Donnerstag, 30. September 2010

The White Man's Burden


Heute vor 18 Jahren haben die Vereinigten Staaten ihren Kriegshafen Subic Bay auf den Philippinen aufgegeben, kriegten den Pachtvertrag nicht verlängert. Dabei waren sie doch schon hundert Jahre da. Vorher hatte die Gegend den Spaniern gehört, aber dann gab es diesen splendid little war, und die USA bekamen Kuba, Puerto Rico und Guam von den Spaniern. Für die Philippinen haben sie noch mal 20 Millionen Dollar draufgelegt.

In dieser Situation schreibt der Engländer Rudyard Kipling in dem amerikanischen McClure's Magazine im Februar 1899 ein Gedicht, das The White Man's Burden heißt. Und das den Untertitel The United States and the Philippine Islands trägt. Er hat das Gedicht schon früher begonnen, der mittlerweile berühmte Titel taucht schon im Juni 1897 im Tagebuch von Kiplings Frau auf. Eigentlich wollte Kipling das Gedicht zum Jubiläum von Königin Victoria veröffentlichen, hatte dann aber für diesen Zweck das Gedicht Recessional genommen. So richtig lieben wird ihn die Queen eh nicht, da ist es auch egal, was er schreibt. Denn den Text von The Widow at Windsor in den Barrack-Room Ballads, den mochte man bei Hofe nun gar nicht. Und den Posten als Poet Laureate, den Tennyson gehabt hatte, den wird er nie bekommen. Obgleich er für den normalen Engländer in dieser Zeit sicherlich eine Art heimlicher Poet Laureate ist. Der offizielle Hofdichter heißt Alfred Austin (der den Posten nur bekam, weil William Morris ihn nicht haben wollte), den kennt heute niemand mehr. Kipling kennt man immer noch, auch wenn viele ihn nicht lieben. Weil sie ihn für die Verkörperung des viktorianischen Imperialismus halten. Und so klingt ja The White Man's Burden (dessen Titel zu einem Sprichwort wurde) beim ersten Lesen auch.

Take up the White Man's burden--
Send forth the best ye breed--
Go bind your sons to exile
To serve your captives' need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild--
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.

Take up the White Man's burden--
In patience to abide,
To veil the threat of terror
And check the show of pride;
By open speech and simple,
An hundred times made plain
To seek another's profit,
And work another's gain.

Take up the White Man's burden--
The savage wars of peace--
Fill full the mouth of Famine
And bid the sickness cease;
And when your goal is nearest
The end for others sought,
Watch sloth and heathen Folly
Bring all your hopes to nought.

Take up the White Man's burden--
No tawdry rule of kings,
But toil of serf and sweeper--
The tale of common things.
The ports ye shall not enter,
The roads ye shall not tread,
Go mark them with your living,
And mark them with your dead.

Take up the White Man's burden--
And reap his old reward:
The blame of those ye better,
The hate of those ye guard--
The cry of hosts ye humour
(Ah, slowly!) toward the light:--
"Why brought he us from bondage,
Our loved Egyptian night?"

Take up the White Man's burden--
Ye dare not stoop to less--
Nor call too loud on Freedom
To cloke your weariness;
By all ye cry or whisper,
By all ye leave or do,
The silent, sullen peoples
Shall weigh your gods and you.

Take up the White Man's burden--
Have done with childish days--
The lightly proferred laurel,
The easy, ungrudged praise.
Comes now, to search your manhood
Through all the thankless years
Cold, edged with dear-bought wisdom,
The judgment of your peers!


Ich habe diese Werbereklame der Firma Pears hier mal eben eingefügt, damit sie dem Gedicht etwas von der pathetischen Wucht nimmt. Und um zu zeigen, wie schnell es in das hinein wandert, was wir Popular Culture nennen. Und natürlich hat es an Parodien des Gedichtes schon damals nicht gefehlt. Das muss Kipling, der auf eingängige Effekte aus ist, einkalkulieren. Eine der bösesten Parodien ist die Ernest Howard Crosby (with apologies to Rudyard Kipling) drei Jahre später:

Take up the White Man’s burden.
Send forth your sturdy kin,
And load them down with Bibles
And cannon-balls and gin.
Throw in a few diseases
To spread the tropic climes,
For there the healthy niggers
Are quite behind the times.
And don’t forget the factories.
On those benighted shores
They have no cheerful iron mills,
Nor eke department stores.
They never work twelve hours a day
And live in strange content,
Altho they never have to pay
A single sou of rent.
Take up the White Man’s burden,
And teach the Philippines
What interest and taxes are
And what a mortgage means.
Give them electrocution chairs,
And prisons, too, galore,
And if they seem inclined to kick,
Then spill their heathen gore.
They need our labor question, too,
And politics and fraud—
We’ve made a pretty mess at home,
Let’s make a mess abroad.
And let us ever humbly pray
The Lord of Hosts may deign
To stir our feeble memories
Lest we forget—the Maine.
Take up the White’s Man’s burden.
To you who thus succeed
In civilizing savage hordes,
They owe a debt, indeed;
Concessions, pensions, salaries,
And privilege and right—
With outstretched hands you raised to bless
Grab everything in sight.
Take up the White Man’s burden
And if you write in verse,
Flatter your nation’s vices
And strive to make them worse.
Then learn that if with pious words
You ornament each phrase,
In a world of canting hypocrites
This kind of business pays.

Ist nach hundert Jahren immer noch sehr genau und immer noch sehr böse. Crosby ist nicht irgendwer, er ist mit Tolstoi befreundet und kämpft für den Frieden. Was in einer Zeit, als alle von Blut und Eisen reden und der Krieg gegen Spanien als splendid little war bezeichnet wird, sicherlich eine große Leistung ist. Zu einer solchen Haltung wird Kipling auch noch finden, wenn er den Tod seines Sohnes im Ersten Weltkrieg zu beklagen hat. Der Grabspruch If any Question why we died, tell them, because our fathers lied hat nichts mehr mit einer Kriegsverherrlichung zu tun, wenn es die jemals bei Kipling gegeben hat.

Der Adressat des Gedichtes sind die Vereinigten Staaten, sonst hätte es nicht diesen Untertitel, der heute allerdings meistens weggelassen wird. Und es ist bezeichnend, dass Kipling, kaum ist das Gedicht fertig, eine Kopie an Theodor Roosevelt sendet (da ist es noch nicht veröffentlicht). Das ist der Roosevelt, nach dem die Teddybären heißen. Der in dem splendid little war mit seinen rough riders ein Kriegsheld war. Roosevelt schickt das gleich an Henry Cabot Lodge weiter mit dem Kommentar: I send you an advance copy of a poem by Kipling which is rather poor poetry, but good sense from the expansionist standpoint. Das mit dem rather poor poetry hätte Kipling sicher wehgetan, und der politische Hardliner Henry Cabot Lodge hat in seiner Antwort offensichtlich mehr Sinn für Dichtung als Roosevelt. Warum mischt sich Kipling in die Politik der USA ein?

Kipling hatte Anfang der neunziger Jahre die Schwester seines Freundes Woolcott Balestier geheiratet (➱Henry James war Trauzeuge), und das Paar wohnt jetzt in Vermont. Da gefällt es Kipling eigentlich auch sehr gut, wenn er nicht diesen grotesken Streit mit der angeheirateten Verwandtschaft bekommen würde. Sonst wäre er vielleicht in Amerika geblieben. Wenn Kipling Ende der neunziger Jahre nach England kommt, ist das ein Land, das er weniger kennt als andere Teile der Welt. And what should they know of England who only England know? Dieser Satz ist von jemandem geschrieben, der in Bombay geboren wurde.

Und jetzt ist der Mann, der Indien so liebt, in England und mischt sich mit seinen Gedichten ein. Und das sehr viel differenzierter als der in dieser Zeit herrschende Nationalismus. Wider still and wider Shall thy bounds be set; / God, who made thee mighty, Make thee mightier yet, heißt es in Bensons Land of Hope and Glory. Dem steht bei Kipling in Recessional entgegen:

Far-called, our navies melt away;
On dune and headland sinks the fire:
Lo, all our pomp of yesterday
Is one with Nineveh and Tyre!
Judge of the Nations, spare us yet.
Lest we forget—lest we forget!

Sein Gedicht Recessional ist eine Warnung vor dem Größenwahn des Imperialismus. Sollte der gleiche Kipling innerhalb von zwei Jahren zum Apologeten des Imperialismus geworden sein? Eigentlich beschreibt das Gedicht The White Man's Burden ja nur die Schwierigkeiten und Lasten, die sich ein Kolonialherr einhandelt. Das, worum es Kipling immer wieder geht (sagt W.H. Auden), ist die Zivilisation als Gegenpol zu Barbarei und spiritueller Dunkelheit. Conrads Heart of Darkness hat einiges mit Kipling gemein. Was Kipling an den Engländern und der englischen Version der Zivilisation bewundert, sind die Gesetze. Seit der Magna Charta haben sie Gesetze, die sie selbst gemacht haben. Und so lässt er einen Muslim in Kitcherner's School (1898) sagen: Till these make laws of their own choice and Judges of their own blood; / And all the mad English obey the judges and say that that Law is good. Der weiße Mann ist für Kipling nur eine Art Geburtshelfer zu diesem Zustand der eigenen Gesetze und der eigenen Gerichtsbarkeit eines fremden Volkes. Das ist eine idealisierte Form des Imperialismus, und Kipling glaubt keineswegs, dass alles gut ist im englischen Empire.

Heute wird Kiplings politische Einstellung zwar immer noch kritisiert, wobei auch hier mittlerweile differenzierte Wertungen in den Vordergrund getreten sind, heißt es im Wikipedia Artikel zu Kipling  (der englische Artikel ist, wie so häufig, viel besser als der deutsche). Das ist das Mindeste, was Kipling verdient hat. 800 Seiten Gedichte, zahllose meisterhafte Kurzgeschichten, wunderbare Erzählungen für Kinder (Just so Stories for Little Children) und dann noch Romane wie Kim. Und das Dschungelbuch. Man macht es sich zu leicht, Kipling einfach als den Propagandisten des Empire abzutun. Man sollte ihn einfach mal lesen, die 800 Seiten Collected Poems of Rudyard Kipling in der Ausgabe der Wordsworth Poetry Library kosten bei Amazon nur 4.99€.

Mittwoch, 29. September 2010

Mozarts Klaviersonaten


Ich habe vorgestern über Nacht drei neue Leser gewonnen, die ich natürlich herzlich begrüßen möchte. Ich weiß jetzt nicht, ob die von Fritz Wunderlich oder von Glenn Gould angelockt wurden. Aber ich muss heute doch noch einmal über Mozarts Klaviersonaten schreiben, das liegt mir irgendwie auf der Seele. Als ich vor Tagen meinem Leser Giorgione zu antworten versuchte (es ging um Goulds und Guldas Mozartsonaten), habe ich alle CDs mit Klaviermusik von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Regal gezerrt. Das war ein Fehler, weil ich jetzt vor dem Zurückstellen überlege, ob ich sie irgendwie systematisieren soll. Zum Beispiel, die ungeliebten Aufnahmen (Michel Dalberto, nett, aber blass) ganz nach unten. Im Augenblick sind Gesamtaufnahmen in Pappschächtelchen ganz unten, weil die durch diesen Schuber besser vor dem lästigen Staub geschützt sind. Es handelt sich insgesamt ungefähr um einen Meter und fünfzig Zentimeter, das kann man noch überblicken. Und natürlich ist auch noch Mozart auf CDs drauf, die an ganz anderer Stelle stehen. Also Sviatoslav Richter hat sein eigenes Regal, Kempff und Backhaus auch. Und natürlich steht Arturo Benedetti Michelangeli separat (ebenso wie Glenn Gould), der würde eh niemanden neben sich dulden. Es ist ein ganz eigenes Ablagesystem, wenn ich ehrlich bin, eher eine über die Jahre gewachsene Unordnung.

Ich habe zu den Klaviersonaten von Mozart ein ganz besonderes Verhältnis, und ich höre sie auch vielleicht häufiger als andere Menschen. Denn ich habe nach einem vor Jahrzehnten erlittenen Unfall mit einer Verletzung der Halswirbelsäule einen Tinnitus. So etwas kann man auf die verschiedenste Art und Weise erwerben, Verletzungen der Halswirbelsäule sind aber eine schöne Voraussetzung dafür. Nun ist das keine Krankheit, die einen Statusgewinn verspricht, drüber reden hilft auch nix. Es ist auch etwas, was man am besten nicht beachtet. Und hier kommt nun Wolfgang Amadeus Mozart ins Spiel. Mozart ist gut gegen Tinnitus, vielleicht nicht für jeden, aber auf jeden Fall für mich. Und so kann ich stundenlang Mozart hören, und therapeutisch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.

Ende der fünfziger Jahre erschien bei Rowohlt ein dreibändiges Werk, das Ewiger Vorrat klassischer Musik auf Langspielplatten hieß, der Autor Christoph Ecke besprach auch damals in der Zeit sehr kenntnisreich Neuerscheinungen von Langspielplatten. Zu unser aller Glück ist dieser ewige Vorrat ein immer größeres Füllhorn geworden. An Stelle der Langspielplatte ist die Compact Disc getreten (und diejenigen, die noch Platten haben, können heute viel bessere Plattenspieler kaufen, als man sich die um 1960 vorstellen konnte), und alle Plattenfirmen haben daran gearbeitet, das Rauschen und Knacken auf alten Aufnahmen wegzubekommen. Außer natürlich dem Singen von Glenn Gould, das bleibt immer.

Als ich im Kindesalter Mozarts Sonaten spielte, tat ich das ganz unbefangen und mit großer Freude (nur in den langsamen Sätzen war die Freude nicht so groß!). Ich konnte durch sie auf dem Klavier alles ausdrücken, was mich bewegte: Fröhlichkeit, Übermut, Zorn, Trauer - ich fand es in Mozarts Werken aufs Natürlichste und Unmittelbarste in Musik gefaßt. Mit zunehmenden Alter und sich erweiterndem Repertoire erkannte ich, daß nicht nur meine kleine Welt, sondern das ganze Spektrum menschlicher Empfindungen sich in Mozarts Musik wiederfindet. Mit einem Minimum an "Worten" wird alles gesagt. Und dies ist und bleibt der Reiz und die Herausforderung für mich, mit allen technischen und klanglichen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen, diesen wirklich aufs Wesentliche beschränkten Notentext umzusetzen. So begleiten mich diese Sonaten durch mein ganzes musikalisches Leben - und ich bin froh und dankbar, daß es sie gibt

Das steht als Werbetext zu einer Gesamteinspielung der Mozartsonaten von einer Frau namens Gitti Pirner, von der ich leider bisher noch nie gehört habe (und ich habe in der Klavierstunde die langsamen Sätze von Mozarts Sonaten immer geliebt). Aber es gibt diese Gesamtausgabe tatsächlich bei einem Label namens Farao Classics und sie kostet über vierzig Euro. Soll man das riskieren? Für ein paar Euro mehr bekommt man den ganzen Gilbert Schuchter, meiner Meinung nach das Beste überhaupt, was man zur Zeit kaufen kann. Die Gesamtausgabe von ➱Klara Würtz bei Brilliant Classics kostet nur 15,99 und damit macht man niemals einen Fehler. Hier auf ➱YouTube können Sie unter dem Titel Klara Würtz Zongora (was Ungarisch für Piano ist) alles über Klara Würtz erfahren, allein das scharfe Kleid auf 1/8 ist schon das Reinklicken wert.


Leider scheint Carmen Piazzinis Mozart vom Markt verschwunden zu sein, die es früher auch im Billigpreissegment gab, und die gar nicht schlecht war. Solche Sachen warf Zweitausendundeins ja immer mal auf den Markt. Es gibt aber von ihr noch eine wirklich hervorragende Gesamtaufnahme der Haydn Klaviersonaten (von denen ja viele origineller sind als die Mozartsonaten). Die erste Einspielung von Maria Joao Pires 1974, die viel wärmer und schöner als die zweite bei der Deutschen Grammophon ist, scheint bei Brilliant Classics auch schon wieder aus dem Programm genommen zu sein, kostete vor wenigen Jahren nur 9,99 Euro.

Preislich scheint sich die Industrie jetzt bei Gesamtaufnahmen auf eine Grenze von dreißig Euro geeinigt zu haben: Barenboim 27,99, Eschenbach 28,99, Uchida 28,99, Schiff 28,99. Eschenbach und Uchida stehen auch als Empfehlungen im Penguin Guide to Compact Discs, aber werden nicht von mir empfohlen. Ich habe vor 45 Jahren viel Geld bezahlt, um Christoph Eschenbach zu hören, der von der Deutschen Grammophon als deutscher Glenn Gould angepriesen wurde. Er spielte einen netten Mozart, war sicherlich oberhalb von Justus Frantz, aber nix im Vergleich mit Glenn Gould. Auch Joachim Kaiser war damals (Süddeutsche Zeitung 22.5.1967) nicht gerade begeistert. Mitsuko Uchida ist sicherlich technisch brillant, aber ich mag's trotzdem nicht. Zuviel Technik, zuwenig Emotion. Hilft auch nicht gegen Tinnitus, bad vibrations. Gegen Daniel Barenboim und Andras Schiff werde ich kein böses Wort sagen, die kann man unbesorgt kaufen.

Ich sollte Malcolm Bilson und Ronald Brautigam nicht auslassen, die ein Fortepiano spielen (ist dann auch gleich teurer, da müssen wahrscheinlich die Kosten für das Instrument wieder reinkommen). Aber wenn ich schon mal dabei bin, muss ich natürlich beklagen, dass es Tuija Hakkila ganz vorzüglichen Mozart nicht mehr gibt. Hallo, Finlandia Records! Könnt ihr das nicht mal wieder auflegen? Die Finnin spielte die Sonaten auf einem Fortepiano, das Philip Belt in New Haven 1977 nach Mozarts Konzertinstrument (von Anton Walter) gebaut hat. So etwas kann man noch kaufen, ist aber teuer. Malcolm Bilson hat auch so eins (und ich vermute mal, dass Tuija Hakkila seins benutzt hat, weil sie bei ihm studiert hat). Bilson hat über die Entstehung seines Instruments einmal in einer Musikzeitschrift geschrieben:

In 1973 the American fortepiano builder Philip Belt was in Salzburg. Belt had hoped to build a fortepiano based on Mozart's Walter, but at that time virtually no one was allowed to examine the instrument Belt's then wife was with him; she spoke some German and managed to distract the guard while he took measurements of the case and some eight photographs. Based on these he built a fortepiano for me. Now, no one would claim—least of all Belt himself—that this instrument was 'an exact copy of Mozart's piano'. Important to the story, however, is the fact that each time information on the Mozart Walter became available, Belt would take my piano into his shop and rework it. It is hard to imagine that Mozart's Walter underwent changes more 'extensive' than did my Belt instrument; Belt completely reworked the action with new parts, new balance points, etc. The bridge was changed, and not only was the instrument releathered but a new type of leatherbuildup was installed, etc Yet the soul (if I may use the word) of the instrument never changed—that had been built into the box at the beginning. One could almost go so far as to say that virtually all the alterations described by Latcham and those made to my Belt piano are more like changes to the bow rather than the violin I remain thoroughly baffled at the notion that, on the basis of the changes to Mozart's piano, either early or late, that instrument 'cannot properly serve as a source for understanding Mozart's performance practice'. To carry this line of thinking ad absurdum: would anyone dream of playing Rachmaninoff on a Steinway built in 1980? There remains the question of the knee-levers. Mozart's piano clearly had originally only been fitted with hand-levers tor lifting the dampers; when might the knee-lever addition have been made? I asked Philip Belt, who had copied this on my own instrument hand-levers worked through added knee-levers), how long he would need to make the alteration. He said, 'About two hours or so; actually, I could do it right in your living-room if you don't mind a bit of dust on the floor.' I am simply confounded that anyone could consider it probable that Mozart used this instrument (for which he had a 'besondere Vorliebe') for the rest of his life without knee-levers, and that Constanze had them then put on after his death. As mentioned above, in 1810 such an instrument would have been far too conservative to be of use musically, so why 'improve' it at that time at all? What might such changes have done to its value as an artifact of the great man?

Inzwischen scheint jeder das Klavier von Anton Walter nachzubauen. Der Franzose Patrick Cohen spielt auf einem Instrument, das ihm Christopher Clarke gebaut hat, obgleich es auch Mozartsonaten von ihm auf einem Originalinstrument von Anton Walter aus dem Jahre 1790 gibt, an dem so gut wie nichts verändert wurde. Näher kann man an den Klang von Mozarts Lieblingsinstruments wohl nicht herankommen. Bei den Nachbauten war der Engländer Derek Adlam lange Jahre gut im Geschäft (Melvyn Tan hat ein Fortepiano von ihm). Und auch Robert A. Brown baut mit Erfolg Anton Walter Klaviere nach. Es braucht natürlich nicht der Nachbau eines Originalinstruments zu sein, ein gutes Klavier tut es auch. Und da hängt bei unser aller Beurteilung des Spiels einer Mozartsonate auch viel von dem Klavier und der Aufnahmetechnik ab. Und unserer eigenen Fähigkeit zu hören. Die bei mir trotz dieses Tinnitusgeräusches erstaunlicherweise kein bisschen eingeschränkt ist. Und natürlich haben wir Prädispositionen, gegen die wir nicht ankönnen. Wenn man zum Beispiel von Teenies umgeben ist, die immer auf grauenhaften Klavieren (Bauweise Berliner Hinterhof um 1900) alla turca herumhacken, dann wird man die Sonate KV 331 nicht mögen. Und dann braucht man die auch nicht zu hören. Und wozu braucht man überhaupt eine Gesamtaufnahme von Mozarts Klaviersonaten?

Denn in vielen Fällen kann man ja gut mit den Aufnahmen seiner Lieblingspianisten glücklich werden, auch wenn die nicht alle Sonaten und Fantasien spielen. Also wie zum Beispiel Mikhail Pletnev 1984 das Adagio von KV 570 (auf Melodiya) gespielt hat, das ist schon göttlich. So wird es immer sein, man wird bei jedem etwas entdecken, was besser oder schöner ist als bei anderen. Ob man nun Gilels nimmt oder Gerhard Oppitz, der sich auf Novalis mal alles rausgepickt hatte, was in Moll und schwermütig war (aber nicht so grauenhaft pathetisch wie Valery Afanassiev, der auf Denon ein ähnliches Programm spielt). Und man wird sehen, dass es häufig die kleinen Label sind - und  nicht die Sonys und EMIs dieser Welt -  die die wirklich interessanten Aufnahmen bieten. So zum Beispiel Tacet (Gerrit Zitterbart), Oehms (Michael Endres), Tudor (Gilbert Schuchter), Novalis (Gerhard Oppitz), Glossa (Patrick Cohen), Dabringhaus und Grimm (Christian Zacharias), Naxos (Jenö Jando), Artephon (Annerose Schmidt).

Und vielleicht sollten wir einmal einen Blick nach Amerika werfen. Es gibt einige Mozart Sonaten von  Mieczysław Horszowski, die 1988 aufgenommen wurden (Elektra/Nonesuch). Da ist er 96 Jahre alt, aber davon ist seinem Mozart nichts anzumerken. Gut, wir haben nicht diese high key Brillanz von Uchida oder Pires, aber diese Wärme und Souveränität, die sind schon erstaunlich. Zwei seiner Schüler, Richard Goode und Murray Peraiha, spielen auch einen sehr, sehr guten Mozart. Man braucht also nicht aus Wien oder Salzburg zu kommen, wie Ingrid Haebler und Gilbert Schuchter, um Mozart zu spielen zu können, New York geht auch.

Und natürlich konnten Generationen von Pianisten einer anderen Generation auch Mozart spielen, bevor Glenn Gould das ein bisschen aufgemischt hat. Da würde die Liste jetzt lang, aber man sollte natürlich Clara Haskil, Dinu Lipatti, Vladimir Horowitz, Wilhelm Kempff und Geza Anda nennen. Und und und. Mozart und kein Ende. Die verdienstvolle Edition von Philips Great Pianists of the 20th Century hat da ja viel zu Tage gefördert. Man kann sich natürlich auch die Noten kaufen und es selbst spielen. Dann merkt man erst, wie schwer das angeblich Leichte ist. Natürlich kann man Bücher lesen, damit man weiß, was man über Mozartsonaten denken soll. Wenn man Joachim Kaiser liest, ist man für Diskussionen auf Parties über Pianisten bestens gerüstet. Aber so gebildet er ist, manchmal geht er mir ganz schön auf den Keks. Wenn ich mich nun unter die Musikkritiker mische, ist mir nicht ganz wohl dabei. Diese Spezies Mensch hat immer etwas Besserwisserisches an sich, und ich möchte nicht sein wie Joachim Kaiser, der einflussreichste deutsche Musikkritiker, beantwortet in seiner Video-Kolumne Fragen der Leser. Kann man sich bei YouTube ansehen, Kaisers Klassik Kunde. Wenn man überhaupt Bücher zu Mozart braucht, dann sollte auf jeden Fall Alfred Einstein lesen, was man hier bei Zeno tun könnte. Und auch Wolfgang Hildesheimers Mozart Buch von 1977 hat eigentlich nichts von seiner Bedeutung verloren.

Früher stellten im Sommer (als es noch Sommer gab) Plattenläden diese Kisten mit den Sonderangeboten nach draussen, und man konnte stundenlang Platten durchsortieren, während aus dem Laden Musik nach draussen klang. Wenn man etwas nicht kannte und es billig war, nahm man es mit und hörte es. Wenn es einem dann nicht gefiel, verkaufte man es in einem anderen Laden oder verschenkte die Platte. Manchmal bedeutete die erste Platte ja auch schon das Ende einer Karriere. Was mag aus Ken Ara geworden sein, der mit einer Mozart Platte bei der Deutschen Grammophon debütierte? Eine bösartige Besprechung im englischen Gramophone und das war's. Was aus Wolfgang Wagenhäuser geworden ist, kann man hier sehen: best possible technique for best interpretation! Ist das jetzt peinlich oder schon wieder komisch? Als Plattengrabbler muss man viele Frösche küssen, bevor man einen Prinzen (oder eine Prinzessin) findet. Aber dieses trial and error Verfahren beschert einem natürlich eine andere Plattensammlung, als wenn man nur jene Aufnahmen kauft, die mit einem riesigen Werbeaufwand vermarktet werden. Es gibt keinen Königsweg zur besten Aufnahme von Mozarts Sonaten. Da kann man kiloweise Mozartkugeln futtern, das hilft nichts. Man muss hören und hören.

Was würde Mozart dazu sagen? Sähe er heute aus wie Tom Hulce in dem Film von Milos Forman? Würde er seine Sonaten ganz anders gespielt wissen wollen? Würde er sie spielen wie Glenn Gould? Maria Joao Pires hat einmal in einem Interview gesagt, dass gesetzt den Fall, sie könnte mit Mozart sprechen, sie sich nicht viel zu sagen hätten. Ich fand das ein klein wenig snobistisch von ihr. Wenn ich Mozart träfe, ich würde ihn fragen, ob die Geschichte wirklich wahr ist, dass er William Beckford damals in England Klavierunterricht gegeben hat. Und ob er mir mal eben, bittschön, das Adagio aus der  B-Dur Sonate vorspielen könnte. Diese Sonate, die Alfred Einstein eins der seligsten Werke Mozarts, die »Kleine Sonate« in B-dur K. Nr. 570 vom Februar 1789, vielleicht der ausgeglichenste Typus, das Ideal seiner Klaviersonate genannt hat. Ich hätte auch die Noten parat, falls er vergessen haben sollte, wie die geht.

Dienstag, 28. September 2010

God Save the King


Am 28. September des Jahres 1745 soll das Lied God Save the King im Drury Lane Theater mit dem musikalischen Arrangement von Thomas Arne zuerst gesungen worden sein. Es hat sich bis heute als englische Nationalhymne gehalten. Schon einige Jahre zuvor hatte Thomas Arne, dem die Oxford University 1759 den Titel eines Doktors der Musik verleiht, ein Lied geschrieben, das auch eine heimliche Nationalhymne ist. Es stammt aus seiner Masque of Alfred und ist eine Vertonung des Gedichtes Rule Britannia von James Thomson. Wurde zuerst bei einer Feier des Kronprinzen Frederick aufgeführt, setzt sich aber schnell durch. Bis heute. Lieder schreiben kann dieser Doktor Arne. Er schreibt auch Opern, die aber vielleicht nicht so bedeutend sind, wie die von Friedrich Händel. Obgleich sich sein Artaxerxes jahrzehntelang auf der Bühne hält.

Georg II (oben in der Schlacht von Dettingen) ist der letzte englische König, der ein Heer im Feld angeführt hat. Er kann jetzt jede Unterstützung gebrauchen, auch die musikalische aus dem Drury Lane Theatre. Denn eine Woche bevor man hier God Save the King singt, hat sein General Sir John Cope die Schlacht von Prestonpans gegen die aufrührerischen Schotten verloren. Offiziell führt die Bonnie Prince Charlie an, aber in Wirklichkeit ist es Lord George Murray, der einzig fähige General den Charles Stuart hat, der die Schlacht gewinnt. Die Schotten singen jetzt auch ein Lied, das Hey, Johnnie Cope, are ye waking yet? heißt, das auf den Umstand anspielt, dass die Engländer noch pennten, als sie Lord Murray schon umzingelt hatte. Aber man singt in Schottland auch zur gleichen Melodie wie God save the King mit leicht verändertem Text das Lied als Hymne auf den ➱Kronprätendenten.

Ungeachtet von Kriegen und Aufständen wird jetzt überall gesungen. London ist zur Musikstadt geworden, auch wenn man den Begriff Swinging London noch nicht erfunden hat. In den meisten Fällen muss man die Komponisten und Sänger importieren, oder es sind Zugezogene, die jetzt Engländer sind. Wie unser Frederick Handel. Oder der Dr. John Pepusch, der kommt eigentlich aus Berlin, ist aber schon seit 1700 in London. 1713 verleiht ihm Oxford einen Doktortitel. Pepusch wäre sicherlich vergessen und nur noch für Musikhistoriker interessant, wenn er nicht 1728 die Musik zu der Beggar's Opera geschrieben hätte. Diese neue Form der Oper, die eher eine Parodie der italienischen Oper oder eine Art Musical ist, verändert die Londoner Opernwelt. Händel hat mit seiner Oper große finanzielle Einbußen. Man will nicht mehr Helden und Heldinnen der Antike auf der Bühne sehen, jetzt kommt das gemeine Volk. Polly Peachum und MacHeath. Und Pepusch bedient sich aus dem Fundus der populären Melodien der Zeit. Wenn man so will, ist die Popkultur gerade erfunden worden. Diese Zauberformel funktioniert auch noch Jahrhunderte später, wenn Bertolt Brecht daraus ein neues Süppchen kocht. Seine Dreigroschenoper hat auf das Jahr genau zweihundert Jahre nach der Beggar's Opera Premiere.

Die preiswerteste Möglichkeit, Musik zu hören, sind die neuen Vergnügungsparks. Von denen ist Vauxhall Gardens der berühmteste, aber es gibt auch noch Marylebone Garden und Cuper's Garden. Die Parks bieten alle Sorten der Unterhaltung und des Vergnügens, aber das Wichtigste ist die Musik. Alles bunt nebeneinander und miteinander vermischt, Tanzmusik, Volkslieder, Liebeslieder, Balladen. Patriotische Lieder und Opernarien. Das ist jetzt eine andere Welt als die von Händels italienischer Oper oder die seiner Oratorien. Und die Vauxhall Garden werden die Welt für Dr. Arne (oben auf einem zeitgenössischen Stich) werden, jahrzehntelang wird er Songs für den Vergnügungspark schreiben.

Damit verdient er mehr als sein Schüler Charles Burney (von dem es ein schönes Portrait von Reynolds gibt), der zuerst nur eine Stelle als Organist hat, die ihm gerade mal 100 Pfund im Jahr einbringt. Aber er wird berühmter werden als sein Lehrer, weil er eine große Geschichte der Musik schreibt. Und weil er eine Tochter namens Fanny hat. Die schreibt Romane und erfindet die novel of manners. Jane Austen hat sie sehr bewundert.

Die ersten Noten, die 1745 von dem Lied auftauchen, versichern uns, dass es at both playhouses gesungen würde. Drury Lane und Covent Garden, und diese Zeile macht völlig klar, wo jetzt die Musik spielt. Die Kultur wird in den playhouses und in den pleasure gardens gemacht. Und dann gibt es noch die coffee-houses, da sitzen die Schriftsteller und Philosophen und machen die andere Hälfte der Kultur. Wenn sie nicht gerade in der Oper oder in Vauxhall Gardens sind.

God Save the King/Queen ist eine englische Nationalhymne, es gibt aber keine offizielle Nationalhymne. Bei uns wird so etwas gesetzlich geregelt, hat sogar schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Und so ist die dritte Strophe des Deutschlandliedes als Nationalhymne gemäß § 90a StGB gegen Verunglimpfung geschützt. Vor einem halben Jahrhundert, in den Kindertagen der Bundesrepublik war das alles nicht so eindeutig. So soll der Bundeskanzler Konrad Adenauer in Amerika einmal mit dem Lied Heidewitzka, Herr Kapitän begrüßt worden sein und auch der Karnevalsschlager Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien (als Anspielung auf die drei Westzonen) wurde schon mal als Hymnenersatz gespielt. Aber heute haben wir natürlich eine Hymne, und wie die geht, macht uns Sarah Connor vor. Brüh' im Lichte dieses Glückes, ist das schon eine Verunglimpfung gemäß § 90s StGB?

Ach, die Engländer haben es gut. Wenn sie keine Lust auf God Save the Queen haben, können sie Rule Britannia singen, oder Blakes Jerusalem oder Land of Hope and Glory nach Elgars Pomp and Circumstance. Oder, wie in der Last Night of the Proms, alles hintereinander. Anstelle der peinlichen Sarah Connor hätte ich hier ➱Sarah Connolly, das muss man einfach gesehen und gehört haben. Und damit sind wir plötzlich wieder im 18. Jahrhundert, in dieser quirligen Musikkultur, die das Populäre und das patriotisch Nationale mischt und daraus etwas typisch Englisches macht. Denn die hier entstandene Musikkultur wirkt noch Jahrhunderte weiter, bis zu Gilbert und Sullivan und zur Music Hall. Und natürlich der Last Night of the Proms.

Montag, 27. September 2010

Dampfschiffahrt


Wo Werra sich und Fulda küssen
Sie ihre Namen büssen müssen,
Und hier entsteht durch diesen Kuss
Deutsch bis zum Meer der Weser Fluss
.

Steht auf dem Weserstein in Hannoversch Münden, weiß jedes Kind. Hannoversch Münden (damals noch einfach Münden) steht heute im Mittelpunkt des Interesses, weil da die Barbaren von der Mündener Schiffergilde vor 303 Jahren eine bahnbrechende Erfindung kaputt gemacht haben, das erste Dampfschiff in Deutschland.

Nun sind wir in meinem Heimatort immer bannig stolz gewesen, dass das erste Dampfschiff Deutschlands 1817 bei uns gebaut wurde. Hieß passenderweise Weser und wurde auf der Langeschen Werft, gleich neben dem Vegesacker Hafen gebaut. Zuerst hatte man sich ja in England umgeguckt, um ein Dampfschiff zu kaufen, hatte aber nichts Richtiges finden können. Also baut man es jetzt selbst. Schiffe bauen, das kann Johann Lange schon, aber ein Dampfschiff, das hat er noch nie gebaut. Das können nur die Engländer. Na ja, das konnte offensichtlich auch der Mann im Jahre 1707, von dem gleich noch die Rede sein wird, den man aber völlig vergessen hatte.

Hinter dem ganzen Projekt steckt ein junger Ingenieur aus Bremen, der Ludwig Georg Treviranus heißt und der eine Art Daniel Düsentrieb ist. Der kommt aus einer berühmten Bremer Familie, seine beiden Brüder sind geachtete Naturwissenschaftler. Ludwig Georg interessiert sich für das Linsenschleifen und für Fernrohre. Wenn Sie vor Wochen dies ➱hier in meinem Blog gelesen haben, dann wissen Sie natürlich, dass Lilienthal bei Bremen jetzt das Zentrum der deutschen Astronomie ist. Und so landet unser Ludwig Georg Treviranus folgerichtig durch die Vermittlung von Dr. Heinrich Wilhelm Olbers eines Tages bei dem berühmten Sir William Herschel in England. Aber da verliert er plötzlich das Interesse am Linsenschleifen und interessiert sich nur noch für Dampfmaschinen. Was das ist, wissen wir dank der unsterblichen Definition vom Lehrer Bommel in der Feuerzangenbowle: Wat is en Dampfmaschin'? Da stelle mer uns janz dumm und da sage mer so: En Dampfmaschin dat is ene jroße schwarze Raum. Der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch dat is de Feuerung. Und dat andere Loch dat krieje mer später

In Amerika hat Robert Fulton gezeigt, dass man mit Dampfschiffen auf dem Hudson von New York nach Albany fahren kann, so etwas möchte man jetzt zehn Jahre später auch in Bremen haben. Der Bremer Reeder Friedrich Schröder ist glücklich, dass er den jungen Treviranus gefunden hat, der jetzt beim Bau der Weser hilft. Die Maschine hat man bei Boulton & Watt in England gekauft, Treviranus war vorher bei der Firma von James Watt in Soho gewesen, um die Maschine genau zu studieren. Er ist dann auch auf den ersten Testfahrten an Bord der Weser gewesen, weil niemand diesen neuen Antrieb so verstand wie er. Eine der ersten Testfahrten der Weser führte nach Münden. Da wo Werra sich und Fulda küssen. Treviranus natürlich als Mechaniker und Chefingenieur an Bord. Der schreibt auch 1817 eine Woche vor der Jungfernfahrt an die Bremer Zeitung: Zur Sicherung gegen alle Gefahr [...] dient die auf dem Kessel befindliche Sicherheitsklappe (savety valve) und der in Grade abgetheilte Dampfmesser (steam gauge). [...] Bei unserem hiesigen Dampfboot ist die höchste Expansivkraft, welche die Dämpfe erhalten können, nicht größer, als daß jeder Quadrat-Zoll des Kessels nur durch eine Kraft von ungefähr 3,5 Pfund gedrückt wird, indem bei diesem Druck sich das Ventil zu öffnen beginnt. Daß diese Kraft niemals im Stande sein wird, einen, aus dicken Platten vom besten, geschmiedeten Eisen zusammengesetzten, mit starken Nietnägeln verbundenen Kessel auseinander zu treiben, wird Jedem einleuchten. Es ist auch wirklich meines Wissens noch kein Beispiel vorhanden, daß der Kessel einer, nach dem Prinzip der Herren Boulton und Watt wirkenden Dampfmaschine zersprungen wäre.

Und da hat er Recht gehabt, die Sache funktioniert. Wenn es mit der Personenbeförderung auch nicht ganz so funktioniert, wie der der Reeder Friedrich Schröder sich das vorstellt. Aber das liegt daran, dass die Weser versandet, nicht an der Erfindungskraft von Treviranus oder an Mängeln der Maschine von Boulton & Watt. Der Schotte James Watt hat die Dampfmaschine zwar nicht erfunden, aber er hat sie entscheidend verbessert. Derjenige, der das vielleicht alles erfunden hat, ist ein Franzose namens Denis Papin, dem die Angehörigen der Schiffergilde aus Münster sein kleines Dampfboot kaputt machen, weil sie die Konkurrenz fürchten. Alles Erworbene bedroht die Maschine.

Wenn Sie einen Fissler Vitavit in der Küche haben, wird Ihnen der Schnellkochtopf nicht um die Ohren fliegen, weil er ein Überdruckventil hat. Denis Papin ist seine Erfindung explodiert, als er seinen Dampfkochtopf voller Stolz der Royal Society vorführen wollte. Aber dann hat der aus Frankreich vertriebene Hugenotte noch schnell das Überdruckventil dazu erfunden. Und die Dampfmaschine, das U-Boot und den Schaufelraddampfer. Er ist mit seinem Erfindungen nicht reich geworden, ist in bitterer Armut in London gestorben. Falls es sie im Urlaub mal auf einen Ausflugsdampfer auf der schönen Oberweser verschlägt, dann denken Sie doch mal einen Augenblick an Denis Papin.



Sonntag, 26. September 2010

Fritz Wunderlich


Ich habe ihn einmal erlebt, das war zwei Jahre vor seinem Tod, und ich habe jetzt beinahe alle seine Aufnahmen. Obgleich man das kaum noch verfolgen kann, es kommt immer wieder etwas, zumeist aus den Rundfunkarchiven des SWR, hinzu. In diesem Jahr gab es schon ein Dutzend CDs. Die Deutsche Grammophon hat gerade eine De Luxe Edition Der unvergessene Fritz Wunderlich auf den Markt gebracht (mit Bonus CD und einer Vinyl Platte), allerdings in einer geschmacklich grässlichen Aufmachung. Wahrscheinlich stellt sich ein Jungdesigner so die fünfziger Jahre vor. Bei Haenssler Classics begeht man keine geschmacklichen Irrtümer beim Design der sieben Wunderlich CDs, die bei dieser Firma erschienen sind.

Der Tenor Fritz Wunderlich wäre heute achtzig geworden. Die exzellente Biographie von Werner Pfister ist auch rechtzeitig wieder aufgelegt worden. Es wäre toll, wenn eine Aufnahme der Winterreise auftauchen würde. Aber die hat er leider nie gesungen, Schuberts Schöne Müllerin schon. Das war auch meine erste Platte von ihm (ich glaube, es war auch seine erste Langspielplatte). Ein seltsames Label: Opera/Europäischer Phonoklub, sein Freund Kurt-Heinz Stoltze am Klavier, 1957. Später hat er den Zyklus noch einmal mit Hubert Giesen eingespielt (Deutsche Grammophon 1966). Da hatte die Deutsche Grammophon wohl nur ein Turnhallenklavier auftreiben können. Die völlig unausgewogene Klavierbegleitung Giesens wäre bei der Firma Decca nicht so betont worden, denn die hatte immer die beste Aufnahmetechnik. Ein bedeutender Pianist ist er nie gewesen (hat selbst Wunderlichs Tonmeister bei der DG gesagt). Wenn man Hubert Giesens geschwätziger Autobiographie vertraut, dann hätte es ohne Giesen niemals den Liedsänger Wunderlich gegeben. Alles verdankt er dem Hubert. Kurt-Heinz Stolze hat so etwas nie behauptet. Giesen hätte sich für seine Autobiographie mal lieber Gerald Moores Am I too Loud? zum Vorbild nehmen sollen.

Aber zwischen diesen beiden Aufnahmen liegt Wunderlichs ganze Karriere, liegt ein Jahrzehnt. Nicht mehr. Was hat er nicht alles gesungen in diesen zehn Jahren? Was hätte er noch singen können?

Vor den Liedern der Schönen Müllerin steht ein Prolog des Dichters, der von den Sängern niemals beachtet wird (es gibt allerdings eine Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau, die diesen Text  berücksichtigt), es ist eine Warnung vor der ganzen Romantik:

Ich lad euch, schöne Damen, kluge Herrn,
Und die ihr hört und schaut was Gutes gern,
Zu einem funkelnagelneuen Spiel
Im allerfunkelnagelneusten Stil;
Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt,
Mit edler deutscher Roheit aufgeputzt,
Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstrauß,
Dazu wohl auch ein wenig fromm fürs Haus:
Das mag genug mir zur Empfehlung sein,
Wem die behagt, der trete nur herein.
Erhoffe, weil es grad ist Winterzeit,
Tut euch ein Stündlein hier im Grün nicht leid;
Denn wißt es nur, daß heut in meinem Lied
Der Lenz mit allen seinen Blumen blüht.
Im Freien geht die freie Handlung vor,
In reiner Luft, weit von der Städte Tor,
Durch Wald und Feld, in Gründen, auf den Höhn;
Und was nur in vier Wänden darf geschehn,
Das schaut ihr halb durchs offne Fenster an,
So ist der Kunst und euch genug getan.

Doch wenn ihr nach des Spiels Personen fragt,
So kann ich euch, den Musen sei's geklagt,
Nur eine präsentieren recht und echt,
Das ist ein junger blonder Müllersknecht.
Denn, ob der Bach zuletzt ein Wort auch spricht,
So wird ein Bach deshalb Person noch nicht.
Drum nehmt nur heut das Monodram vorlieb:
Wer mehr gibt, als er hat, der heißt ein Dieb.

Auch ist dafür die Szene reich geziert,
Mit grünem Sammet unten tapeziert,
Der ist mit tausend Blumen bunt gestickt,
Und Weg und Steg darüber ausgedrückt.
Die Sonne strahlt von oben hell herein
Und bricht in Tau und Tränen ihren Schein,
Und auch der Mond blickt aus der Wolken Flor
Schwermütig, wie's die Mode will, hervor.
Den Hintergrund umkränzt ein hoher Wald,
Der Hund schlägt an, das muntre Jagdhorn schallt;
Hier stürzt vom schroffen Fels der junge Quell
Und fließt im Tal als Bächlein silberhell;
Das Mühlrad braust, die Werke klappern drein,
Man hört die Vöglein kaum im nahen Hain.
Drum denkt, wenn euch zu rauh manch Liedchen klingt,
Daß das Lokal es also mit sich bringt.
Doch, was das Schönste bei den Rädern ist,
Das wird euch sagen mein Monodramist;
Verriet' ich's euch, verdürb ich ihm das Spiel:
Gehabt euch wohl und amüsiert euch viel!


Ist das nicht gemein? Hier macht sich jemand über die romantische Welt der deutschen Innerlichkeit lustig, desavouiert die Liebestragödie. Die Plattenfirmen wissen schon, warum sie diesen Text niemals mit abdrucken, wenn sie so ein kleines Heftchen mit den Liedtexten in die CD Hülle schieben. Denn wir wollen und sollen mitleiden mit dem Müllerburschen, der in dem Lied Wohin? von dem Rauschen des Bachs gefangen wird: Ich hört ein Bächlein rauschen / Wohl aus dem Felsenquell, / Hinab zum Tale rauschen / So frisch und wunderhell. Und dieser Bach wird zu seinem Schicksal, bis er zum Schluss in Des Baches Wiegenlied singt Gute Nacht, gute Nacht! Bis alles wacht, / Schlaf aus deine Freude, schlaf aus dein Leid! / Der Vollmond steigt, Der Nebel weicht, / Und der Himmel da oben, wie ist er so weit! Herzzerreißend, ich könnte da immer heulen. Besonders wenn Wunderlich das singt. Und es hilft einem ja auch nichts, dass da eigentlich noch etwas hingehörte, was Schubert nicht vertont hat. Nämlich der Epilog des Dichters. Wenn etwas einen Prolog hat, muss es auch einen Epilog haben, da ist Wilhelm Müller konsequent:

Weil gern man schließt mit einer runden Zahl,
Tret ich noch einmal in den vollen Saal,
Als letztes, fünfundzwanzigstes Gedicht,
Als Epilog, der gern das Klügste spricht.
Doch pfuschte mir der Bach ins Handwerk schon
Mit seiner Leichenred im nassen Ton.
Aus solchem hohlen Wasserorgelschall
Zieht jeder selbst sich besser die Moral;
Ich geb es auf, und lasse diesen Zwist,
Weil Widerspruch nicht meines Amtes ist.
So hab ich denn nichts lieber hier zu tun,
Als euch zum Schluß zu wünschen, wohl zu ruhn.
Wir blasen unsre Sonn und Sternlein aus –
Nun findet euch im Dunkel gut nach Haus,
Und wollt ihr träumen einen leichten Traum,
So denkt an Mühlenrad und Wasserschaum,
Wenn ihr die Augen schließt zu langer Nacht,
Bis es den Kopf zum Drehen euch gebracht.
Und wer ein Mädchen führt an seiner Hand,
Der bitte scheidend um ein Liebespfand,
Und gibt sie heute, was sie oft versagt,
So sei des treuen Müllers treu gedacht
Bei jedem Händedruck, bei jedem Kuß,
Bei jedem heißen Herzensüberfluß:
Geb' ihm die Liebe für sein kurzes Leid
In eurem Busen lange Seligkeit!


Der letzte Auftritt von Fritz Wunderlich war ein Liederabend in Edinburgh am 4. September 1966 (wieder mit Hubert Giesen am Klavier). Der Abend endete mit Schuberts An die Musik:

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf entflossen, 
Ein süßer, heiliger Akkord von dir
Den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen,
Du holde Kunst, ich danke dir dafür!

Und damit wollen wir auch mal aufhören. Fritz Wunderlich ist nicht tot, er singt immer noch. Er ist auch keine achtzig, er bleibt ewig sechsunddreißig Jahre alt.

Mehr zur Schönen Müllerin finden Sie ➱hier.


Samstag, 25. September 2010

Glenn Gould


What has three legs, never walks, but transports you, 
has no arms but embraces hundreds at a time? 
What single key opens eighty-eight different doors, 
is black and white but blinds you with its colour? 
What silent visitor sits in your living room and sings?

Ja, vielen Dank für dieses Gedicht Kate Braid. Es heißt Burlesca, ein musikalischer Scherz, sehr witzig. Die Antwort auf dieses Rätselgedicht heißt natürlich Piano. Und ich vermute mal, dass mit der letzten Zeile auf Glenn Gould angespielt wird. Das mit dem Singen hat man ihm ja nie austreiben können. Kate Braid ist eine kanadische Dichterin, und sie hat gerade über ihren kanadischen Landsmann einen ganzen Band Gedichte geschrieben, der A Well-Mannered Storm: The Glenn Gould Poems heißt.

Sie ist nicht die einzige, die Glenn Gould als Anregung für eine künstlerische Tätigkeit nimmt. Thomas Bernhard hat ihn in den Roman Der Untergeher hineingeschrieben. Und ein Professor für Computer Science namens Stephen Payne hat das Photo von 1957, das Karsh von Glenn Gould gemacht hat (oben), als Ausgangspunkt für ein Gedicht genommen, das Glenn Gould into the music heißt.

He stares at the keys beyond his hands.
Not a note is depressed, nor even touched.


He is listening to the chord just played,
already hearing the ones to come,


just as his hands, high and arched,
hold traces of both past and future


whether they are rising or falling
or in that moment’s stillness between.

There is no blur, although perhaps
the tips of his fingers soften

into their reflections on the polished wood,
the way sound softens into quiet.


Es gibt nicht nur Gedichte, es gibt auch Filme über ihn wie Au delà du temps von Bruno Monsaingeon oder Genius Within: The Inner Life of Glenn Gould von Michèle Hozer. Oder den wirklich schönen Thirty Two Short Films About Glenn Gould von François Girard, das wäre irgendwie mein Tagestipp. Gibt es leider nirgends zu kaufen, aber ich habe ihn glücklicherweise im Kino gesehen und im Kopf abgespeichert. Aber wenn es ihn nirgendwo auf dem Markt gibt, dann retten uns die Japaner, und man kann den ganzen Film ➱hier sehen. Allein dieser Anfang, mit der einsamen Figur in der Schneewüste und dazu die Aria aus den Goldberg Variationen, wow!

Ich schreibe heute über Glenn Gould, weil der heute Geburtstag hat. Seine Kollegin Alicia de Larrocha (die nicht so exzentrisch war wie er, aber einen schönen Mozart spielen konnte) ist heute vor einem Jahr gestorben, sie ist 86 Jahre alt geworden. Glenn Gould war nur fünfzig Jahre alt, als er 1982 starb. Er hat den Erfolg der Goldberg Variationen nicht mehr erlebt, die er gerade zuvor neu eingespielt hatte. Viel langsamer als die Aufnahme von 1955. Vier Wochen vor seinem Tod hatte er Tim Page noch ein einstündiges Interview gegeben (ist als Bonus Disc auf Glenn Gould: A State of Wonder).

Ich schreibe über Glenn Gould, weil ich mit seinen Platten aufgewachsen bin und nicht mit denen von Elly Ney. Wenn es nach meiner Klavierlehrerin gegangen wäre, hätte ich mir nur Elly Ney Platten kaufen dürfen. Von Zeit zu Zeit ist es schon ganz richtig, Ratschlägen und Empfehlungen nicht zu folgen. Glenn Gould hat das auch gesagt, als man ihn 1964 in Toronto zum Ehrendoktor machte und er den versammelten Studenten noch etwas auf den Lebensweg mitgeben sollte: wenn ich einen Satz finden sollte, der meine Wünsche für Sie in diesem Augenblick zusammenfasst, so würde ich versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass es sinnlos ist, allzusehr nach dem Rat anderer zu leben. An dem Tag trägt er unter seinem neuen roten Talar einen eleganten pinstripe Anzug.

Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch andere Pianisten mag, Arturo Benedetti Michelangeli hat bei Mozart große Momente. Glenn Gould ist für Mozart nicht der richtige, seine Einspielung der Mozart Sonaten klingt so, als hätte er statt des Klaviers eine Nähmaschine benutzt. Dennoch sind diese Aufnahmen sehr lehrreich, weil sie die Strukturen der Sonaten offenlegen. Aber wenn man Hintergrundmusik für ein Wiener Café zu dem Klingeln des Silberlöffels in der Porzellantasse haben will, dann sollte es nicht Goulds Mozart sein. Dann sollte man lieber Ingrid Haebler nehmen. Und wenn man sich nur eine Gesamtaufnahme kaufen will, dann kann ich nur Gilbert Schuchter empfehlen. Ich mag auch Tuija Hakkila auf dem Fortepiano sehr, aber die ist leider nicht mehr lieferbar.

Er hat Mozart nicht wirklich gehasst, er hat nur - von einem musikalischen Genie zum anderen - Mozarts Schwächen durchschaut. Er hat ja auch immer wieder Mozart öffentlich gespielt, wie das C-Moll Konzert (KV 491) 1958 in Stockholm, und Mozart Sonaten gehörten zu seinen ersten Aufnahmen (The very first recording of Glenn Gould 1947-1952). Und wenn Sie auf ➱YouTube mal eben in den zweiten Satz von der Salzburger Aufnahme von der Sonate 330 hinein hören: so spielt kein Mozarthasser.  Auf jeden Fall nicht, wenn er in Salzburg noch lebendig aus dem Konzertsaal kommen will. Und da wir gerade bei YouTube sind, da hätte ich noch etwas ➱Lehrreiches. Didaktisch sehr gut gemacht, Mitsuko Uchida gegen Glenn Gould, immer die gleiche Sonate (KV 284). Muss man gehört haben.

Die bösartigen Aussagen über Mozart sollten wahrscheinlich auch die Journalisten verschrecken, Gould liebte jede Sorte Scherz. Seine musikalischen Scherze überflügeln alle Mitglieder von Monte Python leicht und locker. Wenn man seine Briefe liest oder was er sonst noch alles geschrieben hat, wenn man sich seine Radiodokumentationen anhört (und ja, die Filmmusik von Slaughterhouse Five und von The Wars ist auch von ihm), bekommt man einen Eindruck vom ganzen Glenn Gould. Auch wenn noch, wie bei einem Eisberg, sieben Achtel vom privaten Glenn Gould verborgen bleiben. Trotz all der Bücher, die über ihn geschrieben wurde, trotz der Veröffentlichung von Briefen und sogar von Telephongesprächen.

Ich weiß nicht, wer gesagt hat, dass die Sonaten von Mozart sowieso nur für Klavierschüler und ganz große Pianisten da sind, wahrscheinlich stimmt der Satz sogar. Denn die Alberti Bässe für die linke Hand bei Mozart sind für Klavierschüler angenehm leicht zu begreifen, für einen Pianisten sind sie natürlich keine richtige Herausforderung. Was allerdings bei Johann Sebastian Bach für die linke Hand vorgesehen ist, dass kann einen schon manchmal zur Verzweiflung bringen. Nicht Glenn Gould. Dem fällt das leicht, er ist Linkshänder. Und Bach hat er gespielt wie kein zweiter. Darüber vielleicht ein anderes Mal mehr. Vielleicht reicht es, wenn ich an dieser Stelle das Gedicht Ice Man von Kate Braid zitiere.

The image of me out there – Ice Man –
it’s only image. I don’t want to show
how it all comes from the blood, from inside, you know?
I only tell you this now because I’m drunk on sound.
Tomorrow I will deny it.
Blood? What blood? I am Bach

Glenn Gould ist ein wenig exzentrisch gewesen, aber das sind viele Briten. Und wenn man Kanadier ist, ist man ja häufig noch ein Brite. Glenn Goulds Mutter ist stolz auf ihre schottische Abstammung. Glenn Golds Vater hatte den Namen von Gold in Gould geändert, und es ist viel über Goulds angebliche  jüdische Herkunft spekuliert worden (Gould selbst machte Witze darüber) - es ist auch viel über eine angebliche Homosexualität von Gould spekuliert worden. Vladimir Horowitz hat einmal gesagt: There are three kinds of pianists: Jewish pianists, homosexual pianists, and bad pianists. Er sollte es wissen. Aber Glenn Gould passt wohl in keine Kategorie. In die letzte erst recht nicht, selbst wenn diese Banausen vom Penguin Guide to Compact Discs nie mehr als zwei Sterne für ihn übrig haben. Geben aber Keith Jarrett für seine Aufnahme vom Wohltemperierten Clavier drei Sterne, ich fasse es nicht.

Pianisten sind dafür bekannt, dass sie exzentrisch sind. Glenn Gould hat nicht so viele Konzerte abgesagt wie andere Kollegen. Also zum Beispiel wie Arturo Benedetti Michelangeli. Als der einmal in Amerika auftreten soll, sagt der Offizielle von der Firma CBS vor dem Konzert zu dem Klavierstimmer, dass es sein könnte, dass Arturo Benedetti Michelangeli am Abend gar nicht komme. Aber für den Fall hätte sich Glenn Gould bereiterklärt, für das Konzert einzuspringen. Und da sagt der Klavierstimmer: Benedetti Michelangeli, Glenn Gould - wo kriegt ihr bei CBS immer diese Spinner her?

ABM, wie ihn manche nennen, ist sicherlich exzentrischer als Glenn Gould, obgleich sie beide auch viel gemeinsam haben. ABM liebte schnelle italienische Sportwagen, mit denen er voller Todesverachtung über schmale italienische Straßen bretterte. Gould fuhr riesige amerikanische Schlitten, am liebsten nachts auf vereisten Straßen, Radio und Heizung bis zum Anschlag aufgedreht. Im Alter wünschte man ABM, er würde mal zum Friseur gehen, bei Glenn Gould ist es das gleiche. ABM hat immer elegante, teure Klamotten an. Glenn Gould eigentlich auch, aber er trägt sie wie ein englischer Gentleman leicht abgeschabt lässig. Viele Kritiker haben geschrieben, dass er verwahrlost aussähe. Da kann man nur sagen, Leute, guckt genauer hin. Auf allen Photos, die es von ihm gibt (zum Beispiel in Glenn Gould: Ein Leben in Bildern), sind das hervorragende Klamotten. Die darf man auch noch tragen, wenn sie etwas älter sind. Es ist ja lediglich gewöhnungsbedürftig, dass er zu dem Ganzen immer diese warmen Handschuhe, diesen Schal und diese flat cap trägt, die die irischen und englischen Einwanderer im 19. Jahrhundert nach Amerika mitgebracht haben. Er würde mit einem Borsalino sicher eleganter aussehen, aber er liebt nun mal diese Tweedmütze. Soll er doch anziehen, was er will, solange er nur so Klavier spielt, wie sonst kein anderer auf der Welt.













Ich habe zum Schluss noch ein Gedicht von dem kanadischen Dichter James Strecker (aus dem Band Echosystem von 1993), das ich ganz hübsch finde.

At the Grave of Glenn Gould

It's an ordinary place,
for death is ordinary.
The grass is cut,
it's a tidy place.


The trees, too far apart,
cast no shadow on your name;
nearby, a squirrel, a robin,
and, at another grave, mourners
who mourn a death the first
time. Overhead, some Canada
Geese make petulant sounds.

The sun is unmerciful today,
and so is death. The whole
place seems to yawn as if,
for reasons beyond reason,
the dead are quite bored with us.

Were you ever bored, alive?
Did mastery make you weary?
Did you ever dare tread where
you might make mistakes? The

naysayers said no, and so
many made of water, fire, earth,
and air asked too humbly of the
stars what each day would be;
no wonder you and the world
went separate ways.

Still, I look for something
more on your grave. Was
perfection too painful where
no one might see your ecstasy?

You wouldn't be part
of the world unless you
had your way; you sang perfect
in much but not imperfection;

you doubted where music gave
over to dance and dance
to madness, disorder.
You marvelled at secrets,

wanted no secrets, and you
lived a secret life. You
seemed too cautious to weep
and defied emotion the best
you could, as if the heart
intended some clarity of brain.

But each life remains unlived,
unrealized; and as I leave,
I make only footsteps, only

a passing shadow. You
died at fifty, and I, at
forty-nine, like most of this
world, have not been true to
all that is true in me.











Lesen Sie auch: ➱Mozarts Klaviersonaten, ➱Haydn: Klaviersonaten, ➱Gouldberg Variations

Freitag, 24. September 2010

Horace Walpole


Ich finde ja die Neugotik ein wenig scheußlich, aber dies hat natürlich Charme. Ist auch eins der ersten Bauwerke in diesem Stil. Es liegt an der Themse und gehört dem Schriftsteller Horace Walpole (der heute Geburtstag hat), der die kleine Villa, die er 1747 gekauft hatte, wenige Jahre später unbedingt zu einem little gothic castle umbauen musste. Es gibt vor Strawberry Hill zwar schon Bauwerke in diesem neuen altgotischen Stil, aber die zählen nicht, weil es sogenannte sham ruins sind. Ein gewisser Sanderson Miller hat sich schon darauf spezialisiert, weil reiche Bauherren gerne eine kleine gotische Ruine im Park haben wollen. Das da unten ist die künstliche Ruine von Hagley Hall. Walpole war von dem Bauwerk begeistert.

Und es sind nicht nur diese künstlichen Ruinen (wer nicht soviel Geld hat, um Sanderson Miller zu bezahlen, lässt sich eine Ruine aus Pappmaché in den Garten stellen) in den Landschaftsgärten, auch in der Literatur sind Gräber und Ruinen jetzt en vogue wie der Erfolg von Edward Youngs The Complaint, or Night Thoughts on Life, Death and Immortality oder Robert Blairs The Grave zeigt.

Doch Strawberry Hill ist nicht nur eine sham ruin, sondern ein richtiges kleines Schloss im neugotischen Stil. Das erregt natürlich Aufsehen. Es kommt jetzt eine neue Sorte Mensch nach Twickenham: der Tourist. Eine Erfindung des Englands des 18. Jahrhunderts. Walpole lässt sie alle rein, er ist so stolz auf sein Bauwerk, er liebt es, von Menschen bewundert zu werden. Obgleich er sich in Briefen an seine Freunde und in seinen Aufzeichnungen ständig über sie beklagt, er ist in seinen dreitausend Briefen eine der berühmtesten Tratschtanten des Jahrhunderts: The first day a company came to see my house, I felt...joy. I am now so tired of it, that I shuddder when the bell rings at the gate. It is as bad as keeping an inn, and I am often tempted to deny its being shown, if it would not be ill-natured to those that come, and to my housekeeper. Ganz besonders kann er die französischen Besucher nicht ausstehen, aber auch all die anderen hoi polloi, die ständig etwas kaputt machen: Two companies had been to see my house last week, and one of the parties, as vulgar people always see with the end of their fingers, had broken off the end of my invaluable eagle's bill, and to conceal their mischief, had pocketed the piece.

Man kann den Adler, der bei Grabungen nahe der Caracalla Thermen ausgegraben wurde, noch auf dem Kupferstich sehen, der dekorativ von der Tischkante auf Reynolds Portrait von Walpole herunterhängt. Die Besucher, die Walpole auch als customers bezeichnet, werden immer mehr. Walpole wird ein kunstvolles Buchungs- und Eintrittskartensystem für die Öffnungszeiten von Mai bis Oktober ersinnen, es gibt jetzt auch eine Art Hausordnung (die wird es beim Fürsten Pückler auch geben). Kinder sind nicht willkommen (visitors are desired not to bring children), und Ansichtskarten und Speiseeis werden auch noch nicht verkauft, aber ansonsten ähnelt das alles schon ziemlich den Regularien, die Touristen  heute bei englischen Landsitzen finden. Aus dem appointment book der Jahre 1784 bis 1796 kann man schließen, dass im Jahr zwischen 250 und 300 Besucher in Strawberry Hill auftauchen. Auf größeren Landsitzen wie Wilton House bei Salisbury, das dem Earl of Pembroke gehört, werden zu der Zeit schon zweitausend Besucher gezählt. Die haben aber auch einen riesigen Park, den hat Strawberry Hill nicht. Der neuen Landschaftsgartenkunst wird sich der Besitzer allerdings nicht verschliessen. Walpole, der einmal gesagt hat The whole secret of life is to be interested in one thing profoundly and in a thousand things well, wird einen einflussreichen Essay über den Landschaftsgarten schreiben.

Das sind jetzt nicht nur Landhäuser, die zur Schau gestellt werden, damit die Besucher die Architektur und die Bilder an der Wand bewundern. Es wird jetzt ein ganzer Lebensstil zur Schau gestellt, man zeigt, dass man taste hat. Bisher hatte das Wort etwas mit dem Essen zu tun, jetzt wird es zu einer ästhetischen Kategorie. Und Walpole wird in seinem Strawberry Hill die Dinge ausstellen, die er sammelt, viertausend Objekte (die Zeichnungen, Drucke und Bücher nicht mitgezählt). Der abbott of Strawberry Hill (wie er sich einmal bezeichnet hat) wird zum Bühnenbildner seiner eigenen Geschmackswelt, lange bevor Andy Warhol auf einen solchen Gedanken gekommen ist.

Am liebsten sind dem berühmten Horace Walpole natürlich berühmte Besucher. Wie James Boswell, die Schrifstellerin Fanny Burney oder die Schauspielerin Mrs Siddons. Und natürlich der berühmte Gartenarchitekt Humphry Repton. Den Herzog von Marlborough mit Gattin und den Erzherzog von Österreich, auch mit Gattin, wird Walpole persönlich durch sein kleines Schloss führen. Als er noch jung war, hat er Besucher auf dem Landsitz seines ungeliebten Vaters herumgeführt, er kennt sich darin aus. Wenn die Besucher nicht so prominent sind, führt ein Diener die Besucher herum und Horace Walpole verkrümelt sich in ein Gartenhäuschen. Oder beobachtet die Besucher aus einem Versteck heraus.

James MacLaine wird Strawberry Hill nicht besuchen, aber er wird Walpole einen Brief schreiben. James MacLaine ist auch eine Berühmtheit, er ist ein Gentleman Highwayman. Er soll das Vorbild für Macheath vulgo Mäckie Messer sein, was aber nicht sein kann. Als John Gays Beggar's Opera erscheint, ist MacLaine erst vier Jahre alt. Er hat Walpole im Hyde Park überfallen und beraubt, und seine Pistole ist aus Versehen losgegangen. Jetzt entschuldigt er sich brieflich bei Walpole. Und bietet ihm die Beute zum Rückkauf für vierzig Guineas an. Walpole hat die ganze Sache sehr sportlich genommen und ist MacLaine nicht böse gewesen (I wish him no ill), er hat ihn sich auch nicht (im Gegensatz zu ganz London) in der Todeszelle besichtigt, wo MacLaine wie ein wildes Tier ausgestellt wurde.

Einen berühmten Besucher wird Walpole nicht mehr kennenlernen, und das ist unser Fürst Pückler, der natürlich bei seinem jahrelangen Englandaufenthalt auch Twickenham besucht hat: Auf einem Spazierritt mit M ... kamen wir zufällig in einer reizenden Gegend nach Strawberryhill (Erdbeerhügel) einem von Horace Walpole gebauten Schloß, dessen er so oft in seinen Briefen erwähnt, und das man seitdem in nichts geändert und wenig bewohnt hat. Es ist der erste Versuch des Modergothischen in England, ganz im Clinquan-Geschmack jener Zeit, das Steinwerk in Holz nachgeahmt, gar Vieles – was glänzt, ohne Gold zu seyn. Doch sieht man auch mehrere gediegnere Kunstschätze und manche Curiositäten. Zu den ersteren gehört unter andern ein prächtiges mit Juwelen besetztes Gebetbuch voll Zeichnungen Raphaels und seiner Schüler, zu den letzteren der Hut des Cardinals Wolsey, ein sehr ausdrucksvolles Portrait der Madame du Deffant, der blinden und geistigen Geliebten Walpoles, und ein Bild der berühmten Lady Montague in türkischer Kleidung. Also das Wort modergothisch für gothic revival gefällt mir ausnehmend gut. Pücklers Vorgänger in Punkto Englandverehrung, Leopold von Anhalt-Dessau, hatte sich gleich in Wörlitz von Erdmannsdorff etwas Ähnliches bauen lassen und damit die Neugotik nach Deutschland gebracht.

Und von da an ist das mit dem gothic revival gar nicht mehr aufzuhalten. Ein ebenso scheußlich-schönes Pseudoschloss steht vor den Toren Bremens in Leuchtenburg. Ein Bremer Kaufmann, der mit einer Engländerin verheiratet war, hat es ein Jahrhundert nach Strawberry Hill hier Lowther Castle nachgebaut (na ja, nicht das ganze Schloss Lowther Castle, sondern nur einen Seitenflügel). Riesiger Park drumherum. Später hat er es an einen gewissen George Albrecht verkauft, dessen Enkel Ernst hier geboren wurde. War mal Ministerpräsident von Niedersachsen (und ist der Vater von Ursula von der Leyen). Später hat die Familie es verkauft, diente dann der Lufthansa als Pilotenschule, heute ist es Hotel. Natürlich ist der Park nicht mehr so herrlich vergammelt wie in meiner Jugend, das Haus sah damals so aus, als ob alle Edgar Wallace Filme da drin gedreht worden seien. Heute sind da diese barbarisch neumodischen Fenster drin. Da würde Dieter Wieland, der Autor von Bauen und Bewahren auf dem Lande, einen Herzinfarkt kriegen, wenn er das sehen müsste.

Dieser George Albrecht ist übrigens der Schwiegersohn des reichsten Bremers des 19. Jahrhunderts gewesen, des Barons Ludwig Knoop, der sich auch eine Vielzahl schöner Schlösser gebaut hat. Leider sind Schloss Mühlental und Schloss Kreyenhorst längst abgerissen, aber den schönen Knoops Park von Wilhelm Benque, den gibt es immer noch. Das Hotel Herrenhaus Leuchtenburg sieht heute wie eine Yuppie Scheune aus und hat nichts mehr von diesem schönen Schauer, den das Schwarzweißphoto von Lowther Castle da oben ausstrahlt.

Denn mit solchen Bildern verbinden wir ja den Schauerroman. Und da bin ich, nach diesem kleinen Schlenker über das Weiterwirken von Strawberry Hill in Wörlitz und Bremen, doch wieder bei Horace Walpole. Weil er nicht nur diesen modergothischen Landsitz gebaut hat, sondern auch noch gleich passend dazu die gothic novel erfunden hat. The Castle of Otranto heißt der 1764 anonym erschienene Roman, auf den alle Schauerromane zurückgehen. Inzwischen kennen wir die Zauberformel alle: ein schauriges Schloss, efeuüberwachsen, Nacht, jagende Wolken am Himmel, von Zeit zu Zeit ein blasser Mond, schreiende Käuzchen, eine unschuldige Schönheit durch Kellergewölbe irrend, verfolgt von einem Bösewicht (gothic villain) aus alter adliger Familie und so weiter ad infinitum. Auf dem Titelblatt suggeriert uns Walpole, dass dies eine Übersetzung aus dem Italienischen ist. Dort spielt der Roman auch, den Italienern traut man ja alles zu. Alle englischen Schauerromane der ersten Phase spielen nicht in England, und der gothic villain (von der Natur gezeichnet durch Entstellungen, Narben oder dämonische Augen) ist immer ein Ausländer.

Ich besitze eine italienische Fassung von Il castello di Otranto, gedruckt in London 1795. Das ist natürlich nicht das Original, weil es kein italienisches Original gibt, aber diese Ausgabe hat in der Geschichte der gothic novel doch ihre Bedeutung. Der Übersetzer ist ein gewisser Gaetano Polidori, ein italienischer Schriftsteller, der nach London emigiert ist. Wir können schon davon ausgehen, dass sein Sohn John Polidori Pappis Übersetzung gelesen hat. Dieser John Polidori wird der Arzt und Reisebegleiter von Lord Byron werden, und er wird mit The Vampyre auch einen Schauerroman schreiben. Damals als die ganze romantische Dichterclique beim Dauerregen in der Villa Diodati sitzt und sie beschließen, alle einen Schauerroman zu schreiben. Dem schlechten Wetter verdanken wir Frankenstein. Meine italienische Version von Walpoles Roman kostet (wie ich gerade im ZVAB herausgefunden habe) bei einem englischen Händler 330 ₤, dafür würde ich sie auch verkaufen.

Dass unsere Dichterclique (Byron plus Leibarzt, Shelley und Gattin) in Italien ist, ist kein Zufall. Der Italienaufenthalt ist für den gebildeten Engländer als Teil der Grand Tour spätesten seit den Tagen von Horace Walpole sozusagen de rigueur. Sonst mag man die Italiener ja nicht so, aber jetzt heißt es vede Napoli e poi Muori. Und natürlich Rom, um (wie auch Walpole) antike Skulpturen und Bilder zu kaufen. Da warten schon ganze Fälscherwerkstätten auf die englischen Touristen, um ihnen garantiert echte Salvator Rosas zu verkaufen.

Die jungen englischen Gentlemen, wie zum Beispiel James Boswell, lassen sich auch häufig malen. Boswell gibt dafür einem schottischen Landsmann fünfzehn Pfund. Dieser George Willison studiert noch, deshalb der niedrige Preis. Bei den Stars der Malerszene wie Pompeo Batoni (links sein Portrait von John Staples 1773) kostet das schon mal das zehnfache. Natürlich gibt es in Italien jetzt auch den einen oder anderen Deutschen, wie diesen Herrn da oben, aber die Engländer sind da noch in der Mehrheit. Irgend muss der Herr da oben ja seine Zeilen her haben, die er in Faust II Mephistopheles sagen lässt:

Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, klassisch-dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.

Die Briten haben jetzt ein festes Programm, und was Mephistopheles aufzählt gehört natürlich dazu. Und die Alpen, die muss man natürlich gesehen haben. Weil sie sublime sind, und sublime ist jetzt in. Seit Edmund Burke diesen Traktakt über Sublime and Beautiful geschrieben hat. Unglücklich nur, dass der kleine fette Schoßhund von Walpole, ein Spaniel namens Tory (was ja ein passender Witz für den Sohn eines Premierministers ist, der den Whigs angehört) von einem Wolf gefressen wird, kaum dass er ihn mal ein paar Schritte watscheln lässt. Da kann man die Landschaft gar nicht richtig geniessen. Walpole hat dieses Hündchen geschenkt bekommen. Der Reisebegleiter von Walpole, Thomas Gray, bemerkt hierzu, dass es ein odd accident enough gewesen sei. Er ist dreiundzwanzig und war mit Walpole in Eton. Er ist noch nicht der berühmte Dichter, der er eines Tages sein wird. Sonst hätte er bestimmt sofort ein Gedicht auf den Tod des kleinen fetten Spaniels geschrieben.

Denn knapp zehn Jahre später, als Walpoles Lieblingskatze Selima auf der Jagd nach Goldfischen ersoffen war, da hat Thomas Gray (jetzt ein Dichter) dann doch schon eine Ode geschrieben: Ode on the Death of a Favourite Cat, Drowned in a Tub of Gold Fishes. Jahre später wird sich ein drittklassiger Dichter namens Edward Burnaby Greene in seinem Gedicht Ode on the Death of a Favorite Spaniel Dog auch des Todes von Tory annehmen. Wenn man so berühmt ist wie Walpole, dann werden auch die Haustiere literaturwürdig. Obgleich das Gedicht eher ein wenig unfreiwillig komisch ist, wenn Sie wollen, können Sie es hier nachlesen. Interessant ist aber, dass 1775 - beinahe zwanzig Jahre nach Burkes A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful - sich seine Terminologie voll durchgesetzt hat. An Wörtern wie lone grandeurtremendous heightprecipice und unfathomed void kann man erkennen, dass der Autor seinen Burke gelesen hat.

Ob das Erhabene nun die richtige Kategorie ist, um das Äquivalent von Paris Hiltons Handtaschenhund abzufeiern, ist eine andere Frage. Über Walpoles Katze Selima hat Christopher Frayling gerade eine kleine Kulturgeschichte Horace Walpole's Cat vorgelegt. Das hätte ich auch schreiben können, aber ich bin Katzenhasser. Das Victoria und Albert Museum hatte in diesem Jahr eine Ausstellung zu Walpoles Strawberry Hill. Die Ausstellung ist leider schon vorbei, den Katalog kann man aber immer noch kaufen. Horace Walpole's Strawberry Hill. Herausgeber Michael Snodin und Cynthia Roman. Yale University Press, 2009. 384 Seiten, 368 Abbildungen, 69.99 € bei Amazon.

Post Scriptum. Das hier habe ich durch Zufall im Internet gefunden. Mein Vater überlegte sich damals, ob er es kaufen sollte. Vom Turm aus hatte man einen tollen Blick über Lesum und Weser. Aber es war doch schon ziemlich baufällig, und so sind wir keine Besitzer einer gotischen Ruine geworden.


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