Charlotte Rampling spielt auch in dem Film mit, der Radetzkymarsch heißt. Ein bisschen nacktes Fleisch musste wohl sein, sonst sieht man ja nur österreichische Uniformen. Der Regisseur Axel Corti ist während der Dreharbeiten verstorben, sein Kameramann Gernot Roll drehte den Film zu Ende. Posthum erhielt Corti den Grimme Preis. Als Corti den Film drehte, wusste er natürlich, dass dreißig Jahre zuvor schon einmal ein ➱Film mit dem Titel Radetzkymarsch gedreht worden war. Nicht in Farbe, nicht so aufwendig, nicht mit internationalen Stars.
Die hatte Corti. Wahrscheinlich erinnerten die Stars sich noch alle an den Erfolg von Cortis Eine blaßblaue Frauenschrift. Corti hatte den Schauspieler Gert Voss gewonnen, weil er ihm gesagt hatte, dass neben der Rampling auch Jean-Louis Trintignant und Gian Maria Volonté dabei wären. Aber das wurde so nichts, Trintignant war wohl nie wirklich im Gespräch, an Stelle des erkrankten Gian Maria Volonté spielte dann Gert Voss die Rolle des Graf Chojnicki.
Aber es ist natürlich zu Ende, das wissen die Leser von Joseph Roths Radetzkymarsch und Kapuzinergruft genau. Joseph Roth ist zwar in diesem Blog immer wieder erwähnt worden, hat aber erstaunlicherweise keinen eigenen Post. Doch Helmut Qualtinger (hier mit Helmut Lohner in Radetzkymarsch) hat einen ➱Post. Und die witzige Geschichte, wie ich einmal Qualtinger erlebte, steht auch schon ➱hier.
Der Feldmarschall Joseph Radetzky von Radetz spielt in Joseph Roths Roman Radetzkymarsch keine Rolle, der von Johann Strauss komponierte ➱Marsch schon: Alle Platzkonzerte – sie fanden unter dem Balkon des Herrn Bezirkshauptmanns statt – begannen mit dem Radetzkymarsch. Obwohl er den Mitgliedern der Kapelle so geläufig war, daß sie ihn mitten in der Nacht und im Schlaf hätten spielen können, ohne dirigiert zu werden, hielt es der Kapellmeister dennoch für notwendig, jede Note vom Blatt zu lesen. Und als probte er den Radetzkymarsch zum erstenmal mit seinen Musikanten, hob er jeden Sonntag in militärischer und musikalischer Gewissenhaftigkeit den Kopf, den Stab und den Blick und richtete alle drei gleichzeitig gegen die seiner Befehle jeweils bedürftig scheinenden Segmente des Kreises, in dessen Mitte er stand. Die herben Trommeln wirbelten, die süßen Flöten pfiffen, und die holden Tschinellen schmetterten. Auf den Gesichtern aller Zuhörer ging ein gefälliges und versonnenes Lächeln auf, und in ihren Beinen prickelte das Blut. Während sie noch standen, glaubten sie schon zu marschieren. Die jüngeren Mädchen hielten den Atem an und öffneten die Lippen. Die reiferen Männer ließen die Köpfe hängen und gedachten ihrer Manöver. Die ältlichen Frauen saßen im benachbarten Park, und ihre kleinen, grauen Köpfchen zitterten. Und es war Sommer.
Der Herr Bezirkshauptmann, das ist der Sohn des Major a.D. Joseph Trotta von Sipolje, des Helden von Solferino, Träger des Militär Maria Theresien Ordens. Der mitansehen muss, wie das kaiserliche Reich langsam zerfällt. Und mitansehen muss, dass sein Sohn nichts von dem Schneid des Helden von Solferino und nichts von der Kaisertreue des Bezirkshauptmanns besitzt. In dem Film von 1965 spielt Leopold Rudolf den alten Baron Trotta, irgendwie ist er da überzeugender als Max von Sydow, der wieder einmal Max von Sydow spielt.
Der Bezirkshauptmann stirbt im Roman wenige Tage nach seinem Kaiser: Es war der Tag, an dem man den Kaiser in die Kapuzinergruft versenkte. Drei Tage später ließ man die Leiche Herrn von Trottas ins Grab hinunter. Der Bürgermeister der Stadt W. hielt eine Rede. Auch seine Grabrede begann, wie alle Reden jener Zeit überhaupt, mit dem Krieg. Weiter sagte der Bürgermeister, daß der Bezirkshauptmann seinen einzigen Sohn dem Kaiser gegeben und trotzdem weiter gelebt und gedient hatte. Indessen rann der unermüdliche Regen über alle entblößten Häupter der um das Grab Versammelten, und es rauschte und raschelte ringsum von den nassen Sträuchern, Kränzen und Blumen.
Doktor Skowronnek, in der ihm ungewohnten Uniform eines Landsturmoberarztes, bemühte sich, eine sehr militärische Habt-acht-Stellung einzunehmen, obwohl er sie keineswegs für einen maßgeblichen Ausdruck der Pietät hielt. – Zivilist, der er war. Der Tod ist schließlich kein Generalstabsarzt! dachte der Doktor Skowronnek. Dann trat er als einer der ersten an das Grab. Er verschmähte den Spaten, den ihm ein Totengräber hinhielt, sondern er bückte sich und brach eine Scholle aus der nassen Erde und zerkrümelte sie in der Linken und warf mit der Rechten die einzelnen Krumen auf den Sarg. Dann trat er zurück. Es fiel ihm ein, daß jetzt Nachmittag war, die Stunde des Schachspiels nahte heran. Nun hatte er keinen Partner mehr; er beschloß dennoch, ins Kaffeehaus zu gehn.
Als sie den Friedhof verließen, lud ihn der Bürgermeister in den Wagen. Doktor Skowronnek stieg ein. »Ich hätte noch gern erwähnt«, sagte der Bürgermeister, »daß Herr von Trotta den Kaiser nicht überleben konnte. Glauben Sie nicht, Herr Doktor?« »Ich weiß nicht«, erwiderte der Doktor Skowronnek, »ich glaube, sie konnten beide Österreich nicht überleben.«
Cortis 255-minütiger Film wurde im Fernsehen als Dreiteiler gezeigt, ich weiß nicht, ob man ihn gesehen haben muss. Schnuckelige Frauen wie ➱Charlotte Rampling, Elena Sofia Ricci (hier im Bild) und Julia Stemberger (die ein klein wenig ➱nackt sein darf) reißen da auch nichts raus. Obgleich die Stemberger in dieser Welt zu Hause scheint (auf jeden Fall mehr als in Dieter Wedels ➱St Pauli).
Als ich sie zum ersten Mal sah, dachte ich mir, dass sie einmal eine wunderbare Genia in Schnitzlers Das weite Land abgeben könnte. Im letzten Jahr hat sie in Reichenau an der Rax genau diese Rolle gespielt. Mit großem Erfolg. Manchmal verwechsle ich Schnitzler mit Joseph Roth, den ich sehr mag. Das liegt daran, dass ich mal eine schlimme k.u.k. Phase hatte und alles von Arthur Schnitzler und Joseph Roth hintereinander weg gelesen habe. Das habe ich schon irgendwann einmal im Blog gestanden.
Als Roths Roman vom Untergang des k.u.k. Reiches 1932 erscheint, ist eine andere Welt gerade am Untergehen, woran ein Österreicher, der erst seit kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, nicht ganz unschuldig ist. Diese Romane des Untergangs einer Gesellschaft, die Roth, Proust, Conrad und Faulkner schreiben, sind eigentlich nicht zu verfilmen. Weil wenige Regisseure den Geist der Zeit überzeugend wiedergeben können. ➱Joseph Losey gelingt das in The Go-Between.
Cortis Radetzkymarsch, der mit Erfolg einen Erzähler im off verwendet, hat eine Vielzahl schöner, poetischer Momente, Stanley Kubricks Verfilmung von Schnitzlers Traumnovelle (mit Tom Cruise und Nicole Kidman) ist eine Katastrophe. Volker Schlöndorffs Eine Liebe von Swann kann man vergessen. Aber Die wiedergefundene Zeit von ➱Raúl Ruiz ist wirklich sehr gelungen. Faulkner zu verfilmen geht eigentlich nicht. Obgleich ➱The Long Hot Summer mit Don Jonson und ➱Cybill Shepherd gar nicht so schlecht ist, wie die Kritiker den Film gemacht haben, aber es ist natürlich kein Faulkner. The Tarnished Angels von ➱Douglas Sirk schon eher. Joseph Conrad bleibt unverfilmbar, nur in The Outcast of the Islands hat ➱Carol Reed die richtige Idee.
Das k.u.k. Reich hat uns eine Vielzahl von Romanen beschert. Und noch mehr Filme, da fallen uns doch sofort Rudolf Prack und Hannerl Matz und die ganzen Sissi Filme ein. Der Feldmarschall Johann Joseph Wenzel Anton Franz Karl Graf Radetzky von Radetz hat seinen Namen für vieles hergeben müssen: einen Wein, mehrere Schlachtschiffe, einen Zuchthengst. Die grauenhaften Verse von ➱Franz Grillparzer erspare ich uns. Zum 150. Todestag des Feldmarschalls offerierte die Firma Steiff einen Radetzky Teddy. Wenn man den drückte, erklang der Radetzkymarsch. So etwas hat der junge Karl Joseph von Trotta nicht besessen.
Der träumte mit fünfzehn noch von seinem Kaiser: Am besten starb man für ihn bei Militärmusik, am leichtesten beim Radetzkymarsch. Die flinken Kugeln pfiffen im Takt um den Kopf Carl Josephs, sein blanker Säbel blitzte, und Herz und Hirn erfüllt von der holden Hurtigkeit des Marsches, sank er hin in den trommelnden Rausch der Musik, und sein Blut sickerte in einem dunkelroten und schmalen Streifen auf das gleißende Gold der Trompeten, das tiefe Schwarz der Pauken und das siegreiche Silber der Tschinellen.
Als er zweiundsiebzig Jahre in österreichischen Diensten ist, schreibt der Graf Radetzky seinem Kaiser einen Brief: Euer Majestaet, die Gesetze der Natur zwingen mich nach 72 Dienstjahren und 90 Lebensjahren Euer Majestaet um die Allergnaedigste Enthebung von meinem Dienstposten Allerunterthänigst zu bitten. Geruhen Euer Majestaet mir diese Enthebung mit jener Allerhöchsten Huld und Gnade zu gewähren, mit welcher Allerhöchst dieselben mich schon so vielfach überschütteten und gestatten mir Euer Majestaet bei diesem Anlaße Allerhöchst Der Huld und kaiserliches Wohlwollen [...] Mein Greisen Alter hat zwar meine Thätigkeit gelähmt, aber bis zum letzten Athemzuge werde ich des Allmächtigen Segen für das erhabene Hauß und den herrlichen Thron Meines geliebten Monarchen erflehen, der ich in tiefster Demut ersterbe.
Am 28. Februar 1857 gewährt ihm der Kaiser diese Bitte. Wahrscheinlich gibt es keinen General, der so lange gedient hat. Den Mann, der sich 1871 in Generalsuniform bei der Armee zum Feldzug gegen Frankreich meldet, schickt man gleich wieder nach Hause. Er war gleich eingeschlafen, als er das Hauptquartiert erreichte, er war 85 Jahre alt. Sein Name war Fürst Pückler. Wenige Jahre zuvor war er allerdings (mit 81 Jahren) beim preußischen Feldzug gegen Österreich-Ungarn dabei gewesen. Kein General wird wohl je eine so lange Dienstzeit vorweisen können wie Radetzky.
Er hat bei seinem Abschied nur noch wenig mit der Armee zu tun, der Kasernenhof ist schon lange nicht mehr seine Heimat. Er stirbt 1858 in Mailand, nicht in Wien. ➱Wellington und die meisten Generäle der napoleonischen Kriege sind da längst tot. Dies rührend naive Bild zeigt Radetzky (in der hellblauen Uniform) inmitten seines Stabes in Monza 1850. Da war der Zweite Italienische Feldzug zu Ende und Radetzky war Generalgouverneur des Königreichs Lombardien-Venetien. Streng und milde und immer großzügig. Patrioten wie Alessandro Manzoni und ➱Giuseppe Verdi, die in ganz Italien gesucht wurden, konnten in seinem Königreich unbehelligt leben.
Meine Rowohltausgabe von Radetzkymarsch hat mich vor 45 Jahren bei ➱Eschenburg eine Mark gekostet. Ich war nie versucht, eine andere Ausgabe zu kaufen, dieses hier war mein Leseerlebnis. Und ein Leseerlebnis ist der Roman noch immer. Die Rowohltausgabe mit dem etwas bescheuerten Cover gibt es bei Amazon Marketplace ab einem Cent. Da würde ich nicht zögern. Gut, Sie bekommen keine Charlotte Rampling, keine Elena Sofia Ricci und keine Julia Stemberger wie auf der DVD, aber der Roman ist viel, viel besser als jede Verfilmung.