Mittwoch, 28. Februar 2024

blaue Zifferblätter


Da gibt es am Monatsende wieder Probleme, diese Uhr weiß nicht, dass der Februar keine einunddreißig Tage hat. Glücklicherweise hat sie eine Schnellschaltung, sodass man Wochentag und Datum punktgenau einstellen kann. Diese Dugena Geneve Automatica ist eine Neuerwerbung, und das ist auch das letzte Geneve Modell, das ich gekauft habe. Es gibt auch bei ebay kaum noch welche. Irgendwie haben es die Sammler, spitzgekriegt, dass diese Swiss Made Uhren ganz hervorragende Uhren waren. Wenn man genau hinschaut, wird man sehen, dass die Uhr nicht ganz rund ist, sie ist eher ein wenig queroval. Sie hat ein blaues Zifferblatt, so etwas liebe ich. Ich habe nur vier Uhren, die blaue Zifferblätter haben. In den siebziger Jahren war das eine große Sache, heute sind sie schon selten geworden.

Ich hatte noch eine fünfte Uhr mit einem blauen Zifferblatt, eine fabrikneue siebziger Jahre Helvetia. Aber die habe ich zu Weihnachten einer Freundin geschenkt. Sie hat die gleich mit ihrem IPhone an ihrem Arm photographiert. Der weißhaarige Herr hinter dem Bücherberg bin ich, ich sehe aber in Wirklichkeit noch viel jünger aus als auf diesem Photo. Die Helvetia von der Daniela hat kein Manufakturwerk mehr, hat aber ein erstklassiges ETA 2852 Handaufzugswerk. Die Firma ETA war einmal eine Tochter der Eterna. Von der Präzisionsuhrenfabrik Eterna ist nicht viel übriggeblieben, die ETA dagegen ist der größte schweizer Hersteller von Qualitätsuhrwerken. Sie können hier alles über die Automatikwerke der Firma lesen. Die ETA Werke sind übrigens auch in den Tudor Uhren der Firma Rolex drin. Ich habe im Internet einen Händler gefunden, der ein ETA 2784 für 4.950 Euro anbietet. Das Werk kostet im Fourniturenhandel ein paar hundert Euro. Aber wenn da denn Tudor auf dem Rotor steht, dann macht das schon viereinhalbtausend Euro aus. Kann jemand so bescheuert sein, das zu kaufen?

Ich möchte zum Monatsende hier noch eine ziemlich extreme Uhr aus meiner Sammlung der 70er Jahre zeigen. Die aber ein wunderschönes tiefblaues Zifferblatt hat. Es ist eine Uhr der Firma Glycine, die eine interessante Geschichte hat. Nicht nur, weil der Firmengründer Eugène Meylan 1955 von einem Angestellten ermordet wurde. Die Firma, die heute der amerikanischen Firma Invicta gehört, hatte sich schon in den vierziger Jahren mit der Uhrenfirma Altus zusammengetan und nannte sich Glycine Altus. In der Firma Altus hatte Walter Lange einge Zeit gearbeitet. Er kannte die Firma, weil die ersten Werke für Armbanduhren von Lange & Söhne von der Firma Altus gekommen waren. In diesem blauen Monster der Firma Glycine tickt natürlich auch ein ETA Automatikwerk. Das glücklicherweise morgen am 1. März mit einer Schnellschaltung das Datum korrigieren kann.

Auch wenn ich ein Faible für diese Uhren habe, die ich in dem Post was Fettes am Arm vorgestellt habe, meine Lieblingsuhr sieht ganz anders aus. Es ist eine kleine Altus, 33 mm groß, die wahrscheinlich 1950 hergestellt wurde. Neben dem Firmennamen steht ganz klein Incabloc und Waterproof auf dem Zifferblatt, das eine hervorragende Minuterie hat. Man kann mit dem blauen Sekundenzeiger jede Sekunde ablesen. Wenn man will. Händler klassifizieren gerne Uhren mit einer chemin de fer Minuterie als Militäruhren, weil das mehr Geld brngt. Unter dem Edelstahlboden ist ein Weicheisendeckel, der das Werk gegen Magnetismus schützt. Wenn man den entfernt, kann man sehen, dass das Werk von einem fetten roten Gummiring gehalten wird. Das ist eine ähnliche Konstruktion, die später die Firma Certina als Doppelte Sicherheit verkaufte. Dies ist eine sehr intelligent gemachte Uhr, und mehr als diese 33 mm braucht man eigentlich gar nicht. Eine Datumsanzeige schon recht nicht.

Ich habe gestern gesagt, dass heute der 1. März ist. Das war falsch. Sorry. Aber das lag daran, dass ich irgendeinen Infekt mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit habe. Da verwechselt man schon mal was.

Dienstag, 27. Februar 2024

Unterhemden


Heute vor neunundachtzig Jahren erhielt der Film It Happened One Night den Oscar in allen fünf Hauptkategorien, der Film war ein Riesenerfolg. Weil da jemand ein bisschen nackt war. Das war nicht Claudette Colbert, das war Clark Gable. Als der im Film sein Oberhemd auszieht, konnte das Publikum sehen, dass er kein Unterhemd trug. Die Verkaufszahlen von Unterhemden sanken in den USA dramatisch. Die romantic comedy kam in die Kinos, als der Motion Picture Code noch nicht griff. Sätze wie: Scenes of passion should not be introduced when not essential to the plot. In general, excessive passion should so be treated that these scenes do not stimulate the lower and baser element, und Excessive and lustful kissing, lustful embraces, suggestive postures and gestures, are not to be shown, hatten noch keine Gültigkeit.

Das Oberhemd ohne Unterhemd wird sich in der feinen Welt nicht durchsetzen. Clark Gable trägt im normalen Leben normale Kleidung, Also das, was Eddie Smith für ihn schneiderte. Was manchmal ziemlich exzentrisch war, wie man an diesem extrem taillierten Jackett sieht. Die maskuline Variante der →Wespentaille war damals große Mode. Eddie Smith hat auch all das geschneidert, was Clark Gable in Gone With the Wind trägt. Seine Uniform lässt der Captain Clark sich nicht von Eddie Smith schneidern, er kaufte sie sich bei Saks in der Fifth Avenue.

Der erste Absatz hier oben stand schon einmal in dem Post Nudität, aber man kann das immer wieder zitieren. Dass ein Film die big five erhält, kommt ja nicht so häufig vor. Clark Gable hat schon einen Post, er wird häufig in diesem Blog erwähnt. Unter anderem in dem Post Siegfried Schürenberg. Den kennen wir als den etwas vertrottelten Chef von Scotland Yard aus den Edgar Wallace Filmen, aber Schürenberg war auch ein begehrter Synchronsprecher. Er war die deutsche Stimme von Rhett Butler in Gone with the Wind, und er hat Clark Gable auch noch in The Misfits synchronisiert. Frank Capra hat erstaunlicherweise noch keinen Post in diesem Blog; er wird zwar immer wieder erwähnt, aber es gibt leider keinen Post. Sein Film Lost Horizon hat allerdings einen Post. Ist nicht sein bester Film, ist aber sehr interessant.

Das hier rechts auf dem Bild ist der Regisseur Frank Capra. Auf dem linken Bild ist auch Frank Capra, diesmal als Colonel der US Army. Gleich nach Pearl Harbour hatte er sich freiwillig gemeldet und war als Major eingestellt worden. Die Propaganda Serie ✺Why We Fight war Capras Antwort auf Leni Riefenstahls Film Triumph des Willens. Capras Kollege John Ford hat während des Krieges auch für die Regierung gearbeitet, er hat die Schlacht von ✺Midway mit einer Vielzahl von Kamerateams gefilmt, sozusagen im Livestream. Man hat ihn dafür zum Admiral gemacht.

John Ford und Frank Capra haben viel gemeinsam. Nicht nur, dass sie beide hier in Uniform nebeneinander stehen. Für beide ist Amerika ein neues Land. Capra kam aus Sizilien, Ford wurde zwar in den USA geboren, war in seinem Herzen und seinem Kopf immer noch in Irland. Beide werden in ihren Filmen dem Amerika der Great Depression ihre Vision vermitteln, wie die Welt sein soll. Sein könnte. Filmhistoriker haben dafür den Terminus Cinema of Populism gefunden. Wobei wir bedenken sollten, dass Populismus nicht gleich Populismus ist. Frank Capras Populismus ist nicht der Populismus von Donald Trump.

Als ich den Begriff Cinema of Populism bei Google eingab, stieß ich auf eine 2023 erschienene Dissertation von einem Johannes Pause, die Populismus und Kino: Politische Repräsentation im Hollywood der 1930er Jahre hieß (hier im Volltext). Auf der Seite des Transcript Verlages konnte man lesen: Die 1930er-Jahre gelten als das populistische Jahrzehnt Hollywoods. Regisseure wie Frank Capra, Leo McCarey und John Ford entwerfen in ihren Werken Szenarien geglückter oder gescheiterter politischer Repräsentation, in denen sich demokratische Ideale mit politischer Theologie und amerikanischem Exzeptionalismus verbinden. Die Szenographie dieser Filme hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis der USA eingeschrieben und prägt die politische Inszenierung von Repräsentation bis heute. Johannes Pause liest die damals entstandene Bildsprache als eine Typologie populistischer Repräsentation neu und nutzt sie als Folie, um aktuelle politische Tendenzen zu analysieren. Das wusste ich allerdings alles schon. Weil es in dem Buch Vísions of Yesterday von Jeffrey Richards steht, das ein halbes Jahrhundert vor Pauses Werk erschienen war. Und Richards hat natürlich auch ein Kapitel Frank Capra and the Cinema of Populism.

Jeffrey Richards hatte etwas aufgenommen, was Siegfried Kracauer in seinem Buch  From Caligari to Hitler (hier im Volltext) angedeutet hatte. Dass man Filme als eine Psychoanalyse einer kranken Gesellschaft lesen könne. Der Gedanke findet sich auch in dem Buch von Martha Wolfenstein und Nathan Leites Movies: A Psychological Study (Volltext) und bei Michael Wood in seinem Buch America in the Movies. Jeffrey Richards, der zu Englands bedeutendstem Filmhistoriker wurde, bekam gute Kritiken für sein erstes Buch. Clive James schrieb im Observer: A work of considerable force and considerable wit und in Focus on Film stand: a work that is original, mentally stimulating and most pleasurable to read. Ich glaube nicht, dass man das über die Doktorarbeit von Johannes Pause sagen kann. Der Richards nicht mal im Original gelesen hat, sondern ihn aus zweiter und dritter Quelle zitiert. Der Transcript Verlag ist kein wirklich seriöser Verlag, der druckt alles, was der Autor bezahlt. Das ist so etwas Ähnliches, wie ich es in Print on Demand beschrieben habe.

Nicht alles im Werk Capras hat etwas mit Ideologie, Politik und Populismus zu tun, es wäre unsinnig, Arsen und Spitzenhäubchen so betrachten zu wollen. Und das Unterhemd von Clark Gable in der Screwball Comedy It Happened One Night ist auch ziemlich ideologiefrei. Aber in Mr Deeds Goes to Town und Mr Smith Goes to Washington (hier ein Bild mit James Stewart), da hat Capra seinem Publikum etwas zu sagen. Sein filmisches Amerika ist ein Land von Geld, Betrug, Opportunismus und Niedertracht, ein Land ohne Moral. Aber nun kommen die etwas naiven Helden vom Lande, gespielt von Stars wie Gary Cooper und James Stewart, die sich am Ende gegen Korruption und Intrigen durchsetzen. Auf so etwas hoffen wir ja immer, nicht nur im Kino.

James Stewart und Gary Cooper (und John Wayne und Henry Fonda bei John Ford) werden in den dreißiger Jahren zur perfekten Verkörperung amerikanischer Werte: If ever a country got the film heroes it needed, it was the USA in the decade up to the Second World War, sagt Alexander Walker in Stardom. Die amerikanische Kleinstadt, Small Town, USA, ist jetzt wichtig: das sind Bedford Falls (It's a Wonderful Life), Mandrake Falls (Mr. Deeds Goes to Town) oder Grover's Corners bei Thornton Wilder, eine sentimentale arkadische Vision eines Amerikas jenseits der Großstädte. So hatte sich Thomas Jefferson einst Amerika vorgestellt.

Capras Filme kommen als Komödien daher, aber sie sind oft viel mehr. Meet John Doe war eine Warnung vor dem auch in Amerika grassierenden →Faschismus; und auch Mr Smith goes to Washington hatte eine Botschaft: I doubt if any government in the world today would allow itself to be so freely criticized in the press, in pictures, and on the air, as does the American. And Capra, Italian-born immigrant who once sold newspapers, is exercising every American's privilege in lambasting certain phases of life in the country of his adoption. That doesn't mean, however, that Capra isn't a thoroughly patriotic American. On the contrary. I'd call 'Mr. Smith Goes to Washington' just about the best American patriotic film ever made. There's only one that might equal it, if Frank could ever be persuaded to make it, and that is Mr. Capra Goes to AmericaDer Verfasser dieser Zeilen war kein Gerigerer als James Hilton, dessen Roman Lost Horizon Capra 1937 verfilmt hatte. Als die Nazis 1942 im besetzten Frankreich die Aufführung englischer und amerikanischer Filme verboten, wurde als letzter Film in Paris unter dem Beifall des Publikums Mr Smith goes to Washington gezeigt.

Ein stellungsloser Journalist und eine durchgebrannte Millionenerbin treffen sich, so beginnt der Film ✺It Happened One Night, den sie hier sehen können. Bis dahin hatte Clark Gable, der einen Oscar für seine Rolle erhielt, Gangster und harte Kerle gespielt. Aber Frank Capra hat uns versichert, das Clark Gable in der Wirklichkeit ein ganz anderer war: 'It Happened One Night' is the real Gable. He was never able to play that kind of character except in that one film. They had him playing these big, huff-and-puff he-man lovers, but he was not that kind of guy. He was a down-to-earth guy, he loved everything, he got down with the common people. He didn’t want to play those big lover parts; he just wanted to play Clark Gable, the way he was in 'It Happened One Night', and it’s too bad they didn’t let him keep up with that.

Frank Capra war der wahrgewordene American Dream. Er kam von ganz unten, und er gelangte nach ganz oben. Er war fest davon überzeugt, dass das jederman in Amerika schaffen könnte: My whole philosophy is in my films. People are basically good or can be made good. Sentimental? Of course, but so what ? Let's not be hard-boiled about this. Happy endings - life is full of them. Auch das würden wir gerne glauben, aber wir wissen, dass das Leben anders ist. 

Viele von Capras Filmen sind zu Klassikern geworden, It's a Wonderful Life war jahrzehntelang der Weihnachtsfilm für die ganze Famile in den USA. Auch wenn die Kritiker 1946 die Sentimentalität des Films beklagten. Aber ohne die geht es nicht, sagt Jeffrey Richards: Throughout Capra's work, the tone is unashamedly sentimental, a fact which many critics decry and which calls for some comment. The only comment that one can make is that it is simply not possible to eliminate the sentimentality for it is at the root of his vision. It is this which links him to John Ford. The work of both is permeated by nostalgia for a vanished America, an idealized pre-urban America where a purer, better, freer life was lived. Sentimentality is an integral part of nostalgia and so there is simply no point in decrying it.

Freitag, 23. Februar 2024

finden und nicht finden

Mein Computer hat mir gesagt, dass der Peter heute Geburtstag hat. Das habe ich mal vor fünfzehn Jahren in den alten Power Mac G4 eingegeben, den mir mein Institut geschenkt hatte. Und der hatte das offenbar an den MacMini (1) und MacMini (2) weitergegeben. Ich dachte, ich schicke dem Peter mal ein paar nette Zeilen, aber die alte E-Mail Adresse stimmte offenbar nicht mehr. Die Telephonnummer in Blankenese auch nicht. Ich kenne den Peter seit mehr als sechzig Jahren, weil wir zusammen Leutnants im selben Bataillon waren. Er ist hier auch schon mal im Blog aufgetaucht. Er ist in dem Post Generalskrise derjenige, der in einem chaotischen Manöver um Mitternacht den Verkehr, vollgepumpt mit Captagon, zu regeln versucht. Der Peter ist beim Bund geblieben, er ist noch Oberst im Generalstab geworden und war Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr. Diese Angaben finden sich vereinzelt auch im Internet, aber sonst gibt es da nichts über ihn. Keine Adresse, keine Telephonnummer. Er war mal bei LinkedIn, aber da ist er gelöscht. Doch dann entdeckte ich, dass er bei Facebook war. Das war nun blöd, denn Facebook ist nun wirklich nicht meine Welt. Nach längerem Zögern habe ich mich da angemeldet. Einen Geburtstagsgruß schicken und wieder abmelden, war die Idee. Dann war ich plötzlich ein neues Facebook Mitglied, aber nur für ganz kurze Zeit. Gerade, als ich was schreiben wollte, haben sie mich ratzfatz wieder gelöscht. Irgendwie muss ich auf eine falsche Taste gedrückt haben. 

Ist auch gut so. Ich bin offenbar eine Gefahr für Facebook:Wir haben dein Konto deaktiviert. Wir haben dein Konto überprüft und festgestellt, dass es immer noch gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Kontointegrität und Authentizität verstößt. Du kannst keine weitere Überprüfung dieser Entscheidung beantragen. In den Gemeinschaftsstandards erfährst du mehr darüber, warum wir Konten deaktivieren. Du hast in deinem Land unter Umständen das Recht, gerichtliche Schritte gegen unsere Entscheidung einzuleiten oder eine zertifizierte Streitbeilegungsstelle damit zu beauftragen, unsere Entscheidung zu überprüfen. Und da habe ich nur meinen Namen und meine E.Mail eingetragen, und schon habe ich gegen Kontointegrität und Authentizität verstoßen. Wahrscheinlich weil ich keine Integrität und Authetizität besitze. Ich glaube, ich bewerbe mir mal bei dem Guinness Book of Records für den schnellsten Facebook Rauschmiss.

Aber wenn ich den Peter nicht finden konnte, jemand ganz anderen habe ich gestern gefunden; und dafür muss ich mal eben auf den Post Abtanzball aus dem Jahr 2010 zurückkommen. Ich hatte da geschrieben, dass ich mich partout nicht an den Namen meiner Tanzpartnerin für diesen Abend erinnern konnte. Ich hatte mir ja gewünscht, dass man mir die Ingrid zugelost hätte, aber das war nichts geworden. Der Post endet mit den Sätzen: Und wenn die schöne Unbekannte aus Schönebeck neben mir auf dem Photo dies zufälligerweise lesen sollte: Ruf doch mal an! Das kann jetzt nach dreizehn Jahren durchaus passieren. Denn der Konny hatte zufällig vor Wochen ihren Namen herausgefunden, aber er wusste auch nicht, was aus ihr geworden war. Vielleicht wüsste der Eberhard das, sagte er, der hätte in derselben Straße gewohnt. Der Eberhard sitzt auf diesem Photo unübersehbar in der Mitte der ersten Reihe. Vor ihm auf dem Boden sitzen ich und die Unbekannte, die jetzt namentlich nicht mehr so unbekannt ist.

Der Eberhard hat Jura studiert, wie der Konny auch. Er hat einen Doktortitel erworben, wie der Konny auch. Aber während der Konny Richter am Bundesfinanzhof und Staatssekretär wurde, hat der Eberhard die ganze Juristerei hinter sich gelassen und ist Berufsphotograph geworden. Und hat Schiffe photographiert. Quer durch die Welt. Sie können hier einmal in seine eindrucksvolle →Bildagentur der Schiffahrt hineinsehen. Er ist auch schon einige Male in diesem Blog genannt worden, zuletzt in dem Post Photos, ungeordnet. Der Eberhard konnte sich noch an meine Tanzpartnerin erinnern, weil sie seine Nachbarin gewesen war. Wusste aber nicht, was aus ihr geworden war. Aber ihr Bruder wüsste das bestimmt, der sei Arzt in Ganderkesee. Ein Ort, den Sie kennen, weil Sie den Post Kurtz gelesen haben. 

Im Gegensatz zu der Suche nach dem Oberst im Ruhestand in Hamburg war die Suche nach dem dottore in Ganderkesee ein Klacks. Wir haben uns telephonisch eine halbe Stunde lang wunderbar unterhalten. Auch viel über Schönebeck, denn die Straße, in der meine Begleiterin beim Abtanzball und der Eberhard wohnten, liegt nicht in Vegesack, sondern in Schönebeck. Dem Ort nachdem auch der Schönebecker Sand seinen Namen hat. Und deshalb gibt es hier noch ein schönes Photo vom Schönebecker Schloss mit einem geradezu Caspar David Friedrichschen Morgennebel. Natürlich von Eberhard Petzold. In den 1980er Jahren photographiert. Ich habe dem Doktor meinen Blog per Mail zugeschickt, er wird seine Schwester anrufen und wird ihr alles erzählen. Wird sie anrufen?


Dienstag, 20. Februar 2024

Longines


Den Namen Longines sah ich zum ersten Mal 1954 beim Endspiel der Fußball WM im Berner Wankdorf Stadion. Der Uhrenturm war ja nicht zu übersehen. Heute reden wir vom Wunder von Bern, und es gibt auch schon einen Spielfilm über das Ereignis. Die meisten deutschen Spieler kannte ich, weil ich sie im Mai im Hamburger Volksparkstadion gesehen hatte. Das war das Endspiel um die deutsche Meisterschaft, bei dem Hannover 96 gegen Kaiserslautern spielte. Niemand gab der Elf der Namenlosen von Trainer Fiffi Kronsbein eine Chance. Ihr Gegner war die halbe deutsche Nationalmannschaft, die sechs Wochen später beim Wunder von Bern Weltmeister werden würde. Also Leute wie Horst Eckel, Werner Liebrich, Fritz Walter und Ottmar Walter. Zwar führte Kaiserslautern zur Pause 1:0, aber in der zweiten Halbzeit sollte sich alles ändern, denn Hannover gewann 5:1. Mein Vater hatte für mich einen kleinen hölzernen Klappstuhl mitgenommen, damit ich auch etwas von dem Spiel sehen konnte. Mehr dazu können Sie in den Posts Hannover 96 und 1954 lesen.

Den Uhrenturm mit der Aufschrift Longines gibt es heute nur noch in dieser Form hier, man hat das Wankdorf Stadion abgerissen. Die Uhrenmarke Longines gibt es heute dem Namen nach noch, sie ist Teil der Swatch Gruppe. Sie war einmal eine Firma, die lange für die exzellente Qualität ihrer Uhren bekannt gewesen war und viele Preise erhalten hatte. Irgendwann verspielte sie ihren Ruf, den sie heutzutage verzweifelt zurückbekommen möchte. 

Longines und ihr amerikanischer Partner Wittnauer hatten schon in den frühen fünfziger Jahren weltweit Lizenzen vergeben, sodass Longines Uhren sogar in Puerto Rico, Alaska und auf Hawaii produziert wurden. In Südkorea stellte Samsung mit einem Lizenzvertrag Longines Uhren her. Was drin war (in den meisten Fällen ein ETA Werk), interessierte niemanden, Hauptsache, es stand der Name Longines auf der Uhr. Der Imageverlust war kaum zu beschreiben. Man hatte etwas gemacht, was Pierre Cardin perfektioniert hatte. Zuerst als Haute Couture beginnen und dann den Namen verkaufen und Lizenzen vergeben. Und dann landen am Ende die Pierre Cardin Socken bei Karstadt auf dem Wühltisch. Als Nicolas Hayek Chef der Swatch Group wurde, kaufte er alle Lizenzen zurück und annullierte alle Verträge aus dem Jahre 1952. 1995 kündigte er auch den seit 125 Jahren mit Wittnauer bestehenden Vertrag auf. Mir hat mal ein amerikanischer Freund einige Handyphotos seiner geliebten Longines geschickt. In der Mail stand: Mein Uhrmacher hat mir gesagt, das sei überhaupt keine Longines. Der Uhrmacher hatte recht.

Heute versucht man, das alles vergessen zu machen. Man wirbt mit Werbeanzeigen, die die Schönen und Reichen zeigen. Seit den neunziger Jahren propagiert man den Slogan Elegance is an Attitude, vorher war man jahrzehntelang The World's Most Honoured Watch. Vielleicht hat Audrey Hepburn mal eine Longines getragen, aber als sie in der Werbekampagne für das Modell Dolce Vita vermarktet wurde, da war sie schon tot.

Die Uhrenfabrik Longines wurde 1832 in Saint-Imier von Auguste Agassiz gegründet, der seine Marke nach einem kleinen Wiesenstück (les longines) benannte. Augustes Bruder Louis Agassiz war Mitbesitzer der Uhrenfabrik, machte dann aber etwas ganz anderes. Er wurde ein berühmter Wissenschaftler, nach dem die Schweiz sogar einen Berg benannte. 1847 wurde er Professor für Zoologie und Geologie an der Harvard Universität. Und weil der Louis so berühmt war, nannte sein Bruder die Uhren, die er nach Amerika exportierte, nicht Longines, die hießen Agassiz. Dies hier ist eine davon, das ist nun wirklich das Feinste vom Feinen. Etwas Besseres bekommt man bei Lange & Söhne in Glashütte auch nicht. Breguetspirale, Schwanenhalsfeinregulierung, ein goldenes Decksteinplättchen für das Ankerrad und das Sperrrad dreifach verschraubt. Und dann noch das Ganze in acht Lagen feingestellt, für five adjustnents bekommt man schon ein Chronometerzeugnis.

Es wird aber im Lauf der Zeit nicht bei dieser Qualität bleiben. Diese Uhr, die den Namen Longines trägt, ist eine Billiguhr, die nichts mit der Qualität des Chronometers oben zu tun hat. Vor fünf Jahren meldete die Firma Longines, dass sie seit ihrer Gründung ihre 50-millionste Uhr hergestellt hat. Das ist nicht ganz so viel wie Rolex, die eine Million Uhren im Jahr verkaufen, aber man ist da schon bei den Massenproduzenten. Und bei den fünf Millionen Uhren sind bestimmt die Billiguhren aus Hawaii, Alaska und Puerto Rico mitgezählt. Bei ebay liegen heute mehr als füntausend Longines Uhren herum. Die sind bestimmt nicht alle Swiss Made.

Als Sammler hat mich die Marke Longines nie wirklich interessiert. Ich besitze eine Uhr aus den sechziger Jahren, die ich für siebzig Euro auf dem Flohmarkt kaufte (ist die gleiche wie hier im Netz). Wollte ich eigentlich nicht haben, aber als der nette Herr Brandt mir diesen Preis machte, konnte ich nicht widerstehen. Das Zifferblatt ist nicht mehr 100%, aber immer noch akzeptabel. Alles an dieser Uhr ist Swiss Made. Eine signierte Krone hat die Uhr auch. Die Uhren, die in Puerto Rico, Alaska und auf Hawaii hergestellt wurden, sehen etwas anders aus.

Das Manufakturwerk mit der Kalibernummer 281 ist erstklassig. Hat noch eine Schraubenunruhe und alle Steine in Goldchatons. Und der Gehäuseboden ist innen perliert. So etas war früher mal Standard. Das Werk kam Ende der fünfziger Jahre auf den Markt und war der Nachfolger des Kalibers 30L, das noch keine Zentralsekunde hatte. Von dem 30er Kaliber gab es noch Chronometerkaliber, mit denen die Firma viele Preise gewann. Das war uhrmacherisch gesehen neben den goldenen Agassiz Chronometern und dem Chronographenkaliber 13ZN der Höhepunkt des Unternehmens. Mit solchen Uhren bekommt man in Kew ein Chronometerzertifikat, kommt aber nie auf fünfzig Millionen verkaufter Zeitmesser. 

Ich habe mit Fußball angefangen, und ich komme noch einmal auf den Fußball zurück. So bewarb die Firma, die heute bei allen internationalen Pferderennen von Baden Baden bis Hongkong dabei ist, in den zwanziger Jahren ihre Uhren: La montre de Sportsmen. In Amerika warb man natürlich mit Bildern vom American Football. Amerika war seit Ende des 19. Jahrhunderts der größte Markt der Firma Longines; ihren Erfolg verdankt sie der Firma Wittnauer.

Die Firma, die Millionen von Longines Uhren in die USA importierte, hat auch die kleine Wittnauer Allproof auf den Markt gebracht. Meistens importierte Wittnauer nur die Uhrwerke aus der Schweiz (die man an der Markierung LXW erkennt) und ließ sie in den USA in Gehäuse einschalen, um Zollgebühren zu sparen. Das machten die amerikanischen Firmen Gruen und Bulova ja genauso. Sie betrogen dabei die Behörden, indem sie die Uhrwerke als unadjusted deklarierten, obgleich die meistens feingestellt waren. In den fünfziger Jahren flog diese Praxis auf, die Protokolle der Investigations of the Committee on Government Operations, United States Senate füllen mehrere Bände.

Und dann gibt es zum Schluss noch etwas, was die Firma Longines mit dem Fußball verbindet. Das ist dieser Herr hier, ein ehemaliger Fußballspieler, der mit dem FC Sierre bis in die Erste Schweizer Liga kam. Dann aber einen Profivertrag vom FC Lausanne ablehnte und etwas ganz anderes machte. Er wurde mit dem Titel eines Vizedirektors für die Öffentlichkeitsarbeit der Firma Longines zuständig. Ich weiß nicht, ob sie ihn hier erkennen, es ist niemand anderer als Sepp Blatter. Dass es damals mit Longines bergab ging, hat ursächlich nichts mit Blatter zu tun. Passt aber zeitlich.


Der berühmte Wissenschaftler Louis Agassiz hat hier schon einen Post. Die Firma Longines ist in diesem Blog häufig erwähnt worden; unter anderem in diesem Post, der davon handelt, dass das Kamerateam von Der Landarzt eine Longines zerstört. Sepp Blatter wurde hier auch schon mal erwähnt. Mit anderen Kriminellen aus der Fußballwelt. Einen Post Uhrenwerbung gibt es natürlich auch schon.


Sonntag, 18. Februar 2024

Caspar David Friedrich (3)

Hier in Kopenhagen hat Caspar David Friedrich drei Jahre studiert. Das Bild von Knud Baade zeigt uns die Kopenhagener Akademie. Hier studieren die angehenden Maler gerade antike Plastiken, um zu lernen, wie man Menschen malt. Es werden auch Kurse mit einem lebenden Modell angeboten; da ist Nicolai Abildgaard (der auch der Lehrer von Philipp Otto Runge war) einer von Friedrichs Lehrern gewesen. Irgendwie muss Friedrich diesen Teil des Studiums geschwänzt haben, er kann keine Menschen malen, so wie das Knud Baade hier kann. Nicht wirklich.

Wir haben eine Zeichnung, die uns den Norweger Baade (der Schüler von Christian Clausen Dahl war) an der Staffelei zeigt. Die Bleistiftzeichnung ist von Caspar David Friedrich, sie zeigt all seine Schwächen auf, die er als Zeichner hat, wenn es um Menschen geht. Was ist das bloß für ein Rücken? Und mit dem rechten Arm stimmt auch irgendetwas nicht. Baade steht steif wie ein Denkmal da, es ist keine Bewegung in der Figur. Was der norwegische Maler auf die Leinwand bringt, das hängt heute in der Kieler Kunsthalle (wegen Umbau für fünf Jahre geschlossen). Es war ein Geschenk des Kunstvereins an die verdiente Kuratorin Lilli Martius. Mir gehört eine kleine Wolke rechts oben auf dem Bild Einfahrt ins Naerøtal, da ich damals auch einiges gespendet habe.

Noch einmal eine Rückenansicht eines Künstlers. In der Art und Weise, wie hier Tischbein unseren Goethe in Rom gezeichnet hat, hätte Caspar David Friedrich einen Menschen nicht zeichnen können. Tischbeins Goethe lebt, Friedrichs Baade nicht. Und auch Friedrichs Frau am Fenster ist nicht so lebendig wie Tischbeins Goethe. Ich zitiere dazu einmal Kristina Reymann-Schneider aus ihrem Beitrag in Deutschlandfunk Kultur: Caspar David Friedrich hat sich mit seiner Landschaftsmalerei einen Platz in der Kunstgeschichte erobert. Einige seiner Bilder kennen selbst Menschen, die sich sonst eher wenig für Kunst interessieren. Doch der große deutsche Romantiker hatte eine Schwäche: Figuren. Während er detailliert Steine oder Felsformationen und Bäume bis in die kleinsten Verästelungen zeichnen konnte, tat er sich mit der Abbildung von Menschen schwer. Die Proportionen stimmen nicht, der Kopf ist zu klein, die Gliedmaße sind zu lang. So ist es kein Zufall, dass die Figuren bei ihm oft in der Rückenansicht zu sehen sind, nur ganz klein dargestellt oder am Rande platziert werden. Die Natur spielt unzweifelhaft die Hauptrolle in Caspar David Friedrichs Bildern. Kunsthistoriker würden das etwas anders sagen, aber wir lassen das mal so stehen.

Gut, das hat es immer gegeben, dass Maler irgendetwas nicht wirklich konnten. Was Rubens nicht kann, malt ihm sein Freund Brueghel. Lucas van Uden malt für viele berühmte Kollegen den Landschaftshintergrund. Pferde zu malen, war nicht die Stärke von Joshua Reynolds, da half ihm George Stubbs manchmal aus. Liebermann konnte keine Kühe malen, das machte sein Freund Thomas Herbst für ihn, der wahrscheinlich der beste Kuhmaler des Impressionismus war. Wir sehen ihn hier beim Studium von Kühen. Mit Frack und Zylinder.

Ich habe in dem Post Caspar David Friedrich 2010 geschrieben, dass ich das Bild vom Wanderer über dem Nebelmeer, als ich es zum ersten Mal sah, für eine Fälschung hielt. Es war frisch restauriert, überrestauriert, der Lack glänzte wie frischgemalt. Man war stolz, dass man nach langen Verhandlungen (und der Zahlung von 600.000 Mark) das Bild endlich besaß. Jetzt präsentierte man es. Nicht in der Sammlung, es war im Treppenhaus aufgestellt. Man musste an dem Wanderer vorbei, wenn man in die Galerie wollte. Das Bild hat eine einfache, überschaubare Konstruktion. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Und doch hat das Ganze etwas Rätselhaftes, das sich nicht lösen lässt. Ein scheinbar unüberwindbares Hindernis, das unverhältnismäßig große Ausmaße annehmen kann, sagt László F. Földényi. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Name etwas sagt.

László F. Földényi, der vielleicht wichtigste europäisches Essayist, war schon zweimal in diesem Blog. Zuerst 2011 in dem Post Melancholie, ein Gebiet in dem ich mich dank einer manisch-depressiven Erkrankung auskenne. Das zweite Mal beherrschte den László F. Földényi mit seinem Buch Heinrich von Kleist: Im Netz der Wörter den Kleist Post. Was ist das für ein Buch! Die ganze Welt von Heinrich von Kleist in knapp hundert Lexikonartikeln, die alle kleine in sich geschlossene Essays sind. Ausgehend von Wörtern in Kleists Werk, alphabetisch geordnet von Ach bis Zufall, mit Querverweisen auf andere Essays. So, dass man in diesem Buch zick und zack, hin und her liest. Und das soll auch so sein, sagt der Autor in seinem Vorwort: Ein schonendes Buch. Es verschont den Leser, erspart ihm die Mühe des Auslesens. Es befreit ihn von der Last, so zu tun als ob... Mein drittes Buch von Földényi war Caspar David Friedrich: Die Nachtseite der Malerei, ich habe das Buch schon in dem Post Nebelmeer erwähnt. Das Buch ist zur Zeit vergriffen, soll aber im Mai als Paperback für 12 Euro wieder auf dem Markt sein.

Földényi hat 2021 noch ein zweites Buch über Friedrich geschrieben, das Der Maler und der Wanderer heißt. Und den etwas irritierenden Untertitel Caspar David Friedrichs Urkino hat. Caspar David Friedrich und Kino? Wir wissen, dass Walt Disney in den dreißiger Jahren in Deutschland alle Bücher über Friedrich aufkaufte. Und sie seinen Zeichnern vorlegte. Und deshalb läuft Bambi zu Beginn des Films durch die Fichtenwälder des Elbsandsteingebirges, das Caspar David Friedrich auf Gemälden wie 'Felsenschlucht' oder 'Morgennebel im Gebirge' verewigt hat. Aber Földényi ist nicht auf Bambi aus, er will mit seinem Buch zeigen, dass Der Wanderer über dem Nebelmeer das Kino avant la lettre ist. Urkino. Ich fasse die Unzahl seiner geistvollen Gedanken jetzt nicht in Kürze zusammen, Sie sollten das Buch schon lesen. Mehr ist über das Bild Wanderer über dem Nebelmeer wohl nicht geschrieben worden.

Caspar David Friedrich hat die Rückenfigur nicht erfunden. Sie war als Staffage oder Repoussoir im Vordergrund schon immer in der Malerei. Auch in Vermeers Bild Die Malkunst sehen wir den Maler nur in der Rückansicht. Eigentlich sind die Rückenfiguren in der Malerei Nebenfiguren. Bei Friedrich wird der Herr, der sich aus einer vornehmen Abendgesellschaft ins Elbsandsteingebirge verirrt hat, zur Hauptsache des Bildes. Das wird in Variationen von Malern immer wieder gemacht. Wie 1890 bei Fritz von Uhde oder 1925 bei Salvator Dali. Am besten gefällt mir zum Thema Frau am Fenster dieses Bild

Der neue Hamburger Katalog Caspar David Friedrich – Kunst für eine neue Zeit enthält ein Kapitel Zu Friedrichs Rückenfiguren von Markus Bertsch, der auch einer der Kuratoren der Hamburger Ausstellung ist. Man kann (Google Books sei Dank) große Teile des Katalogs  hier lesen. Friedrich nimmt die ein wenig aus der Mode gekommene Rückenfigur wieder auf, sie wird bei ihm zu einer Art Markenzeichen. Und bei den Wanderern, die den Mond betrachten, bei Mann und Frau bei der Betrachtung des Mondes fällt es uns kaum auf, dass er eigentlich keine Menschen malen kann.

In Johann Christian Reinharts Bild des Tibers (1808) haben wir auch eine Rückenfigur, aber sie beherrscht das Bild nicht, wie Friedrichs Wanderer in seinem elegant geschneiderten Bratenrock das Bild beherrscht. Mit dem auf Felsen stehenden Wanderer, der vielleicht ein Portrait von Goethe ist, kommen wir als Betrachter in das Bild hinein. Sagt uns die Rezeptionsästhetik. Dazu sollten Sie jetzt einmal den Artikel Rezeptionsästhetik – Der Betrachter ist im Bild lesen, dann sind sie im Bild.

Földényi schreibt ein ganzes Buch über den Wanderer, über Perspektiven, über Figuren im Bild. Über das Sehen im Nebel. Und am Ende resümiert er über den Wanderer: Man kann viel über ihn sagen, kann über das, was er sieht und wie er sieht, sogar ein Buch mit dem Titel ‚Der Maler und der Wanderer‘ schreiben. Seinem Ich nahezukommen, vermag man dennoch nicht. 

Földényi erwähnt in seinem Buch den ehemaligen Kieler Kunsthallendirektor Jens Christian Jensen nicht, der 1974 in seinem Buch beim DuMont Verlag über den Wanderer über dem Nebelmeer sagte, das Bild muss als künstlerisch misslungen angesehen werden. Er ist nicht der Einzige, der das Bild als nicht so großartig empfindet. Jensens Buch Caspar David Friedrich - Leben und Werk kann man antiquarisch noch sehr, sehr preisgünstig erwerben. Es ist nach einem halben Jahrhundert immer noch eine sehr gute Einführung.

Wie sieht ein Wanderer aus? So wie dieser Herr hier würden wir sagen. Auf keinen Fall wie der unbekannte Mann auf Caspar David Friedrichs Bild. Dieses Bild eines Wanderers ist ein halbes Jahrhundert nach Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer entstanden. Hier hat Iwan Nikolajewitsch Kramskoi seinen Malerkollegen Iwan Schischkin als Wanderer gemalt. Und das ist Schischkin im doppelten Sinn, denn beide Maler gehören zu einer Künstlerbewegung, die Peredwischniki heißt. Was auf Deutsch Wanderer bedeutet. Wir sollten uns nicht zu sehr an dem Wanderer des Bildtitels von Friedrich festbeißen, den Titel hat das Bild erst um 1950 bekommen, vorher war es ein namenloses Bild.

Donnerstag, 15. Februar 2024

Made in Italy: Etro


Ich fange mal eben mit diesem Hemd an, für so etwas war die italienische Marke Etro früher mal berühmt. Sieht man heute selten. Dies hier habe ich gerade für 9,95 € bei ebay gekauft. Ein guter Preis für ein Etro Hemd, denn die 350 Euro, die die Firma für ihre Hemden verlangt, die sind die Hemden nicht wert. Qualitativ gesehen können sie mit Borrelli, Fray oder Finamore nicht mithalten. Nicht ansatzweise, da braucht man sich nur die Qualität der Knopflöcher anzugucken. Und die bunten Hemden mit Streifen oder Paisleymuster, mit denen Etro berühmt wurde, die sind auch ein wenig aus dem Programm verschwunden. Tauchen aber immer wieder mal auf. Oder man muss sich die Hemden in London bei Duchamp oder Paul Smith kaufen. Die Firma Etro gehört der Familie Etro heute auch nur noch zum Teil; da hat sich über eine Firma namens L Catterton längst die Louis Vuitton Gruppe eingekauft.

Gerolamo (Gimmo) Etro hatte 1968 eine kleine Weberei geerbt und beschlossen, das nachzuweben, was seine Frau Roberta und er bisher gesammelt hatten: Stoffe mit dem Paisley Muster. Zuerst wanderten die Stoffe auf Sofas, Kissen und Handtaschen. Dann gingen die Muster in die Konfektion, die siebziger Jahre schienen nur noch aus Paisley zu bestehen. So etwas trug man im Swinging London, Mick und Bianca Jagger wurden zu einer Art Etro Botschafter. Die Paisley Muster tauchten auch in der Hippie Kultur auf. Vielleicht hat das dirty red bandana, von dem Janis Joplin in Me and Bobby McGee singt, auch ein Paisley Muster.

Die kleine Etro Weberei wurde zu einem internationalen Modeunternehmen, das sich im übrigen mehr als die Hälfte seiner Stoffe heute noch selbst webt. Die Firma wurde nach dem Ausscheiden des Gründers von Gimmos Söhnen geleitet. Ippolito Etro ist für die Finanzen zuständig, und Jacopo kümmert sich um die Lederwaren. Der kreative Kopf des Unternehmens ist Kean Etro, der die Herrenkollektion entwirft. Und für alles Schrille und Bunte in den letzten Jahrzehnten verantwortlich war. Seine Schwester Veronica machte die Damenmode. Wir sehen Kean Etro hier mit den Schauspielerinnen Katja Flint und Ursula Karven bei der Eröffnung der Berliner Etro Filiale. Die Damen tragen selbstverständlich Etro. Der einst so mächtige Kean Etro scheint zu einem Frühstücksdirektor geworden zu sein. Seit zwei Jahren heißt Etros Kreativdirektor Marco De Vincenzo. Der wird vieles ändern, wie wir dem kurzen Dokumentarfilm Radical Etro entnehmen können.

Das Muster, das heute den Namen einer schottischen Stadt trägt, kommt nicht aus Schottland, es kommt aus dem Fernen Osten. Indien oder Persien, da sind sich die Fachleute nicht so ganz einig. Aber die East India Company bringt die Muster der Stoffe nach England. Die indische Herkunft des Musters brachte auch die amerikanichen Hippies, die Hermann Hesses Siddhartha zu einem Bestseller machten, dazu, sich in Paisley Stoffe zu kleiden. Auch die Beatles haben so etwas getragen. In der Industrial Revolution war die kleine schottische Stadt Paisley zu einem Zentrum der Weberei von ganz fein gedrehter Baumwolle geworden, die die Seide ersetzen sollte. Die preiswerte Nachahmung der edlen Cashmere Schals und Tücher wurde ein Welterfolg. Obgleich man in Spitalsfield eine eigene Seidenproduktion hatte, wurde im 18. Jahrhundert mehr und mehr Baumwolle getragen. Lesen Sie mehr dazu in 18th century: Fashion.

Dies ist Margaret Kemble Gage, die Gattin des englischen Generals Thomas Gage. Gemalt um 1771 von John Singleton Copley. Sie trägt solche edlen Tücher, die Jahrzehnte später in Paisley nachgeahmt werden. Das turbanähnliche Gebilde, das sie auf dem Kopf trägt, ist ein hauchdünner Cashmere Schal, das ist damals eine große Mode. Die Schals waren so gewebt, dass man sie angeblich durch einen Ring ziehen konnte. Wir haben jetzt im 18. Jahrhundert etwas, das Historiker als Türkenmode bezeichnen. Mozarts Entführung aus dem Serail und sein Rondo alle turca haben auch etwas damit zu tun. Das Paisley Muster hat man früher auch einmal als türkische Gurke bezeichnet.

Die großen Textilfabriken von Paisley, die William Blake sicherlich als dark satanic mills bezeichnet hätte, stehen heute leer. Die Zeit, in der King Cotton herrschte und man die fein gedrehte Bauwolle spann, dauerte nur ein halbes Jahrhundert. Unter der Führung von Thomas Coats war Paisley zum Weltmarktführer im Garnhandel geworden, aber die Wirtschaftskrise der 1840er Jahre setzte der Stadt schwer zu. Die Cotton Panic von 1861 verschlimmert die Lage noch. Die Coats Viyella Grupppe gibt es heute immer noch, doch Paisley spielt für sie keine Rolle mehr. An die stolze Zeit erinnert heute cin Museum für die Garnindustrie. Der Premierminister Robert Peel setzte sich persönlich energisch für die Stadt ein. Und bat die Königin Victoria, in der Öffentlichkeit doch Paisley Schals zu tragen, was sie auch tat. 1842 kaufte sie siebzehn Paisley Schals. Und zum 400-jährigen Jubiläum der Stadt stattete sie Paisley einen Besuch ab.

Ein solches Etro Hemd habe ich nicht, würde ich auch nicht haben wollen. Ich habe ein paar Etro Hemden und ein paar ganz wilde Etro Schlipse in Pink. Mit ganz großen roten Paisley Mustern. Bunte Hemden sind nicht so mein Ding. Aber mein Freund Peter hat früher bunte Hemden mit floralen Mustern getragen, sozusagen als Berufskleidung. Er war nämlich Professor für Kinderheilkunde, und die Kiddies mochten im Krankenhaus einen Arzt in bunten Hemden lieber als einen im steifen weißen Eppendorf Kittel. Ich habe diesen Post mit meinem Etro Lieblingshemd geschrieben. Das ist nicht ganz weiss, hat eher einen Stich ins Gelbliche. Und hat in unregelmäßigen Abständen violette, dunkelblaue, gelbe und braune Streifen da drauf. Dick und dünn. Ein klein bisschen exzentrisch ist das schon.