Dienstag, 31. Juli 2012

Notting Hill


The whistle was correct in all details.
     Closing my eyes I see it now: petrol blue, wool and mohair, Italian cut, flat-fronted, side adjusters, zip fly, sixteen-inch bottoms, central vent on the jacket, flap pockets, ticket pocket, three button (only one done up of course), high-breaking, narrow lapels, buttonhole on the left, four buttons on the cuff – claret silk lining. On the record player in the corner, one of those beige and brown jobs with a thin metal spindle to accommodate a stack of 45s, just one single: 'Too Hard to Handle' by Otis Redding, possibly on import, definitely on Stax. As the soul man punched out his deep Memphis rhythms, so the boy in the suit did a slow-motion council-estate shuffle across the floral fitted carpet we'd recently bought on HP from the Co-op. The music was his soundtrack; the dance was strictly for display. The shoes that shone out from beneath this paragon of a two-piece were Royals. I was entranced. This, as my lovably idiolectic mum said, was 'all the go'. This was what you grew up for.
     The suit didn't come as a surprise. Barry had been waiting weeks for this moment and we'd been with him all the way, getting reports back, getting excited as the day approached. It wasn't so much that a suit like this was worth the wait, more that the wait was worth savouring. The process itself was sumptuous, the measurements and the fittings, meetings even, the discussion of cut, cloth and linings, with a tailor somewhere off the Edgware Road. In 1965, for a sixteen-year-old boy from Burnt Oak via Notting Dale, to have meetings and a tailor to call his own was quite something, but then Barry was something – he was a mod. He was one.


So beginnt das Buch The Way We Wore von Robert Elms. Es ist eine Geschichte seiner Kleidung, die er mit einer Sozialgeschichte Englands verbindet. Das ist eigentlich das einzig Interessante an der Mode; es ist nicht wirklich interessant, Markennamen aufzuzählen oder Klamottenwissen zu verbreiten, sondern das zu beschreiben, was kulturell dahinter steht. Wir sind mit dem Anfang des Buches nicht in der Welt der Savile Row, wir sind in Notting Hill. Und das ist nicht das Notting Hill, in dem ein leicht vertrottelter Buchhändler, der aussieht wie Hugh Grant, eine hübsche Frau im Laden trifft, die aussieht wie Julia Roberts. Die gentrification hat noch nicht stattgefunden.

Dies ist noch das Notting Hill der Straßenschlachten von 1958, das Notting Hill des Immobilienspekulaten Peter Rachman, der sein Imperium mit Hilfe von Gangstern kontrolliert. Dies ist das London der Kriminellen, das London von Mördern wie den Kray Zwillingen. They were the best years of our lives. They called them the swinging sixties. The Beatles and the Rolling Stones were rulers of pop music, Carnaby Street ruled the fashion world... and me and my brother ruled London. We were fucking untouchable... wird Ronnie Kray in seiner Autobiographie My Story schreiben. 

Wenn ich die schon erwähne, sollte ich auch die Autobiographie seines Konkurrenten Charlie Richardson My Manor erwähnen. Gripping... takes you through a panting half-century of beatings and scams and stir-crazy outbursts, schrieb der Independent on Sunday damals. Beide Bücher (natürlich mit Hilfe von Ghostwritern geschrieben) sind die Lektüre wert, leider haben beide keinen Index. Damit hätte man schneller einen Überblick, mit wem von Londons High Society die Verbrecher damals verkehren, me and my brother ruled London. We were fucking untouchable. Und kein Geringerer als David Bailey photographiert die Kray Brüder. Ronnie lässt seine Frau Kate von Lord Lichfield (der auch die ➱Werbung für ➱Burberry photographierte) ablichten. Cool.

Wie komme ich auf dies alles? Ich habe am Freitag, wie Sie wahrscheinlich auch, die Eröffnung der Olympischen Spiele im Fernsehen gesehen, mit diesem kolossalen Bilderbogen englischer Geschichte und Sozialgeschichte. Und der Spracharmut von einer Schnarchnase wie Wolf-Dieter Poschmann, der mit all dem, was sich vor seinen Augen abspielte, nichts anfangen konnte. Das fing mit ➱Blakes Jerusalem an, zu dem man einiges hätte sagen können. Es ist ja kein Zufall, dass Jerusalem am Anfang des Traumspiels von Danny Boyle stand. Aber den Kenneth Branagh hat er erkannt, toll. Dass der aber ➱Isambard Kingdom Brunel sein sollte, dass begriffen Poschmann und seine Gehilfen nicht.

Und weshalb spricht Brunel plötzlich den Monolog des Caliban aus Shakespeares Tempest?

Be not afeard; the isle is full of noises,
Sounds, and sweet airs, that give delight and hurt not.
Sometimes a thousand twangling instruments
Will hum about mine ears; and sometime voices
That, if I then had waked after long sleep,
Will make me sleep again; and then in dreaming,
The clouds methought would open, and show riches
Ready to drop upon me, that when I waked
I cried to dream again.


Poschmann beantwortete keine der Fragen, die ein Fernsehzuschauer haben konnten. Im Zweifelsfall schwieg er lieber. Nur nicht während der Schweigeminute. Aber Mr Bean hat er erkannt. Womit Poschmann und seine Gehilfen nun gar nichts anfangen konnten, war eine Gruppe von Farbigen in grauen Zweireihern, weißen Hemden, mit Hut und einem Koffer. Das hätte einen gebildeten englischen Kommentator an die Empire Windrush erinnert, die 1948 die ersten farbigen Engländer aus Jamaica nach London bringt. Viele werden folgen. Sie tragen die Kleidung des weißen Mannes, aber sie bringen ihre eigene Kultur mit.

Und sie bringen den Calypso mit. Wie der Musiker, der sich Lord Kitchener nennt, der auch auf der Empire Windrush nach London gekommen ist (hier der Cover der vorzüglichen CD London is the Place for Me: Trinidadian Calypso in London, 1950-1954). Und sie bringen natürlich ihren eigene Sprache und ihren eigenen Stil mit. Immer Anzüge (auch wenn die noch so billig sind), und immer Hut. Sie finden Wohnraum in Notting Hill, wo sie dann von Peter Rachman schamlos ausgebeutet werden. Und sie bauen, das muss ganz klar und laut gesagt werden, das Nachkriegsengland mit auf.

Diese Leistung wird von der Anhängern des Union Movement des Faschisten Oswald Mosley natürlich nicht gewürdigt. Mosleys Anhänger, die aus der working class kommen und sich in einer Travestie des ➱Neo-Edwardian Style der Savile Row verkleiden, werden sich Straßenschlachten mit den Einwanderern aus der Karibik liefern. Das ist schon ein witziges Phänomen, dass eine kurzzeitige Moderichtung der upper class jetzt ein so schnelles trickling down erfährt und zu einem Kampfanzug für Straßenschlachten wird. Die Straßenschlachten werden eines Tages in die Notting Hill Riots münden. Und da hat Notting Hill wieder mal einen schlechten Namen.

Während nur die kleine Gruppe der Angry Young Men die Klassengegensätze (meistens in Englands Norden) thematisiert, schweigt die englische Literatur zu dem, was sich da auf den Straßen von London abspielt. Nur ein Autor schreibt Notting Hill in den Roman: Colin MacInnes. Absolute Beginners (der auch eine Verfilmung als Musikfilm mit David Bowie erlebte, darüber sage ich lieber nix) ist der Mittelteil einer London Trilogie, die aus den Romanen City of Spades (1957), Absolute Beginners (1959) und Mr Love and Justice besteht. Absolute Beginners ist ein Kultroman über eine Jugend in London in den Fifties. Unser junger altkluger Held, ein Photograph, fährt eine Vespa wie so viele Jugendliche, die jetzt Mods heißen. Und die sich scharf von den Teddy Boys absetzen. Es ist auch a battle of styles. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es jetzt klar durch Kleidung und Lifestyle unterscheidbare Jugendkulturen in England. Und da kann man so arm sein, wie man will. Es wird gespart und gespart, bis man sich den ersten Anzug von einem billigen Schneider leisten kann, so wie Robert Elms sechzehnjähriger Bruder in dem Text oben: This was 'all the go'. This was what you grew up for.

Der Roman Absolute Beginners spielt vor dem Hintergrund der Notting Hill Riots, und unser Held muss am Ende mitansehen, dass sein Freund The Wiz bei den Teddy Boys gelandet ist. Der Roman ist hervorragend geschrieben, er hat stilistisch jene street credibility, die die Modefuzzis immer ihren neuesten Klamotten zuschreiben. Ich gebe mal eine kleine Leseprobe. Schon die ersten beiden Sätze sind unnachahmlich:

Whoever thought up the Thames embankment was a genius. It lies curled firm and gentle round the river like a boy does with a girl, after it’s over, and it stretches in a great curve from the parliament thing, down there in Westminster, all the way north and east into the City. Going in that way, downstream, eastwards, it’s not so splendid, but when you come back up along it — oh! If the tide’s in, the river’s like the ocean, and you look across the great wide bend and see the fairy advertising palaces on the south side beaming in the water, and that great white bridge that floats across it gracefully, like a string of leaves. If you’re fortunate, the cab gets all the greens, and keeps up the same steady speed, and looking out from the upholstery it’s like your own private Cinerama, except that in this one the show’s never, never twice the same. And weather makes no difference, or season, it’s always wonderful — the magic always works. And just above the diesel whining of the taxi, you hear those river noises that no one can describe, but you can always recognize. Each time I come here for the ride, in any mood, I get a lift, a rise, a hoist up into joy. And as I gazed out on the water like a mouth, a bed, a sister, I thought how, my God, I love this city, horrible though it may be, and never ever want to leave it, come what it may send me. Because though it seems so untidy, and so casual, and so keep-your-distance-from-me, if you can get to know this city well enough to twist it round your finger, and if you’re its son, it’s always on your side, supporting you — or that’s what I imagined.

Ich habe mir nur eine Facette aus der Geschichtsstunde herausgepickt, die Danny Boyle der Welt gegeben hat. Es war, um noch einmal The Tempest zu zitieren, such stuff as dreams are made on. Man hätte über alles andere schreiben können, aber ich dachte mir, ich nehme mir mal diesen Aspekt. Was Danny Boyle da konzipiert hat, hat mit der Kulturgeschichte Englands zu tun. Und die Kultur ist irgendwie beim ZDF in den denkbar schlechtesten Händen. Aber es gab in der dreistündigen extravaganza ja auch ein wenig Sport, Szenen aus der Welt des ➱Cricket. Und was sagte Poschmann da? Gar nix. Der Poschmann verdient über 15.000 Euro im Monat, da hätte er doch mal ein paar Tausender einem gebildeten Engländer geben können, der das Ganze verstand. Oder er hätte natürlich das Commentators Manual lesen können, das die BBC verteilt hatte. Horrorshow am Mikrofon titelte die taz und schrieb weiter Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Die Eröffnung der Olympiade war überwältigend, die deutschen Moderatoren hingegen null inspiriert, kein bisschen eloquent und gnadenlos inkompetent. Und das Boulevardblatt tz aus München höhnte: Trost für den gegeißelten Zuschauer: Damit steht der schlechteste deutsche Teilnehmer von London bereits fest, da kommt kein Schwimmer mit.

The Ceremony is an attempt to capture a picture of ourselves as a nation, where we have come from and where we want to be. The best part of telling that story has been working with our 10,000 volunteers. I’ve been astounded by the selfless dedication of the volunteers, they are the purest embodiment of the Olympic spirit and represent the best of who we are as a nation, hat Danny Boyle über sein Spektakel gesagt. Es hat nicht allen gefallen, ein gewisser Daniel Pounds aus Norwich schreibt an den GuardianDanny Boyle's bricolage of bullshit was the most expensive sixth-form play in history. I am still recovering from serious montage assault. Aber die positiven Stimmen überwiegen. Und der Reverend Dr John Lampard wies am Ende seines Leserbriefs an den Guardian noch darauf hin: If this reading is seen as too theological, it might be pointed out that the ceremony had more hymns in it than an average Songs of Praise.

Während der Proben für das Schauspiel hat Danny Boyle seinen Freiwilligen gesagt: there will be an emptiness that you’ll have to fill with some other part of your lives. Ja, was kommt danach? Was wird aus Poschmann? Und was wird aus England? Letztere Frage wirft Damon Peacock aus Leyland - dem die Anspielung auf die Empire Windrush während der Show nicht entgangen ist - auf: I have to admire the subtlety of the political message. It posited 1948 as the turning point in British society. At that moment, we reward ourselves for inventing industrialism and saving democracy by giving ourselves an entitlement to care from cradle to grave. At the same moment, the Empire Windrush arrives with the immigrants who will do the work which we now feel is beneath us. We spend the next 54 years entertaining ourselves with pop music and films and comedy instead of working, while still being in thrall to an establishment personified by the royals and the Archbishop of Canterbury (looking fidgety in the VIP box).
     We then finally lose our grip completely and fall into a pit of internet addiction, where everyone's attention span is so diminished that we demand an ever shorter series of blipverts. This vision is then cemented by a parade of narcissistic youth carrying video cameras, many of them pointed at themselves. The revolution will not be televised, because it won't happen; we'll all be too busy updating our Facebook pages.

Darüber könnte man mal nachdenken. Und natürlich hat neben dem Jahr 1948 (dem Jahr der Ankunft der Empire Windrush und der Geburt des National Health Service) Calibans Monolog in Danny Boyles Konzept eine zentrale Bedeutung. In diesem attempt to capture a picture of ourselves as a nation, where we have come from and where we want to be. Und deshalb stehen die wunderbaren Zeilen hier noch einmal:

Be not afeard; the isle is full of noises,
Sounds, and sweet airs, that give delight and hurt not.
Sometimes a thousand twangling instruments
Will hum about mine ears; and sometime voices
That, if I then had waked after long sleep,
Will make me sleep again; and then in dreaming,
The clouds methought would open, and show riches
Ready to drop upon me, that when I waked
I cried to dream again.


Montag, 30. Juli 2012

Carl Otto Czeschka


Als die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit kurz nach dem Krieg das Licht der Welt erblickte, wollte die Redaktion gerne das Hamburger Wappen vorne drauf haben. Allein, die Freie und Hansestadt Hamburg weigerte sich, ihren Wappenschild dafür herzugeben. Der Senat sprach von dem Missbrauch eines Hoheitszeichens. Daraufhin entwarf der an der Hochschule für bildende Künste tätige Maler Alfred Mahlau eine Abwandlung des Stadtwappens, die das Stadttor mit geöffneten Türflügeln zeigte. Das kam im Hamburger Rathaus noch weniger an, und da wandte sich die Redaktion in ihrem Zorn über diesen Kleingeist an die schlimmsten Feinde der Hamburger. In Bremen hatte man solche spießigen Bedenken nicht, und der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen gestattete der Hamburger Redaktion völlig unbürokratisch, den Schlüssel des Bremer Stadtwappens (den das Wappen seit 1366 führt) zu verwenden. Und so ist der Bremer Schlüssel seit dem Jahre 1946 zwischen den beiden Löwen des Großen Hamburger Staatswappens. Unverändert in all den Jahren. Das hat der Erdal Frosch nicht hingekriegt.

Das von Mahlau entworfene Firmensignet vom ➱Niederegger Marzipan hat sich allerdings auch schon seit 1927 gehalten. Über seinen Lehrer Alfred Mahlau (hier mal eben ein Bild von ihm aus dem Jahre 1912, man sieht Bilder von Mahlau ja viel zu selten) hat Paul Wunderlich einmal gesagt: Die Klasse Mahlau war ein wahrhaft exotischer Haufen … aber alle führte Alfred Mahlau ein in die Disziplin des Sehenlernens. Die vielleicht Bekanntesten aus dem exotischen Haufen waren neben Wunderlich der junge Horst Janssen und ein gewisser Vicco von Bülow, den wir als Loriot kennen.

Es ist vielleicht weniger bekannt, dass die endgültige Kopfzeile der Zeit von Alfred Mahlaus Kollegen Carl Otto Czeschka gestaltet worden war. Der Wiener Künstler, der heute vor 52 Jahren starb, war seit dem Jahre 1907 in der Hansestadt Hamburg. Dieses Bild von Koloman Moser zeigt Czeschka im Jahr seiner Berufung an die Kunstgewerbeschule Hamburg. Koloman Moser gehörte zu den Gründern der Wiener Werkstätte, deren Mitglied Czeschka war, und für die er auch noch nach seiner Berufung nach Hamburg gearbeitet hat. Die Hamburger wussten schon, wen sie sich damals holten. Was sie vielleicht nicht wussten, war, dass Czeschka einem gewissen Oskar Kokoschka den Weg zur Malerei geebnet hatte. Kokoschka wird eines Tages eine besondere Beziehung zu Hamburg haben.

1926 war er zum ersten Mal in Hamburg. Er wohnte im Hotel Vier Jahreszeiten und malte dort ein Bild vom Jungfernstieg und der Binnenalster. Ein Vierteljahrhundert später kam er wieder nach Hamburg. Auf Einladung des Direktors der Kunsthalle Carl Georg Heise, um den Bürgermeister Max Brauer zu porträtieren: Einen Bürgermeister wollte ich malen. Fünf hatte ich zur Auswahl. Da habe ich mir den Brauer herausgesucht, weil er der Bürgermeister der größten und zerschlagensten Stadt ist. Jetzt wollen sich alle Bürgermeister von mir malen lassen. Ich bin doch kein Bürgermeistermaler! Wenige Jahre später malte er für Axel Springer ein Hamburg Panorama, das irgendwo im obersten Stock des Springer Hochhauses hing. Unten hing damals ein Plakat (nicht von Kokoschka) auf dem Enteignet Springer! stand.

Und Kokoschka malte dieses Bild, das ich zu hassen gelernt habe, weil ich in Vorlesungen immer daneben saß; das Thermopylen Triptychon, das die Wand des Hörsaals D im Philosophenturm der Hamburger Uni zierte. Ich fand es ja sowas von scheußlich, aber ich habe keine bleibenden Schäden von der Betrachtung davongetragen. Die Altenglisch Klausur, die ich auf der Höhe der Zerstörung Athens (die findet rechts außen statt) schrieb, habe ich mit einer guten Note bestanden. Und dabei war ich wahrscheinlich der einzige im Hörsaal D, der nicht schummelte. Der Altenglisch Kurs war nämlich für die Klausur auf das Doppelte angeschwollen, weil die meisten sich jemanden mitgebracht hatten, der für sie die Klausur schrieb.

Nach dieser kleinen Abschweifung - meine Leser sind ja Digressionen gewohnt - möchte ich doch wieder auf Kokoschkas Lehrer Carl Otto Czeschka zurückkommen. In der Kunsthochschule am Lerchenfeld, die im Volksmund den schönen Namen Li-La-Lerchenfeld trägt, befindet sich eins der schönsten Werke von dem Wiener Künstler, der zu einem Hamburger wurde. Und den man in Hamburg auch nicht vergessen hat, im letzten Jahr widmete ihm die Hamburger Handelskammer eine große Ausstellung Carl Otto Czeschka – Ein Wiener Künstler und die Hamburger Wirtschaft. 

Das Fenster von Czeschka ist 1914 auf der denkwürdigen Kölner Werkbundausstellung (für die ein junger Politiker namens Konrad Adenauer bei der Stadt Köln fünf Millionen Goldmark lockergemacht hatte) gezeigt worden. Köln hatte damals für die moderne Kunst eine große Bedeutung. Wenige Jahre zuvor hatte es in Köln schon die Sonderbund Ausstellung gegeben, die einen noch größeren Einfluss hatte, da ihre Exponate zu großen Teilen in die amerikanische ➱Armory Show gewandert waren. Der Hamburger Ausstellungsraum und besonders das Glasfenster von Otto Czeschka fanden große Anerkennung, obwohl die Werkbund Ausstellung vorzeitig abgebrochen wurde. Der Erste Weltkrieg hatte begonnen. Aus Konrad Adenauers Plan, zehn Jahre später wieder eine Ausstellung des Deutschen Werkbunds zu zeigen, wurde nichts. Nach dem verlorenen Krieg hatte man kein Geld mehr für die Kunst.

Das Kunstwerk in der Hochschule ist ein beinahe sieben Meter hohes fünfteiliges bleiverglastes Hellglasfenster, das den Titel Die Schönheit als Botschaft hat. Es sieht, und das kann man auf diesen beiden Aufnahmen schon sehen, je nach Lichteinfall immer ein wenig anders aus. Die drei mittleren Fenster werden von den äußeren Fenstern gerahmt, die in kunstvollen Jugendstil-Lettern einen Text tragen. Das ist ein Gedicht von Wilhelm Niemeyer, der als Kunsthistoriker an der Kunstschule tätig war. Er war aber auch Dichter. Und vieles mehr. Er war ein Freund von Franz Radziwill (dieser Link führt zu einem Post, der in den letzten zwei Jahren einige tausend Mal gelesen wurde), den er immer gefördert hat. Und dem er den wichtigen Dresdenaufenthalt bezahlt hat. Und er hat in der Kunstwelt vieles in Bewegung gebracht:  Als Dozent der Kunstschule in Düsseldorf, die Peter Behrens, der Architekt, leitete, konnte ich der Zeitmalerei dienlich sein, als ich als Juror der großen Ausstellung von 1910 Georges Braque und Kandinsky aufnahm. Ich wurde dann an die Hamburger Landeskunstschule berufen und konnte so der neuen Malerei weiter mancherlei Hilfe leisten.

Leider gibt es über ihn nicht so furchtbar viel ➱Literatur, einen Wikipedia Artikel schon gar nicht. Doch die Zeit gratulierte ihm natürlich 1954 mit einem ➱Lebenabriß (von ihm selbst geschrieben) und einen Gedicht (auch von ihm selbst geschrieben) zum achtzigsten Geburtstag. Das Gedicht, ein Sonett, hat den Titel Im Poseidontempel zu Pästum:

Marmorstämme wuchsen goldnen Hain, 
um ein heilig Dunkel zum umhüllen,
wie Geschmeide hält den Farbenstein,
den metallen Trunkenheiten füllen.

In die Dunkel war der Gott geengt,
daß er glüher dort die Erde träume,
tief in seine Willen war gedrängt
Prunk der Meere, Glanz der Küstenschäume.

Er verging, doch dir, der sinnend schaut
durch der Säulen leere Zwischenhellen,
die wie lichte Luftgefäße schwellen,

scheint, daß süßer das Gebirge blaut,
Meer erduftet, frommer grünt der Rasen,
da sie leuchten in den edlen Vasen!

Das ist nun ein wirklich schönes Gedicht, irgendetwas zwischen Hölderlin, Rilke und Benn, aber ganz anders, als das, was auf den Glasfenstern steht. Denn das stammt noch aus der Phase Niemeyers, als er ein expressionistischer Dichter war. Und so treffen auf diesen Glasfenstern Expressionismus und später Jugendstil zusammen:

Wir verkünden euch:
Der Sinn der Erde ist der Schönheit sich als Leib zu bünden

Traum des Seins und Traumeslustgebärde selig in des Lichtes Flur zu gründen
Schöpfungsliebesglanz und Morgenfülle blühen Klänge Maasse Formen Lieder
Der Notwendigkeit Demant Gefieder
Aus des Weltengrunds krystallner Stille
zünden sich zu Gleichniss Glanz und Spiegel irdischer Gesichte Allgestalt
und am Gram des Nichts der ewige Riegel
ist der Schönheit heilige Gewalt

Wir entsenden euch:
Der Sinn der Erde soll in euch sich neuer Klarheit zünden
Hehrer Schönheit herrische Gebärde sollt ihr streng der dumpfen Welt verkünden
Denn verheissen ward:
Der Ewigkeiten erster Ring ist feierlich vollendet
wenn dem fernsten Ding und allen Welten ward des Schönen Botschaft zugesendet
Seid ihm Boten!
Traumgeführt umflogen von der Lustgesichte Schwingenschlag
Seid ihm Künder!
Bis in trunkne Wogen schönheitsselig sinkt der Weltentag

Ich weiß jetzt nicht so recht, ob die Studis an der Kunsthochschule in Hamburg diese Botschaft der Schönheit heute für sich so akzeptieren. Friedensreich Hundertwasser, der einmal die Räume mit einem roten Strich an der Decke verzierte (ach, lesen Sie ➱dies doch noch einmal!), bestimmt nicht, aber den hat man an der Hochschule ja auch gefeuert.

Und wenn Sie jetzt alles über das Fenster wissen wollen, es gibt ein ➱Buch dazu: Bettina Berendes Carl Otto Czeschka - Die Schönheit als Botschaft. Das Glasfenster der Hamburger Kunstgewerbeschule. Ich kenne das Buch, weil mir die Astrid damals das Manuskript zum Lesen gegeben hat. Denn dies Buch hat eine eigentümliche Geschichte, zu der mir nur die lateinische Sentenz Habent sua fata libelli einfällt. Das Buch war eine Examensarbeit im Fach Kunstgeschichte, mit der Bettina Berendes ihr Examen bei Professor Adrian von Buttlar bestanden hat. Und kurz darauf ist sie gestorben, einfach so, sie hatte ein schwaches Herz. Sie wurde nur dreißig Jahre alt.

Aber der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar hat dafür gesorgt, dass diese Arbeit nicht irgendwo in der Ablage des Dekanat verschwand. Er hat Geld für den Druck aufgetrieben und die Astrid, die die beste Freundin von Bettina war, gebeten, dass Manuskript einmal für den Druck zu überarbeiten. Das hört sich dann in seinen zurückhaltenden Worten im Vorwort so an: Die aus einem Seminar über Architektur und Kunst der Wiener Sezession hervorgegangene Magisterarbeit von Bettina Berendes (1967-1997) würdigt erstmals dieses bedeutende Kunstwerk monographisch und entfaltet – trotz aller Einschränkungen, die ein fachwissenschaftlicher Erstling mit sich bringt – so viele Facetten seiner historischen, technischen und künstlerischen Bedeutung, daß sich das Kunsthistorische Institut der Christian-Albrechts-Universität zu der nun vorliegenden Veröffentlichung im Rahmen seiner Publikationsreihe »Kieler Beiträge zur Kunstgeschichte« entschlossen hat. Mein Dank gilt in erster Linie Astrid Nielsen, die parallel über ein Wiener Jugendstil-Thema gearbeitet hatte und als enge Freundin der Verstorbenen dankenswerterweise die schwierige Aufgabe übernahm, den Text redaktionell zu überarbeiten, mehrere Passagen – namentlich zum literaturhistorischen Hintergrund des Textes – zu vertiefen und eine adäquate Fotodokumentation einzuarbeiten. Sie hat freundlicherweise im Auftrag des Kunsthistorischen Institutes die Herausgabe der Schrift übernommen.
   Zu danken ist auch der Familie Berendes für vielfältige Unterstützung des Projektes. Die Peter-Hirschfeld-Stiftung der CAU hat durch einen Druckkostenzuschuß die vorliegende Publikation ermöglicht, die über ihren fachwissenschaftlichen Wert hinaus ein ehrendes Andenken an Bettina Berendes darstellt.

Ich finde das immer noch bewundernswert und erstaunlich. Ein halbes Leben an der Uni hat mir gezeigt, dass das, was Adrian von Buttlar da getan hat, leider nicht die Regel ist. Den wenigen Lehrenden, die ihre pädagogische Verpflichtung gegenüber ihren Studenten Ernst nehmen, stehen große Zahlen von solchen "Lehrern" gegenüber, die sich keinen Deut darum scheren, was aus ihren Studis wird. Dahin sind wir gekommen, und das wird mit diesen ganzen Bologna Studiengängen nicht besser. Es ist für die Astrid (hier auf einem Photo, das bei einer Reportage des ➱Merian über die Dresdener Kunstsammlungen gemacht wurde) nicht leicht gewesen, die Arbeit von Bettina Berendes für den Druck zu überarbeiten. Doch das ➱Ergebnis kann sich sehen lassen, es ist ein wunderbar gedrucktes Buch. Die Botschaft der Schönheit hat so eine adäquate Buchform gefunden. Und diesem Nachdenken eben haben wir eine Menge neuer Ideen zu danken, die in der ganzen Materie von der Schönheit ein Licht anzünden, das man nur von einem Manne erwarten konnte, dem auf der Seite des Gelehrten eben so wenig, als auf der Seite des Künstlers fehlte, das sagt kein Rezensent über Carl Otto Czeschka. Das sagt Lessing in seiner Besprechung der Zergliederung der Schönheit, die schwankenden Begriffe von dem Geschmacke festzusetzen von William Hogarth. Bei Zeno hat man auf der Seite von Lessings ➱Rezension eine Buchempfehlung für das Buch von Bettina Berendes plaziert. Normalerweise hasse ich ja Werbung auf Kulturseiten, aber dies finde ich wirklich gut.

Samstag, 28. Juli 2012

Karl Popper


Vor 110 Jahren wurde Karl Popper geboren. Die englische Königin hat den Philosophen, der 1937 Wien endgültig verließ, zum Ritter geschlagen und ihn zum Companion of Honour ernannt. In Deutschland wurde der Philosoph etwas bekannter, weil Helmut Schmidt ihn irgendwann zu seinem Lieblingsphilosophen machte und ihn ständig zitierte. Wenn er nicht Kant oder Max Weber zitierte. Das ist wahrscheinlich nicht so schwer, mit ein wenig Mühe findet man bei jedem Philosophen das richtige Zitat für den richtigen Anlass. Wofür wären die Philosophen sonst da? Ich habe natürlich auch ein Zitat gefunden, das mir sehr gut gefällt:

Aus meiner sozialistischen Jugendzeit habe ich viele Ideen und Ideale ins Alter gerettet. Insbesondere: Jeder Intellektuelle hat eine ganz besondere Verantwortung. Er hatte das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren; dafür schuldet er es seinen Mitmenschen (oder „der Gesellschaft“), die Ergebnisse seiner Studien in der einfachsten und klarsten und verständlichsten Form darzustellen. Das Schlimmste – die Sünde gegen den heiligen Geist – ist, wenn die Intellektuellen versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken. Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann. […] Was ich oben (Punkt 1) die Sünde gegen den heiligen Geist genannt habe – die Anmaßung des dreiviertel Gebildeten –, das ist das Phrasendreschen, das Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen. Das Kochrezept ist: Tautologien und Trivialitäten gewürzt mit paradoxem Unsinn. Ein anderes Kochrezept ist: Schreibe schwer verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist, in einem so ‚tiefen‘ Buch Gedanken zu finden, die er selbst schon mal gedacht hat.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass Karl Popper den ➱Richard David Precht vorausgeahnt hat. Karl Popper ist auf einem krummen Weg zur Philosophie gekommen, er ist einmal Volksschullehrer gewesen. Wie Ludwig Wittgenstein. Aber ich nehme an, dass er ein besserer Lehrer war als der Chaot Wittgenstein, der schon in einer einklassigen Dorfschule pädagogisch überfordert war. Popper hat auch eine Tischlerlehre abgeschlossen. Er war wohl nicht unbedingt ein begabter Tischler. Während er neben seinem Meister an einer größeren Bestellung von Schreibtischen arbeitete, pflegte ihm sein Meister knifflige Fragen zu stellen: "Und wissen S", fragte der Lehrmeister mich, "wer die Schaftstiefel erfunden hat? Nein? Dös wissen S' net? Das war der Wallenstein, der Herzog von Friedland, im Dreißigjährigen Krieg!" Und nachdem er ein oder zwei noch schwierigere Fragen gestellt und triumphierend selbst beantwortet hatte, pflegte er mit bescheidenen Stolz zu sagen: "Da können S' mi frag'n, was Sie woll'n, Ich weiß alles!"
     Ich vermute, daß ich über Erkenntnistheorie mehr von meinem lieben, allwissenden Meister Pösch gelernt habe als von irgendeinem meiner Lehrer. Keiner hat so viel dazu beigetragen, mich zu einem Jünger von Sokrates zu machen. Denn mein Meister lehrte mich nicht nur, daß ich nichts wußte, sondern auch, daß die einzige Weisheit, die zu erwerben ich hoffen konnte, das sokratische Wissen von der Unendlichkeit meines Nichtwissens war.

Es ist schön, wenn sich Philosophen darüber klar sind, dass sie nichts wissen. Der englische Philosoph Bryan Magee (der auch auf einem seltsamen Weg zur Philosophie gekommen ist), sagt in seinem ➱Buch Confessions of a PhilosopherIf there could be said to be one insight that pervaded Popper's metaphysical outlook as a whole it might be expressed in the words: 'We don't know anything.' Und er steuert wenige Seiten später auch noch eine bezaubernde Anekdote bei: When he first gave me directions about how to get to his home he told me I should take the train from St Marylebone to Havacombe and then get a taxi. I had never heard of Havacombe, but saw no reason to anticipate difficulty. However, when I tried to buy the ticket at St Marylebone they told me there was no such station as Havacombe. Only in the ensuing discussion did it emerge that what Popper had been saying was High Wycombe. From High Wycombe station the taxi was driven then, and for many years subsequently, by a driver of Greek extraction called Plato. He always asked with a great show of interest after 'the Professor'. A typical exchange between him and me was: 'What's the Professor working on these days?' 'He's writing an autobiography.' 'Really? What about?'

Die Autobiographie, die hier erwähnt wird, heißt Unended Quest - An intellectual autobiography. Sie ist in Deutschland 1979 als Ausgangspunkte: Meine intellektuelle Entwicklung erschienen, erlebte mehrere ➱Auflagen und ist immer noch lieferbar. Und es lohnt sich immer noch, sie zu lesen. Confessions of a Philosopher von Bryan Magee lohnt sich natürlich auch. Bryan Magee ist in England berühmt als ein Philosoph, der die Philosophie einem größeren Publikum vermittelt. Seit 1970 hat er für die BBC gearbeitet, zuerst für das Radio, dann für das Fernsehen. Wo er die führenden Philosophen der Gegenwart in Gesprächen vorstellte, da kann sich der Precht (der am 2. September seine Tätigkeit beim ZDF beginnt) noch eine Scheibe von abschneiden. Magees Buch Confessions of a Philosopher ist vordergründig eine Autobiographie, aber gleichzeitig auch eine sehr lesbare Einführung in die Philosophie. Von einem Philosophen, der ➱Schopenhauer mag, das findet man nicht so häufig.

Obgleich Bryan Magee Karl Popper sehr geschätzt hat, war er doch grundverschieden von ihm. Popper liebte die Einsamkeit, Magee verstand sich gut mit anderen Menschen, sonst wäre er kein Unterhausabgeordneter geworden und hätte nicht für die BBC gearbeitet. Aber so sehr er Popper mochte, er hat seine Philosophie nie ganz übernommen. Und da hätte ich zum Schluss noch ein schönes Zitat: Although I am sure there is an immaterial self I am far from being sure that it has any existence except in relation to a body. My own particular self may have come into existence when or after my body did, and may cease to exist when my body dies. It may be something that has evolved over millions of years in undisentanglable relationship with brains, and may have no way of existing separately from my brain. This was, for example, Popper's view. He was persuaded of its truth and untroubled by it. I am unpersuaded of its truth, and am deeply troubled by it.

Jacopo Sannazaro


Am 28. Juli 1458 wurde der Dichter Jacopo Sannazaro (hier von Tizian gemalt) in Neapel geboren, er war einer der einflussreichsten Dichter des Renaissance. Den Schäferroman hat er auch noch mit seinem Werk Arcadia (1502) erfunden, da kommt ➱Sir Philip Sidney mit The Countess of Pembroke's Arcadia erst beinahe ein Jahrhundert später. Während es das Los vieler Dichter ist, in Armut zu leben, kann man das von Sannazaro nicht sagen. Er genoss die Gunst des Königs von Neapel, der ihm sogar eine Villa schenkte. Und er hielt den Rekord für die teuerste Gedichtzeile. Die Stadt Venedig zahlte ihm für ein Epigramm sechshundert Zechinen oder Dukaten, was weiß ich, auf jeden Fall Goldstücke. Für sechs Zeilen! Von einem solchen Zeilenhonorar träumt ja jeder, der schreibt. Dabei sind die drei Distichen eigentlich gar nicht so großartig:

De Mirabili Urbe Venetiis

Viderat Hadriacis Venetam Neptunus in undis
Stare urbem, et toto ponere jura mari,
Nunc mihi Tarpejas quantum vis Iupiter arces
Objice, et illa tui moenia Martis, ait.
Si pelago Tybrim praefers, urbem adspice utramque:
Illam homines dices, hanc posuisse deos.

Die sechs Zeilen haben aber immer wieder Schriftsteller gereizt, sie zu übersetzen. So zum Beispiel den Engländer John Evelyn, der sie so übertrug:

Neptune saw Venice on the Adria stand
Firm as a rock, and all the sea command,
"Think'st thou, O Jove!" said he, "Rome's walls excel?
Or that proud cliff, whence false Tarpeia fell?
Grant Tyber best, view both; and you will say,
That men did those, gods these foundations lay."

Und auch unser Martin Opitz konnte es nicht nicht lassen, sich daran zu versuchen:

Von der Stadt Venedig.

Als jüngst Neptun im Schoß des grauen Adria
Venedig steh'n und Land und See beherrschen sah,
Sprach er : Zeus, rühme mir nicht mehr Tarpejens Höhe,
Und deines Mavors Stadt! Gefällt die Tiber dir
Mehr, als das Meer, so sieh die Städt ' an, und gestehe:
Die Menschen haben dort gebaut, die Götter hier.

Da konnte Christian Wernicke, der in Kiel bei dem berühmtesten deutschen Universalgelehrten Daniel Georg Morhof studiert hatte (damals hatte die Christiana Albertina 17 Professoren und 162 Studenten), nicht zurückstehen:

Neptun sah' in der Flutt der Adriatschen See
Die Stadt Venedig stehn, und ihr Gesetze geben.
Jtzt, sagt' er, Jupiter, magst du Tarpejens Höh'
Und deines Mavors Maur, so hoch du wilst, erheben.
Schau beyde Städt'; hältst du der See die Tieber für:
Die Menschen legten dort den Grund, die Götter hier.

Und es hat noch mehr Übersetzer gegeben. Aber keiner hat je das Zeilenhonorar von Jacopo Sannazaro erhalten.

Donnerstag, 26. Juli 2012

Breakfast at Tiffany's


Vor neunzig Jahren wurde der Regisseur Blake Edwards geboren - hier sehen wir ihn im Jahre 2009 bei einer Ausstellung seiner Gemälde und Plastiken - und mit seiner ist gemeint, dass er der Schöpfer ist, nicht der Besitzer. Von den sechziger Jahren an ist das Multitalent Edwards auch als Künstler tätig gewesen. Als Regisseur hat er Millionen von Kinogängern viel Freude bereitet. Ob das nun das pinkfarbene U-Boot in Unternehmen Petticoat oder der pinkfarbene Panther war. Edwards hat vorzugsweise Komödien gedreht, natürlich nicht solche Komödien, die so sophisticated waren wie die von Lubitsch. Oder die Screwball Comedies. An Howard Hawks' Bringing Up Baby oder Frank Capras Arsenic and Old Lace kommt er nicht ganz heran. Aber dennoch war ein Blake Edwards Film immer amüsant.

Was daran lag, dass die Schauspieler immer stimmten. Und die Musik, die in vielen Fällen von seinem Freund Henri Mancini geschrieben wurde. Wie das berühmte ➱Moon River für Breakfast at Tiffany's. Das war vielleicht auch der berühmteste Film von Blake Edwards, obgleich die Fans von Peter Sellers oder die von Bo Derek da anderer Meinung sind. Breakfast at Tiffany's markiert den Höhepunkt der Karriere von Blake Edwards. Er war Schauspieler gewesen, und er hatte gezeigt, dass er als Drehbuchautor in Hollywood bestehen konnte. Er arbeitete auch für das Fernsehen, das jetzt in den fünfziger Jahren seinen Höhepunkt hatte. Serien wie Peter Gunn sind ja bis heute unvergessen. Und das ➱Peter Gunn Theme (hier von Duane Eddy) von Henry Mancini verfolgt einen ja heute noch.

Die literarische Vorlage von Breakfast at Tiffany's war der gleichnamige Kurzroman von Truman Capote, der damals ein großes Talent der amerikanischen Literatur zu sein schien. Auf jeden Fall ein Jahrzehnt vorher, denn nach The Grass Harp war da ja nicht mehr viel gekommen. Man wartete bei ihm immer noch auf den großen Wurf, so wie man bei Salinger auf einen zweiten Roman wartete. Breakfast at Tiffany's war sicherlich nicht der große Wurf, aber es war für den Autor ein schöner kommerzieller Erfolg.

Diese beiden Bilder stammen aus dem gleichen Jahr, beide aufgenommen von Henri Cartier-Bresson. Beide Bilder gaukeln uns einen Schnappschuss vor, aber beide sind natürlich eine Inszenierung. Albert Camus, elf Jahre älter als Truman Capote, wirkt richtig cool. Er hat zu dem Zeitpunkt schon Der Mythos des Sisyphos: Ein Versuch über das AbsurdeDer Fremde (L'étranger) und Die Pest geschrieben, ein Werk, an das Capote nie herankommen wird. Truman Capote schreibt gerade an Other Voices, Other Rooms; er gilt als die große Hoffnung der amerikanischen Literatur, seit er 1945 seine Kurzgeschichte Miriam geschrieben hat. Hat gleich von Bennett Cerf, dem Chef von Random House, einen Vertrag für Other Voices, Other Rooms bekommen. Harper's Bazar hatte ihn 1947 als Begleitung für den französischen Photographen, den das Museum of Modern Art gerade mit einer Ausstellung gefeiert hat, nach New Orleans geschickt. Eines dieser Photos, die dabei abgefallen sind, ist das Portrait von dem jungen Mann im weißen T-Shirt. Da sitzt er nun, in der schwülen Hitze von Louisiana, verklemmt und trotzig. Er ist dreiundzwanzig Jahre alt, aber er ist noch nicht erwachsen. Ist er vielleicht nie geworden.

Wenn wir mal einen Augenblick einen gleichaltrigen amerikanischen Autor betrachten, der ebenso wie Capote 1948 seinen ersten literarischen Erfolg hat. Der Roman heißt The Naked and the Dead, er handelt vom Krieg. Den der junge Autor erlebt hat. Truman Capote war nie Soldat, er kann nur über sich selbst schreiben. Was er in Other Voices, Other Rooms tut. Der Roman macht ihn berühmt, so wie The Naked and the Dead Norman Mailer berühmt macht. Jahrzehnte später werden die beiden Autoren wieder einmal in einem Atemzug genannt, als sie beide den Anspruch geltend machen, den New Journalism erfunden zu haben.

Die Kritiker verglichen damals (zu Unrecht, wie wir heute wissen) Capote mit ➱William Faulkner, Eudora Welty, Carson McCullers und Katherine Anne Porter. Und Jean Stafford. Deren Kurzgeschichte Children are Bored on Sunday fand ich damals toll. Der deutsche Übersetzer hatte ihr einen französischen Titel gegeben: Les enfants s'ennuient le dimanche. Wozu er eine gewisse Berechtigung hatte, denn Jean Stafford hatte vorne in ihr Buch geschrieben The title of this book is borrowed, with many thanks, from the title of the song "Les enfants s'ennuient le dimanche" by Mr. Charles Trenet. Ich las damals alles, was aus Amerika kam, aber ich merkte auch ziemlich schnell, dass Truman Capote nach The Grass Harp nichts mehr zu bieten hatte.

Frühstück bei Tiffany habe ich mir gar nicht mehr gekauft, das ist ein Roman, bei dem der Film ausreicht. Obgleich sich die Erzählung von Capote und der Film schon erheblich voneinander unterscheiden. Der Film hat eine bittersüße Story, so etwas kommt immer an, wenn Audrey Hepburn die Hauptrolle spielt. Das war ja in Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone) nicht anders, der eigentlich ein viel besserer Film ist. Aber dieser Film war mehr, dies war ein reiner Ausstattungsfilm. High-Key Ausleuchtung in Technicolor, voll von der Mode der fünfziger Jahre. The wardrobes, supplied for Audrey Hepburn and Patricia Neal, are guaranteed to make any woman reach for her husband's checkbook...The film's major delight comes from the inspired, off-beat casting of Audrey Hepburn as Capote's amoral, vanilla-haired Holly Golightly... Blake Edwards and his talented crew have touched a tawdry romance with true glamour, and they held me unprotesting in that glamour world for two delightful hours, schrieb der Saturday Review.

Das schwarze Kleid, das der Comte Hubert de Givenchy für Audrey Hepburn entworfen hatte, machte die Schauspielerin zu einer ➱Stil-Ikone. Und so ganz nebenbei, das da oben ist keine ➱Ray-Ban Modell Wayfarer, wie immer behauptet wird. Von da an, war das kleine Schwarze aus der Damenmode nicht mehr wegzudenken. Das Originalkleid (in der elfenhaften Größe 34) wurde vor Jahren bei Christie's in London für 600.000 Euro (plus 100.000 Euro Auktionsgebühren) verkauft. Von nun an entwarf Givenchy die Kleider für Audrey Hepburn, die dadurch sein berühmtestes Mannequin wurde.

Sie blieben ihr ganze Leben lang befreundet, das gibt es selten in den Branchen von Film und Mode. Aber wir sollten bedenken, dass Audrey Hepburn eine außergewöhnliche Frau gewesen ist. Und der Grandseigneur der französischen Haute Couture sicherlich ein außergewöhnlicher Mann ist. Für die Schauspielerin Patricia Neal (die mit Roald Dahl verheiratet war) hat Givenchy die Roben nicht entworfen, sie hatte ihre eigene Designerin, ➱Pauline Trigère. Die im gleichen Jahr, als der Film in die Kinos kam, ein farbiges Model für ihre Mode beschäftigte, ein damals unerhörter Vorgang. Aber von der Wirklichkeit des amerikanischen Alltags dringt in den Film nichts ein. Dies ist einer dieser Filme, für den man die willing suspension of disbelief, von der Coleridge gesprochen hat, dringend braucht.

Wir müssen glauben, dass am frühen Morgen, wenn Audrey Hepburn vor dem Schaufenster von ➱Tiffany's frühstückt, keinerlei Verkehr auf der 5th Avenue ist. Wir müssen glauben, dass der Ex-Marine George Peppard (in diesen eleganten Klamotten, die ihm offensichtlich Patricia Neal bezahlt) ein junger Schriftsteller ist, auch wenn Szenen wie diese ➱hier wie eine Karikatur auf den Beruf des Schriftstellers wirken. Das ist ungefähr so lächerlich wie die Szene in La Bohème, wo der Dichter sein Manuskript verbrennt, damit etwas Wärme in die Mansarde kommt. Wir sind offensichtlich in der Welt des Melodramas, und da gelten andere Gesetze als in der Wirklichkeit. Auch für aufstrebende arme junge Schriftsteller: the atmosphere is unconvincingly clean and luxurious, and the sentimentality kills it.

Das männliche Äquivalent für die elegant gekleidete Audrey Hepburn ist nicht unbedingt George Peppard mit seinem Preppy Look, sondern das ist der ➱Marquis de Vilallonga. Im Vorspann des Film schlicht Vilallonga genannt, wenn man so adlig ist wie er, dann reicht das. Ich nehme einmal an, dass er seine eigenen Klamotten getragen hat. Er braucht auch keine schauspielerischen Fähigkeiten zu haben, er braucht einfach nur da zu sein. Und so verschönt er mit seiner Eleganz in den sechziger Jahren immer wieder Filme wie Les Amants von ➱Louis Malle, Fellinis Giulietta degli spiriti oder John SchlesingersDarling. Wenn irgendjemand die Inkarnation von Stil und Eleganz in den sechziger Jahren war, dann war er es.

Wenn er als brasilianischer Millionär José da Silva Pereira die rehäugige Audrey sitzen lässt, schön und gut. Das sind die Gesetze des Melodramas. Aber was sollen wir ansonsten von der Moral der Figuren halten? Film looks dated, but its once shocking sexual content is still fairly strong. Consider that Hepburn had been married at 14 to a much older man (Buddy Ebsen), she makes money by casually selling herself to men she doesn't care for, friends Hepburn and Peppard share a bed one night (which must have raised eyebrows in 1961), and Peppard is Neal's "kept man," taking money for services rendered. So the film is still not tame, sagt Danny Peary.

Er ist da einem interessanten Gedanken auf der Spur gewesen, denn so oberflächlich der Film scheinen mag, er wird doch Amerika verändern. In einer Zeit, when a not-so-virginal girl by the name of Holly Golightly raised eyebrows across the country, changing fashion, film, and sex for good, hat dieser Film durchaus Wirkung. Auf jeden Fall ist das die These des Buches von ➱Sam Wasson Fifth Avenue, 5 A.M.: Audrey Hepburn, Breakfast at Tiffany's, and the Dawn of the Modern Woman. Wir müssen bedenken, dass sich das konservative Amerika kaum von dem Schock des Kinsey Reports und der Geburtsstunde des ➱Playboy erholt hat, als dieser Film in die Kinos kommt, der uns jetzt nicht unbedingt die Doris Day Version des girl next door präsentiert.

Truman Capote beantwortete 1968 im Playboy Interview die Frage: Would you elaborate on your comment that Holly was the prototype of today's liberated female and representative of a "whole breed of girls who live off men but are not prostitutes. They're our version of the geisha girl? folgendermaßen: Holly Golightly was not precisely a call girl. She had no job, but accompanied expense-account men to the best restaurants and night clubs, with the understanding that her escort was obligated to give her some sort of gift, perhaps jewelry or a check ... if she felt like it, she might take her escort home for the night. So these girls are the authentic American geishas, and they're much more prevalent now than in 1943 or 1944, which was Holly's era.

Ja, damals war Capote zwanzig, da wusste er, was in der Welt los war. Aber wir sind ja schon glücklich, vom Autor der novella zu erfahren, dass Holly Golightly keine Nutte ist sondern eine American geisha. Paramount hatte schon während der Dreharbeiten Sätze wie The star is Audrey Hepburn, not Tawdry Hepburn an die Presse gegeben. Irgendwie flirtet Hollywood um 1960 mit der Sünde, wenn man an Filme wie Butterfield 8 (links), The Apartment und Irma La Douce denkt. Aber natürlich ist dies nur, wie Leslie Halliwell schrieb, eine impossibly cleaned up and asexual version of a light novel. Dieser Film ist der Vorläufer von Julia Roberts in Pretty Woman, nicht der Vorläufer von Taxi Driver.

Hamburg, sechziger Jahre. Ich habe eine Studentenbude im Hinterhof einer Mietskaserne im Karo-Viertel. Das noch nicht chic und gentrifiziert ist. Aber preiswert. Und praktisch, die Laeiszhalle ist über die Straße, in einer Viertelstunde erreiche ich die Uni. Ich habe die gleichen Klamotten wie George Peppard, hellgraue Hosen, hellblaue Buttondown-Hemden, einen dunkelblauen Anzug, einen fast weißen Regenmantel. Und so eine komische Strickjacke unter dem grauen Tweedjackett habe ich auch. Wenn ich morgens in dem kleinen Laden neben der Einfahrt zum Hinterhof meine Brötchen und meine Milch kaufe, treffe ich häufig eine hübsche junge Frau, die gerade aus einem Auto gestiegen ist. Es ist jeden Tag ein anderes Auto, immer Wagen der Luxusklasse. Ich brauche einige Wochen, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Von da an heißt sie in meinen Gedanken nur noch Holly Golightly. Wir lächeln uns manchmal zu. Ich hätte sie beinahe vergessen, aber als ich anfing, dies zu schreiben, war sie wieder da. Sie war zwar sehr hübsch, aber sie war nicht Audrey Hepburn. Audrey Hepburn verzeiht man alles. Bei der belle inconnue habe ich doch moralische Bedenken. Life is like a movie, if you've sat through more than half of it and its sucked every second so far, it probably isn't gonna get great right at the end and make it all worthwhile. None should blame you for walking out early.

Dienstag, 24. Juli 2012

Arletty


Da liegt sie. hingebettet auf dem weichen Pfühl, in ihrer ganzen Schönheit. Gemalt 1933 von Moise Kisling. Sie hat schon einige Filme gedreht, aber die wirklich großen Filme liegen noch vor ihr. Die, bei denen Marcel Carné Regie geführt hat. Wie Hôtel du Nord, Le Jour se Lève und Les Enfants du Paradis. Sie machen die Frau, die im Kino nur Arletty heißt, zu Frankreichs Star. Ihre große Liebe liegt auch noch vor ihr. Sie ist von genügend Männern umgeben, steht Malern wie Georges Braque, Moise Kisling und Henri Matisse Modell. Ist mit Jacques Prévert (der die Drehbücher zu Le Jour se Lève und Les Enfants du Paradis schrieb) und Céline befreundet. Und dann verliebt sie sich in einen deutschen Offizier. Das ist jetzt nicht so wie Coco Chanel, die mit den Deutschen kollaboriert. Mit den deutschen Besatzern hat Arletty nichts am Hut, sie liebt nur diesen Oberstleutnant Hans-Jürgen Soehring. Als sie nach dem Krieg vor einem Gericht erscheinen muss, bringt sie diesen unsterblichen Satz: Mon cœur est français – mon cul est international.

Der französische Filmstar Arletty ist heute vor zwanzig Jahren gestorben, bei Filmfreunden wird sie unvergessen bleiben. Schauen Sie doch einmal in diesen wunderbaren Film hinein. Es gibt wenige Filme, die einen solchen Zauber ausstrahlen wie Les Enfants du Paradis. Den Film Le Jour se Lève habe ich schon einmal erwähnt, als ich über Jean Gabin schrieb. Über den schreibe ich gerne noch einmal etwas länger, das müsste eigentlich einfach sein, da ich das Drehbuch besitze.

Montag, 23. Juli 2012

Gemäldegalerie


Er hat es weit gebracht, seit er mit einem Holzschwert fuchtelnd neben mir auf der Bühne unserer Schule stand. Das Stück von Henry von Heiseler hieß Der junge Parzival (55 Seiten, Westermanns Textausgaben für den Deutschunterricht an höheren Lehranstalten), es wird glücklicherweise nicht so häufig gespielt. Erstaunlicherweise fragte 1989 in der Zeitschrift Der Deutschunterricht jemand: Warum ist es in der Obersekunda jeder deutschen Schule noch nicht zur selbstverständlichen Übung geworden, des älteren Heiseler 'Jungen Parzival' zu gestalten? In solchen Augenblicken merkt man, wie weit die Schule von der Wirklichkeit entfernt sein kann.

Damals hießen wir Laienspielschar, der Begriff gilt heute bei Lehrern, die Schultheater machen, als schlimmes Schimpfwort. Das Schultheater hat sich gemausert, ist mancherorts schon semiprofessionell geworden, ich kenne mich da ein wenig aus. Aus dem Mitglied der Laienspielschar, der mit dem Abitur auch schon ein CDU Parteibuch hatte, ist ein Politiker geworden. Das hätte damals niemand von uns in den kühnsten Träumen geglaubt. Wenn uns vor einem halben Jahrhundert jemand gesagt hätte, dass der Bernd Kulturstaatsminister werden würde, wir hätten ihn für verrückt erklärt. Niemand hätte damals den Bernd mit Kultur in Verbindung gebracht. Mir ist Helmut Kohl treuester Gefolgsmann letztlich völlig egal (obwohl ich sehr komische Bernd Neumann Geschichten kenne, für die mir die Bild Zeitung viel Geld bezahlen würde), aber mein Freund Uwe, der hasst ihn wirklich. Nicht erst seit Neumanns skandalösem Verhalten, als er in der Bremer Bürgerschaft die Entlassung einer Lehrerin und die Verbrennung der Gedichte von ➱Erich Fried forderte. Seltsam, dass das alles schon vergessen ist.

Der Mann, der bei Facebook 51 Leuten gefällt, macht gerade mal wieder Schlagzeilen. Nicht weil er mal wieder Gedichte von jüdischen Dichtern verbrennen will oder weil er Ziehharmonika spielt (das Instrument beherrscht er angeblich), sondern weil er sich machtvoll in der Museumspolitik äußert. Und er hat gerade einen Brief bekommen, von Jeffrey Hamburger. Der ist Professor der Kunstgeschichte an der Universität Harvard, das ist weit weg von Berlin. Aber er macht sich Sorgen über die Zukunft der Berliner Gemäldegalerie und hat eine Petition ins Internet gestellt, bei der die Zahl der Unterzeichner mit klangvollen Namen jeden Tag wächst. Zeitungen wie die Süddeutsche, die ➱FAZ und die Zeit titeln beinahe unisono Rettet die Gemäldegalerie! Die ist nicht etwa wegen des Dauerregens von einem Hochwasser bedroht, wie damals die Staatlichen Kultursammlungen in Dresden. Es werden da auch nicht Bilder angezündet wie Autos, was ja ein Berliner Volkssport ist. Nein, die Gefahr für die Alten Meister der Gemäldegalerie ist hausgemacht, sie kommt letztlich aus der Politik. Und wir alle wissen, das sind die schlimmsten Gefahren. Mittlerweile redet die Presse schon von einem Kulturkampf.

In der Pressemitteilung Nummer 201 der Bundesregierung vom 12. Juli 2012 heißt es: Im Rahmen des Nachtragshaushalts 2012 hat das Parlament heute 10 Millionen Euro zur Erhöhung des Bauhaushalts der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereitgestellt. Mit diesen Mitteln soll die Gemäldegalerie am Kulturforum zu einem "Museum des 20. Jahrhunderts" umgestaltet werden, um die weltberühmte Sammlung Pietzsch im Kontext der Werke der Nationalgalerie auf Dauer präsentieren zu können. Kulturstaatsminister Bernd Neumann erklärte: „Wir wollen die Sammlung Pietzsch auf Dauer für Berlin sichern und im Kontext der Nationalgalerie präsentieren. Denn diese weltweit einmalige Sammlung schließt eine Lücke im Bestand unserer Nationalgalerie und ist damit eine wertvolle Ergänzung. Ein Erwerb auf dem Kunstmarkt wäre für das Museum heute unfinanzierbar. Deshalb bin ich froh, dass es gelungen ist, mit dem heutigen Nachtragshaushalt die Weichen zu stellen für eine dauerhafte Unterbringung der Sammlung in der Gemäldegalerie am Kulturforum in einem neuen ´Museum des 20. Jahrhunderts´“.

Die Sammlung moderner Kunst, mit dem Schwergewicht auf surrealistischer Kunst, des Ehepaares Pietzsch wird also auf Staatskosten untergebracht. Angeblich ist sie weltberühmt, eine Kunstsensation des 21. Jahrhunderts. Im Jahr 2009 war die Kollektion des Ehepaar Pietzsch unter dem Titel Bilderträume: Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch in der Neuen Nationalgalerie gezeigt worden. 190.000 Besucher haben sich das angeguckt. Berliner gucken sich ja alles an, Eisbär Knut hatte mehr als eine Million Besucher. Ob die Sammlung wirklich die Kunstsensation des 21. Jahrhunderts ist, wurde von vielen Fachleuten in Frage gestellt. Sie sei nicht annähernd mit der ➱Sammlung Berggruen zu vergleichen, hört man. Für die hatte das Land Berlin den Stüler-Bau gegenüber vom Charlottenburger Schloss zur Verfügung gestellt. Daneben ist einem Haus des Architekten Stüler die Dauerleihgabe der ➱Sammlung Scharf-Gerstenberg ausgestellt. Und da ich gerade dabei bin, auf Sammlungen moderner Kunst in Berlin hinzuweisen, will ich nicht vergessen, den ➱Hamburger Bahnhof zu erwähnen.

Aber solch profane Lösungen sind nichts für die weltweit einmalige Sammlung Pietzsch. Die wird nicht irgendwo untergebracht. Also zum Beispiel in der Bärenquell Brauerei, der Abhöranlage auf dem Teufelsberg oder dem Steglitzer Kreisel - und was da alles in Berlin noch leer herumsteht. Nein, sie soll partout in der ➱Gemäldegalerie untergebracht werden, die dann eine Galerie des 20. Jahrhunderts werden soll. Da schwärmt man in Regierungskreisen vom Beginn einer neuen Ära. Und dafür sollen die Alten Meister auf die Museumsinsel transportiert werden, wo sie irgendwann einmal in der Zukunft eine neue Heimat finden sollen. Wenn man bedenkt, dass schon jetzt in der Gemäldegalerie nur die Hälfte der Bestände gezeigt werden kann, kann man sich leicht denken, dass man da mehr Kunst im Magazin im Keller als im Museum an der Wand haben wird. Und auf den Sankt Nimmerleinstag wartet, an dem das geplante Museum auf der Museumsinsel vielleicht fertig werden wird. Eine Rochade mit offenem Ende steht in den Zeitungen. Die konservative FAZ legte alle Zurückhaltung ab und schrieb mit süffisanter Bosheit: Es ist ein wenig, als würde man einen Rolls-Royce zum Gemüsetransporter umbauen wollen; es liegt eine typisch Berliner Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Großkotzigkeit darin, auf diese Weise Werte zu vernichten und mit nicht vorhandenem Geld um sich zu schmeißen.

Wenn man die Bilder nicht so unterbringen will wie auf diesem Bild von Willem van Haecht, muss ein neues Museum her. Das ist in Gedankenspielen schon seit Jahren da, soll 150 oder 200 Millionen Euro - oder viel mehr - kosten. Die Berlin nicht hat: Berlin soll in nächster Zeit durch einen neuen Flughafen, einen Autobahnausbau und durch ein Stadtschloss mit Großbauprojekten bestückt werden. Es ist mehr als fraglich, dass in Zeiten von Sparzwängen und drohender Währungskrise bei der Bevölkerung ebenso wie bei den Abgeordneten mehrheitliche Akzeptanz für eine Bewilligung der 150 Mio. EUR für den Neubau einer Gemäldegalerie auf der Museumsinsel vorhanden sein wird. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Kulturstaatsminister Bernd Neumann aus Verbundenheit mit dem Ehepaar Pietzsch und deren Schenkungsabsichten einen strategischen Fehler begangen hat – zu Lasten der Alten Meister. Ohne die Konsequenzen transparent zu thematisieren, hat er den letzten Schritt vor dem ersten gesetzt, indem die 10 Millionen EUR für die neue Herberge der Pietzsch-Sammlung gesichert wurden. In der Kulturausschusssitzung vom 27. Juni 2012 wurden die Abgeordneten lediglich über den Sachstand informiert, eine ausführliche Aussprache zum Thema hat nicht stattgefunden. Die 10 Millionen Euro waren zuvor schon im Haushaltsausschuss bewilligt worden. Danke, Agnes Krumwiede, so ist es auf den Punkt gebracht. Ich finde es auch subtil, wie hier eine rein persönliche Motivation bei Bernd Neumann insinuiert wird (aus Verbundenheit mit dem Ehepaar Pietzsch). Agnes Krumwiede (die die Presse auch Miss Bundestag nennt) ist Bundestagsabgeordnete, sie versteht von Kultur wahrscheinlich viel mehr als Bernd Neumann. Und sie ist Konzertpianistin, was sicherlich mehr ist, als eine Feierabendpassion fürs Akkordeonspiel zu haben. Aber dafür hat der Bernd Neumann eine Rolex.

Mit den Berliner Planungen ist das ja so eine Sache. Was war da noch mit dem Flughafen Berlin Brandenburg? Und neu zu bauende Museumsflächen auf der Museumsinsel: wo wollen die das Geld hernehmen? Die wirtschaftliche Bonität Berlins ähnelt ja ungefähr der von Griechenland, und das einzige, worin Berlin in dem letzten halben Jahrhundert wirklich Erfahrung hat, sind Bauskandale. Der Steglitzer Kreisel ist noch nicht vergessen, keine Sorge. Schuldenmachen scheint eine Berliner Tradition zu sein: am 28. Mai 1562 hat sich die Doppelstadt Berlin-Cölln zu einem Zinssatz von sechs Prozent 400 Gulden von dem Städtchen Mittenwalde geborgt. Deren Bürgermeister hat gerade beim Finanzsenator angefragt, wie es denn mit der Rückzahlung wäre. 450 Jahre mit Zinseszins, holen Sie doch schon mal den Taschenrechner heraus.

Nicht alle sind der Meinung, dass in Berlin eine kulturelle Katastrophe droht. Ein gewisser Tim Ackermann (links) schreibt in der Welt forsch: Berlin braucht ein Museum der Moderne, weil Berlin eine Stadt der Moderne ist. Vor 1700 hat sie auf der Weltbühne keine Rolle gespielt. Berlin fand erst im 19. Jahrhundert zu sich selbst. Vom 20. Jahrhundert dann ist die Metropole wie keine zweite geprägt worden. Man sollte sich auch vergegenwärtigen, dass die Kunst der Alten Meister in dieser Stadt immer retrospektivgesammelt wurde. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts haben dagegen auch in Berlin gewirkt. Nur zu sehen ist die dazugehörige Kunst so gut wie nicht. Aber der schreibt viel, der hat auch schon mal geschrieben, als er noch bei der taz war: In den unendlichen Weiten des Cyberspace kommen genau vier Blondstufen vor: polnischblond, hübsch blond, platinblond und "einfach nur blond". Zugegeben, das ist keine lebenswichtige Information. Relevant wird sie nur, wenn man sich im Netz eine polnische Frau bestellen will. Dann kommt man um die Wahl der richtigen Blondstufe einfach nicht herum. Gut, dass das mal gesagt wurde.

Irgendwie sehne ich mich nach der Zeit zurück, als der eine Teil der Gemäldegalerie in Dahlem war und der andere drüben auf der Museumsinsel. Ich habe ein klein wenig von dieser Nostalgie in dem Post ➱Franz Krüger einfließen lassen. Und ich habe es nicht lassen können, als ich über ➱Eric Ambler schrieb, diese Reminiszenz an Dahlem hier im Text unterzubringen: Aber Peter Paul Rubens hat heute auch Geburtstag. Über den hätte ich auch schreiben können, doch zu dem fällt mir nichts ein. Ich mag ihn nicht, obgleich ich weiß, dass er ein großer Maler ist. Das letzte Mal, als ich etwas zu Rubens gesagt habe, hat mich eine ganze Gruppe von Touristen feindselig angestarrt. 'Geht ihr schon mal vor zu den fetten Weibern, ich guck mir noch mal die kleinen Affen an', hab ich zu Carola und Jimmy im Dahlemer Museum gesagt. Ich wollte mir noch einmal die wunderbaren kleinen Äffchen von ➱Brueghel anschauen und den Saal mit den voluminösen Schönheiten von Rubens vermeiden. Wenn Sie von mir etwas anderes als 'fette Weiber' zu Rubens hören wollen, kann ich nur Simon Schamas hervorragendes Buch 'Rembrandt's Eyes' empfehlen, das auch ein sehr gutes Kapitel über Rubens hat.

Damals wusste ich, wo welches Bild hängt, das war schön. Ich mag die Welt gerne geordnet. Und es kann mir auch keiner erzählen, dass es in Berlin keine moderne Kunst zu sehen gab und gibt. Wozu hat ➱Eberhard Roters denn die ➱Berlinische Galerie gegründet? Wozu wurde die Neue Nationalgalerie gebaut? Was ist mit den oben erwähnten Sammlungen in den Stüler-Bauten und dem Hamburger Bahnhof? Die Befürworter der Umzugspläne schwärmen davon, dass man auf der Museumsinsel wieder Skulpturen und allerlei kunsthandwerkliche Dinge neben den Bildern plazieren könne, so wie Wilhelm von Bode das einst konzipiert hatte. Ich glaube nicht, dass der Bernd Neumann weiß, wer Wilhelm von Bode ist. Meine Leser wissen das natürlich, weil sie im Dezember 2010 diesen ➱Post gelesen haben [und zu ➱Ferdinand von Rayski, der dies wundervolle Portrait gemalt hat, gibt es inzwischen auch einen Post].

Es ist jetzt wenig Sachverstand in der Diskussion, was den Journalisten im Sommerloch natürlich nur gelegen kommt. Jeder kann bei diesem Debakel kopfloser Kulturpolitik (FAZ) mitmachen. Das Geschäft der Kunsthistoriker ist das übelste Geschäft, das es gibt, und ein schwätzender Kunsthistoriker und es gibt ja nur schwätzende Kunsthistoriker, gehört mit der Peitsche verjagt. Das ist jetzt nicht von mir, das steht in Thomas Bernhards Alte Meister. Ein passender Titel, wo es hier um die Verbannung der Alten Meister geht. Aber diesem Tim Ackermann und all denen, die suggerieren, dass die moderne Kunst in Berlin nie eine Heimat gehabt hätte, kann ich nur die Lektüre von Peter-Klaus Schusters Buch Die Alte Nationalgalerie empfehlen, in dem die Geschichte der Berliner Gemäldesammlungen hervorragend dargestellt wird. Peter-Klaus Schuster, auf dessen Katalogbuch zur Blechen-Ausstellung ich ja schon einmal hingewiesen habe, kennt sich da bestens aus. Er war einmal Direktor der Alten Nationalgalerie und Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins, und er versteht es vorzüglich, einen Überblick über die Entwicklung der Berliner Museen zu geben. Unglücklicherweise ist das, dessen Auswirkungen heute diskutiert werden, einmal Schusters Masterplan einer völligen Neuordnung der Berliner Museumslandschaft gewesen. Den die FAZ in diesen Tagen so kommentiert: Das gigantische Revirement der Berliner Museumslandschaft, das ihm einst vorschwebte, ist als Plan nachvollziehbar und sogar reizvoll - funktioniert aber nur, wenn man ähnliche Geldreserven wie Abu Dhabi und Qatar besitzt.

Inzwischen rudert Bernd Neumann zurück. Angeblich ist der Drops noch nicht gelutscht. Es sei ja niemals das Ziel gewesen die Gemäldegalerie mit den alten Meistern zu verdrängen, sondern – im Gegenteil – ihr auf der Museumsinsel einen angemesseneren, attraktiveren Ort zu verschaffen. Und er bringt auch einen neuen Standort ins Spiel: das Kronprinzenpalais. Nicht etwa für die Sammlung Pietzsch, sondern für die Auslagerung der Gemäldegalerie. Hier kann kein Vorschlag irre und undurchdacht genug sein, um nicht sofort umgesetzt zu werden. Das ist jetzt nicht von mir, das ist das Urteil der FAZ über die Berliner Verhältnisse. Und da dachte sich der Bernd, er könnte das alles in der Sommerflaute so schön durchziehen, das würde niemand merken. Das habe ich doch von Kohl gelernt: Nicht warten, bis einem alles um die Ohren fliegt, selber agieren! hat er mal in einem anderen Zusammenhang gesagt. Jetzt fliegt es ihm um die Ohren, jetzt hat er den shitstorm über sich.

Irgendwie vergessen die in Berlin sehr schnell, was gestern war. Ist ja manchmal auch besser, vor allem für Politiker. Ich hätte da noch einen wirklich interessanten Zeitungsartikel:

Die Alten Meister müssen nicht ihre Koffer packen. Michael Eissenhauer, neuer Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, hat den geplanten Umzug der Gemäldegalerie vom Kulturforum auf die Museumsinsel gestoppt. Ein Neubau auf dem Gelände der einstigen Friedrich-Engels-Kaserne - gegenüber dem Bodemuseum - sei für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) nicht finanzierbar. Zugleich besitze die Stiftung keine Mittel für den Umbau der bestehenden Galerie. Die Gemäldegalerie mit den rund 1.400 Werken Alter Meister, darunter Rembrandt, Rubens, Caravaggio und Dürer, habe am Kulturforum ihren Platz und soll dort bestehen bleiben, sagte Eissenhauer.
   1998 war die große Gemäldesammlung von Dahlem und aus dem Bodemuseum in den 146 Millionen Euro teuren Neubau am Kulturforum gezogen. Schon darum sei es "niemandem verständlich zu machen, für 50 Millionen Euro eine neue Gemäldegalerie bauen zu wollen", betonte Eissenhauer. Zu rechtfertigen sei ebenso nicht, 20 Millionen Euro für eine Umgestaltung des Hauses am Kulturforum auszugeben. Das Prestigeprojekt seines Vorgängers Peter-Klaus Schuster, dessen Idee es war, die Bilder nach Mitte zu verfrachten, verfolge die Stiftung nicht mehr. Was aus dem jüngst frei geräumten Gelände hinter der Kaserne wird, ist offen
.

Kann sich noch jemand daran erinnern? Stand in der taz. Nicht letzte Woche. Sondern am 18. August des Jahres 2009. Und wenn wir noch etwas weiter zurückgehen wollen in der Geschichte der Kunst in Berlin, finden wir immer wieder Zitate, die von erstaunlicher Aktualität sind: Es ist freilich nur ein Sturm im Glase Wasser ... Aber so wichtig eine Kleinkramfrage sein kann, so wichtig ist sie. Die Frage wird auch nicht wieder einschlafen, denn sie birgt etwas von Revolutionskraft in sich und wird nicht eher ruhen, als bis die seit zwanzig Jahren immer maßloser gewordenen Prätensionen der Farbenklexerwelt auf ein richtiges und verständiges Maß zurückgeführt sein werden. Schreibt Theodor Fontane am 6. Dezember 1883. Hat man das auch schon vergessen, dass hier jemand mit dem Pseudonym ➱Quidam die ganze Welt der aufgeblasenen Kunstkritiker lächerlich gemacht hat? Und damals bildete sich Berlin noch ein, der Mittelpunkt Deutschlands zu sein, wovon heute nicht mehr die Rede sein kann. Aber dass sie in Berlin ganz wichtig sind, das bilden sie sich immer noch ein. Hier kann kein Vorschlag irre und undurchdacht genug sein, um nicht sofort umgesetzt zu werden.

Die Besucherzahlen der Berliner Museen sind rückläufig, besonders bei der Neuen Nationalgalerie, im Neuen Museum und in der Alten Nationalgalerie. Was tun? Nur noch Blockbuster Ausstellungen machen? Mit Jeff Koons und diesem italienischen Pornostar auf Großleinwand? Den Managern von Disneyland die Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übertragen? Das ist ein pervers schöner Gedanke. Irgendwie fängt die neue Ära ja nicht so gut an, ist wohl doch nur, wie die FAZ schrieb, eine typisch Berliner Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Großkotzigkeit. Wir warten mal ab, wer sich in den nächsten Tagen noch alles öffentlich blamiert.

Wenn Sie die Petition von Professor Jeffrey Hamburger von der Harvard Universität unterschreiben möchten (ich habe das natürlich schon getan), ➱HIER ist die Möglichkeit dazu. Die haben in drei Wochen erst etwas mehr als zehntausend Unterschriften bekommen, das finde ich ein bisschen mager. Das muss mehr werden. Ah! Ça ira.