Es muss etwas geschehen, fast jeder fünfte Viertklässler kann nicht lesen. Fast jedes dritte Bremer Schulkind erreichte im Lesen nicht die IQB Mindeststandards. Das ist seit Jahren schon so, und es wird nicht besser. Der neueste Pisa Bericht beschreibt eine bildungspolitische Katastrophe. Ein Volk der Dichter und der Denker sind wir auf keinen Fall mehr, wenn wir das je waren. Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie hatte 2018 eine Hamburger Erklärung initiiert, in der Hoffnung, dass etwas besser wird. Am 20. September, dem Weltkindertag, wurden die gesammelten Unterschriften den Kultusministern der Länder übergeben. Ist irgendwas passiert?
Was soll werden, wenn die Lesefähigkeit sinkt und sinkt? Mit einem Smartphone oder einem Tablet können schon Kinder umgehen, mit einem Roman nicht. Und wenn sie der bunten Glitzerwelt der tausend Apps verfallen, verpassen sie das Schönste im Leben: Das Schönste, was wir gelesen haben, verdanken wir meistens einem uns teuren Menschen. Und mit einem uns teuren Menschen werden wir zuerst über die Lektüre sprechen. Vielleicht eben weil das Charakteristische des Gefühls – wie des Wunsches zu lesen – darin besteht, vorzuziehen. Lieben heißt letztendlich, denen, die wir vorziehen, das zu schenken, was wir vorziehen. Und dieses Teilen macht die Zitadelle unserer Freiheit aus.
Schulen werden mit Computern ausgestattet, jeder Schüler soll ein Tablet haben. Angeblich kann man heute nur noch mit Computern lernen. Man kann das ohne Computer. Wichtiger wäre es, gute Schulbibliotheken aufzubauen. Lehrerbibliotheken gibt es meist, meine Schule hatte eine eindrucksvolle Sammlung der deutschen Literatur, die ich als Schüler benutzen durfte. Ich glaube, ich war der einzige, der das tat. Unser Deutschlehrer Pedro Ziegert brachte uns in der Mittelstufe dazu, eine Klassenbibliothek aufzubauen. Zu der ich damals Alain-Fourniers Der große Kamerad beisteuerte. Wer liest dieses schöne Buch heute noch?
Martin Mader hat es geschafft, sich mit seiner Buchhandlung, die er von der Familie Otto übernommen hatte, nicht nach unten ziehen zu lassen. Dahin, wohin der kleine Ort Vegesack tendiert. Mader und seine Frau Sabine haben vor zwei Jahren in Anerkennung ihrer Arbeit den ersten Bremer Buchhandlungspreis erhalten. Es gab im Ort seit 1955 noch eine zweite Buchhandlung, die auch Otto hieß: Conrad Claus Otto. Das Adreßbuch für den deutschsprachigen Buchhandel vermerkte 1958, dass es hier zu Verwechslungen kommen könnte. C.C. Ottos kleiner Buchladen war neben einer Tankstelle in der Bismarckstraße (die heute Sagerstraße heißt). Gegenüber dem Haus vom Zahnarzt Dr Pickel, das Ernst Becker-Sassenhof gebaut hatte.
Martin Mader hat es geschafft, sich mit seiner Buchhandlung, die er von der Familie Otto übernommen hatte, nicht nach unten ziehen zu lassen. Dahin, wohin der kleine Ort Vegesack tendiert. Mader und seine Frau Sabine haben vor zwei Jahren in Anerkennung ihrer Arbeit den ersten Bremer Buchhandlungspreis erhalten. Es gab im Ort seit 1955 noch eine zweite Buchhandlung, die auch Otto hieß: Conrad Claus Otto. Das Adreßbuch für den deutschsprachigen Buchhandel vermerkte 1958, dass es hier zu Verwechslungen kommen könnte. C.C. Ottos kleiner Buchladen war neben einer Tankstelle in der Bismarckstraße (die heute Sagerstraße heißt). Gegenüber dem Haus vom Zahnarzt Dr Pickel, das Ernst Becker-Sassenhof gebaut hatte.
Conrad Claus Otto hatte immer die wichtigsten Titel der zeitgenössischen Belletristik in seinem Fenster. Damals verschaffte einem ein Blick in das Schaufenster einer guten Buchhandlung ja noch eine Übersicht über den Literaturmarkt. Die Zeit von Hugendubel, Thalia und Amazon war noch weit weg. Nicht alles, was im Schaufenster war, verkaufte sich. Das nächste Stadium war dann der kleine Grabbelkasten neben der Ladentür. Wo ich 1967 das Buch von Max Moser, Richard Wagner in der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts, billig erstand. Das war ein Band aus der Buchreihe Schweizer Anglistische Arbeiten, man musste die Seiten noch aufschneiden. Es gehörte unternehmerischer Mut dazu, in der Provinz einen solchen Reihentitel im Sortiment zu haben.
Es war eine erstaunliche Buchhandlung für so ein kleines Nest wie Vegesack, sie lebte natürlich von der Persönlichkeit des jungen Buchhändlers. Der auch noch die schönste Frau unserer Schule geheiratet hatte, kaum dass die achtzehn war. Sie hatten sich bei den Proben zu Hindemiths Oper Die Harmonie der Welt kennengelernt, bei denen unser Schulchor mitwirkte (was sie hier lesen können). Conrad Claus Otto war für Bremen-Nord so etwas wie Eckart Cordes in Kiel, obgleich der Kieler Kulturpreisträger vielleicht noch mehr berühmte Autoren in seine Buchhandlung gelockt hat als Conrad Claus Otto in seine. Aber immerhin, Siegfried Lenz, Walter Kempowski und Erich Fried waren hier. Und man bekam bei ihm die Karten für die Vorträge der Wittheit zu Bremen.
Conrad Claus Otto, der im Ort im Gegensatz zu seinen Verwandten immer der junge Otto hieß, veranstaltete auch Aufsatzwettbewerbe an unserer Schule. Als ich mich das erste Mal beteiligte, gewann ich den dritten Preis. Es war ein Buch von Hans Hass (oder war es Jacques-Yves Cousteau?) über Haie und die Welt der Tiefsee. Wenn ich irgendetwas hasse, dann sind es Bücher über Haie. Ich nächsten Jahr war ich der Sieger des Aufsatzwettbewerbs. Ich gewann einen Nachmittag mit einem Jugendbuchautor, dessen Namen ich vergessen habe. Das war noch weniger toll als das Buch über die Haie. Wenn das wenigstens ein Nachmittag mit Gottfried Benn gewesen wäre, es wurde gemunkelt, dass Conrad Claus Otto den kannte. Ich musste an dem Tag zuerst zusammen mit Conrad Claus Otto die Stühle im Saal vom Jugendheim Alt-Aumund aufstellen, dann fuhren wir mit Ottos kleinem VW Käfer (den er sich mit dem Geschäftsgründungskredit zugelegt hatte) zum Bahnhof, um den Autor abzuholen. Die Fahrkünste des jungen Otto waren grauenhaft. Am Ende der Dichterlesung schenkte mir der Autor einige signierte Manuskriptseiten. Ich beschloss, nie mehr an Aufsatzwettbewerben teilzunehmen. Das war erst einmal das Ende meiner Karriere als Essayist. Aber Bücher habe ich natürlich weiterhin bei Otto gekauft, wo ich auch mein erstes Buch von Hans Magnus Enzensberger kaufte. Und einen Band nach dem anderen von der schönen zweisprachigen Ausgabe des Züricher Arche Verlags von Ezra Pound. Wo sollte ich das sonst kaufen? Otto & Sohn waren ein besseres Schreibwarengeschäft, aner sie haben mir immerhin (wenn auch ein wenig zähneknirschend) die englische Ausgabe von Whitmans Leaves of Grass besorgt.
Nach zwölf Jahren in der Bismarckstraße zog C.C. Otto in die Gerhard Rohlfs Straße um. In dem Haus war zuvor eine →Bäckerei gewesen, die die Vegesacker Heringslogger mit Brot versorgte. Aber diese Buchhandlung war nicht mehr der Laden, den ich kannte. Conrad Claus Otto ist 2007 gestorben, seine Frau hat die Buchhandlung 2012 nach siebenundfünfzig Jahren geschlossen. Da war sie fünfzig Jahre im Laden gewesen. Aus Liebe zu ihrem Mann hatte sie nach dem Abitur eine Buchhändlerlehre gemacht. Es gab 2012 einen kleinen Ausverkauf, was mit dem Rest der Bücher werden sollte, wusste sie noch nicht. Aber sie sagte dem Reporter des Weser Kurier, dass sie den Rest lieber verschenken wolle, als ihn zu verramschen.
Da, wo früher die Buchhandlung C.C. Otto war, sitzt heute Thalia. Was soll man dazu sagen? Inhabergeführte Buchhandlungen stehen vor dem Aus, Leuwer in Bremen gibt es jetzt auch nicht mehr. 1857 gab es in Bremen fünfzehn Buchhandlungen. Sind es heute mehr? Kettenläden und Amazon geben den Ton an. Selbst dem berühmten Strand Bookstore in New York geht es nicht mehr gut. In den Antiquariaten ist es nicht anders. Früher war in Kiel die halbe Uni bei Eschenburg zu finden, heute scheint an der Uni niemand mehr zu lesen. Studenten haben heute kein Sitzfleisch mehr, die Bibliotheken sind leer. Als ich studierte, war es manchmal schwer, einen Platz im Lesesaal zu bekommen, so ändern sich die Zeiten. Muss ich noch einmal Petronius zitieren: Si bene calculum ponas, ubique naufragium est?
Das kleine Moderne Antiquariat in der Holtenauer, Ecke Waitzstraße, ein Ableger vom Antiquariat Bücherwurm, macht jetzt nach vierzig Jahren auch dicht. Das Weihnachtsgeschäft wollen sie noch mitnehmen. Sie hatten immer ein interessantes Angebot, am besten war es im Sommer, wenn sie die Grabbelkästen vor dem Laden auf der Straße stehen hatten. Alles macht zu, scheint die Devise zu sein. Hier im Ort schließt die Kunsthalle für fünf Jahre. Und Tabac Trennt ist auch weg. Es geht viel verloren.
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