Donnerstag, 28. Dezember 2023

Sportuhren


Diese junge Dame treibt Sport, das ist die große Sache in den dreißiger Jahren. Sie trägt keine Uhr. Weshalb sollte sie eine tragen? Die Uhrenindustrie hätte das gerne, denn die hat gerade die Sportuhr für die modernen Sportler erfunden. Heute sind diese Sportuhren abscheulich groß, man kann mit ihnen den Mount Everest besteigen und in den Marianengraben tauchen. Sie halten alles aus. Als die ersten Sportuhren in den dreißiger Jahren auftauchten, waren Armbanduhren klein und knuffig. Hatten einen Durchmesser und 30 bis 32 Millimeter, vielleicht mal 33 Millimeter. Die Zeit konnte man dennoch gut ablesen, da sie klar gegliederte Zifferblätter hatten. Diese Armbanduhren waren an den Handgelenken sportlicher Menschen zu finden. Sagt uns die Werbung.

In den Anzeigen der Uhrenfirmen der dreißiger Jahre werden immer stärker Armbanduhren mit Sportlern verbunden. Auch wenn es bei dieser Omega Werbung nicht so ganz klar wird, weshalb ein Skiläufer eine Uhr braucht. Die Armbanduhrenwerbung richtet sich natürlich auch gegen die Taschenuhren. Sportler tragen keine Taschenuhren, obgleich eines Tages Uhrenfirmen Uhren für Golfer herausbringen werden, die man am Gürtel tragen kann. In der Mitte der dreißiger Jahre werden zum ersten Mal mehr Armbanduhren als Taschenuhren verkauft. 1934 werden bei der größten deutschen Uhrenfabrik Junghans täglich 1.500 Taschenuhren und 2.000 Armbanduhren fabriziert. Der Siegeszug des Zeitmessers am Handgelenk hatte begonnen. Und der fällt zusammen mit dem Siegeszug von allen Sportarten.

Nicht für alle Menschen. Mein Opa, der sein Leben lang im wilhelminischen Zeitalter blieb, hat nie eine Armbanduhr besessen. Er trieb auch keinen Sport. Opa trug noch in den fünfziger Jahren seine silberne Eterna Taschenuhr, die er am Anfang des Jahrhunderts gekauft hatte. Für die Gartenarbeit auf unserem Land hatte er noch eine billige blecherne Taschenuhr, die er beim Arbeiten an den Ast eines Obstbaums hängte. Die großen amerikanischen Uhrenhersteller gaben den Kampf Taschenuhr gegen Armbanduhr noch nicht verloren. Sie brachten jetzt kleinere, flachere Taschenuhren auf den Markt. Das sind die Uhren, die in Deutschland auf Flohmärkten als Frackuhren gehandelt werden. Ich habe solch eine Uhr von der Firma Hamilton, aber diese Qualität wird man heute nicht wiederfinden. 

Der sportliche Mensch ist ein Ideal der zwanziger und dreißiger Jahre als Begriffe wie Körperertüchtigung und Freikörperkultur die Runde machen. Als es Sportmode gibt und sogar die Herrenunterwäsche dank der Jockey Y-Fronts sportlich wird. Robert Vollmöller wird in den dreißiger Jahren eine Lizenz der amerikanischen Firma Jantzen erwerben und über die Tochterfirma Vollma Wirkwaren die amerikanischen Jockey Y-Front U-Hosen nach Deutschland bringen. 

Sport und Mode werden jetzt miteinander verbunden, damals als Suzanne Lenglen sportlich und modisch die Tennisturniere beherrschte. Und René Lacoste sich ein Krokodil auf das Tennishemd sticken lässt. Als Frauen Hosen trugen und Golf spielten. Wie Jordan Baker in Fitzgeralds Great Gatsby. Als Luis Trenker und andere Bergfexe auf die höchsten Berge klettern. Auf den Punkt gebracht finden wir das Thema Sport und Mode in dieser Anzeige aus den dreißiger Jahren, wo es heißt: Die leuchtenden Farben und ganz bestimmt den kurzen Rock wie die kurzen Haare, das alles verdankt die Frau dem Sport Muss sie nicht dankbar sein?

Neben den klassischen Sportarten gibt es jetzt auch etwas wie Motorsport, als Mercedes nicht nur die Autos für Adolf Hitler, sondern auch die Silberpfeile baut. So schön der Gedanke des orandum est, ut sit mens sana in corpore sano ist, aus der Körperertüchtigung wird schnell die Wehrertüchtigung. Und aus der Sportuhr der dreißiger Jahre wird die Militäruhr des Zweiten Weltkriegs werden. Auch der Motorsport wird jetzt zur Frauensache.

Schon 1905 hatte der britisch-deutsche Maler Sir Hubert von Herkomer etwas zum Thema Auto und Frau zu sagen. Herkomer war nicht nur Künstler, er war auch ein Wegbereiter des Motorsports in Deutschland. Für die Herkomer Konkurrenz (die man nach neunzig Jahren wiederbelebte) hatte der Maler den silbernen Pokal selbst gestaltet. Und er hat dieses schön-schreckliche Bild gemalt, das Die Zukunft heißt. Steht so auf der Bauchbinde, die über die nackte junge Dame drapiert ist. Wer diesen Wagen mit der nackten Kühlerfigur lenkt, wissen wir nicht. Das Bild von Herkomer wanderte als Photogravur auf die Speisekarte der ersten Herkomer Konkurrenz (die erste Tourenwagen Rallye der Welt) im August 1905. Für die The Motor Union of Great Britain and Northern Ireland wurde 1908 auch noch eine Silbermedaille mit der nackten und blinden Zukunft geprägt.

Und dann ist da noch Emil Jellinek, der die Daimler Autos nach seiner elfjährigen Tochter Mercédès benannt hat. Die rotgekleidete Autosportlerin aus dem Jahre 1926 auf dem Plakat da oben stammt von Edward Alfred Cucuel, der seine Plakate mit Offelsmeyer oder Cucuel Offelsmeyer zu signieren pflegte. Die Frau in dem roten Rennanzug hat es wirklich gegeben, es war Ernes Merck, die erste Deutsche, die in den zwanziger Jahren Autorennen fuhr. Und die schon berühmt war, bevor Rudolf Caracciola, Hans Stuck, Bernd Rosemeyer und Tazio Nuvolari das wurden. An dieser Stelle muss ich mal eben auf den schönen Roman Silberpfeile von Walter Kappacher hinweisen, über den ich ja immer noch mal schreiben will.

Und das hier ist ein deutsches Ideal, ein Auto. das ihr allein gehört. Virginia Woolf wünschte sich in dieser Zeit a room of my own, diese junge Dame hat a car of my own. Um so etwas in dieser Zeit sagen zu können, muss man schon zu den besseren Schichten gehören, das sagt uns diese Opel Anzeige, die Er gehört ihr allein betitelt ist: Die Sportdame ist nicht mehr abhängig von ihrem großen Wagen. Spielend erledigt sie nun die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen und findet doch Zeit täglich ihre Partie Golf zu spielen, dann, wenn es ihr passt. Dies alles verdankt sie ihrem wendigen, schönen Wagen, der ihr allein gehört. Wir nehmen mal an, dass die Golferin, die neben dem Opel Laubfrosch noch einen großen Wagen besitzt, auch die richtige Armbanduhr für das Golfen besitzt.

Die Entwicklung zur Armbanduhr hatte die deutsche Vorzeigefirma A. Lange & Söhne in Glashütte völlig verschlafen. Sie hatte den Wandel der Zeiten nicht erkannt, sie glaubte immer noch, dass man ihre goldenen Taschenuhren ad infinitum kaufen würde. Was in der Weltwirtschaftskrise immer schwieriger wurde. Wenn die Armbanduhr dann kommt, dann beziehen sie die Werke von der schweizer Firma Altus. Gut, sie bearbeiten die Werke noch ein wenig, damit die ihrem Standard entsprechen. Und sie schreiben natürlich ihren Firmennamen drauf. Erst 1945 bringen sie ihr erstes eigenes Armbanduhrenwerk auf den Markt. 

Gleichzeitig kommt ein anderes Armbanduhrenwerk auf den Markt, das auch aus Glashütte kommt, aber jetzt in einem Ort namens Ganderkesee gebaut wird. Es ist das Kaliber Kurtz 25, das erste deutsche Armbanduhrenwerk mit Breguetspirale. Wenn Sie alles darüber wissen wollen, dann sollten sie einmal den Post Kurtz lesen. Das Uhrwerk findet sich in Arctos Elite Uhren oder in Uhren, die Glashütter Tradition heißen. Die erste Serie hatte noch keine Stoßsicherung, die mit der Stoßsicherung kann man vielleicht auch für Sportuhren gebrauchen.

Man findet kaum Bilder aus den dreißiger Jahren, auf denen Athleten mit Armbanduhren zu sehen sind. Wozu auch? Ein batsman beim Cricket müsste bescheuert sein, eine Armbanduhr zu tragen. Obgleich die Werbung der Uhrenfirmen in den dreißiger Jahre suggeriert, dass man die Uhren für alle möglichen Aktivitäten tragen kann. Auch im Wasser. Ich besitze solch eine rechteckige Cyma wie auf diesem Bild, ich käme aber nicht auf die Idee, die unter Wasser zu halten. Und damit wären wir schon bei der ersten Forderung an eine Sportuhr: sie sollte wasserdicht sein. Nicht nur widerstandsfähig gegen den Schweiß des Sportlers. Die weiteren Forderungen sind, dass die Uhr gegen Stöße und den gefürchteten Bruch der Unruhwelle geschützt sind. Und antimagnetisch und temperaturunempfindlich sind.

Die erste Sportuhr, die diesen Namen verdient hat, kommt 1928 von der amerikanischen Firma Wittnauer. Sie ist 28 mm groß, man sollte wohl eher sagen 28 mm klein. Laut der Werbung ist die Uhr, die den Namen Allproof trägt, wasserdicht, stoßgesichert und nicht-magnetisch. Die Uhr hat einen Schraubboden aus Stahl, der hier als contracid bezeichnet wird. Edelstahl ist nicht gleich Edelstahl, ein künstliches Hüftgelenk hat eine andere Legierung als ein Brückenpfeiler. Hier ist man in den dreißiger Jahren am Tüfteln mit den Legierungen, was durch die Vielzahl der Aufschriften auf dem Gehäuseboden zum Ausdruck kommt: contracid, acier inoxydable, Chrom-Vanadium Stahl, Krupp Stahl, Edelstahl. 

Die Wittnauer Allproof hat eine dicke Krone, unter der eine Dichtung sitzt, das macht sie wasserdicht. Über dem einfachen 7-steinigen Werk ist ein kleiner Weicheisendeckel, der verhindert, dass das Uhrwerk magnetisch aufgeladen wird. Zur Zeit der Straßenbahnen damals noch ein Problem für Uhrenträger. Die Wittnauer sieht der schweizer Revue Sport, die 33 mm groß ist, sehr ähnlich. Und die Firma Revue Thommen, die hier ihre Uhren mit Sportlern bewirbt, ist auch der Hersteller dieser Uhr. Die Firma ist unter Reinhard Straumann die Kaderschmiede der modernen Armbanduhr. Ihr verdanken wir die Glucydurunruhe, die Nivaroxspirale, und auch das Raumnutzwerk der Urofa kommt eigentlich von Revue Thommen.

Die von Wittnauer importierte Uhr hat in Amerika ihre eigene Geschichte. Weil Amelia Earhart ihrer Wittnauer-Longines vertraute. Und weil Jimmie Mattern mit einer Wittnauer Allproof um die Welt geflogen ist. Er hat 1933 über die ✺Wittnauer Allproof nette Dinge gesagt: It gives me great pleasure to advise you that my Wittnauer All-Proof Watch was my only constant companion on my ’round the world solo flight, and it survived all hardships. It is a crashproof timepiece par excellence. After my ’plane crashed and I had to wade and swim in some of the rivers it proved absolutely waterproof. It kept up a true performance when I was lost to civilization for many days. It was a sensation with the Eskimos…who considered it something super-natural. It personifies mechanical perfection heretofore unknown to me, and when I reached New York it was correct to the minute. I banged it all around. It was dropped on concrete a number of times – still it keeps ticking away. 

I should not have believed that such a watch could be built, but my experience has shown me that too much cannot be said about this wonderful All-Proof timepiece which I recommend for hard usage. Wenn Neil Armstrong den Mond betritt, trägt er eine Omega Speedmaster, das wissen wir. Aber vorher hat er immer seine Wittnauer Allproof dabei gehabt. Wir wissen, dass er sie bei der Gemini 8 Mission getragen hat. Das hier ist Armstrongs Arm im Raumanzug, die kleine Wittnauer Allproof kann man erkennen. Er hätte sie eigentlich auch auf den Mond mitnehmen können. Die Uhr hätte das bestimmt ausgehalten.

Sportuhren sehen heute so aus, da hat sich seit der kleinen Wittnauer viel geändert. Ich weiß nicht, ob diese mit Elektronik vollgestopften Plastikmonster neunzig Jahre halten. Aber die kleine Wittnauer Allproof, die ich habe, die ist neunzig Jahre alt. Und geht immer noch.  Ich habe sie von einem Freund geschenkt bekommen, der sie auf einer Auktion ersteigerte. Im Katalog sah sie größer aus. Als er sie bekam, war er enttäuscht. Ich nicht, ich habe ihr sogar ein braunes Krokoband spendiert. Und diesen ganzen Post mit ihr geschrieben. Ob sie noch wasserdicht ist, werde ich unter der Dusche nicht testen.


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