Montag, 29. Juli 2013

Peter Schreier


Peter Schreier wird heute achtundsiebzig, und da möchte ich doch ganz herzlich gratulieren. Einer der wenigen lyrischen Tenöre, die wir in Deutschland hatten. Im letzten Monat hat er in Leipzig die Bach Medaille erhalten. Das war im Frühjahr noch gar nicht so sicher. Nicht, dass er die Bach Medaille nicht verdient hätte, sondern ob er sie überhaupt hätte in Empfang nehmen können. Erst eine Lungenentzündung zu Anfang des Jahres, dann zwei Schlaganfälle. Er ist aber dem Tod noch mal von der Schippe gehüpft, wie man auf diesem Photo von der Verleihung der Bach Medaille sehen kann.

Das Weihnachtsoratorium von Bach in Prag im Jahre 2005 war sein letzter öffentlicher Auftritt, da war er über siebzig Jahre auf der Bühne - wenn man seinen ersten Auftritt im Dresdner Kreuzchor mitzählt. Der Kantor des Kreuzchors Rudolf Mauersberger hatte schon schnell sein Talent erkannt und ihm erste Soloparts als ➱Knabenalt gegeben. Von da an bestimmen Bach Kantaten und Oratorien sein Leben. An dieser Stelle muss ich ein Geständnis machen: es ist nicht meine Welt. Zwar habe ich CDs von Bachs wichtigsten Passionen, Oratorien und Messen - und die werden auch zu Weihnachten und Ostern aufgelegt - aber die Musik interessiert mich nicht wirklich. Natürlich bin ich früher für Bach in den Bremer Dom gegangen, aber nur weil meine Freundin im Chor mitsang. Manchmal spiele ich auf dem Klavier ➱Jesu bleibet meine Freude in der Klavierbearbeitung von Myra Hess (aus der Kantate BWV 147), das ist sehr schön. Bachs Choralwerke sind sicherlich auch zu schön, aber irgendwie zu viel für mich. Kurt Masur hat über Peter Schreier gesagt: Er singt immer so, wie es gesungen werden muss, und wenn man es anders singt, ist es falsch. Wenn er die Matthäus-Passion singt, dann glaubt man ihm.

Neben dem Bachsänger Peter Schreier gibt es aber noch den Opernsänger und den Liedsänger Peter Schreier. Der gefällt mir sehr viel besser. Ich habe ihn schon in dem Post ➱Winterreise erwähnt. Musste da aber einschränkend sagen, dass mir seine Aufnahme der ➱Winterreise mit Swjatoslaw Richter nicht so gefällt (liegt aber am russischen Liedbegleiter). Seine beiden Aufnahmen der Schönen Müllerin - einmal mit Walter Olbertz und die Gitarrenversion mit Konrad Ragossnig - finde ich sehr schön (Walter Olbertz kam hier schon einmal in dem Post ➱Haydn: Klaviersonaten vor). Und es gibt auch noch eine interessante Aufnahme, wo er von Steven Zehr (Hammerklavier) begleitet wird. Ich merke gerade, dass ich noch niemals einen langen Post über Schuberts Schöne Müllerin geschrieben habe. Es gibt hier zwar schon den Post ➱Lindenbäume, aber noch nicht so etwas wie eine Sammelbesprechung der vielen Aufnahmen. Kommt noch, wenn ich mal Zeit habe. Und die Leser wieder da sind, die scheinen im Augenblick alle im Urlaub zu sein. Aber bis dahin habe ich für Sie Die Schöne Müllerin mit Peter Schreier in ganzer Länge. Klicken Sie ➱hier.

Auf der Opernbühne stand Peter Schreier 1959, gleich als er mit seinem Studium von Gesang (und Dirigieren) fertig war. Sang einen der Gefangenen in Beethovens Fidelio. Aber wenig später kam der Tamino aus der Zauberflöte, eine Rolle, die er hunderte von Malen gesungen hatte. Zuletzt im Jahre 2000, aber er wusste schon vorher, dass das nicht ewig geht: Irgendwann bin ich kein junger Prinz mehr. Und so war das damals auch sein Abschied von der Opernbühne. Er hat die Bühnen der Welt gesehen, er war in Bayreuth (wo er 1966 den jungen Seemann in Tristan und Isolde unter Karl Böhms Dirigat sang),  und seit den sechziger Jahren war er ständiger Gast der Wiener Staatsoper. Er war das, was in der DDR so schön Reisekader hieß, er konnte nach Mailand, Buenos Aires und New York reisen. Davon träumten viele. Er hat nie rübergemacht, obgleich die Gelegenheit dazu immer da war. Aber er genoss als Exportschlager der DDR auch in der Republik eine Sonderstellung. Ich wurde fast wie ein rohes Ei behandelt, hat er einmal gesagt. Seit 1945 wohnt er in Dresden, irgendwie ist er sehr bodenständig. Er ist ein Weltstar gewesen, aber einer von der bescheidenen, sympathischen Art.

Nomen non est omen, hat Karl Böhm einmal in Anspielung auf seinen Namen gesagt (sehen Sie ➱hier ein Interview mit August Everding). Nein, Peter Schreier schreit nicht, der war ein lyrischer Tenor. Als er anfing, Opern zu singen, sangen ➱Rudolf Schock und ➱Fritz Wunderlich noch. Drei deutsche Tenöre von Weltklasse, das kam bei uns in Deutschland nicht wieder. Und auch solche Sänger wie auf diesem Photo wird man so schnell nicht wieder finden: (von links) Hermann Prey als Guglielmo, Dietrich Fischer-Dieskau als Don Alfonso und Peter Schreier als Ferrando in Cosi fan Tutte im Jahr 1972. ➱FiDi musste natürlich wieder in der Mitte sein, das geht nicht anders.

Aber hier habe ich Schreier mal in der Mitte (mit dem Bass Harry Peeters, Christa Ludwig, Edda Moser und Dietrich Fischer-Dieskau 1986 in Salzburg). Fischer-Dieskau muss auch wieder auffallen: er trägt eine schwarze Weste zum Frack. Peter Schreier und Fritz Wunderlich haben sich nur einmal getroffen, Hermann Prey, der mit beiden befreundet war, hatte sie miteinander bekannt gemacht. Schreier hatte den größten Respekt vor seinem Kollegen: Mir hat ja Fritz Wunderlich immer etwas im Nacken geschwebt von vielen Institutionen und von vielen Medien wurde ich ja als sein Nachfolger, manchmal gar als der legitime Nachfolger Wunderlichs hingestellt. Und das war für mich nicht einfach. Weil ich zunächst mal glaube, daß wir zwei ganz verschiedene Sänger sind, daß er zwar auch Mozart gesungen hat und ich Mozart gesungen habe und noch singe, daß er aber von seiner ganzen Veranlagung, von seinem Timbre und seiner Ausdrucksweise, auch von seinem Temperament her ein ganz anderer Mensch war als ich. Und er weiß auch mit Hochachtung zu berichten: Ich weiß, daß er mich protegiert hat, daß er mich damals für die Entführung in Salzburg sehr empfohlen hat... und gesagt hat: Jetzt nehmt's doch mal den Schreier und lasst mich in Ruhe!' Das fand ich ganz uneigennützig, ja toll von ihm; wer macht das schon unter Kollegen?

Peter Schreier hat seinen Abschied von der Bühne angeblich lange geplant, er singe nicht mal mehr im Bad, versicherte er Zeitungsreportern. Aber er dirigiert noch und gibt Meisterkurse. Und mutet sich offensichtlich zu viel zu, die Herzoperation vor drei Jahren, die Operation an der Halsschlagader im letzten Jahr und die Schlaganfälle in diesem Jahr kommen sicher nicht von ungefähr. Ich glaube, Dietrich Fischer-Dieskau hatte sein Leben nach den öffentlichen Auftritten besser organisiert. Ich kann da keine Ratschläge geben, aber ich wünsche ihm alles Gute. Und womit kann man einem Sänger gratulieren? Am besten mit Albert Stadlers ➱Kantate zum Geburtstag des Sängers Johann Michael Vogl:

Sänger, der von Herzen singet 
Und das Wort zum Herzen bringet, 
Bei den Tönen deiner Lieder 
Fällt's wie sanfter Regen nieder, 
Den der Herr vom Himmel schickt, 
Und die dürre Flur erquickt!

Und ich muss heute noch einem anderen Geburtstagskind gratulieren. Nämlich der jungen Dame da links auf der Bild (bei der Eröffnung einer Kunstausstellung, ich nehme an, dass das linke Bild von ihr ist). Liebe Gabi, habt ihr in Luxembourg keine besseren Photographen? Happy Boifday, das Geburtstagsgeschenk ist unterwegs. Falls es heute noch nicht ankommt, hör' doch mal ➱hier in Dotschy Reinhardt 'rein. Und wenn Sie nicht Gabi heißen und nicht heute Geburtstag haben, dürfen Sie sich aber auch Dotschy Reinhardt anhören. Ist nicht Bachs H-Moll Messe, ist aber auch gut.

Samstag, 27. Juli 2013

The Kingston Trio


Nick Reynolds (der heute vor achtzig Jahren geboren wurde) ist der Kleine, da rechts außen. Gehörte zu den Begründern des Kingston Trio. Plötzlich, Ende der fünfziger Jahre waren sie da. Und gingen nicht mehr aus dem Ohr. Ob das ➱It takes a Worried Man to sing a Worried Song, die ➱Sloop John B oder was immer war. Spätestens als sie ➱Tom Dooley sangen, kannte man sie auch in Deutschland. Ich habe immer noch ihre Platten. Den ➱The MTA Song habe ich immer noch drauf: Citizens, hear me out, this could happen to you. Der Song über die Bostoner U-Bahn enthielt auch ein wenig Sozialkritik. Alles, was jetzt aus Amerika kam und folk music hieß, enthielt Sozialkritik. Bis auf die Songs vom Kingston Trio, wahrscheinlich mochte man sie deshalb in Deutschland so gerne.

Das Folk Revival grub natürlich auch eine Vielzahl von Liedern aus, die hunderte von Jahren alt waren und mit den ersten englischen Siedlern nach Amerika gelangt waren. Selbst protest singers wie Joan Baez und Bob Dylan haben diese ➱Balladen gesungen. Doch neben folk und protest gab es auch Kommerz. Es waren zwei Seiten einer Medaille, die schönen Melodien verführten auch viele, Kasse zu machen. Wenn ➱Nina van Pallandt Little Boxes sang, hatte das eigentlich nichts mehr mit dem Song von ➱Malvina Reynolds zu tun. Hatte mehr mit ➱Mandolinen und Mondschein zu tun. Leider ist auch das Kingston Trio in diese Kommerzfalle getappt.

Vor dem Kingston Trio gab es die Weavers, nach dem Kingston Trio kam das Chad Mitchell Trio. Das hatte sogar die Protektion von Harry Belafonte, weil sie auf der Doppel-LP Belafonte Returns to Carnegie Hall singen durften. Dieses bezaubernde ➱I do Adore Her. Und den wunderbaren ➱Song über Dr Freud. Der ➱hier schon einmal erwähnt wurde (und der zahlreiche Psychologen unter meinen Lesern köstlich amüsiert hat). Das Chad Mitchell Trio war böser als das Kingston Trio, hören Sie doch mal in ihren Song ➱The John Birch Society. In einem Song waren sie ganz böse, aber der hat es irgendwie nicht nach Deutschland geschafft. Der hieß The 'I Was Not A Nazi' Polka. Man kann ihn ➱hier hören:

Wenn Sie durch Die Schöne Deutschland gehen
Einen Gesang werden Sie hören
Es gibt eine kleine Melodie in Deutschland
Fur fünfzehn oder Zwanzig Jahren

As you travel through Die Schöne Deutschland
(Wenn Sie durch Die Schöne Deutschland gehen)
A melody will greet your ears
(Einen Gesang werden Sie hören)
It's a melody that's been around in Deutschland
(Es gibt eine kleine Melodie in Deutschland)
For fifteen to twenty years
(Fur fünfzehn oder Zwanzig Jahren)

Each and every German dances to the strain
Of the I was not a Nazi Polka
All without exception join in the refrain
Of the I was not a Nazi Polka

Goering was a crazy we wanted to deport
Sing the I was not a Nazi Polka
We all thought that Dachau was just a nice resort
Sing the I was not a Nazi Polka

The German is so cultured, he does not like to fight
The peaceful life is what he most enjoys
For years the German people were utterly convinced
I.G. Farben manufactured children's toys

I never shot a Luger or goosed a single step
Sing the I was not a Nazi Polka
Sing the I was not a Nazi Polka
Sing the I was not a Nazi Polka

- Was you not an SS guard?
- I was not an SS guard.
I was not a Nazi Polka
- Did you not love Ilsa Koch?
- I did not love Ilsa Koch.
I was not a Nazi Polka
- Did you not despise the Jews?
- I did not, some of my best friends.
I was not a Nazi Polka
- Did you not think Adolf great?
- I did not, Adolf who?
- Adolf who?
- Ja, Adolf who?
- Fritz, you're putting me on.
- Was bedeutet dieses 'putting me on'?
- Are you kidding me or something?
- Nein, I'm not kidding you. Adolf who?
- Adolf Hitler!
- Should I know him? Is he a folksinger?
- You don't remember?
- Nein, I don't remember him. Who was he?
- Well.

A little man, very mean, very loud and brash
- Mmm-mmm...
Not too tall, he never smiled, wore a black mustache
- Nein, I never heard.
He had a girl, Eva Braun, hair as red as flame
- Ah, ja, ja.
He papered walls for many years till his moment came
- Of course!

He's the one who clapped his hands, went into a dance
When the news came to him that we had conquered France
- That's him
He once said, when our flag proudly was unfurled,
"Today, Germany, tomorrow, the world! (Yeah!) Tomorrow, the world! (Yeah!) Tomorrow the world! (Yeah!) Tomorrow the world! (Yeah! Yeah!)
- I never heard of him
- Neither did I

To our Israeli allies let us raise a toast
Sing the I was not a Nazi Polka
Sure there were some Nazis, two or three at most
Sing the I was not a Nazi Polka

We tried to throw off Hitler right from the very start
That's what every history book should tell
We hated Heinrich Himmler, Martin Bormann too
We believe as Sherman did that war is hell. hell. hell. hell.
Heil!. Heil!. Heil!. Sieg heil!. Sieg heil!. Sieg heil!

Germans are as gentle as flowers in the spring
Sing the I was not a Nazi Polka
Germans are a people who love to dance and sing
Sing the I was not a Nazi Polka

Wait a minute! Wait a minute! You there, you are not singing.
You do not like to sing? Tell me, you still have a family in Germany, nicht wahr? Sing!

Sing the I Was Not a Nazi Polka
Sieg heil!


So etwas hätte mal ein deutscher Schlagerfuzzi anfangs der sechziger Jahre singen sollen. In Amerika regte sich niemand über den Song auf. Na ja, bis auf die Anhänger von George Lincoln Rockwells American Nazi Party. Wenn das Revival der amerikanischen Folk Music in den fünfziger und sechziger Jahren eine Vielzahl von politischen und sozialkritischen Themen in die melodiösen Texte bringt, dann hinkt man in Deutschland ein wenig dieser Entwicklung hinterher. Das erste Burg Waldeck Festival (da, wo die Karriere von ➱Hannes Wader begann) findet 1964 statt.

Das ist nun alles schon Geschichte. Kommt nicht wieder. Die gute Musik auch nicht. Was heute im Radio dudelt, regt niemanden mehr auf. Musikalischer Einheitsbrei von Sportfreunde Stiller, Xavier Naidoo, Bosse, Johannes Oerding, Silbermond und wie sie alle so heißen. Mal ein kleiner Lichtblick mit Anna Loos, aber auch schon irgendwie wieder weg. Hundertmal am Tag läuft der Spruch Der Sound der 80er und die beste Musik von heute jeden Tag bei NDR II vom Band. Wird nicht besser, wenn man es wiederholt. Die beste Musik von heute? Nix als eine Werbeplattform für die Musikindustrie seid ihr. Ich bin ja nun mal Radiohörer. Ich bin mit ➱AFN und ➱BFN aufgewachsen, ich weiß noch, wie gut der NDR damals war, als ➱Klaus Wellershaus für die Musik verantwortlich war. Warum bekommt der Intendant des NDR Lutz Marmor eigentlich 286.000 Euro im Jahr? Soll ihn doch die Musikindustrie bezahlen, nicht der Gebührenzahler!

Das musste mal eben geschrieben werden. Und ich lege heute den ganzen Tag das Kingston Trio auf. Und ➱Harry Belafonte, ➱Tom Lehrer, ➱Phil Ochs, ➱Joan Baez, ➱Bob Dylan und Tom Paxton.

Freitag, 26. Juli 2013

George Catlin


Als der Maler John James Audubon durch Europa reist, um an den Fürstenhöfen Europas Subkriptionen für sein Werk The Birds of America einzuwerben, hat er sich ein eigenes Kostüm entworfen. Der American Adam kommt jetzt in der Verkleidung von James Fenimore Coopers Lederstrumpf daher. Ist es ein Zufall, dass Audubon im gleichen Jahr wie James Fenimore Coopers Roman The Last of the Mohicans nach Europa kommt? Allerdings ist Audubon etwas eleganter als Coopers Natty Bumppo, schließlich ist er ja eigentlich Franzose. Da achtet man schon auf den ➱Dandy Look. Die Bilder, die er aus der neuen Welt bringt, betreffen zwar keine Indianer, sondern lediglich Piepmätze. Und doch ist sein Werk eine Sensation.

Der nächste amerikanische Showman, der Europa bereist, hat keine Bilder von ➱Truthähnen und Weißkopfseeadlern gemalt, der malt so etwas Exotisches wie richtige Indianer. Und er bringt nicht nur seine berühmte Bildersammlung mit, die er gerne der Königin Victoria oder dem französischen Bürgerkönig Louis-Philippe verkaufen möchte, er bringt auch Indianer mit. Jahrzehnte bevor Buffalo Bill mit seiner Wildwestshow Europa bereist. Catlins ➱Indian Gallery war in Amerika ein Flop gewesen, die Regierung war nicht an einem Ankauf der Sammlung interessiert. Deshalb geht er jetzt nach Europa. Und er ändert sein Konzept: But in England he had reordered his priorities, advertising his gallery as an elaborate amusement even as he insisted it was a scientific treasure of enduring value. Sagt Brian W. Dippie in seinem Buch Catlin and His Contemporaries: The Politics of Patronage. Man könnte es auch einfacher sagen: There's no business like show business. Und da liegt die Tragik von George Catlin. Seine Ziele waren eines Ethnologen würdig, jetzt wird er zum Vorläufer von Buffalo Bill.

In Amerika treten jetzt viele Showmen auf. Neil Postman hat in Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show Business gezeigt, wie sich im 19. Jahrhundert die amerikanische Gesellschaft immer mehr von der Alphabetisierung verabschiedet und sich dem Showbusiness zuwendet. Ein Mann namens Phineas Taylor Barnum reist mit der 161-jährigen Amme von George Washington durch die Lande und erfindet die amerikanische Vergnügungsindustrie. Die ersten Indianer, die George Catlin in London präsentiert, sollen genau so echt wie Washingtons Amme gewesen sein. Angeblich waren es lediglich rot angemalte Londoner Cockneys. Die leider dazu neigten, sich während der Vorstellungen zu besaufen und aus der Rolle zu fallen. Also verpflichtet er neun echte Ojibwa Indianer, die wenig später durch ein Dutzend Iowas ersetzt werden (hier sind sie zu sehen). Die Königin beordert die Indianer nach Windsor, die Bilder von Catlin interessieren sie nicht so sehr. Catlins Indianer werden auch an dem heiligsten Ort der Engländer mit Tänzen, Bogenschießen und Vorführungen des Lacrosse Spiels auftreten: Lord's Cricket Ground. Sie dürfen auf dem heiligen Rasen auch Wigwams aufbauen, das wäre für die Mitglieder des ➱MCC heute eine schreckliche Vorstellung.

Erstaunlich ist bei der allgemeinen englischen Begeisterung die Hassattacke von ➱Charles Dickens, für den die noble savages nur ein dreckiges Gesindel sind: To come to the point at once, I beg to say that I have not the least belief in the Noble Savage. I consider him a prodigious nuisance, and an enormous superstition. His calling rum fire-water, and me a pale face, wholly fail to reconcile me to him. I don't care what he calls me. I call him a savage, and I call a savage a something highly desirable to be civilised off the face of the earth. I think a mere gent (which I take to be the lowest form of civilisation) better than a howling, whistling, clucking, stamping, jumping, tearing savage. [...] There was Mr. Catlin, some few years ago, with his Ojibbeway Indians. Mr. Catlin was an energetic earnest man, who had lived among more tribes of Indians than I need reckon up here, and who had written a picturesque and glowing book about them. With his party of Indians squatting and spitting on the table before him, or dancing their miserable jigs after their own dreary manner, he called, in all good faith, upon his civilised audience to take notice of their symmetry and grace, their perfect limbs, and the exquisite expression of their pantomime; and his civilised audience, in all good faith, complied and admired. Ich kontrastiere Dickens' Hasstiraden einmal mit diesem Bild aus dem Jahre 1845, das Catlins Indianer bei einem Empfang durch den französischen König in den Tuilerien zeigt.

Irgendwie kommt Catlin in Paris besser an als in London. Dies hier ist nicht, wie man vermuten würde, eine Zeichnung von Catlin. Nein, kein Geringerer als Delacroix hat hier Catlins Indianer in Paris gezeichnet. Eugène Delacroix avait un plaisir extrême à voir les Indiens Ioways amenés à Paris par Catlin en 1845, heißt es 1864 bei Théophile Silvestre. Und kein Geringerer als Charles Baudelaire wird in der Zeitschrift Le Salon im Jahre 1846 eine ausführliche Würdigung der Bilder von Catlin publizieren:

Il y a au Salon deux curiosités assez importantes: ce sont les portraits de Petit Loup et de Graisse du dos de buffle, peints par M. Catlin, le cornac des sauvages. Quand M. Catlin vint à Paris, avec ses Ioways et son musée, le bruit se répandit que c’était un brave homme qui ne savait ni peindre ni dessiner, et que s’il avait fait quelques ébauches passables, c’était grâce à son courage et à sa patience. Etait-ce ruse innocente de M. Catlin ou bêtise des journalistes ? – Il est aujourd’hui avéré que M. Catlin sait fort bien peindre et fort bien dessiner. Ces deux portraits suffiraient pour me le prouver, si ma mémoire ne me rappelait beaucoup d’autres morceaux également beaux. Ses ciels surtout m’avaient frappé à cause de leur transparence et de leur légèreté.

M. Catlin a supérieurement rendu le caractère fier et libre, et l’expression noble de ces braves gens; la construction de leur tête est parfaitement bien comprise. Par leurs belles attitudes et l’aisance de leurs mouvements, ces sauvages font comprendre la sculpture antique. Quant à la couleur, elle a quelque chose de mystérieux qui me plaît plus que je ne saurais dire. Le rouge, la couleur du sang, la couleur de la vie, abondait tellement dans ce sombre musée, que c’était une ivresse; quant aux paysages, – montagnes boisées, savanes immenses, rivières désertes, – ils étaient monotonement, éternellement verts; le rouge, cette couleur si obscure, si épaisse, plus difficile à pénétrer que les yeux d’un serpent, – le vert, cette couleur calme et gaie et souriante de la nature, je les retrouve chantant leur antithèse mélodique jusque sur le visage de ces deux héros. – Ce qu’il y a de certain, c’est que tous leurs tatouages et coloriages étaient fait selon les gammes naturelles et harmoniques. Je crois que ce qui a induit en erreur le public et les journalistes à l’endroit de M. Catlin, c’est qu’il ne fait pas de peinture crâne, à laquelle tous nos jeunes gens les ont si bien accoutumés, que c’est maintenant la peinture classique.

Das 18. Jahrhundert hatte Europa den Edlen Wilden beschert. Und gleichzeitig den Gedanken - wahrscheinlich infiziert vom grassierenden ➱Ossianismus - dass diese edlen Wilden Nordamerikas alle dem Untergang geweiht seien. Von ➱Joseph Wright of Derbys Bild The Widow of an Indian Chief watching the Arms of her Deceased Husband über Schillers ➱Nadowessische Totenklage bis zu James Fenimore Coopers The Last of the Mohicans ist es nur ein kurzer Weg.

Und nun kommt Catlin daher und zeigt uns, dass die Indianer noch quicklebendig sind (und hier sogar Lacrosse spielen). Und hat noch eine Anklage und ein kulturelles Konzept parat: I have, for many years past, contemplated the noble races of red men who are now spread over these trackless forests and boundless prairies, melting away at the approach of civilization. Their rights invaded, their morals corrupted, their lands wrested from them, their customs changed, and therefore lost to the world; and they at last sunk into the earth, and the ploughshare turning the sod over their graves, and I have flown to their rescue — not of their lives or of their race (for they are “doomed” and must perish), but to the rescue of their looks and their modes, at which the acquisitive world may hurl their poison and every besom of destruction, and trample them down and crush them to death; yet, phoenix-like, they may rise from the “stain on a painter's palette,” and live again upon canvass, and stand forth for centuries yet to come, the living monuments of a noble race. For this purpose, I have designed to visit every tribe of Indians on the Continent, if my life should be spared; for the purpose of procuring portraits of distinguished Indians, of both sexes in each tribe, painted in their native costume; accompanied with pictures of their villages, domestic habits, games, mysteries, religious ceremonies, with anecdotes, traditions, and history of their respective nations. Das ist ein großes Programm, niemand zuvor hat das unternommen.

Im Jahre 1830 haben die USA den Indian Removal Act beschlossen, spätestens jetzt sind die Indianer doomed. Sie können versuchen zu kämpfen wie Black Hawk. Sie können wie Keokuk (den Catlin zweimal ➱malt) versuchen, mit der Regierung in Washington zu verhandeln. Catlin kommentiert das mit diesem bösen Bild, das Savage and Tragically Civil heißt. Was wird ihnen geboten? Nichts als Show: At Philadelphia, the delegations were taken to Cooke's splendid circus, and witnessed the equestrian exercises, which were probably more to their taste than any exhibition with which they were gratified during their tour. At New York they visited Mr. Catlin's extensive gallery of Indian portraits, and are said to have borne testimony to the fidelity of the likenesses of their acquaintances in that valuable collection. 

Ich hätte aus dem musée imaginaire unserer Indianerbilder noch ein anderes Bild anzubieten, das ebenso traurig ist wie Catlins Savage and Tragically Civil. Es zeigt den Indianerhäuptling Geronimo (mit schwarzem Zylinder) am Lenkrad eines Automobils im Jahre 1905. Die Fachleute sind sich nicht ganz einig, ob es ein Cadillac oder ein Locomobile ist. Man tendiert zu letzterem. Dieter Bohlen nicht, der hatte mal einen Song Geronimos Cadillac. Was ein weiterer Tiefpunkt der Rezeption von Amerikas Ureinwohnern ist.

Eins der ersten Bilder (1735) eines Indianers, das in Nordamerika gemalt wurde, stammt von dem eingewanderten Schweden Gustavus Hesselius. Es zeigt den Indianerhäuptling Lapowinsa, einen der vielen, der von den Weißen um sein ➱Land betrogen wurde. Der Häuptling strahlt Würde und Ernsthaftigkeit (und eine gewisse Melancholie) aus, er passt in das europäische Konzept des noble savage, wie wir ihm in Johann Gottfried Seumes ➱Gedicht Der Wilde begegnen.

Er unterscheidet sich stark von dem Indianer auf dem Bild The Death Struggle von Charles Deas (1845). In einem Jahrhundert hat sich offensichtlich in Amerika viel getan. Aus Hesselius' Aristokraten der Wälder ist der heimtückische Wilde mit verzerrtem Gesicht und Messer in der Hand geworden. Deas - und unser Deutscher ➱Charles Wimar, der eine Vielzahl von hinterlistigen Indianern auf seinen Bildern präsentiert - ist nicht der erste, der Indianer so darstellt. Schon James Fenimore Cooper präsentierte uns den Indianer in zwei verschiedenen Formen, da sind die edlen Delawaren Chingachgook und Uncas. Und auf der anderen Seite die bösartigen Huronen, Magua und seine bloody-minded hellhounds. Nach dem Indian Removal Act von 1830 häufen sich die Darstellungen des Indianers als savage. Kunst und Literatur werden jetzt zu Erfüllungsgehilfen der Manifest Destiny. Denn für das gottgewollte Winning of the West stört der Indianer nur. Am verständlichsten für seine Landsleute fasst das Amerikas berühmtester Journalist ➱Horace Greeley zusammen:

I have learned to appreciate better than hitherto, and to make more allowance for, the dislike, aversion, contempt wherewith Indians are usually regarded by their white neighbors, and have been since the days of the Puritans. It needs but little familiarity with the actual, palpable aborigines to convince anyone that the poetic Indian--the Indian of Cooper and Longfellow--is only visible to the poet's eye. To the prosaic observer, the average Indian of the woods and prairies is a being who does little credit to human nature--a slave of appetite and sloth, never emancipated from the tyranny of one animal passion save by the more ravenous demands of another. As I passed over those magnificent bottoms of the Kansas which form the reservations of the Delaware, Potawatomies, etc., constituting the very best cornlands on earth, and saw their owners sitting around the doors of their lodges at the height of the planting season and in as good, bright planting weather as sun and soil ever made, I could not help saying, "These people must die out--there is no help for them. God has given this earth to those who will subdue and cultivate it, and it is vain to struggle against His righteous decree. Dickens hatte die euphemistische Wendung von a something highly desirable to be civilised off the face of the earth verwendet, aber so klingt es auch sehr schön.

Diesem Zitat mit dem zynischen These people must die out, sei ein Zitat von George Catlin entgegen gestellt: In traversing the immense regions of the classic West, the mind of a philanthropist is filled to the brim with feelings of admiration; but to reach this country, one is obliged to descend from the light and glow of civilized atmosphere, through the different grades of civilization, which gradually sink to the most deplorable condition along the extreme frontier; thence through the most pitiable misery and wretchedness of savage degradation; where the genius of natural liberty and independence have been blasted and destroyed by the contaminating vices and dissipations introduced by the immoral part of civilized society. Through this dark and sunken vale of wretchedness one hurries, as through a pestilence, until he gradually rises again into the proud and chivalrous pale of savage society, in its state of original nature, beyond the reach of civilized contamination; here he finds much to fix his enthusiasm upon, and much to admire.

John Vanderlyn hatte mit seinem Bild ➱The Death of Jane McCrea (1804) ein Zeichen gesetzt. Es war das erste Bild eines Amerikaners, das im Pariser Salon akzeptiert wurde. Vanderlyn, der in Paris studiert hatte, hat offensichtlich genug an neoklassizistischen Posen von Jacques-Louis David gelernt. Doch das Bild bleibt nicht in Paris, wo es gemalt wurde: Vanderlyn hoped that its exhibition in this country would bring about an elevation of taste – a new world appreciation of the old world heritage of art. Aber es wird den Geschmack der Amerikaner nicht verbessern, wie Samuel Y. Edgerton 1965 in The Art Bulletin schreibt: From the position of academic acceptability for tableau d’histoire to which Vanderlyn had elevated it, the subject fell to the limbo of broadsides and book-plates, pandering to the egregious nineteenth century penchant for sentiment. In this propagandistic painting, the American Indian symbolizes the brutality of the colonists’ enemy, England. Ich musste mal eben dieses Angebot fürs Wohnzimmer von fineart-china hier abbilden. Glauben die wirklich, dass sich irgendjemand dieses Bild ins Wohnzimmer hängen will?

Vanderlyns Bild rührt an eine Urangst der Amerikaner, die durch Bilder wie das von Vanderlyn und Texte wie von Horace Greeley geschürt, zu einer nationale Paranoia wird. Skalpierende und mordende Indianer werden die im 19. Jahrhundert immer zahlreicher werdenden Druckerzeugnisse verzieren, und Hollywood wird von seinen Anfängen an die Verteufelung des Indianers betreiben. Wahrscheinlich ist Broken Arrow 1950 der erste Film mit einer positiven Darstellung der Indianer. ➱Buffy Sainte-Marie wusste was sie tat, als sie Meaning them that you've chased across America's movie screens sang.

In Herman Melvilles selten gelesenen Roman The Confidence Man finden wir dagegen eine interessante Diskussion, die mit diesem Absatz anfängt: Never heard of such a thing. Hate Indians? Why should he or anybody else hate Indians? I admire Indians. Indians I have always heard to be one of the finest of the primitive races, possessed of many heroic virtues. Some noble women, too. When I think of Pocahontas, I am ready to love Indians. Then there's Massasoit, and Philip of Mount Hope, and Tecumseh, and Red-Jacket, and Logan—all heroes; and there's the Five Nations, and Araucanians—federations and communities of heroes. God bless me; hate Indians? Darauf folgt das ➱Kapitel 26, das den schönen ironischen Titel hat: Containing the metaphysics of Indian-hating, according to the views of one evidently not so prepossessed as Rousseau in favor of savages, in dem eine Romanfigur gleichnishaft die Geschichte des Indian hater Colonel Moredock erzählt. Vielleicht hätte Horace Greeley mal Herman Melville lesen sollen. Das Bild oben ist nicht von Catlin, das ist von Amos Bad Heart Bull und zeigt die Schlacht von Little Big Horn. Ich musste das mal eben hierhin stellen. Custer died for yiour sins.

In dem Cooperstown seiner Jugend waren die Indianer so gut wie verschwunden, im dem Wilkes-Barre von Catlins Jugend gab es sie auch nicht mehr. Einen hat er allerdings als gesehen, das beschreibt er in ➱Life Amongst the Indians: A Book for YouthWho will ever imagine the thoughts that were passing through my youthful brain in these exciting moments? For here was before me, for the first time in my life, the living figure of a Red Indian! If he sees me I'm lost; he will scalp me and devour me, and my dear mother will never know what became of me! Es wird ihm nichts geschehen. Es wird ihm auch in all den langen Jahren, die er sich unter Indianern aufhält, nie etwas geschehen. George Catlin wurde am 26. Juli 1796 in Wilkes-Barre geboren, zwei Jahrzehnte zuvor war hier noch die ➱frontier. Seine Mutter war als Kind nach der Battle of Wyoming im Jahre 1778 für kurze Zeit in der Gefangenschaft der Irokesen. Ihr ist aber auch nichts geschehen. Aber der kleine George ist mit dieser hundertfach erzählten Geschichte aufgewachsen. Das Bild oben ist nicht von Catlin, es ist von Charles Willson Peale. Es zeigt den berühmten Joseph Brant, den auch ➱George Romney und ➱Gilbert Stuart gemalt haben.

Es kann sein, dass Catlin Zeichenunterricht von ➱Charles Willson Peale bekommen hat. Aber es ist sicher, dass er das berühmte Museum von Peale gekannt hat. Vielleicht ist ihm da zum ersten Mal der Plan in den Sinn gekommen, so etwas Ähnliches auch zu machen. Vielleicht sah er sich in der gleichen Pose, mit der hier Charles Willson Peale den Vorhang zu seiner Galerie hebt. Vielleicht ist Peales Bild The Artist in his Museum die Keimzelle für Catlins Idee von seiner Indian Gallery.

Catlins erstes Bild eines Indianers (dem Häuptling ➱Red Jacket) ist aus dem Jahre 1826. Er ist nicht der erste, der in den 1820er Jahren Indianer malt. Der Portraitmaler Charles Bird King (hier ein Bild von ihm) malt in seinem Studio in Washington ständig Indianer. Er braucht sich dafür nicht besonders zu bemühen, Thomas Loraine McKenney, der Superintendent of Indian Trade und spätere Superintendent of Indian Affairs, vermittelt ihm die Aufträge. Alle Indianer, die in Washington mit ihm verhandeln, schickt er erst einmal zu King ins Studio. Der an ihnen sehr gut verdient.

Aufträge vom United States Indian Department bekommt auch ➱James Otto Lewis, der in den 1820er Jahren eine Vielzahl von Vertragsfeierlichkeiten malt, allerdings nicht im Studio wie Charles Bird King, sondern an Orten, die Prairie du Chien, Mississinewa, Fort Wayne und Butte des Morts heißen. 1835 veröffentlicht er The Aboriginal Portfolio, künstlerisch eher krude, aber als Dokument hochinteressant. Es wird schnell vom Markt verdrängt werden, wenn die ersten Bilder von Catlin erscheinen. Die Originale im Besitz des Smithsonian Museum sind leider in dem ➱Feuer von 1865 verbrannt.

George Catlin hat keine Regierungsaufträge, er hält sich mühselig mit Portrait- und Miniaturmalerei über Wasser. Hier ein Selbstportrait - sieht ein wenig nach Lord Byron aus - das sicherlich viel besser ist als das, was er sonst zustande bringt. Wo hat er diesen Himmel her? Thomas Sully? Bei dem soll der junge Rechtsanwalt, der jetzt unbedingt Maler werden will, ja gelernt haben. Es gibt eine ganz einfache Lösung für diese Frage. Die allerdings sehr spät gefunden wurde. Das Bild ist gar nicht von Catlin, es ist von seinem Freund John Neagle (der auch zwei Jahre von Catlin den ➱Chief Red Jacket gemalt hatte) gemalt worden.

Was sicher von Catlin aus dieser Zeit ist, ist das Bild dieser Dame. Mit solcher Kunst kann man in der Gesellschaft natürlich nicht viel werden. Da ist er dankbar, dass er eines Tages das Thema Indianer entdeckt: I there [in Philadelphia] closely applied my hand to the labours of the art for several years; during which time my mind was continually reaching for some branch or enterprise of the art, on which to devote a whole life-time of enthusiasm; when a delegation of some ten or fifteen noble and dignified-looking Indians, from the wilds of the “Far West,” suddenly arrived in the city, arrayed and equipped in all their classic beauty,—with shield and helmet,—with tunic and manteau,—tinted and tasseled off, exactly for the painter's palette!
     In silent and stoic dignity, these lords of the forest strutted about the city for a few days, wrapped in their pictured robes, with their brows plumed with the quills of the war-eagle, attracting the gaze and admiration of all who beheld them. After this they took their leave for Washington City, and I was left to reflect and regret, which I did long and deeply, until I came to the following deductions and conclusions.
     Black and blue cloth and civilization are destined, not only to veil, but to obliterate the grace and beauty of Nature. Man, in the simplicity and loftiness of his nature, unrestrained and unfettered by the disguises of art, is surely the most beautiful model for the painter, —and the country from which he hails is unquestionably the best study or school of the arts in the world: such I am sure, from the models I have seen, is the wilderness of North America. And the history and customs of such a people, preserved by pictorial illustrations, are themes worthy the lifetime of one man, and nothing short of the loss of my life, shall prevent me from visiting their country, and becoming their historian. 


Ich muss an dieser Stelle den schärfsten Kritiker zitieren, den der junge Catlin hat: das Multitalent (Kunsthistoriker, Maler, Schriftsteller, Theatermacher) William Dunlap. Der in der ersten Geschichte der amerikanischen Kunst ➱A history of the rise and progress of the arts of design in the United States das vernichtende Urteil abgab: George Catlin, Esq., is a native, as I am told, of one of the Eastern States, and was educated for the bar. What induced him to prefer painting I do not know: he probably, with Ranger, thought that law was "a damned dry study." I first became acquainted with him at Albany, when as a miniature painter he had gained the good will of De Witt Clinton, and was making an attempt in small oil painting of the governor. 

This was certainly very poor but it led to greater things, for when the corporation of New York City wanted to have a full- length picture of Clinton, as governor, he chose Catlin as the painter. His motive was undoubtedly praiseworthy, as it must have been to aid the young artist, but he was wrong: the city of New York was entitled to a portrait from a man of established reputation, if not from the best painter in the State, and Catlin was utterly incompetent. He has the distinguished notoriety of having produced the worst full-length which the city of New York possesses. Mr. Catlin is since better known as a traveller among the western Indians, and by letters published in the Commercial Advertiser. He has had an opportunity of studying the sons of the forest, and I doubt not that he has improved both as a colorist and a draughtsman. He has no competitor among the Black Hawks and the White Eagles, and nothing to ruffle his mind in the shape of criticism. Wenn Künstler über Künstler reden - das ist immer wieder schön. Ich erspare uns das Bild von Gouverneur ➱Clinton (William Dunlops Bild von ➱George Washington ist nicht viel besser) und zeige stattdessen zwei charmante Damen, Catlins Schwester Mary (oben) und seine Gattin Clara (unten).

Dem Herrn auf diesem Porträt ist Catlin dankbar, denn der hat ihn 1830 auf eine diplomatische Mission in das Indianergebiet mitgenommen. Es ist der General William Clark (der von der ➱Lewis und Clark Expedition), von dem lernt Catlin jetzt viel über die Indianer. Im deutschen Wikipedia Artikel von Catlin steht der Satz: Er war Wegbegleiter des amerikanischen Pioniers George Rogers Clark. Aber hallo, Leute. Der Bruder von William Clark, so verdienstvoll er in Bezug auf die Indianer ist, ist schon seit 1818 tot, da hatte Catlin mit Indianern noch nichts im Sinn. Der studiert da gerade Jura an der Litchfield Law School.

Im gleichen Jahr, in dem Catlin seine Indian Gallery eröffnet, schreibt der New Yorker Weekly Herald im Jahre: They are rapidly sinking into the stream of oblivion, and soon nothing of them will remain but the memory of their past existence and glory. Where are now the descendants of Powhattan, the father of Pocahontas, or Tamenend and of Pontiac? Alas! They are blotted from the face of the earth, or swallowed up in the remnants of other tribes. Das ist zwar historisch nicht ganz richtig, aber wenn man es lange genug wiederholt, glaubt man eines Tages daran.

An all dem hat Catlin (der hier den Häuptling Mah-to-toh-pa portraitiert) keinen Anteil. Er träumt davon, dass die Indianer phoenix-like, they may rise from the “stain on a painter's palette,” and live again upon canvass, and stand forth for centuries yet to come, the living monuments of a noble race. Seine Indianerbilder sind keine Propagandabilder für den Rassenhass. Selbst wenn seine Indianer wie Kee-món-saw die Kleider des weißen Mannes anlegen, bewahren sie sich doch ihre eigene Würde. Der Maler hält - wie eine Kamera - den Augenblick, bewahrt ihn für alle Zeit. Catlin verewigt amerikanische Indianer, John James Audubon verewigt die birds of America. Beides sind eine bedrohte Spezies. Schon in James Fenimore Coopers Roman The Pioneers hat man bei dem ➱Kapitel The Slaughter of the Pigeons als Leser dieses schlimme Gefühl, dass es hier eigentlich gar nicht um die Vernichtung der ectopistes migratorius geht, sondern dass das nur ein Symbol für das Schicksal der Indianer ist. Der amerikanische Dichter Ted Kooser hat den Gedanken in seinem Gedicht Fort Robinson noch einmal aufgegriffen:

When I visited Fort Robinson,
where Dull Knife and his Northern Cheyenne
were held captive that terrible winter,
the grounds crew was killing magpies.

Two men were going from tree to tree
with sticks and ladders, poking the young birds
down from their nests and beating them to death
as they hopped about in the grass.

Under each tree where the men had worked
were twisted clots of matted feathers,
and above each tree a magpie circled,
crazily calling in all her voices.

We didn’t get out of the car.
My little boy hid in the back and cried
as we drove away, into those ragged buttes
the Cheyenne climbed that winter, fleeing.


Mittwoch, 24. Juli 2013

Klimbim


Es muss mal eben ganz kurz an ein kulturelles Ereignis erinnert werden, das heute vor vierzig Jahren zum ersten Mal über Deutschlands Fernsehschirme irrlichterte. Nämlich eine Fernsehsendung namens Klimbim. Der Herr, der hier die wunderbar komische ➱Ingrid Steeger im Arm hält, ist übrigens Curd Jürgens. Es traten viele Prominente für einen kurzen Augenblick auf. Sogar Jerry Lewis war in einer der ersten Sendungen zu sehen.

Ein Höhepunkt war sicher auch der Auftritt eines bekannten Fußballers, den sein Freund Michael Pfleghaar (der den ganzen Klimbim auf dem Gewissen hatte) unter einem Vorwand ins Studio gelockt hatte. Der trat dann als Heino auf. Schauen Sie doch ➱hier einmal hinein, kommt ganz am Anfang (das berühmte letzte Tor für Borussia Mönchengladbach gibt es noch als Zugabe).

Sketche, Klamauk, running gags und Blödeleien, manches Übel flüchtet vor der Heiterkeit. Gut, es war nicht Monty Python, aber stellenweise grenzte es schon ans absurde Theater. Für deutsches Fernsehen war es schon komisch. Und wesentlich witziger als Cindy aus Marzahn. Aber wie es mit der Komik so ist, sie währt nicht ewig, nach sechs Jahren war Schluss mit dem Klimbim. Die ARD feiert heute den fünfundsiebzigsten Geburtstag von Götz George. Da ist kein Platz im Programm (auch beim WDR oder N3 nicht) für eine Wiederholung der ersten Sendung von Klimbim. Dabei hätten wir den Titelsong doch alle noch mitsingen können:

Klimbim ist unser Leben
Klimbim hat montags zu
Klimbim schmeckt nach Vanille
Und spielt gern Blinde Kuh
Klimbim ist unser Leben
Und ist es mal nicht wahr
Dann mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid
und find es wunderbar!


Aber was die ARD nicht kann, das können wir natürlich ➱hier bieten.

Dienstag, 23. Juli 2013

Raymond Thornton Chandler


The blue carpet darkened 
a shade or two 
and the walls drew back 
into remoteness. 
The chairs filled 
with shadowy loungers. 
In the corners were memories 
like cobwebs.

Das klingt doch sehr poetisch. Es ist aber kein Gedicht (obgleich manches in der modernen Lyrik nicht besser ist). Ich habe ein wenig geschummelt. Diese 'Verse' stehen in den Anfangssätzen von I'll Be Waiting, einer Kurzgeschichte von Raymond Chandler (der heute vor 125 Jahren geboren wurde) aus dem Jahre 1939. Sie erschien nicht in den Magazinen Black Mask oder Dime Detective, für die er normalerweise schrieb. Raymond Chandler, dessen Roman The Big Sleep im Februar des Jahres erschienen war, ist jetzt literarisch aufgestiegen.

Jetzt schreibt er für ein slick magazine. Eigentlich hasst er ja die slicks, dies wird auch das einzige Mal bleiben, dass er nicht für die pulps schreibt, aber die Saturday Evening Post zahlt ihm für die Geschichte beinahe das Doppelte des Black Mask Honorars. Die Saturday Evening Post druckt Chandler (illustriert von Hy Rubin) am 14. Oktober. Auf der Titelseite wird er allerdings nicht erwähnt, da findet nur der Leitartikel von Demaree Bess Stalin over Europe Erwähnung. Demaree Bess kennt sich bei dem Thema aus, er ist lange in Moskau gewesen. 

Die Assoziation mit Stalin und dem drohenden Krieg zerstört natürlich die poetische Atmosphäre der gedichtähnlichen Zeilen. Chandler weiß übrigens durchaus, was in der Welt geschieht (auch wenn der Krieg kaum in seine Romane eindringt): The effort to keep my mind off the war has reduced me to the mental age of seven, schreibt er an seine Verlegerin Blanche Knopf. Der Sergeant der Royal Canadian Highlanders im Ersten Weltkrieg versucht sogar aus alter Liebe zu England, sich für die Offiziersausbildung in der kanadischen Armee zu bewerben, ist aber nicht unglücklich, als sein Antrag aus Altersgründen abgelehnt wird.

Die Verbindung zu dem Land, in dem er aufwuchs, hat Chandler nie abreißen lassen. So schreibt er 1945 seinem englischen Verleger Jamie Hamilton (der auch ein halber Amerikaner ist): incidentally, I still regard myself as an exile, and want to come back. Und vielleicht ist es bezeichnend, dass Chandler 1932 (das Jahr, in dem seine Karriere als Autor von detective stories beginnt) in einem Gedicht schreibt:

There are no countries as beautiful 
As the England I picture in the night hours
Of this bright and dismal land
Of my exile and dismay.
There are no women as tender as this woman
Whose cornflower-blue eyes look at me
With the magic of frustration
And the promise of an impossible paradise.


Er ist in einer Schreibkrise. Im Frühjahr hatte er einen Roman angefangen, der zuerst The Girl from Florian's hieß, und aus dem dann in langer Arbeit Farewell, My Lovely wird. Immer, wenn er nicht weiterkommt, fängt er mit einer Kurzgeschichte an. Die, die er jetzt als Lückenfüller beginnt, heißt Tony Gets Out. Dann beginnt er mit der Erzählung The Bronze Door, schreibt aber zwischenzeitlich an Farewell, My Lovely weiter. Und ändert den Titel von Tony Gets Out in I'll Be Waiting (hier im Volltext). 

Für diese Erzählung plündert er erst einmal eine andere Erzählung, The King in Yellow aus dem Jahre 1938. Er macht das häufig, cannibalizing nennt er selbstironisch diesen Vorgang. Werfen Sie doch einmal einen Blick auf diesen Absatz: In the main lobby, down three shallow steps, lamps were dimmed and the night porter had finished tidying up. The place was deserted - a wide space of dim furniture, rich carpet. Faintly in the distance a radio sounded. Millar went down the steps and walked quickly towards the sound, turned through an archway and looked at a man stretched out on a pale green davenport and what looked like all the loose cushions in the hotel. He lay on his side dreamy-eyed and listened to the radio two yards away from him. Das ist aus The King in Yellow. Und nun der Anfang von I'll Be Waiting:

     At one o'clock in the morning, Carl, the night porter, turned down the last of three table lamps in the main lobby of the Windermere Hotel. The blue carpet darkened a shade or two and the walls drew back into remoteness. The chairs filled with shadowy loungers. In the corners were memories like cobwebs.
     Tony Reseck yawned. He put his head on one side and listened to the frail, twittery music from the radio room beyond a dim arch at the far side of the lobby. He frowned. That should be his radio room after one A.M. Nobody should be in it. That red-haired girl was spoiling his nights.
     The frown passed and a miniature of a smile quirked at the corners of his lips. He sat relaxed, a short, pale, paunchy, middle-aged man with long, delicate fingers clasped on the elk's tooth on his watch chain; the long delicate fingers of a sleight-of-hand artist, fingers with shiny, molded nails and tapering first joints, fingers a little spatulate at the ends. Handsome fingers. Tony Reseck rubbed them gently together and there was peace in his quiet sea-gray eyes.
     The frown came back on his face. The music annoyed him. He got up with a curious litheness, all in one piece, without moving his clasped hands from the watch chain. At one moment he was leaning back relaxed, and the next he was standing balanced on his feet, perfectly still, so that the movement of rising seemed to be a thing perfectly perceived, an error of vision.
     He walked with small, polished shoes delicately across the blue carpet and under the arch. The music was louder. It contained the hot, acid blare, the frenetic, jittering runs of a jam session. It was too loud. The red-haired girl sat there and stared silently at the fretted part of the big radio cabinet as though she could see the band with its fixed professional grin and the sweat running down its back. She was curled up with her feet under her on a davenport which seemed to contain most of the cushions in the room. She was tucked among them carefully, like a corsage in the florist's tissue paper.


Es gibt unbestreitbar Ähnlichkeiten. Aber es ist trotzdem ein perfekter Anfang, sozusagen Chandler at his best. Es ist der Stil, der Chandlers Werk ausmacht. Für Billy Wilder bedeutete die Lektüre von Chandler, dass a kind of lightning struck on every page. Chandler mit seiner englischen Public School Erziehung, der das gesprochene amerikanische Englisch - das H.L. Mencken in seinem Klassiker The American Language beschrieb - erst einmal lernen musste, wird zu einem Meister dieser Sprache. If I hadn’t grown up on Latin and Greek, I doubt if I would know so well how to draw the very subtle line between what I call a vernacular style and what I should call an illiterate or faux naif style. There’s a hell of a lot of difference, to my mind, schreibt er an seinen englischen Verleger. Und er glaubt: The best writing in English today is done by Americans, but not in any purist tradition. They have roughed the language around as Shakespeare did and done it the violence of melodrama and the press box. They have knocked over tombs and sneered at the dead. Which is as it should be. There are too many dead men and there is too much talk about them.

Chandlers Adaption des vernacular style ist zwar nicht ganz vergleichbar mit der Art und Weise, mit der sich Joseph Conrad oder Nabokov ihre Beherrschung einer Fremdsprache aneigneten, ist aber ein ähnliches Phänomen. Chandler ist sicher kaum zu übersetzen, aber der Diogenes Verlag hatte 1976 für die Gesammelten Detektivstories (und die Briefe) immerhin Hans Wollschläger gewonnen. Was ein Fehler war, fanden die Rezensenten. Das Englisch der tough guy writers kommt nicht aus Boston oder Princeton, es kommt von der Straße. James Mallahan Cain war Journalist, Hammett Privatdetektiv bei Pinkerton, Horace McCoy Sportjournalist. John O'Hara schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Eins haben sie alle gemein, den amerikanischen SlangI've found that there are only two kinds that are any good: slang that has established itself in the language, and slang that you make up yourself. Everything else is apt to be passé before it gets into print, hat Chandler gesagt. Er hat erheblich zur Bereicherung der Slang Lexika des 20. Jahrhunderts beigetragen.

At one o'clock in the morning, Carl, the night porter, turned down the last of three table lamps in the main lobby of the Windermere Hotel. The blue carpet darkened a shade or two and the walls drew back into remoteness. Eine Stimmung, die geradezu nach einem Bild von Edward Hopper schreit. Ein Uhr nachts, einsame rothaarige Frauen curled up with her feet under her on a davenport. Und dann dieser Satz She was tucked among them carefully, like a corsage in the florist's tissue paper. Chandler läßt nichts aus. Es ist vielleicht stilistisch schon ein bisschen zu viel des Guten. Und es wird noch mehr.

She didn't turn her head. She leaned there, one hand in a small fist on her peach-colored knee. She was wearing lounging pajamas of heavy ribbed silk embroidered with black lotus buds.
     "You like Goodman, Miss Cressy?" Tony Reseck asked.
     The girl moved her eyes slowly. The light in there was dim, but the violet of her eyes almost hurt. They were large, deep eyes without a trace of thought in them. Her face was classical and without expression.
     She said nothing.
     Tony smiled and moved his fingers at his sides, one by one, feeling them move. "You like Goodman, Miss Cressy?" he repeated gently.
     "Not to cry over," the girl said tonelessly.
     Tony rocked back on his heels and looked at her eyes. Large, deep, empty eyes. Or were they? He reached down and muted the radio.
     "Don't get me wrong," the girl said. "Goodman makes money, and a lad that makes legitimate money these days is a lad you have to respect. But this jitterbug music gives me the backdrop of a beer flat. I like something with roses in it."
     "Maybe you like Mozart," Tony said.
     "Go on, kid me," the girl said.
     "I wasn't kidding you, Miss Cressy. I think Mozart was the greatest man that ever lived-and Toscanini is his prophet."
"I thought you were the house dick." She put her head back on a pillow and stared at him through her lashes. "Make me some of that Mozart," she added.
     "It's too late," Tony sighed. "You can't get it now."


Da sind diese Augen, die uns nicht loslassen - the violet of her eyes almost hurt. They were large, deep eyes without a trace of thought in them. Die violet eyes machen mir ein wenig Sorge. Chandler verwendet sie nur noch ein zweites Mal (in Farewell. My Lovely): He had the eyes you never see, that you only read about. Violet eyes. Almost purple. Eyes like a girl, a lovely girl. Eigentlich sind die violet eyes ein Relikt aus der Gothic Novel, der Gothic villain hat manchmal diese Augenfarbe.

Daher nimmt sie Herman Melville, um den bösartigen Bootsmann Claggart in seiner Erzählung Billy Budd noch teuflischer zu machen. Ich zitiere nur eine Stelle: With gray eyes impatient and distrustful essaying to fathom to the bottom Claggart's calm violet ones, Captain Vere again heard him out - die grauen Augen des Captain Vere sind ein Zeichen für einen guten Menschen, die violetten Augen von Claggart keinesfalls. Der Detektivroman übernimmt das (auch in der Trivialliteratur beliebte) Mittel der Charakterisierung seit seinen Anfangstagen: der Sergeant Cuff in Wilkie Collins' The Moonstone hat steely grey eyes, Sherlock Holmes hat hard grey eyes. Chandler nimmt dieses schon abgegriffene schmückende Beiwerk und integriert es strukturell durch ständige Wiederholung und Variation. So heißt es über Tony Reseck: there was peace in his quiet sea-green eyes, aber die Augen können sich auch gefährlich verändern: Tony smiled, but his eyes had taken on the lifeless glitter of thick eyes.

Ich weiß nicht, warum ich an dieser Stelle das berühmte principle of the iceberg von Ernest Hemingway denken muss, dieses write one-eighth and imply the rest, aber Chandler benutzt es natürlich (wie beinahe alle der sogenanten tough guy writers) ständig. Und so stehen ganze (Liebes-) Geschichten hinter Sätzen wie his sea-green eyes seemed to be smoothing the long waves of her hair, oder: "Sit there for a while, Tony. Maybe I could nap.""Sure. Not a thing for me to do. Don't know why they pay me." She slept quickly and with complete stillness, like a child. Tony hardly breathed for ten minutes. He just watched her, his mouth a little open. There was a quiet fascination in his limpid eyes, as if he was looking at an altar.

Welche Haarfarbe die femme fatale im roman noir auch hat, ob sie blond ist, schwarz- oder rothaarig, die Frau taugt nicht für das helle Tageslicht. Diese Frauen scheinen nur dazu da zu sein, um vom Autor sorgfältig in der Dunkelheit drapiert zu werden, like a corsage in the florist's tissue paper. Chandlers Beschreibungen von Frauen, seien sie good-bad girls oder femmes fatales, sind immer ein Genuss (auf jeden Fall für männliche Leser). Ob es das Äußerliche ist (She was wearing lounging pajamas of heavy ribbed silk embroidered with black lotus buds) oder ob es die Körpersprache ist.

Der roman noir beschreibt beharrlich behavioristisch Äußerlichkeiten (deshalb erscheint er auch 'filmisch'), die beinahe immer für innere Gefühle stehen. Das Äußere ist hier das Innere. Wenn Tony Reseck am Telephon die Nachricht vom Tod seines Bruders bekommt, heißt es: Tony held the phone very tight and his temples chilled with the evaporation of moisture. "Go on," he said. "I guess there's more." "A little. The guy stopped the big one. Cold. Al - Al said to tell you goodbye." Tony leaned hard against the desk. His mouth made a sound that was not speech. "Get it?" The metallic voice sounded impatient, a little bored. "This guy had him a rod. He used it. Al won't be phoning anybody any more."

In der Welt Chandlers (und Hammetts) sind die Frauen tough. Im wirklichen Leben auch, selbst wenn sie keine good-bad girls sind. Die Great Depression hat sie tough werden lassen. Und sie sind natürlich einsam. Wie diese Platzanweiserin im Kino. Da treffen sich Chandler und Hopper: In the middle decades of the 20th century, Raymond Chandler and Edward Hopper, contemporaries who never met, observed evidence of a new melancholia Americana in their young and supposedly optimistic country.
     The people in Chandler's fiction and Hopper's canvases seem aware of a vast emptiness seeping into their lonely bones, as though they lacked the strength of will or faith in others to alter the sad, broken order of things.
     Both artists used realist techniques to score these romantic points. Hopper painted up and down the East Coast, lighting hotel rooms and gas stations so that three-dimensional space itself seemed tense with yearning, danger, and ennui.
     Chandler found these qualities in the slums, mansions, beach shacks, motor courts, bars, and bungalow colonies of southern California. 
Hätte von mir sein können, ist aber von dem Kunstkritiker Richard B. Woodward und findet sich im Guardian.

Wenn Sie sich jetzt fragen, was Marg Helgenberger hier verloren hat, habe ich dafür natürlich eine Erklärung. Nicht nur die, dass ich gerne in diesem Blog schöne Schauspielerinnen abbilde. Marg Helgenberger wäre sicherlich für die Rolle der Eve Cressy perfekt. Sie ist rothaarig, sie ist tough, und Her face was classical würde auch auf sie zutreffen. Wie das mit den violet eyes ist, weiß ich nicht so genau. Ob Sie es glauben oder nicht. Marg Helgenberger hat Eve Cressy (ein Name, der ein wenig an Chandlers Frau Cissy erinnert) gespielt. In einer neo-noir Serie (die weit von den akzeptablen neo-noir Filmen von John Dahl entfernt ist), die Fallen Angels (hier in Europa Perfect Crimes) hieß. Regie führte für diesen Teil der Serie Tom Hanks (es hätte schlimmer kommen können, für eine Folge führte Tom Cruise Regie). Wir vergessen das Ganze jetzt mal wieder. Sie können sich hier die Folge anschauen, den Service gibt nur bei mir.

Die Geschichte ist kurz, es ist die kürzeste Erzählung von Chandler. In meiner Erstausgabe von Red Wind (die leider nichts wert ist, ich hätte lieber eine Erstausgabe von The Simple Art of Murder) ist sie gerade mal achtzehn kleine Seiten lang. Chandler hat die Geschichte zuerst nicht gemocht: I didn’t think much of the story when I wrote it—I felt it was artificial, untrue and emotionally dishonest like all slick fiction. Und in einem anderen Brief schreibt er:  It was too studied, too careful. I just don't take to that sort of writing. The story was all right, but I could have written it much better in my own way, without trying to be smooth and polished, because that is not my talent. I'm an improviser, and perhaps at times an innovator. Some slick writing is very good, on the surface, but it seems to lack something for me. . . . But perhaps I have a different idea about writing and shouldn’t be saying this.

Viel Atmosphäre, eine sparsame Handlung. Reines, sentimentales Melodrama: Zwei Brüder, der eine Hoteldetektiv, der andere Gangster. Eine ehemalige Nachtklubsängerin, ein Kleingangster, ihr Ex-Ehemann. Keine dargestellte Gewalt, das wollte die Saturday Evening Post (die auch gerne mehr von Chandler gedruckt hätte) so haben. Die Welt des Verbrechens und der Tod sind draußen auf der Straße. Nur für einen Augenblick gibt es in diesem Kammerspiel ein opening upThe street was dark, silent. The rumble of traffic on Wilshire, two blocks away, had no body, no meaning. To the left were two taxis. Their drivers leaned against a fender, side by side, smoking. Tony walked the other way. The big dark car was a third of a block from the hotel entrance. Its lights were dimmed and it was only when he was almost up to it that he heard the gentle sound of its engine turning over. A tall figure detached itself from the body of the car and strolled toward him, both hands in the pockets of the dark overcoat with the high collar. From the man's mouth a cigarette tip glowed faintly, a rusty pearl.

Wir sind drinnen im luxuriösen Windermere Hotel. Eine eigene Welt. Chandlers Welt. Es soll das Mayfair Hotel in Los Angeles gewesen sein, das als Vorbild diente. Chandler hat hier einmal gewohnt. Aber in seiner Beschreibung kann es jede Hotelhalle sein. Die ja nach Kracauers Essay Hotelhalle (in Der Detektiv-Roman: Ein philosophischer Traktat) eine moderne Form der Kirche ist. Aber wenn I'll Be Waitung auch eine triviale kleine Geschichte ist, Chandler macht etwas daraus. Er führt uns vor, dass sein Satz To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment nicht nur eine Phrase ist.

Also I must say that Chandler's great strength was a descriptive one. There are very few people who can get the flavor of California. It's very peculiar, you know, that the only person who caught the Californian atmosphere is prose was an Englishman – Chandler, hat Billy Wilder in einem Interview gesagt. Beschreibungen sind das Forte von Chandler, nicht nur die Beschreibungen von geheimnisvollen Frauen. Dass der Raum in der Literatur auch symbolisch Romanfiguren charakterisiert, ist in der Literaturwissenschaft ein alter Hut. Doch kaum ein Autor von detective fiction macht so viel daraus wie Raymond Chandler. Das ist von der Literaturwissenschaft nicht unbemerkt geblieben, 1979 hat Renate Giudice mit Darstellung und Funktion des Raumes im Romanwerk von Raymond Chandler eine Dissertation zu dem Thema vorgelegt.

Ob es das Windermere Hotel ist oder das pompöse Anwesen von General Sternwood in The Big Sleep, immer wieder finden sich bei Chandler diese wunderbaren Beschreibungen. An dieser Stelle aus The Big Sleep verschmilzt die Innenarchitektur des Depression Modern mit der Personenbeschreibung: This room was too big, the ceiling was too high, the doors were too tall, and the white carpet that went from wall to wall looked like a fresh fall of snow at Lake Arrowhead. There were full-length mirrors and crystal doodads all over the place. The ivory furniture had chromium on it, and the enormous ivory drapes lay tumbled on the white carpet a yard from the windows. The white made the ivory look dirty and the ivory made the white look bled out. The windows stared towards the darkening foothills. It was going to rain soon. There was pressure in the air already.
     I sat down on the edge of a deep soft chair and looked at Mrs. Regan. She was worth a stare. She was trouble. She was stretched out on a modernistic chaise-longue with her slippers off, so I stared at her legs in the sheerest silk stockings. They seemed to be arranged to stare at. They were visible to the knee and one of them well beyond. The knees were dimpled, not bony and sharp. The calves were beautiful, the ankles long and slim and with enough melodic line for a tone poem. She was tall and rangy and strong-looking. Her head was against an ivory satin cushion. Her hair was black and wiry and parted in the middle and she had the hot black eyes of the portrait in the hall. She had a good mouth and a good chin. There was a sulky droop to her lips and the lower lip was full.

Die Geschichte I'll Be Waiting hat ein offenes Ende, wir wissen nicht, was aus Johnny Ralls (dem Ex-Ehemann von Eve Cressy) wird. Was wird die rothaarige Schönheit ohne ihn machen? Am Ende schläft sie, bewacht von ihrem Beschützer Tony Reseck: Tony nodded at the clerk and smiled a minute frail smile. He put his handkerchief away and patted the pocket he had put it in. He turned and walked away from the desk, across the entrance lobby, down the three shallow steps, along the shadowy reaches of the main lobby, and so in through the arch to the radio room once more. He walked softly, like man moving in a room where somebody is very sick. He reached the chair he had sat in before and lowered himself into it inch by inch. The girl slept on, motionless, in that curled-up looseness achieved by some women and all cats. Her breath made no slightest sound against the vague murmur of the radio. Tony Reseck leaned back in the chair and clasped his hands on his elk's tooth and quietly closed his eyes. 

In der Erzählung Red Wind von 1938 - heute auch in dieser von Otto Penzler herausgegeben Anthologie enthalten - trägt der Held eine Armbanduhr: When I unlocked the glass entrance door of the Berglund I smelled policeman. I looked at my wrist watch. It was nearly 3 AM. In the dark corner of the lobby a man dozed in a chair with a newspaper over his face. Large feet stretched out before him. A corner of the paper lifted an inch, dropped again. The man made no other movement. Seit Mitte der dreißiger Jahre werden in Amerika mehr Armbanduhren als Taschenuhren verkauft. Die Armbanduhr ist ein Zeichen der Modernität, dieser Detektiv hat auch schon den Namen Philip Marlowe. Tony Reseck hat nichts von einem Philip Marlowe an sich, er ist eher ein wenig wie Raymond Chandler. Es ist sicherlich symbolisch, dass er eine Taschenuhr trägt. Der Elchzahn an der Kette der Taschenuhr (der mehrfach in der Erzählung erwähnt wird) ist ein Zeichen dafür, dass Tony Reseck dem Benevolent and Protective Order of Elks angehört, dessen Ziele charity, justice, brotherly love, and fidelity sind. Das entspricht auch den Idealen seines Helden, wie ihn Chandler in The Simple Art of Murder beschrieben hat - If there were enough like him, the world would be a very safe place to live in, without becoming too dull to be worth living in. Eine schöne Fiktion für das Los Angeles des Jahres 1939 und für das Amerika heute.












Ich habe mit einem Gedicht angefangen, ich will mit einer Gedichtstrophe aufhören:

The lost waves moan: I made their song. 
The lost lands dream: I wove their trance. 
The earth is old, and death is strong; 
Stronger am I, the true Romance.

Als die Westminster Gazette am 1. März 1912 das Gedicht The King von einem gewissen R. T. Chandler druckte, ahnte niemand, was aus diesem jungen Dichter noch werden würde.

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