Samstag, 30. Januar 2016
Löwen
Als ich den Post ➱Fette Henne schrieb, wusste ich nicht, dass der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe auch über die Kieler Werbeagentur Boy schreiben würde, deren Chefin Bärbel Boy jetzt mit dem Ministerpräsidenten zusammenlebt. Wir können hier sehen, dass der schleswig-holsteinische Löwe für die Feinheimisch Werbung ein wenig abgenommen hat, er ist aber der gleiche heraldische Löwe, der auch auf dem Signet des sogenannten ➱echten Nordens ist. Die Agentur sieht in dem Ganzen keinerlei Missbrauch, wie sie in einer langen pseudo-juristischen ➱Erklärung versichert. Aber ich glaube, da kommt für Frau Boy, die einen visionären Blick auf Menschen hat, noch etwas nach. Und ich nehme natürlich nichts von meinen Beleidigungen zurück.
Die Löwen im Wappen, die heraldisch gesehen manchmal keine Löwen sondern Leoparden sind, sind ja immer wieder als Symbol von Macht und Stärke verwendet worden. Die ➱Cricketmannschaft von England, die die three lions auf dem Pullover hat, wird bestimmt die Kieler Agentur Boy nicht an eine Verschlimmbesserung ihres Wappen heranlassen. Das ist beruhigend. Wenn das nicht sehr reiche Bundesland der Frau Boy Hunderttausende von Euros für ihre mageren Löwen bezahlt, dann ist das eher beunruhigend.
Ich bin überzeugt, dass zum Beispiel ➱Janosch dem Land Schleswig Holstein für viel weniger Geld einen schönen Löwen gezeichnet hätte. Das wäre bestimmt witziger geworden. Man hätte den Auftrag für ein neues Signet, wenn man das überhaupt gebraucht hat, ja auch an die Muthesius Kunsthochschule vergeben können. Wäre bestimmt auch billiger geworden. Die Sache mit dem echten Norden und dem anorexischen Löwen ist übrigens nicht neu, die Vorgängerregierung hatte den teuren Quatsch glatt abgelehnt.
Die Löwen verfolgen mich zur Zeit. Als ich den Post ➱Andernach schrieb, recherchierte ich im Internet, was ich über mein altes Bataillon finden konnte. Auf einer sehr fehlerhaften Seite fand ich unter dem Datum 18. Sept. 1963 den Eintrag: Beim Gastspiel des Circus Busch brechen zwei Löwinnen aus. Erst mit der Hilfe von Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr werden sie wieder eingefangen. Ich kann mich gut daran erinnern, ich hatte Telephondienst im Vorzimmer der Kommandeurs, der gerade bei der Brigade in Oldenburg war. Da ruft seine Gattin an und möchte ihn sprechen. Als ich ihr sage, dass er in einer Stunde zurück sein müsste, bedankt sie sich und fügt den etwas kryptischen Satz hinzu: Sagen Sie ihm, dass bei uns ein Löwe auf der Veranda ist. Ich notiere Löwe auf der Veranda, und teile das dem Kommandeur eine Stunde später mit. Ich nahm an, dass das irgendein persönlicher Code zwischen den beiden sei. Mein Kommandeur guckt mich seltsam an, ich wiederhole die Nachricht. Der Kommandeur greift zum Telephon. Es war kein Code, es war wirklich ein altersschwacher Löwe, der aus einem Zirkus entlaufen war und sich in der Septembersonne auf die Terrasse vom Haus des Kommandeurs gelegt hatte. War inzwischen schon von Tierpfleger, Dompteur und Feuerwehr eingefangen worden. Noch bevor Oberfeldwebel König eingreifen konnte, der mit mehreren Panzern (mit Maschinengewehren bestückt) zur Löwenbekämpfung ausgerückt war.
Es wird hier demnächst noch mehr Löwen geben, aber eher in dieser Form. Ich schreibe gerade an einem langen Post, der Kirchen heißt. Da kommen viele Kirchen aus Jütland drin vor, weil es dort als Kirchenschmuck in der Romanik mehr Löwen (und anderes Getier) gegeben hat als im Rest von Europa. Diese Löwenreiter sind nicht aus Jütland, das sind die Füße des Bremer Taufbeckens. Wenn jemand auf einem Löwen reitet, dann zeigt er, dass die Macht des Löwens (der für das Böse steht) besiegt ist. Wir brauchten mal ein paar Löwenreiter gegen den Nepotismus.
Mittwoch, 27. Januar 2016
Fette Henne
Der Bildhauer und Medailleur Ludwig Gies ist heute vor fünfzig Jahren gestorben. Wenn Sie jetzt sagen: Kenne ich nicht, dann ist das verständlich. Und doch kennen Sie bestimmt eines seiner Kunstwerke. Nämlich diesen Adler hier, der im Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn die Wand zierte. Der Volksmund (oder waren es doch die Journalisten?) hatte ihm den Namen Fette Henne verpasst.
Ludwig Gies hatte sein Wappentier schon vorher einmal zu verkaufen versucht, da sah es so aus. Seinem Künstlerkollegen Adolf Hitler gefiel die klare Linienführung und die für ihn neuartige Technik bei den Gipsschnitten von Gies gut. Aber das Tier kam dann doch nicht in die neue Reichskanzlei: Die Adler-Entwürfe von Gies schienen uns aber nicht für eine zeitgemäße plastische Umsetzung in ein Relief oder Skulptur geeignet, sagte Albert Speer. Dessen Großvater Berthold Speer übrigens noch bei ➱Schinkel die Regeln der Architektur gelernt hatte.
Karl Friedrich Schinkel hat die Neue Wache gebaut, Ludwig Gies hat sie 1931 mit einem ➱Gedenkstein und einem Kranz aus Gold und Silber verschönert. Der Bildhauer dient den Nazis, obgleich der gläubige Katholik, der viele jüdische Freunde hat, wohl selbst keiner ist. Aber er arbeitet für sie. Und gleichzeitig werden manche seiner Werke zur sogenannten entarteten Kunst. Wie dieser Christus aus den zwanziger Jahren. Das Kruzifix, das man als eine bolschewistische Karikatur empfand, wurde schon 1922 das Opfer eines gezielten ➱Anschlags: der Kopf wurde nach Ansicht von Kunstexperten fachgerecht demontiert. Und danach unfachmännisch in die Trave geworfen. Auf der Ausstellung Entartete Kunst 1937 erfolgte dann die nächste Hinrichtung des Werkes.
Ludwig Gies gehört nach dem Ersten Weltkrieg zur Avantgarde, die deutsche Moderne versucht sich in den dreißiger Jahren mit den Machthabern zu arrangieren. Die Karrieren von ➱Caesar Pinnau, ➱Paul Bonatz und ➱Emil Nolde (der sich in einem Brief an Goebbels als fast einzigster deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst bezeichnet) sind da instruktiv. Gies ist vom Expressionismus beeinflusst. Es ist eine schwierige Sache mit dem Expressionismus. In Bremen und Worpswede hat man das Werk von Bernhard Hoetger noch jeden Tag vor Augen, auch der ➱Niedersachsenstein ist ein sehr ambivalentes Bauwerk. Interessant ist dieser Reichadler von Gies für den Erweiterungsbau der Reichsbank (1935–1939): ein Adler mit Eichenkranz und Hakenkreuz aus Leichtmetall. Das ist sozusagen der Vater unserer fetten Henne, die auch aus Leichtmetall ist. Das Hakenkreuz und den Eichenkranz denken wir uns mal weg.
Was heute im Bundestag in der Luft zu schweben scheint, ist wieder aus Leichtmetall. Angeblich auch wieder nach Entwürfen von Ludwig Gies, obwohl das Kunstwerk mit den Namen von Norman Foster und Josef Trendelkamp signiert ist. Foster kennen wir. Der ist ein sogenannter Stararchitekt. Hat mal für ➱Rolex Reklame gemacht. Davor war er Türsteher, da passt das mit der Rolex ja prima. Das Werk von Foster, der zum Entsetzen des Parlaments keine fette Henne, sondern nur ein mageres Hühnchen haben wollte, ist nur die Gestaltung der Rückseite des Adlers. Die Vorderseite ist ganz von der Firma von Josef Trendelkamp, die schon den Adler für den alten Bundestag gebaut hatte.
Ein Name steht nicht auf der dem neuen Adler: Andreas Übele. Das ist der Mann, der dem Bundestag seine Corporate Identity gegeben hat. In einer Zeit, in der das Design über das Sein siegt, ist so etwas wichtig. Er hat sich auch mit ästhetischen Überlegungen zu dem Adler geäußert: und zum bundestagsadler. da ist es sehr interessant, dass der bildhauer ludwig gies, der das gipsrelief des adlers im alten bonner plenarsaal geschaffen hat, lauter unperfektheiten eingebaut hat. die eine schulter ist höher, die brustfedern sind nicht symmetrisch verteilt, und dann hat der vier schwanzfedern, und eine, die linke, ist abgewinkelt, steht ab. später wurde von einem studio eine technisch saubere reinzeichnung angefertigt. es wurden die ganzen störungen herausgenommen. und das verrückte ist, sie sehen es gar nicht auf den ersten blick. wir haben dann für den neuen adler die alte, dickliche, die fette-henne-form erhalten, die anderen störungen nicht. ja, man hätte auch das abspecken müssen. aber ganz ehrlich, das dicke, die gekrümmten linien sind besser. das andere wäre die seife, die flutscht. und dann etwas widerstrebendes, etwas sich sperrendes machen, zu sagen, nein wir machen den fett, so dass es dir zu den mundwinkeln heruntertrieft, das bratfett. und jetzt sage ich als gestalter, und da maße ich mir ein urteil an, das fette, das sperrende ist grafisch auch die bessere form. formal finde ich das besser. also kann man jetzt sagen, wenn etwas sperrt, kommuniziert es besser. Sie können das ganze Interview ➱hier lesen, aber vielleicht reicht dies schon.
Ein Adler musste es für den Bundestag ja unbedingt sein, auf goldenem Grund der einköpfige schwarze Adler ... den Kopf nach rechts gewendet, die Flügel offen, aber mit geschlossenem Gefieder, Schnabel und Zunge und Fänge von roter Farbe. Nicht nur Deutschland hat solch ein Tier im Wappen. Amerika hat den Weißkopfadler, wir den Weißblechadler. Der kleine Scherz war bei den ganzen Adlern mal eben nötig.
➱Benjamin Franklin hat es nicht gefallen, dass man den Adler als nationales Symbol der neuen Republik genommen hat (dieses Bild hier ist von ➱John James Audubon). So schreibt er am 26. Januar 1784 an seine Tochter Sarah Bach: For my own part, I wish the Bald Eagle had not been chosen as the Representative of our Country; he is a bird of bad moral character; he does not get his living honestly. Moralische Überlegungen gegenüber Tieren sind ja immer ein wenig seltsam, aber Franklin hätte da auch einen anderen Kandidaten für den Wappenschild des Präsidenten der vereinigten dreizehn Staaten gehabt: in Truth, the Turk'y is in comparison a much more respectable Bird, and withal a true original Native of America.
Zu Truthähnen hat man in Schleswig-Holstein ganz besondere Beziehungen. Was Sie den Posts ➱Truthähne und ➱Lothar Malskat entnehmen können. Die Truthähne in Schleswig waren leider eine Fälschung, taugten also nicht zu einem Wappen. Adler hätten wir hier oben schon. Seeadler. Die werden leider immer wieder von Leuten vergiftet, die etwas gegen Adler haben. Oder neben dem Adlerhorst eine Autobahn oder einen Windpark bauen wollen. Wir haben natürlich auch Löwen für ein Wappen. Wie die Bremer, die ihre Löwen unentgeltlich der Hamburger Zeit schenkten (lesen Sie ➱hier mehr). Die Löwen im Wappen von Schläfrig-Holstein sind natürlich letztlich die blauen Schleswiger Löwen aus dem dänischen Wappen. Es gibt zwar in ganz Dänemark keine Löwen, aber in vielen Kirchen Jütlands kann man welche sehen. Das weiß ich, weil ich die Gastvorlesung über Romanische Kirchen in Dänemark des Kopenhagener Professors Otto Norn gehört habe (das steht schon in ➱Mein Dänemark, dem Bestseller Post des Jahres 2015).
Wir brauchen keine Löwen und keine Adler, hier oben wird jetzt alles neu, weil wir jetzt der einzige echte Norden sind. Meike Winnemuth (die schon in dem Post ➱Damenmode vorkommt) fand das in ihrer Kolumne im ➱Stern ziemlich absurd: Letztes Jahr hat mein Heimatbundesland Schleswig-Holstein seinen Slogan von "Land der Horizonte" zu "Der echte Norden" geändert. Ich habe kurz gezuckt: Es klang etwas füßchenstampfend, fand ich, blödsinnig rechthaberisch – und ist zudem problemlos von jedem Skandinavier zu widerlegen, der bei Harrislee über die Grenze fährt und dabei das blitzblanke neue Schild passiert. Der echte Norden? Im Unterschied zum falschen Norden, aus dem er gerade kommt?
Den Slogan hat sich eine Werbeagentur namens Boy ausgedacht, er hat das Land mehrere hunderttausend Mark gekostet. Diese Werbeagentur ist mit der Kieler SPD eng verbandelt. Sie macht alles für die SPD. Und die SPD macht auch alles für die Agentur Boy. Herr Albig hat extra seine Frau verlassen und lebt jetzt mit der Agenturgründerin Frau Bärbel Boy zusammen. Irgendwie hat die ganze Chose ein ➱Gschmäckle. Das Kieler Stadtwappen von 1901 gefiel dem Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) auch nicht mehr, es musste etwas Neues her. Ulf Kämpfer will auch, dass Kiel in die Mitte der Stadt einen neuen ➱Kiel Kanal bekommt. Diese kleine Pissrinne soll die Touristen anziehen und Kiel zu einem Venedig des Nordens machen. Ulf Kämpfer ist übrigens der Nachfolger von Frau Gaschke, die über den armen singenden ➱Augenarzt stolperte.
Es gibt noch eine Steigerung der Pikanterie. Schauen Sie sich einmal diese Löwen an. Ist der gleiche Löwe wie auf dem Signet vom echten Norden, hat jetzt bloß noch Messer und Gabel. Aber Frau Boy dachte sich, dass - wenn man schon mal mit dem Design eines Wappens Schindluder treibt - man das doch noch ein zweites Mal verkaufen kann. Und so ist der magersüchtige Löwe des echten Nordens (der das Land Hunderttausende gekostet hat) auf die Werbung des Verein Feinheimisch gewandert. Die haben nochmal dafür bezahlt. Ob sie auch wie Herr Albig mit Frau Boy ins Bett gehen mussten, weiß man nicht.
Aber zurück nach Kiel. Wer bekommt jetzt den Auftrag für das neue Signet von Kiel, das man ja unbedingt brauchte? Richtig, die Werbeagentur Boy. Und die kommt mit so etwas Schönem über. Der Oberbürgermeister (auf dem Photo rechts, immer ohne Schlips, das ist jetzt modern) ist der Meinung, das neue Logo signalisiere: Wir sind wer, eine moderne, innovative Großstadt mit hoher Lebensqualität und nicht nur ein Dorf hinter Hamburg. Wenn er sich da mal nicht täuscht, die Mehrheit der Kieler findet das einfach nur bescheuert. 100.000 Euro wurden schon für die Markenkampagne gezahlt, bis 2020 werden für die Einführung des Unsinns jedes Jahr weitere 100.000 Euro fällig. Das Glockenspiel am Kieler Rathaus lässt zu jeder Stunde eine Melodie erklingen, zu der die Kieler seit einem Jahrhundert singen: Kiel hett keen Geld dat weet de Welt ob's mal wat kriecht dat weet man nich.
Glücklicherweise gibt es ja noch Zeichen der Vernunft auf der Welt, Orte, wo nicht mit dem Geld geaast wird. Also zum Beispiel in dem Blog, der SILVAE heißt. Da gibt es weiterhin dieses schöne kleine ➱Plakat: Keep Calm and Read Silvae. Da kann man nichts falsch machen. Und es kostet den Steuerzahler auch kein Geld. Und wenn Sie immer schon einmal wissen wollten, weshalb der Bundesadler auf Ihrem Personalausweis sieben Federn an jedem Flügel hat, der kleine holographische Adler dahinter aber nur sechs, dann lesen Sie doch die Antwort des Abgeordneten Schäuble auf diese wichtige Frage.
Sonntag, 24. Januar 2016
Admiräle
Amerika hat Seehelden wie ➱Stephen Decatur (Bild) oder ➱John Paul Jones. Das sind die Herren, die so schöne Sätze wie Right or wrong, my country! und Sir, I have not yet begun to fight gesagt haben. Beide haben natürlich schon einen Post in diesem Blog. Aber Amerika hat auch andere Admiräle. Und zwar solche, die in der letzten Zeit den Ruhm der Navy ein wenig in Verruf gebracht haben. Im Oktober verlor der Rear Admiral David Baucom seinen Posten, weil er bei einer Konferenz hackevoll aus dem Saal geschleift werden musste und hinterher splitterfasernackt am Strand spazieren ging.
Marine, Frauen, Erotik und Pornographie, das sind so Probleme. Das fängt schon bei alten Schiffen mit der Galionsfigur an. Meistens weiblich. Wie die meisten Schiffsnamen. Und dann all das, was da im Meer herum schwimmt. Leslie Fiedler soll mal in einem Vortrag gesagt haben, dass der weiße Wal in Moby-Dick die überzeugendste Frauenfigur in der amerikanischen Literatur ist. Die Begegnungen mit Sirenen, ➱Meerjungfrauen und Hexen in der Gestalt von Seehunden lassen wir jetzt mal draußen vor.
Und dann haben wir noch die Pin Ups in den Spinden. Bei denen die Matrosen ihren Vorgesetzten wohl nur in den seltensten Fällen erzählen können, dass es sich da um ein Bild ihrer Mutter handelt. Dies hier ist natürlich ➱Rita Hayworth, wahrscheinlich Pin Up Number One des Zweiten Weltkriegs. Das Photo, das Ann-Margret berühmt machte, finden Sie ➱hier. Vor zehn Jahren quittierte ein Kaplan der Royal Navy den Dienst, weil er die überall sichtbare Pornographie an Bord nicht mehr aushielt. Und dann haben wir da noch den US Navy Lt Commander John Thomas Matthew Lee (auch ein Priester), der gerade wegen Kinderpornographie von Gericht steht. Ihn erwarten wohl zwanzig Jahre Gefängnis.
Frauen an Bord bringen Unglück, sagt der Volksglaube. Der Germanist Wolfgang Stammler hat in einem volkskundlichen ➱Artikel mit dem Titel Seemanns Brauch und Glaube alles gesammelt, was mit Kawenz- und Klabautermann zusammenhängt. Doch soviel Unglück können Frauen offensichtlich gar nicht bringen. Admiral Nelson (und andere Kapitäne in dieser Zeit) hatte nichts gegen Frauen an Bord der Schiffe seiner Majestät, das kann man in N.A.M. Rodgers Geschichte der Royal Navy The Command of the Sea nachlesen. Inzwischen gibt es überall in der Marine Frauen an Bord, die amerikanische Marine hat seit den siebziger Jahren sogar weibliche Admiräle.
Was macht man mit Admirälen, die straffällig geworden sind? Kielholen? Die neunschwänzige Katze? Piraten knüpft man an der Rah auf. Matrosen auch. Melvilles Novelle ➱Billy Budd handelt davon. Man kann einen Admiral natürlich erschießen. Kommt selten vor, ist aber im Fall von John Byng, der ➱hier einen langen Post hat, geschehen. Seine Familie ließ auf den Grabstein schreiben: To the perpetual disgrace of public justice The Honble John Byng Esqr Admiral of the Blue Fell a Martyr to Political Persecution.
Voltaire, der lange in England lebte, schrieb damals: In this country, it is wise to kill an admiral from time to time to encourage the others. Und der Newgate Calendar fand die Worte: Thus fell, to the astonishment of all Europe, Admiral John Byng who was at least rashly condemned, cruelly sacrificed to vile political intrigues. Zwei Vizeadmiräle hatten sich geweigert, das Urteil zu unterschreiben, hingerichtet wurde Byng trotzdem. Er war der erste und der letzte englische Admiral, dem so etwas widerfuhr.
Offensichtlich spielt die Politik eine Rolle, wenn es um angebliche Verfehlungen von Offizieren geht. Es war etwas absurd, dem amerikanischen Admiral Husband E. Kimmel (Bild) nach Pearl Harbor zwei seiner vier Sterne wegzunehmen. Er hätte das Desaster wohl kaum verhindern können. Die Militärgeschichte ist voll von Beispielen der Ungerechtigkeit. Der Neffe des Generals von der ➱Marwitz ließ auf seinen Grabstein setzen: Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in all seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte. Die Kießling Affäre der Bundeswehr wollen wir jetzt lieber nicht erwähnen.
In Deutschland kann ein Admiral (oder General) jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Der amerikanische Präsident ist der Oberkommandierende der Streitkräfte, auch er kann jederzeit einen Admiral entlassen. Der jetzige Präsident hat nicht gedient, er ist einer von zwölf Präsidenten, der keine militärische Karriere hat. Alle anderen waren Offiziere. Barack Obama hat vielleicht in den letzten fünf Jahren mehr Stabsoffiziere gefeuert als andere Präsidenten zuvor (beinahe zweihundert). Rechtspopulistische Kreise sehen in ihm eine Gefahr für Amerika. Aber glücklicherweise regieren Admiräle und Generäle nicht das Land. Man kann sie jederzeit feuern.
Douglas McArthur musste das 1951 erfahren: 1951 war wohl der einzige Moment in der Geschichte, in dem Amerika kurz davor stand, das Schicksal der römischen Republik zu teilen. Der Mann, der die Rolle Cäsars gespielt hätte, war General Douglas MacArthur. […] Er überschritt gewissermaßen den Rubikon, als er Truman auch öffentlich kritisierte. Die Herausforderung des Präsidenten fand nicht nur den Beifall, sondern auch die Unterstützung der Führung der Republikaner im Kongress sowie eines beachtlichen Teils der konservativen Presse. Als Truman ihn ablösen ließ und er zu Hause als Held empfangen wurde, schien die Verfassung zur Disposition zu stehen, schrieb der Historiker Niall Ferguson.
Admiral Rick Williams (hier mit seiner Frau Suzy im Jahre 2014 in Hawaii) ist nicht Douglas McArthur. Seine Absetzung ein halbes Jahr nachdem er die Carrier Strike Group 15 übernommen hatte, bleibt rätselhaft. Vorerst ist er administratively reassigned to the staff of Commander, U.S. Third Fleet. Ich nehme mal an, dass diese Versetzung auch bedeutet, dass er noch Gehalt bekommt.
Echte Sorgen mache ich mir nicht, es gibt eh zu viele von der Spezies Admiral. Das hat Cyril Northcote Parkinson, dem wir die schöne ➱Biographie The Life and Times of Horatio Hornblower und ein halbes Dutzend Seeromane verdanken, schon in seinem Buch Parkinson's Law bewiesen. Das von ihm gefundene Gesetz über die Vermehrung der Beamtenstellen kennen wir alle aus dem alltäglichen Leben. Parkinson nahm in seinem ➱Buch dafür Statistiken der Royal Navy als Beispiel. Im Jahre 1914 hatte England 62 Schlachtschiffe, Panzerkreuzer und Kreuzer, die von 2.000 Beamten in der Admiralität verwaltet wurden. 1928 waren es nur noch zwanzig Schiffe, aber es gab mittlerweile 3.569 Beamte. Auch heute hat sich das Missverhältnis nicht geändert: vor drei Jahren kamen auf 19 einsatzfähige Kampfschiffe vierzig Admiräle und 260 Kapitäne. Man fragt sich bei solchen Zahlen immer wieder: was machen die alle? Pornos gucken?
Es gibt viele Admiräle in diesem Blog. In dem Post ➱Admiral Thomas Cochrane finden Sie eine Liste der Links zu den Posts, in denen ein Admiral vorkommt. Also ohne den Opel Admiral und den Schmetterling (Vanessa atalanta).
Freitag, 22. Januar 2016
Hinterhältiges Pack
Die Woche begann nicht so gut. Zahnarzt. Den Termin hatte ich schon seit Weihnachten. Es würde auch nur eine halbe Stunde dauern, hatte mein Zahnarzt gesagt. Und bis zu dem Termin haben Sie schon 2.250.000 Leser, hatte er hinzugefügt. Ich hatte 2.650.000. Ich habe auch keine Angst vor dem Zahnarzt, mein Vater war Zahnarzt. Mir ist nichts fremd. Aber dennoch bin ich an Tagen mit einem Zahnarzttermin immer ein wenig von der Rolle. Obgleich die Zahnärzte ja heute alle so nett sind, nicht mehr die Götter in weiß. Für meinen Vater war der gestärkte weiße Eppendorf Kittel Pflicht, mein Bruder läuft im Lacoste Polohemd durch seine Praxis. Für meinen Vater war der Kieler Ordinarius Spreter von Kreudenstein (ein Name, den ich seit den fünfziger Jahren nie vergessen habe) eine Art Halbgott in der Welt der Zahnmedizin, mein jetziger Zahnarzt hatte den Namen noch nie gehört. Sic transit gloria mundi.
Mein Zahnarzt trägt auch eine Art Polohemd. Er hat viel Humor. Wenn er einen Eppendorf Kittel tragen würde, hätte er vielleicht keinen Humor. Er hat die Praxis von der Zahnärztin übernommen, deren Patient ich Jahrzehnte lang war. Die interessierte sich sehr für Uhren, wir hatten wunderbare Gesprächsthemen. Sie war auch in einem Ruderclub und war eine handfeste Praktikerin. Ihr Nachfolger ist eine Art Computerfetischist, die ganze Praxis ist voll von Computern. Aber wer will schon gerne seine Zahnzwischenräume auf dem Bildschirm sehen? Es gibt schönere Filme. Neben all dem Computerkram ist mein Doc jedoch auch ein hervorragender Techniker, er kann wirklich alles. Ich kenne mich da aus, ich durfte als Kind im Labor meines Vaters neben ihm und dem Techniker sitzen und Blechkronen auf Gipsmodelle schlagen. Ich kann auch alle Zähne mit lateinischen Namen aufzählen, von den Molaren bis zu den Prämolaren.
Um meinen Zahnarzt bei guter Laune zu halten, hatte ich diesen etwas perversen ➱Zegna Couture Limited Edition Schuh angezogen. Kostet 1.500 Dollar in New York und 28,50 € bei ebay. Fand er sehr witzig. Er hat aber trotzdem gebohrt. Er fällt selbstverständlich nicht unter das Hinterhältige Pack des Titels dieses Posts, obgleich manche Menschen Zahnärzte ja für so etwas halten. Nein, diese abfällige Bezeichnung des heutigen Posts gilt Google. Denn am frühen Morgen hatte ich feststellen müssen, dass meine Bloggerseite völlig tot war. Mi-ma-mausetot. Habe ich meinem Zahnarzt auch erzählt. In der Mitte der Behandlung brach sein Computersystem einmal kurz zusammen. Ich sagte nur: Google. Er hat sehr gelacht.
Die Sache mit dem Computer beunruhigte mich noch nicht wirklich. Die Seite wird schon wiederkommen, dachte ich mir. Ich wollte sowieso mal ein paar Tage Pause machen. Aber die Seite kam nicht wieder. Ich schaute mir an, was das riesige Unternehmen an Hilfe für den Blogger bereithielt. Die Antwort ist: wenig. Ich ging zur Blogger Hilfe Seite. Da hilft einem aber nicht Blogger (=Google), da hilft einem höchstens ein anderer Blogger. Das mächtige Unternehmen kann man natürlich nicht erreichen. Ich arbeitete die Fehlerseite ab: Neustart des Computers, alle Cookies löschen, Cache leeren, Safari auf Privates Surfen stellen, ➱AdBlock entfernen, Browser wechseln. Nichts half, die Seite blieb tot. Ich richtete mir bei Wordpress einen neuen Blog ein, der ➱Silvae2: culture and all that heißt. Wenn ich bloggen wollte, dann konnte ich auch da bloggen. Am Abend hatte ich da drei Leser gefunden. Dass mich auf SILVAE am Montag über 2.300 und am Dienstag über 1.900 Leser angeklickt hatten, konnte ich nicht wissen, weil meine Administratoren Seite bei blogspot.de ja tot war.
Ich war noch nicht in Panik, ich hatte noch keine Entzugserscheinungen. Vielleicht sollte ich überhaupt mit dem Bloggen aufhören? Der frisch behandelte Zahn schmerzte. Es ist sicher kein Zufall, dass ich diesen Cartoon von ➱Jean-Pierre Desclozeaux als Bild für den Blog Silvae2 gewählt hatte. Der kleine gelbe Typ auf der Rattennase, das bin ich. Steht auf jeden Fall auf der Karte von Heidi: Mein Freund Jay. Die hatte sie mir mal vor Jahrzehnten gesteckt, als ich in einer Krise steckte. Ich bin nie von der Rattennase gefallen. Ich war auch jetzt in keiner Krise.
In der Dienstagnacht, ich wollte gerade ins Bett gehen, hatte ich plötzlich eine ganz böse Ahnung. Könnte es sein, dass Google, das die ganze Welt von seinen Produkten abhängig machen will, mit einem Monopolmißbrauch den Bloggern den Zugang nur noch erlaubt, wenn sie den Browser von Google verwenden? Ich lud mir Google Chrome herunter. Und siehe da, ich kam sofort auf meine Seite, und alles funktionierte. Und das war der Augenblick, in dem ich Hinterhältiges Pack sagte.
In seinem Startleitfaden für Blogger sagt Google: Um Blogger verwenden zu können, benötigen Sie einen kompatiblen Browser und ein kompatibles Betriebssystem: Google Chrome, Safari 4 und höher, Firefox 3.6 und höher, Microsoft Edge, Internet Explorer 10 oder 11. Steht da etwa: das Ganze funktioniert nur noch mit Google Chrome? Was kommt als nächstes? Der Zwang, Googles E-Mail System zu verwenden? Im Google Store einzukaufen? Wie sagte der Google Chef Eric Schmidt so schön: Wir können Menschen Anregungen machen, denn wir wissen, was ihnen wichtig ist.
Das ist derselbe Mann, der zu der Frage, warum Google in Europa kaum ➱Steuern zahle, gesagt hat: Man nennt dies Kapitalismus. Dem gegenüber stehen die Sätze von Karl Marx: Die Steuern sind das Dasein des Staats, ökonomisch ausgedrückt. Beamten und Pastoren, Soldaten und Balletttänzerinnen, Lehrer und Polizeibüttel, griechische Museen und gotische Türme, ... – der gemeinschaftliche Samen, worin alle diese fabelhaften Existenzen als Embryo schlummern, sind die – Steuern. Jetzt weiß ich auch, warum die griechischen Museen und die gotischen Türme so selten geworden sind: weil der Steuerflüchtling und Datenkrake Google (ein kleiner Bruder der ➱NSA) nicht zum Gemeinwohl beiträgt. Die Graphik verdeutlicht übrigens, in welchen Ländern der Welt Google Chrome (grün) die Suchmaschine No 1 ist.
Eric Schmidt hat schöne Sätze gesagt. Wie zum Beispiel We know where you are. We know where you've been. We can more or less know what you're thinking... Oder: Just remember when you post something, the computers remember forever. Er hat auch You can trust us with your data gesagt, aber ich glaube, das war ein wenig zynisch. It's a beautiful thing, the destruction of words ist nicht von ihm, das ist von George Orwell. Ich habe das ➱hier schon einmal zitiert. Wenig später war die Person, um die es da ging, ihren Job los. Vielleicht funktioniert das ja auch bei Eric Schmidt, ich hätte nichts dagegen.
Und da ich mit schönen Zitaten heute nur so um mich werfe, hätte ich noch eins: Nach meiner Theorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden. Aber nein, mein lieber Herr Krull, mit dem Wort Betrug darf Google in keiner Weise in Beziehung gebracht werden. Geben Sie ruhig einmal Google und Betrug bei Google ein.
Google bietet tausenderlei nützliche und unnütze Dienste an, die man allerdings an anderer Stelle viel besser findet. Ich nehme einmal als ein Beispiel Google Scholar. Ich gab meinen Namen ein, und Google Scholar fand drei Bücher von mir. Wenn ich meinen Namen bei WorldCatIdentities eingebe, bekomme ich beinahe alle meine Publikationen aufgelistet. Als ich loomings-jay bei Google Scholar eingab, fand ich, dass der Artikel Auch ich in Rom das schöne Bild von Constantin Hansen aus dem Post ➱Bertel Thorvaldsen verwendet hatte. Ich stelle es hier mal hin, das Ganze wird sonst mit Google Chrome zu trist.
Ich bin noch mit Suchmaschinen vertraut, die WebCrawler und Lycos hießen. Sie waren langsam. Aber ich glaube nicht, dass sie Pläne für die Weltherrschaft im Kopf hatten. Safari benutze ich, seit mir unsere Sekretärin ein Jahr vor meiner Pensionierung einen Mac spendierte. Ich war der einzige im Institut, der keinen Computer hatte, ich konnte gut damit leben. Der Kollege, der den Mac in Gang setzte, installierte mir Safari und versicherte mir, dass dies das Neueste und Beste sei. Ich hatte keinen Grund, das nicht zu glauben. Ich habe verschiedene Systeme ausprobiert, bin aber immer zu dem eleganten Safari zurückgekehrt. Nun muss ich jeden Morgen Google Chrome aus dem Keller des Computers holen. Es wird Google wehtun, wenn ich jetzt sage, dass die Mehrzahl meiner Leser Chrome nicht benutzt. Kommt erst nach Firefox, Safari und Internet Explorer auf Platz vier. Und wir alle wissen natürlich, wo Chrom hingehört. An die Straßenkreuzer der fünfziger Jahre. Aber nicht ins Internet.
Google Chrome is a browser that combines a minimal design with sophisticated technology to make the web faster, safer, and easier. Sagt Google. Das mit der sophisticated technology gefällt mir besonders. Die ist so sophisticated, dass sie nicht in der Lage ist, diese Seite mit Bildern zu kopieren, damit ich sie zum Beispiel in einen anderen Blog kopieren könnte. Firefox kann das. Und deshalb ist Google Chrome jetzt nach knapp einer Woche Ärger aus meinem Computer verschwunden. Der Artikel Wie ich Google zu hassen begann von Stefan Dörner hat für mich keine Bedeutung mehr. Hasta la vista, Mr Schmidt.
Mittwoch, 20. Januar 2016
Quickly
Da hatte ich in dem ➱NSU Post doch etwas vergessen, was mir erst klar wurde, als ich den Kommentar von Dieter Kief las. Was hier fehlte, war das berühmte Moped NSU Quickly. Besaß ich zwar nie, ich hatte aber mal vier Wochen ein Kreidler Florett. Doch die NSU Quickly ist Kult geworden, spätestens durch die wunderbare Serie Irgendwie und Sowieso. Da heißt Ottfried Fischer nach seinem Gefährt Sir Quickly. Die ➱Serie von Franz Xaver Bogner ist hier schon in dem Post ➱Bavaria erwähnt worden, allerdings ohne die NSU Quickly. Das wollen wir mal eben ergänzen.
Der NSU Post erreichte sehr große Leserzahlen, was aber leider an mir vorbeilief: ich kam zwei Tage lang nicht auf meine Seite. Konnte nichts bloggen, keine Statistiken einsehen. Über dieses Drama des Alltags schreibe ich gerne noch einen Post. Tausend Zeilen Hass auf Google. Einen Titel habe ich schon: Hinterhältiges Pack.
Sonntag, 17. Januar 2016
NSU
Wenn man heute die Buchstaben NSU liest, dann stehen sie in dem meisten Fällen nicht für die Automobile aus Neckarsulm, sondern für etwas, das Nationalsozialistischer Untergrund heißt. Dieser Name ist ziemlich neu, vielleicht sollte man auch besser nicht diese grotesk großartige Bezeichnung verwenden, sondern von den Mördern Mundlos, Böhnhardt und ihrem Flittchen reden. Die Fabrik in Neckarsulm, die vor den Automobilen zuerst Strickmaschinen, dann Fahr- und Motorräder herstellte, gibt es dagegen schon seit 1873. Und schon 1892 haben sie das NSU (als Abkürzung für die Flußnamen Neckar und Sulm) als Markenzeichen verwendet.
Heute gibt es die Firma NSU nicht mehr, die Nachfolgefirma heißt Audi (das Börsensymbol für die Aktie der Audi AG ist aber weiterhin NSU), ihre Produktion von Motorrädern und Automobilen ist längst Geschichte. Wie zum Beispiel der berühmte Ro80 (der ➱hier schon einen Post hat) oder der NSU 1000TT, der in der TTS Version viele Rennen gewann (sogar einmal die Rallye Monte Carlo). Oder natürlich der NSU Prinz. Ein Modell, das das Badewannen Design des Chevrolet Corvair hatte. Ich kenne es nur zu gut. Ich hatte mehrere.
Ich weiß, dass es einen Klub für Fans der NSU Prinz Modelle gibt. Sie können ➱hier ihre Website anklicken (einen ➱Blog haben die auch). Ich bin da aber kein Mitglied, ich habe schon in dem Post ➱Ehemalige gesagt, dass ich nicht der Typ für Vereine und so etwas bin. Ich gehe auch selten zu Klassentreffen. Schreibe gerade aber an einem Post, der Klassentreffen heißt, aber ich weiß nicht, ob der je fertig wird. Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry hat nichts mit dem NSU Prinz zu tun, er ist nur hier, um diesem Post einen literarischen Anstrich zu geben. Den er später noch bekommen wird.
Auf diesem Photo der ➱Dänischen Straße in Kiel kann man sehen, dass man die Dänische Straße noch befahren kann, dass es noch eine Straßenbahn gibt und dass da rechts ein heller NSU steht. Ich habe das Gefühl, dass das meiner ist. Das ist aber schon die NSU Prinz 1000 Version. Er hieß Principessa, ➱Gudrun hatte ihn so getauft, das Auto steht auch schon in dem Post ➱Cutty Sark. Ein Post, der sehr komisch ist. Und in dem jedes Wort wahr ist.
Ein NSU 1000 war vor fünfzig Jahren schon eine schöne Sache, Welten oberhalb des Prinz 4. Oder des Prinz 3, den man das Brötchen nannte. Der Dirk hatte einen, das weiß ich. Den hatte er mir nämlich mal angedreht, damit ich den von ➱Dänemark nach Hause fuhr. Er selbst fuhr mit dieser scharfen Frau aus Hamburg zurück, die er am Strand kennengelernt hatte. Die hatte ein rotes Alfa Romeo Cabriolet. Ich glaube, der Dirk wollte nicht, dass sie seinen Prinz 3 sah. Die Rückfahrt mit Dirks Auto gestaltete sich etwas problematisch, die Kühlung war kaputt, man musste den Wagen die ganze Zeit mit voll aufgedrehtem Heizungsgebläse fahren. Draußen waren dreißig Grad.
Mit einem Prinz 3 konnte man keine Frauen aufreißen. Mit einem NSU TT schon. Der Rüdiger fuhr einen knallroten. Die Elke, mit der er mal was hatte, war etwas durchgeknallt. Hatte jede Woche eine andere Haarfarbe. ➱Swinging London schwappte auch zu uns herüber, obgleich im Englischen Seminar das einzige, das swingte, die Schwingtür zum Romanischen Seminar war. Elke ist mal auf einer Party völlig high nach einer dramatischen Szene aus dem Fenster gesprungen. Sie ist weich gelandet. Die Party war im Erdgeschoss, und vor dem Fenster war weicher grüner Rasen. Ob aus der Geschichte mit Dirk und der scharfen Frau mit dem roten Alfa etwas geworden ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass der Dirk ein ganz hohes Tier bei Daimler Benz geworden ist und da bestimmt nie erzählt hat, dass er mal einen NSU Prinz 3 hatte.
As I sd to my
friend, because I am
always talking,--John, I
sd, which was not his
name, the darkness sur-
rounds us, what
can we do against
it, or else, shall we &
why not, buy a goddamn big car,
drive, he sd, for
christ's sake, look
out where yr going.
Das Gedicht von Robert Creeley musste mal eben sein, um daran zu erinnern, dass hier auch noch Literatur ins Spiel kommt. Was man den bei Besitzern von NSU Fahrzeugen nicht vermuten würde. Ich habe all diese kleinen Geschichten nur erzählt, um zu verdeutlichen, dass die Besitzer von NSU Automobilen ganz normale Menschen waren, die ihre billigen Autos liebten und pflegten. Sie lagen unter ihnen, während ein Freund von oben Wasser hineingoss, damit sie sehen konnten, wo die Löcher im Bodenblech waren. Sie legten vorne kleine Sandsäcke hinein, um die Bodenhaftung zu verbessern. Sie begrüßten andere NSU Fahrer auf der Autobahn mit der Lichthupe. Sie wuschen ihre Autos mit Hingabe. Aber sie hatten nichts mit irgendwelchen Untergrundorganisationen zu tun.
Die Landstraße schlängelt sich wie auf einer Kinderzeichnung vom grauweißen Horizont zu dem Feld vor meinen Füßen. Und da kommt auch schon ein Auto angefahren. Es ist kein Ferrari 250 GT 12 Zylinder 4 Takt Hubraum 2953 cm3 mit 240 PS und 230 Stundenkilometern, noch nicht mal ein Porsche 501 6 Zylinder 4 Takt Hubraum 1995 cm3 mit 120 PS und 200 Kilometern, sondern nur ein NSU Prinz 2 Zylinder 4 Takt 578 cm3 mit 30 PS, der gerade mal 120 macht, mit Rückenwind, und hier geht es bergauf, raus aus dem verschneiten Dorf, und ich habe noch nicht mal den Mopedführerschein, und Claudia brüllt und Bernd schreit, ich soll mich weiter rechts halten, damit uns die Bullen in den Kurven aus den Augen verlieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn unser NSU Prinz hat hinten schlecht aufgepumpte Reifen, sodass ich kaum die Balance halten kann. Trotzdem liegen wir ein ganzes Stück vorn. Hinter uns die Bullen mit ihrem vollbesetzten Mannschaftswagen VW T2 fangen an zu ballern. Die Kugeln schlagen in die Schneewehen und springen vom Straßenasphalt gegen den zitronengelben Lack der Kotflügel. Claudia kramt im Handschuhfach nach einer Waffe. Die ist nicht geladen, sage ich. Wie, nicht geladen? Kein Wasser drin. Wasser? Das ist meine Wasserpistole. Sag mal, spinnst du? schreit Bernd. Wo ist denn die Erbsenpistole? Vergessen, aber die Wasserpistole ist echt gut, die hat vorne nen Ring, da kannst du um die Ecke schießen. Ihr seid Spinner, vollkommene Spinner, ich denk, ihr habt euch das Luftgewehr von Achim geliehen. Der war nicht da, nur seine Oma, und die wollte es nicht rausrücken.
Prinz 4 und Rote Armee Fraktion, konnte der kein anderes Auto nehmen. Schon machen sich die Rezensenten des Buches über den NSU Prinz lustig, gehässige Bemerkungen über das Symbol der deutschen Spießigkeit fallen da schon mal. Ikonen des Bösen betitelte die Zeit ihre Rezension von Frank Witzels Roman. Und da spricht ein gewisser Jens Jessen davon, dass ein NSU Prinz 4 der Inbegriff dämonischer Niedlichkeit im deutschen Kleinwagenbau sei. Er wird es wissen, er kam gerade zur Schule, als der NSU auf die Straße kam.
Er wird auch nicht mitbekommen haben, dass das Land Baden-Würtemberg sogar eine Anzahl dieser Automobile als Einsatzfahrzeuge verwendet hat. Vielleicht hätte Frank Witzel mal den gelben NSU seiner Kleinkriminellen von diesem Auto jagen lassen sollen. Meine Pricipessa war keine Ikone des Bösen und diente niemals als Fluchtwagen. Mit der Staatsmacht kam sie allerdings auch einmal in Berührung. Ich wollte nach Plön zu Georg, der als Lehrer am Schloss abends die Reithalle nutzen durfte, wir spielten da Badminton.
Kurz vor Preetz geriet ich in der Dunkelheit in eine Polizeifalle. Allgemeine Verkehrskontrolle, bellte ein schwer bewaffneter Polizist. Macht euch nicht lächerlich, sagte ich. Wie meinen Sie das? sagte er. Sie haben Ihre Hand an der Wumme, und da vorne liegt einer hinter einem Maschinengewehr, das nennt man kaum eine 'allgemeine Verkehrskontrolle'. Er war voller stiller Wut. Aber als er in meinen Papieren meinen Doktortitel vor dem Namen und meinen Dienstausweis des Landes Schleswig-Holstein sah, schlug seine Aggressivität in Servilität um. Mehr als diese beiden Verhaltensmuster hatte er, wie viele Polizisten damals, nicht drauf. Es war die Zeit von Baader-Meinhof. Ulrike Meinhof sollte damals in Schleswig-Holstein sein, das Gerücht hatte ich auch gehört.
Sie waren ja überall. Und hatten schnelle Autos. Keinen NSU Prinz. In meiner Heimatstadt Bremen - wo ➱Schillers Räuber dank Wilfried Minks auf der Bühne so aussahen - war man vorbereitet. Ein jüngerer Bremer Polizeioffizier schrieb über einen Kollegen, der über die mögliche Ankunft der Baader Meinhof Bande informiert, in einer Dienstbesprechung folgendes ausführte: „Meine Herren,“ hiernach das unvermeidlich im Offizierston geschnarrte „Äh,“ „Das I. Polizeirevier errichtet in Höhe des Mahndorfer Bahnhofs eine Kontrollstelle, die Baader-Meinhoff Bande kommt in Bremen zu Besuch. Die Bahnhof-Meiner-Bande soll nach Erkenntnissen des BKA am Dienstag kommen. Ich bitte um strengste Eigensicherung, äh, da die Baader-Mahndorf-Bande, äh, ich meine natürlich die Bahnhof-Mahndorf-Bande vermutlich schwer bewaffnet ist!
Die Baader Meinhof Bande fuhr gern BMW. Es machte damals schon ein Witz die Runde, dass BMW für Baader Meinhof Wagen und nicht für Bayrische Motorenwerke stünde. Und es gab BMW Besitzer, die einen Sticker auf ihr Auto klebten, auf dem stand, dass sie keine Terroristen seien. Andreas Baader (der keinen Führerschein besaß) fuhr gerne Luxusautos. Wie einen ➱Iso Rivolta (auffälliger geht es nun wirklich nicht) oder diesen Porsche 911 S Targa. Der natürlich gestohlen war. Auf diesem Photo steht der Besitzer Rainer Schlegelmilch im Keller des BKA vor seinem Porsche. Das orangefarbene Fahrzeug hinter ihm ist ein NSU TT. Ja, auch so etwas hat die Baader Meinhof Bande mal gefahren. Natürlich war der Wagen einem ehrlichen NSU Besitzer geklaut worden.
Meine Principessa hatte ein trauriges Ende. Als ich mir den ➱Peugeot kaufte, ließ mein Vater den NSU einmal gründlich überholen, mit neuen Reifen und allem Pipapo und schenkte ihn dann der Verlobten meines Bruders. Die ließ allerdings kurz vor der Hochzeit meinen Bruder sitzen und brannte mit dem Trauzeugen und dem NSU durch. Und diesen fetten hässlichen Kerl sah ich dann noch jahrelang am Lenkrad meiner Principessa. Es war zum Heulen.
Die Autos aus Neckarsulm werden schon in folgenden Posts erwähnt: Wankelmotor, Traumwagen, Cutty Sark, Fahrstuhl zum Schafott, Heinrich Vogeler, Franco Costa
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