Samstag, 23. März 2019

die richtigen Männer


In seinem Roman Der Fliegenpalast lässt Walter Kappacher die Hauptfigur Hugo von Hofmannsthal über dessen Henry James Lektüre sagen: Es hatte ihm wohlgetan, an der sicheren Hand des Autors in die Geschichte hineingezogen zu werden. Das ist eine schöne Sache, vom Autor geleitet zu werden, aber nicht immer wollen die Autoren die Leser leiten. Für die Geschichte Sommerurlaub wollte ich das auf keinen Fall. In dem Post Geburtstagsfeier schrieb ich: Mit meiner schönen Buchhändlerin komme ich auch nicht weiter. Sie ist gerade dabei, sich mit dem Renault Händler zu verabreden. Ist sich aber nicht sicher, ob das mit ihnen was werden könnte. Ich könnte sie jetzt natürlich unter der Dusche Arabellas Arie Aber der Richtige, wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt singen lassen, aber das wäre zu viel an Symbolik. In der Geschichte sind wie in Sommerurlaub Sprache und Emotionen abgespeckt, keine Symbolik, wenig Adjektive.

Hugo von Hofmannsthal wird da nicht erwähnt, aber er ist auch im Text, weil er die Arie für die Grafentochter Arabella geschrieben hat, die ebenso wie meine schöne Buchhändlerin auf der Suche nach dem richtigen Mann ist. Die Oper Arabella war die letzte Zusammenarbeit von Hofmannsthal und Richard Strauss, eine Art Wiederauflage des Rosenkavaliers, wie Hofmannsthal manchmal dachte. Den Rosenkavalier vergessen wir mal gleich wieder, hören aber zuvor einmal in die Arie Di rigori armato il seno hinein. Einmal von Peter Anders gesungen, einmal von Fritz Wunderlich.

Doch zurück in das Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wo Frauen auf der Suche nach den richtigen Männern sind. Also, das hier in der Mitte ist nicht Arabella, das ist Emmerich Kalmans Csárdásfürstin in der neuen Inszenierung des Wiener Volkstheaters ( hier ganz zu sehen). Elissa Huber, etwas pulpeuse aber sehr niedlich, spielt die nackt tanzende Chansonette Sylva Varescu, die kurz davor ist, einen Fürstensohn zu heiraten. Was ihr am Ende auch gelingt. Den meisten nackt tanzenden Chansonetten gelingt das nicht.

Die Csárdásfürstin ist eine Operette, da werden solche Dinge möglich. Und da wird dann gesungen:

Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht!
Ganz ohne Sonne blüht die Rose nicht! 
Drum hie und da, so einmal noch - 
Da küß ich doch! Da küß ich doch! 

Was in einer Operette möglich ist, bietet sich für die Oper nicht unbedingt an. Der Liebeswirrwarr in Österreich-Ungarn, jenem Stück Land, das der liebe Gott Kaiser Franz Joseph anvertraut hatte, wie es in Joseph Roth Radetzkymarsch heißt, bleibt jedoch dergleiche. Allerdings kommt Arabella nicht im Negligee oder in Strapsen auf die Bühne. Sie hat feste Vorstellungen über den richtigen Mann: Er ist der Richtige nicht für mich! Er ist kein ganzer Mann. Ich könnt mich halt vor ihm nicht fürchten. Wer das nicht ist, der hat bei mir verspielt! Sich vor dem Mann fürchten? Was kommt als nächstes? Schlag mich? In einer wunderbar bösartigen Interpretation der Arie Aber der Richtige, wenn's einen gibt heißt es: Eine Ideologie selig-verblendeter Unterwerfungs-Erotik wird da verbreitet - was sage ich - wird besungen und zelebriert mit den schönsten Eingebungen des alten Strauss, dass sich uns der Magen umdreht. Wir sind in der Zeit von Leopold Ritter von Sacher-Masoch, dem wir das Maso in Sado-Maso verdanken.

Wir sind auch in der Zeit von Richard von Krafft-Ebing, der postulierte: Ist das Weib geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. In der feinen Gesellschaft, wo man so aussieht wie auf diesem Bild von Charles Hofbauer mag der äußere Schein so aussehen. Aber dahinter stehen die Sätze von Genia Hofreiter in Arthur Schnitzlers Das weite LandWarum hältst du mich für besser als ich bin? Ich bin nicht besser als andere sind. Merkst du's denn nicht? Ich lüge, ich heuchle. Vor allen Leuten spiel' ich Komödie, – vor Herrn Natter und vor Frau Wahl ... vor deiner Mutter so gut wie vor meinem Stubenmädchen. Ich spiele die anständige Frau – und nachts lass' ich das Fenster offen stehn für meinen Liebhaber.

Der Richtige, wenn's einen gibt für mich,
der wird auf einmal da sein,
und wird mich anschaun und ich ihn
und keine Winkelzüge werden sein und keine Fragen,
nein, alles hell und offen, wie ein lichter Fluß, 
auf dem die Sonne blitzt!

Das ist schön, und es ist natürlich noch schöner mit der Musik von Richard Strauss, die diese Liebesarie geradezu wollüstig umhüllt. Und dann singt Arabella für den reichen Großgrundbesitzer Mandrakya noch Und Du wirst mein Gebieter sein:

Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan
dein Haus wird mein Haus sein, 
in deinem Grab will ich mit dir begraben sein
so gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit.

In Wien ist damals auch ein gewisser Dr Freud tätig, der in das erotische Seelenleben der Damen der feinen Gesellschaft schaut und daraus eine Wissenschaft macht, die es vorher nicht gegeben hat. Arthur Schnitzler, der immer an der Psychoanalyse interessiert war und ein Traumtagebuch schrieb, ist auch Arzt, aber er schreibt keine Theorie. Er schreibt das weibliche Seelenleben in die Literatur. Wie hier in Frau Berta GarlanSie hatte ein Gefühl des Neides gegen diese Frau, sie wünschte, daß auch sie jetzt von einem hübschen, jungen Offizier nach Hause begleitet werden könnte ... Warum auch nicht? ... Alle sind schließlich so ... und sie ist jetzt auch keine anständige Frau mehr! Emil glaubt es ja auch nicht, und es ist alles so egal!
       Sie kommt nach Hause, entkleidet sich, legt sich zu Bett. Aber es ist zu schwül. Sie steht noch einmal auf, geht zum Fenster, öffnet es; draußen ist es ganz dunkel. Vielleicht sieht sie jetzt jemand am Fenster stehen, sieht ihre Haut durchs Dunkel leuchten ... Ja, wenn sie nur einer so sähe, es wäre ihr ganz recht! ... Dann legt sie sich wieder ins Bett ... Ach ja, sie ist nicht besser als die anderen! Und es ist auch gar nicht notwendig, daß sie's ist ... Die Gedanken verschwimmen ihr ... Ja, und er ist dran schuld, er hat sie dazu gemacht, er hat sie einmal genommen wie eine von der Straße – und dann fort mit dir! ... Ah, pfui, pfui – sind die Männer infam! – Und doch ... es war schön ...
Sie schläft. –

Und was sagt Dr Freud dazu? Er sagt zu Ende seines Lebens: Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau eigentlich? Eine Antwort wäre natürlich: die richtigen Männer.

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