Dienstag, 31. Oktober 2023

Wikipedia

Der Leser WMS. Nemo hat mir als Kommentar zu dem Post la reine Catherine mitgeteilt, ich hätte längst einen Wikipedia Artikel verdient. Und er hätte extra einen für mich geschrieben. Das ist sicher sehr nett, auch wenn ich mir eigentlich nie einen Wikipedia Artikel gewünscht habe. Leider enthielt das, was ich dann bei Wikipedia las, einige Fehler. Ich schreibe nicht unter dem Pseudonym Jay Loomings, sondern unter dem Pseudonym Jay. Das Loomings gehört zur Adresse meines Blogs. Ich bin auch nicht in Bremen-Vegesack, dem Ort, über den ich schon hundertmal geschrieben habe, geboren. In dem Post Fuchsjagd kann man lesen, dass ich in Rotenburg (Hannover) geboren wurde. Das hatte etwas mit der Bombardierung Bremens im Zweiten Weltkrieg zu tun. Ich habe auch nicht das Gymnasium meines Geburtsorts besucht, sondern das Gerhard Rohlfs Gymnasium in Vegesack, das wird in vielen Posts erwähnt, zum Beispiel in Kunsterziehung. Mein Lehrerkollegium war auch schon hier abgebildet.

Ich habe dann bei Wikipedia versucht, das zu korrigieren. Habe mich bei Wikipedia angemeldet, das Falsche durch das Richtige ersetzt. Und? Chaos über Chaos. Man glaubt mir nicht. WMS. Nemo hatte das gemerkt und schickte mir einen netten Kommentar: Lieber Jay, leider hast Du jetzt eine Erfahrung mit einer unangenehmen Seite von Wikipedia: Benutzer ohne Anmeldung oder solche die ganz neu sind werden leider oft nicht ernst genommen und deren Änderungen zurückgesetzt. Ich habe mich da eingemischt, aber selbst als Autor des Artikels über Dich konnte ich den Alabasterstein nicht erweichen. Versuchen wir es also anders: Du schreibst in Deinem Blog, was im Artikel fehlt oder noch stehen sollte, z.B. auf Deiner Seite 'Mein Blog, Meine Leser'. Ich bau das dann in den Artikel ein und belege das mit genau diesen Angaben aus dem Blog. Das ist unwiderlegbar. 

Was hätte ich noch gerne auf der Seite? Eine Vielzahl meiner Bücher sind aufgelistet. Das Buch Filme, das ich herausgegeben habe (Heidelberg: Winter Verlag, 1988) leider nicht. Und ich hätte es auch noch gerne erwähnt gesehen, dass ich wissenschaftliche Aufsätze geschrieben habe. Mehr als fünfzig. Das steht leider auch nicht im Text. Von diesen Aufsätzen ist übrigens nur ein halbes Dutzend in diesen Blog gewandert. The Go-Between, Fantasy, Secret Agents und Spätwestern zum Beispiel sind vorher in Druckform erschienen. Die anderen dreitausend Posts sind alle neu.

Ich muss für einen Wikipedia Redakteur namens Alabasterstein beweisen, dass es mich wirklich gibt. In diesem Buch über Worpswede, das ich schon in dem Post Print on Demand erwähnte, ist ein Kapitel von mir drin. Und da gibt es auf Seite 200 einen kleinen Lebenslauf, verbunden mit der Erwähnung, dass ich einen Blog namens SILVAE schreibe, der viele Leser gefunden hat. Und in dem Post Literaturstadt Bremen wird das Buch Diese Stadt ist echt, und echt ist selten von Dr Johann-Günther König zitiert, weil ich da drin stehe. Mit meinem richtigen Namen und meinem Pseudonym Jay und dem Namen meines Blogs. Steht auch drin, dass ich aus der Weserstraße in Vegesack komme. Ich hoffe jetzt, dass WMS. Nemo es gegen die Widerstände von Wikipedia hinkriegt, einen halbwegs richtigen Artikel zu schreiben. Wenn ich allerdings die Kommentare in der Versionsgeschichte des Artikels (die ich einsehen kann, weil ich jetzt bei Wikipedia bin) lese, dann habe ich da große Zweifel. Das Niveau eines seriösen Lexikons sieht anders aus.

Samstag, 28. Oktober 2023

la reine Catherine


Einige Leser haben mich gefragt, warum hier am 22. Oktober nichts zum achtzigsten Geburtstag von Catherine Deneuve stand. Kein Joyeux anniversaire! oder so etwas. Wenn ich ehrlich sein soll: ich hatte das vergessen. Habe dann aber durch die Filme Madame empfiiehlt sich (Originaltitel: Elle s'en va) und Leben im Schloss (La Vie de Chateau) gemerkt, dass da viel Deneuve bei arte war. Ich fand das sehr schön, dass arte La Vie de Chateau zeigte, weil ich den Film liebe. Und auswendig kenne. Und das französische Drehbuch besitze. Ich war genau zwei Jahre im Netz, da gab es hier schon den Post La Vie de Chateau. 

Ich fand es auch sehr schön, dass arte mit dem Road Movie Madame empfiiehlt sich eine ganz andere Catherine Deneuve zeigte. In dem Film war sie siebzig, konnte aber noch für sechzig durchgehen. Sie ist ein wenig pulpeuse geworden, aber das steht ihr. In La Vie de Chateau war sie dreiundzwanzig. War ich damals auch. Damals hatte sie beschlossen, für den Rest des Lebens blond sein zu wollen. In Wirklichkeit war sie brünett. Ich habe Jean-Paul Rappeneaus La Vie de Chateau zweimal im Kino gesehen (und habe ihn heute auf DVD), nicht wegen der jungen blonden Frau, sondern wegen der aberwitzigen Inszenierung und Choreographie der Bewegung. Damals gab es noch Filme, die zu recht in Filmkunsttheatern gezeigt wurden. Weil die Filmkunst waren. Heute ist alles Netflix.

Ich habe das mit dem achtzigsten Geburtstag vergessen, weil Catherine Deneuve nicht meine Lieblingsschauspielerin ist.Vor zehn Jahren gab es hier in dem Post Catherine Deneuve Glückwünsche zum Geburtstag. Der Post endete mit den Sätzen: Das Geburtstagskind wird in diesem Blog bisher nicht genügend gewürdigt. Irgendwann mache ich das mal wieder gut. Bis dahin könnten Sie hier natürlich Waltz into Darkness lesen. Und natürlich Joyeux anniversaire! Die forderten einen Leser berechtigterweise zu einem Kommentar auf: Wir hatten das doch schon: IRGENDWANN & DEMNÄCHST... ;) Was ich mit: Irgendwann kommentierte. Ich mache zu viele Versprechungen. Es ist immer dasselbe.

Sie ist so schön, dass ein Film, in dem sie spielt, auch ohne Geschichte auskommt, hat François Truffaut gesagt. Und deshalb reißt die Deneuve in dem Truffaut Film Waltz into Darkness, den Jeanne Moreau finanziert hatte, alles 'raus, die Schwächen und Unglaubwürdigkeiten der Handlung. Der Film hatte vor zwölf Jahren hier schon den ganz langen Post Waltz into Darkness. In dem viel über Catherine Deneuve steht. Und auch viel über französische Mode. Mit der war sie ja immer verbunden; sie war Werbeträgerin für Chanel, produzierte ein Werbevideo für Chanel 5 nach dem anderen. Sie trug die Mode von Yves Saint Laurent (mit dem sie befreundet war) und warb für L'Oréal. 1986 brachte sie ihr eigenes Parfüm auf den Markt. In den letzten Jahren war sie auf allen Modeschauen der Pariser Firma zu sehen.

Am Ende des Posts über die Verfilmung des Romans von Cornell Woolrich steht: Als Truffaut an seinen Cornell Woolrich Verfilmungen arbeitet, hat er seine Hitchcock Phase. Denn gleichzeitig mit den Filmen entsteht sein großartiges Interview-Buch 'Le cinéma selon Hitchcock' (Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?). Dort sagt er einmal: it might be said that the texture of your films is made up of three elements: fear, sex and death, und das beschreibt eigentlich auch sehr schön die Textur seiner eigenen Filme in dieser Zeit. Truffauts Hitchcock Verehrung geht so weit, dass er für diesen Film unbedingt diese kühle Blonde braucht, ohne die ein Hitchcock Film nicht funktioniert. 

Diese 'icy sexuality', dieses 'paradox between the inner fire and the cool surface'. Und wer könnte das besser spielen als Catherine Deneuve, die so kalt ist wie der Schnee in der letzten Szene des Filmes? Mit oder ohne weiße Unterwäsche. Der Tod beschäftigte Truffaut immer, zwei Jahre nach den Dreharbeiten schreibt er in einem Brief: Il y a beaucoup, beaucoup trop de morts autour de moi, que j'ai aimés, et j'ai pris la décision, après la disparition de Françoise Dorléac, de ne plus assister à aucun enterrement, ce qui, vous le pensez bien, n' empêche pas la tristesse d'être là, de tout obscurcir pendant un temps et de ne jamais estomper complètement, même avec les années, car on ne vit pas seulement avec les vivants, mais aussi avec tous ceux qui ont compté dans notre vie. Die Françoise Dorleac, die er hier erwähnt, ist Deneuves Schwester gewesen, die so schrecklich ums Leben kam. 

Die hatte es noch erlebt, dass Catherine mit dem Film ✺Belle de Jour weltberühmt wurde. Das ist der Film, in dem die kühle Arztgattin, die eine Kopie von Hitchcocks Tippi Hedren ist, in einem Bordell arbeitet. Nackt in einem Sarg liegt und von Michel Piccoli mit schmutzigem schwarzen Schlamm beworfen wird. Ich fand das immer die beste Szene des Films. Ich mochte den Film nie. Truffaut drehte bessere Filme, die Deneuve in Waltz into Darkness ist lebendiger als die Denueve in ✺Belle de Jour. Truffaut, der mit der Deneuve (wie mit beinahe all seinen Hauptdarstellerinnen) bei den Dreharbeiten eine Affäre hatte, hat einmal angedeutet, dass die Deneuve nur durch ihre Schönheit wirkt, nicht durch ihre schauspielerischen Qualitäten. Aber mit dem ✺Schlamm im Gesicht war sie sehr überzeugend. 

Zehn Jahre nach ihrer Affäre sind sie bei den Dreharbeiten von Die letzte Metro (✺Le Dernier Métro) wieder zusammen, es wird Deneuves berühmtester Film werden. Ein Kassenschlager in Frankreich, zehn von dreizehn möglichen Césars, eine Oscar Nominierung. Für Truffaut war der Film der zweite Teil einer Trilogie über Film, Theater und Musik. Der erste Teil war Die amerikanische Nacht (La Nuit américaine) mit Jacqueline Bisset gewesen. Zu dem dritten Teil L’Agence Magic über eine Pariser Musikertruppe, die es nach Afrika verschlagen hatte, ist Truffaut nicht mehr gekommen. Seinen Drehbuchautoren hatte er geschrieben Je compte sur vous deux pour m’aider à faire un beau film: petits personnages, grands sentiments et surtout des caractères qui vont jusqu’au bout d’eux-mêmes.

Catherine Deneuve hatte sich in jungen Jahren für den Playboy ausgezogen, Thomas Gottschalk hält hier in einer Wetten dass Sendung das Heft in der Hand. Sie hat mit der Sexualität gespielt, in dem Film Begierde ist sie eine lesbische Vampirin. Susan Sarandon hat 1995 in einem Interview zu dem Film gesagt: Man muss nicht betrunken sein, um mit Catherine Deneuve schlafen zu wollen – egal, welche sexuelle Orientierung man vorher hatte. 

Von allen Posts, in denen die Deneuve in diesem Blog erwähnt wird (und das sind viele) hat The Vampyre die meisten Leser gefunden. Lesbische Vampire, wahnsinnige Mörderinnen (in Polanskis Ekel) und Freizeitnutten, so etwas kommt immer an. Sie ist im Alter viel besser, wenn sie Odette Swann in der Verfilmung von ProustsLe Temps retrouvé spielt. Oder wenn sie Freuds Prinzessin ist.

Sie hat in mehr als hundert Filmen gespielt, es waren nicht alles gute Filme. An viele wird man sich nicht erinnern. Manchmal genügte es, dass sie da war. Wie in Un Flic von Jean-Pierre Melville, der über seinen Film sagte: Dans 'Un flic', il y a une femme qui dit en tout et pour tout: 'Ca va?'. Et une heure et demie plus tard décroche un téléphone et dit: 'Oui'. Et c'est Catherine Deneuve qui a accepté de la faire. Elle a compris qu'étant la seule femme du film tout à coup sa présence devient importante.

Ein Leben auf der Leinwand, so heißt auch die ✺Dokumentation von arte. Ich habe nicht all ihre Filme gesehen, weil ich die blonde kühle Frau nicht so recht mochte. Ich fand ihre Schwester Françoise Dorleac (die hier in dem Post Jean Desailly vorkommt) witziger. Die sprühte vor Leben, hatte nicht vor, reserviert und cool zu sein. Wie alle Menschen, die zurückhaltend sind, fällt es mir schwer, mich zu öffnen. Auch wenn das im Gegensatz zu meinem Beruf steht. Ich gehe nur selten aus mir raus. Viele glauben deshalb, ich sei kühl. Das kann sein. Ich bin eben zurückhaltend, vor allem bei Menschen, die ich nicht kenne, hat Deneuve gesagt. Es ist auch ein Teil von ihrem Image, von ihrem Mythos, an dem sie hart gearbeitet hat. 

Jean-Paul Rappeneau, der die Drehbücher für Zazie dans le métro, Privatleben (mit Brigitte Bardot) und Abenteuer in Rio (mit Françoise Dorleac) schrieb, war durch den Erfolg von La Vie de Chateau verführt, die Deneuve noch einmal in einer Komödie einzusetzten. Die hieß 1975 Die schönen Wilden (✺Le sauvage), man hatte der Deneuve Yves Montand an die Seite gestellt. Sie durfte in dem Film ein klein wenig nackt sein, aber ein wirklich guter Film war das nicht. Ging bei der Verleihung von Preisen auch leer aus. Truffaut hatte schon recht mit der Vermutung, dass die Deneuve mehr durch ihre Schönheit wirkt, als durch ihre schauspielerischen Qualitäten.

Die Dokumentation Deneuve, la reine Catherine vom letzten Jahr sagte in ihrem Ankündigungstext: On la dit froide, secrète et mystérieuse. Elle a la réputation de ne rien laisser percer de ses pensées intimes, de sa vie privée, de ses joies comme de ses tourments. Elle est parvenue à protéger sa famille, ses amours, ses choix de la curiosité des magazines et de son publicDa ist es wieder froide, secrète et mystérieuse. Irgendwie ist das zu häufig strapaziert worden. Meine herzlichen Glückwünsche kommen etwas spät, aber das Joyeux anniversaire! ist nichtsdestoweniger herzlich. Und wenn ich vor zehn Jahren schrieb: Das Geburtstagskind wird in diesem Blog bisher nicht genügend gewürdigt. Irgendwann mache ich das mal wieder gut, dann habe ich das jetzt hingekriegt.

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Taucheruhren


Ich komme nach dem Post Superuhr noch einmal auf das Thema Taucheruhren zurück. Mein Uhrmacher hatte mir vor zwanzig Jahren eine schöne dunkelblaue gefälschte Rolex Submariner geschenkt. Und später noch ein Edelstahlband, das von einer sehr teuren Rolexfälschung stammte. Mein Bruder, dem meine Eltern zum Examen eine Rolex schenkten, sagte mir, dass mein Band besser sei als das Band seiner Rolex. Er hatte jetzt in vierzig Jahren schon das dritte Band an seiner Uhr. Vor Jahrzehnten haben sich Rolexbesitzer Edelstahlbänder der Firma Tissot gekauft, weil die besser waren als das Original. Aber jetzt, wo Rolex die Firma Gay Frères gekauft hat, hat das Elend der Rolex Armbänder vielleicht ein Ende. Leider ist meine Rolex (Nachtauslage) jetzt ein bisschen kaputt. Nicht reparierbar. Obgleich ich sie selten benutzte, sie fehlt mir irgendwie. Hat jetzt eine Funktion als Briefbeschwerer bekommen. 

Wenn ich Geld für eine Taucheruhr ausgeben wollte, dann würde ich mir bei ebay diese Zenith kaufen. Der amerikanische Händler wollte sie mir schon ein paar hundert Dollar billiger lassen nachdem ich die Uhr auf meiner Beobachtungsliste plaziert hatte. Ich finde die Uhr scharf, weil die so ganz anders aussieht als die ubiquitäre Rolex Submariner und all deren Kopien. Es gibt ja auch einige Verbindungen zwischen der Firma Zenith und der Firma Rolex, schließlich hat Zenith jahrzehntelang die Chronographenwerke (das sogenannte El Primero) für die Rolex Daytona geliefert.

Wenn man bei ebay einen Gegenstand auf seine Beobachtungsliste setzt, dann bekommt der Händler einen Ping und weiß, dass da ein  möglicher Interessent ist. Diese 43 mm große grüne Scheußlichkeit hatte ich auf meiner Beobachtungsliste. Ich wollte die auf keinen Fall kaufen, ich verglich die Uhr nur mit dieser Rolex Submariner, die auch grün ist und den Spitznamen Hulk hat. Scheint ein begehrtes Modell zu sein, die Preise klettern. Bei dieser Uhr hier fielen die Preise. Der Händler bot mir die Uhr, die wahrscheinlich aus China kommt, für 15 Euro an (Porto 2,75). 

Ich konnte dem nicht widerstehen, auch wenn ich noch nie einen Hulk Film gesehen habe und das grüne Wesen selbst in meinem Post Fantasy nicht erwähnt wird. Aber die Quarzuhr, die es auch in Blau gibt, wiegt nix und liegt gut auf dem Handgelenk. Ich mag sie inzwischen. Sie hat ein Hardlex Glas, kein Saphir Glas, aber das ist bei vielen Seikos ähnlich. Sie ist aus Edelstahl, nicht unbedingt dem Edelstahl, den die Firma IWC verwendet. Das Band ist gestiftet, nicht geschraubt. Der Barni, der mir ein paar Glieder herausgenommen hat, hat die Firma verflucht. Auf dem Stahlboden steht, dass die Uhr ein japanisches Quarzwerk besitzt und 3 ATM wasserdicht ist. Was will man für fünfzehn Euro mehr haben? Wie die Chinesen das zu diesem Preis hinkriegen, weiß ich nicht. 

Für die deutsche Amazon Seite wurde der amerikanische Text mit dem universalen Übersetzungsprogramm bearbeitet, das immer perfekten Unisinn produziert. Und das heißt dann so: DAXY Luxus-Uhr ist ein neues Ankunft für Männer. Modischer Einfachheits-Stil, exquisites Quarzwerk, macht Sie charmanter. Patentierte Quarztechnologie, schützende Mineralglasscheibe, Gehäuse aus Legierung. Gute Wahl für Feiertagsgeschenke, Thanksgiving, Weihnachtsgeschenke, Abschlussgeschenke, Vatertagsgeschenke, Geburtstagsgeschenke.Hergestellt mit Tiny Equipment Composing Technologie von DAXY Uhrenherstellung. Wasserfeste Struktur (nicht geeignet zum Schwimmen, Tauchen, Duschen usw.) Präzise Bewegung mit dem neuesten Durchbruch Armbanduhr mit goldenem Herren-Luxusgehäuse, geeignet für den täglichen Gebrauch. Speziell entworfenes Metallgehäuse mit hochwertiger Uhr. Spezielles Zifferblatt-Design zeigt Ihren modischen Blickwinkel.

Mitte der fünfziger Jahre waren die ersten wasserdichten Taucheruhren mit einer beweglichen Lünette auf den Markt gekommen: Blancpain Fifty Fathoms (1953), die Rolex Submariner (1954) und die Zodac Sea Wolf ein Jahr später. Am Ende der 1950er Jahre gab es einen ganz neuen Typ der Taucheruhren, die man daran erkannte, dass sie zwei Kronen besaßen. Die untere Krone war zum Aufziehen und für die Zeigerstellung; die obere Krone bewegte die Taucherlünette, die unter dem Uhrglas war. Nach einem Patent der Firma Ervin Piquerez S.A. (EPSA) hießen sie Super Compressor, beinahe jede schweizer Firma hatte die im Angebot. 

Renommierte Firmen wie Jaeger-LeCoultre und Longines, aber auch kleine, unbekannte Firmen verwendeten das Gehäuse von Piquerez. Die Uhren waren 35 mm groß, waren noch nicht so absurd groß wie heutige Taucheruhren. Man konnte sie in der Stadt hervorragend zur Berechnung der Parkzeit verwenden, ob man wirklich mit ihnen tauchen konnte, das weiß ich nicht. Meine Uhr ist von der Firma Hema, hat ein ETA Automatikwerk mit 25 Steinen und läuft seit Jahrzehnten ohne Probleme. Die Hema Watch Co. wurde von der Desco von Schulthess Gruppe gekauft und hieß später Maurice Lacroix. Die stellen natürlich auch Taucheruhren her, sogar solche mit zwei Kronen.

Neben den Super Compressor Qualitätsuhren gab es einen riesigen Markt von Billiguhren, die vorgaben, Taucheruhren zu sein. Manche hießen Meister Anker, die konnte man bei Karstadt und Quelle kaufen. Sie kamen aus Ruhla und hatten meistens das Kaliber UMF 24 in der Uhr. Von diesem sehr einfachen Werk hat man in Ruhla 130 Millionen Stück gebaut. Das sicherte der DDR ein klein wenig Devisen. Die nach der Wende zerschlagene VEB Ruhla ist inzwischen wiederbelebt worden, sie hat jetzt NVA Kommando Minentaucher Uhren im Programm. Ein bisschen pervers ist das schon.

Und dann gab es noch Mengen von Taucheruhren, in denen ganz billige Stiftankerwerke waren. Man erkannte sie daran, dass sie auf dem Gehäuseboden einen Taucher mit Schwimmflossen und Taucherbrille im Wasser zeigten. Das war nun das Billigste vom Billigen, auch qualitativ. Diese Cimier Taucheruhr sieht auf den ersten Blick ganz nett aus, aber wehe man öffnet sie und schaut sich das Werk an. Sie können das schrottige Werk hier sehen. Die Firma Cimier wirbt heute mit Sprüchen wie A passion for the tradition of the finest craftsmanship since 1924. Es wird nirgendwo so viel gelogen wie in der Welt der Uhren.

Der englischen Firma Smiths ging es in den sechziger Jahren finanziell nicht gut. Sie besaß zwar noch den W10 Auftrag für die Fliegeruhren der Royal Air Force, aber der war am Auslaufen. Da brachte Smiths 1968 eine solide 38 mm große Taucheruhr auf den Markt (waterproof tested 20 atmospheres) weil sie sich einen Auftrag der Royal Navy erhofften. Doch daraus wurde nichts, und so war die Smiths Astral CM4501 Diver, die Journalisten liebevoll die englische Rolex getauft hatten, die letzte englische Armbanduhr mit einem englischen Manufakturwerk.
 
Die Uhr kostete damals 15 Pfund Sterling, heute muss man schon vierstellige Summen für diese Uhr auf den Tisch legen. Ich habe meine vor dreißig Jahren für 85 Mark gekauft; und bis auf die immer etwas neben der Zeit liegende Datumsschaltung, will ich nichts Böses über diese Uhr sagen. Weshalb Taucheruhren eine Datumsanzeige brauchen, weiß ich nicht. Die Smiths sieht wirklich ein wenig wie eine alte Rolex aus. Vor allem mit dem schwarzen Horween Pferdelederband, das ich ihr spendiert habe. Auf dieser alten Anzeige wird die Uhr als skindiver's watch bezeichnet, und das gilt für all die Uhren, die bisher erwähnt wurden. Und die wir so global als Taucheruhren bezeichnen. Sie sind fürs Schnorcheln gut, sind nichts für Berufstaucher, die in der Tiefsee arbeiten. 

1961 gründete der Ingenieur Henri Germain Delauze ein Unternehmen, das Compagnie Maritime d'Expertises, abgekürzt COMEX, hieß. Er suchte schnell die Zusammenarbeit mit der Firma Rolex, und die baute ihm Uhren, die wirklich für das kommerzielle Tiefseetauchen geeignet waren. Die bekamen dann den Namen Comex auf das Zifferblatt, und wenn eine wirklich die Arbeit unter Wasser überlebt hat, dann kostet sie wie diese hier 172.000 Euro. Dafür kann man sich auch einen gebrauchten Rolls Royce kaufen. Oder das Geld an Ärzte ohne Grenzen überweisen. Die meisten Rolex Comex Uhren, die angeboten werden, sind wahrscheinlich Uhren mit einem gefälschten Zifferblatt.

Auch Omega arbeitete mit der Comex zusammen. Ihre Seamaster Professional 600 hatte den Spitznamen Ploprof (was von Plongeur Professionel abgeleitet wurde). Die Uhr war doppelt so teuer wie eine Rolex Submariner, schlug aber sämtliche Rekorde, die man mit einer professionellen Taucheruhr erreichen konnte. Bei einer simulierten Tauchtiefe von 1.370 Metern verformte sich das Gehäuse ein wenig, die Uhr funktionierte aber noch. Die Ploprof war mit einer Größe von 55 mm für den täglichen Gebrauch ein wenig unpraktisch, deshalb brachte Omega wenig später noch eine Baby Ploprof in der Größe von 38 mm auf den Markt.

Das Uhrenmagazin watchtime versichert uns: Heute werden Taucheruhren längst nicht mehr nur zum Tauchen getragen. Ihr sportlicher Look begeistert auch Menschen, die sich an Land wohler fühlen als unter Wasser. Eine Taucheruhr ist heute mitunter modisches Statement, beliebtes Sammlerobjekt unter Uhrenfans oder einfach nur ein cooles Accessoire. Das sind so die Sprüche, die ich liebe. Ähnlich werben Uhrenfirmen: Das Modell X besticht durch seine Exklusivität. Das massive Design zeigt den sportlichen Anspruch des Trägers. Ob das auch für diese potthässliche ZentRa Safari aus den siebziger Jahren gelten kann?

Die ZentRa Safari wird man schon wieder mögen, weil sie ebenso wie die Zenith da ganz oben ein wenig anders ist als der wasserdichte Einheitsbrei der Taucheruhren. Beinahe alle noch existierenden schweizer Firmen haben so etwas mit schwarzem Zifferblatt und Lünette im Programm. Viele Firmen holen historische Modelle wieder aus der Schublade, weil man ein bisschen Nostalgie immer gut verkaufen kann. Die Eterna Super KonTiki hat es als Neuauflage gegeben, die Doxa 300 Sub auch. Und bei Blancpain, die zwischenzeitlich immer mal pleite waren, gibt es bestimmt jedes Jahr wieder eine Neuauflage der Fifty Fathoms. Der. Geist,. den. es. zu. bewahren. gilt steht da auf der Firmenseite.

Noch mehr an Taucheruhren, als die schweizer Firmen anbieten können, kommen aus China. Sie haben Namen wie Parnis, Pagani Design, San Martin, Bliger, Corgeut, Bersigar oder Steeldive. Manchmal bezeichnen auch unterschiedliche Namen dasselbe Produkt. Und dann ist da ja noch die große Modding Szene, die Seikos umbaut. Diese schöne Seiko Marine Master ist nicht von Seiko, mit einer echten Seiko Prospex hat das nichts zu tun. Von Seiko ist nur das Uhrwerk. Der Rest ist custom made wie der Kunde es haben will. Anderes Zifferblatt, andere Lünette, andere Zeiger: anything goes. Seiko selbst ist erst seit 1965 mit der 62MAS im Taucheruhrengeschäft, aber eine alte Taucheruhr von Seiko, die mindestens 2.500 Euro kostet, wird niemand modfizieren wollen.

Es gibt auch in Deutschland kleine Firmen, die für den Bruchteil des Preises einer Rolex Submariner qualitativ akzeptable Uhren anbieten, die mehr als hundert Meter wasserdicht sind. Und Made in Germany auf die Uhr schreiben können. Da wären neben der Firma Sinn Spezialuhren zum Beispiel Steinhart und Marcello C. Die Firma des Architekten Günter Steinhart liefert mit der Ocean One für 500 Euro eine Taucheruhr; die Nettuno 3 von Marcello C kostet das Doppelte. Die Eichmüller Uhren für 49 Euro lassen wir mal weg, weil die alle aus China kommen. Die Firma Marcello C von Marcell Kainz hat ihren Sitz in Würselen, da wo Martin Schulz mal Bürgermeister war. Die Firma ist seit dreißig Jahren im Geschäft, und ihre Kunden scheinen sehr zufrieden zu sein. Das Signet auf ihrer Nettuno 3 ist eine zarte Welle, aus der der Dreizack Neptuns hervorragt. 

Als ich das Signet vor Jahren zum erstenmal sah, gefiel mir diese Uhr. Ich beobachtete bei ebay über die Jahre die Preise. Die Nettuno kostet neu tausend Euro, gebrauchte Uhren werden bei ebay zu Preisen zwischen dreihundert und fünfhundert Euro gehandelt. Nix für mich. Aber als ich letztens eine für hundertsiebzig (oder Preisvorschlag) sah, schlug ich zu. Habe die Uhr jetzt am Arm. Die Uhr ist zehn Jahre alt, aber in einem sehr, sehr gepflegten Zustand. Der Verkäufer hatte bei seiner Beschreibung nicht übertrieben. In der Uhr tickt ein ETA 2824-2 in der Qualität élaboré, in den neueren Modellen ist ein Selitta SW 200. Das ist ein erstklassiger ETA Klon, die ETA liefert das 2824-2 nur noch an Firmen der Swatch Gruppe (es ist übrigens auch in allen Taucheruhren der Rolex Zweitmarke Tudor). Die Uhr geht nach zehn Jahren noch chronometergenau. An der Qualität der Nettuno 3 gibt es nichts zu bemängeln. Am Preis auch nicht, vor allem weil mich die Uhr nur 155 Euro gekostet hat.

Die Bundeswehr kennt keine Dienstuhren, aber die Firma Sinn versichert uns, dass die Kampfschwimmer in Eckernförde ihre Uhren tragen. Die haben in Eckernförde schon alles ausprobiert, sie hatten Uhren von Rolex, Blancpain und Doxa im Test. Das hat mir jemand erzählt, der sich da auskannte. Bevor sie zu Sinn wechselten, hatten sie Uhren der IWC Porsche Design 2000. Der  Besitzer der Firma Sinn war vorher in einer Führungsposition bei der IWC gewesen. Es ist für die Werbung einer Uhrenfirma immer gut, wenn man auf eine militärische Verwendung hinweisen kann. Ich habe meine ganze Dienstzeit als Soldat mit meiner Konfirmations Junghans bestritten, ich habe nie einen Soldaten mit einer Taucheruhr gesehen. Heute ist das wahrscheinlich anders. 

Wenn man bei Google Taucheruhr eingibt, bekommt man zweieinhalb Millionen Ergebisse. Tausende solcher Uhren mit dem massiven Design, das den sportlichen Anspruch des Trägers zeigt, liegen bei ebay herum. Warten darauf, dass sie von richtigen Männern gekauft werden. Am Anfang des Filmes Dr No trägt James Bond, wenn er Sylvia Trench kennenlernt, eine goldene Gruen Precision. Eine Uhr für einen Gentleman, ganz besonders zum Dinner Jacket. Aber bei den Dreharbeiten in der Karibik fand der Produzent Cubby Broccoli, dass die goldene Gruen am Arm von Sean Connery etwas mickrig aussah. Und er lieh dem Hauptdarsteller seine Rolex Submariner. Seitdem tragen richtige Männer Taucheruhren. Auch wenn sie Nichtschwimmer sind.

Die Rolex blieb in den James Bond Filmen ein wiederkehrendes Element, bis sie von einer Omega abgelöst wurde. Wenn Bond in Casino Royale (2006) gefragt wird, ob er eine Rolex träge, ist seine Antwort: Omega. Diese Omega aus dem Film war einem Sammler bei der Auktion von Antiquorum 215.000 Schweizer Franken wert. War noch originaler Dreck von den Dreharbeiten dran. Sieht aus wie rote Erde auf dem Truppenübungsplatz Sennelager. Warum kauft jemand so etwas?

Aber es gibt ein Leben ohne diese Dinger. Nach einer Woche Uhrentest (ohne Dusch- und Badewannentest) habe ich die Nettuno beiseitegelegt. Sie geht zwar hervorragend, aber sie ist mir zu schwer und zu unhandlich. Sie stört mich beim Tippen. Und sie schabt die Manschetten der italienischen Oberhemden ab. Sie liegt jetzt neben der alten blauen Rolex. Wenn ich ein wenig Schwere im Leben brauche, kommt sie wieder an den Arm..

Samstag, 21. Oktober 2023

Uwe Greßmann


Ich habe schon in dem Post zum 3. Oktober erwähnt, dass ich auf den Berliner Dichter Uwe Greßmann durch meinen Onkel Karl gekommen bin. Darauf möchte ich noch einmal eingehen. Greßmann hatte den Krieg noch als Kind erlebt, Karl als junger Soldat. Wie viele sind mit völlig zerfledderten Büchern aus dem Krieg zurückgekommen? Büchern, die ihnen etwas bedeutet haben. Mein Onkel Karl hat mir erzählt, dass er beim Offizierslehrgang in Holland ein wunderhübsches Meisje kennengelernt hatte. Verliebt wie er war, wusste er aber doch, dass es hier im Krieg keine Hoffnung für diese Liebe gab. Andere seiner Kameraden hatten nicht dieselbe Zurückhaltung. Zu der Zeit schenkte ihm ein Freund, der abreisen musste, weil er den Lehrgang nicht bestanden hatte, ein Buch mit Hölderlins Gedichten. Es hat ihm, auf einer geistigen Ebene, über die letzten Kriegsjahren und die schweren Kriegsverletzungen hinweggeholfen. Als er seine Famlie in Berlin in einer völlig zerschlissenen und zerrissenen Uniform erreichte, hatte er den Hölderlin Band immer noch bei sich in der Uniformtasche. 

Er hatte kurz nach dem Krieg eine Zusage als Steinmetz bei der Dombauhütte Köln, aber er konnte die Stelle nicht antreten. Er bekam keine Zuzugsgenehmigung. So studierte er in Berlin Bildhauerei: Wird einer Bildhauer, weil er besonders geeignet ist, oder weil ihn seine Jugend gewöhnt hat, auf Vorkommnisse des Daseins in bestimmter Weise zu reagieren? Erzieht die Arbeit an der Skulptur im Umgang mit der Welt? Er wird auch zeichnen und malen und schreiben. Auch Gedichte:

das grüne schilfhalmdickicht
in den wind gestellt
beschränkt den blick

gelassen neigen
die schäfte
vor dem übersteigen
der schwestern sich


Zu meinen Geburtstagen bekam ich von ihm eine Grafik oder ein Gedicht, geschrieben mit seiner schönen Handschrift, die schon ein kleines Kunstwerk war. Karl schrieb nicht nur Gedichte, er kannte auch Dichter. Den früh verstorbenen Uwe Greßmann hat er gekannt. Nach dessen Tod wird man ihn bitten, dem Dichter die Totenmaske abzunehmen. Was er getan hat, das steht in allen Berichten über Greßmanns Leben. Da wird auch die Größe der Maske angegeben. Und dass der Gips an manchen Stellen vergilbt ist. Der arme Greßmann hatte kein langes Leben gehabt:

Am Bett hielt
Mich jahrelang Krankheit
Gefesselt. Ich habe mir meine
Gedanken gemacht und
Geschaut in das Auge der Fremde.
Ich habe das Lager
Der Krankheit verlassen
Und habe auch damit
Die Lehrzeit beendet.
Ich werde von nun an
Bemüht sein, als reger
Geselle Erfahrung
Zu sammeln und möchte
Als Meister die Früchte
Des Lebens genießen
Die Achtung der Menschen
Und Einsicht in Fülle


Greßmanns hatte eine Kindheit in Waisenhäusern und bei Pflegeeltern, seine Mutter kümmerte sich nicht um ihn. Den Vater sah ich nie, die Mutter etwa drei Wochen; sonst lebte ich unter Fremden. Er hat über seine Eltern geschrieben:

Meine Mutter war
eine Rose.
Von Dornen hatte
Ich eine Wiege;
Und: verwelkte.
Mein Vater kam nicht,
Sie zu besuchen,
Als sie gebar.
Wo blieb er denn?

Volksschule, eine Lehre als Elektroinstallateur, dann kam die Tuberkulose, Gelegenheitsjobs. Eine Stellung in der Poststelle des HO-Gaststättenbetriebs Berlin. Was ihn am Leben hält, ist Lesen und Schreiben. Nicht nur Gedichte, er übersetzt auch aus dem Russischen und dem Ungarischen. Bücher sind jetzt sein Leben: Und kehre gerne ein ins Antiquariat; Und ich sehe zu euch zurück, Die ihr in den Jahrhunderten steht. Denn ich werde euch singen und mich, die kommende Zeit. Und was er schreibt, das erstaunt seine Umwelt: Er war sehr krank. Ich fand, daß er unheimlich schöne Gedichte geschrieben hatte ... Wenn er was von sich gelesen hat, hat keiner was gesagt, wir waren vor Ehrfurcht erstarrt, die Jungen und die Alten, hat Bettina Wegner gesagt. Sie hatte Greßmann im Lyrikclub Pankow kennengelernt. 

Über den Club hat der Dichter Peter Will geschrieben: Es war Nacht. Irgendwann Anfang 1969. Wir kamen aus dem Lyrikclub Pankow, Vinetastraße, wo, wie jede Woche, junge Leute ihre neuesten Gedichte vortrugen. Unter den Zuhörern Uwe Greßmann, der kerzengerade auf seinem Stuhl saß, die anderen überragend, aufmerksam zuhörte und gelegentlich kritische Anmerkungen machte, die den Texten gut taten. Wir kamen also aus dem Klub und gingen zur Straßenbahnhaltestelle Berliner Straße. Wir redeten eine Weile, wahrscheinlich über Kunst, Gedichte. Der Frühlingsbote lud mich ein, ihn in seinem Zimmerchen zu besuchen und an einem vereinbarten Tag seine Zeichnungen zu betrachten. Ich hatte diesen Wunsch geäußert. Die Straßenbahn kam. Er liebte die Straßenbahn, wenn er aus der Ferne hörte, wie sie um die Kurve fuhr. Aber jetzt war keine Kurve weit und breit zur Stelle. Die Straßenbahn konnte ihre Kunst nicht hören lassen 'In den Kurven spielen Straßenbahnen Geige'. Es war das letzte Mal, dass ich Uwe Greßmann sah. Zu Greßmanns Beeerdigung war seine Mutter, zu der er nur noch brieflichen Kontakt hatte, zum Erstaunen seiner Freunde erschienen.

Greßmann ist ein Dichter, der über das Weltall und die Ewigkeit schreibt, aber auch über einfache, kleine Dinge. Über seine Zahnbürste, über die Seife, über das Handtuch, über das Geräusch der Straßenbahn in der Kurve. Das Gedicht Ständchen mit der musizierenden Straßenbahn zitiere ich mal eben:

In den Kurven spielen 
Straßenbahnen Geige. 
Ach, so mancher denkt da 
Seiner Freundin oder 
Träumt von kommenden Dingen. 
Aber die meisten klagen 
Und nennen es ohrenbetäubenden Lärm, 
Oder gehen achtlos daran vorüber.
Ganz einfach, weil sie wie so oft
Die Feier im Alltag nicht sehen .
Der wer die Seitenstraße langgeht , kann ja,
Sucht er die Eintrittskarte
In der Manteltasche, auch
Das Konzert der Fahrzeuge da schon hören,
Falls er keine Zeirt mehr hat,
Die musische Stätte direkt aufzusuchen.

1966  erscheint sein erster Gedichtband Der Vogel Frühling: Gedichte beim Mitteldeutschen Verlag, mit Zeichnungen von Horst Hussel. Ein Jahr später gibt es eine zweite Auflage, das war ein Erfolg, den er noch erleben dufte. Sein zweiter Gedichtband Das Sonnenauto wird postum erscheinen. Aus dem Nachlaß wird man noch den Band Sagenhafte Geschöpfe zusammenstellen. Aus dem ersten Band zitiere ich einmal das Gedicht An den Vogel Frühling:

Daunen dringen aus dir.
Davon kommen die Blumen und Gräser.

Federn grünen an dir.
Davon kommt der Wald.

Grüne Lampen leuchten in deinem Gefieder.
Davon bist du so jung.

Mit Perlen hat dich dein Bruder behaucht, der Morgen.
Davon bist du so reich.

Uralter, du kommst aus dem Reich der mächtigen Sonne.
Darum kommen Menschen und Tiere, und: Erde,
Dich zu empfangen.

Da du sie eine Weile besuchst,
Sind sie erlöst und dürfen das weiße Gefängnis verlassen,
In das sie der Winter gesperrt hat.
Und davon kommen die Sänger,
Die dich besingen.

Frühling, du lieblicher.
Du richtest den Kopf hoch.
Davon ist der Himmel so blau.

Und es wärmt uns alle dein gelbes Auge.
Und du siehst uns an.
Und darum leben wir.

Wenn man den Dichter Uwe Greßmann kennenlernen will - und das lohnt sich unbedingt - dann sollte man mit dem Band Lebenskünstler. Gedichte, Faust, Lebenszeugnisse, Erinnerungen an Gressmann / Uwe Gressmann (Leipzig: Reclam, 1982) beginnen. Auf dem Buchrücken findet sich ein Text von Stephan Hermlin: Als ich seine ersten Verse las und vorlas, hatte mich Uwe Greßmann in Verlegenheit gebracht. Man empfindet Verlegenheit vor jemand, den man nicht einer Richtung, einer Tradition zuordnen kann und dessen eigenständige Begabung man gleichzeit stark empfindet. Ich gehöre nicht zu den Etikettenklebern, aber es ist mir schon ganz recht, wie anderen auch, wenn ich mich in jemand ein wenig auskenne, wenn ich sagen kann, 'das hier hat er von dem da' und 'dieses geht auf jenes zurück'. Nichts derartiges ließ sich von Greßmanns Gedichten sagen. Sie waren einfach da, merkwürdig, schrullig, manchmal komisch, ein bißchen unheimlich. Dabei waren es nicht etwa verstiegene Produkte, sie waren ohne Ambition, sie waren hiesig, heutig, plebejisch, Gedichte aus Berlin oder aus Berlins Umgebung. Mit einigen dieser Gedichte kann ich nichts anfangen, viele gefallen mir, manche sind wundervoll. 

Hermlin hat sicherlich damit recht, dass man Greßmanns Lyrik mit keinem Etikett versehen kann, Greßmann ist in der Literatur der DDR eine Ausnahmeerscheinung. Aber ich glaube, dass es doch etwas gibt, das sich durch sein Werk zieht. Und das steht in den Gedichten, die mein Onkel Karl 1945 in seiner Uniformjacke nach Berlin zurückbrachte. In vielen Gedichten von Greßmann ist ein klein wenig Hölderlin. Und wenn man Hölderlin und seine Sprache im Kopf hat und Greßmann noch einmal liest, dann findet man immer wieder Verse, die ein klein bisschen nach Hölderlin klingen. Nicht nur in seiner Naturlyrik.

Und das Gedicht An den Raum, das Stephan Hermlin sicher auch wundervoll gefunden hat, zitiere ich hier einmal zum Schluss:

Ein Himmel ist der Waldweg,
Darauf die Sterne kreisen −
So nahe sind sie −
Auch abseits im All,
Zwischen den Gräsern
Und unter den Büschen.

Winde sind Füße;
Und manchmal hältst du sie still,
Um keinen Stern zu zertreten.
Manche erlöschen davon.
Hinter dir leuchten sie auf,
Da du vorbei bist.
Wie Geäst knackt unter dir Donner,
Du streckst eines Blitzes Arm aus
Und greifst einen Glühwurm
Und legst ihn auf den Wolkenteller deiner Hand.
Davon wird es dort hell und tagt.

Und so bestimmst du die Tage,
Die Wetter, den Wuchs einer Erde,
Die da in dir auch irgendwo sein muß.
Und sei’s an den Sohlen des Weltalls.

Montag, 16. Oktober 2023

Cricket olympisch


Bei den Olympischen Spielen 2028 soll nun auch Cricket gespielt werden, 128 Jahre, nachdem es das zum ersten und einzigen Mal bei Olympischen Spielen gab. Es werden bei diesen Spielen in Los Angeles noch weitere neue Sportarten eingeführt, über die Thomas Bach zu sagen wusste, man werde in Los Angeles der Welt ikonische amerikanische Sportarten präsentieren und gleichzeitig internationale Sportarten in die Vereinigten Staaten bringen. Dieser Thomas Bach wird dem Sportfunktionär Infantino immer ähnlicher. Ikonische Sportarten, das hatten wir bisher nicht. Das Wort iconic scheint ja neuerdings inflationär für alles zu passen, auch für das englische Nationalspiel Cricket. 

Bei Zalando kann man einen iconic cricket jumper von Ralph Lauren für dreihundert Euro kaufen. Den trägt die englische Nationalmannschaft natürlich nicht, aber deren ikonische Ausrüstung kommt auch aus den USA, Adidas hat das Rennen verloren. Für das IOC ist es eine großartige Gelegenheit, mit neuen Athleten und Fangemeinden in Kontakt zu treten, erklärte Bach. Wann ist das IOC jemals mit Fangemeinden in Kontakt getreten? Diesen Satz kommentierte Der Standard mit: Und dazu eine einzigartige Möglichkeit, die Milliarden-Einnahmen weiter zu steigern. Die TV-Rechte für LA28 werden in Indien neu ausgeschrieben - mit Cricket im Programm sind sie ein Vielfaches wert, nach einem Bericht des Branchenportals 'insidethegames' 150 Millionen Dollar statt bisher 20. Tendenz: Steigend.

Ich war drei Monate im Internet, als ich zum erstenmal über das englische Nationalspiel Cricket schrieb. Das war ein Post, der über die Jahre ganz viele Leser bekam. Mit ganz vielen Leser meine ich eine Zahl von etwas mehr als zwanzigtausend Lesern. Es gibt in dem Post auch ein Photo von mir, wo ich stilecht ganz in weiß bei einem Spiel zu sehen bin. Als ich an der Uni anfing, habe ich mit dem Geld der untergegangenen English Society (deren letztes Vorstandsmitglied ich war) in England eine Cricket Ausrüstung gekauft. Und im Sommersemester vor fünfzig Jahren eine Landeskundliche Übung Cricket: A practical Course angeboten. 

Wir spielten auf dem Uniplatz, der nun nicht unbedingt als Cricketplatz ausgelegt ist, aber es ging. Ich wunderte mich über einen Studenten, der den Bewegungsablauf eines fast bowler perfekt beherrschte. Ich fragte ihn, woher er das hatte, er grinste mich an und sagte: Deutscher Studentenmeister Speerwurf. Ein Studi kam mit seinem Motorrad auf den Platz, so was hasse ich, it's not cricket. Ich sagte ihm, er soll das da wegschieben. Da kommt keiner mit dem Ball hin, sagt der Student. Eine Stunde später hat sein Benzintank eine Beule. Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte, ich wollte das gar nicht. Es war aber ein wunderbarer Schlag. Die Mannschaft, die von einigen unserer englischen Lektoren wie Ian Oliver weitergeführt wurde, ging eines Tages leider ein. Ist dann aber von einem meiner ehemaligen Studenten, Tobias Hochscherf, neu belebt worden. Der hat auch einen weit beachteten Aufsatz über die Bedeutung des Spieles für die englische Kultur geschrieben: More Than Just a Game: Cricket in Culture and Fiction - From Eton to Trinidad. Ich stelle heute zur Feier des Tages, an dem das IOC endgültig beschliesst, dass Cricket wieder eine olympische Sportart wird, den Post aus dem Jahre 2010 noch einmal ein.

Also, das ist nicht die Berufskleidung der englischen Cricket Nationalmannschaft der Damen, das ist definitely not cricket. Wenn auch die Spielkleidung beim Cricket inzwischen leider statt der eleganten weißen Flanellhosen, weißen Hemden und weißen Cricketpullovern (für englische Nationalspieler noch mit drei blauen Löwen verziert) häßlichen bunten Pyjamas gewichen ist, aber irgendwo müssen Grenzen sein. Die werden ja leider mit der Kommerzialisierung aller Dinge immer weiter nach unten verlegt. 1975 regte man sich noch über den gelblichen Sonnenhut von (dem ansonsten perfekt in weiß gekleideten) Majid Khan auf, heute sehen die Spieler aus wie die Teletubbies. Cricket (nicht zu verwechseln mit Croquet) ist der englische Nationalsport, er bedeutet den Engländern viel.

Der Prime Minister John Major hat Cricket gespielt, und er versteht davon auch eine Menge. Er hat auch mal einen kleinen Vierzeiler gedichtet: Oh, Lord, if I must die today, Please make it after Close of Play. For this, I know, if nothing more, I will not go, without the score. Winston Churchill hat niemals Sport getrieben, vielleicht ist er deshalb neunzig geworden. Lord Byron hat für seine Public School (Harrow) gegen Eton 1805 auf dem Cricketplatz von Lord's gespielt. Ein substitute durfte für ihn laufen, das konnte er mit seinem Fuß nicht so recht. Dass es substitutes gibt, weiß jeder Leser von L.P. Hartleys schönem Roman The Go-Between. Cricket ist eine eigene Welt. Das merkt der Kontinentaleuropäer bei einem Englandbesuch, wenn er von seinen Gastgebern gezwungen wird, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen und ein Spiel anzugucken, von dem er nichts versteht. Heute dauert das nicht mehr tagelang, seitdem der Kommerz limited over matches durchgesetzt hat. test matches dauern aber heute immer noch fünf Tage. Cricket ist auch die einzige Sportart, in der es eine Mittagspause und eine Teepause gibt.

Bei Regen wird nicht gespielt. Ansonsten wird solange gespielt, wie man den Ball sehen kann. Bei einem test match zwischen England und Australien, kommen die Australier Jeff Thompson und Dennis Lillee zum Schiedsrichter Dickie Bird, (hier vorm Buckingham Palace nach der Verleihung des OBE Ordens). Sie sind am Verlieren und wollen einen vorzeitigen Spielabbruch (bad light stops play) für diesen Tag zu erreichen. Dickie Bird, einer der beliebtesten Schiedsrichter in England, wurde in disem Jahr neunzig. Er ist gegenüber dem Dickie, mate, we can't see that far unempfänglich und deutet auf eine kleine weiße Scheibe am Spätnachmittagshimmel: What is that there? Worauf Jeff Thompson sagt: That's the moon, Dickie. Und er erhält die wunderbare Antwort: Well, how far do you want to see? Das Spiel ging weiter.

Neuerdings gehört auch Deutschland einem Cricketverband an, aber die deutsche Nationalmannschaft ist in der Weltrangliste ganz weit hinten. In unseren Nachbarländern Holland und Dänemark wird Cricket schon länger auf hohem Niveau gespielt. Es ist in Deutschland zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch gespielt worden, alle Sportarten wie Fußball oder Tennis kamen ja damals aus England zu uns. Schon zu Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin Cricketclubs (es gab auch einen auf Helgoland, aber das war damals noch sehr englisch). Erst unter den Nazis ist die Sportart verschwunden, dabei gab es richtige gedruckte deutsche Regeln, bei denen alles eingedeutscht war. Weshalb allerdings der bowler der Einschenker hieß, das habe ich nie herausbekommen. Aber das Wort steht in den Regeln seit Dr Konrad Koch sein Cricket-Anschreibebuch. Mit den neuesten Spielregeln aus dem Englischen übersetzt bei der Firma v. Dolffs & Helle in Braunschweig veröffentlichte. Der Lateinlehrer, der 1878 mit seiner Abhandlung Cricket als Schulspiel dafür eintrat, dass Cricket auch an deutschen Schulen gespielt werden sollte, hatte damit nicht so großen Erfolg wie mit der anderen Sportart, die er propagierte. Wir haben das heute vielleicht vergessen, aber der Dr Koch hat den Fußball nach Deutschland gebracht.

Cricket ist natürlich aus der englischen Literatur nicht wegzudenken. Und damit meine ich nicht nur Kiplings Gedichtzeile von den flannelled fools at the wicket. Jeder Dorothy Sayers Fan kennt die Szene, wo die wahre Identität von Lord Peter Wimsey (der undercover in einer Werbeagentur arbeitet) während eines Cricketspiels ans Licht kommt. Und jemand zu ihm sagt: Aren’t you Wimsey of Balliol? . . . You have a late cut which is exceedingly characteristic, and I could have taken my oath that the last time I saw you play it was at Lord’s in 1911, when you made 112. Und dann gibt es natürlich noch das schreiend komische Kapitel über das village cricket match in dem wunderbaren Roman England, Their England (hier im Volltext) von dem Schotten A.G. Macdonell. Und Ian Burumas Playing the Game sollte man auch lesen, wenn man die Engländer verstehen will. Der Nobelpreisträger Sir Harold Pinter hat in beinahe jedem seiner Stücke eine Anspielung auf das Spiel untergebracht. Er war ein leidenschaftlicher Cricketspieler, der sogar seinen eigenen Club hatte. Und der irgendwann gesagt hat: I tend to think that cricket is the greatest thing that God created on earth, certainly greater than sex, although sex isn't too bad either.

Was das Cricket zu Schaffung einer eigenen Identität alles bedeuten kann, hat der Schriftsteller, Historiker und Sozialphilosoph C.L.R. James in seinem Buch Beyond a Boundary (hier im Volltext) gezeigt, einem ewigen Klassiker der Cricketliteratur. Und falls der ehemalige first class cricketer Dr Ako Amadi, der immer mit weißen Flanellhosen zum Spiel kam, das jetzt im Flieger zwischen Kanada und Nigeria liest: Ako, ich habe seit dreißig Jahren Dein Exemplar, willst Du es wiederhaben? Der geneigte Leser, den ich mit der Abbildung des grenzwertigen cricket hotties in diesen Text gelockt habe, wird inzwischen gemerkt haben, dass ich ein wenig von dem Ganzen verstehe.

Das verdanke ich natürlich nur meinem Freund Georg (hier auf dem Bild zu sehen), der ein halber Engländer ist, und der uns vor Jahrzehnten das Spiel beigebracht hat. Georg ist in diesem Blog immer wieder erwähnt worden, unter anderem, weil sein Vater Kiplings Gedicht Mandalay ins Plattdeutsche übersetzt hat. Wenn man einmal richtig Cricket gespielt hat, dann bekommt man so etwas leicht Fanatisches, dass man allen zeigen will, was das für ein tolles Spiel ist. Sozusagen eine Art von sportlicher Proselytenmacherei. Ich habe mal versucht, meinen Klassenkameradeen Charlie Kottkamp, der bei der ARD ein großes Tier geworden war, dafür zu gewinnen, eine Sendung über Cricket zu machen; aber ich konnte ihn nicht überreden. Mein Freund Georg hatte beim NDR mehr Erfolg. Die haben mit seiner Hilfe einen kleinen Film gedreht. Als er gesendet werden sollte, wurde er nicht gesendet. Weil Sepp Herberger an dem Tag gestorben war. Sepp Herberger ist wichtiger als Cricket.

Der größte Fehler, den ich mit einer Mannschaft von Studenten gemacht habe, war, eine Einladung eines englischen Kriegsschiffes anzunehmen. Die lagen während der Kieler Woche hier in der Förde und hatten gehört, dass es am Englischen Seminar der Uni eine Cricketmannschaft geben solle.

Ich selbst habe an dem Tag nicht mitgespielt, weil ich den grässlichen Heuschnupfen hatte. Ein weinender und niesender batsman, das geht nun wirklich nicht (aber hier gibt es ein Photo von mir aus dem Vorjahr). Als ich die Limeys kommen sah, wußte ich, dass wir ganz gewaltig verlieren würden. Die hatten Cricketschläger der neuesten Generation, nicht das, womit wir spielen. Ihr einziger Schwachpunkt war der Schiffsarzt. Doctor, are you paid by the Germans? schallte es über das Feld, als der wieder einmal etwas versiebte. Abends gab es dann auf der HMS Fearless noch eine Party. Und ich bekam Monate später vom Captain noch einen Brief in erstklassigem Deutsch, der mit dem köstlichen Satz endete: Ich würde mich freuen, wenn beim nächsten Besuch eines britischen Schiffes einige Ihrer schönen, jungen Studentinnen mit an Bord kommen könnten, um ihre englischen Sprachkenntnisse anzuwenden. Das würde auch zur angenehmen Unterhaltung der Offiziere beitragen! Von unseren Cricketkünsten war höflicherweise überhaupt nicht mehr die Rede.

Also das hier, das ist natürlich das richtige Photo, um Cricket zu vermitteln (die junge Dame da ganz oben zieht aber mehr Leser an). Es zeigt den vielleicht berühmtesten englischen Cricktspieler, W.G. Grace. Oder genauer, um genau zu sein: Dr William Gilbert Grace. Er war auch jahrelang auf der 3 Pence Briefmarke, und selbst wenn er schon beinahe hundert Jahre tot ist, lebt er für Cricket Enthusiasten immer noch. Dieser viktorianische Gentleman hätte auch niemals einen Teletubbyanzug angezogen.

Dieses Bild von Sir Edward Ponsonby Staples, das im Cricketheiligtum, dem Pavillion des MCC hängt, zeigt ein test match England gegen Australien, das in dieser Besetzung so nie stattgefunden hat. Auf englischer Seite sind W.G. Grace und der erste fast bowler der  Geschichte des Cricket, F.R. Spofforth, zu erkennen. Der hatte den Beinamen The Demon. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Lord Harris, steht vorne links. Er trägt einen bunten Blazer (eigentlich ist es eher eine Strickjacke), wie es jetzt unter sportbegeisterten Gentlemen Mode ist. Lord Harris ist ein Freund des Prinzen von Wales. Als George Harris einmal ein gerade für die Mode frisch erfundenes Tweedjackett getragen hat, sagte Edward Na, Harris, geht's zur Rattenjagd? Edward ist der unangefochtene arbiter elegantiarum in dieser Zeit, er bestimmt, was in der Herrenmode angesagt ist, nicht Lord Harris. Später wird er auch Tweedjacketts tragen. 

Edward, der Sohn Viktorias ist auf diesem Bild, rechts auf dem Spielfeld stehend, in schwarzem Gehrock mit Zylinder. Seine Gattin ist ganz in weiß und rosa, die mit dem Sonnenschirm. Der Prinz von Wales scheint uns anzugucken, in Wirklichkeit guckt er nur die Dame im gelben Kleid (die uns auch anzuschauen scheint) vorne rechts an. Das ist Lillie Langtry, auch genannt the Jersey Lily. Sie ist die Geliebte des Prinzen von Wales - und der zwölfte Baronet Staples (ein liebenswerter Exzentriker, der niemals Schuhe und Strümpfe trug) hat das in diesem Bild auch jedem Betrachter, der das vielleicht noch nicht wusste, deutlich gemacht.

Mein heutiges Gedicht stammt auch dieser Zeit, es wurde 1897 veröffentlicht. Da feiert Victoria ihr goldenes Thronjubiläum. Das Gedicht stammt von (Sir) Henry Newbolt und heißt Vitai Lampada. Das ist Lateinisch und heißt Fackel des Lebens, ist eine Zeile in Lukrez' De rerum natura. Liest heute keiner mehr, gab es aber vor Jahrzehnten in der Reihe von Fischers Exempla Classica. Was waren das für Zeiten, als es Klassiker der Philosophiegeschichte noch in einer Taschenbuchreihe gab!

There's a breathless hush in the close tonight
Ten to make and the match to win -
A bumping pitch and a blinding light,
An hour to play and the last man in.
And it's not for the sake of a ribboned coat
Or the selfish hope of a season's fame, 
But his captain's hand on his shoulder smote.
"Play Up! Play up! And play the game!"

The sand of the desert is sodden red -
Red with the wreck of the square that broke;
The gatling's jammed and the colonel dead,
And the regiment blind with dust and smoke.
The river of death has brimmed its banks,
And England's far and Honour a name,
But the voice of a schoolboy rallies the ranks.
"Play up! Play up! And play the game!"

This is the word that year by year
While in her place the school is set
Every one of her sons must hear,
And none that hears it dare forget. 
This they all with joyful mind
Bear through life like a torch in flame,
And falling fling to the host behind.
"Play up! Play up! And play the game!"

Das Paradestück des englischen Imperialismus, der Zögling der Public School, der sich in einer beinahe ausweglosen Situation im Cricket bewährt, wird sich auch für die Sache Englands im Krieg bewähren. Wenn der Wüstensand (Afghanistan?) schon rot vom Blut der Soldaten ist. Wellington wird der Satz zugeschrieben, dass die Schlacht von Waterloo auf den playing fields of Eton gewonnen wurde; er hat das wohl nicht gesagt, so etwas klingt aber immer gut. Gegen dieses Gedicht klingt Rudyard Kipling, den man immer für einen Apologeten des Imperialismus hält, im gleichen Jahr mit seinem Gedicht Recessional ja wie ein Linksliberaler. Sein Gedicht warnt (lest we forget, lest we forget) vor dem Zusammenbruch des riesigen Weltreiches. Newbolts Gedicht wurde im Ersten Weltkrieg von der englischen Propaganda als Durchhaltelyrik gebraucht, und viel mehr ist es ja auch nicht. Sir Henry Newbolt hat auf einer Lesereise in Kanada 1923, als er immer wieder aufgefordert wurde, dies Gedicht zu rezitieren, gesagt, dass er das Gedicht hasse: It's a kind of Frankenstein's monster that I created thirty years ago. Aber Frankensteins Monster ist immer noch in den Gedichtsammlungen und heimlich in vielen Köpfen. 

Als Gegenmittel gibt es zum Ausklang noch ein kleines charmantes und überhaupt nicht martialisches Gedicht von John Arlott, dem berühmtesten Cricketkommentator Englands. Es klingt ein wenig nach der Lyrik von John Betjeman. Das ist kein Zufall, Betjeman ist der dichterische Mentor seines Freund John Arlott gewesen.

Like rattle of dry seeds in pods
The warm crowd faintly clapped;
The boys who came to watch their gods,
The tired old men who napped.

The members sat in their strong deckchairs,
And sometimes glanced at the play,
They smoked and talked of stocks and shares,
And the bar stayed open all day.