Donnerstag, 15. Dezember 2022

Football's coming home?

Der Infantino ist doch im Gefängnis, sagte ich. Keineswegs, sagte mein Freund. Aber der Blatter, der sitzt doch? Ich erfuhr, dass der Sepp gerade mal wieder freigesprochen worden war. Greg Dyke, der Vorsitzende des englischen Fußballverbandes hatte 2015 gesagt: Blatter kann nicht zwischen sich selbst und der FIFA unterscheiden. Er glaubt, es wäre ein und dasselbe, und das ist ziemlich traurig. Und in Zürich kursierte vor zehn Jahren der Witz, was der Unterschied zwischen Gott und Sepp Blatter sei. Die Antwort war: Gott hält sich nicht für Blatter. Gegen Infantino laufen zwar Ermittlungen, aber die Schweizer Staatsanwälte werden es schwer haben: er hat eben seinen Lebensmittelpunkt nach Katar verlegt. Ich bin nicht so ganz auf dem Laufenden, was die Funktionäre der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) betrifft. Also die, die 2015 nicht in den USA wegen Racketeering Conspiracy and Corruption angeklagt und verurteilt wurden. Albert Camus, der in seiner Jugend Torwart in einer Universitätsmannschaft war, hat gesagt: Alles, was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball. Würde das heute jemand sagen? Gibt es für Leute wie Gianni Infantino Moral und menschliche Verpflichtung?

Mein Vater hatte zwei Sprechstundengehilfinnen, die waren beide nett. Die eine, die aus Farge kam, mochte ich noch lieber als die andere. Sie brachte immer etwas mit. Keine Schokolade oder sowas. Sondern Freikarten für Fußballspiele. Ihr Vater war ein kleiner DFB Funktionär, der hatte immer Karten. So lernte ich zum erstenmal im Bremer Weserstadion die Sitzplätze auf der überdachten Tribühne kennen. Vorher kannte ich nur die Stehplätze auf der anderen Seite. Damals fragten sich wahrscheinlich die Funktionäre, wer denn der junge Mann war, der bei dem Freundschaftsspiel Werder Bremen gegen die norwegische Nationalmannschaft zwischen ihnen saß. Der kleine DFB Funktionär aus Nordbremen, dem ich all diese Karten verdanke, war sicherlich ein honoriger Mann. Funktionär und Korruption waren zwei Begriffe, die noch nichts miteinander zu tun hatten. Heute gehören sie zuammen, dank Infantino und Blatter und vielen anderen.

Der Fußball war einmal anders, ganz anders. Als ich jung war, konnte man auf dem Osterdeich noch Spieler von Werder Bremen mit dem Fahrrad an einem vorbeiradeln sehen, die von Mutti sauber gewaschene Spielkleidung auf dem Gepäckträger. Die sauber geputzten Schuhe auch. Ende der vierziger Jahre gab es im Weserstadion für meinen Vater als Schwerkriegsverletzten noch eine kleine Holzbank direkt neben dem Spielfeld. Ich saß neben ihm und war dann Balljunge. Näher konnte man den Spielern von Werder Bremen und des Bremer SV (der auch im Weserstadion spielte) nicht kommen. Die Torwarte waren damals meine Helden, ob das Hans Stephan vom BSV oder Dragomir Ilic bei Werder war. Was Vladimir Nabokov in seiner Autobiographie schrieb, das konnte ich vestehen:

Mit Begeisterung war ich Torwart. In Rußland und den romanischen Ländern ist jene edle Kunst immer von der Aura eines beispiellosen Glanzes umgeben gewesen. Erhaben, einsam, unbeteiligt, so schreitet der Held des Fußballtors durch die Straßen, verfolgt von hingerissenen kleinen Jungs. Er wetteifert mit dem Matador und Flieger-As als ein Gegenstand verzückter Verehrung. Sein Pullover, seine Schirmmütze, seine Knieschoner, die Handschuhe, die aus der Gesäßtasche seiner kurzen Hose ragen, heben ihn von der übrigen Mannschaft ab. Er ist der einsame Adler, der Geheimnisvolle, der letzte Verteidiger. Photographen, ein Knie ehrwürdig gebeugt, knipsen ihn, wenn er sich mit einem spektakulären Kopfsprung quer über die Öffnung des Tores wirft, um mit den Fingerspitzen einen niedrigen, blitzartigen Schuß abzuwehren, und beifällig brüllt das ganze Stadion, während er in dem unversehrten Tor noch einen Augenblick der Länge lang liegenbleibt, wie er fiel.

Für Ilic hatte Werder ein Handgeld bezahlt, was ich aber nicht wusste. Die Kommerzialisierung des Fußballs hatte längst begonnen, neun Spieler von Werder Bremen standen bei der Martin Brinkmann AG in Lohn und Brot. Ob sie da wirklich arbeiteten, wusste niemand, aber es gab Geld. Und den Verein nannte man damals die Texas Elf, nach Brinkmanns Zigarettenmarke Texas (Texas - Eine Zigarette, die einem etwas sagt). Für die machten damals sogar Filmstars Reklame. Wenn wir am Wochenende nicht im Stadion waren, weil es einen Familienausflug gab, schaffte es mein Vater immer, bei Spielschluss wieder in Bremen zu sein. Er fuhr dann langsam neben einer Straßenbahn mit einem offenen Perron her, kurbelte das Fenster herunter und ließ sich von den Fahrgästen das Spiel erzählen. Unser Opel Olympia hatte kein Radio.

Irgendwann kamen die Spieler nicht mehr mit dem Fahrad, sie verdienten Geld und hatten große Autos. Netzer einen Ferrari. Und Manni Burgsmüller ließ sich beim Herrenausstatter Stiesing in der Sögestraße von Kopf bis Fuß neu einkleiden, Otto Rehagel bezahlte die Rechnung, weil der Manni eine Wette gewonnen hatte. Das war noch harmlos, aber es ging weiter in der Bundesliga mit Geldverdienen. Großem Geld. Ausländische Vereine lockten mit viel Geld, Fiffi Gerritzen nahm die 80.000 Mark vom FC Turin nicht an und blieb in Münster. Uwe Seeler blieb immer in Hamburg. Das sind Spieler, die ich verstehen konnte. Alles, was dann kam, die Millionengehälter und die Kommerzialisierung, das verstand ich nicht mehr. Heute sind im internationalen Fußball nur noch Millionäre auf dem Platz. Auch bei den Vereinen, die einstmals Arbeitervereine waren. Als Holger Stanislawski, der ehemalige Trainer des FC St. Pauli, von der Bild Zeitung gefragt wurde, was er mit einem Lottogewinn anfangen würde, sagte er, er würde sämtliche Logen beim HSV und St Pauli kaufen und dort Transparente mit der Aufschrift Scheiß Millionäre aufhängen.

In der Oberliga mussten die Spieler einen Beruf haben, mit der Einführung der Bundesliga war es ihnen freigestellt, ob sie nebenbei arbeiteten. Viele taten das noch. Wie der Zahnarzt Dr Peter Kunter, der Torwart bei Eintracht Frankfurt war. Die Gehälter waren noch gedeckelt, 1.200 Mark konnte ein Spieler, der laut Bundesligastatut einen guten Leumund haben muste, inklusive Leistungsprämien im Monat bekommen. Und es wurde von ihm etwas gefordert, in der Disziplinarordnung stand: Zu den Pflichten des Lizenzspielers gehören insbesondere sportlich einwandfreier Lebenswandel, volle Einsatzbereitschaft und Ritterlichkeit gegenüber dem Gegner. In dem Wort Ritterlichkeit steckt noch etwas von dem Ideal, den der Sport in der Zeit von 1830 bis 1880 im viktorianischen England hatte: a gentleman’s game played by gentlemen. So hatte der Fußball angefangen, als Sport für Gentlemen, die Arbeitervereine kamen später. Dem Zitat mit dem gentleman’s game konnte George Orwell nicht zustimmen, als er sagte: Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting. Das hatte Sir Thomas Elyot schon 1531 ähnlich gesagt: Foote balle wherin is nothinge but beastly furie and exstreme violence.

Natürlich verdiente Netzer mehr als die 1.200 Mark im Monat, sonst hätte er sich keinen Ferrari leisten können. Und bevor 1972 die Gehaltsobergrenzen abgeschafft wurden, gab es auch Schwarzgelder. Und es gab Versuche, ganze Spiele zu kaufen. Als Horst-Gregorio Canellas 1971 an seinem fünfzigsten Geburtstag den Gästen der Gartenparty ein Tonband vorspielte, verließen viele Gäste (auch Helmut Schön) vorzeitig die Party. Das war der Beginn des Bundesliga Skandals. Auch der Bremer Torwart Burdenski hing da irgendwie mit drin. Es hörte nicht auf mit den Skandalen. 1971 sind wohl eine Million Mark an Geldern geflossen; das sind Peanuts verglichen mit dem Geld, das Katar für die Weltmeisterschaft bezahlt hat. Von den goldenen Rolex Uhren ganz zu schweigen. Die goldene Rolex nahm Mario Basler gerne mit, als er nach kurzer Zeit Katar wieder verließ. Rummenige, der für Katar als Lobbyist tätig war, hatte dort zwei teure (sehr teure) Rolex Uhren geschenkt bekommen, die er am Zoll vorbei schmuggeln wollte. Das kostete ihn eine Viertelmillion Euro, er ist jetzt vorbestraft. Das sind Infantino und Blatter noch nicht.

Blatter wurde nach siebzehn Jahren von der Ethikkommission der FIFA zu Fall gebracht. Sein Nachfolger Infantino sorgte als erstes dafür, dass diese Institution keine Macht mehr hatte. Es geht um Macht und um Geld. Katar soll 220 Milliarden Euro für die WM ausgegeben haben, sogar eine Vizepräsidentin des EU Parlaments soll etwas davon abbekommen haben. Wir wisssen inzwischen, dass sich Katar diese WM durch Bestechung erkauft hat. Aber was sollen wir klagen? Wir wissen inzwischen auch, dass unser Sommermärchen 2006 erkauft wurde. Letztlich müssen wir doch wieder einmal Petronius zitieren: Si bene calculum ponas, ubique naufragium est. 

Als ich am Bloomsday 2014 nicht über James Joyce, sondern über die Weltmeisterschaft 1954 schrieb, beklagte sich mein Freund Peter aus Hamburg per Mail: schade: bloomsday gegen diese groehlfatzkes aus den stadien, besoffen von nationalismus: ekelig; der fussball ist verdorben von kopf bis zu den fuessen: die einschlaegigen namen kennst du besser als ich; ich freue mich schon jetzt auf den tag danach, nach dem kostspieligen, aufmerksamkeit besetzenden, spektakel (brasilien bezahlt, die fifa sackt ein; was fuer schiessbudenfiguren!), das is eine andre kulturstufe (insofern man da ueberhaupt von kultur sprechen kann), auch schimpansen kann man jenen sport beibringen. Der emeritierte Medizinprofessor hat nie wie ich Fußball gespielt, aber ich zitiere das gerne noch einmal.


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