Donald Trump sitzt jetzt vier Tage der Woche im Gerichtssaal, meistens schläft er da. Wenn er nicht im Gerichtssaal ist, macht er Wahlkampf. Im letzten Monat war er in Schnecksville in Pennsylvania. Er hielt eine einstündige Rede, die Sie→hier lesen können. Wenn Sie wollen.
Dienstag, 21. Mai 2024
Gettysburg, wow
Donald Trump sitzt jetzt vier Tage der Woche im Gerichtssaal, meistens schläft er da. Wenn er nicht im Gerichtssaal ist, macht er Wahlkampf. Im letzten Monat war er in Schnecksville in Pennsylvania. Er hielt eine einstündige Rede, die Sie→hier lesen können. Wenn Sie wollen.
Montag, 20. Mai 2024
königlich
Sonntag, 19. Mai 2024
Pfingsten
Pfingsten ist heut, und die Sonne scheint,
Und die Kirschen blühn, und die Seele meint,
Sie könne durch allen Rausch und Duft
Aufsteigen in die goldene Luft.
Jedes Herz in Freude steht,
Von neuem Geist frisch angeweht,
Und hoffnungsvoll aus Thür und Thor
Steckt´s einen grünen Zweig hervor.
Es ist im Fernen und im Nah´n
So ein himmlisches Weltbejah´n
In all dem Lieder- und Glockenklang,
Und die Kinder singen den Weg entlang.
Wissen die Kindlein auch zumeist
Noch nicht viel vom heiligen Geist,
Die Hauptsach spüren sie fein und rein:
Heut müssen wir fröhlichen Herzens sein.
Donnerstag, 16. Mai 2024
Hannelies Taschau zum Geburtstag (nachträglich)
Hannelies Taschau (Jg. 1937) sagte am Telefon: 'Wir treffen uns vorm Bahnhof, Erkennungszeichen knallgrüne Bluse, blaue Hose, und am besten gehen wir irgendwohin eine Tasse Kaffee trinken...'. Also reiste ich nach Hameln, um mit dem Mitglied des 'Redaktionskomitees der Bertelsmann Autoren Edition' über die Autorin, ihre Arbeit und 'das Komitee' zu sprechen. In der HAZ schrieb ich unter der Überschrift 'Es ist ja alles ganz anders' am 12. Juli 1973 über die etwas kompliziert verlaufende Begegnung u.a.: Die Sache ist gebongt. Hannelies Taschau also: lässig, locker, spontan, sporadisch. Wer ihre Bücher kennt, kennt schon fast die ganze Hannelies Taschau, die Tabubrecherin, die Reporterin, das Agitprop-Mäuschen, die Kämpferin an der täglichen Demokratiefront, die Chiffrenschreiberin, die Unterhalterin, die Sprach-, Laut-, Wortverliebte. Bisweilen hat sie das Bedürfnis, all das, was sie unmittelbar entdeckt, weiterzugeben. Unbekümmert, nicht genau bedenkend, dass es vielleicht schon bekannt sein könnte. Als die Wohmann seinerzeit mit dem Schreiben anfing, hätte man sich die Taschau als deren literarische Schwester vorstellen können. Die Wohmann ist sich und ihrem Stil treu geblieben. Hannelies Taschau hat sich auf den langen Marsch zu sich selbst begeben und Phasen herrlich belangloser Verklärungen durchlaufen. Das alles scheint vorbei. Hinter sich gelassen hat sie auch einen Teil der spektakulären Erfolge und Kritiken anlässlich ihres Romans 'Die Taube auf dem Dach'. Die FAZ schrieb, über den vierblättrigen Klee lobend: 'Die Autorin registriert im gleichen Atemzug Wesentliches und Unwesentliches... registriert sachlich und unbewegt wie eine Filmkamera'. Und Nicolas Born schrieb über Taschaus Gedichte: 'Sie sind ein Muster der Unruhe. Bedeutungen zwischen den Zeilen gibt es nicht'.... Gut ein halbes Jahr später erreicht mich mit Datum vom 11. Februar 1974 ein Brief von Hannelies Taschau aus Hameln, in dem u.a. in vorwurfsvollem Ton zu lesen ist: 'Sieht man sich nun mal generell Ihre Interviews an, fällt einem auf, dass Sie gern, wohl der Einfachheit halber, drei, vier sog. Zitate der Interviewten aneinanderreihen, allenfalls durch ... verbunden, die offensichtlich nicht zusammengehören. Sie machen sich ́s überhaupt in vielem zu leicht...'.
Er schläft leicht ein
du mußt ihm die Augen offenhalten
Er ißt gern lange
Wenn man ihn kalt anfasst schrumpft
er
aber das kennst du
das ist bei allen gleich
Nimm ihn bis Freitag kannst du ihn
haben
zum Wochenende hätte ich ihn
gerne zurück
Dienstag, 14. Mai 2024
Goldplättchen
Sonntag, 12. Mai 2024
Nord und Süd
Ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Erst patzt Manuel Neuer, dann der Schiedsrichter: Das unglückliche Aus im Halbfinale stürzt den FC Bayern in tiefe Schockstarre. Ein höchst emotionaler Thomas Tuchel schwankt zwischen Trauer, Wut und Verzweiflung, schreibt Florian Kinast im Spiegel. Bayern ist jetzt ganz raus, aus dem DFB Pokal, aus der Meisterschaft und nun auch noch aus dem internationalen Geschäft. Auf Facebook gratulierte jemand ironisch zum Triple. Und die Frauen des FC Bayern haben auch gegen Wolfsburg verloren, es ist traurig. Sehr traurig. Wenn Bayern heute noch gegen Wolfsburg verliert, wird es noch trauriger.
Hier oben im Norden sieht die Welt ganz anders aus. Dass Kiel in die erste Liga aufsteigt, das hörte ich nicht im Radio, nicht im Fernseher. Das hörte ich im Wohnzimmer. Ich hatte die Fenster offen, um die schöne Frühlingsluft hereinzulassen. Und mit der schönen Frühlingsluft kam auch der Jubel. Bis zum Holstein Stadion sind es von hier aus anderthalb Kilometer Luftlinie. Da höre ich bei jedem Heimspiel, wenn ein Tor fällt. Aber jetzt war das etwas lauter als der normale Torjubel, jetzt war es richtig laut. Ich schaltete den Fernseher ein und konnte lesen, dass der Kieler SV Holstein in die erste Bundesliga aufsteigt. Da dürfen sie dann mal gegen Bayern München spielen. Mal sehen, wie das ausfällt. Ich halte die Fenster offen.
Samstag, 11. Mai 2024
Fortuny
Das Zitat steht schon in dem Post Damenmode. Und in den Posts Une fillette d’un blond roux und Orchideen finden Sie ganz viel zu dem Thema Mode bei Proust. Die Comtesse Greffulhe ist natürlich auch dabei. In dem Roman Im Schatten junger Mädchenblüte sagt der Maler Elstir zu Albertine: Sie werden vielleicht schon bald die herrlichen Stoffe betrachten können, die man da unten getragen hat. Man sah sie früher nur auf den Bildern der venezianischen Maler oder sonst ganz selten irgendwo in einem Kirchenschatz, ab und zu geriet ein Stück auch einmal auf eine Versteigerung. Aber jetzt heißt es, ein venezianischer Künstler, Fortuny, habe das Geheimnis ihrer Herstellung wieder entdeckt, und schon in ein paar Jahren würden die Frauen in ebenso herrlichen Brokaten mit orientalischen Mustern wie denjenigen, mit denen Venedig seine Patrizierinnen schmückte, spazierengehen oder noch besser zu Hause bleiben können. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich darüber so sehr freuen soll, ob es nicht zu sehr nach einem Anachronismus in der Kleidung aussehen wird für die Frauen von heute, selbst wenn sie bei Regatten darin paradieren, denn um auf unsere modernen Vergnügungsjachten zurückzukommen, so sind sie ganz das Gegenteil von dem, was man zu den Zeiten hatte, als Venedig noch die 'Königin der Adria' war.
Marcel wird seiner Albertine Kleider von Fortuny schenken. Weil die ihn an das geliebte Venedig erinnern: Das Fortuny-Kleid, das Albertine an jenem Abend trug, erschien mir wie ein verführerisches Phantom aus jenem unsichtbaren Venedig. Es wimmelte von arabischen Ornamenten auf dem Stoff, wie die venezianischen Paläste, versteckt wie Sultaninen hinter einem orientalischen Paravent, wie die Einbände in der Bibliothek von Ambrosius von Mailand, wie die Säulen, auf denen die orientalischen Vögel, die abwechselnd Leben und Tod symbolisierten, im Spiegel des Stoffs sich wiederholten, von einem intensiven Blau, das, als mein Blick darüber schweifte, zu schmiedbarem Gold wechselte durch dieselbe Wandlung, die vor dem Vorbeigleiten der Gondeln das Azurblau des Canale Grande in ein flammendes Metall verwandelt. Und die Ärmel waren eingefasst in einem Kirschrosa, das so eigentümlich venezianisch ist und Tiepolo Rosa genannt wird. Das Zitat verwendet die Firma Fortuny heute auf ihrer Seite zu Werbezwecken.Das erste Kleid, mit dem Fortuny und seine Frau Henriette (hier von ihm gemalt) 1909 die Modewelt überraschen, heißt Delphos. Vorbild für das Kleid war der Wagenlenker von Delphi, den man zehn Jahre vorher entdeckt hatte. Er gab auch den Namen für das Modell. Das mit einer speziellen Technik plissierte Seidenkleid umfliesst den Körper der Trägerin. Die am besten sehr schlank und nackt ist. Wenn man etwas molliger ist, dann geht man am besten zu Paul Poiret, der einmal Assistent bei dem Erfinder der Haute Couture Charles Frederick Worth war. Berühmtheiten wie Isadora Duncan, Sarah Bernhardt, und Lilian Gish tragen Fortuny. Aber auch die Damen der Halbwelt, für die es hier schon die Posts Demimonde und les grandes horizontales gibt, tragen Fortunys Kleider. Und wenn Sie alles über das Delphos Kleid wissen wollen, dann klicken Sie einmal diese Seite bei →Google Arts & Culture an.
Die Welt der Herzogin von Guermantes ist vergangen. Fortunys Roben kosten ein kleines Vermögen, wenn sie heute bei Auktionen auftauchen. Große Museen wie das Metropolitan besitzen mindestens ein Kleidungsstück von Fortuny. Sein Palazzo in Venedig ist heute ein Museum. Dass der Name Fortuny nach Henriette Fortunys Tod im Jahr 1965 weiterlebt, verdankt Venedig einem Unternehmer namens Lino Lando, der das Internet mit Fortuny Seiten vollgepflastert hat. Ich weiß nicht, ob Marcel Proust das gefallen hätte.
Mittwoch, 8. Mai 2024
Treptow
Sonntag, 5. Mai 2024
Chorprobe
Die schöne Buchhändlerin hatte, wie viele ihrer Freundinnen, den Chor nicht aufgegeben. Sie war nach dem Abitur dabeigeblieben, weil sie sich mit dem Chorleiter, der ihr Englischlehrer gewesen war, so gut verstand. Manche ihrer Freundinnen waren im Chor geblieben, weil der als ein Eheanbahnungsinstitut galt, aber das war ihre Sache nicht. Es war zwar etwas langweilig, jedes Jahr Weihnachten im Dom der Stadt Bachs Kantaten und das Weihnachtsoratorium singen zu müssen, aber es war natürlich auch eine Ehre, dort singen zu dürfen. Bach hatten sie immer im Repertoire. Andere Chöre waren glücklich, wenn sie Im schönsten Wiesengrunde, An der Saale hellem Strande oder Wer recht in Freuden wandern will hinkriegten. Sie alle hatten neben dem Englischen Fremdsprachen am Lyceum gehabt, manche Französisch, andere Latein. Das half ihnen natürlich auch, Texte aus fremden Sprachen anzugehen, zum Beispiel so etwas:
Dio del cielo,
Signore delle cime,
un nostro amico
hai chiesto alla montagna.
Ma ti preghiamo:
su nel Paradiso
lascialo andare
per le tue montagne.
Das Lied von Giuseppe De Marzi war gerade aus Italien nach Deutschland gekommen. Das konnten die Waldundwiesenchöre natürlich nicht. Es kam jetzt viel an internationaler Musik in das Repertoire der Chöre, in denen zu lange nur Deutsches gewesen war. Ihr Chorleiter hatte es immer gefördert, dass etwas Neues in das Repertoire des Chors kam. Der Chor war für seine Auftritte begehrt, aber der Chorleiter war der Meinung, dass man nicht allen Wünschen nachkommen sollte. Also, den Wunsch nach Seemannsliedern beim Hafenfest, den hatte er abgelehnt. Und dem Pastor hatte er gesagt, dass der Chor keinesfalls am Volkstrauertag Ich hatt' einen Kameraden singen würde. Geistliche Lieder in der Kirche: ja. Aber dies nicht.
Der Chorleiter Dr Friedrich Allmers war schon ein älterer Herr, er sollte eigentlich längst im Ruhestand sein. Aber die Schulleitung beließ ihn in dieser Stellung, weil niemand so gut mit dem Chor umgehen konnte wie er. Und weil er das Klavier besorgt hatte, das in der Aula stand. Das alte hätte kein Klavierstimmer der Welt mehr hingekriegt. Es war dann als Kriegsschaden ausgesondert worden, und das war es auch gewesen. Die amerikanischen Besatzer hatten es furchtbar misshandelt. Dr Friedrich Allmers wusste nicht nur, wie er preiswert an ein erstklassiges Klavier kam, er hatte auch gute Beziehungen zu der Musikwelt. Und sein Chor hatte einen guten Namen. Schließlich war man schon mehrfach im Radio gewesen und hatte bei einem Festival einen dritten Platz errungen. Und es liefen da Verhandlungen für eine Langspielplatte mit alten europäischen Volksliedern, aber die waren ins Stocken geraten. Geplante Titel wie Nimm sie bei der schneeweißen Hand und Lison dormait schienen dem Plattenverlag nicht unbedingt Publikumsrenner zu werden.
Die schöne Buchhändlerin sang gerne. Unter der Dusche und im Auto. Und natürlich im Chor. Das Schöne im Chor war das Gemeinschaftserlebnis. Sie ließ sich von der Musik treiben, war glücklich dabei zu sein. So gut sie sang, zu einer Solistin hätte es bei ihr nicht gereicht. Außer unter der Dusche oder im Auto. Das wusste sie. Es reichte ihr aber, dabei zu sein. Manche ihrer Freundinnen sangen im Chor der Oper mit, da war sie auch einmal bei der Aufführung von Bizets Carmen mit im Chor gewesen. Das Kostüm, das man ihr angedreht hatte, hatte nicht richtig gepasst, es zwickte und zwackte bei jeder Bewegung. Sie hatte es mit nach Hause nehmen und ändern wollen, sie war gut mit Nadel und Faden. Aber das durfte sie nicht. Das ist Eigentum der Oper, das geht nicht aus dem Haus, bekam sie gesagt. Sie hatte sich im Chor der Zigarettenarbeiterinnen bei den Aufführungen unwohl und unglücklich gefühlt. Vielleicht hätte sie die Zigarette, die sie nur in der Hand halten sollte, wirklich rauchen sollen. Glücklicherweise wurde die Oper nach drei Aufführungen abgesetzt, weil zwei der Solistinnen erkrankten und der Sänger des Don José einen Autounfall hatte.
Es war nicht nur die gemeinsame Chorprobe, die sie liebte. Sie gingen hinterher zusammen immer noch in den Fährkrug auf ein Glas Wein. Der Wirt hielt ihnen an den Abenden der Chorproben immer einen Tisch am Fenster frei, sodass sie auf den Fluss schauen konnten. Der Wirt mochte die Sängerinnen, weil sie ihm vor Jahren, als er das Haus gerade übernommen hatte, den ganzen Abend gerettet hatten. Da saß nämlich ein junges Brautpaar einsam im großen Saal, keiner ihrer Gäste war gekommen. Die blonde Braut heulte. Das war zu verstehen. Nach einer halben Stunde kam eine Nachricht, die das Fehlen der Hochzeitsgäste erklärte. Das Ausflugsschiff, mit dem sie kommen wollten, sei im Fluss auf eine Sandbank gelaufen. Es sei niemandem etwas passiert, aber die Hochzeitsgäste müssten noch von Bord gebracht und in einen Bus gesetzt werden. Das könne noch etwas dauern.
Nachdem der Wirt dem Brautpaar die gute Nachricht überbracht hatte, erzählte er es auch den Sängerinnen am Fenster. Und sagte dann plötzlich: Es ist alles so trist und traurig heute, könnten Sie nicht vielleicht etwas singen? Singen, dachte sich die schöne Buchhändlerin, was singt man in einem solchen Fall? Plaisir d'amour ne dure qu'un moment, Chagrin d'amour dure toute la vie? Aber da stand die rothaarige Thea auf und sagte: Mädels: Jungfernkranz. Sie standen auf, gingen durch den leeren Saal, gruppierten sich um den Tisch des Brautpaares, zählten unhörbar eins, zwei, drei und sangen:
Wir winden dir den Jungfernkranzmit veilchenblauer Seide;
wir führen dich zu Spiel und Tanz,
zu Glück und Liebesfreude!
Du auserwählter einz'ger Trost, bleib stets bei mir.
Du, du, du sollst an mich gedenken.
Hätt' ich aller Wünsch Gewalt,
von dir wollt ich nicht wenken.
Dein, dein, dein will ich immer bleiben:
Du gibst Freud und hohen Mut
und kannst mir Leid vertreiben.
Stand still and gaze, for minutes, hours and years to her give place.
All other things shall change but she remains the same.
Till heavens changed have their course and Time hath lost his name.
Cupid doth hover up and down, blinded with her fair eyes.
And Fortune captive at her feet contemned and conquered lies.
Freitag, 3. Mai 2024
Moeris
Fritz Moeri setzte von Anfang an auf die Austauschbarkeit aller Teile der Uhr. Ein Prinzip, das der Amerikaner Eli Whitney erfunden hatte, als er Gewehre für den Präsidenten Thomas Jefferson herstellte. Die amerikanische Uhrenindustrie hatte das Prinzip längst übernommen, für die Schweiz war es Neuland. Als Eduard Favre-Perret 1876 im offiziellen Auftrag der Schweizer Uhrenindustrie die Ausstellung zur 100-Jahrsfeier der Declaration of Independence in Philadelphia besuchte, konnte er die Taschenuhren der Firma Waltham nur in den höchsten Tönen loben. Die preiswerteste Uhr von Waltham sei besser als alles, was die schweizer Industrie herstelle. Fritz Moeri scheint einer der wenigen gewesen zu sein, der aus dem →Abschlussbericht von Favre-Perret eine Lehre gezogen hat.
Moeris war immer eine Manufaktur, das heißt, sie bauten sich ihre eigenen Werke. Rolex wurde erst vor wenigen Jahren zu einer Manufaktur, als sie für einige Milliarden schweizer Franken ihren Werkhersteller Aegler kauften. Es sind Firmen wie →Moeris, die viel erfunden und bewegt haben. Rolex hat nichts erfunden und nichts bewegt. Sie haben sich die Werke von Aegler bauen lassen und alle Patente zugekauft. Moeris hatte seit 1904 eine Zweitfirma namens Civitas. Die Uhren hatten auch Moeris Werke, aber in einer etwas einfacheren Ausführung. Moeris bewarb diese Uhren in Anzeigen mit notre seconde marque.
Ich habe eine Civitas aus den 1940er Jahren (zwanzig Mark auf dem Flohmarkt), die noch feste Stege und keine Stoßsicherung hat. Aber es steht antimagnetic auf dem Zifferblatt, ein Zeichen dafür, dass sie schon eine Glucydurunruhe hat. Für nicht magnetisierbare Uhren hatte Fritz Moeri schon sehr früh Patente erworben. Er experimentierte auch mit der 1896 von Charles Édouard Guillaume erfundenen Invar Legierung, für die Guillaume 1920 den Nobelpreis erhielt. Neben der Zweitlinie Civitas hatte Moeris noch eine unglaubliche Vielzahl von Markennamen angemeldet. Das Modell mit dem Markennamen The Bahadur und Tigern und Palmen auf dem Zifferblatt war wahrscheinlich nicht für den schweizer Markt bestimmt.
In den fünfziger Jahren lieferte Moeris Rohwerke an Seiko und Citizen, das war der Beginn des Aufstiegs der japanischen Hersteller. Seiko wird die Moeris Werke kopieren, das können wir an diesen beiden Werken sehen. Links ist ein Seiko Werk, rechts ein Moeris Werk. Beide haben die gleiche Bauform. Allerdings kann man auch als Nichtfachmann sehen, dass Seiko nicht annähernd an die Qualität von Moeris herankommt. Das wird sich ändern. Fünfzehn Jahre später wird Seiko mit seinen →King Seiko und Grand Seiko Modellen zu einem Konkurrenten der schweizer Qualitätsuhrenhersteller.
1970 kaufte Tisssot das, was nach der Quarzkrise von der Firma Moeris übriggeblieben war. Tissot sicherte sich den Markennamen Moeris und alle Patente, die die Firma hatte. Moeris hatte immer sehr gute Taschenuhren gebaut. Ich habe eine, die sie im Krieg an die Engländer geliefert haben. Steht die GSTP Nummer hinten drauf, innen ist ein ✺Werk mit Genfer Streifenschliff, das adjusted ist. Tissot integrierte die Taschenuhrabteilung von Moeris als Departement Moeris in das eigene Werk, Tissot ist heute eine der wenigen schweizer Firmen, die noch Taschenuhren herstellen.
Tissot brachte auch einmal ein Modell mit dem Namen Moeris Grands Prix heraus. Die Grands Prix Auszeichnung (man beachte den Plural bei Grand) hatte sich Moeris durch Goldmedaillen auf zahlreichen Ausstellungen verdient. Das Grands Prix steht auf meiner Armbanduhr auch drauf. Moeris war eine der wenigen schweizer Firmen, die eigene Chronographen und Stoppuhren baute (auf der →Seite von Hans Weil finden sich viele Abbildungen). Omega und Tissot hatten sich für Chronographen die Firma Lemania gekauft, und Rolex baute in seine Daytona Modelle Werke von Zenith ein.
Kurz bevor die Firma Moeris unterging, brachte sie noch ein Modell auf den Markt, das einige Sammler heute suchen. Es war eine Armbanduhr auf deren Zifferblatt James Bond 007 stand. Auf dem Gehäuseboden war eine Gravur von Sean Connery mit Pistole. Steht schon mit Abbildung in dem Post 007. Das Werk da drin war kein Moeris Manufakturwerk mehr, aber darauf kam es gar nicht an. Man konnte nach dem Erfolg der ersten Filme ja alles verkaufen, wo James Bond drauf stand. Mein Bruder hatte sogar einen James Bond Anzug. Mit Geheimtaschen.
Von diesen schönen Curvex Uhren aus den 1930er Jahren habe ich zwei, sie sind beide aus Edelstahl. Nicht aus verchromten Blech, wie man es damals häufig findet. Die eine hat ein schönes Zifferblatt, die andere hat schon eine Incabloc Stoßsicherung. Beide haben eine Glucydur Unruhe. Moeris bezog diese von Reinhard Straumann erfundenen hochwertigen Unruhen von derselben Firma, von der Eterna die Unruhen bekam. Es gab Mitte der dreißiger Jahre in der Schweiz ja nicht so viele Firmen, die eine Stoßsicherung einbauten. Helvetia und Eterna verwendeten eigene Stoßsicherungen, Moeris setzte seit 1936 auf die Firma Incabloc.
Ein italienischer Händler bei ebay will für die rechteckige Moeris mit dem Formwerk 20/26T eintausendzweihundert Euro haben. Das Werk ist in keinem schönen Zustand. Es steht zwar Shock Absorber auf dem Werk, aber diese seltsame Stoßsicherung kenne ich nicht. Ich habe für meine Uhren siebzig und achtzig DM bezahlt. Sie gehen nach beinahe neunzig Jahren immer noch hervorragend. Auch wenn bei der einen das Zifferblatt so schwarz ist, dass man die Zeit raten muss. Aber ich mag sie trotzdem.