Sonntag, 29. März 2015
Zeitumstellung
Mein Computer weiß es schon, meine Funkuhren auch: die Weltzeit, die den schönen Namen UTC hat, muss mal wieder korrigiert werden. Auf die MESZ, die sich von der MEZ um eine Stunde unterscheidet. Alles klar?
Als Karl V, der einmal gesagt haben soll In meinem Reich geht die Sonne niemals unter, ins Kloster ging, nahm er seine Uhrensammlung und den Uhrmacher Juanelo Turriano mit. Er träumte davon, zwei Uhren zu besitzen, die völlig synchron gingen. Als der berühmte italienische Uhrmacher das nicht hinkriegte, soll der Kaiser gerufen haben: O ich Thor, und ich wollte die Gemüther von Millionen über die verwickeltesten und geheimnißreichsten Gegenstände gleich stimmen! Wir anderen, die wie heute Morgen unsere Uhren in den Gleichklang mit der MESZ bringen, fragen uns: warum hat der Bundestag das 1978 beschlossen?
Samstag, 28. März 2015
måneskinnsmaler
Baade, Knut, ein zu München lebender Landschaftsmaler aus Bergen in Norwegen, ursprünglich ein Schüler Dahl's, zeichnet sich in seinen Bildern aus der rauhen Natur seines Vaterlandes, in unwirtlichen Meeresküsten, in vom Mondschein beleuchteten Fjords u.s.w. durch die poetische Auffassung, durch Gewissenhaftigkeit und liebevolle Behandlung aus, heißt es 1857 in dem Künstlerlexikon der Herren Friedrich Müller, Karl Klunzinger und Adolf Friedrich Seubert, das den schönen Titel Die Künstler aller Zeiten und Völker trägt. So berühmt ist der Maler im Jahre 1857 schon, dass man ihn in dem Werk aufnimmt. Heute ist er beinahe vergessen. Der deutsche Wikipedia Artikel ist sehr, sehr dürftig.
Dies Bild von Knud Baade, das Einfahrt ins Naerøtal heißt, kenne ich gut. Einen kleinen Teil der Wolke da oben rechts habe ich bezahlt. Ich habe das schon in dem Nachruf auf den Kunsthallendirektor ➱Jens Christian Jensen gesagt, aber ich wieder wiederhole das gerne. Das Bild war damals ein Geschenk der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Kunstverein an die verdiente Honorarprofessorin Lilli Martius. Die es aber nicht mit nach Hause nahm, sondern der Kunsthalle schenkte. Im Kunstverein bin ich seit über vierzig Jahren, man kommt immer umsonst in die Kunsthalle. Davor kam ich auch umsonst in die Kunsthalle, weil die Studenten der Kunstgeschichte freien Eintritt hatten. Lilli Martius hat einmal gesagt: je älter ich geworden bin, je mehr habe ich mich überzeugt, wie notwendig es ist, sich einen weiten Blick zu erhalten und weder im Spezialistentum noch im alten Wissensbesitz fest zu sitzen. Das sollten wir uns mal alle mal merken.
Knud Andreassen Baade wurde am 28. März 1808 in Skjold in der Provinz Rogaland geboren, wird aber nicht in Norwegen bleiben. Nach erstem Zeichenunterricht bei Carl Peter Lehmann und einem ersten Studium in Bergen geht er zu Christoffer Eckersberg an die Kopenhagener Akademie. An Eckersberg kommt man in dieser Zeit nicht vorbei. Er taucht hier schon in den Posts ➱Dänische Kunst und ➱Vilhelm Marstrand auf; und in dem Post ➱Bertel Thorvaldsen habe ich erzählt, dass ich ein Bild von einem Schüler Eckersbergs besitze. Ungefähr so wie auf diesem frühen Bild von Knud Baade müssen wir uns den Unterricht an der Kopenhagener Akademie vorstellen. Von Rousseaus revenons à la nature ist hier nichts zu spüren, hier ist marmorkalte Klassik angesagt.
Aber wenn man in der Berglandschaft von Norwegen aufgewachsen ist, dann malt man eher Bilder wie die Einfahrt ins Naerøtal. Oder Strandbilder mit Schiffbruch. Bilder dieses Typs malt Baade eine Zeitlang gerne. Der Kunstschriftsteller Hyacinth Holland spricht in seinem Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie von fast ausschließlich nur Mondnächte, meist mit stürmischer See, die sich an nackten Felsen bricht und Schiffe mit Wuth hin- und herschleudert, ziemlich eintönig in Dahl’s trüber Farbe gemalt.
Das mit den Schiffen und den nackten Felsen, das stimmt schon, aber dass Johann Christian Clausen Dahl in trüben Farben gemalt hat, das würde ich bezweifeln. Den Maler mag ich sehr, immer wenn ich in der Kieler Kunsthalle bin, schaue ich mir als erstes sein ➱Bild vom Kopenhagener Hafen im Mondschein an. Dahl hat ➱hier natürlich schon einen Post. Baade hat Dahl 1834 kennengelernt und ist dann seinem Landsmann nach Dresden gefolgt, da wird er ein Teil der Dresdner Malerszene. Und malt das Bild Dresden im Mondschein, das ein klein wenig nach einer Kopie von Dahls Kopenhagen Bild aussieht.
➱Caspar David Friedrich (der ebenso wie Turner in diesem Blog kein Unbekannter ist) hat Knud Baade vor seiner Staffelei gezeichnet. Das Bild, das hier im Entstehen ist, sieht ein wenig nach der Einfahrt ins Naerøtal aus. Es ist ja auch in der gleichen Zeit wie diese Zeichnung von Friedrich entstanden. Wenn ich vor dem Schreiben dieses Posts in den Katalog der Neuerwerbungen 1975-1979 geguckt hätte, dann wüsste ich, dass die Kunsthalle Kiel das auch vermutet. Baade zieht sich in Dresden eine Infektion des Auges (ein bedenkliches Augenübel, wie Hyacinth Holland schreibt) zu und kehrt 1839 für ein Jahr nach Bergen zurück, wo sein Vater Andreas inzwischen Landrichter geworden war.
Ein Jahr später hat sich das Leiden ein wenig gebessert, und Baade ist wieder in Dresden. Er ist glücklicherweise in dieser Situation nicht auf die Einkünfte aus der Malerei angewiesen, da er ein Staatsstipendium bekommen hat. 1842 verlässt er Dresden, um nach München zu ziehen, Dahl hat ihm dazu geraten. In München wird er eines Tages auch Motive aus Bayern, Österreich und Tirol malen, allen Gegenden, in denen er gerne Urlaub macht. Aber das lassen wir mal beiseite. Ich zeige lieber noch eine Wolkenstudie, die ganz aufschlussreich ist. Wenn man sie mit den Wolken von ➱Cozens, ➱Girtin, ➱Constable oder ➱Blechen vergleicht, kann man sehen, dass diese Maler sehr viel besser sind als Baade.
Dieses Bild (Scene from the Era of Norwegian Sagas) aus dem Jahre 1850 ziert das Cover des ersten Bandes der dänischen Zeitschrift Romantik: Journal for the Study of Romanticisms (➱hier im Volltext). Es ist ein Bild, das typisch für eine weitere Phase des Werkes von Baade ist, der Hinwendung zu Mythen und Sagen. Hycinth Holland spricht auch von den Ossianischen Nebelbildern Baades. In der Welt Ossians geht die Sonne nie auf. Bei dem Thema war die Malerei schon einmal, als der Ossianismus in Europa ausgebrochen war. Und Nicolai Abildgaard (der ➱hier einen Post hat) die von James Macpherson erfundenen Helden auf die Leinwand bannte.
In der Zeitschrift Romantik findet sich bei dem Bild Scene from the Era of Norwegian Sagas die Anmerkung: In 1851, King Ludwig I purchased one of his works, Phantasibild aus der norwegischen Sagazeit, for the collection of the Neue Pinakothek. This is very likely identical with the painting illustrated on this cover. It was sold in 1918, and was rediscovered in the collection of Mr. Asbjørn Lunde of New York only a few years ago. The history of the painting may be said to reflect the reception history of Romantic ideals: thrown out at the beginning of Modernism, neglected during large parts of the 20th century, only to be appreciated again in our time – as in the periodical 'Romantik'.
Dass seine Bilder etwas Geheimnisvolles und Poetisches enthalten sollten, das war ihm immer klar: Kort tror jeg, at hvis nogle af mine arbeider i tidernes løp vil holde sig i kampen om tilværelsen, saa er det hovedsagelig det mysteriøse og poetiske element som vil holde dem oppe. Sie haben natürlich auch etwas Inszeniertes, Theatralisches. Was in dieser Zeit offensichtlich gut beim Publikum ankommt. Irgendwie ist er der ➱Albert Bierstadt von Norwegen.
Und ähnlich urteilt Carl Albert Regnet 1871 in seinem Buch Münchener Künstlerbilder: ein Beitrag zur Geschichte der Münchener Kunstschule in Biographien und Charakteristiken. Mag uns aber Baade an die sturmbewegte oder an die ruhige See führen, mag sich der Himmel klar und hell darüber wölben oder mögen wilde Wolkengestalten uns schrecken, immer ist es das Bedeutende, Einsame, Erhabene, was uns in „romantische" Stimmung versetzt, die frei ist von aller Sentimentalität wie von allem Gemachten, weil der Künstler in seiner Begeisterung für die echte und wahre Kunst es verschmäht mit den Mitteln der Übertreibung und der Unwahrheit zu wirken. Ich bin da, was die Übertreibung und die Unwahrheit betrifft, nicht so ganz sicher.
Knud Baade ist nicht der einzige norwegische Maler, der ein klein wenig zur Großartigkeit neigt. Wir haben da noch Dahls Schüler ➱Peder Balke (hier ein Bild von ihm), dem die Londoner National Gallery gerade eine Ausstellung gewidmet hatte. Und Hans Gude. Oder Hans Dahl, den Lieblingsmaler von Wilhelm II. Dass heute ➱Edvard Munch berühmter ist als Hans Gude, ist eine andere Geschichte. Norwegische Maler, die berühmt sind, gibt es heute immer noch. Ich zitiere einmal den bekanntesten mit dem Satz: Große Kunst steht still, und sie geht alle an. Hat der kitschmeister ➱Odd Nerdrum gesagt.
Knud Andreassen Baade wurde am 28. März 1808 in Skjold in der Provinz Rogaland geboren, wird aber nicht in Norwegen bleiben. Nach erstem Zeichenunterricht bei Carl Peter Lehmann und einem ersten Studium in Bergen geht er zu Christoffer Eckersberg an die Kopenhagener Akademie. An Eckersberg kommt man in dieser Zeit nicht vorbei. Er taucht hier schon in den Posts ➱Dänische Kunst und ➱Vilhelm Marstrand auf; und in dem Post ➱Bertel Thorvaldsen habe ich erzählt, dass ich ein Bild von einem Schüler Eckersbergs besitze. Ungefähr so wie auf diesem frühen Bild von Knud Baade müssen wir uns den Unterricht an der Kopenhagener Akademie vorstellen. Von Rousseaus revenons à la nature ist hier nichts zu spüren, hier ist marmorkalte Klassik angesagt.
Aber wenn man in der Berglandschaft von Norwegen aufgewachsen ist, dann malt man eher Bilder wie die Einfahrt ins Naerøtal. Oder Strandbilder mit Schiffbruch. Bilder dieses Typs malt Baade eine Zeitlang gerne. Der Kunstschriftsteller Hyacinth Holland spricht in seinem Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie von fast ausschließlich nur Mondnächte, meist mit stürmischer See, die sich an nackten Felsen bricht und Schiffe mit Wuth hin- und herschleudert, ziemlich eintönig in Dahl’s trüber Farbe gemalt.
Christian Clausen Dahl hat noch einen anderen norwegischen Schüler, der Thomas Fearnley heißt. Von dem hat die Kieler Kunsthalle seit einiger Zeit auch ein Bild. Es heißt Schloß Vadstena am Vättern See. Ich habe schon Stunden vor diesem Bild von verbracht. Die Sätze auf der Seite des Museums helfen mir nicht weiter: Das Bild zeigt wuchtige Statuarik und vehemente Bewegungsmotive, thematisiert menschliche Haltungen gegenüber Natur und Kultur, ist historisches Dokument, Aktualisierung und metaphorische Übertragung in Überzeitliches gleichermaßen.
Es sind Sätze wie diese, weshalb ich manche Kunsthistoriker hasse. Sagen sie etwas über das Geheimnisvolle des Bildes, das es wie einen Vorläufer von ➱Carel Willink oder ➱Franz Radziwill aussehen lässt? Das Bild von dem schwedischen Schloss ist nicht typisch für die gefälligen Landschaftsbilder von Fearnley, die eher eine Biedermeier Version der Romantik sind. Thomas Fearnley ist trotz des englischen Namens (sein Großvater stammte aus Yorkshire) ein Norweger. Die Stationen seines Künstlerlebens sind ähnlich wie die von Baade: Norwegen, Dresden, München.
Es sind Sätze wie diese, weshalb ich manche Kunsthistoriker hasse. Sagen sie etwas über das Geheimnisvolle des Bildes, das es wie einen Vorläufer von ➱Carel Willink oder ➱Franz Radziwill aussehen lässt? Das Bild von dem schwedischen Schloss ist nicht typisch für die gefälligen Landschaftsbilder von Fearnley, die eher eine Biedermeier Version der Romantik sind. Thomas Fearnley ist trotz des englischen Namens (sein Großvater stammte aus Yorkshire) ein Norweger. Die Stationen seines Künstlerlebens sind ähnlich wie die von Baade: Norwegen, Dresden, München.
Fearnley taucht in meinem Bildergedächtnis noch an einer ganz anderen Stelle auf, denn er hat auch dieses Bild gemalt, das nun ganz und gar nichts Geheimnisvolles an sich hat. Es zeigt (sechs Jahre nach dem Schloß Vadstena am Vättern See gemalt) den englischen Maler William Turner am ➱Varnishing Day. Das ist der Tag, wenn die Maler in der Royal Academy eine Schicht Firnis über ihre Gemälde streichen und letzte Korrekturen anbringen.
Bis auf Turner. Der brachte manchmal eine weiße Leinwand und malte das Bild für die Ausstellung an Ort und Stelle. Das Bild von Fearnley aus dem Jahre 1837 ist viel lebendiger und origineller als das von ➱William Parrott, der die gleiche Szene auch gemalt hat. Thomas Fearnley ist im Alter von neunundreißig Jahren 1842 in München verstorben. Ich weiß nicht, was noch aus ihm hätte werden können. Mehr als Baade auf jeden Fall. Dieser Blick auf Dresden beim Sonnenuntergang zeigt, dass er von seinen Lehrern Christian Clausen Dahl und Caspar David Friedrich (die ja in demselben Haus wohnten) sehr viel gelernt hat.
Er wird sogar manchmal seinen Lehrer übertreffen. Zum Beispiel mit seinem Bild von der Slindebirke, das die norwegische Post 1972 auf eine Briefmarke druckte. ➱Dahl, den man heute den Vater der norwegischen Malerei nennt, hatte den Baum 1826 gemalt, und alle seine Schüler (bis auf Knud Baade) haben die stolzeste Birke des Sognefjords, die zu einem nationalen Symbol wurde, gemalt. Fearnleys Bild wird die berühmteste Darstellung der Birke werden.
Baade hat bei Christian Clausen Dahl auch etwas gelernt, er hat den Mondschein, den Dahl so schön malte, in seine Bilder übernommen. Er bleibt fordømt til måneskinnsmaler (zum Mondscheinmaler verdammt), wie er einmal sagen wird. Ein Maler des Mondlichts zu sein, ist ja nicht Böses. Die Holländer hatten das schon im 17. Jahrhundert gemalt, und ein Maler wie Aert van der Neer (der schon in den Posts ➱Himmel und ➱Kunsthalle erwähnt wird), hatte diesen Bildertyp perfektioniert. Jetzt holt die Romantik die Mondscheinbilder wieder aus den Schubladen. Und sicherlich fällt uns allen zuerst das ➱Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes von Caspar David Friedrich ein.Er wird sogar manchmal seinen Lehrer übertreffen. Zum Beispiel mit seinem Bild von der Slindebirke, das die norwegische Post 1972 auf eine Briefmarke druckte. ➱Dahl, den man heute den Vater der norwegischen Malerei nennt, hatte den Baum 1826 gemalt, und alle seine Schüler (bis auf Knud Baade) haben die stolzeste Birke des Sognefjords, die zu einem nationalen Symbol wurde, gemalt. Fearnleys Bild wird die berühmteste Darstellung der Birke werden.
➱Caspar David Friedrich (der ebenso wie Turner in diesem Blog kein Unbekannter ist) hat Knud Baade vor seiner Staffelei gezeichnet. Das Bild, das hier im Entstehen ist, sieht ein wenig nach der Einfahrt ins Naerøtal aus. Es ist ja auch in der gleichen Zeit wie diese Zeichnung von Friedrich entstanden. Wenn ich vor dem Schreiben dieses Posts in den Katalog der Neuerwerbungen 1975-1979 geguckt hätte, dann wüsste ich, dass die Kunsthalle Kiel das auch vermutet. Baade zieht sich in Dresden eine Infektion des Auges (ein bedenkliches Augenübel, wie Hyacinth Holland schreibt) zu und kehrt 1839 für ein Jahr nach Bergen zurück, wo sein Vater Andreas inzwischen Landrichter geworden war.
Ein Jahr später hat sich das Leiden ein wenig gebessert, und Baade ist wieder in Dresden. Er ist glücklicherweise in dieser Situation nicht auf die Einkünfte aus der Malerei angewiesen, da er ein Staatsstipendium bekommen hat. 1842 verlässt er Dresden, um nach München zu ziehen, Dahl hat ihm dazu geraten. In München wird er eines Tages auch Motive aus Bayern, Österreich und Tirol malen, allen Gegenden, in denen er gerne Urlaub macht. Aber das lassen wir mal beiseite. Ich zeige lieber noch eine Wolkenstudie, die ganz aufschlussreich ist. Wenn man sie mit den Wolken von ➱Cozens, ➱Girtin, ➱Constable oder ➱Blechen vergleicht, kann man sehen, dass diese Maler sehr viel besser sind als Baade.
Dieses Bild (Scene from the Era of Norwegian Sagas) aus dem Jahre 1850 ziert das Cover des ersten Bandes der dänischen Zeitschrift Romantik: Journal for the Study of Romanticisms (➱hier im Volltext). Es ist ein Bild, das typisch für eine weitere Phase des Werkes von Baade ist, der Hinwendung zu Mythen und Sagen. Hycinth Holland spricht auch von den Ossianischen Nebelbildern Baades. In der Welt Ossians geht die Sonne nie auf. Bei dem Thema war die Malerei schon einmal, als der Ossianismus in Europa ausgebrochen war. Und Nicolai Abildgaard (der ➱hier einen Post hat) die von James Macpherson erfundenen Helden auf die Leinwand bannte.
In der Zeitschrift Romantik findet sich bei dem Bild Scene from the Era of Norwegian Sagas die Anmerkung: In 1851, King Ludwig I purchased one of his works, Phantasibild aus der norwegischen Sagazeit, for the collection of the Neue Pinakothek. This is very likely identical with the painting illustrated on this cover. It was sold in 1918, and was rediscovered in the collection of Mr. Asbjørn Lunde of New York only a few years ago. The history of the painting may be said to reflect the reception history of Romantic ideals: thrown out at the beginning of Modernism, neglected during large parts of the 20th century, only to be appreciated again in our time – as in the periodical 'Romantik'.
Dass seine Bilder etwas Geheimnisvolles und Poetisches enthalten sollten, das war ihm immer klar: Kort tror jeg, at hvis nogle af mine arbeider i tidernes løp vil holde sig i kampen om tilværelsen, saa er det hovedsagelig det mysteriøse og poetiske element som vil holde dem oppe. Sie haben natürlich auch etwas Inszeniertes, Theatralisches. Was in dieser Zeit offensichtlich gut beim Publikum ankommt. Irgendwie ist er der ➱Albert Bierstadt von Norwegen.
Poetisch angelegt fühlte er sich von der grandiosen Natur seines Vaterlandes mächtig angesprochen und gab sie in zahlreichen Bildern wieder, wobei er besondere Vorliebe für Mondscheinscenerien zeigte. Bald läßt er das Meer sich in berghohen Wogen erheben und mächtige Schiffe wie dürre Blätter hin und herschleudern, bald es brandend an die Klippen des Ufers schlagen. Phantastische Wolkengestalten jagen über den Himmel und das blasse Mondlicht zuckt unsicher auf den Wellen. Bald führt er den Beschauer auf die friedlich ruhende, vom vollen Lichte des Mondes weithin beleuchtete See, ausnahmsweise auch tief in die Fjorde hinein, daß wir uns der grünen Matten und der weißstämmigen Birken erfreuen. Immer ist es das Bedeutende, Einsame, Erhabene, durch das er uns anregt und in romantische Stimmung versetzt, ohne an das Sentimentale zu appelliren, schreibt die Augsburger Abendzeitung in ihrem Nachruf im November 1879.
Und ähnlich urteilt Carl Albert Regnet 1871 in seinem Buch Münchener Künstlerbilder: ein Beitrag zur Geschichte der Münchener Kunstschule in Biographien und Charakteristiken. Mag uns aber Baade an die sturmbewegte oder an die ruhige See führen, mag sich der Himmel klar und hell darüber wölben oder mögen wilde Wolkengestalten uns schrecken, immer ist es das Bedeutende, Einsame, Erhabene, was uns in „romantische" Stimmung versetzt, die frei ist von aller Sentimentalität wie von allem Gemachten, weil der Künstler in seiner Begeisterung für die echte und wahre Kunst es verschmäht mit den Mitteln der Übertreibung und der Unwahrheit zu wirken. Ich bin da, was die Übertreibung und die Unwahrheit betrifft, nicht so ganz sicher.
Knud Baade ist nicht der einzige norwegische Maler, der ein klein wenig zur Großartigkeit neigt. Wir haben da noch Dahls Schüler ➱Peder Balke (hier ein Bild von ihm), dem die Londoner National Gallery gerade eine Ausstellung gewidmet hatte. Und Hans Gude. Oder Hans Dahl, den Lieblingsmaler von Wilhelm II. Dass heute ➱Edvard Munch berühmter ist als Hans Gude, ist eine andere Geschichte. Norwegische Maler, die berühmt sind, gibt es heute immer noch. Ich zitiere einmal den bekanntesten mit dem Satz: Große Kunst steht still, und sie geht alle an. Hat der kitschmeister ➱Odd Nerdrum gesagt.
Dienstag, 24. März 2015
Einquartierung
Das ist Margaret Kemble Gage, die Gattin des englischen Generals Thomas Gage, gemalt von ➱John Singleton Copley. Er hat auch ihren Ehemann gemalt. Der an dem Quartering Act Schuld ist, der heute vor 250 Jahren vom englischen Parlament beschlossen wurde. Das englische Parlament ist fleißig in jenen Tagen, zwei Tage zuvor hat man den Stamp Act beschlossen. Wenn man so will, ist das der Anfang vom Ende der englischen Herrschaft in Amerika. Der Quartering Act wird Folgen haben, bis zum heutigen Tag. Thomas Gage, der der Oberkommandierende der englischen Truppen in Amerika ist, wollte gerne erreichen, dass seine Truppen von den Amerikanern untergebracht und beköstigt werden. Das ist natürlich auch der Wunsch der Engländer. Warum sollen die Kolonien nicht dafür bezahlen, dass man sie beschützt?
Im French and Indian War - in dem ➱George Washington der Waffenbruder von Thomas Gage war - hat man das in den Kolonien ja noch eingesehen. Aber jetzt, wo Franzosen und Indianer besiegt sind, warum die Engländer durchfüttern? Thomas Gage ist eine tragische Figur. Er war auf einer berühmten Schule, er kann sich benehmen. Und er teilt nicht die Laster der englischen Offiziere, die da Trunk- und Spielsucht heißen. Da ist er ganz anders als der General ➱Charles Lee, der ihm einmal schrieb: I respected your understanding, lik'd your manners and perfectly ador'd the qualities of your heart. Mit einundzwanzig ist Gage Leutnant (war ich auch), und er ist mit der englischen Armee dort, wo man ihn braucht: in Flandern und in Culloden (zu der Schlacht gibt es ➱hier einen Post). Und ab 1755 für zwanzig Jahre in Amerika.
Wo er in dem völlig missglückten Feldzug des Generals Edward Braddock eben diesen jungen Mann aus Virginia kennenlernen wird. Nach dem Frieden von Paris 1763 möchte Gage nach England zurück, er sagt seinem Vorgesetzen Lord Amherst, er sei very much [tired] of this cursed Climate, and I must be bribed very high to stay here any longer. Wenig später, im Oktober 1763, wird er Amhersts Stellvertreter, als der nach England zurückgerufen wird. Lord Amherst wird nicht nach Amerika zurückkehren.
Als der Quartering Act verkündet wird, sieht Gage die politische Lage in den Kolonien ganz klar, vielleicht klarer als andere: It is to be feared in general, that the spirit of democracy is strong amongst them. The question is not of the inexpediency of the Stamp Act, or of the inability of the Colonys to pay the tax; but that it is unconstitutional and contrary to their rights Supporting the Independency of the province and not subject to the Legislative Power of Great Britain. Washington und Gage respektieren sich, es hätte eine Freundschaft daraus werden können. Aber wenn Gage zwanzig Jahre nach dem Quartering Act einen Brief an Washington mit I am, Sir, your most obedient humble servant beendet, dann meint er das nicht so. Da stehen sich die beiden als Feinde gegenüber, und Washington trägt nicht mehr die englische Uniform.
Thomas Gage mag die Amerikaner, schließlich hat er ja auch eine Frau aus den Kolonien geheiratet (hier ist Margaret Kemble auf einem Bild von David Martin aus dem Jahre 1775 zu sehen). Die kommt aus dem einflussreichen New Yorker Clan der Schuylers, ist aber auch mit den Van Cortlandts, Bayards, Van Rensselaers und deLanceys verwandt. Das ist sozusagen der amerikanische Uradel. Es heißt über sie: she was known as a belle in social circles throughout the middle colonies, die Offiziere des Generals werden sie the Duchess nennen. Thomas Gage kommt auch aus einer alten ➱Adelsfamilie, er selbst wird aber keinen Adelstitel tragen. Abgesehen davon, dass er natürlich The Honourable Thomas Gage ist, das steht dem Sohn eines Viscounts zu.
Gages Gattin hat große Sympathien für den Freiheitskampf, Gage verdächtigt sie, militärische Geheimnisse an die Revolutionäre zu verraten. Er schickt sie im Sommer 1775 nach England zurück. Sie segelt mit einem ➱Schiff, das Charming Nancy heißt und das voller Witwen und verwundeten englischen Soldaten ist. Ob sie wirklich daran Schuld ist, dass eines Tages ➱Paul Revere durch die Nacht reitet und The British are coming! ruft, das ist nie erwiesen worden. Die Historiker streiten immer noch darüber. Verschwörungstheorien sind immer eine schöne Sache. Einem Freund vertraute sie an: she hoped her husband would never be the instrument of sacrificing the lives of her countrymen. Und einer Freundin sagte sie, sie fühle sich wie Blanche in Shakespeares King John:
The sun's o'ercast with blood: fair day, adieu!
Which is the side that I must go withal?
I am with both: each army hath a hand;
And in their rage, I having hold of both,
They swirl asunder and dismember me.
Husband, I cannot pray that thou mayst win;
Uncle, I needs must pray that thou mayst lose;
Father, I may not wish the fortune thine;
Grandam, I will not wish thy fortunes thrive:
Whoever wins, on that side shall I lose
Assured loss before the match be play'd.
Es ist eine ungewöhnliche ➱Pose, in der John Singleton Copley Margaret Kemble gemalt hat. Er hatte gerade sein Studio in New York bezogen, in einem Haus in Broadway, on the west side, in a house which was burned in the great conflagration on the night the British army entered the city as enemies. Er wusste, dass dieses Bild Furore machen könnte. Er wollte Margaret Kemble zuerst so malen, wie Sir Godfrey Kneller ➱Lady Montagu gemalt hatte, weil er von dem Bild einen Stich besaß, gab diesen Plan aber glücklicherweise auf. Copley wird seinem Stiefbruder ➱Henry Pelham schreiben, dass der Maler ➱Matthew Pratt über das Bild sagte: It will be flesh and Blood these 200 years to come, that every Part and line in it is Butifull, that I must get my ideas from Heaven, that he cannot paint it.
Nach der Schlacht von Bunker Hill (die ➱hier einen Post hat) ist Thomas Gage dann auch wieder zu Hause. Denn wenn ein Oberkommandierender der englischen Regierung vorschlägt, dass sie die Intolerable Acts zurücknehmen soll, dann hört man das in London nicht so gerne. His idea of suspending the Acts seems to me the most absurd that can be suggested, wird der König an Lord North schreiben. Alle diese Maßnahmen, die sich hauptsächlich gegen die Einwohner von Massachusetts richten (wo Gage auch noch Gouverneur ist), spülen allerdings kein Geld in Englands Kassen. Die Kolonien sind sehr erfinderisch darin, Englands Anordnungen nicht zu befolgen.
Gage war damals nicht die erste Wahl von Lord North, man hätte lieber Monckton (hier auf einem Bild von Benjamin West) genommen, aber der wollte nicht. London sucht schon seit längerem nach einem Nachfolger für Gage, der bei einem Urlaub in England (durch den er die Boston Tea Party verpasste) den König zu überreden versuchte, mehr Truppen zu schicken. Nach der Unterredung schreibt der König seinem Premier Lord North: ... his language was very consonant to his Character of an honest determined Man; he says they will be Lyons, whilst we are Lambs but if we take the resolute part they will undoubtedly prove very meek. Schon vor seinem Aufenthalt in England hatte er der Regierung empfohlen:
If a determined resolution is taken to enforce at all events a due submission to that dependence on the parent state, to which all Colonies have been subjected, you can not act with too much vigor. Quash this spirit at a blow, without too much regard to the expense, and it will prove economy in the end. Doch den the spirit of democracy... amongst them kann man nicht unterdrücken. England wartet zu lange, bis es Truppen nach Amerika schickt. Dann kommen gleich drei englische Generalmajore: William Howe, Gentleman Johnny Burgoyne und ➱Henry Clinton. ➱Burgoyne (hier von ➱Joshua Reynolds gemalt) findet dafür die großsprecherische Bezeichnung: triumvirate of reputation, aber die Londoner Presse verhöhnt die Herren in Rot:
Behold the Cerberus the Atlantic plough,
Her precious cargo, Burgoyne, Clinton, Howe.
Bow, wow, wow!
Her precious cargo, Burgoyne, Clinton, Howe.
Bow, wow, wow!
Burgoyne, mehr ein Mann der Feder (und des Champagners) als des Schwertes - er wird noch als Theaterautor berühmt - verfasst als erstes eine Proklamation: Whereas the infatuated multitudes, who have long suffered themselves to be conduced by certain well known Incendiaries and Traitors in a fatal progression of crimes against the constitutional authority of the state, have at length proceeded to avowed rebellion; and the good effects which were expected to arise from the patience and leniency of the King’s government, have been frustrated, and are now rendered hopeless, by the influence of evil counsels; it only remains for those who are entrusted with supreme rule, as well for the punishment of the guilty, as the protection of the well affected, to prove they do not bear the sword in vain. Wenn ➱Horace Walpole ihn als Pomposo und Hurlothrumbo bezeichnet, dann wissen wir nach dieser Stilprobe weshalb. Walpole hat ein wunderbares Schludermaul. Wenn er Burgoyne, über den er sagt but he was a vain, very ambitious man, with a half-understanding that was worse than none einen Namen wie Julius Caesar Burgonius oder General Swagger gibt, dann spricht sich das herum.
Die ➱Proklamation, über die man in Amerika (und in England!) lacht, endet mit: I avail myself of the last effort within the bounds of my duty, to spare the effusion [of blood]; to offer, and I do hereby in his Majesty’s name, offer and promise, his most gracious pardon to all persons who shall forthwith lay down their arms, and return to the duties of peaceable subjects, excepting only from the benefit of such pardon, Samuel Adams and John Hancock, whose offenses are of too flagitious a nature to admit of any other consideration than that of condign punishment. Jeder wusste, dass Burgoyne das geschrieben hatte, es war nur etwas blöd von Thomas Gage, seinen Namen darunter zu setzten. Denn als Gouverneur von Massachusetts kannte er die Charter of Massachusetts, auf die Samuel Adams auf Copleys Bild hinweist. Die Krone hat den Kolonien einmal Rechte zugestanden, die sie jetzt verletzt.
Die drei neuen Generäle können sich nicht ausstehen, von ihrer reputation wird wenig übrig bleiben. Der Ehrenmann Gage, der nach seinen eigenen Worten zu einer mere military cipher geworden ist, segelt nach Hause. Und lässt sich (wie seine Gattin) von David Martin malen. Die beiden Portraits täuschen eine Gemeinsamkeit vor, die nicht mehr vorhanden ist. Die Ehe ist jetzt zerrüttet. Ich glaube, sie lässt ihn nicht wieder ins Bett. Sie hat ihm elf Kinder geboren, der älteste Sohn wird den Titel eines Viscounts Gage tragen. Gage wird noch vom Generalleutnant zum General befördert werden, aber an keinem Feldzug mehr teilnehmen. Margaret Kemble Gage, die neunzig Jahre alt wird, wird ihren Ehemann um sechsunddreißig Jahre überleben.
Mit der amerikanischen Revolution ist der Quartering Act zur Makulatur geworden. Jefferson hatte ihn in der ➱Declaration of Independence in der Liste der Klagen gegen den König erwähnt: He has combined with people others to subject us to a jurisdiction foreign to our constitution, and unacknowledged by our laws; giving his Assent to their Acts of pretended Legislation: For quartering large bodies of armed troops among us). Damit man so etwas nie wieder hat, schreibt man ihn als drittes amendment in die Verfassung: No Soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law. Es ist der Zusatzartikel, der von all den zehn Artikeln, die am 21. September 1789 verabscheidet wurden, die wenigsten juristischen Probleme bereitet hat.
Ganz im Gegensatz zu dem vorangehenden Zusatzartikel. Der im ersten Entwurf so lautet: A well regulated militia, composed of the body of the people, being the best security of a free state, the right of the people to keep and bear arms shall not be infringed; but no one religiously scrupulous of bearing arms shall be compelled to render military service in person. Es geht also um die Rechte der Miliz, Amerika hat im Gegensatz zu England kein stehendes Heer. Sie könnten jetzt den Post ➱Schnellfeuergewehre lesen, da steht noch mehr zu diesem Zusatzartikel der Verfassung. Das neueste Buch zu unseren englischen Generälen in Amerika ist Andrew Jackson O'Shaughnessys The Men Who Lost America: British Leadership, the American Revolution, and the Fate of the Empire, sehr empfehlenswert. Was allerdings der Ausschnitt von Copleys The Defeat of the Floating Batteries at Gibraltar, September 1782 auf dem Buch soll, das weiß ich nicht. Wenn Sie alles über Copleys Bild wissen wollen, dann lesen Sie den Post ➱Hoya.
Sonntag, 22. März 2015
Kartätschenprinz
Hier reitet der Preußenprinz noch gemütlich mit dem Maler Franz Krüger an einem wolkigen Tag aus. Man nennt Franz Krüger auch den Pferde Krüger, weil er so schön Pferde malen kann. ➱Karl Gutzkow hat Krüger als den Hofmaler Professor Lüders in seinen Roman Die Ritter vom Geiste hineingeschrieben, als einen Künstler, den die niedrigste Servilität zum Parade- und Uniformmaler gestempelt hatte. Das ist nicht sehr nett. Lesen Sie das nicht, lesen Sie lieber den Post ➱Franz Krüger. An diesem Tag im Jahre 1836 ist die Welt in Preußen noch in Ordnung, zwölf Jahre später sind die Wolken dunkler geworden. Da ist der Prinz, den seit Vater mit neun Jahren zum Leutnant gemacht hatte, schon Generalmajor. Und er bekommt von den Berlinern auch einen neuen Namen, er heißt nur noch der Kartätschenprinz.
Sein Ruf war eh nicht der beste. Im Nachlass von ➱Varnhagen von Ense finden sich die Sätze: Man fragte, warum alle unsre Prinzen, die Brüder des Königs nämlich, so verhaßt seien? Die Antwort war: „Seit zwanzig Jahren hört man von keinem irgend einen schönen Zug, weder der Großmuth noch der Güte, oder geistiger Kraft, sondern nur schmutzige Geschichten, Liederlichkeit, Geldgier, nur von engherzigen Aeußerungen, Stolz und Grobheit, übermüthigem Benehmen; wo soll da die Liebe, wo das Ansehn herkommen?" Ich bringe nicht so furchtbar viel Begeisterung für die Preußen auf. Was wohl daran liegt, dass ich einige von den Kindern von Louis Ferdinand kennengelernt habe (ich habe das schon in den Posts ➱Geburtstag und ➱Plagiat gesagt). Und so sehr ich Fontane liebe, manchmal ist mir seine Verehrung der Preußen etwas zu viel. Ich kann da unbedingt die Lektüre des Buches Gegen-Wanderungen: Streifzüge durch die Landschaft Fontanes von Hubertus Fischer empfehlen
An seinem einundfünfzigsten Geburtstag am 22. März 1848 wird der Preußenprinz aus Berlin fliehen, er reist unter dem Decknamen Herr Lehmann in Begleitung des Kaufmanns Oelrichs nach London. Der Bremer August Friedrich (von) Oelrichs ist natürlich kein Kaufmann (wie der Rest seiner Bremer Familie), er ist Major im Stab des Regiments Garde du Corps. Er wird noch Generalleutnant werden und eines Tages seine Erinnerungen an das Jahr 1848 aufschreiben. Man kann sie unter dem Titel Ein Bremer „rettet“ den Kaiser: Die Flucht des Prinzen Wilhelm im Jahre 1848 aus Berlin immer noch kaufen.
Als Wilhelm in London residiert, singen die Berliner Spottlieder wie:
Komme doch, komme doch
Prinz von Preußen
komme doch, komme doch
nach Berlin
wir woll´n dir mit
Steine schmeißen
und das Fell
über die Ohren ziehn
Schlächtermeister,
Prinz von Preußen
Komme doch, komme doch
nach Berlin
Wir woll´n dir
mit Steine schmeißen
und auf die
Barrikaden ziehn
Während sein Bruder über Hamburg nach London flieht, wird der preußische König Friedrich Wilhelm IV die Toten des Barrikadenaufstands ehren. So oft nun ein neuer Zug Särge vorbeikam, trat der König barhaupt heraus und blieb stehen, bis die Särge vorüber waren. Sein Kopf leuchtete von ferne wie ein weißer Flecken. Es mag wohl der fürchterlichste Tag seines Lebens gewesen sein, schreibt der Maler Adolph Menzel (der natürlich auch einen ➱Post hat). Sein Bild Aufbahrung der Märzgefallenen hängt heute in der Hamburger Kunsthalle.
Bisher hab' ich wohl gewußt, dass Du ein Schwätzer bist, aber nicht, dass Du eine Memme bist! Dir kann man mit Ehren nicht mehr dienen, soll er seinem Bruder in der Nacht zum 19. März gesagt haben. Da prallen zwei unterschiedliche Naturen aufeinander. Der eine ein Kommisskopp, der andere ein Romantiker auf dem Königsthron, der für seine Schwester einmal den romantischen Roman Die Königin von Borneo geschrieben hat. Der Historiker Frank-Lothar Kroll hat das Fragment 1997 bei der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung herausgegeben. Er sagt in seinem Nachwort: Insoweit erweist sich „Die Königin von Borneo“ als eine veritable Quelle zum Verständnis der komplexen Persönlichkeit des vielleicht merkwürdigsten Hohenzollernkönigs: eine kleine Facette nur, ein marginales Streiflicht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Sie können unterschiedlicher nicht sein, die Söhne der Königin Luise. Sie hat ihren Sohn Carl als das schönste ihrer Kinder bezeichnet. Der General der Infanterie Carl von Preußen, ein Kunstfreund, der ➱Schinkel für sich bauen lässt, wird 1848 nicht auf seine Landsleute schießen lassen. Er bleibt in Berlin und stellt sein Palais für Bürgerversammlungen zur Verfügung. Der Romantiker Friedrich Wilhelm setzt sich durch, er schickt den Bruder, der gerade seinen Säbel aufs Parkett geschmissen hat, nach England, um dem befreundeten englischen Hof Aufschluß und Aufkärung über die hiesigen Zustände und die hiesigen Ereignisse zu geben.
Wir haben viele ➱Berichte von den Straßenkämpfen. Ich zitiere einmal einen Zeitzeugen, der ein berühmter Schriftsteller geworden ist: Draußen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Straße wirkte wie gefegt, und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt wurden. In meinem Gemüt aber wurden plötzlich allerhand Balladen – und Geschichtsreminiszenzen lebendig, darunter dunkle Vorstellungen von der ungeheuren Macht des Sturmläutens; alles Große, soviel stand mir mit einem Male fest, war durch Sturmläuten eingeleitet worden. Ich lief also, ohne mich lange zu besinnen, auf die nur fünfzig Schritt von uns entfernte Georgenkirche zu, um da mit Sturmläuten zu beginnen. Natürlich war die Kirche zu – protestantische Kirchen sind immer zu –, aber das steigerte nur meinen Eifer und ließ mich Umschau halten nach einem Etwas, womit ich wohl die stark mit Eisen beschlagene, trotzdem aber etwas altersschwach aussehende Tür einrennen könnte.
Richtig, da stand ein Holzpfahl, einer von jener Art, wie man sie damals noch auf allen alten und abgelegenen Kirchplätzen fand, um, nachdem man eine Leine von Pfahl zu Pfahl gespannt, Wäsche daran zu trocknen. Ich machte mich also an den Pfahl und nahm auch zu meiner Freude wahr, daß er schief stand und schon stark wackelte; trotzdem – wie manchmal ein Backzahn, den man, weil er wackelt, auch leicht unterschätzt – wollte der Pfahl nicht heraus, und nachdem ich mich ein paar Minuten lang wie wahnsinnig mit ihm abgequält und sozusagen mein bestes Pulver – denn ich kam nachher nicht mehr zu rechter Kraft – an ihm verschossen hatte, mußt' ich es aufgeben. Mit meinem Debüt als Sturmläuter war ich also gescheitert, soviel stand fest. Aber ach, es folgten noch viele weitere Scheiterungen. Der junge Berliner Apotheker wird kein Held der Revolution. Und bis er ein berühmter Schriftsteller wird, ist es auch noch einige Zeit hin. Aber dreißig Jahre später schreibt er seinen ersten ➱Roman: Vor dem Sturm.
Als Wilhelm im Sommer 1848 wieder von seiner Flucht ins Exil (die nachträglich zu einer diplomatischen Mission umgedeutet wurde) nach Berlin zurückkehrt, hatte ihm sein Bruder schon das Kommando über das Regiment Garde du Corps entzogen, aber ein Jahr später darf er in der Pfalz und in ➱Baden wieder auf Deutsche schießen. Und wieder singt man Lieder gegen ihn (gesungen nach der Melodie des Liedes Sie sollen ihn nicht haben den freien deutschen Rhein):
Wir wollen ihn nicht haben
Den Schild der Despotie
Der für der Freiheit Gaben
Nie fühlte Sympathie
Der nur die Frucht vom Fleiße
Des armen Volks genießt
Und dann als erster Preuße
Dasselbe niederschießt
Seinen Gegnern in Baden bleibt (wie vielen demokratischen Revolutionären) nur die Emigration. Viele gehen nach Amerika. Wie Friedrich Hecker, der ➱hier schon einen Post hat. Oder ➱Franz Sigel und ➱Carl Schurz. Oder der nach dem Dresdner Maiaufstand zum Tode verurteilte Uhrmacher Karl Fasoldt, der sich in der neuen Welt ➱Charles Fasoldt nennt und die schönsten Taschenuhren des 19. Jahrhunderts bauen wird. Es ist ein gewaltiger brain drain, den Deutschland beklagen sollte. Aber Deutschland klagt nicht. Weil wir von Männern in Uniform, die auf einem Pferd sitzen, begeistert sind.
Wilhelm wird deutscher Kaiser werden, dann heißt er nicht mehr Lehmann oder Kartätschenprinz, dann ist er Wilhelm der Erste. Bismarck wäre nichts ohne ihn, und er wäre nichts ohne Bismarck. Es ist eine deutsche Männerfreundschaft. Dieses Jahr scheint ein Bismarck Jahr zu sein, aber das wird bei mir wohl nicht gefeiert. Da müssen Sie schon mit dem Post ➱Heringe vorliebnehmen. Wenn Wilhelm ganz oben angekommen ist, dann singt man natürlich keine Spottlieder mehr, dann singt man (leicht umgedichtet) das Lied, das der Flensburger Pfarrer ➱Heinrich Harries einst auf einen Dänenkönig geschrieben hat:
Heil dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil Kaiser, dir!
Und überall in Deutschland wird man Denkmäler für ihn bauen, mehr als tausend. Meistens sitzt er zu Pferd. Die Märzgefallenen bekommen keine Denkmäler, die haben einen Friedhof.
Lesen Sie auch den Post ➱Kaiser Wilhelm I bei MartininBroda
Und überall in Deutschland wird man Denkmäler für ihn bauen, mehr als tausend. Meistens sitzt er zu Pferd. Die Märzgefallenen bekommen keine Denkmäler, die haben einen Friedhof.
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Freitag, 20. März 2015
SoFi
Der nette Mann mit der Baskenmütze zwei Stockwerke über mir ist selten zu Hause. Das liegt daran, dass er in Frankreich arbeitet. Er ist Astronom am Observatoire de Strasbourg. Aber als ich ihn letztens sah, da fragte ich ihn, wie das denn mit der Sonnenfinsternis im März sei. Nichts Besonderes sagte er, aber es ist die letzte für lange Zeit, die man in Norddeutschland sehen kann. Und fügte noch an, dass man das Ganze am besten in Spitzbergen sehen könnte. Er hat mir auch eine Internetadresse zum Thema Sonnenfinsternis gegeben, die ich aber leider gleich vergessen habe. Sonne, Mond und Sterne und alle himmlischen Bewegungen sind nicht so mein Ding, aber ich glaube, es war diese ➱Seite, die er meinte.
Mein schöner alter Movado Celestograf (der schon in dem Post ➱Vollmond erwähnt wurde) sieht so aus wie dieser. Hat aber rote Zeiger und hat dann natürlich auch ein rotes Armband, was hervoragend zum dem Rotgold Gehäuse passt. Er zeigt mir den Mond an, nicht die Sonne. Eine Sonnenfinsternis schon gar nicht. Es gibt allerdings Uhren, die die Sonne anzeigen, aber für die ist die Sonnenfinsternis sehr schlecht. Ich meine damit die Sonnenuhren. Immer vor einer Sonnenfinsternis melden sich Panikmacher zu Wort. Da wird dann wieder die Apostelgeschichte zitiert: die Sonne soll sich verkehren in Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des Herrn kommt.
Wie ich unser Wetter kenne, wird der Himmel voller Wolken sein, und es wird regnen. Hoffentlich keine Frösche. Hier oben an der Ostsee ist gerade Nebelsuppe. In Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court sagt unser Yankee auf dem Scheiterhaufen, dass er die Sonne verdunkeln wird. Damit beeindruckt er den Hof von Camelot und ist ein größerer Zauberer als Merlin. Mark Twain hat diese Szene übrigens bei Sir Rider Haggard geklaut (lesen Sie ➱hier mehr). Heute braucht man kein Zauberer zu sein, um eine Sonnenfinsternis vorauszusagen. Spätestens, seit Christian Ludwig Gerling seine ➱Doktorarbeit Methodi projectionis orthographicae usum ad calculos parallacticos facilitandos. Explicavit simulque eclipsin solarem in Göttingen eingereicht hat, kann das die Wissenschaft.
Mein schöner alter Movado Celestograf (der schon in dem Post ➱Vollmond erwähnt wurde) sieht so aus wie dieser. Hat aber rote Zeiger und hat dann natürlich auch ein rotes Armband, was hervoragend zum dem Rotgold Gehäuse passt. Er zeigt mir den Mond an, nicht die Sonne. Eine Sonnenfinsternis schon gar nicht. Es gibt allerdings Uhren, die die Sonne anzeigen, aber für die ist die Sonnenfinsternis sehr schlecht. Ich meine damit die Sonnenuhren. Immer vor einer Sonnenfinsternis melden sich Panikmacher zu Wort. Da wird dann wieder die Apostelgeschichte zitiert: die Sonne soll sich verkehren in Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des Herrn kommt.
Wie ich unser Wetter kenne, wird der Himmel voller Wolken sein, und es wird regnen. Hoffentlich keine Frösche. Hier oben an der Ostsee ist gerade Nebelsuppe. In Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court sagt unser Yankee auf dem Scheiterhaufen, dass er die Sonne verdunkeln wird. Damit beeindruckt er den Hof von Camelot und ist ein größerer Zauberer als Merlin. Mark Twain hat diese Szene übrigens bei Sir Rider Haggard geklaut (lesen Sie ➱hier mehr). Heute braucht man kein Zauberer zu sein, um eine Sonnenfinsternis vorauszusagen. Spätestens, seit Christian Ludwig Gerling seine ➱Doktorarbeit Methodi projectionis orthographicae usum ad calculos parallacticos facilitandos. Explicavit simulque eclipsin solarem in Göttingen eingereicht hat, kann das die Wissenschaft.
Aber wie wäre es, wenn es ganz dunkel bliebe? Im Jahre 1617 ließ der Universalgelehrte Robert Fludd in sein Buch Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atque technica historia diese Seite drucken. Et sic in infinitum steht dabei. Ist das der Beginn der modernen ➱Kunst? Zitiert Laurence Sterne das in seinem ➱Roman Tristram Shandy, wenn er (beim Tod von Yorick) eine schwarze ➱Seite in den Roman druckt? So sieht also die Unendlichkeit aus. Wir wissen nicht so viel über die Unendlichkeit. Albert Einstein hat uns versichert: Two things are infinite: the universe and human stupidity; and I'm not sure about the the universe.
Wir staunen immer wieder über die Erscheinungen am Himmel, so wie Burt Lancaster in Local Hero (wir staunen natürlich auch darüber, wie ➱Chris Menges diese Telephonzelle photographiert hat). Vorgestern brauchte man nicht nach Schottland, um das Polarlicht zu sehen, das gab es überall zu sehen.
Mir gefällt der Sternenregen im August (der Höhepunkt der Tätigkeit der Perseiden wird in diesem Jahr voraussichtlich in der Nacht des 12. August liegen, merken Sie sich das schon einmal vor), aber ich käme nicht auf die Idee, wie ➱Immanuel Kant zu sagen: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz.
Mir gefällt der Sternenregen im August (der Höhepunkt der Tätigkeit der Perseiden wird in diesem Jahr voraussichtlich in der Nacht des 12. August liegen, merken Sie sich das schon einmal vor), aber ich käme nicht auf die Idee, wie ➱Immanuel Kant zu sagen: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz.
Mir gefällt da der Kunsthistoriker Erwin Panofsky besser, der in Princeton nach einem Abend voller hitziger Diskussion mit Ernst Kantorowicz über des Menschen eingeborenen Sinn für das Erhabene nicht so recht begeistert war. Kantorowicz hatte ihm zum Abschied gesagt: Wenn ich zu den Sternen aufblicke, empfinde ich meine eigene Sinnlosigkeit. Worauf Panofsky antwortete: Alles was ich empfinde, ist die Sinnlosigkeit der Sterne.
Am 23. Juni 1797 schreibt Friedrich Schiller aus Jena an Goethe: Ihr Entschluß an den Faust zu gehen ist mir in der That überraschend, besonders jetzt, da Sie sich zu einer Reise nach Italien gürten. Aber ich hab’ es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu messen, und bin also im Voraus überzeugt, daß Ihr Genius sich vollkommen gut aus der Sache ziehen wird. Einen Tag später (die Post ist schnell in jenen Tagen) antwortet ihm Goethe aus Weimar: Dank für Ihre ersten Worte über den wieder auflebenden Faust. Wir werden wohl in der Ansicht dieses Werkes nicht variiren, doch giebt’s gleich einen ganz andern Muth zur Arbeit, wenn man seine Gedanken und Vorsätze auch von außen bezeichnet sieht, und Ihre Theilnahme ist in mehr als Einem Sinne fruchtbar.
Der 24. Juni ist in Weimar ein Tag mit trübem, bedecktem Himmel. Da ist unser Goethe also wieder dabei, an seinem Faust zu schreiben. Und er schreibt an einem Tag diese autobiographische Zueignung:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Warum erzähle ich das? Weil der 24. Juni des Jahres 1797 ein ganz besonderer Tag war, da war nämlich Sonnenfinsternis. Da nahen sich dann auch schon einmal wieder diese schwankende Gestalten... aus Dunst und Nebel der Vergangenheit. Er vergisst es aber nicht, die Sonnenfinsternis (über die er leider kein weiteres Wort verliert) in sein Tagebuch einzutragen: Zueignung an Faust. Mit Geh. Rath Schmidt im Schlosse. Nachmittag weiter an Faust. Sonnenfinsterniß.
Lesen Sie auch: ➱Vollmond, ➱Himmel, ➱Adam Elsheimer, ➱Observatorium, ➱Abschiedsgeschenk, ➱Die Harmonie der Welt, ➱Vulkane, ➱Zeiss.Am 23. Juni 1797 schreibt Friedrich Schiller aus Jena an Goethe: Ihr Entschluß an den Faust zu gehen ist mir in der That überraschend, besonders jetzt, da Sie sich zu einer Reise nach Italien gürten. Aber ich hab’ es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu messen, und bin also im Voraus überzeugt, daß Ihr Genius sich vollkommen gut aus der Sache ziehen wird. Einen Tag später (die Post ist schnell in jenen Tagen) antwortet ihm Goethe aus Weimar: Dank für Ihre ersten Worte über den wieder auflebenden Faust. Wir werden wohl in der Ansicht dieses Werkes nicht variiren, doch giebt’s gleich einen ganz andern Muth zur Arbeit, wenn man seine Gedanken und Vorsätze auch von außen bezeichnet sieht, und Ihre Theilnahme ist in mehr als Einem Sinne fruchtbar.
Der 24. Juni ist in Weimar ein Tag mit trübem, bedecktem Himmel. Da ist unser Goethe also wieder dabei, an seinem Faust zu schreiben. Und er schreibt an einem Tag diese autobiographische Zueignung:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Warum erzähle ich das? Weil der 24. Juni des Jahres 1797 ein ganz besonderer Tag war, da war nämlich Sonnenfinsternis. Da nahen sich dann auch schon einmal wieder diese schwankende Gestalten... aus Dunst und Nebel der Vergangenheit. Er vergisst es aber nicht, die Sonnenfinsternis (über die er leider kein weiteres Wort verliert) in sein Tagebuch einzutragen: Zueignung an Faust. Mit Geh. Rath Schmidt im Schlosse. Nachmittag weiter an Faust. Sonnenfinsterniß.
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