Sonntag, 30. Juni 2019

Autorenlesung


Sie trafen sich jetzt immer freitags am Nachmittag. Die schöne Buchhändlerin hatte ab zwölf frei, das hatte sie vor Jahren herausgehandelt. Wegen der Überstunden. Und weil sie einmal im Monat in den Schaufenstern herumkriechen musste, um die Bücher neu zu dekorieren. Ihr Chef war zu geizig, um einen richtigen Dekorateur zu bezahlen. Der Renault Händler konnte freitags auch früher aus der Werkstatt, die meisten Kunden hatten schon mittags ihre Autos abgeholt. Sie setzte immer richtigen Tee auf, bevor er kam. Starken Ostfriesentee, nicht diesen parfümierten Earl Grey. In der Nacht nach dem Abendessen im Fährkrug war nichts passiert, er hatte sie nur höflich bis zur Haustür begleitet. Sie hatte sich halb gewünscht, er hätte mehr versucht.

Aber sie duzten sich inzwischen, das war schon eine Entwicklung. Wenn sonst auch nichts geschah, von einer echten Beziehung konnte man noch nicht reden. Wozu nahm sie überhaupt noch die Pille? Sie wollte an diesem Freitag einmal vorsichtig ansprechen, was aus dem Ganzen werden sollte. Poussierte er nur oder gehörte das noch zum R4 Kundendienst? Ihre Freundinnen hatten ihr am Telephon geraten, einmal ein langes Gespräch zu suchen. Aber waren die wirklich Beziehungsexpertinnen? Zwei waren geschieden, eine lebte mit einem verheirateten Mann zusammen.

Zu dem langen Gespräch kam es an diesem Freitag nicht, die Sache mit der Waschmaschine kam dazwischen. Die in der Küche plötzlich furchtbare Geräusche machte. Sie eilten in die Küche, wo die Waschmaschine kreischte und wackelte. Er zog als erstes den Stecker und machte sich dann daran, nach dem Fehler zu suchen. Sie holte die Werkzeugkiste und stellte sie auf den Fliesenboden, stellte eine Dose Tuborg daneben. Den Namen Tuborg hatte sie sich seit dem Abend im Fährkrug gemerkt. Sie ging dann zurück ins Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen und ihren Tee zu trinken. Warum sollte der kalt werden? Wenn Männer an Maschinen werkeln, sind Frauen am besten unsichtbar, das hatte sie in ihrem Leben schon gelernt.

Nach einer Viertelstunde kam er ins Wohnzimmer zurück, seine Bierdose in der Hand. Die Maschine läuft erstmal wieder. Deinen Höschen ist nichts passiert, sagte er. Das war ihr nun ein wenig unangenehm, dass er ihre Unterwäsche gesehen hatte. Frauen müssen ihre Geheimnisse haben. Dabei war sie eigentlich stolz auf ihre Unterwäsche, die sie zum größten Teil in Frankreich gekauft hatte, die Französinnen haben eben mehr Geschmack. Und dessous und lingerie klingt auch viel besser als UnterwäscheDu kannst die Maschine erst einmal normal benutzen, sagte er, aber ich muss zwei Ersatzteile bestellen und einbauen, dann ist sie wieder wie neu. Sie wollte noch einmal Tee aufsetzen, aber er sagte, er würde lieber sein Tuborg austrinken. Du hättest Dir eine Miele kaufen sollen, sagte er, die hält mindestens dreißig Jahre. Dreißig Jahre, dachte sie, das ist ein halbes Leben. Würde sie es mit ihm dreißig Jahre aushalten? Muss Liebe immer für das Leben sein? Er trank sein Bier aus und ging, weil er noch die Ersatzteile für die Waschmaschine bestellen wollte. Bis halb sechs erreiche ich da noch jemanden, sagte er.

Mit dem nächsten Freitag wurde es nichts. Der Buchhändler teilte ihr am Sonnabendmorgen mit, dass sie da einen Dichter für eine Autorenlesung haben würden. Ich habe schon Plakate drucken lassen und die Zeitung angerufen, sagte er. Die Zeitung, das bedeutete diese rothaarige Brillenschlange, mit der sie zur Schule gegangen war. Sie hatte die nie leiden können, aber bei dieser Gelegenheit musste sie nett zu ihr sein. Eine gute Besprechung einer Autorenlesung war wichtig für die Buchhandlung, die berühmt für ihre Autorenabende war. Bei bekannten Autoren mietete man die Aula des Gymnasiums, bei Kinderbuchautoren ging man nachmittags in den großen Saal des Jugendheims. Dichter hatte man bisher nicht gehabt, der Buchhändler hatte beschlossen, dass die Sache in der Buchhandlung stattfände.

Das hier ist sein erstes und einziges Buch, sagte der Buchhändler. Es heißt 'sphärendunst'. Kleingeschrieben. Seine Agentin hat es mir geschickt. Lesen Sie am Wochenende mal drin und sagen Sie mir am Montag, was Sie davon halten. Sie können auch kleine Lesezeichen hineinlegen. Und bestellen Sie uns zehn Exemplare für die Buchhandlung, die werden wir vielleicht los. Immerhin hat der Mann ja einen  Literaturpreis gekriegt. Sie hatte sich das Wochenende anders vorgestellt, aber sie nahm das Buch mit. Sie fing am Nachmittag an, es zu lesen. Das erste Gedicht gefiel ihr:

Der Himmel schuppt sich
im September
und regnet Sterne
in der Nacht

Wenn ihr das vor Jahren jemand ins Poesiealbum geschrieben hätte, hätte sie sich bestimmt in ihn verliebt. Es gab viele kurze Gedichte, die las sie zuerst:

spät in der nacht
als du fort warst
schneite es
warmen schnee.
halte die zeit an
komm zurück.

Die meisten Gedichte schrieb der Autor klein, vielleicht war das der Einfluss von Hans Magnus Enzensberger, dessen Gedichtbände sich in der Buchhandlung gerade gut verkauften. Aber außer der Kleinschreibung hatten diese Gedichte nichts mit Enzensberger zu tun:

einen flüchtigen augenblick lang
ma belle
einen wimpernschlag lang
fand ich trost
in deinen augen
einen herzschlag lang
lächelten deine augen
unter dem schattenrand
der lärmenden finsternis
forget it

Am Montagmorgen gab sie dem Buchhändler den Gedichtband zurück und gab einen kuzen Kommentar zu dem Leseerlebnis. Sie holen den Dichter am Freitagnachmittag ab, am Abend kümmere ich mich um ihn, sagte er. Gehen Sie mit ihm Kaffetrinken, aber dass er um Himmelswillen keinen Alkohol trinkt. Seine Agentin hat mir gesagt, er sei Alkoholiker. Und er fügte hinzu: Die saufen doch alle, diese Künstler. Sie war am Freitag fünf Minuten zu spät am Bahnhof, weil sie keinen Parkplatz gefunden hatte. Der Dichter stand mit mürrischem Gesicht auf dem Bahnhofsvorplatz. Sie guckte ihn sich aus dem Auto heraus eine Minute lang an, während sie ihre Zigarette zu Ende rauchte. Sie mochte ihn nicht, den säuft sich keine Frau schön, dachte sie. Schreibt er deshalb Liebesgedichte, weil er keine Frauen kriegt?

Als sie ihn in den R4 geladen hatte, merkte sie, dass er ein Nyltest Hemd trug, das war nun das Letzte. Ihr Ex hatte so etwas auch mal gehabt, der roch dann schon nachmittags um vier unterm Arm. Sie hatte das Hemd nach sechs Wochen entsorgt, was zu erheblichen Verstimmungen geführt hatte. Männer und Hemden ist ein ähnliches Thema wie Männer und Maschinen. Sie fuhr mit dem Dichter zur Konditorei am Alten Markt. Sie wußte weshalb. Er bestellte sich als erstes einen Cognac, musste aber von der Kellnerin erfahren, dass hier kein Alkohol ausgeschenkt würde. Sie verkniff sich das Lachen, diese Konditorei war schon die richtige Wahl gewesen. Der Dichter trank dann mißmutig Kaffee. Er roch schon unter dem Arm.

Der Abend wurde eine Katastrophe. Was würde die Rothaarige in der Zeitung schreiben? Dem Dichter war es gelungen, den Lehrling zu überreden, ihm eine Flasche Doppelkorn zu besorgen. Das Ergebnis merkte man ihm an, als er an das kleine Lesepult trat. Er sagte mit schwerer Zunge, er wolle mit einem Gedicht beginnen, das er gerade geschrieben habe:

die nacht hütet kleine weiße schafe
auf dunklen wiesen
eine blasse Tänzerin
küsst den poeten
in einer landschaft
wie von patenier
und marzipan


Davon träumt er wohl, dass er von Tänzerinnen geküsst wird, dachte sie sich, aber eigentlich fand sie das Gedicht gar nicht so schlecht. Der Dichter las dann mit weinerlichem Ton seine Gedichte aus sphärendunst vor, nach einer dreiviertel Stunde war das Ganze glücklicherweise zu Ende. Ob ihr Chef jetzt noch viele Exemplare vom sphärendunst verkaufte, wusste sie nicht, da sie die Buchhandlung nach dem letzten Gedicht stante pede verlassen hatte. Ihr reichte der Dunst des Nyltest Hemdes, da brauchte sie keinen Sphärendunst.

Obgleich es noch Sommer war, war es am Abend kalt geworden. Sollte Sie den Renault Händler noch anrufen? Würde er vielleicht noch vorbeikommen? Aber irgendwie hatte sie für heute genug von Männern, ob die nun Verse schmiedeten oder R4s reparierten. Außerdem war sie todmüde, sie war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Sie hatte noch eine Flasche Wein zuhause, das war die Lösung. Und dann duschen. Heiß und lang. Und singen. Laut:

L'amour est un oiseau rebelle
Que nul ne peut apprivoiser,
Et c'est bien en vain qu'on l'appelle,
S'il lui convient de refuser.
Rien n'y fait, menace ou prière;
L'un parle bien, l'autre se tait,
Et c'est l'autre que je préfère;
Il n'a rien dit mais il me plaît.

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