Samstag, 31. Mai 2014

Sir John Henry von Schroder


Die Zahl der Deutschen ist so enorm groß, daß man mitunter auf heimathlichem Boden zu sein glaubt und sich wundert, daß nicht auch die Schilder der Kaufläden deutsche Inschriften tragen. Fast nur die Kinder und die Constabler, allenfalls auch noch die Kutscher sprechen englisch; wogegen man jeden Kellner, jeden Commis, jeden Handwerker - namentlich bestimmte Professionen - und jeden Menschen mit unrasirtem Kinn (dies ist das Hauptkennzeichen) deutsch anreden und einer deutschen Antwort gewiß sein kann. Die City ist eine deutsche Handelsstadt wie Hamburg oder Bremen, die eine Hälfte ist deutsch, die andere spricht es wenigstensWer heut zu Tage ein gereister Mann sein will, muß in China Thee getrunken und ächte Nanking-Hosen getragen haben; muß in Australien Goldbuddler und in Califomien ausführendes Mitglied der Lynchjustiz gewesen sein; muß die Größenunterschiede eines Patagoniers und Lappländers aus Anschauung kennen und die Guano-Inseln im stillen Ocean durch einen tüchtigen Beitrag bereichert haben. Wer weniger gesehn hat, kann gleich lieber ruhig zu Hause bleiben und wenn mal renommiert werden soll, sich umgekehrt damit brüsten: nie über Rixdorf hinausgekommen zu sein.

Das schreibt Theodor Fontane in London in sein Tagebuch. Das Bild Londons sieht heute wohl anders aus. Die gelben Nanking Hosen (die noch in Büchners Leonce und Lena auftauchen) werden nicht mehr getragen. Und deutsch spricht man da auch nicht mehr.

Aber wir müssen für einen Augenblick in Fontanes Zeit zurück, als Bremer und Hamburger Handelsherren in London ein Vermögen machten. Wie dieser Sir John Henry Schroder aus Hamburg, den die Königin Victoria zum Baronet ernannt hat. Den Titel eines preußischen Freiherrn hat er auch noch. John Henry Schroder hat eine Bank in London, die sein Vater Johann Heinrich Schröder (Bild) gegründet hatte. Es ist nicht die einzige deutsche Bank in London. Seit den Tagen der Hanse, als die Kaufleute ihren Stalhof hatten, hat es immer wieder deutsche Kaufleute und Bankiers in London gegeben. Die Barings aus Bremen kamen schon im 18. Jahrhundert, die haben seit dem Bankenskandal heute einen schlechten Ruf, deshalb lassen wir die mal weg. Aber angesichts der deutschen Invasion von London verdient es festgehalten zu werden, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Kapital, über das ein Deutscher im British Museum schreibt, fest in der Hand von deutschen merchant bankers und Privatbankiers ist: Baring, Frédéric Erlanger, Frühling & Göschen, Frederik Huth, Rothschild und John Henry von Schroder.

Johann Heinrich Schröder (später von Schröder) ist in Hamburg kein Unbekannter, er hatte im 19. Jahrhundert das Schröderstift für Personen höheren Standes, die dessen bedürfen und unverschuldet in Not geratene Frauen gegründet. Hat ihn eine Million Banko gekostet. Geld ist offensichtlich genügend da. Dies hier ist nicht das von Christian Frederik Hansen gebaute Wohnhaus an der Elbchaussee (das leider abgerissen wurde), dies ist nur ein ein Stallgebäude. Und ein Schloss in Meck-Pomm besitzt man auch noch, aber Groß Schwanensee und das Haus in Othmarschen sind nur für den Sommer. Eigentlich wohnt man in den Großen Bleichen. Der Handel mit Zucker, Baumwolle, Kaffee und Indigo und Bank in London (und die Zweigstelle in Liverpool) bringen das Geld herein, das überläßt er seinem Sohn. Er widmet sich der Familie und den guten Werken. Er wird beinahe hundert Jahre alt werden.

Die englische Königin hat seinen Sohn nicht nur zum Baronet gemacht, sie hat ihm auch den Royal Victorian Order verliehen. Den bekommt nicht jeder, da muss man schon dem britischen Monarchen persönlich gedient haben. Aber das stand schon in der Begründung für die baronetcy, sie sei verliehen as a mark of personal friendship and esteem, and for the help he had given to the household on matters of finance and accounting. Ein Satz, den Bankiers wie Kopper, Breuer oder Nonnenmacher nie hören werden. Schröder hat neben dem Preußischen Kronenorden und dem RVC noch einen Orden, der ihm viel mehr bedeutet als die anderen. Und das ist die Victoria Medal of Honour der Royal Horticultural Society. Er züchtet Orchideen und gewinnt alle Wettbewerbe. Eine südamerikanische Cattleya Art wird zu Ehren seiner Gattin von Heinrich Gustav Reichenbach als Cattleya schroederae benannt.

Schröder erwirbt für sich und seine Frau ein Haus außerhalb Londons, das The Dell heißt. Das Haus aus der Zeit Shakespeares wurde von ihm zu einem repräsentativen Landsitz ausgebaut, architektonisch gibt es in dieser Zeit Schlimmeres. Aber auch Schöneres, wenn man an die Arts & Crafts Bewegung und Architekten wie Charles Voysey denkt. Der Landsitz war bis in die 1980er Jahre in Familienbesitz. Heute ist The Dell ein Hotel, das Savill Court Hotel heißt und einer Hotelkette namens Macdonald gehört. Das Haus seines Vaters (Große Bleichen 21), das einst der Bekannte von Goethe Johann August Arens gebaut hatte, ist heute auch ein Hotel. Die Bank, die Sir John Henry Schroder reich machte, gibt es immer noch.

Die Schröders tun gute Werke, wie so viele Kapitalisten des 19. Jahrhunderts. Der Baronet of The Dell baut kurz vor seinem Tod für die deutsche Gemeinde in London diese Kirche in Knightsbridge. Er finanziert nicht nur eine Kirche in London, er unterstützt auch das Deutsche Hospital in Hackney und stiftet 1909 einen nach ihm benannte Professur an der Universität Cambridge. Die hat zur Zeit Nicholas Boyle inne, von dem wir hoffen, dass er endlich den dritten Band seiner Goethe Biographie fertigstellt. Das alles ist schön und gut, aber es würde mich nicht weiter interessieren (auch seine riesige Sammlung von Gold- und Silberschmiedearbeiten interessiert mich nicht so sehr), wenn dieser Londoner Hamburger nicht noch andere Interessen hätte. Ich kenne ihn sonst nur aus den Briefen von Lichtwark. Und weil ich 1984 in der Ausstellung Ein Hamburger sammelt in London in der Hamburger Kunsthalle war.

Wenn ich ehrlich sein soll: es war furchtbar. Der Mann hat viel Geld aber keinen Geschmack. Und mit dem Wort Geschmack sind wir schon mittendrin im Thema. In einem Nachruf auf den stellvertretenden Direktor der Hamburger Kunsthalle Helmut R. Leppien, der damals die Ausstellung gemacht hatte, schrieb Peter-Klaus Schuster: Zugleich aber, und je länger er an der Hamburger Kunsthalle als stellvertretender Direktor diente, desto mehr respektierte Leppien die hohe Weisheit jener Maxime Alfred Lichtwarks: 

„Aber ein Museum hat es ja zum Glück nicht mit dem Tagesgeschmack zu tun." Beim Gang durch die von ihm eingerichtete Ausstellung der Freiherr J. H. von Schröder-Stiftung mit bürgerlicher und zumeist englischer Kunst aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die komplett der Hamburger Kunsthalle gestiftet wurde, räsoniert Leppien mit Demut vor dem Ewigkeitsatem des Museums, der alle unsere noch so gut gemeinten Anstrengungen relativiert: 

„Können wir mit dem Freiherrn von Schröder rechten, dass er ein Kind seiner Zeit war, dass er die glänzenden Virtuosen mehr als die Außenseiter schätzte, die oft der Kunst seiner Zeit neue Wege öffneten? Ist es sinnvoll oder müßig festzustellen, dass sich in seiner Sammlung keine Bilder von Courbet oder von Manet befinden? Zumindest müsste man hinzufügen, dass er auch keine Bilder von Frederick Leighton und Adolphe William Bouguereau - Halbgötter seiner Zeit - besessen hat." Und hoffte zugleich nicht ohne Bescheidenheit, „dass das, was wir heute an Kunstwerken unserer Zeit erwerben, dermaleinst mit Anstand bestehen wird. Wir sammeln, was uns von der heutigen Kunst als wesentlich erscheint. Dabei haben wir Lichtwark im Ohr: ‚Aber wir können ja keinen Wechsel auf die Zukunft ausstellen'." 

Die drei Bilder, die ich in den Text oben eingefügt habe, sind Bilder aus der Sammlung von 63 Bildern, die der Londoner Millionär seiner Vaterstadt Hamburg geschenkt hat. Hier ist noch eins davon, ein Alma Tadema, ein Maler, den Schröder persönlich kannte und schätzte. Auch Hubert von Herkomer, der ihn und seine Gattin portraitierte, zählte zu seinem Bekanntenkreis. Die drei letzten Abbildungen passen in ein Schema, irritierend bleibt die Frage: warum hat er den Corot gekauft? Ary Scheffers Francesca und Paolo im Wirbelsturm (oben) läßt sich vielleicht noch rechtfertigen, weil der Louvre und die Wallace Collection auch eine Version des Bildes besitzen.

Im Jahre 1910, kurz vor dem Tod von Schröder, besichtigt Alfred Lichtwark die Sammlung und schreibt an die Kommission der Hamburger Kunsthalle: Gestern Abend habe ich die Sammlung gesehen. Ich bin erstaunt, wie viele ausgezeichnete Dinge sie enthält, die zugleich unsere Sammlungen aufs erfreulichliste ergänzen. Fügt aber dieser Begeisterung gleich ein einschränkendes Englische Künstler fehlen freilich ganz. Auch die Turner und Gainsborough oder Constable, von denen gesprochen wurde hinzu. Wenn man schottische Schafe mag, dann ist dieser Weidewechsel von Rosa Bonheur aus dem Jahre 1863 sicherlich sehr hübsch.

Aber Lichtwark weiß auch, dass es bessere Gemälde gibt. Jérômes Gebet in Kairo kommt für ihn nicht gegen die Meissoniers auf, von denen Schröder allein sechs besitzt. Er schließt seinen Brief mit den Sätzen: Das Ganze ist eine wirkliche Bereicherung unseres Museums, wenn auch der Geschmack sich von einigen der Hauptmeister gegenwärtig abgewandt hat oder ihnen doch kühler
gegenübersteht. Aber ein Museum hat es ja zum Glück nicht mit dem Tagesgeschmack zu tun. Wenn wir aussondern - es ist nicht viel - was der Sammlung als Ganzes nicht bekommt, bleibt immer noch ein stolzer Kern.

Man hat Bilder ausgesondert, manche auch verkauft. Man hat auch manche der von Lichtwark geschätzten Meissoniera ins Magazin verbannt, aber Ernest Meissoniers Portrait des Sergeanten hat man nie in den Keller getan. Es ist immer noch ein Prunkstück der Kunsthalle. Die Impressionisten haben Meissonier verspottet, aber er hatte seine große Zeit. Er war Salonmaler, Genremaler, Schlachtenmaler. Er hat Napoleon III nach Solferino begleitet und war 1870 als Oberst der Nationalgarde bei der Verteidigung von Paris dabei. Ernst Fischer hat über die Schlachtenbilder den köstlichen Satz gesagt: Ernest Meissonier, dessen elegante Schlachtenbilder so aussahen, als habe Venus den Mars frisiert. 1867 hatte Meissonier Adolph Menzel kennengelernt, erstaunlicherweise schätzten sich die beiden Herren.

Der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach hat vor wenigen Jahren in der Hamburger Kunsthalle (im Rahmen einer Vortragsreihe, in der Schriftsteller über ihre Lieblingsbilder reden konnten) einen Vortrag über das Bild gehalten. Ich nehme einmal an, dass er da das gleiche gesagt hat, was in seinem Buch Als das Reisen noch geholfen hat: Von Büchern und Orten steht. Die einzelnen Beiträge der Vortragsreihe, in der Schriftsteller über ihre Lieblingsbilder reden konnten, gibt es inzwischen unter dem Titel Erstaunliche Einsichten: Schriftsteller über Bilder in der Hamburger Kunsthalle auch als Buch.

Die Leser, die meinen Blog regelmäßig lesen, wissen, dass ich die Bilder (die beinahe alle aus den 1850er und 1860er Jahren stammen) aus der Sammlung des Baronets nicht in mein imaginäres Museum aufnehmen würde. Im Jahre 1863, dem gleichen Jahr, in dem Rosa Bonheur ihre Schafe malt, stellt Alexandre Cabanel diese marzipanschweinchenrosa Venus aus.

Man nimmt an, dass das Bild Manet dazu bewegt hat, sein Déjeuner sur l’herbe zu malen (also mal abgesehen von der nett kopierten Gruppe aus Raffaels Urteil des Paris). Das Bild hieß ursprünglich Le bain, aber eigentlich hatte Manet es La Partie carée nennen wollen. Was, wie Liebhaber des französischen Pornofilms wissen, so etwas wie Der flotte Vierer heißt. Das Publikum fand das Bild pornographisch. Aber Manet hatte es ja auch darauf angelegt, wie Antonin Proust berichtet: Frauen badeten, Manet blickte gebannt auf das Fleisch derjenigen, die aus dem Wasser stiegen. ‚Es scheint‘, sagte er zu mir, ‚dass ich einen Akt malen muss. Nun, ich werde ihnen einen Akt machen. Man wird mich verreißen. Soll man sagen, was man will! Der Pariser Salon lehnte das Bild ab, es landete im Salon des Refusés. Ist dort auch in besserer Gesellschaft.

Das Bild von Manet hätte Schröder nie gekauft. Was hätte da sein Nachbar Prinz Christian von Schleswig-Holstein von ihm gedacht? Aber ist Cabanels Venus oder Jérômes Phryne vor dem Areopag (die Schröder besaß) weniger pornographisch? Leppiens Frage Können wir mit dem Freiherrn von Schröder rechten, dass er ein Kind seiner Zeit war, dass er die glänzenden Virtuosen mehr als die Außenseiter schätzte, die oft der Kunst seiner Zeit neue Wege öffneten? Ist es sinnvoll oder müßig festzustellen, dass sich in seiner Sammlung keine Bilder von Courbet oder von Manet befinden? können wir nicht beantworten.

Lichtwark sagte den Mitgliedern für die Kommission der Verwaltung der Hamburger Kunsthalle: Aber ein Museum hat es ja zum Glück nicht mit dem Tagesgeschmack zu tun. Er muss ihnen die Schenkung mundgerecht machen, deshalb redet er die Bilder schön. Wenn er nicht als Beschenkter, sondern als Einkäufer in England wäre, würde er die dreiundsechzig Bilder wohl nicht mitgenommen haben. Diesen Achenbach hätte er allerdings bestimmt genommen. Ich auch.

Aber wir können ja keinen Wechsel auf die Zukunft ausstellen, der Satz Lichtwarks läßt manche Museumsdirektoren schlecht schlafen. Haben sie das Richtige gekauft? Wir wollen keine Hochrechnungen anstellen, was man in hundertfünfzig Jahren zu heute gepriesenen Künstlern sagen wird. Wahrscheinlich wird man über Neo Rauch ähnlich spotten, wie wir das heute über Ludwig Knaus' Leierkastenmann tun. Kaufen Sie lieber keine Neo Rauchs, kaufen Sie die Maler, die Jay empfiehlt! Wenn Sie oben auf der Seite ➱nixwiekunst anklicken, kommen Sie in einen Blog, in dem Sie alle Kunstartikel aus diesem Blog gebündelt finden. Suchen Sie sich in Ruhe ihre Lieblingskunst aus.

Lesen Sie auch: William Etty, Aktmalerei und Spätrömische Dekadenz.

Mittwoch, 28. Mai 2014

Kunsthalle Bremen


Neben den Kunstbänden meines Opas ist die Bremer Kunsthalle meine Schule des Sehens gewesen. Ich würde allerdings nicht so weit gehen zu sagen: Hier wachsen Menschen, hier in diesem Haus wird mancher sehend für ein ganzes Leben, der sich als Blinder durchs Gedränge wand; und hier ist Kirche, hier wird Gott gegeben, und wo Du stehst, da ist geweihtes Land! Das dichtet Rilke in seinem Prolog zur Einweihung der Kunsthalle am 15. Februar 1902. Rilke ist kein Bremer, er muss so übertreiben. Er passte da auch nicht wirklich hin.

Schreibt auf jeden Fall die Gattin des Kunsthallendirektors Gustav Pauli: Es mag vielleicht verwundern, dass Rainer Maria Rilke aus dem nahen Worpswede nicht mit in unsern Kreis trat. Er hatte zur Eröffnung der Kunsthalle den Weihespruch voll schöner Gedanken geschrieben, er war mehrmals bei uns zuhause in der Parkallee zu Gast gewesen, damals noch mit seiner Frau Clara [...]. Nein, Rilke, so sehr wir ihn damals schon verehrten und von seinem Genie überzeugt waren, hätte in unsere Leseabende nicht gepasst. Wir kennen Magdalena Pauli besser unter ihrem Künstlernamen Marga Berck, denn wir Bremer haben natürlich alle Sommer in Lesmona gelesen (und in diesem Blog gibt es dazu natürlich auch einen ➱Post).

Der Ehemann der Autorin soll selbstverständlich hier auch ein Bild bekommen (es ist ein Ausschnitt aus dem Bild von Max Slevogt). Die Bremer Kunsthalle gehörte früher als fester Bestandteil zu meinem Leben. In dem Augenblick, in dem ich mit Bahn oder ➱Trolleybus allein nach Bremen fahren durfte, war ich in der Kunsthalle. Allein, oder mit ➱Peter (der wie ich Kunstgeschichte studieren würde) oder Uwe (der Kunstprofessor werden würde). Später mit Freundinnen, denen ich mit Kennermiene all die schlauen Sachen erzählte, die ich von Peter oder Uwe hatte. In diesen Dingen bin ich gut.

Noch später habe ich im Kupferstichkabinett ein Volontariat gemacht. Und dabei immer gehofft, dass mich Günter Busch, den ich mit Uwe bei Vorträgen so häufig geärgert hatte, nicht wiedererkennt. Denn der Direktor der Kunsthalle, immer korrekt mit grauem Anzug, weißem Hemd und silbergrauen Schlips, war für uns damals ein Reizobjekt. Ich habe ihn schon mehrfach im Blog erwähnt, aber nie wirklich etwas Böses gegen ihn gesagt. Kann und will ich auch nicht tun, er hat die Kunsthalle beinahe vierzig Jahre lang souverän geleitet. Den Arm der Seine bei Chatou von Maurice de Vlaminck, den Busch 1949 kaufte, bilde ich hier deshalb ab, weil ich ihn mehrfach in Öl kopiert habe. Ist nicht so schwer.

Für die dreißig Jahre nach Günter Busch brauchte man drei Direktoren. Deren Konterfeis sind alle im Internet, wie das des jetzigen Direktors Christoph Grunenberg, der hier in schöner Pose auftritt, selbstbewußt und ein wenig abwartend. Was wird die Zukunft für die Kunsthalle bringen? Wird man ihm so viel Geld bewilligen wie bei der Tate in Liverpool? Noch mehr Photos im Internet als Grunenberg hat Wulf Herzogenrath (der meistens eine Schleife trug, was früher viele Kunsthistoriker taten), und der nicht davor zurückschreckte, sich mit Yoko Ono ablichten zu lassen.

Von Günter Busch gibt es im Internet kein Bild. Als der Sohn eines Bremer Wollkaufmanns ein junger Student der Kunstgeschichte war (er wollte eigentlich Kunstlehrer werden), hatte ihm der Kunsthallendirektor Emil Waldmann geraten: Wissen Sie, in diesem Beruf darf man nicht zu klug sein wollen - ja, besser ist man ein bißchen dumm! 1945 holte Waldmann den 27-jährigen als Kustos an die Kunsthalle. Er wurde der Nachfolger von Wilken von Alten, der 1944 bei einem Bombenangriff umgekommenen war.

Als kommissarischen Direktor ernannte die Militärregierung Rudolf Alexander Schröder (dessen Schwestern einst in dem ➱Festspiel, in dem Rilkes Verse deklamiert wurden, mitgespielt hatten), man hatte ihn auch wegen seines diplomatischen Geschicks gewählt. Wie der Senator Hermann Apelt sagte: Schröder ist der Regenschirm für Busch bei schlechtem amerikanischem Wetter. 1950 legte Schröder sein Amt  nieder und wurde zum Ehrenvorsitzer des Kunstvereins gewählt. Günter Busch wurde Direktor, er blieb es bis 1985. Er war nach Gustav Pauli und Emil Waldmann der dritte Bremer in diesem Amt.

Das ist einmalig, dass eine Stadt für beinahe ein Jahrhundert Söhne der Vaterstadt als Direktoren eines Kunstmuseums hat. Buschs großes Verdienst ist es, dass er die Kunsthalle nach den schweren Verlusten des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut hat. An seinem fünfzigsten Geburtstag im März 1967 ehrte ihn die Hansestadt mit der Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft. Dies ist ein Selbstportrait des Malers Rudolf Tewes, er auch zum Kreis von Marga Bercks Goldener Wolke gehörte. Er wird eines Tages den Direktor Emil Waldmann portraitieren (der als erster Bilder von ihm für die Kunsthalle erworben hatte).

Günter Busch war ein seriöser Kunsthistoriker, aber er machte auch Fehler. Dass der Jan Lievens, den der Bankier Johann H. Harjes (dessen Bank am Place Vendôme John Pierpont Morgan eines Tages kaufen wird) 1911 der Kunsthalle geschenkt hatte, kein Rembrandt war, das hat er nie wahrhaben wollen (ich habe das schon in dem Post ➱Rembrandt erwähnt). Zu seiner Zeit gab es dieses Schild nicht, da war hier ein goldfarbenes Messingtäfelchen, auf dem Rembrandt stand.

Mit Rembrandt hat er kein Glück. Denn der 1959 dank einer Sonderzuwendung der Freien Hansestadt Bremen gekaufte Rembrandt ist wohl auch nicht echt. Wird heute in dem Katalog der Gemälde der Kunsthalle, den Corinna Höper 1990 erstellte, als Umkreis des Rembrandt bezeichnet. Ich fand ihn damals toll, der junge Herr sieht ja auch sehr elegant aus. Aber Peter hatte schon Anfang der sechziger Jahre seine Zweifel. Das Gutachten, auf das man sich beim Kauf stützte, kam von Kurt Bauch, und dessen Ruf als die Rembrandt Kapazität war in den fünfziger Jahren im Schwinden begriffen. Seine NSDAP Zugehörigkeit kam ans Licht, und eine Vielzahl von Gefälligkeitsgutachten kratzte seinen Ruf an. Dennoch könnte es einen Rest von echtem Rembrandt geben. So glaubt Werner Sumowski, Autor des Standardwerks über die Rembrandtschüler, dass unter der Vielzahl der Übermalungen bei diesem Bild vielleicht doch die Ruine eines echten Rembrandts liegt. Es ist mir ehrlich gesagt egal, mir gefällt das Bild. Ich würde es auch nehmen, wenn die es mal nicht mehr haben wollen.

Als Busch 1984 das 634-seitige Buch Die Kunsthalle Bremen in vier Jahrzehnten:  Eine hanseatische Bürgerinitiative von 1945 - 1984 veröffentlichte, nahm man ihm das übel, weil es wenig an hanseatischer Zurückhaltung zeigte. Er hätte auch Norman Mailers Titel Advertisement for Myself draufschreiben können. Damals war man es noch nicht gewöhnt, dass Kunsthallendirektoren Selbstdarsteller sind, in Bremen auf jeden Fall nicht. Zu dem Unmut, der sich in den Jahren häufte, kamen zweifelhafte Finanzierungen von Ankäufen, die einmal in einem Untersuchungsausschuss des Senats gipfelten. Wenn es ums Geld geht, ist man in der Hansestadt sehr empfindlich.

Man muss natürlich dazu sagen, dass die Bremer Kultursenatoren der Kunsthalle nicht immer unbedingt wohlgesonnen waren. Wir haben zur Zeit in Schleswig-Holstein auch ein seltsames Exemplar der Gattung Kultusminister (der Post ➱Wende zählt im Augenblick zu meinen Bestsellern), aber in Bremen gab es schon eine erstaunliche Menagerie. Vom Schlosser ➱Willy Dehnkamp bis zum Werder Manager Willy Lemke. Mittendrin Moritz Thape, der die Ära von ➱Kurt Hübner beendet.

Davon abgesehen gab es für Busch natürlich große Erfolge. Ein unfreiwilliger Erfolg war sein Auftritt als Sachverständiger in einem der skandalösesten Prozesse, den die Bremer Justiz geführt hat, Loriot hätte das nicht besser machen können. Sie können hier in dem Post ➱Heinrich Hannover alles darüber lesen. Doch zurück zur Museumsgeschichte. Die Delacroix Ausstellung von 1964 war ein Höhepunkt einer Vielzahl von interessanten Ausstellungen. Bremen konnte sie zu einem großen Teil aus eigenen Beständen gestalten, wer außer Paris konnte das?

Von der Ausstellungseröffnung habe ich noch immer diesen eleganten Herrn (und das war nicht der französische Botschafter Roland de Margerie, der die Ausstellung eröffnete) im Kopf, der zu seinem grauen Flanellanzug ein rot-weiß gestreiftes Hemd mit weißem Kragen trug. Wo kriegte man vor fünfzig Jahren so etwas her? Die schöne Wilhelm Busch Ausstellung von 1974 habe ich ➱hier schon erwähnt. Sicherlich zu Recht feierte Günter Busch auch den Ankauf des Bildes des Bertrand Barère de Vieuzac oben (das hat ➱hier schon einen Post). Unter die Amtszeit von Busch fiel auch die Vollendung der zwei Kataloge der Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts in der Kunsthalle Bremen von Gerhard Gerkens und Ursula Heiderich.

Zuvor gab es nur Emil Waldmanns Katalog der Kunsthalle Bremen von 1939, der natürlich längst nicht mehr auf dem neuesten Stand war. Der Katalog war eine für die Nationalsozialisten gesäuberte Fassung gewesen, es fehlten darin zum Beispiel sämtliche Bilder von Liebermann und die Arbeiten von Utrillo und Bonnard, die im Depot lagerten. Nachdem im Sommer 1937 Werke von Heckel, Kirchner, Pechstein, Barlach, Klee und Becker-Modersohn beschlagnahmt wurden, hatte Waldmann gelernt, Bilder zu verbergen. Beckmanns Stillleben mit Kirschwasserflasche überlebte, weil Waldmann den Nazis zugesichert hatte, es nicht öffentlich auszustellen.

Günter Busch ist in vielen Schriften ein blendender Stilist gewesen. Ein Buch wie Das Gesicht: Aufsätze zur Kunst gibt davon Zeugnis. Er schreibt allgemeinverständlich, aber er biedert sich nicht an. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er mit Yoko Ono aufgetreten wäre. Er pflegte seine Kontakte zum Kapital und den Mäzenen eher im Stillen. Wenn er sich photographieren ließ, dann nur mit Bundespräsidenten und Bundeskanzlern. Zum 65. Geburtstag schickte ihm der Kanzler Helmut Schmidt, dem er einstmals die Paula Becker-Modersohn Ausstellung gezeigt hatte, ein Telegramm mit Glückwünschen. Auch wenn seine Liebhabereien wie Zeichnungen oder Paula Becker-Modersohn (von der er dreizehn Bilder in seiner Amtszeit kaufte) keineswegs die meinen waren, für vieles bin ich Busch dankbar. Für die Ausstellung und den Katalog Zurück zur Natur im Jahre 1977 und die ➱Eugène Boudin Ausstellung 1979 könnte ich ihn knutschen. Und ihm alles verzeihen, was ich jemals gegen ihn hatte.

Die Kunsthalle Bremen ist wie die Kunsthalle in Hamburg und die in Kiel im 19. Jahrhundert aus einem Kunstverein heraus entstanden, und die frühe Phase dieser Museen ist nicht von einem systematischen Aufbau einer Sammlung bestimmt, sondern von den Geschmacksinteressen der begüterten Privatsammler. Die Paulis und Lichtwarks, die den Geschmack der Mitglieder des Kunstvereins formen, sind noch nicht geboren. Der Bremer Kunstverein wird 1823 gegründet, 1849 bezieht man ein eigenes Gebäude (Abbildung). Es ist die erste von einem privaten Verein finanzierte Kunsthalle in Deutschland. Den Grund und Boden hatte man billig bekommen, vorher war hier der städtische Schuttabladeplatz.

Gegenüber war die Ostertorswache, wo die Giftmörderin Gesche Gottfried einsaß (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Heute heißt das Gebäude Wilhelm Wagenfeld Haus, und ist mächtig aufgerüscht worden. Hamburg hat seinen Kunstverein schon früher, das imposante Gebäude aber erst zwanzig Jahre nach den Bremern. Zur Eröffnungsfeier schreibt der Arzt Dr Nikolaus Meyer ein langes Gedicht, das ich jetzt nicht abtippe, aber ich sollte erwähnen, dass er nicht Irgendjemand ist. Er ist ein Freund Goethes und wird bis zu dessen Tod mit ihm korrespondieren.

In ganz Amerika gibt es zu dieser Zeit erst ein einziges Kunstmuseum, das Wadsworth Atheneum (Bild) in Hartford, Connecticut, der Stadt von Mark Twain und ➱Samuel Colt. Die großen amerikanischen Museen werden erst zum Ende des Jahrhunderts entstehen, wenn die robber barons des Gilded Age ihre Millionen in die Museen pumpen. Zu Amerika gibt es in dieser Anfangsphase der Bremer Kunsthalle eine kuriose Verbindung.

Bremen kauft nämlich von Emanuel Leutze das Bild Washington Crosses the Delaware, das heute eine nationale Ikone der USA ist. Das 1850 gemalte Bild wurde im gleichen Jahr durch ein Feuer im Atelier schwer beschädigt, von Leutze restauriert und der Colonia Feuerversicherung überlassen, die es im Gürzenich in Köln ausstellt. Es gewinnt in Berlin 1852 eine Goldmedaille und wird 1863 von den Bremern gekauft. 1942 fällt es einem englischen Bombenangriff zum Opfer. Sie können alles darüber in den Posts ➱Emanuel Leutze und ➱Washington Crosses the Delaware lesen.

Man beginnt nach dem Bau der Kunsthalle erst einmal mit Schenkungen und Vermächtnissen. Mit dem Geschmack des Großbürgertums dieser Zeit. Man sammelt im 19. Jahrhundert auch viel Graphik, das können die Kunstvereine in Bremen und Hamburg gar nicht alles ausstellen. Der Kaufmann Johann Heinrich Albers, der sein Geld in London mit dem Indigohandel gemacht hat (man nennt ihn auch den englischen Albers), vermacht der Bremer Kunsthalle 15.000 graphische Blätter.

Der Senator Dr. Hieronymus Klugkist vermacht ihr die gesamte Druckgraphik, drei Gemälde (Altdorfers Geburt Christi ist eines davon) und 47 Zeichnungen und Aquarelle von Dürer, nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Zeichnungen und Aquarelle wie die obige Ansicht von Nürnberg unauffindbar verschwunden. Seit dem Jahre 2000 ist manches wieder zurückgekehrt (lesen Sie ➱hier mehr zu Dürers Aquarellen). Was Werner Haftmann in der Zeit 1949 in seinem Nachruf auf ermordete Bilder beklagte, scheint noch ein versöhnliches Ende zu nehmen. Hofft man seit Jahrzenten. Dennoch bleiben die Verluste Bremens im Krieg, wie Günter Busch 1948 in Museum-Heute ausführt, die größten Verluste aller Kunstmuseen Deutschlands. 

Das 19. Jahrhundert hindurch hat man noch keinen Direktor der Kunsthalle, diese Funktion wird von Kunsthändlern wahrgenommen, und die Kunsthalle dient auch mehrfach im Jahr als Platz für Verkaufausstellungen. Sie war auch nur während dieser Verkaufsausstellungen für die Öffentlichkeit zugänglich. Rudolf Alexander Schröder bezeichnete die Kunsthalle als eine gehobene Kunsthandlung. Man kaufte aus Nachlässen Bilder an, um sie wieder zu verkaufen. Das alles wird sich mit Dr. Gustav Pauli ändern, und die Bremer können dankbar sein, dass sie sie ihn zu diesem Zeitpunkt haben. Das gleiche gilt für die Hamburger, was wäre sie ohne Lichtwark geworden? Oder Berlin ohne Wilhelm von Bode?

Wenn man die Reisebriefe von ➱Lichtwark liest, die Lebenserinnerungen von Pauli oder Mein Leben von ➱Wilhelm von Bode, dann erscheinen die Leistungen von manchen zeitgenössischen Kunsthallendirektoren zwergenhaft klein. Die Bremer sind aber ihrem neuen Direktor nicht unbedingt dankbar (Lichtwark wird in Hamburg ähnliche Erfahrungen machen). Dass der junge Direktor 50.000 Reichsmark für den Monet oben ausgibt, das sieht man nicht so gerne. Es ist nicht das Geld des Staates, bis heute ist Bremen die einzige Kunsthalle dieser Art, die in privater Trägerschaft ist.

Pauli hat bei seinem Amtsantritt das Glück, dass gerade eine neue Kunsthalle gebaut wird. Und etwas Geld in der Kasse des Kunstvereins ist. Im Vorjahr war der Kaufmann Eugen Kulenkamp gestorben, der 300.000 Reichsmark zum Bau von Arbeiterwohnungen hinterlassen wird. Aber auch 300.000 Mark für die Kunsthalle, zur Anschaffung von Ölgemälden hervorragender Künstler. Das ist für den jungen Direktor eine carte blanche. Er wird sie für die Moderne um 1900 nutzen. Aber musste es unbedingt dieser Van Gogh sein? Das provoziert den sogenannten Bremer Künstlerstreit, in dem sich auch der Bremer Kitschkönig Arthur Fitger (der natürlich ➱hier einen Post hat, so etwas lasse ich nicht aus) zu Wort meldet.

Pauli profitiert bei Neuaufbau der Sammlung auch von der Schenkung von H.H. Meyer (in Bremen nur äitsch-äitsch Meyer ausgesprochen, wir sind da schon sehr weltläufig), der nach seinem Tod eine Sammlung von 100.000 graphischen Blättern hinterlässt. Pauli hat für seine Ankaufspolitik eine gewisse Rückendeckung in der Gesellschaft, sein Vater ist der Bürgermeister von Bremen. Und Pauli weiß die Millionärssöhne Heymel und Schröder und den ganzen Kreis der Goldenen Wolke hinter sich. Er protegiert auch die Worpsweder, die man als Bremer Malerkolonie vor den Toren der Stadt empfindet. Immerhin kommen mit ➱Overbeck und ➱Vogeler ja auch zwei der Künstler aus Bremen.

Hamburg hat Ähnliches, Lichtwark fördert junge Maler, die sich im ➱Hamburgischen Künstlerclub von 1897 zusammenschließen. Aus irgendeinem Grund sind die Worpsweder bekannter geblieben, Paula Becker-Modersohn kennt jeder. Wer kennt noch Thomas Herbst, der so bezaubernde impressionistische Kühe malt? Den finde ich viel interessanter. Als ich meinen kleinen ➱Post über ihn geschrieben hatte, bekam ich Post von einem Verlag, der anfragte, ob ich nicht ein Buch über ihn schreiben wollte. Wollte ich nicht, war aber nett. Dieses Bild ist natürlich kein Thomas Herbst, das ist Charles Daubignys Landschaft bei Pontoise, 1955 von Günter Busch erworben, ein Bild, bei dem ich nie weiß, ob ich es großartig oder scheußlich finden soll. Hängt von meiner Laune ab. Beauty is in the eye of the beholder.

Das Bild finde ich immer scheußlich, aber was hilft's? Der Post über ➱Arnold Böcklin wird gelesen und gelesen, ich fasse es nicht. Gustav Pauli geht 1914 als Nachfolger Lichtwarks zur Hamburger Kunsthalle, wahrscheinlich hat er die Albernheiten satt, die sein Ankauf eines Van Gogh 1911 verursacht hat. Er wird Lichtwarks Werk auch im kunstpädagogischen Bereich fortsetzen. Ansätze dazu gab es schon in Bremen, zum Beispiel Lichtbildervorträge für Arbeiter. In diesem Punkt setzen Lichtwark und Pauli etwas um, was schon ➱John Ruskin gefordert hat.

Pauli kann in Hamburg auch mit der Universität zusammenarbeiten, so etwas haben die Bremer nicht. Er wird als Gastprofessor in Harvard lehren, einer der wenigen deutschen Kunsthistoriker neben Adolph Goldschmidt, der schon vor 1933 in Amerika ist. Er wird mit ➱Aby Warburg und Erwin Panofsky befreundet sein und beide 1936 in seinen Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten hervorheben (er wird auch die Totenrede für Warburg halten). 1936 hatten die Nazis Pauli schon zwangspensioniert (das Pensionsalter hatte er allerdings schon erreicht). Die Bibliothek von Aby Warburg ist schon in London und Panofsky ist in Princeton.

Der Nachfolger von Pauli heißt Emil Waldmann, hier ist er von Rudolf Tewes zusammen mit dem Bildnis des Dogen Francesco Donato von Jacopo Tintoretto gemalt. Das heute verschollene Bild war damals eine denkwürdige Erwerbung für die Bremer Kunsthalle. Waldmann kommt wie Pauli aus Bremen, er war schon unter Pauli Direktorialassistent, danach Direktor des Dresdener Kupferstichkabinetts. Waldmann ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit weit reichenden Interessen (sogar die amerikanischen Museen werden ihn interessieren). Er ist auch ein hervorragender Kunstschriftsteller. Und mit Beharrlichkeit, seltenem Mut und diplomatischem Geschick rettet er die von ihm ständig vergrößerte Sammlung durch die Zeit des Nationalsozialismus. Sein Nachfolger Günter Busch wird ihm in der Bremischen Biographie ein würdiges Denkmal setzen. Eine längere Würdigung von Peter H. Feist findet sich in Metzlers Kunsthistoriker Lexikon.

Neuerdings versucht man ihn in die Nähe der Nazis zu rücken. Da hat sich der 1963 in Bremen geborene Kai Artinger besonders hervorgetan. Kai Artinger ist ein Hansdampf in allen Gassen. Er hat über das Eichhörnchen in der Kunst geschrieben (uns reicht da völlig das schöne Bild von ➱John Singleton Copley) und verfasst Krimis, die im Museum spielen. Die natürlich niemals an The Hound in the Left-Hand Corner von dem Engländer Giles Waterfield heranreichen. Im Augenblick diskutiert man in Bremen sein Buch Die Kunsthalle Bremen im Dritten Reich: Eine historische Aufarbeitung, was aber nichts als eine unveröffentlichte, zwanzig Jahre alte aufgerüschte Magisterarbeit ist. Es kann nicht das letzte Wort sein. Die Papageienallee in Wannsee hat Günter Busch gekauft, aber es ist das Verdienst von Waldmann, dass er alle anderen Liebermanns über das sogenannte Dritte Reich gerettet hat.

Dies hier ist Wulf Herzogenrath, nach Siegfried Salzmann der zweite Nicht-Bremer als Kunsthallendirektor. Er betonte aber bei seiner Bewerbung seine bremischen Wurzeln: sein Urururgroßvater habe schon 1850 im Schünemann Verlag Kunstveröffentlichungen herausgebracht und er sei ein Großneffe zweiten Grades von Paula Becker Modersohn. Ich weiß jetzt nicht, ob das ironisch gemeint war.

In die Amtszeit Herzogenraths fiel auch eine beinahe dreijährige Schließung, weil man links und rechts einen Lego Klotz an das Museum baute. Jetzt ist man modern. Unter anderem bekam der Direktor jetzt ein  40 Quadratmeter großes Dienstzimmer (seine Vorzimmerdame eins in der gleichen Größe). Aber die Kunsthalle, über deren Eingang Den schönen Künsten geweiht steht, war jetzt nicht mehr dieselbe. Hatte nicht mehr den Charme vom Fin de Siècle. Es zieht mich auch nichts mehr dahin. Früher war es meine Kunsthalle, ich kannte jedes Bild und zu vielen Bildern die Geschichte. Es ging mir da ein wenig wie ➱Alan Bennett mit dem Museum in seiner Heimatstadt Leeds. Er hat darüber einmal einen wunderbaren Film gedreht (Portrait or Bust), den es leider nicht bei YouTube gibt. Kann man aber als DVD kaufen, ist in dem Riesenpacken Alan Bennett at the BBC mit dabei.

Zum Entsetzen des Vorstands des Kunstvereins schaffte Herzogenrath diesen Video-Synthesizer von Nam June Paik (dem Vater der Video Skulptur) an. Der Künstler kommentierte sein Kunstwerk so: Dies wird uns ermöglichen, die TV-Bildschirm-Leinwand so präzise wie Leonardo, so frei wie Picasso, so farbenfroh wie Renoir, so profund wie Mondrian, so gewalttätig wie Pollock und so lyrisch wie Jasper Johns zu gestalten. Toll. Ich kann dem nun leider überhaupt nichts abgewinnen. Das habe ich schon in dem Post ➱Marcel Duchamp deutlich gemacht. Wenn ich solche Installationen sehe, habe ich immer diese destruktive Regung, zur Wand zu gehen und den Stecker herauszuziehen.

Neben einer solchen Madonna macht sich der Video Synthezizer auch sehr gut. Wer aber sollte in der Notzeit unserer Tage den Kunstbesitz, soweit er gerettet wurde, das, was uns aus den großen Zeiten der Kunst geblieben, zusammenhalten und bewahren, wenn es nicht unsere öffentlichen Sammlungen wären? Und welche Zeit wäre bedürftiger gewesen als die unsere, sich den Zugang offen zu halten zum Überzeitlichen, jede Möglichkeit zu wahren, sich aus der Welt des Alltags in eine reinere und höhere Welt zu flüchten. Schreibt im November 1948 der Bremer Senator Dr Hermann Apelt in einer kleinen Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum der Kunsthalle. Wenn ich dem Alltag entfliehen will, will ich Bilder an der Wand sehen. Wenn ich flackernde Bilder auf Fernsehschirmen sehen will, gehe ich zum MediaMarkt.

Während der Umbauten schickte man die Bremer Sammlung portioniert durch Deutschland. So konnte man in Kiel den grässlichen Abenteurer von Böcklin sehen und auch den Mandolinenspieler von Feuerbach (der ➱hier schon einen Post hat), die größten Scheußlichkeiten der Sammlung. Hieß dann Noble Gäste. Meisterwerke der Kunsthalle Bremen in der Kunsthalle zu Kiel. ➱Jens Christian Jensen hätte die bestimmt nicht genommen, aber seit der weg ist, ist Kiel für andere Kunsthallen nur zweite und dritte Wahl, wenn es um Leihgaben geht. Hamburg hatte sich natürlich das Mohnfeld von Van Gogh (für das Pauli damals 30.000 Goldmark bezahlt hatte), Pisarro, Manet und Monet, Toulouse-Lautrec und Rodin herausgepickt (Bonn bekam damals den Daubigny, die gaben sogar einen Katalog zu der Ausstellung heraus, 256 Seiten, 198 Farbtafeln)

Kann man die Kunsthalle heute einem Besucher der Hansestadt empfehlen? Ich weiß es nicht. Worpswede ja, das Becker-Modersohn Museum in der Böttcherstraße, wenn's denn sein muss. Das Focke Museum unbedingt. Für moderne Kunst die Weserburg. Aber die Kunsthalle? Eher würde ich nach Oldenburg fahren, die haben ein Schloss und schöne Museen. Meine Eltern waren Mitglieder des Kunstvereins, ich nie. Ich war im Hamburger Kunstverein. Das haben sie nie verstanden. Irgendwann werde ich hier noch einmal über die Hamburger Sammler und Mäzene Gustav Christian Schwabe und den Freiherrn (und englischen Baronet) John Henry Schröder schreiben

Das fette Buch Die Kunsthalle Bremen in vier Jahrzehnten von Günter Busch kann man antiquarisch noch finden (sogar sehr preisgünstig). Ansonsten hat die Kunsthalle, nachdem das jahrelang nicht geklappt hat, inzwischen wieder einen Internetauftritt. Als ich dies schrieb, haben die Seiten allerdings tagelang nicht funktioniert. Ich wollte diesen Post an den Direktor schicken, aber alle Mails an die Kunsthalle kamen als unzustellbar zurück. Ja, das Internet ist für uns alle Neuland.