Sonntag, 31. März 2019

Rendezvous


Der Mann von der Renault Werkstatt war wirklich so nett, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Einmal Inspektion mit Ölwechsel, sagte sie, als sie bei ihm auf den Hof gefahren war. Und TÜV, fügte sie hinzu. Vor dem TÜV fürchtete sie sich. Wegen der Bodenbleche, die waren bei Renault nie eine Stärke. Der Händler kannte den roten Wagen, er hatte ihn damals als Sonderangebot verkauft, als er seinen Laden aufmachte. Er guckte sich den R4 ganz genau an, auch die Bodenbleche. Das wird noch halten, sagte er und bat sie in sein Büro, das im Gegensatz zum Hof erstaunlich aufgeräumt war. Sein Meisterbrief hing neben der Tür, daneben eine Urkunde der Firma Renault. Offenbar hatte er drei Jahre bei Renault in Billancourt gearbeitet. Wenn er nach Frankreich fahren müsste, würde er sie nicht als Übersetzerin brauchen. Während sie die gerahmte Urkunde las, war er an seinem Schreibtisch am Rechnen. Er brauchte dafür keinen Taschenrechner, er hatte die Preise im Kopf.

Kann man an dem Preis noch etwas machen? fragte sie. Nein, sagt er. Das ist schon ein Sonderpreis für Sie. Sagte er das zu jeder Kundin? Ich könnte Ihnen ein Radio einbauen, fügte er hinzu. Kostet nichts, nur den Einbau. Kommt aus einem Totalschaden, den die Versicherung abgeschrieben hat. Ein Radio, sie musste unwillkürlich lächeln. Die Sache mit dem Radio und Edith Piafs Non, je ne regrette rien, die würde sie wohl nicht vergessen. Sie bedankte sich für das Angebot, sie würde auf das Radio verzichten, sie sänge lieber im Auto. Da muss ich mal mit Ihnen mitfahren, sagte er. Flirtete er mit ihr, oder meinte er das ernst? Vielleicht später mal, sagte sie. Sie hielt ihn erst einmal auf Distanz, sie war unsicher geworden im Umgang mit Männern. Sie kam schon länger ohne sie aus. Wenn man auf niemanden wartet, tut die Einsamkeit nicht so weh.

Sie holte ihren R4 mit dem frischen TÜV Siegel am Dienstag der nächsten Woche in der Frühe wieder ab. Er hatte ihn sogar waschen lassen und das nicht auf die Rechnung gesetzt. Der Preis für das Ganze ging in Ordnung, sie zahlte sofort und lächelte ihn an. Wir könnten mal essen gehen, sagte er. Spargel und Schinken bei mir am Samstagtabend, sagte sie. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, das ging ihm zu schnell. Es war ihr, als hätte sie Fick mich gesagt. Sie hätte sich auf die Zunge beißen können. Hätte sie doch den Mund gehalten. Sollte es vorbei sein, bevor es angefangen hatte?

Was ist mit dem Fährkrug? fragte er. Der historische Fährkrug, das entspannte die Situation. Das war neutraler Boden. Sie war da zuletzt im vorigen Jahr zum Klassentreffen gewesen, Klassentreffen waren im Ort immer im Fährkrug. Sie war nach dem Klassentreffen sehr betrunken nach Hause gekommen, weil sie gemeinsam mit einer Freundin versucht hatte, sich den Kummer von der Seele zu saufen. Der Kummer, das waren die Männer, mit denen es nie klappte. Samstagabend? schlug er vor, sie sei natürlich sein Gast. Sie sagte Ja. Sie hatte den Rest der Woche Zeit, sich zu überlegen, was sie anziehen sollte. Sie war nicht der Typ für Jeans, auch an der Uni hatte sie selten welche getragen. In der Buchhandlung trug sie ein Kleid oder Rock und Bluse. Aber sie besaß einige Blue Jeans und eine mochte sie ganz besonders, weil die ihren Po so schön betonte.

Sie holte das alte Twinset aus dem Schrank, das sie schon vor Jahren in die Altkleidersammlung hatte geben wollen, aber es gefiel ihr noch immer. Die Uniform der Kleinstadtprinzessinnen, hatte der Typ, mit dem sie damals zusammenlebte, das Twinset genannt. Kommen aus guter Familie, sind hübsch und haben zu große Ansprüche an die Umwelt. Aber Twinsets trug damals jede junge Frau, manche auch mit einem Perlenkettchen. Die nächste Stufe in der Welt der Spießer wäre das Chanel Kostüm gewesen. Sie probierte das Twinset an, sie sah gut damit aus. Die Perlenkette, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, ließ sie in der Schatulle. Das war zu etepetete, man sollte das mit der Nostalgie auch nicht übertreiben, il ne faut jamais rien outrer.

Es war mit dem Typ damals zuende gegangen, woran sie nicht ganz unschuldig war. L'amour ne brise dans un cœur que les objets fragiles, et s'il y brise tout, c'est que tout y était trop fragile. Sie trauerte ihm immer noch nach. Er hatte ihr damals den R4 geschenkt, kurz danach trennten sie sich. Der R4 war ihr geblieben. Der Typ war dann weggezogen, hatte angeblich jetzt eine Blondine. Blondinen, das war doch das letzte. Sie hatte sich bisher nicht getraut, ihn anzurufen, obgleich er ihr seine Adresse und die neue Telephonnummer gegeben hatte. Was sollte sie sagen, wenn die Blondine dran war? Dass sie seine Ex wäre, und dass er verdammt gut im Bett gewesen sei?

Sie hatte nicht nur den R4 behalten, sie hatte auch noch ein halbes Dutzend von seinen großen hellblauen Hemden. Als er ihr einmal nachts sagte, sie könne nicht immer nachts nackt in seiner Wohnung herumlaufen, hatte sie eins der Hemden angezogen. Das ist nun noch nackter als vorher, sagte er. Das fand sie auch, deshalb klaute sie ihm die Hemden und trug sie zuhause. Immer nackt. 

Der Renault Händler hatte sie abholen wollen, aber sie sagte, das sei nicht nötig. Sie wohne eh nur um die Ecke. Sie kamen gleichzeitig im Fährkrug an und nahmen einen Tisch am Fenster. Er hatte sich feingemacht und trug zu den Jeans ein beige-gelbes Tweedjackett mit Fischgrätmuster. Wahrscheinlich in Paris gekauft, dachte sie. So etwas bekommt man hier nicht. Er roch gut. Nicht nach diesem furchtbaren Old Spice, das man jetzt an allen Männern roch. Nein, dies war etwas Herbes mit einem Hauch Lavendel, vielleicht aus England. Der Kellner fragte, ob er die Kerzen auf dem Tisch anzünden sollte, er hielt sie wohl für ein Liebespaar. Sie fand das mit den Kerzen ganz nett und sagte Ja. Vom Fluss und vom Hafen konnte man nicht viel sehen, der neue Besitzer hatte bei der Renovierung dickes Panzerglas in die Fenster einbauen lassen. Das Landesdenkmalamt war davon nicht begeistert gewesen, aber das letzte Hochwasser hatte einen Meter hoch im Speisesaal gestanden.

Sie wollte sich eine Zigarette anzünden, aber er war schneller und gab ihr Feuer mit seinem Feuerzeug. Es war nicht irgendein Feuerzeug, das sah sie sofort, es war ein silberfarbenes französisches Dupont. Hat mir die Firma Renault zum Abschied geschenkt, sagte er. Ist Edelstahl, Gold wäre nicht zu bezahlen. Er erzählte von seiner Zeit in Frankreich, er hatte in Billancourt interessante Leute kennengelernt. Einmal hätte er bei dem R4 von Yves Montand die Zündung eingestellt. In Frankreich waren Autos keine Statussymbole, viele Prominente fuhren als Zweitwagen einen R4 oder einen Döschewo. Sie erzählte ihm von ihren Frankreichreisen. Die Sache mit Lyon und Hendaye ließ sie unerwähnt, war besser so, die Geschichte war offenbar im Ort noch nicht rum. Je mehr sie sich erzählten, desto vertrauter wurden sie miteinander. Als hätten sie sich schon immer gekannt. Sie waren an den selben Orten gewesen, hatten die selben Filme gesehen, auf einem Johnny Hallyday Konzert hätten sie sich sogar treffen können. Wenn sie ihn jemals im Auto mitnehmen würde, würde sie ihm französische Chansons vorsingen. Also Dis, quand reviendras-tu? zum Beispiel und so etwas.

Während sie sich unterhielten, kam schon das Abendessen. Er hatte ihr die Speisekarte überreicht gehabt, als sie den Tisch wählten. Spargel und Schinken stand auch auf der Karte. Was wäre, wenn sie Spargel und Schinken bestellt hätte? Hätte er dann gelacht? Sie nahm die Bratkartoffeln mit Roastbeef und Gurke, da konnte der Koch nicht viel falsch machen, die nahm er dann auch. Sie hätte gerne ein Glas Wein getrunken, aber Wein und Bratkartoffeln, das ging nun gar nicht. Er riet ihr zu einem Tuborg, das sei nicht so herb wie das Beck's, das sie sich gerade bestellen wollte. Sie nahm das Tuborg. Sie tat jetzt alles, was er sagte. Seine ruhige Sicherheit in allen Dingen beeindruckte sie mehr und mehr.

Nach dem Essen bestand er darauf, sie nach Hause zu bringen, es würden sich in der Nacht seltsame Leute am Hafen herumtreiben. Es war ein kurzer Weg bis zu dem Altbau, in dem sie wohnte. Sie fürchtete sich jetzt ein wenig vor dem, was nun kommen würde. Sollte sie nur Gute Nacht sagen? Ihm einen Kuss auf die Wange geben? Ihn auf einen Kaffee hineinbitten? Oder zu mehr?

Freitag, 29. März 2019

Annäherungen


Sie lag gerne nackt in der Sonne, sang in Auto und Dusche und rauchte Zigaretten. So haben die Leser die schöne Buchhändlerin in dem Post ⇼Sommerurlaub kennengelernt. Sie sei eine Zicke, sagte Gabi und Sabine schrieb mir: super Geschichte! Habe ich mit Vergnügen gelesen. Lass die Frau unbedingt am Leben (auch wenn sie mir als Gegenüber wohl etwas zu kapriziös wäre). Für einen amerikanischen Leser, einen emeritierten Germanistikprofessor, war es eine sehr schöne und skurrile Geschichte. Viele Leser wünschten sich, die schöne Buchhändlerin in einem anderen Liebesabenteuer wiederzusehen.

Und da hatte ich ein kleines Problem: dies war die erste Kurzgeschichte, die ich schrieb, ich hatte keine Erfahrungen damit. In der ersten Klasse des Gymnasiums schrieb ich in einer einstündigen Klausur einen Roman, ein ganzes Schulheft lang. Mit achtzehn schrieb ich Gedichte. Als ich von der Bundeswehr kam, schrieb ich einen Roman, der den Titel manoeuvre hatte. Eine Geschichte von einem jungen Offizier und einer blonden schwedischen Schönheit. Begann in Kopenhagen und schwenkte dann auf den Truppenübungsplatz Munster. Wurde nach zwölf Seiten (handschriftlich) aufgegeben. Grauenhafter melodramatischer Kitsch.

Ich bin gut mit kleinen autobiographischen Skizzen, weil ich dieses phänomenale Gedächtnis geerbt habe. Da schreibe ich die Erinnerung nieder und poliere das Ganze dann etwas literarisch auf. Aber eine Geschichte ganz neu erfinden, das fällt mir schwer. Viele Leser hielten Sommerurlaub für autobiographisch. War es nicht. Eine Freundin hatte mir mal vor fünfzig Jahren erzählt, dass sie ihren Urlaub mit ihrer Tochter in Hendaye verbracht hatte. Den Namen fand ich hübsch, aber ich wußte nicht, wo das war. Lyon kam deshalb in die Geschichte, weil da ein entfernter Verwandter, den ich nie kennengelernt habe, begraben liegt. Mehr an Autobiographischem gab es nicht. Ich schrieb langsam, sehr langsam. Nicht mehr als vier, fünf Sätze am Tag. Ein Leser schrieb mir, das Ganze wirke wie mit leichter Hand hingetupft. Das war es nicht, es war ein zähes Ringen um Wörter.

In dem Post Fortsetzung? hatte ich über meine Kunstfigur gesagt: Ich weiß im Augenblick noch nicht, was aus ihr wird. Sie bleibt vorerst in ihrer Buchhandlung. Sie kann da Geschäftsführerin werden, vielleicht sogar eines Tages die Buchhandlung übernehmen. Ihr R4 muss in die Werkstatt. Der Besitzer ist sehr nett und hat Humor. Soll sie mit ihm flirten, damit die Reparatur billiger wird? Oder wird aus dem Flirt vielleicht noch mehr? Wir lassen die schöne Buchhändlerin erst einmal unter der Dusche L'amour est un oiseau rebelle Que nul ne peut apprivoiser singen. Falls es mit dem Besitzer der Renault Werkstatt und ihr noch etwas wird, werden Sie das hier erfahren.

Das habe ich jetzt wahrgemacht. In einem Post mit dem Titel ⇼Rendezvous (der nichts mit der spektakulären Autofahrt von Claude Lelouch durch Paris zu tun hat) wird sie in den nächsten Tagen wieder auftauchen und sich mit dem Renault Händler verabreden. Die Geschichte ist völlig unspektakulär, es werden keine Kofferradios aus dem Autofenster geworfen. Es gibt auch keinen Sex. Oder vielleicht doch.

Und die nächste Geschichte wird ⇼Autorenlesung heißen, das weiß ich schon.

Dienstag, 26. März 2019

Zitate


Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? fragt Cicero. Auf deutsch heißt es in seiner Rede: Wie lange willst du Catilina unsere Geduld noch missbrauchen? Wie lange noch wird uns dieser sein Wahnsinn da verspotten? Bis zu welchem Punkt wird sich die zügellose Frechheit vorwagen? (eine Übersetzung der Rede findet sich hier). Wenn wir Catilina durch Theresa May ersetzen, haben wir etwas Aktuelles. Die Zitatensammlung des Berliner Oberlehrers Georg Büchmann (Geflügelte Worte – der Citatenschatz des deutschen Volkes) ist in diesen Tagen für alles zu gebrauchen. Und der Satz des Petronius Si bene calculum ponas, ubique naufragium est passt immer.

Aber genug an lateinischen  Zitaten, kommen wir zu der Sprache, die Theresa May versteht. Also, ich meine die Theresa May, die im Juni 2017 sagte: It was me that got us into this mess, I will get us out of it. Da kann man nur Abraham Lincoln antworten: You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.

Ich möchte zum Schluss etwas zitieren, was in der ganzen Brexit Diskussion in Vergessenheit geraten ist: The British Government and the British people have been through a searching debate during the last few years on the subject of their relations with Europe. The result of the debate has been our present application. It was a decision arrived at, not on any narrow or short-term grounds, but as a result of a thorough assessment over a considerable period of the needs of our own country, of Europe, and of the free world as a whole. We recognise it as a great decision, a turning point in our history, and we take it in all seriousness. In saying that we wish to join the EEC, we mean that we desire to become full, whole-hearted and active members of the European Community in its widest sense and to go forward with you in the building of a new Europe. Das sagte der englische Schatzkanzler Edward Heath im Oktober 1961. So hat alles angefangen, wie war das noch mit dem Pacta sunt servanda? 

Und wenn Sie Englands Haltung heute verstehen wollen, dann schauen Sie sich dieses Video an.

Samstag, 23. März 2019

die richtigen Männer


In seinem Roman Der Fliegenpalast lässt Walter Kappacher die Hauptfigur Hugo von Hofmannsthal über dessen Henry James Lektüre sagen: Es hatte ihm wohlgetan, an der sicheren Hand des Autors in die Geschichte hineingezogen zu werden. Das ist eine schöne Sache, vom Autor geleitet zu werden, aber nicht immer wollen die Autoren die Leser leiten. Für die Geschichte Sommerurlaub wollte ich das auf keinen Fall. In dem Post Geburtstagsfeier schrieb ich: Mit meiner schönen Buchhändlerin komme ich auch nicht weiter. Sie ist gerade dabei, sich mit dem Renault Händler zu verabreden. Ist sich aber nicht sicher, ob das mit ihnen was werden könnte. Ich könnte sie jetzt natürlich unter der Dusche Arabellas Arie Aber der Richtige, wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt singen lassen, aber das wäre zu viel an Symbolik. In der Geschichte sind wie in Sommerurlaub Sprache und Emotionen abgespeckt, keine Symbolik, wenig Adjektive.

Hugo von Hofmannsthal wird da nicht erwähnt, aber er ist auch im Text, weil er die Arie für die Grafentochter Arabella geschrieben hat, die ebenso wie meine schöne Buchhändlerin auf der Suche nach dem richtigen Mann ist. Die Oper Arabella war die letzte Zusammenarbeit von Hofmannsthal und Richard Strauss, eine Art Wiederauflage des Rosenkavaliers, wie Hofmannsthal manchmal dachte. Den Rosenkavalier vergessen wir mal gleich wieder, hören aber zuvor einmal in die Arie Di rigori armato il seno hinein. Einmal von Peter Anders gesungen, einmal von Fritz Wunderlich.

Doch zurück in das Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wo Frauen auf der Suche nach den richtigen Männern sind. Also, das hier in der Mitte ist nicht Arabella, das ist Emmerich Kalmans Csárdásfürstin in der neuen Inszenierung des Wiener Volkstheaters ( hier ganz zu sehen). Elissa Huber, etwas pulpeuse aber sehr niedlich, spielt die nackt tanzende Chansonette Sylva Varescu, die kurz davor ist, einen Fürstensohn zu heiraten. Was ihr am Ende auch gelingt. Den meisten nackt tanzenden Chansonetten gelingt das nicht.

Die Csárdásfürstin ist eine Operette, da werden solche Dinge möglich. Und da wird dann gesungen:

Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht!
Ganz ohne Sonne blüht die Rose nicht! 
Drum hie und da, so einmal noch - 
Da küß ich doch! Da küß ich doch! 

Was in einer Operette möglich ist, bietet sich für die Oper nicht unbedingt an. Der Liebeswirrwarr in Österreich-Ungarn, jenem Stück Land, das der liebe Gott Kaiser Franz Joseph anvertraut hatte, wie es in Joseph Roth Radetzkymarsch heißt, bleibt jedoch dergleiche. Allerdings kommt Arabella nicht im Negligee oder in Strapsen auf die Bühne. Sie hat feste Vorstellungen über den richtigen Mann: Er ist der Richtige nicht für mich! Er ist kein ganzer Mann. Ich könnt mich halt vor ihm nicht fürchten. Wer das nicht ist, der hat bei mir verspielt! Sich vor dem Mann fürchten? Was kommt als nächstes? Schlag mich? In einer wunderbar bösartigen Interpretation der Arie Aber der Richtige, wenn's einen gibt heißt es: Eine Ideologie selig-verblendeter Unterwerfungs-Erotik wird da verbreitet - was sage ich - wird besungen und zelebriert mit den schönsten Eingebungen des alten Strauss, dass sich uns der Magen umdreht. Wir sind in der Zeit von Leopold Ritter von Sacher-Masoch, dem wir das Maso in Sado-Maso verdanken.

Wir sind auch in der Zeit von Richard von Krafft-Ebing, der postulierte: Ist das Weib geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. In der feinen Gesellschaft, wo man so aussieht wie auf diesem Bild von Charles Hofbauer mag der äußere Schein so aussehen. Aber dahinter stehen die Sätze von Genia Hofreiter in Arthur Schnitzlers Das weite LandWarum hältst du mich für besser als ich bin? Ich bin nicht besser als andere sind. Merkst du's denn nicht? Ich lüge, ich heuchle. Vor allen Leuten spiel' ich Komödie, – vor Herrn Natter und vor Frau Wahl ... vor deiner Mutter so gut wie vor meinem Stubenmädchen. Ich spiele die anständige Frau – und nachts lass' ich das Fenster offen stehn für meinen Liebhaber.

Der Richtige, wenn's einen gibt für mich,
der wird auf einmal da sein,
und wird mich anschaun und ich ihn
und keine Winkelzüge werden sein und keine Fragen,
nein, alles hell und offen, wie ein lichter Fluß, 
auf dem die Sonne blitzt!

Das ist schön, und es ist natürlich noch schöner mit der Musik von Richard Strauss, die diese Liebesarie geradezu wollüstig umhüllt. Und dann singt Arabella für den reichen Großgrundbesitzer Mandrakya noch Und Du wirst mein Gebieter sein:

Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan
dein Haus wird mein Haus sein, 
in deinem Grab will ich mit dir begraben sein
so gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit.

In Wien ist damals auch ein gewisser Dr Freud tätig, der in das erotische Seelenleben der Damen der feinen Gesellschaft schaut und daraus eine Wissenschaft macht, die es vorher nicht gegeben hat. Arthur Schnitzler, der immer an der Psychoanalyse interessiert war und ein Traumtagebuch schrieb, ist auch Arzt, aber er schreibt keine Theorie. Er schreibt das weibliche Seelenleben in die Literatur. Wie hier in Frau Berta GarlanSie hatte ein Gefühl des Neides gegen diese Frau, sie wünschte, daß auch sie jetzt von einem hübschen, jungen Offizier nach Hause begleitet werden könnte ... Warum auch nicht? ... Alle sind schließlich so ... und sie ist jetzt auch keine anständige Frau mehr! Emil glaubt es ja auch nicht, und es ist alles so egal!
       Sie kommt nach Hause, entkleidet sich, legt sich zu Bett. Aber es ist zu schwül. Sie steht noch einmal auf, geht zum Fenster, öffnet es; draußen ist es ganz dunkel. Vielleicht sieht sie jetzt jemand am Fenster stehen, sieht ihre Haut durchs Dunkel leuchten ... Ja, wenn sie nur einer so sähe, es wäre ihr ganz recht! ... Dann legt sie sich wieder ins Bett ... Ach ja, sie ist nicht besser als die anderen! Und es ist auch gar nicht notwendig, daß sie's ist ... Die Gedanken verschwimmen ihr ... Ja, und er ist dran schuld, er hat sie dazu gemacht, er hat sie einmal genommen wie eine von der Straße – und dann fort mit dir! ... Ah, pfui, pfui – sind die Männer infam! – Und doch ... es war schön ...
Sie schläft. –

Und was sagt Dr Freud dazu? Er sagt zu Ende seines Lebens: Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau eigentlich? Eine Antwort wäre natürlich: die richtigen Männer.

Mittwoch, 20. März 2019

Marie Ellenrieder


Es muss mal wieder etwas Kunst in den Blog. Gab es länger nicht, es sei denn, wir betrachten eine Flitzpiepe wie Jonathan Meese als Künstler. Mit solcher Art Kunst hätte die Konstanzer Malerin Marie Ellenrieder (die am 20. März 1791 geboren wurde) nichts anfangen können. Reiligiöse Kunst war eins ihrer Themen, die Altarbilder für die Kirche in Ichenheim von 1822 waren die ersten Bilder einer deutschen Malerin für eine katholische Kirche. Portraits der bürgerlichen Gesellschaft und des Adels war ein anderes Thema. Sie hatte als Miniaturmalerin begonnen, das kann man diesem Selbstportrait aus dem Jahre 1819 noch ansehen.

Sie wird 1813 als erste Frau an der Münchener Kunstakademie angenommen. Nicht, weil sie so gut malen kann; sie gilt als Sozialfall, sie ist beinahe gehörlos. Die Protektion des Generalvikars Ignaz Heinrich von Wessenberg hat dabei wohl auch eine Rolle gespielt. Ihre Kollegin Louise Seidler, die Ellenrieder in Rom kennenlernt, wird in ihrer Autobiographie dazu sagen: Mit der Aufnahme Maria Ellenrieders als Schülerin der Akademie zu München war übrigens ein Präcedenzfall geschaffen, der von guten Folgen war, mehr als Eine meines Geschlechts hat sich in der Isarstadt ausgebildet, und zwar weder zum Schaden der Kunst, noch zum Nachtheil der weiblichen Würde. Louise Seidler und Katharina von Predl, mit denen die Ellenrieder befreundet sein wird, werden die nächsten Frauen an der Münchener Akademie sein. Von den Aktkursen sind die Malerinnen allerdings ausgeschlossen.

1823 malt Marie Ellenrieder diese Maria mit dem Jesusknaben an der Hand, ein Bild, das als ihr malerisches Hauptwerk gilt. Da war sie in Rom gewesen und war von den Nazarenern beeinflusst worden. Wir mögen das heute scheußlich finden, aber in der Romantik fand man so etwas schön. So schrieb Ludwig Robert an seine Schwester Rahel Levin Varnhagen: Es ist jetzt hier Kunstausstellung im Museum; einige gute Landschaften, sonst nichts von Bedeutung. Aber es befindet sich dabei das beste Bild, das (meinem innigen Gefühle nach) in neuester Zeit gemahlt worden ist; und dieses Bild ist – ja! – eine Madonna! und diese Madonna hat gemahlt – ja! – ein Frauenzimmer! Mamsell Maria Ellenrieder aus Constanz, von armen Ältern gebohren, von einem Münchner Professor unterrichtet: dann mit Fl 200! jährlicher Unterstützung vom hiesigen Hofe in Rom gewesen.…Berstedt hat 100 Carolin gebothen; aber die Künstlerin kann nicht darüber disponieren, weil sie es ihrem Vater geschenkt hat“.

Ludwig Robert war nicht der einzige, der derart begeistert war. 1827 wurde sie mit der neu geschaffenen goldenen Medaille Für Kunst und Gewerbfleis ausgezeichnet wurde. Großherzog Ludwig ernannte sie 1829 zur Badischen Hofmalerin mit einem jährlichen Ehrendsold von 300 Gulden. Angelika Kauffmann, mit der sie 1992 in Konstanz eine Ausstellung teilen wird, wurde in England reich und berühmt, Marie Ellenrieder gelang das in ihrem Heimatland. Sie hätte ein Vorbild für die Malweiber am Ende des 19. Jahrhunderts sein können, aber die werden sich nicht auf sie berufen.

Am besten ist sie mit ihren Selbstportraits, wie dem im ersten Absatz und im Absatz oben. Was sie nicht unbedingt kann, ist eine Gruppe wie diese, die den General Georg Heinrich Krieg von Hochfelden und seine Gattin zu Pferd zeigt. Das hätte der Berliner Franz Krüger, den man den Pferde-Krüger nennt, viel besser gekonnt. In einem Künstlerlexikon aus dem Jahr 1914 wird Marie Ellenrieder  als die bedeutendste Malerin Deutschlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert bezeichnet. Das ist sicherlich richtig, auch wenn ihr Ruhm heute ein wenig verblasst sit.

Der Amerikaner Jack Daulton, der eine erstaunliche Sammlung zum Symbolismus hat, besitzt auch zahlreiche Bilder von Marie Ellenrieder. Zu ihrem 150. Todestag erschien 2013 der Katalog Einfach himmlisch! Die Malerin Marie Ellenrieder 1791-1863, aus dem man hier einen Aufsatz von Edwin Fecker, der auch Ellenrieders Druckgraphik herausgegeben hat, lesen kann. Zwanzig Jahre früher war in Konstanz der Katalog "... und hat als Weib unglaubliches Talent" (Goethe). Angelika Kauffmann (1741-1807) - Marie Ellenrieder (1791-1863): Malerei und Graphik erschienen. Man hat sie in ihrem Heimatort Konstanz und in Karlsruhe, wo sie lange tätig war, bis heute nicht vergessen. In diesem Blog, in dem immer etwas aus der Vergangenheit ausgekramt wird, auch nicht.

Sonntag, 17. März 2019

Der heilige Patrick


Saint Patrick brauchte keinen Pass, um von England nach Irland zu reisen. Es gab auch noch keine zwei Irlands. St Patrick hat die Schlangen aus Irland vertrieben. Sagt man. Aus ganz Irland. Naturforscher sind sich heute sicher, dass es in Irland eh keine einzige Schlange gab. Heiligengeschichten bestehen aus lauter Lügen. Wie die Politik. Heute feiern die Iren in der ganzen Welt, tragen grüne Klamotten und trinken Guinness. Und alle Irinnen sehen so aus (ich habe das Bild schon in dem Post Schlangenfreie Zone gebracht), vor allem, wenn man genügend Guinness getrunken hat. Und den Trinkspruch ausbringt: May the good St Patrick protect ye, and the devil neglect ye.

Der ganze St Patrick’s Day Zirkus ging schon im 19. Jahrhundert der englischen Dichterin Eliza Cook ein wenig auf die Nerven. So dichtet sie 1845 in St Patrick's Day:

St. Patrick’s Day! St. Patrick’s Day!
Oh! thou tormenting Irish lay—
I’ve got thee buzzing in my brain,
And cannot turn thee out again.
Oh, mercy! music may be bliss
But not in such a shape as this,
When all I do, and all I say,
Begins and ends in Patricks’s Day.

Had it but been in opera shape,
Italian squall, or German scrape,
Fresh from the bow of Paganini,
Or caught from Weber of Rossini,
One would not care so much—but, oh!
The sad plebeian shame to know
An old blind fiddler bore away
My senses with St. Patrick’s Day.

I take up Burke in hopes to chase
The plaguing phantom from its place;
But all in vain—attention wavers
From classic lore to triplet quavers;
An “Essay” on the great “Sublime”
Sounds strangely set in six-eight time.
Down goes the book, read how I may,
The words will flow to Patrick’s Day.

Mittwoch, 13. März 2019

Geburtstagsfeier


Die Gäste sind weg, aufräumen tue ich morgen. Der Geschirrspüler ist ja gottseidank wieder heil. Küche unter Wasser, und das wenige Tage vor der Party. Der Miele Techniker hatte ihn am nächsten Tag repariert, aber es lag nicht am Geschirrspüler, es lag am Abfluss. Also her mit dem Klempner. Der kam in Gestalt eines Azubi, guckte sich alles an und sagte: Ich hol' mal meinen Pümpel. Er glaubte wohl allen Ernstes daran, das Problem mit seinem Pümpel lösen zu können. Nach einer Viertelstunde des Pümpelns sagte er: ich geh' mal runter zum Auto und hol' die Spirale. Hätte er gleich tun sollen. Jetzt habe ich zum erstenmal seit 15 Jahren einen wirklich einwandfreien Abfluss. Glücklicherweise kam Frau Lüke, die mir den Haushalt macht, am Nachmittag und brachte die Küche auf Vordermann.

Ich hasse Geburtstage, aber es hilft nichts. Ich lege erst einmal ein bisschen Nostalgie auf. Uschi Brüning, die Ella Fitzgerald der DDR. Hat auf jeden Fall Ulrich Plenzdorf seinen Romanhelden Edgar Wibeau in Die neuen Leiden des jungen W. sagen lassen: Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald. Sie hätte alles von mir haben können, wenn sie da vorn stand mit ihrer großen Brille und sich langsam in die Truppe einsang. Wie sie sich mit dem Chef verständigte ohne einen Blick, das konnte nur Seelenwanderung sein.

Zum Schreiben komme ich heute nicht, komme nicht mal dazu, die vielen E-Mails zu beantworten. Ist auch eine von Birte aus London dabei, Birte schien aus ungeklärten Gründen verlorengegangen zu sein. Wir haben am selben Tag Geburtstag, da waren die Mails eigentlich Pflicht. Dem Yogi muss ich noch schreiben, wo er doch endlich seine Green Card gekriegt. hat. Mit meiner schönen Buchhändlerin komme ich auch nicht weiter. Sie ist gerade dabei, sich mit dem Renault Händler zu verabreden. Ist sich aber nicht sicher, ob das mit ihnen was werden könnte. Ich könnte sie jetzt natürlich unter der Dusche Arabellas Arie Aber der Richtige, wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt singen lassen, aber das wäre zu viel an Symbolik. In der Geschichte sind wie in Sommerurlaub Sprache und Emotionen abgespeckt, keine Symbolik, wenig Adjektive.

Wo bleibt bloß der Lieferservice von Schlemmerfreund? Die sollten Salate, Antipasti und gebratene Hähnchenflügel bringen. Wein habe ich schon, wegen des Rotweins konnte ich Hans Fander nicht mehr fragen, aber bei Tiemann war man sehr hilfreich. Und empfahl einen Wein aus dem Languedoc, der Heimat der französischen TroubadourePierre Richard hat da auch ein Weingut. Es klingelt, endlich der Lieferservice. Und dann kommt auch schon Gabi, das hatte sie angekündigt. Bringt die Geburtstagstorte mit, Schwarzwälder Kirsch, wie ich es mir gewünscht hatte.

Gabi dekoriert die Blumen neu, ein Strauß von Nina aus Bayern und ein wunderbarer Tulpenstrauß, den ich in die blaue Björn Wiinblad Vase stelle. Auf der Fleurop Karte stand kein Name, ich rufe den Blumenladen an. Man will mir den Namen des Absenders nicht sagen: Datenschutzgesetz. How daft can you get? Dabei hätten sie Geburtstagsgruß aus Düsseldorf auf die Karte schreiben sollen, wird mir die Heidi Tage später erzählen.

Ich stelle die Uschi Brüning erstmal ab, das ist nicht Gabis Welt. Gabi hat einen interessanten Geschmack, was Musik betrifft. Gut, die Barbara CD, die sie mir schenkte, kannte ich schon, aber Triosence war neu für mich. Madeleine Peyroux auch, die hat gerade Till Brönner in seiner Show auf KlassikRadio mit dem Hank Williams Klassiker I'm so lonesome I could cry gespielt. Die Gäste kommen in einer knappen Stunde, Gabi macht sich über die französischen Magazine her, die mir ein ehemaliger Studi immer aus Frankreich schickt. Insbesonders das Pointure Magazine interessiert die schuhverrückte Gabi, die in London im Laden von Manolo Blahnik beinahe ohnmächtig wurde.

Das Telephon klingelt. Wer ist das noch, es haben doch schon alle angerufen? Astrid ist noch in ihrem Museum, die ruft immer erst spät an. Ich schaue auf das Display des Telephons, nehme ab und sage: I love you. Es ist ein Anruf von der Frau, die ich von Zeit zu Zeit in diesen Blog geschrieben habe, und der ich im letzten Jahr hier gratuliert habe. Früher haben wir mal täglich telephoniert, nun ist sie schweigsam geworden. Reden ist Silber, Schweigen ist Blei, habe ich letztens in einem Brief von Marcel Proust gelesen. Jetzt reden wir miteinander, eine dreiviertel Stunde lang, wir haben viel aufzuholen. Diese ganze Zeit der Trennung, mais la vie sépare ceux qui s'aiment, tout doucement, sans faire de bruit et la mer efface sur le sable les pas des amants désunis, wie Jacques Prévert in Les Feuilles Mortes so schön schrieb.

Die Gäste sind da, der Rotwein gefällt. Wir kennen uns unser halbes Leben, aber wir haben uns immer noch etwas zu erzählen. Natürlich müssen wir böse Dinge über Jonathan Meese sagen, Gabi wohnt in Lübeck, die hat sich den Unsinn angeguckt. Und da wir beim Lästern waren, kam auch Horst Lichter mit Bares für Rares dran. Wir reden über die englische Krimiserie Der junge Inspektor Morse, die gerade bei zdf.neo zuende gegangen ist. Die Engländer haben erstklassige Krimis, aber drittklassige Politiker, was soll aus dem Land werden? Drei von uns haben Anglistik studiert, einer ist mit einer Engländerin verheiratet. Früher dachten wir mal, wir verstünden die Engländer. Gabi hat für den 29. März einen Flug nach London gebucht, ist da schon Brexit? Schluss damit, das bringt nichts, die englische Premierministerin wird nicht auf uns hören.

Also reden wir wieder über das Fernsehen. Alle haben den Film Klassentreffen gesehen, den die taz eine Sternstunde der Improvisation nannte. Unsere Klassentreffen sahen definitiv anders aus. Das Fernsehen ist nicht das Leben, wie gut, dass meine Jugend beinahe fernsehfrei war. Mein Vater zögerte lange, so ein Gerät zu kaufen. Bin ich ihm immer noch dankbar für. Der Abend geht zuende. Die Gäste essen alle noch ein Stück von der köstlichen Geburtstagstorte, dann gehen sie.

Aufräumen tue ich morgen.

Donnerstag, 7. März 2019

Ist das Kunst?


Umstrittene Meese-Ausstellungen in Lübeck: Ist das Kunst? titelten die Lübecker Nachrichten online. Seit Marcel Duchamps Pissoir (das hier schon einen Post hat) und der Fettecke von Beuys wird die Frage Ist das Kunst oder kann das weg? immer wieder neu gestellt. Der neueste Künstler dieser Art ist ein gewisser Jonathan Meese, der zur Zeit Lübeck aufmischt.

Die Lübecker Petrikirche hat man nach dem Luftangriff im März 1942 nicht mehr vollständig wieder aufgebaut. In der fünfschiffigen Hallenkirche St. Petri gibt es sonntags keinen Gottesdienst mehr. Sie ist eine Kulturkirche für  Vorträge, Ausstellungen, Konzerte und den Kunsthandwerkermarkt in der Adventszeit geworden. Aber auch, wenn sie innen nicht wieder fertiggestellt worden ist, wirkt sie doch in dieser weißen Schlichtheit eindrucksvoll und erhaben. Mit der Erhabenheit ist es jetzt vorbei, weil sich dieser Jonathan Meese in der Kirche austobt.

Ein promovierter Pastor hat zur Eröffnung des Spektakels im letzten Monat eine Rede gehalten (die Sie hier lesen können), und man fragt sich: Musste das sein? In einem leergeräumten protestantischen Gotteshaus kann man offensichtlich jeden Unsinn veranstalten, aber hätte Meese seine Großoffensive der Kunst in Vierzehnheiligen veranstaltet, da wäre dann am nächsten Tag Armageddon gewesen.

Jonathan Meese ist ein Skandalkünstler, sagt die Presse. Dem will man gerne zustimmen. Skandalkünstler machen Skandale, das ist ihre Kunst. Ob  sie mehr als das können, weiß man nicht. In Lübeck hatte man schon einmal in einer Kirche einen Skandal. Das ist lange her, aber nicht ganz vergessen. Der Künstler hieß damals Lothar Malskat, er verzierte die Marienkirche mit gotischer Malerei, die er angeblich unter Farbresten entdeckte. Die Schlagzeilen lauteten Die Welt blickt auf St. Marien oder Die größten Funde Europas.

Man hätte bei der Anstellung von Lothar Malskat gewarnt sein können, hatte der doch wenige Jahre zuvor in den Schleswiger Dom Truthähne gemalt. Was den Nazis zu der Theorie diente, dass die Wikinger aus Haithabu in Amerika waren und die Vögel mitgebracht hätten (lesen Sie mehr in Truthähne). Jetzt malt er in Lübeck mittelalterliche Fresken an die Wand. Sie können mehr über den Fälscher, den Günter Grass in seinen Roman Die Rättin hineinschreiben wird, in dem Post Lothar Malskat lesen. Das Witzigste an diesem Kunstskandal ist, dass niemand ihn wahrhaben wollte. Malskat, dem man nicht glaubte, dass er das alles gemalt hatte, musste sich selbst anzeigen und beweisen, dass er der Urheber der Kunst war.

Montag, 4. März 2019

William Dobson


Der englische Maler William Dobson (hier ein Selbstportrait) wurde am 4. März 1611 getauft, wir wissen nicht genau, wann er geboren wurde. Kinder werden damals sehr schnell getauft, man wusste nicht, wie lange sie leben würden. Dobsons Zeitgenosse John Aubrey hat ihn the most excellent painter that England has yet bred genannt. Die Betonung liegt auf England, die englischen Hofmaler des 17. Jahrhunderts waren alle zugewandert. Sir Anthonis van Dyck kam aus Antwerpen, Sir Peter Lely aus Soest, und Sir Godfrey Kneller hieß eigentlich Gottfried Kniller und kam aus Lübeck.

Seinen König Charles hat William Dobson auch gemalt, aber dass er der Nachfolger von van Dyck als Hofmaler war, ist ein Märchen. Es ist auch nicht wahr, dass van Dyck ihn entdeckt hat und er sein Schüler war. Wahr ist allerdings, dass Dobson ein verschwenderisches Leben geführt hat, das ihn ins Schuldgefängnis brachte und völlig verarmt sterben ließ. Es war ein kurzes Leben, den Tod von Charles I wird er nicht mehr erleben. Die entscheidende Phase des Bürgerkrieges zwischen den Cavaliers (die Dobson malt) und den Roundheads wird er auch nicht mehr erleben. Er stirbt mit 35 Jahren.

Nach der Schlacht von Edgehill nehmen die Cavaliers Oxford ein und machen es zu ihrem Hauptquartier. Dobson reist von London nach Oxford, mietet sich Räume im St John's College an und eröffnet dort sein Studio. Den Prince of Wales, der bei der Schlacht von Edgehill dabei war, wird er sofort nach der Schlacht mit diesem allegorischen Gemälde (mit abgeschlagenem Medusenhaupt) malen. Er hat den Kronprinzen, der eines Tages Charles II sein wird, zweimal gemalt, er hat keine Probleme, Auftraggeber zu finden.

Wenn man dem viktorianischen Maler William Frederick Yeames glauben darf, dann sah das mit der Beteiligung des Kronprinzen an der Schlacht wohl eher so aus. John Aubrey weiß zu berichten: When the king Charles I, by reason of the Tumults, left London, William Harvey attended him, and was at the fight of Edge-hill with him; & during the fight, the Prince of Wales and Duke of York were committed to his care: he told me that he withdrew with them under a hedge, & tooke out of his pockett a booke and read; but he had not read very long before a Bullet of a great Gun grazed on the ground neare them, which made him remove his station.

In den vier Jahren bis zu seinem Tod malt er jetzt die ganze Prominenz der Royalisten. Mit kräftigem Strich, wie hier Sir Endymion Porter, gerade von der Jagd heimgekehrt. Männlich. Nicht so ein klein wenig effeminiert, wie Sir Endymion auf dem Portrait mit seinem Freund van Dyck ausschaut. The most distinguished purely British painter before Hogarth, hat Sir Ellis Waterhouse ihn genannt. Und der Filmemacher Waldemar Januszczak, der für die BBC einen Film über Dobson gedreht hat, sagt: The first British born genius, the first truly dazzling English painter, die Betonung liegt auf dazzling. Ich kann mich heute mit William Dobson kurzfassen, denn ich habe den Film von Waldemar Januszczak (der auch die Restaurierung eines Dobson Gemäldes bezahlt hat) bei Mimeo gefunden. Klicken Sie hier, und in einer Stunde wissen Sie alles über Dobson und seine Zeit.