Sonntag, 7. Dezember 2025

Nikolaustag


Dear Editor: I am 8 years old.
Some of my little friends say there is no Santa Claus.
Papa says, ‘If you see it in THE SUN it’s so.’
Please tell me the truth; is there a Santa Claus?


Das schrieb die kleine Virginia O’Hanlon im Jahre 1897 an den Herausgeber der New Yorker Sun. Und der antwortete mit der Schlagzeile: Yes, Virginia, there is a Santa Claus. Der Santa Claus scheint fest in amerikanischer Hand zu sein, aber es sind die Holländer, die ihn einst nach Amerika gebracht haben. Coca Cola macht seit 1931 damit Reklame, dass sie den Weihnachtsmann erfunden haben. Wahrscheinlich glaubt Donald Trump das auch. Dabei wissen wir alle, dass die Figur des putzigen Mannes mit dem weißen Bart nicht von Haddon Sundblom ist, sondern aus der Zeichenfeder des Deutschen Thomas Nast stammt (lesen Sie mehr dazu in dem Post Santa Claus). Es ist ja heute alles so fürchterlich kommerzialisiert, nicht nur durch Coca Cola. Wenn das erste Weihnachtsgebäck Ende September im Supermarkt liegt (und dann etwas schamvoll als Herbstgebäck deklariert wird), dann ist das irgendwie pervers. Der Adventstag und die kirchlichen Feiertage interessieren niemanden mehr, wir haben ja jetzt den Black Friday. Danach kommt der Cyber Monday. Aber trotzdem hält die Konsumflaute im Weihnachtsgeschäft an, der Mitgliederschwund in den Kirchen auch. Der heilige Nikolaus von Myra soll mit dem Schenken angefangen haben, heute macht das Jeff Bezos. Santa Claus is Amazon, wie *Jesse Welles so schön singt.

Wo sind wir hingekommen? Können wir zurück? In der Erinnerung immer. Und deshalb wird hier heute etwas stehen, was schon im ersten Jahr meiner neuen Lebens als Blogger hier stand. Nämlich ein Text über den Nikolaus.

Ick bin en lüttjen König, 
geevt mi nich to wenig,
Laat mi nich so lange stahn,
ick mutt all weder wiedergahn.

Noch bevor man in der Schule Gedichte lernte, lernte man in Bremen diese Verse. Ich habe große Teile von Schillers und Goethes Gedichten vergessen, aber das Halli, Halli, Hallo, So geiht nah Bremen to, das vergisst man nicht. Und so durfte in diesem Blog im Dezember 2010 ein Post zum Nikolaus nicht fehlen, es war mein erster Nikolaustag als Blogger. Da wusste ich noch nicht, wohin die Reise ging. Jetzt kennt mich die Welt. Darf man das so sagen? Meine Leser mögen mich, und ich mag meine Leser. Meine Leser mögen mich, weil ich Geschichten erzähle. Und nebenbei auch noch ein klein wenig Bildung vermittle. Und weil ich hemmungslos subjektiv bin. Ein Zettel mit Goethes Satz: Sieh, liebes Kind, das ist ein Vorzug, den die Leute haben, die nicht schreiben: sie kompromittieren sich nicht, klebt an meinem Schreibtisch. Also da, wo Herman Melville seinen Zettel mit dem Keep true to the dreams of thy youth kleben hatte.

Der Nikolaus Post, der zuerst Sünnerklaas hieß, ist in diesem Blog am 6. Dezember immer wieder aufgetaucht. Ich stelle ihn heute in der Version von 2010 hier hin. Ohne Bilder. Bilder konnte ich noch nicht. Jetzt kann ich alles. Ich wünsche meinen Lesern eine schöne Adventszeit.



Als die Winter noch kälter waren als in diesen Tagen, als die Straßenbeleuchtung noch spärlich war und der Schutzmann noch einen Tschako trug, da waren am Abend des Nikolaustages in Bremen lauter kleine Nikoläuse unterwegs. Der Heilige Nikolaus hieß in dieser Gegend auch Sünnerklaas, was plattdeutsch für Sankt Klaus ist. Je weiter man nach Holland kam, desto mehr verwandelte sich dieses Sünnerklaas (oder Sünnerklaus) zu Sinnerklaas. Es blieb aber immer der gleiche Heilige Nikolaus von Myra, der der Schutzheilige der Kinder und der Seefahrer ist. Weshalb auch jede Hafenstadt eine Nikolaikirche hat. Obgleich Bremen von den Amerikanern besetzt war, hatte Halloween mit trick-or-treat auf uns noch nicht abgefärbt. Bei uns gab es das Nikolauslaufen. Dazu musste man sich verkleiden, eine rote Mütze, ein falscher Bart und ein Stock (die symbolischen Reste des Bischofstabs) gehörten zu dem Outfit. Opas Spazierstock eignete sich hervorragend dafür. Und natürlich ein Sack, in den man die empfangenen Süßigkeiten wie Moppen und Spekulatius tat. Und man musste sein Sprüchlein an jeder Tür in der Nachbarschaft aufsagen:

Nikolaus de gode Mann,
kloppt an alle Dören an.
Lüttje Kinner gifft he wat,
grode steckt he in'n Sack.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.


Und wenn da nicht schnell genug die Süßigkeiten rausgerückt wurden, dann kam da noch, unter Aufstampfen des Stockes, eine zweite Strophe:

Ick bin en lüttjen König,
geevt mi nich to wenig,
Laat mi nich so lange stahn,
ick mutt all weder wiedergahn.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.


Es ging immer nah Bremen to, da wollten die Bremer Stadtmusikanten auch hin (Ei, was, du Rotzkopf, sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall). Nun macht es ja keinen großen Sinn, halli, halli, hallo, so geiht nah Bremen to zu singen, wenn man sowieso in Bremen ist. Obgleich die Stadt Bremen für uns in Nordbremen weit, weit weg war. Irgendwie scheint diese Sache mit Bremen (wie vielleicht auch das ganze Nikolauslaufen) aus den Liedern zu kommen, die am Martinstag in Ostfriesland gesungen wurden, wo es Sünnematten, Mattenherrn oder Matten Matten Mähren hieß. Da sang man dann:

Matten-, Mattenmähren,
die Äpfel und die Beeren,
gute[r] Frau [Mann], gib uns was.
Lass uns nicht so lange steh'n!
Wir wollen noch nach Bremen geh'n.
Bremen is ne große Stadt,
da kriegen alle Kinder wat,
die Großen und die Kleinen,
sonst fang se an zu weinen.


Im 19. Jahrhundert hat es in Bremen - der Stadt von der man in Liedern und im Märchen träumt, dass dort alles besser ist - noch andere Strophen zu dem Nikolauslied gegeben, wie zum Beispiel:

Miin Vadder is Zigarrenmaaker,
miin Mudder ruppt Toback.
Un wenn ji dat nich glöben wüllt,
denn steck ick jo inn'n Sack.
Halli, halli, hallo
So geiht na Bremen to.


Das wurde nun wohl in den Stadtteilen gesungen (es ist auf jeden Fall aus Hastedt überliefert), wo die weniger Begüterten wohnten. Und man muss wahrscheinlich auch betonen, dass das Nikolauslaufen zuerst eine Sache der ärmeren Schichten gewesen ist, bevor es im 19. Jahrhundert von allen Bremer Kindern adaptiert wurde. Die Zigarrenmaaker kommen in unzähligen Bremer Döntjes aus dem 19. Jahrhundert vor. Man kann der Strophe auch entnehmen, dass Frauenarbeit in den Bremer Fabriken selbstverständlich ist - miin Mudder ruppt Toback - und auch die Kinderarbeit, selbst wenn sie hier im Nikolauslied nicht vorkommt. Die Zigarrenmaakers sind die erste gewerkschaftlich organisierte Gruppe in Bremen, wo es in der Mitte des 19. Jahrhunderts 78 Tabakfabriken gab. Sie bildeten auch ein Element gesellschaftlicher Unruhe in der sonst festgefügten konservativen bürgerlichen Struktur des 19. Jahrhunderts. Das repräsentative Gebäude neben dem Dom, auf dem mit goldenen Lettern Verein Vorwärts steht, gehörte seit 1853 dem Bildungsverein der Zigarrenmacher. Heute ist da die Wittheit zu Hause. Der Zusammenschluss der Zigarrenmacher verfolgte neben der Wahrung sozialer Interessen auch Ziele in der Allgemeinbildung. Und sie hatten Vorleser in der Fabrik.

Vielleicht kann man das mit den Zigarrenmachern in Kuba vergleichen, die in ihren Fabriken einen Vorleser hatten, der ihnen während der Arbeit Romane vorlas. So hörten die Arbeiter Victor Hugo, Alexandre Dumas, Jules Verne, Shakespeare und Emile Zola. Angeblich sollen so die Zigarrenmarken Montechristo und Romeo y Julieta nach dem Grafen von Montechristo und Shakespeares Theaterstück benannt worden sein. Manchmal lasen die Vorleser auch Politisches aus Zeitungen vor, was bei den Fabrikbesitzern nicht so gut ankam (und manchmal verboten wurde). Ob der leidenschaftliche Zigarrenraucher Karl Marx das gewusst hat? Auch in den Bremer Tabakfabriken hat es solche Vorleser gegeben, die von den Arbeitern bezahlt wurden. Manchmal waren das auch Kinder und Handlanger, die kosteten nicht so viel. Der Beginn der Arbeiterbildung liegt, auf jeden Fall in Bremen, im Tabakrauch. 

Vorleser gibt es in Kuba heute immer noch, auch wenn sie - wie Guillermo Cabrera Infante in seiner wunderbaren Kulturgeschichte des Rauchens Holy Smoke etwas gehässig sagt - heute die Gesammelten Werke von Fidel Castro vorlesen müssen. Die erste Zigarrenfabrik in Kuba, die einen bezahlten Vorleser gehabt haben soll, hieß El Figaro. Wenig später folgte Don Jaime Partagas (die Firma und die Zigarre heißt immer noch so), der dem Vorleser sogar ein Lesepult spendierte. Als der amerikanische Innenminister W.H. Seward kurz nach dem Bürgerkrieg die Fabrik von Partagas besuchte, war er von diesem System begeistert. Da hatten schon alle Tabakfabriken in Kuba einen Vorleser. Was sie nicht hatten, waren (im Gegensatz zu Bremen) weibliche Arbeitskräfte. Diese Geschichte, dass eine gute Zigarre auf den Schenkeln einer Kubanerin gerollt sein muss, entstammt männlichen Phantasievorstellungen. Erst Ende der 1870er Jahre fängt die erste Frau in einer Zigarrenfabrik auf Kuba an. Da ist die Oper Carmen schon aufgeführt worden.

Ich erwähne die nur, weil da eine Zigarettenfabrik drin vorkommt, die der berühmte Wilfried Minks (von Bremen nach Hannover ausgeliehen) Anfang der sechziger Jahre in Hannover so schön auf die Bühne gezaubert hatte. Und der Regisseur hatte den Einfall, Carmen auf der Bühne rauchen zu lassen. Und sie dann so wahnsinnig cool die Ziggi wegschnippen zu lassen, bevor sie L'amour est un oiseau rebelle singt. Der Effekt wurde aber bei der Premiere noch übertroffen. Ein junger, schlaksiger Verehrer der Sängerin der Carmen wanderte den linken Gang entlang bis zur Bühne und warf der Sängerin eine langstielige rote Rose vor die Füße, als sie mit der Habanera fertig war. Danach verließ er den Zuschauerraum. Die Krönung des Ganzen war, dass er eine rote Lederjacke trug. Wo um alles in der Welt kriegt man Anfang der sechziger Jahre eine quietscherote Lederjacke her? Roter als jeder Nikolausmantel. Ich war die ganze Aufführung lang neidisch. Auf die rote Lederjacke und auf diesen Kerl, der die Sängerin kannte.

Wenn die Strophe mit dem lüttjen König allen geläufig ist, so scheint es in Bremen im 19. Jahrhundert dabei auch noch eine Variation gegeben zu haben, die weniger auf kleine Könige und auf Kinder von Zigarrenmaakers als auf soziales Elend hinweist:

Ick bün so’n lütten Schipperjung,
Mutt all miin Broot verdeen’n,
Den ganzen Dag in’t water stan
Mit mine korten Been’n
Halli, halli, hallo,
Nu geiht’t na Bremen to

Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Schreiben: da fange ich mit einer Kindheitserinnerung an, mit Versen, die ich immer noch aufsagen kann, und dann muss ich erkennen, dass wir Bremer mit diesem schönen Brauch nicht allein gewesen sind. Nikolauslaufen hat es überall gegeben. Inzwischen ist es beinahe ausgestorben, jetzt importieren wir kommerzialisierte amerikanische Bräuche wie Halloween. Im Radio Last Christmas von Wham zum tausendsten Mal. Ich könnte wetten, dass keiner von denen, die den zum Dudelfunk heruntergekommenen NDR hören, ein halbes Dutzend deutscher Weihnachtslieder mit allen Strophen beherrscht. Ein Ehepaar sammelt seit drei Jahren Geld, um die Rechte von Last Christmas zu kaufen. Um das Lied dann zu vernichten, damit es nie wieder gespielt werden kann.

Und die Zigarrenfabriken in Bremen gibt es auch nicht mehr, wenn man von Resten wie Martin Brinkmann (Lux, Peer Export, Lord Extra) mal absieht. Das ist aber nichts mehr vom Glanz der großen Zeit, als der Zigarrenkönig Friedrich Biermann von der Firma Leopold Engelhardt & Biermann sechstausend Arbeiter beschäftigte. Durch die für Bremen ungünstige Zollordnung hat sich die Zigarrenfabrikation in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts nach Bünde in Westfalen verlagert. Mein Opa hätte die Villa von Biermann in St Magnus in den zwanziger Jahren billig kaufen können. Aber dann hätte er jeden Morgen zu seiner Schule durch den Arbeiterstadtteil Grohn (der für ihn den bösen Beinamen Kamerun bei Pumpe hatte) marschieren müssen, und das war dem kaisertreuen Ex-Hauptmann nun wirklich nicht zuzumuten.

Je mehr ich begann, den Anfängen des Nikolauslaufens nachzugehen, musste ich feststellen, dass natürlich die Volkskundler und die Lokalhistoriker sich schon mit dem Thema beschäftigt haben. War ja auch anzunehmen, dass hinter all dem, was wir tun, etwas Mythisches steckt. So wie es uns James George Frazer und Jessie L. Weston (ohne die wäre Eliots The Waste Land nichts geworden) gezeigt haben. Das interessiert einen aber nicht, wenn man mit kalten Füßen, laufender Nase und schidderigem roten Bademantel im Dunkeln an einer fremden Tür klingelt und die magischen Worte sagt: Nikolaus de gode Mann, kloppt an alle Dören an.

Ich wünsche alle Lesern einen schönen Advent.


Donnerstag, 4. Dezember 2025

Regattastart


Wenn eine Segelregatta beginnt, müssen alle Boote gleichzeitig an der Startlinie sein. So wie wir das hier auf der Werbeanzeige der Firma Aquastar aus Genf sehen können. Die extra für die Skipper eine Uhr herausgebracht hatte, die die zeitliche Orientierung vor dem Start erleichterte. Das Modell heißt Régate, was französisch für Regatta ist. Die Firma Aquastar gibt es erst seit 1958, sie ist spezialisiert auf Taucheruhren. In dem Post Taucheruhren wurde die Firma allerdings nicht erwähnt, ich dachte, ich hebe sie mir für später auf. Aber in dem Post Blazer war schon eine Aquastar Geneve Regate Olympic Start zu sehen, die allerdings von der Firma Tissot kam. Auch die Firmen Duward, Heuer und Lemania haben solche Segleruhren gebaut. Lemania hatte auch eine Uhr mit dem Namen des dänischen Seglers Paul Elvström im Programm. Omega offerierte später mit der Seamaster APNEA noch etwas Ähnliches. Heute sind diese Uhren selten und sehr teuer geworden.

Es sind Chronographen, die anstelle der üblichen Hilfszifferblätter fünf Kreise auf dem Zifferblatt haben. Wenn man den Drücker oberhalb der Krone drückt, springt der rote Sekundenzeiger auf Null. Und die fünf Scheiben, die eben noch die Farbe des Zifferblatts hatten, färben sich mit einem Schlag blau. Und hier können wir sehen, dass der Sekundenzeiger noch sechzehn Sekunden laufen muss, dann ist die linke Scheibe ganz rot. Dann ist die erste Minute vergangen. Danach färben sich minutenweise alle Scheiben rot, danach minutenweise schwarz. Wenn der letzte Kreis wieder schwarz ist, muss man mit dem Boot an der Ziellinie angekommen sein. Sie können das Ganze auch auf diesem kleinen *Video sehen.

Die Uhr ist 39 mm groß, wiegt 100 Gramm und ist mit 16 Millimetern ziemlich dick. Der Flyback Chronograph der Firma Lemania (Kaliber 1345), den Albert Piquet konstruiert hatte, braucht viel Platz. In den ersten Uhren war noch ein Felsa 4000N mit einem aufgesetzten Modul gewesen, aber das konnte nur fünf Minuten zählen. Doch die zehn Minuten, die der Segler nach dem ersten Startschuss hat, sind wichtig. Also ging man zu dem Lemania Kaliber über. Wenn Sie viel Zeit haben, können Sie hier die →Regattaregeln lesen. In einer alten Firmenbroschüre kann man lesen guaranteed waterproof to sixty feet, aber ich glaube, das ist ein Druckfehler. Das Gehäuse der Uhr ist so massiv, dass sie bestimmt hundert Meter wasserdicht ist.

Frédéric Robert, der die Uhr auf den Markt brachte, brauchte dafür keine neue Firma zu gründen, er änderte einfach den Namen der Firma, die er von seinem Vater geerbt hatte. So wurde aus Daniel JeanRichard die Firma Aquastar. Die Firma Daniel JeanRichard, die heute Girard-Perregaux gehört, hat hier im Blog schon einen interessanten Post, der leider nicht so häufig gelesen wurde. Meine  Aquastar Geneve Regate Olympic Start ist aus den späten siebziger Jahren, ich habe sie seit einem Vierteljahrhundert. Mein Uhrmacher hatte sie mir damals geschenkt. Ich habe der Uhr gerade eine Revision und ein neues Armband (orange) spendiert. Nord- und Ostsee hat die Uhr nie gesehen. Aber auf Kindergeburtstagen war sie früher eine Sensation. Heute nicht mehr, da glotzen die Kiddies alle nur noch auf ihr Handy.

Segelboote kommen ziemlich häufig in diesem Blog vor. Gesegelt bin ich mit meiner Aquastar nie, in den Jahren des Segelns hatte ich immer meine Tissot Seastar Seven oder die →Tissot T12 mit dem Gay Frères Band am Arm. Die beide nach mehr als einem halben Jahrhundert und mehreren Berührungen mit dem nassen Element immer noch sehr gut gehen. Die besten Posts über Segelboote in diesem Blog sind: Segelboote, Max Oertz, Basel, saudade, Die Weser: ein langer Fluss, ein langer Text.

Sonntag, 30. November 2025

Mark Twain


But I reckon I got to light out for the territory ahead of the rest, because Aunt Sally she's going to adopt me and sivilize me, and I can't stand it. I been there before, sind die letzten Sätze von Mark Twains →Huckleberry Finn. Amerikanische Helden fliehen. Vor den Frauen und der Zivilisation. Das fängt in der amerikanischen Literatur von früh mit Washington Irvings Erzählung Rip van Winkle an und hört mit Huckleberry Finn nicht auf. Cowboys im Western reiten einsam in den Sonnenuntergang. Shelley Fisher Fishkin hat ihr Buch über das, was Mark Twain für die amerikanische Kultur bedeutet, Lighting Out for the Territory genannt.

Vor einhundertneunzig Jahren wurde Samuel Langhorne Clemens geboren, den wir besser unter dem Namen Mark Twain kennen. Er fand die Romane von Jane Austen unlesbar und war der Meinung, dass Sir Walter Scott Schuld am amerikanischen Bürgerkrieg sei. Er liebte weiße Anzüge (durch die auch Tom Wolfe berühmt wurde) und Zigarren. Auch wenn er auf diesem Bild aus Vanity Fair eine Pfeife raucht. Sieht nicht nach einer Bruyere Pfeife aus, eher nach dem, was man Missouri Meerschaum nennt. Maiskolben Pfeifen, die den Namen Mark Twain oder Tom Sawyer haben, werden heute immer noch angeboten. Das Werk von Mark Twain auch. Der Aufbau Verlag, der 2012 Meine geheime Autobiographie auf den Markt brachte, hat beinahe den ganzen Mark Twain in akzeptablen Übersetzungen auf Lager. 

Ernest Hemingway hat über Mark Twain gesagt: All of American literature comes from one book by Mark Twain called 'Huckleberry Finn' … There was nothing before. There has been nothing as good since. Was die anderen amerikanischen Schriftsteller über Mark Twain gesagt haben, können wir in Shelley Fisher Fishkins The Mark Twain Anthology: Great Writers on His Life and Works nachlesen. Das Buch ist bei der Library of America erschienenen, die beinahe den ganzen Mark Twain in erstklassigen Ausgaben offeriert. In der Anthologie findet sich auch das, was Norman Mailer 1984 über Huck Finn in der New York Times gesagt hat: What else is greatness but the indestructible wealth it leaves in the mind’s recollection after hope has soured and passions are spent? It is always the hope of democracy that our wealth will be there to spend again, and the ongoing treasure of 'Huckleberry Finn' is that it frees us to think of democracy and its sublime, terrifying premise: let the passions and cupidities and dreams and kinks and ideals and greed and hopes and foul corruptions of all men and women have their day and the world will still be better off, for there is more good than bad in the sum of us and our workings. Mark Twain, whole embodiment of that democratic human, understood the premise in every turn of his pen, and how he tested it, how he twisted and tantalized and tested it until we are weak all over again with our love for the idea.

Für seine Biographie Mr. Clemens and Mark Twain hat Justin Kaplan den National Book Award und den Pulitzer Prize erhalten. Leider gibt es das Buch nicht in einer deutschen Übersetzung. Wenn man Kaplans Buch zuammen mit Shelley Fisher Fishkins Lighting Out for the Territory: Reflections on Mark Twain and American Culture liest, hat man das Beste, was es über Mark Twain in Buchform zu sagen gibt. Die bei Haffmans erschienene Biographie von Thomas Fuchs kann sich mit Kaplan oder Shelley Fisher Fishkin nicht messen. Und Thomas Aycks Mark Twain. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten kommt leider nicht an die Qualität der von Kurt Kusenberg begründeten Reihe der Rowohlt Monographien heran. Als Einführung zu empfehlen ist Helmbrecht Breinigs Mark Twain. Eine Einführung, die 1985 bei Artemis & Winkler erschien. Das Buch brachte die Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011 in einer überarbeiteten Neuausgabe heraus.

Obgleich Mark Twain nach seiner Russlandreise 1867 wenig Nettes über das zaristische →Russland zu sagen wusste, haben ihn die Russen immer geliebt. 1939 war er der meistgelesene amerikanische Autor in Russland, noch vor Jack London und Upton Sinclair. Noch zu Mark Twains Lebzeiten hatte es eine elfbändige russische Gesamtausgabe gegeben. Und 1962 hatte man nach mehrjähriger Arbeit eine neue zwölfbändige Gesamtausgabe fertig. Zu Mark Twains Geburtstag habe ich heute noch etwas ganz Besonderes, die englische Übersetzung der Hymne Mark Twain von Nikolai Assejew aus dem Jahre 1949:

I love Mark Twain
very much.
He
with a single movement of hand
carries me
instantly
to the banks
of the majestic river.
And I see
in the silver swells
life
on the Mississippi ...
Beyond wide water
barely visible
a raft ...
There they cut wood.
When the axe
is lifted
the sun-sparks
on the blade flash,
and no sound 
is heard:
with but one
new stroke
it carried you
from the other shore.

This is how to show the width
of our rivers,
that they should stand 
as brothers
forever;

this is how to fathom
the depths of our feelings
in the flood of a native sea
I learn.
so that,
the dying sun spilling
from the Volga to the Mississippi
with the radiance of thoughts,
cheerful and good,
the whole world sparkled
like a heliograph! ...

But Twain now -
in this war hysteria -
is no longer recognized
in contemporary America:
he has been cast
from gloom and darkness
onto our shore, -
into our time!


Noch mehr Mark Twain in diesem Blog in den Posts: Plagiate, Huck Finn, Jackson, N***r Jim, Der Kaiser von Amerika, Horace Greeley, Ulysses S. Grant, Frauen und Zigarren, Tabak, Sir Walter Scott, Samuel Colt, Bilder vom TageBob Rafelson

Donnerstag, 27. November 2025

Birkenfeld


Nachdem Napoleon in der Völkerschlacht von Leipzig geschlagen worden war, kehrte der Herzog Peter Friedrich Ludwig am 27. November 1813 aus dem russischen Exil nach Oldenburg zurück. Oldenburg kenne ich, meine Division hatte dort ihr Hauptquartier. Was der Großherzog in seinem Land kulturell und architektonisch bewirkte, das weiß ich auch, irgendwann schreibe ich mal darüber. Die außergewöhnliche klassizistische Lambertikirche wird schon in dem Post Kirchen erwähnt. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr bekommt der Großherzog durch die auf dem Wiener Kongress beschlossene Gebietsverteilung noch ein kleines Ländchen dazu, das Fürstentum Birkenfeld. Das ist nun ganz weit weg von Oldenburg, und Peter Friedrich Ludwig wollte das erst überhaupt nicht haben. Ich weiß dank der Bundeswehr, wo Birkenfeld ist, denn der Truppenübungsplatz Baumholder ist da nicht so weit entfernt.

Peter Friedrich Ludwig und sein Sohn August werden aus dem zuerst ungeliebten kleinen Fürstentum ein Musterländle machen. Birkenfeld wird das beste Schulwesen von allen deutschen Kleinstaaten haben. Und es wird das einzige Land des Deutschen Bundes sein, das den Juden erlaubt, ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft zu werden. Es gibt im Land zwar einen Wehrdienst, aber die Militarisierung des öffentlichen Lebens, wie wir sie im 19. Jahrhundert in Preußen kennen, findet hier nicht statt.

Im Jahre 1848 wird das Ländle nicht durch Revolution und Unruhen erschüttert. Ein klein bisschen doch. Der Großherzog muss den Regierungspräsidenten entlassen, den jeder in Birkenfeld hasst. Der hat den schönen Namen Laurenz Martin Hannibal Christian Fischer und vier Jahre später wird ganz Deutschland diesen Reaktionär kennen. Da hat er dann Beinamen wie Flottenfischer oder Flottenverkäufer. Wie es dazu kam, können Sie in den Posts Admiral Brommy und Reichsflotte lesen. Dass Fischer gleich in meinem ersten Bloggerjahr in diesem Blog erscheint, hat damit zu tun, dass ich seine Lebensgeschichte schon ganz, ganz lange kenne. Weil das Haus meiner Eltern gegenüber dem Sommerhaus von Arnold Duckwitz stand. Und das war der Mann, der die erste deutsche Flotte gegründet hat, sozusagen unser Nachbar.

Der Historiker Hans Friedl schreibt im Biographischen Handbuch zur Geschichte des Landes OldenburgFischer, dessen politische Gedankenwelt in der Aufklärung und in der spätabsolutistischen Staatslehre wurzelte, gehörte zu den Anhängern des patriarchalischen Obrigkeitsstaates, der durch eine aufgeklärte Beamtenschaft für die Wohlfahrt der politisch unmündig gehaltenen Bevölkerung zu sorgen suchte. An diesen schon früh ausgebildeten Ideen hielt er zeitlebens unverrückbar fest und vertrat sie mit arroganter Rechthaberei und borniertem Dogmatismus. Er isolierte sich damit selbst im konservativen Lager und wurde zu einem Reaktionär reinsten Wassers, der die liberale Bewegung doktrinär bekämpfte. Fischer war wie Donald Trump einer von den Menschen, die immer Recht haben. Dass er aus allen Positionen in Oldenburg wie im Fürstentum Lippe-Detmold herausfliegt, daran sind die anderen Schuld. Und so veröffentlicht er 1855 sein Buch Politisches Martyrthum. Kostet antiquarisch um die 35 Euro, ich würde dafür aber kein Geld ausgeben.

Sonntag, 23. November 2025

Zu Straßburg auf der Schanz


Heute vor hundertvierzehn Jahren wurde in der Volksoper Wien das musikalische Schauspiel in drei AufzügenDer Kuhreigen von Wilhelm Kienzl aufgeführt. Die literarische Vorlage der Oper war die Novelle Die kleine Blanchefleur (hier im Volltext) von Rudolf Hans Bartsch. Wo wir lesen können: Man weiß, daß es in der französischen Armee verboten war, bei Todesstrafe! – in Schweizer Regimentern den Kuhreihen zu blasen oder zu singen; weil dann die ungeschickten Kinder der deutschen Alpen herdenweise davonliefen oder vor Heimweh starben.

Zu Straßburg auf der Schanz,
Da ging mein Trau'ren an …
Das Alphorn hört ich drüben wohl anstimmen,
Ins Vaterland mußt ich hinüber schwimmen, –
Das ging nicht an.

Und mein Urgroßvater Primus Thaller hatte den Kuhreihen mitten in Paris gesungen! Auf dem Hofe der Schweizer Kaserne war er gestanden, im gelben Sand, auf dem die Abendsonne glühte und die Soldaten sich zum Ausgang in die Stadt rüsteten.

Die Oper ist ein klein wenig in Vergessenheit geraten. Diese CD der Aufnahme von 1951 mit Anny Felbermayer als *Blanchefleur, die bei mir im Regal steht, ist heute schwer zu bekommen. Aber man kann sie noch finden. Alles, was auf dieser CD ist, können Sie allerdings auch in wirklich guter Qualität bei *YouTube hören. Und die ganze Partitur der Oper finden Sie hier.

Die Oper über die Soldaten der Schweizergarde im revolutionären Paris hatte Erfolg. 1912 gab es die deutsche Premiere in Magdeburg (und gleichzeitig in Berlin die erste Tonaufnahme), 1913 konnte man die Oper in New York in französischer Sprache hören. 1914 wanderte die Oper nach Liverpool und London, und es gab eine flämische Version in Antwerpen. Der Kuhreigen war nach dem Evangelimann der größte Bühnenerfolg des Komponisten Wilhelm Kienzl. Das Lied Zu Straßburg auf der Schanz aus der Oper hat im 20. Jahrhundert beinahe jeder Tenor gesungen.*Richard Tauber, *Walther Ludwig und *Rudolf Schock singen nur das Lied, aber Fritz Wunderlich bringt den ganzen Part aus der Oper. Das ist eine Aufnahme von 1959 mit dem Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks, es ist wahrscheinlich die beste Version des Stückes.

Die Revolutionsoper, die im Paris der Jahre 1792-1793 spielt, wurde hier schon 2013 in dem Post Kuhreigen erwähnt. Da steht schon alles zu dem Lied des morbus helveticus, das Zu Straßburg auf der Schanz heißt. Und als kleine Dreingabe habe ich heute neben dem Photo von Eva von der Osten als Blanchefleur aus dem Jahre 1912 (diese Aufnahme wird im Internet als CD angeboten), noch das, was sie am Schluss der Oper singt: singt:

Ein Tanz war mein Leben, 
ein Gleiten, ein Schweben 
auf weichen Blumen, 
auf ebenem Plan.
Nun tanz ich verwegen, 
dem Tode entgegen
mit lächelnden Lippen
wie je ich's getan

Primus Thaller, der Unteroffizier der Schweizergarde, der gerade zum capitaine der Revolutionsarmee ernannt wurde, will die Marquise von Massimelle aus dem Gefängnis befreien und sie heiraten: Madame, ich hab' Sie lieb. wie nichts auf dieser Erden... wir fliehen zu den freien AIpenhöh'n. Aber Blanchefleur weist ihn ab: Mein lieber Freund, nur nicht geschmacklos werden! Wir sind zwei Welten, die sich nie verstehn. Und dann singt sie noch, bevor sie zur Guillotine geführt wird (hier ab 2.27): 

Du wirst ins Land der Schweizer ziehn 
in Frankreich blüht Dir weder Glück noch Ehr;
und singst Du dort die Heimatmelodien, 
so denke auch der armen Blanchefleur, 
die Dich aus Todesnot befreit
und sich dann selbst dem bittren Tod geweiht

Und während der Vorhang fällt und ein Menuett erklingt, ruft der Marquis de Chézy all denen zu, die auf ihre Hinrichtung warten: Mesdames, Messieurs, der Tanz geht weiter.

Donnerstag, 20. November 2025

Silhouette

Geizig war er, der Etienne de Silhouette, Finanzminister Ludwigs XV., sehr geizig. Keine Ölgemälde in seinem Schloss, nur die preiswerten Scherenschnitte! Keine schlechte Idee, denn nun geht der Begriff Silhouette auf ihn zurück. Das können wir auf dieser Seite lesen. Und die Geschichte findet sich mit Ausschmückungen an vielen Stellen. Die englische National Portrait Gallery bietet aber zum Thema Silhouette etwas ganz anderes an: Profile or shadow portrait filled in with black or a dark colour. A common pictorial technique in Europe in the late 18th and early 19th centuries, it was named after Etienne de Silhouette (1709–1767), a French finance minister who made paper cut-outs as a hobby. Diese Geschichte können wir in vielen Varianten lesen, da langweilt sich Frankreichs Finanzminister in seiner Büro so, dass er anfängt, mit einer Schere Papier zu schneiden. Das nimmt auch die Britannica auf: parsimonious mid-18th-century French finance minister Étienne de Silhouette, whose hobby was the cutting of paper shadow portraits (the phrase à la Silhouette grew to mean “on the cheap”) 

Wahrscheinlich stimmt keine dieser Geschichten. Der Marquis von Silhouette (hier sein Schloss in Bry-sur-Marne) war ein gebildeter Mann, der die Welt bereist und in London den britischen Geldmarkt studiert hatte. Durch die Protektion von Madame de Pompadour wird er Finanzminister und soll den Staatshaushalt des gegen England Krieg führenden Landes sanieren. Er geht das rigide an, Lars Klingbeil könnte sich den Marquis zum Vorbild nehmen. Aber alles, was Silhouette unternimmt, liebt man in Frankreich nicht. Nach neun Monaten fliegt er aus dem Amt. Jean-Jacques Rousseau soll ihm geschrieben haben: Sie haben dem Geschrei der Profiteure die Stirn geboten. Als ich Sie sah, wie Sie diese Elenden zertraten, habe ich Sie um Ihr Amt beneidet; dafür, dass Sie es verließen, ohne zu widerrufen, bewundere ich Sie.

Und die französische Sprache hat den neuen Begriff à la Silhouette (das hat die Britannica richtig gesehen), was etwas wie minderwertig, billig, vorübergehend und unvollständig bedeutet. Kleidung ohne Taschen (da kein Geld mehr vorhanden war) wurde zu „Silhouette-Hosen“, ein Attribut, das fortan allem zugeschrieben wurde, was beengt, kleinlich, flüchtig oder unfertig wirkte, wie Louis-Sébastien Mercier in seinem „Tableau de Paris“ (1781) beschrieb: „Silhouette, der Name eines Generalrechnungsprüfers des 18. Jahrhunderts; obwohl er über großen Witz verfügte, beging er einige Torheiten; von da an schien alles ‚Silhouette‘ zu sein, und sein Name wurde bald lächerlich; die Mode trug bewusst den Stempel der Trockenheit und Kleinlichkeit … Schnupftabakdosen wurden aus grobem Holz gefertigt; Porträts waren Gesichter, die im Profil auf schwarzes Papier gezeichnet wurden, ausgehend vom Schatten einer Kerze auf einem Blatt weißem Papier. 

Monsieur Étienne de Silhouette zieht sich ins Schloss von Bry-sur-Marne zurück, das er gerade gekauft hat. Er lässt es ein wenig umbauen, aber von Scherenschnitten an den Wänden gibt es keine Berichte. Er übersetzt Alexander Pope und William Warburton aus dem Englischen. Und Baltasar Gracián aus dem Portugiesischen. Er hat uns keine Portraits und keine Scherenschnitte von sich hinterlassen. Aber wir haben ja dies. Ein Kunstwerk von Christian Capurro mit dem Titel Another Misspent Portrait of Etienne de Silhouette, 1999-2014.

Der deutsche Dichter Walter Helmut Fritz, der heute vor fünfzehn Jahren starb, hatte aber nur die Geschichte mit dem geizigen Marquis im Kopf, als er sein Gedicht Schattenrisse schrieb.

Sie sollten so sparsam
wie möglich sein,
meinte Etienne de Silhouette.
Die billigste Bildnisart.

Keine Nachrichten
vom Leben der Gefühle

von Überlegungen
zu unverstandenen Vorkommnissen

von Antworten,
die einer sucht
auf das Schweigen des andern.

Keine offenen Augen,
die man auch betrachten könnte,
wenn man das Bild umdrehte.

Nur ein Schatten,
nicht zu durchdringen.

Sonntag, 16. November 2025

Just head for that big star straight on

Als die Liebe seines Lebens, die Schauspielerin Carole Lombard stirbt, meldet sich Clark Gable bei den United States Army Air Forces als Soldat. Obgleich er viel zu alt war, um noch eingezogen zu werden. Er ist einer der wenigen Schauspieler Hollywoods; John Wayne, der Soldaten im Film spielt, war nie bei der Armee. Gables Studio sorgte dafür, dass er schnell vom einfachen Soldaten zum Leutnant befördert wurde. Das Studio wollte einen Paradesoldaten für Werbephotos, aber das wollte Clark Gable nicht sein. Er dient drei Jahre lang bei einer amerikanischen Bomberstaffel in England. Fliegt ein halbes Dutzend Einsätze und wird 1944 als Major entlassen. Die Rollen, die er nach dem Krieg bekommt, sind nicht mehr die Rollen, die der Prince of Hollywood einst hatte. Sätze wie Frankly, my dear, I don't give a damn in Gone wirth the Wind werden nicht mehr für ihn geschrieben.

Die Zeit der großen Machos scheint vorbei zu sein, Rollen wie Rhett Butler wird er nie wieder bekommen. ✺Mogambo (ein Remake des Films, in dem er zwanzig Jahre zuvor die Hauptrolle hatte) ist zwar 1953 noch ein Erfolg, aber wahrscheinlich eher wegen Ava Gardner und Grace Kelly. Clark Gable wirkt müde in dem Film. Sein letzter Film 1960 ist vielleicht sein bester, auf jeden Fall der beste Film nach seiner Militärkarriere. In The Misfits spielt er an der Seite von Marilyn Monroe einen gealterten Cowboy, der mit der Welt nicht mehr zurechtkommt (ein Thema, das wir zu der Zeit in vielen Spätwestern finden). Es ist eine Rolle, die zu seinem Leben passt. Am Ende des Films lässt Roslyn Taber (Marilyn Monroe) die anderen Männer stehen und steigt zu Gaylord Langland (Clark Gable) ins Auto: 

Roslyn: I'll leave tomorrow, okay?
Gay: God bless you, girl.
Roslyn: Gay, if there could be one person in the world, a child who could be brave from the beginning. I was scared to, when you asked me. But, I'm not so much now, are you?
Gay: No.
Roslyn: How do you find your way back in the dark?
Gay: Just head for that big star straight on. The highway's under it. It'll take us right home
.

Werden die beiden glücklich sein? Wenige Wochen nach den Dreharbeiten stirbt Clark Gable an einem Herzinfarkt, den fertigen Film wird er nie sehen. Marilyn schon, aber ein Jahr später ist sie auch tot. Clark Gable ist heute vor 65 Jahren gestorben, da hatten wir Heinz Rühmann, O.W. Fischer und Curd Jürgens im Kino, aber jemanden wie Clark Gable hatten wir nie.

Es gab hier in meinem ersten Bloggerjahr 2010 schon einen Post Clark Gable, und der Schauspieler wird in vielen anderen Posts erwähnt: UnterhemdenSiegfried SchürenbergNuditätThe MisfitsVivien LeighJohn HustonGone with the Windverweht, Kleider machen Leute