Wenn man das hier so sieht, dann kann man ja nur noch im Antiquariat kaufen, sagte mein Freund
Peter. Wir standen vor einer Buchhandlung, die den schönen Namen
Geist hatte (und die natürlich in Bremen ist). Das ist nun Jahrzehnte her, aber ich habe seinen ironisch daher gesagten Rat befolgt, ich kaufe beinahe nur noch Bücher im Antiquariat (oder beim
ZVAB oder antiquarische Titel bei Amazon Marketplace). Was auf der Bestsellerliste steht, kaufe ich eh nicht. Die Buchhandlung Geist am Wall gibt es immer noch, aber sie ist nur noch ein Schatten eines alten Traditionsgeschäftes. Aber so toll ist es mit den anderen großen Namen wie Gustav August von Halem oder
Franz Leuwer auch nicht mehr. Viele Bremer Buchhandlungen wie Schünemann, Leuwer und Trüjen haben ja auch einmal Bücher verlegt. Aber heute haben alle Buchhandlungen Schwierigkeiten gegen solche Konzerntöchter zu bestehen, die sich auch noch frecherweise den Namen der Muse der Unterhaltung zulegen. Wenn der Markt von Kettenläden wie der Douglas Tochter Thalia oder Hugendubel/Weltbild beherrscht wird, ist das ein schlimmes Zeichen für den Buchhandel.
Wobei der natürlich seine Chance in der Nische hat, mit spezialisiertem Angebot (wie Eramus in Amsterdam, die leider irgendwann ihr berühmtes Antiquariat aufgegeben haben), ausgebildetem Personal und ansprechendem Ambiente, Dichterlesungen inbegriffen. Und was man da machen kann, hat Eckart Cordes in Kiel in über vierzig Jahren vorgemacht, wer als Autor nicht bei ihm war, gehörte nicht zur europäischen Literatur. Aber als er die Buchhandlung aus Altersgründen verkaufte, war sie natürlich nicht mehr das, was dem Firmengründer den Kieler Kulturpreis eingetragen hat. Manche Buchhandlungen bekommen einen Besitzerwechsel eleganter hin, um die Zukunft von
Marga Schoeller oder der
Autorenbuchhandlung Berlin mache ich mir keine Gedanken.
Wir sollten ja auch mal mit einer gewissen Dankbarkeit feststellen, dass wir in Deutschland eines der besten Buchhandelssysteme der Welt haben, beinahe jedes Buch ist innerhalb von 24 Stunden beim Kunden. Versuchen Sie mal in Amerika ein Buch zu bestellen, das die Buchhandlung nicht hat (früher gab es ja noch den unübertroffenen
Nolan E. Smith von American Worlds Books). Und über englische Buchhandlungen mit Firmensitz in Oxford und Cambridge, erstklassigem Briefpapier und lausigem Service, möchte ich nach jahrzehntelangen Erfahrungen lieber gar nichts sagen. In Paris werden Buchhandlungen noch von den Verlagen per Boten beliefert, aber das funktioniert natürlich nur, wenn alle Verlage zentral in einer Stadt sitzen. Die Defizite in der Versorgung mit Büchern, die es national und regional geben kann, macht sich natürlich Amazon zu Nutze.
Aber so schön als übrig gebliebene Insel der Kultur eine gut geführte Buchhandlung ist (die es glücklicherweise in Deutschland noch in einer Vielzahl auch kleinerer Städte gibt), das Salz in der Suppe für den Buchliebhaber (oder
book junkie) ist natürlich das Antiquariat. Und damit meine ich nicht Strand Book Store (
18 miles of books) und auch nicht solche Antiquariate, wo
Karl Lagerfeld sich teure Erstausgaben aus dem 18. Jahrhundert kauft (die er eh nie liest, angeblich hat er 230.000 Bücher). Oder solche Antiquariate, die nur mit Wiegendrucken oder ähnlichem handeln. Auch keine so genannten Modernen Antiquariate.
Und natürlich auch nicht Arthur Gwynn Geigers Bookstore, den Philip Marlowe im vierten Kapitel von
The Big Sleep betritt. Das da unten ist nicht Geigers Pornoladen, das ist die Buchhandlung gegenüber mit der Buchhändlerin die weiß, dass es keine
Ben Hur Ausgabe von 1860 mit einem Druckfehler auf Seite 116 gibt. Bevor sie die Brille abnimmt und die Vorhänge zuzieht, aber das passiert uns als Kunden von kleinen Buchhandlungen nie. Das passiert nur Humphrey Bogart. Was mich immer beim Lesen von Chandlers Roman gewundert hat, warum muss die Frau dafür in einem Buch nachgucken? Es kann keine Ausgabe von
Ben Hur, auch nicht die dritte mit einem Druckfehler, von 1860 geben, weil der Roman erst 1880 erschienen ist.
Nein, mit dem Begriff Antiquariat meine ich das kleine inhabergeführte Antiquariat, das von aussen nach nix aussieht, und auf keinen Fall mit
Thalia verwechselt werden kann. Das auf den ersten Augenblick völlig unordentlich ist, aber eine gewachsene innere Ordnung hat, die nur der Besitzer und die Stammkunden begreifen. Das auch noch Grabbelkästen für nochmals reduzierte Bücher in der Ecke oder draußen vorm Laden hat. Wo garantiert kein Computer hinter der Ladentheke steht. Sie kennen das aus der ZDF Serie
Wilsberg, wo der nette Detektiv, der früher Rechtsanwalt war, jetzt in Münster mit Büchern handelt. Und ständig zu tun hat, weil Münster ja so kriminell ist, also außer den kriminellen Radfahrern. Das Antiquariat gibt es übrigens wirklich, es heißt Antiquariat
Solder. Kriegt für die Dreharbeiten nur ein anderes Firmenschild angeschraubt. Wenn man bei Google Bilder den Begriff
Antiquariat eingibt, kann man seitenlang Antiquariate sehen, die genau so aussehen, wie sie aussehen sollen.
Nämlich so wie mein Antiquariat um die Ecke, das
Eschenburg heißt. Und das im Gegensatz zu dem Antiquariat Wilsberg wirklich echt ist. Begründet wurde es von Harald Eschenburg, dem Bruder von Deutschlands berühmtesten Staatsrechtler Theodor Eschenburg. Seit seinem Tod wird es von seinem Sohn geführt, aber es hat sich nicht viel geändert. Die Preise sind moderat wie eh und je (Bücher sind hier eigentlich unverschämt billig), und Harald Michael Eschenburg raucht Zigaretten. Seine Vater schon eher Zigarre oder Zigarillo. Harald Eschenburg senior hatte bei Ernst Rowohlt Verlagskaufmann gelernt, war Marineoffizier im Kriege gewesen und hat gleich nach dem Krieg in Kiel wieder mit dem Buchhandel angefangen. Daneben hat er die FDP in Schleswig-Holstein mitbegründet und war Ratsherr im Kieler Rathaus. Irgendwann ist er vom normalen Buchhandel ins Antiquariat gewechselt, und sein Laden wurde schnell zu einer Kultstätte. Aufstrebende Politiker, Verlagserben, Professoren und Studenten aller Fachrichtungen bevölkerten (und bevölkern) den Laden. Gleichermaßen unfreundlich vom Besitzer behandelt, für den man immer ein Störfaktor zu sein schien (heute wird man dagegen von Eschenburg Junior richtig nett behandelt). Erst recht, als er im hohen Alter anfing, verbissen auf seiner Reiseschreibmaschine zu tippen. Irgendwie wollte er Fontane Konkurrenz machen, denn im Alter entstanden in rascher Folge die Bände einer Kieler Familientrilogie:
Schlagseite,
Wind von Vorn und
Im Schlepp. Die Bände haben solch nautische Titel, weil der Vater von Harald und Theodor Eschenburg Admiral war und dies natürlich auch zu großen Teilen eine autobiographische Erzählung von einer großbürgerlichen Familie ist. Und die Trilogie ist sicherlich auch, wie andere Romane aus Schleswig Holstein (also
Die Buddenbrooks und
Der Provinzlärm) ein Schlüsselroman. Obgleich der Autor das immer bestritten hat. Die kritische Rezeption der Bände war mehr als wohlwollend, Vergleiche mit Thomas Mann blieben nicht aus. Aber der Autor blieb wie eh und je, immer leicht mürrisch - obgleich ich zugeben muss, dass ich zeitlebens ein sehr gutes Verhältnis zu ihm hatte. Und er schrieb weiter. Mit
Lübecker Marzipan kehrte er in seine und Thomas Manns Heimat Lübeck zurück (sein Großvater war Lübecker Bürgermeister gewesen), und dann folgte noch eine Biographie über den Admiral Prinz Heinrich von Preußen. Welcher Buchhändler in einer Thalia Filiale schreibt schon mal so eben im Laden ein halbes Dutzend Bücher in einem Jahrzehnt? Ich nehme an, dass es auch das Ambiente dieses Ladens ist, das die Bücher mit hervorgebracht hat.
Das Schlimme bei den kleinen Antiquariaten wie Eschenburg ist natürlich, dass man beinahe immer mit einem Buch wieder herauskommt. Als Ludwig Tieck dreieinhalbtausend Bücher hatte, war er über diese Zahl so entsetzt, dass er alle seine Bücher verkaufte. Nach wenigen Jahren hatte er wieder dreitausend Bücher. Da hat er gemerkt, dass man sich gegen Bücher nicht wehren kann. Ich wäre glücklich, wenn ich nur dreieinhalbtausend hätte. Aber es sind, und daran sind diese verteufelten Antiquariate schuld, immer mehr geworden. Was mich beunruhigt, ist nicht die Zahl der Bücher in meinen Regalen. Man braucht keine Tapeten, und es ist auch besser als diese Bücher
dummies, die bei Möbelhäusern als Buchvorgauklung im Regal stehen. Was mich beunruhigt ist, dass ich in den Antiquariaten wenig junge Leute sehe. Wo bleibt der Lesernachwuchs? Die Leser, die die wirkliche Welt über das Buch entdecken?
Wir bekommen es seit den ersten PISA Studien jedes Jahr von einer Kommission um die Ohren gehauen, dass wir nicht mehr das Volk der Dichter und Denker sind. Gerade wieder wird uns versichert, dass die Schüler meiner Heimatstadt Bremen in Bezug auf die Lesefähigkeit ein Jahr hinter den Bayern zurück sind, ein Jahr! Nicht nur die zwei Bundesligaplätze, die Werder hinter den Bayern liegt. Das sollte Willi Lemke mal zu denken geben, ob er nicht was fundamental falsch gemacht hat, als er noch Kultussenator in Bremen war.
Aber von der Schavan können wir keine Hilfe erwarten. Über die werde ich nix sagen und auch nicht über Frau Merkels Staatsminister für Kultur oder wie das heißt, mit dem ich auf der Schule war. Uns bleibt nur eins: lesen, lesen, lesen! Vielleicht sollte man einmal Daniel Pennacs bezauberndes Buch
Comme Un Roman (
Wie ein Roman) lesen, ein Buch, das jedem Mut macht, von sich aus zu lesen. Und dann einfach mal ins Antiquariat gehen, das sind da ja Preise für für junge Leser, für Leute, die wenig Geld haben (auf jeden Fall bei Eschi in der Holtenauer Straße in Kiel). Keine Schwellenangst, da beisst niemand und es kostet auch keinen Eintritt. Das wirklich wunderbare Buch von Pennac gibt es auf Deutsch und Französisch bei Amazon, aber natürlich auch bei einer richtigen kleinen Buchhandlung.
Im Jahre 2007 haben Wilma Pradetto und Thomas Schadt den Grimme Preis für ihren Dokumentarfilm
Beruf Lehrer bekommen (und das völlig zu Recht). Sie haben ein halbes Dutzend Lehrer aller Altersgruppen monatelang bei ihren Unterrichtserfahrungen gefilmt. In dem Film sagt ein Lehrer einmal (und ich zitiere das sinngemäß):
Die Kultusminister, das sind doch alle schlaue Leute. Ich wünschte mir, dass jeder Kultusminister einmal eine Woche lang an einer Schule unterrichtet. Ja, warum nicht. Das möchte ich sehen. Ich könnte wetten, dass die Kultusminister und ihre Staatssekretäre und ihre Referenten und Referentinnen alle zusammen nicht einmal den 90-minütigen Film
Beruf Lehrer gesehen haben.
Es gibt unter Lehrern faule Schweine, das wissen wir alle. Aber es gibt noch mehr, die sich aufopfern. Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken, das wirkliche Problem liegt bei den Kultusministern. Der von Schleswig Holstein ist gerade noch in der letzten Woche den Studis entkommen, die ihn verprügeln wollten. Das ist nun auch keine Lösung. Wir brauchen keine Exzellenzinitiativen, wir brauchen eine Lesefähigkeit des Volkes. Was hätte dieser Präsident, der so kläglich aus dem Amt geschieden ist, und der sich ja einmischen wollte, was hätte der mit den Möglichkeiten seines Amtes bewegen können, wenn er sich das Ziel gesetzt hätte, die Lesefähigkeit in Deutschland zu verbessern?
Ich begrüße meinen neuen regelmäßigen Leser. Es gefällt mir, gelesen zu werden, außer den eingetragenen Lesern sind da noch hunderte anderer Leser. Aber die können alle schon lesen. Doch wenn jeder von uns beginnt, andere zum Lesen zu bewegen? Teenies dazu zu kriegen, ihre Prioritäten anders zu setzen? Romane zu lesen, statt Handyschulden anzuhäufen. Wäre das nicht ein schöner utopischer Gedanke? Denn sonst wird es eines Tages so sein, wie auf dem Cartoon von
Gary Larson: