener, und das ist ein vortrefflicher Diener, der alles, was dein Vater braucht, ihm besser leistet, als du es könntest, und den du beruhigt seinen Dienst verrichten läßt; aber wenn dein Vater todkrank ist, dann schickst du trotzdem den Diener weg und wirst mit deinen ungeübten, ungeschickten Händen deinen Vater besser pflegen und sein Wohlbefinden besser befördern als der geschickte Diener, der ihm ein Fremder ist. So stand es auch mit Barclay. Solange Rußland heil und gesund war, konnte ihm der Fremde dienen und war ein vortrefflicher Minister; aber jetzt, wo es in Gefahr ist, bedarf es der Dienste eines Angehörigen, eines Blutsverwandten. In eurem Klub ist man auf den Gedanken gekommen, Barclay wäre ein Verräter! Dadurch, daß man ihn jetzt ungerechterweise als einen Verräter bezeichnet, bewirkt man nur, daß er später, wenn man sich dieses unzutreffenden Vorwurfes schämen wird, aus einem Verräter plötzlich zu einem Helden oder zu einem Genie werden wird; und dies wird noch weniger gerecht sein. Er ist ein ehrlicher Deutscher von peinlicher Genauigkeit.«

Es gibt bei den russischen Generälen keinen esprit de corps. Sie sind alle untereinander zerstritten, Balten, Deutsche (wie Bennigsen oder Wintzingerode) und Russen. Und da ist da noch Bagration, der einzige, vor dem Napoleon Angst hat. Aber der kommt aus Georgien, den mögen die Russen auch nicht wirklich. Dann lieber den alten Lebemann Kutusow, der inzwischen so beleibt ist, dass er kaum noch aufs Pferd kommt. Napoleon benutzt übrigens auch die meiste Zeit die Kutsche, aber das wird nie gegen ihn verwendet. Kutusow, der seit fünfzig Jahren in der Armee ist, mag zwar ein Säufer sein, ist aber wenigstens Russe. Der Zar ernennt ihn widerwillig zum Nachfolger von Barclay de Tolly.

Für den Maler Albrecht Adam, der 1836 Napoleon vor dem brennenden Smolensk malte, war Smolensk eine Wende im Krieg: Bald verließ der Feind auch diese Stellung und entschlüpfte aufs neue. Abermals war für Napoleon die Hoffnung auf einen entscheidenden Schlag, auf einen glänzenden Sieg dahin. Das Zitat findet sich in seiner Autobiographie Aus dem Leben eines Schlachtenmalers, die heute noch erhältlich ist. Caulaincourt, dessen Bruder bei Borodino fallen wird, weiß über das brennende Smolensk in seinen Memoiren zu sagen: The night was cold. I drew near to a fire burning before the Emperor’s tent, on the side facing the town, and was growing drowsy as I sat before it, when His Majesty came up with the Prince of Neuchatel and the Duke of Istria. They gazed at the flaming town. It lit up the whole horizon, already studded with the sparkle of our own bivouac fires. “An eruption of Vesuvius!” shouted the Emperor, clapping me on the shoulder and waking me from my stupor. “Isn’t that a fine sight. Monsieur le Grand Ecuyer?” “Horrible, Sire!” “Bah!” he said. “Gentlemen, remember the words of a Roman Emperor: ‘A dead enemy always smells sweet!’ ” Über das brennende Moskau wird Napoleon sagen: Es war der erhabenste, sublimste und fürchterlichste Anblick, den die Welt je gesehen hatte! Aber da ist er schon geographisch und zeitlich weit weg, da sitzt er schon auf St Helena.

Die Artillerieschlacht bei Borodino, das hundertzwanzig Kilometer vor Moskau liegt, hatte keinen Sieger. Wenn Napoleon von einem Sieg spricht, weil er das Feld behauptete, dann war es ein Pyrrhus Sieg. Wenn er die 20.000 Mann seiner Garde eingesetzt hätte, hätte er vielleicht gewinnen können, aber das wagte er nicht. Er hat schon so viele Soldaten und so viele Generäle verloren, die Garde impériale ist seine letzte Reserve. Zu welchem Zweck wurde die Schlacht bei Borodino geliefert? Weder für die Franzosen noch für die Russen hatte sie den geringsten Sinn. Ihr nächstes Resultat war und mußte sein: für uns Russen, daß wir den Untergang Moskaus beschleunigten (den wir doch über alles in der Welt fürchteten), und für die Franzosen, daß sie den Untergang ihrer Armee beschleunigten (den sie gleichfalls über alles in der Welt fürchteten). Daß dies das Resultat sein mußte, war schon damals vollkommen klar, und dennoch bot Napoleon diese Schlacht an, und Kutusow nahm sie an

Die Sätze stehen in Tolstois Roman Krieg und Frieden. Der ehemalige Artillerieleutnant Graf Leo Tolstoi hatte sich das Schlachtfeld gründlich angeschaut, er ritt viele Tage mit der Generalstabskarte in der Hand über die Gräber der russischen Armee. Die Schlacht von Borodino wird mehr als hundert Seiten seines Romans einnehmen, viele Romanpersonen begegnen sich auf dem Schlachtfeld. →Pierre Besuchow mit seinem weißen Zylinder irrt wie ein Tourist durch das Geschehen, →Andre Bolkonskij wird schwer verwundet. Er wird an der Verwundung sterben, aber er wird Natascha noch wiedersehen. 

In der Mitte des Geschehens ist immer wieder der in sich ruhende General Kutusow: Aus einer langjährigen Kriegserfahrung wußte er und war darüber mit seinem alten Kopf ins klare gekommen, daß es für einen einzelnen Menschen unmöglich ist, Hunderttausende, die auf Leben und Tod kämpfen, zu leiten, und daß der Ausgang der Schlachten nicht durch die Anordnungen des Oberkommandierenden, nicht durch das Terrain, auf dem die Truppen stehen, nicht durch die Zahl der Kanonen und der getöteten Menschen entschieden wird, sondern durch jene eigenartige Kraft, die man den Geist des Heeres nennt; und diese Kraft beobachtete er und leitete sie, soweit das in seiner Macht lag.

Wenn man bei Google Theodor Fontane und Borodino eingibt, sagt einem die Künstliche Intelligenz: Theodor Fontanes 'Borodino' ist ein Gedicht über die Schlacht bei Borodino im Napoleonischen Russlandfeldzug 1812. Fontane beschreibt darin die brutale Schlacht aus der Perspektive eines Soldaten. Es ist Teil seines Gedichtbandes 'Fontanes Gedichte' von 1851. Das Gedicht wird man vergebens suchen, aber inzwischen weiß man ja, dass so ziemlich alles in den AI Einträgen von Google Unsinn ist. Borodino ist kein Gedicht, es ist eine Binnenerzählung in dem Roman Vor dem SturmFontanes erster Roman ist das preußische Gegenstück zu Tolstois 'Krieg und Frieden', sagt heute die Verlagswerbung des Aufbau Verlages, da ist etwas dran. Ich habe in den letzten Tagen Teile von Vor dem Sturm und Krieg und Frieden wieder gelesen, beide historischen Romane haben viele Gemeinsamkeiten. Es ist der erzählerische Sog, der einen in die Romane zieht. Sie können das 11. Kapitel von Vor dem Sturm hier lesen. Da liest der Rittmeister von Meerheimb, der den Arm wegen einer Kriegsverletzung noch in der Schlinge trägt, aus seinem Kriegstagebuch vor. Der Rittmeister war in der sächsischen Brigade des Generals Johann Adolf von Thielmann, die Napoleon unterstellt war. Wenige Jahre später werden wir Thielmann auf der anderen Seite wiederfinden. Da hält er in Wavre den Marschall Grouchy auf, was für die Schlacht von Waterloo von großer Bedeutung ist. Die Erzählung endet mit den Sätzen:

Das Zentrum war durchbrochen, die Rajewskischanze in unseren Händen. Als, um uns abzulösen, die Division Morand heranrückte und General Thielmann den Befehl zum Sammeln der Brigade gab, war kein Trompeter mehr da, um zu blasen. Ein Schwerverwundeter endlich ließ sich aufs Pferd heben und blies die Signale. So gingen wir auf die andere Seite des Grundes zurück.
     Es war erst drei Uhr, aber die Kraft beider Heere war wie ausgebrannt. Wir hatten ein Drittel, die Russen die Hälfte ihres Bestandes an diesen Tag gesetzt. Kutusow, in einem Kriegsrat, der abgehalten wurde, beschloß, bis hinter Moskau zurückzugehen. Er wußte, daß man's ihm nicht zum Guten anrechnen werde, und sagte: »Je payerai les pots cassés, mais je me sacrifie pour le bien de ma patrie.«
     Am andern Morgen trat er den Rückzug an; Napoleon folgte den Tag darauf. Auch wir. Wir waren nur noch ein Trümmerhaufen; was wir gewesen, das lag bei Semenowskoi und in der Rajewskischanze; aber in unsere Standarten durften wir den Namen schreiben: Borodino!

Die umkämpfte Rajewskischanze hat ihren Namen nach dem General Nikolai Nikolajewitsch Rajewski, der die Schanze während der Schlacht gehalten hat. Ich muss ihn erwähnen, nicht nur, weil er ein Freund Puschkins ist, der ebenso wie Lermontow auch ein Borodino Gedicht schrieb. Sondern weil seine Tochter Maria Wolkonskaja hier schon seit zehn Jahren einen Post hat (und vor drei Jahren hier in dem Post Sibirien wieder auftauchte). 

Das Bild von Nikolay Samokish mit dem Titel Der Mut des Generals Rajewski in der Schlacht ist hundert Jahre nach Borodino gemalt worden. Ich weiß nicht, ob es wirklich in Mogiljow so ausgesehen hat, wo Rajewski die Franzosen einen Tag aufhält, es ist kein Schmutz und kein Blut auf dem Bild zu sehen. Der Krieg sieht nur auf Bildern schön aus. Am ehrlichsten vielleicht in der naiven Malerei wie diesem Votivbild, das uns sagt: Der Huber Hans auch in Russland geblieben.


Ich habe zu Borodino für Sie auch noch bewegte Bilder. Einen englischen ✺Dokumentarfilm und Sergei Bondartschuks Krieg und Frieden Verfilmung in drei Teilen (✺Teil 1, ✺Teil2, ✺Teil 3). Und noch etwas, das ✺The Battle of Borodino heißt, das sind Filmszenen aus Bondartschuks Film, unterlegt mit Tschaikowskis Ouverture solennelle 1812. Und dann habe ich noch die BBC Verfilmung aus dem Jahre 1972, Sie können den ✺Borodino Teil hier sehen. Bei YouTube bist es alle Folgen dieser sehr guten Serie.

Dienstag, 2. September 2025

Nationalgarde

I am the law, konnte Roy Bean sagen, er war The Only Law West of the Pecos. In der amerikanischen Geschichte gibt es immer wieder Leute, die das Gesetz in ihre Hand nehmen. Meistens sind das die Filmhelden in einem Western. In Amerika haben wir zurzeit einen Präsidenten, der sich über Recht und Gesetze hinwegzusetzen scheint. Er regiert mit Dekreten ohne den Kongress, manche Erlasse beruhen auf Gesetzen, die für etwas ganz anderes vorgesehen waren. Wie dem International Emergency Economic Powers Act, den Trump für seine Zollpolitik missbraucht. In seiner ersten Amtszeit hatte Trump 220 Executive Orders erlassen, in seiner zweiten Amtszeit hat er in den ersten hundert Tagen schon 140 Dekrete unterzeichnet. Wie Roy Bean sagt auch Donald Trump, dass er das Gesetz sei. Weil er ja das Land retten muss: He who saves his Country does not violate any Law. Aber darf er die Nationalgarde überall hinschicken?

Die Nationalgarde gibt es seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie untersteht den Gouverneuren der einzelnen Staaten, kann aber im Kriegsfall und bei nationalen Notständen der Bundesregierung unterstellt werden. Sie ist schon zu politischen Zwecken gebraucht worden. Zum Beispiel am 2. September 1957 in Little Rock in Arkansas. Da ließ der Gouverneur die Nationalgarde aufmarschieren, um zu verhindern, dass farbige Schüler eine Schule besuchten. Vor der Schule steht eine Menschenmenge wie diese, die Plakate wie Race Mixing is Communism und Stop the Race Mixing March of the Anti-Christ in die Kameras der Reporter hält. Das Urteil Brown v. Board of Education des Supreme Court bezüglich der Rassentrennung ist noch nicht in Arkansas angekommen.

Drei Wochen später wird es neun Schülern gelingen, in die Schule zu kommen. Weil der amerikanische Präsident die 10.000 Mann starke Nationalgarde von Arkansas unter das Bundeskommando gestellt und 1.200 Soldaten der 101st Airborne Division nach Little Rock entsandt hatte. Es ist viel Hass in diesem Bild, die beiden Frauen sehen älter aus, aber sie sind erst fünfzehn und sechzehn. Hazel Bryan, die da Go home, nigger! Go back to Africa brüllt, hat sich Jahre später bei Elizabeth Eckford entschuldigt.

Drei Jahre später kann die sechsjährige Ruby Bridges ihre Schule in New Orleans ohne die Nationalgarde nbesuchen. Der wütende Mob ist noch da, aber man braucht die Nationalgarde nicht. Ruby wird von vier Marshals in die Schule begleitet. Unterricht gibt es nicht, Schüler und Lehrer haben die Schule verlassen. Norman Rockwell hat sein Bild von der kleinen Ruby The Problem We All Live With genannt. Obama hat es im Weißen Haus aufgehängt. Ich weiß nicht, ob es da noch hängt. Fünf Jahre nach dem Schulbesuch von Ruby Bridges hat der amerikanische Historiker Richard J. Hofstadter seinen Essay The Paranoid Style in American Politics veröffentlicht. Der letzte Satz lautet da: We are all sufferers from history, but the paranoid is a double sufferer, since he is afflicted not only by the real world, with the rest of us, but by his fantasies as well. 

Als Präsident Eisenhower sich 1957 die Nationalgarde unterstellte, hatte er gute Gründe für diesen Schritt. Präsident Johnson hatte auch gute Gründe, die Nationalgarde gegen den Willen des Bundesstaates Alabama einzusetzen. Wir kennen das aus dem Film Mississippi Burning. Aber hatte Donald Trump gute Gründe, die Nationalgarde nach Los Angeles zu schicken? L.A. wouldn’t be standing today if President Trump hadn’t taken action then. That city would have burned down if left to the devices of the mayor and the governor of that state, sagte Kristi Noem von der Homeland Security. Da kann man nur noch einmal Hofstadter zitieren: the paranoid is a double sufferer, since he is afflicted not only by the real world, with the rest of us, but by his fantasies as well. Was die Nationalgarde in Washington soll, weiß nur Donald Trump. I'm announcing a historic action to rescue our nation's capital from crime, bloodshed, bedlam and squalor and worse, hat der Mann, der immer lügt, gesagt. This is liberation day in DC, and we're going to take our capital back. Seit einer Woche sind die Gardisten bewaffnet. Weshalb? Wir wollen mal hoffen, dass sie die Waffen nicht gebrauchen. Das Kent State Massaker, bei dem die Nationalgarde auf unbewaffnete Studenten schoss, ist noch nicht vergessen. Der gelbe Kent State Kugelschreiber auf meinem Schreibtisch, den Sandy Marovitz mir geschenkt hat, erinnert mich immer daran.


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Samstag, 30. August 2025

Lilienthal

Heute vor 280 Jahren wurde Johann Hieronymus Schroeter in Erfurt geboren, er soll uns einige Zeilen wert sein. Meyers Konversations-Lexikon weiß siebzig Jahre nach seinem Tod über ihn zu sagen: er wurde 1778 bei der hannöverschen Regierung angestellt und später Justizrat und Oberamtmann zu Lilienthal im Herzogtum Bremen, wo er eine Privatsternwarte errichtete und wichtige Beobachtungen über die physische Beschaffenheit der Planeten und des Mondes anstellte. 

Dieser Schroeter (hier auf einem Notgeld Schein der 1920er Jahre mit Karl Ludwig Harding und Friedrich Wilhelm Bessel) war ein bedeutender Mann. Eigentlich hatte er in Göttingen Jura studiert, aber er hörte auch Vorlesungen bei Abraham Gotthelf Kästner, der der Leiter der Göttinger Sternwarte war. Kästner wird in dem Post ein Poet im vollen Sinne des Wortes einmal erwähnt, aber der Lilienthaler Oberamtmann Schroeter, der war immer wieder in diesem Blog. Auf einer Seite, die Telescopium Lilienthal heißt, hat Klaus-Dieter Uhden die Lebensgeschichte des Mannes mit der Privatsternwarte aufgeschrieben, der das kleine Kaff Lilienthal für die Wissenschaft berühmt gemacht hat. 

Dieses Lilienthal ist einer der interessantesten Orte! Zwar die Umgebung – es liegt eine Meile nordöstlich von Bremen, in Richtung der großen Moore – kann wohl nur dem Auge des Kanalbauers reizvoll erscheinen; im Herbst und Winter soll das Land voller Nebel und Rauch sein, und einen wahrhaft finnischen Anblick darbieten. … Herr Harding, der die Güte hatte, mir die Instrumente, zweifellos die größten auf dem Kontinente befindlichen, zu zeigen, bedauerte ebenfalls die Ungunst des Himmels. Umso erstaunlicher sind die Resultate seines Fleißes, von denen er uns einige äußerst schätzbare Blätter eines großen Sternatlas vorwies.

Das lässt Arno Schmidt den preußischen Obristen Massenbach in einer Erzählung sagen, in der Massenbach im Jahre 1801 die Lilienthaler Sternwarte besucht. →Lilienthal 1801, oder Die Astronomen hätte ein großer Roman werden sollen, gegen den Zettels Traum eine bloße Handübung gewesen wäre. Aber der Roman ist nie erschienen, allerdings haben sich in Schmidts Zettelkästen rund 400 Notizzettel befunden, die man zu einem Buch zusammengetragen hat. Mit Photographien des Handlungsortes, thematisch verwandten Tagebuchauszügen und Briefstellen von Arno und Alice Schmidt. Lilienthal kannte Arno Schmdt, er hatte sich 1957 auf die Küsterstelle von St Jürgen beworben und dem Pastor geschrieben: Ich wiederhole noch einmal, daß mir eine Wohnung in St Jürgen, zumindest für die nächsten Jahre hinaus, durchaus ideal erscheint; zumal mein nächstes Buch, mit dem Titel 'Lilienthal 1801', in der dortigen Landschaft lokalisiert sein wird. Aber daraus wurde nichts. Schade, es war so still dort, schreibt er an seinen Freund Alfred Andersch. Genau die Landschaft, die ich für 'Lilienthal' brauche.

Als ich klein war, hatte ich mal den Vorsatz, alles über die Sterne am Himmel zu wissen. Als ich zur Oberschule kam, hätte ich den Vorsatz in die Tat umsetzen können. Denn die Schule hatte ein kleines Observatorium auf dem Dach, hier hat es jemand bei Schnee aufgenommen. Meine goldene Omega Constellation de Luxe hat auch ein Observatorium auf dem Gehäuseboden, das erinnert mich heute noch immer daran, dass aus den guten Vorsätzen mit der Erkundung des Sternenhimmels nichts geworden ist.

Ich verschob die Welt der Sterne auf später. Das ist mit den guten Vorsätzen ja immer so. Ich habe aber ein kleines Buch, in dem der ganze Himmel und die Harmonie der Welt erklärt wird. Und ich bekam eine drehbare Sternkarte geschenkt. Ich habe die Sache noch nicht ganz aufgegeben. Ich bin noch nicht bei der Haltung Panofskys angelangt, der, als ihm Ernst Kantorowicz sagte: Wenn ich zu den Sternen aufblicke, empfinde ich meine eigene Sinnlosigkeit, geantwortet hat: Alles, was ich empfinde, ist die Sinnlosigkeit der Sterne. Auch wenn ich am Sternenhimmel den Großen Bären nicht von dem Kleinen Löwen unterscheiden kann, über Astronomen und die Astronomie habe ich viel gelesen. Und deshalb weiß ich, dass in dem Roman Mason & Dixon von Thomas Pynchon die Astronomie eine Rolle spielt, und deshalb weiß ich auch, wer Heinrich Christian Schumacher war.

Seit zehn Jahren steht in Lilienthal ein funktionstüchtiger Nachbau des Spiegelteleskops von Johann Hieronymus Schroeter aus dem Jahre 1793. Nach dem Tod von Schroeter 1816 verfiel die Sternwarte und wurde 1850 abgerissen. Schroeter hatte es nicht verwinden können, dass die Franzosen 1813 den ganzen Ort niedergebrannt hatten und dabei alle seine wissenschaftlichen Aufzeichnungen verbrannt waren. Am Anfang des Jahrhunderts hatte alles ganz anders ausgesehen. 

Da hatte der Amateurastronom von Lilienthal, der all seine Forschung und seine Publikationen selbst finanziert hatte, ziemlich viel Geld. Weil er 1799 alles, unter Vorbehalt der weiteren eigenen Nutzung, an den englischen König Georg verkauft hatte. Und im Jahre 1800 gründete er zusammen mit Franz Xaver von Zach die Astronomische Gesellschaft. In seiner Zeitschrift Monatliche Korrespondenzen für Erd- und Himmelskunde schrieb von Zach über Schroeter: Es ist in Deutschland noch immer ein seltner Fall, dass die erhabene Sternkunde thätige Liebhaber findet. Noch seltener ist die Erscheinung, dass Privatmänner einen beträchtlichen Theil ihres Vermögens auf die Anschaffung kostbarer Werkzeuge verwenden, die sie nicht etwa zum Staate, als gelehrten Hausrath anschaffen, sondern unermüdet und beharrlich mit dem glücklichsten Erfolge zu nützlichen Himmels-Beobachtungen und zur Erforschung neuer Wahrheiten gebrauchen, welche unmittelbar zu weiteren Fortschritten in der Weltenkunde führen. Es gibt einen solchen Mann in Deutschland, auf den das Vaterland stolz sein darf, und dieser ist der, dessen wohlgetroffenes Bildnis das gegenwärtige Heft unserer Zeitschrift ziert.

Lilienthal liegt zwischen den Ortschaften Worpswede und Fischerhude, beide haben etwas mit der Kunst zu tun. Zu Worpswede gibt es in diesem Blog eine Vielzahl von Posts. Fischerhude kommt in den Posts Cato Bontjes van Beek  und Albert Stagura vor, Lilienthal hatte mit Kunst wenig zu tun. Aber das hat sich geändert. Dank des Sammlers Hans Adolf Cordes, der die Lilienthaler Kunststiftung gründete, gibt es in dem Kulturdreieck zwischen Wümme, Wörpe und Hamme jetzt massenhaft Kunst. Dank der Ausstellung Hanseatische Malerinnen um 1900: Wie sie die Welt sahen im Jahre 2016 weiß ich etwas darüber. 

Drei der Malerinnen, deren Bilder da zu sehen waren, sind inzwischen in diesen Blog gewandert: Aline von Kapff, Anna Feldhusen und Dora Bromberger. Die aktuelle Ausstellung in Lilienthal →Das große Glück: Die Sammlung der Lilienthaler Kunststiftung läuft noch bis zum 19. Oktober.


Johann Hieronymus Schroeter und seine Sternwarte werden schon in mehreren Posts erwähnt: Wilhelm Olbers, Zeiss, Moor, Astronomie, Eureka, Findorff, Aufklärung, Kometenschwanzleben. Und noch mehr über Observatorien, Sterne, Mond und Zeitmessung finden Sie hier: Adam Elsheimer, Observatorium, Abschiedsgeschenk, Dampfschiffahrt, Zeitmessung, Sommerzeit, Sir Christopher Wren, Alberto Santos-Dumont, Astronomie, Vollmond, Himmel, Die Harmonie der Welt, Vulkane, Dunkelheit, Mondnacht, SoFi, Münchhausen auf dem Mond.


Dienstag, 26. August 2025

van Laack: königlich?


Im Jahre 1881 gründen die Herren Heinrich van Laack, Wilhelm Schmitz und Gustav Eltschig in Berlin eine Wäschefirma. Die Firma van Laack existiert heute noch. Auf der Homepage der Firma können wir lesen: Als Heinrich van Laack sein Unternehmen 1881 in Berlin gründete, hatte er ein klares Ziel vor Augen: er wollte das beste Hemd der Welt fertigen. Seine Vision hat bis heute Bestand. Und auf dieser Seite sagt Christian von Daniels, der jetzige Besitzer der Firma, in einem kleinen Video, dass Heinrich van Laack auf der Suche nach den besten Stoffen der Welt zu Thomas Mason nach Bergamo reiste. Das ist nun kompletter Quatsch, denn zu Lebzeiten von Heinrich van Laack war die renommierte Weberei von Thomas Mason in Lancashire. Nach Bergamo kam sie erst 1992, als die italienische Firma Albini den Firmenamen Thomas Mason kaufte. Wenn man solch fette Lügen in einem Werbevideo in die Welt setzt, dann scheint einiges mit der Vision der Firma nicht zu stimmen. 

Vor allem, wenn man weiß, dass dieser Heinrich van Laack mit seiner angeblichen Vision vom besten Hemd der Welt zehn Jahre nach der Firmengründung gar nicht mehr in der Wäschefirma ist. Da gehört die Firma, die Kragen, Manschetten, Hemden und Schlafanzüge herstellt, ganz allein Gustav Eltschig. Der hat in Berlin Spuren hinterlassen. Nämlich dieses Prunkgrab aus weißem Marmor auf dem Luisenstädtischen Friedhof. Das Grab wurde von dem Kaiserlichen Baurat Jürgen Kröger entworfen, der Trauerengel stammt von dem Bildhauer Richard Grüttner. Da muss man schon Millionär sein, um sich so etwas leisten zu können. Von seinem ehemaligen Kompagnon Heinrich Bernhard van Laack, der schon 1894 starb, gibt es keine solcher Spuren. Da ist nur der Firmenname geblieben. 

Gustav Eltschig kam aus dem sächsischen Pegau, er hatte mit siebzehn Jahren sein Abitur gemacht und war danach Einjährig Freiwilliger gewesen, die richtige Basis, um im kaiserlichen Deutschland Karriere zu machen. Er besaß neben seiner Wäschefabrik eine Dampfwäscherei, vielleicht hat er den gleichaltrigen Heinrich Bernhard van Laack aus Niedermörmter nur wegen des wohlklingenden Namens mit in die Firma genommen. Denn so ein holländischer Name mit einem van klingt doch schon beinahe wie ein deutscher Adelsname. Damit kann man Hemden verkaufen, deren Kragen berühmt sind. Schon in den ersten Anzeigen wies die Firma im 19. Jahrhundert darauf hin, dass sie auch den van Heusen Kragen produzierte, einen besonders weichen halbsteifen Kragen. Wir müssen bedenken, dass damals Hemd und Kragen noch voneinander getrennt sind.

Eltschig starb 1903 als reicher Privatier, da hatte er seine Firma schon an den englischstämmigen Brasilianer Newton Joseph Bennaton verkauft. Nach dessen Tod leitet seine Witwe Irmgard Bennaton die Firma. Es scheint ihr finanziell an nichts gefehlt zu haben, denn 1925 ließ sie sich von der Architektin Emilie Winkelmann ein großes Landhaus bauen, das heute die Residenz des belgischen Botschafters ist. 1930 geht die Firma, die inzwischen auch Damenwäsche herstellt, an ihren Neffen Alfons Schnoeckel. Der steht noch 1949 als Inhaber von van Laack, Schmitz & Eltschig im Handelsblatt; aber das ist auch das Jahr, in dem er von der Sowjetischen Militärverwaltung enteignet wird. Weil der Firmensitz Greifswalder Straße 5 im Osten der jetzt zweigeteilten Stadt Berlin liegt.

Der neue Besitzer des Firmennamens wird Heinrich Hoffmann aus Mönchengladbach, das man einmal das rheinische Manchester genannt hat. Hoffmann kommt aus der Textilbranche, er war der Syndikus der Textilfirma Hermann Meyer, die 1938 arisiert wurde. Hoffmann produziert jetzt Hemden mit dem Namen van Laack, die Herren Schmitz & Eltschig tauchen nicht mehr im Firmennamen auf. Ich nehme an, dass aus der Familie Hoffmann auch die Hemden Création Otto Hoffmann kommen, die von guter Qualität und den van Laack Hemden gleichwertig waren. 1970 übernimmt Hoffmanns Sohn Rolf Hoffmann die Firma van Laack, die inzwischen so floriert, dass er sich eine große Kunstsammlung zulegen kann. Bevor Hoffmann die Firma 1986 verkauft, lässt er sich 1981 zum 100-jährigen Firmenjubiläum von dem Kunsthistoriker Manfred Schneckenburger eine kleine Kulturgeschichte schreiben. Es ist eine schöne, reich bebilderte Kulturgeschichte der Welt zwischen 1881 und 1981, in der leider überhaupt nichts über die Firma van Laack steht.

Der nächste Besitzer der Firma van Laack, die inzwischen so weit oben ist, dass sie ihre Hemden und Blusen mit Wim Wenders und Ute Lemper bewerben kann, kommt aus der Familie Quandt. Und der möchte mit Hilfe seines Geschäftsführers Rolf Schuemann aus van Laack einen Weltkonzern machen. Flagship Stores in New York, an der Rue de Fauborg St. Honoré in Paris, der Old Bond Street in London und solche Dinge. Man entwickelte einen Zehnjahresplan, um ganz oben in der Welt dabei zu sein. Und dazu gehörte natürlich nicht nur ein Ziel von 35 Luxusboutiquen weltweit, dazu gehörte eine Vollkollektion. Also kaufte man die traditionsreiche Firma Regent in Weißenburg. Und seitdem haben die Jacketts und Anzüge von Regent den berühmten Dreilochknopf der Firma van Laack.

Man kann hier natürlich mit Brecht sagen Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Geh' n tun sie beide nicht. Der gesunde Menschenverstand hätte Stefan Quandt sagen können, dass das nichts wird, aber mit dem gesunden Menschenverstand ist das so eine Sache, wenn die Marke ganz oben direkt unter der Luxusschiene positioniert werden soll. Dazu gehörte, dass Regent seine Preise verdoppelte, weil man ja jetzt das deutsche Äquivalent zu Brioni oder Kiton sein wollte. Was erstmal dazu führte, dass die meisten gutbürgerlichen Herrenausstatter in Deutschland Regent aus dem Sortiment schmissen. Irgendwann, als die Firmen nur noch rote Zahlen schrieben, verlor Stefan Quandt das Interesse an seinem Spielzeug. Feuerte Schuemann, und van Laack und Regent standen zum Verkauf.

Christian von Daniels, der keinen Wikipedia Artikel, aber eine YouTube Seite hat, kaufte 2002 die Firma van Laack. Zwanzig Jahre später erwarb er einen seiner Hauptkunden, die insolvente SØR Rusche GmbH von Thomas Rusche und machte da seine Tochter Celina von Daniels zur Geschäftsführerin. Wie es mit den SØR Filialen weitergeht, steht noch in den Sternen. Aber Online existiert SØR auf jeden Fall noch, man kann da auch van Laack Hemden kaufen.

Die Corona Krise, die die Textilwelt schwer traf, wurde für van Laack eine goldene Zeit. Im Geschäftsjahr 2020 verkaufte van Laack mehr als 100 Millionen Alltagsmasken (der Werbeträger Johannes B. Kerner trägt hier eine) und zwölf Millionen Kittel. Damit verdoppelte die Firma ihren Umsatz. Aber dieser Gewinn bringt auch viel Schmutz mit sich, der an der Firma van Laack kleben bleibt. Dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet, dessen Sohn als Influencer für van Laack Reklame macht, wird vorgeworfen, die Aufträge an van Laack ohne Ausschreibung vergeben zu haben. 

Und die in Tunesien schnell genähten Kittel sind offenbar Schrott. Die Uniklinik Köln sortiert im Dezember 48.000 Corona Schutzkittel aus, in der Uniklinik Essen werden 40.000 Kittel ausgemustert. Die Firma van Laack hat auf ihrer Homepage inzwischen eine eigene Seite, die Medical heißt, wo wir lesen können: Seit Beginn der Pandemie hat van Laack seine Expertise im Bereich Medical unter Beweis gestellt und ganz Deutschland mit Masken ausgestattet. Die Expertise aus den Erfahrungen der vergangen Jahre ist nun in die Entwicklung einer Medical-Fashion Kollektion geflossen. Von mangelnder Qualität oder rechtswidrig erschlichenen Aufträgen ist da nicht die Rede. In England hat Emma Willis, die auch Oberhemden für den König näht (und schon in dem Post englische Oberhemden erwähnt wird) auch Kittel nähen lassen. Ohne Skandale, und ohne etwas daran zu verdienen.

Hemden stellt van Laack in Tunesien und Saigon natürlich auch noch her. Im Laufe der Firmengeschichte haben sie irgendwann das Epitheton ornans das königliche Hemd bekommen. Kriegten das Wort Royal unter dem Kragen eingestickt und bekamen eine kleine Krone auf die Brusttasche, die später auf die Manschette des rechten Arms wanderte. Ich weiß nicht, ob es die besten deutschen Hemden sind, die besten der Welt auf keinen Fall. Die Hemden, die den Namen Werner Baldessarini trugen, als er noch bei Hugo Boss war, die waren besser. Was heute Baldessarini heißt, ist nicht erwähnenswert. Windsor hatte mal gute Hemden, aber die Zeiten sind auch lange vorbei. Die einzige wirklich gute erwähnenswerte Firma ist  Emanuel Berg, die ihren Firmensitz in Rösrath hat und die Hemden in Danzig schneidern lässt. Viele deutsche Herrenausstatter beziehen die Maßhemden für ihre Kunden von dieser Adresse.

Mein erstes van Laack Hemd kam von Stiesing aus der Sögestraße, das ist über sechzig Jahre her. Mein zweites kam von dem Herrenausstatter von Alten in der Knochenhauerstraße, der immer preiswerte van Laack Hemden im Schlussverkauf hatte. Bremen war in der Adenauerzeit, als es nur weiße Hemden gab, keine besonders gute Adresse für Oberhemden, das steht schon etwas detaillierter in dem Post Made in Italy. Seit den Sixties begleiten mich die Hemden aus Mönchengladbach, aber Werbung für die Firma würde ich nicht unbedingt machen. Ich habe mir aber gerade im SSV bei kleinanzeigen eins gekauft, ein Modell, das Meisterwerk heißt, eine Komposition aus erlesenen Stoffen und einer modernen Schnittführung, vollendet durch meisterliche Handwerkskunst, definiert das luxuriöse Hemd neu. So etwas hatte ich noch nicht. Es hat eine Passe, das finde ich mit den Diagonalstreifen ja ganz charmant. Aber die Streifen der Schulter sind nicht an die Streifen des Ärmels angepasst, das ist wirklich ärmlich. Das Hemd hat sehr gute Knopflöcher, aber das ist auch das einzig Gute an dem Hemd.

Ich habe dreißig Euro dafür bezahlt. Das, was es im Laden kostet, ist das Hemd nicht wert. Einher mit diesem Kauf ging ein anderer Kauf bei kleinanzeigen, bei dem ich für zwanzig Euro ein nagelneues Bruli Hemd erstand. Die Firma nimmt für ihre Hemden inzwischen 450 Euro, die Ign. Joseph Hemden, die sie auch herstellen, kosten die Hälfte. Als die beiden kleinanzeigen Käufe nach dem Waschen auf der Leine nebeneinander hingen, konnte man die Unterschiede der Qualität sehr schön sehen. Da hing Champions League neben Amateurliga. Noch einmal Christian von Daniels: Als Heinrich van Laack sein Unternehmen 1881 in Berlin gründete, hatte er ein klares Ziel vor Augen: er wollte das beste Hemd der Welt fertigen. Seine Vision hat bis heute Bestand. Es bleibt aber nur eine Vision. Etwas, was weit weg ist.


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