Sonntag, 15. September 2024

Caspar David Friedrich (6)

Ich habe im Februar, als ich den Post Caspar David Friedrich (1) schrieb, gesagt, dass ich bis zu seinem Geburtstag im September noch einige andere Posts zu dem Maler schreiben würde. Was ich auch getan habe. Die meisten dieser Posts hatten sehr viele Leser, nur der über den Chasseur im Walde nicht. Dies Bild von Friedrich stand schon in meiner nie veröffentlichten Autobiographie, die ich schrieb, bevor ich das Internet entdeckte. Ich stelle mal einen Absatz davon hier ein, der sich in einem Kapitel über den deutschen Wald findet (mit viel Adalbert Stifter darin):

James Fenimore Cooper hat wunderbare Wälder in seinen Romanen, aber er ist ja auch in den großen Wäldern des Staates New York als Sohn eines Großgrundbesitzers aufgewachsen. Der Anfang von The Pioneers ist, waldmäßig betrachtet, sehr schön. Viele Schriftsteller können das nicht, die rollen nur ein Versatzstück auf die Bühne, auf dem wie bei Shakespeare ein Wald steht. Aber die schönsten Wälder sind bei Eichendorff, der kann Wälder. Ist es die Romantik, die uns die Sehnsucht nach dem Wald vermittelt? Oder ist es etwas tief Deutsches in uns, das sich nach dem Wald verzehrt?

Mein Nachbar Uli, der eine Doktorarbeit über die Auswirkungen des sauren Regens geschrieben hat, sieht Wälder anders als ich. Zwischen Altdorfers Heiligem Georg und Caspar David Friedrichs Chasseur im Walde liegen dreihundert Jahre. Und doch sind beide Bilder sehr ähnlich. Und sehr deutsch. Hinter dem großen Garten von Tante Margret gab es für mehr als einen Kilometer, bis zum Waldrand des Wiehengebirges hinauf, früher nur Wiesen und Felder. Heute hat sich die Bebauung bis an den Waldrand heran geknabbert. James Fenimore Cooper wird eine Gruppe von englischen Adligen den Hudson hinauf begleiten. Ein zukünftiger englischer Premierminister wird ihn bei Glen Falls auf dieses schöne romantische Motiv hinweisen. Das wäre doch etwas für einen Roman, Mr. Cooper? Mr. Cooper wird die Wasserfälle in The Last of the Mohicans hineinschreiben. Aber  die Begeisterung seiner Gefährten für das romantisch Pittoreske (die die Engländer ja überall hin mitnehmen) interessiert ihn kaum. Er registriert nur das Anwachsen der Fabriken am Hudson. Die zum Teil schon längst wieder aufgegeben sind und jetzt God’s Own Paradise verschandeln. Cooper wird der erste amerikanische Schriftsteller sein, dem die Probleme bewusst sind, die wir heute als die wichtigsten der Welt ansehen. The Pioneers ist reine Ökoliteratur. Es ist nicht Thoreau mit seinem Walden, es ist Cooper mit dem autobiographischen Roman über seine Kindheit in Cooperstown, der die Amerikaner warnt. Henry David Thoreau wäre sowieso ein schlechtes Vorbild. Der hat mal aus Unachtsamkeit einen ganzen Wald abgefackelt. Und dann nicht mal bei den Löscharbeiten geholfen.

Wir nehmen mal eben Abschied vom Wald, bleiben aber bei Caspar David Friedrich und dem Autobiographischen. Bei den staatlich geförderten Berlinreisen, bei denen man Ende der fünfziger Jahre für fünfzig Mark eine Woche der Schule entkam (ich habe die schon in dem Post Karl Lemke erwähnt), hatte ich ein kleines Ritual. Ich besuchte bei jeder Reise das Charlottenburger Schloss, um mir das Portrait von Harry Graf Kessler anzuschauen. Guckte mir danach natürlich auch jedesmal Caspar David Friedrichas Mönch am Meer an, das nicht so weit von Kessler entfernt einsam in einem großen Zimmer hing. Damit ich zu Hause ja sagen konnte, wenn die Eltern fragten: Hast Du den Caspar David Friedrich gesehen? Caspar David Friedrich kennt jeder. Wer kannte schon Harry Graf Kessler? Der Dandy Harry Graf Kessler ist eigentlich nicht einmal besonders gut gemalt, ist aber sehr plakativ. Und der Dandyismus interessierte mich damals mehr als die Einsamkeit eines Strandspaziergangs. Die kannte ich aus tausend einsamen Strandspaziergängen zu allen Tageszeiten, mit allen Wetterbedingungen, an Nord- und Ostsee. Von Egmond an Zee bis rauf nach Skagen. Ich hatte immer gute Jacken für die Strandwanderungen, mein Vater nannte sie beachcomber Jacken. Die Strandspaziergänge waren vielleicht ebenso ein Zeichen meiner Selbstinszenierung wie meine Begeisterung für den Dandyismus des Grafen Kessler. Die beiden Bilder hängen heute an anderen Stellen in Berlin. Es ist nach der Wende alles umgeschichtet worden.

 Caspar David entdeckte ab 1801 die Insel Rügen für sich, und er entdeckt damit auch die Landschaftsmalerei. Er wird viele Sepiabilder zeichnen. Ich habe hier den langen Aufsatz Caspar Davids frühe Sepien als Vorstufe zur romantischen Landschaft von Werner Busch für Sie zum Lesen. Für die Sepiabilder hatte er Abnehmer wie den Fürsten Malte von Putbus, der auch den Chasseur im Walde gekauft hat. Friedrich malt diese Landschaftsbilder auf Bestellung, auch Ludwig Theobul Kosegarten und die Prinzessin Marianne von Preußen kauften ihm Blätter ab. Das Kap Arkona mit aufgehendem Mond wie hier, hat er mehrfach gemalt.

Als Ergebnis der sieben Reisen nach Rügen zwischen 1801 und 1826 werden zwei Bilder entstehen, die zum Hauptwerk von Friedrich zählen. Das eine ist der Mönch am Meer, das andere sind die Kreidefelsen auf Rügen. Das Bild lassen wir einmal weg, das hatte 2013 schon den ausführlichen Post Kreidefelsen, der beinahe zehntausend Mal gelesen wurde. Das erste Gemälde, das manchmal auch Wanderer am Gestade des Meeres heißt, war das größte, das Friedrich bisher begonnen hatte. Es wurde 1810 zusammen mit der Abtei im Eichwald vom preußischen König Friedrich Wilhelm III auf Wunsch des fünfzehnjährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm gekauft. 

Der Maler hat sein Bild in einem Brief an den Theologen Johannes Schulze so beschrieben: Da hier einmal von Beschreibungen die Rede ist, so will ich Ihnen eins meiner Beschreibungen mitheilen, über eins meiner Bilder so ich nicht unlängst Vollendet habe; oder eigentlich, meine Gedanken, über ein Bild; denn Beschreibung kann es wohl nicht genannt werden. Es ist nemlich ein Seestük, Vorne ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strande geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreiet um ihn her, als wollten sie Ihm warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest [wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel! Es ist viel über das Bild geschrieben worden, auch Jacques Derrida und Gérard Genette kann man bemühen, um es zu begreifen. Wenn Sie es einfach und klar haben wollen, schauen Sie sich dieses Video an, das die Staatlichen Museen ins Netz gestell thaben.

Friedrich hat lange an diesem Bild gearbeitet, wir wissen von Zeitgenossen, die das Bild zu verschiedenen Zeiten gesehen haben, dass das Bild immer wieder ganz anders ausgesehen hat. Das ist auch vor zehn Jahren bei der Restaurierung des Bildes ans Licht gekommen, genauer ans Infrarotlicht. Der einsame Wanderer auf der Rügener Schaabe war links und rechts von Segelbooten umgeben, und Fischernetze gab es (ähnlich wie auf dem Bild Meeresstrand mit Fischer) auch noch. Das wurde 2015 als neue Erkenntnis verkauft, steht aber schon 1974 in dem Hamburger Katalog. All das hat Friedrich wieder übermalt, um die endgültige radikale abstrakte Form zu finden. Der amerikanische Kunsthistoriker Robert Rosenblum hat in seinem Buch Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik eine Verbindung zwischen Caspar David Friedrich und der abstrakten Malerei gesehen. Sein Buch über die Bilder von Friedrich, die in russischem Besitz sind, ist als Volltext bei Google Books lesbar.

Friedrich hatte sich gewünscht, dass seine Bilder Abtei im Eichwald und Mönch am Meer in der Berliner Akademieausstellung nebeneinander aufgehängt würden. Man hängte sie übereinander. Im Katalog der Ausstellung waren die beiden Bilder unter einer Nummer als Zwei Landschaften verzeichnet. Heute hängen sie so, wie sich Friedrich das vorgestellt hat. Am 13. Oktober 1810 veröffentlichte Heinrich von Kleist in den Berliner Abendblättern seine Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft, einen Aufsatz, an dem auch Clemens Brentano und Achim von Arnim mitgeschrieben hatten:

Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegrenzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den einem die Natur tut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild tat; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Youngs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Maler zweifelsohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin überzeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung tun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser malte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmalerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemälde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Äußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

Meine kleinen rituellen Besuche im Charlottenburger Schloss dauerten nie länger als eine halbe Stunde, für die Gemäldegalerie in Dahlem und die Museumsinsel im Osten hatte ich die ganze Woche Zeit. Ich bin kein Caspar David Friedrich Fan, das habe ich schon 2010 in dem Post Caspar David Friedrich gesagt. Ich habe mehr als fünfzig Bilder von ihm gesehen, habe den Katalog von Helmut Börsch-Supan und Karl Wilhelm Jähnig, den Hamburger Katalog von 1974 und ein halbes Dutzend Bücher über den Maler. Aber das ist es denn auch. Ich wäre nie in Versuchung, ein Bild von Friedrich zu stehlen. Das wäre bei Constable oder Gainsborough anders. 

Eine Kuriosität muss ich zum Schluss noch anmerken. Ein gewisser Dr Hans-Thomas Tillschneider hat im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Antrag für eine Auslobung eines Caspar-David-Friedrich-Preises für Malerei eingebracht. Er hat auch gesagt: Ich bin mir sicher, würde Caspar David Friedrich heute leben, würde er das Geld der AfD spenden. Dr Tillschneider ist Abgeordneter der AfD. Wenn man seinen Antrag liest, der eine nationale deutsche Kunst fordert, hat man das Gefühl, dass man das alles schon einmal gelesen hat. Und zwar bei einem Mann namens Kurt Karl Eberlein in seinem Buch Was ist deutsch in der deutschen Kunst, das 1933 erschien. Dr Tillschneider wird vom Verfassungsschutz beobachtet, das ist das Beruhigende an der Sache.

Donnerstag, 12. September 2024

Caspar David Friedrich (5)


Gottliebs Gast stand mittlerweile vor dem rechts neben der Tür in gutem Licht hängenden Ölgemälde „Der Chausseur im Wald" und betrachtete es nachdenklich.
      Der Pfarrer trat zu ihm und blickte ebenfalls auf das Bild. 
„Schauen Sie etwa kritisch, lieber Freund?" fragte er. „Sie haben doch mit Ihren Mitteln, ohne Ihrer malerischen Eigenart untreu zu werden, Ihre vaterländische Gesinnung bekundet. Und da war kaum ein Besucher der seinerzeitigen Kunstausstellung, der davon nicht berührt wurde." „Ja", erwiderte Friedrich, „das Bild ist ein Gleichnis auf den Untergang der Armee Napoleons in Russland."
Lebhaft übernahm Gottlieb wieder das Wort.
      „Den Schritt verhaltend, lauscht der versprengte französische Soldat in die Waldesstille, und der Beschauer vermag die Furcht nachzuempfinden, die ihn in der ausweglosen Einsamkeit bei hereinbrechender Nacht beschleicht. Und Sie haben, lieber Friedrich, unabhängig von diesem patriotischen Gehalt mit den einfarbigen bräunlichen Tönen einen spezifischen Zustand winterlicher Natur erfasst. Und wie die Rückenfigur der im Vergleich zu dem ungeheuren Wald kleinen Gestalt des Soldaten dem Beschauer die Landschaft erst recht erschließt."
      Friedrich war, trotz seines verschlossenen Wesens, wie alle Künstler sehr empfänglich für Lob, besonders, wenn es so sachkundig und seinen Absichten beim Malen des Bildes so entsprechend geäußert wurde. 
      Gottlieb hatte sich in Begeisterung geredet.
„Und der französische Chasseur ist nicht nur eine verlorene Gestalt und sieht als Teil der Armee des Usurpators seinem verdienten Schicksal entgegen. Er ist auch ein Mensch - und in diesem Sinne kommt er mir gar nicht klein vor - der Mitgefühl erregt und auch Achtung erzeugt als Ergebnis einsam-stolzer Selbstbehauptung. Er sieht seinem Schicksal gefasst entgegen, und seinen Degen hat er noch an der Seite, um sich in der Not verteidigen zu können. Dabei erwartet ihn, wie der Totenvogel auf dem Baumstumpf im Vordergrund andeutet, der sichere Untergang. Angesichts dieser Hoffnungslosigkeit in sinnender und stolzer Haltung zu verharren ist achtenswert."
      Der Pfarrer hielt inne und löste seinen Blick langsam vom Bild. Sie standen schweigend nebeneinander. Dann sagte Friedrich: „So wie ich mir als Maler einen äußersten individuellen Ausdruck gestatte und darin erst das Wesen der Kunst, das subjektiv ist, erfüllt sehe, muss ich dem Beschauer meiner Bilder erlauben, sie nach seinem Gusto zu empfinden. Und so kann denn ein unpolitischer Mensch dieses Bild auch als Landschaft betrachten, in der sich ein Soldat befindet, der sich von seinem Lager zu einem Spaziergang in den Winterwald aufgemacht hat und bald wieder zu seinen Kameraden, den Rabenvogel von seinem Baumstumpf vertreibend, zurückkehren und mit ihnen gemeinsam nach geordnetem Rückzug die Heimat erreichen wird."


Wir sind in dem Roman Um ewig einst zu leben: Caspar David Friedrich und Joseph Mallord William Turner von Christoph Werner. Und wir haben jetzt zwei Interpretationen von dem Bild, das gemeinhin Der Chasseur im Walde genannt wird. Ist es ein Gleichnis auf den Untergang der Armee Napoleons in Russland? Oder hat sich der französische Soldat mal eben von seinen Kameraden entfernt, um einen Waldspaziergang zu machen? Zeigt das Bild Den Krieger auf verlorenem Posten, den bevorstehenden Tod des Handlangers eines machtbesessenen Eroberers, das Ende in der Fremde, wie es in Gisold Lammels Buch Kunst im Aufbruch: Malerei, Graphik und Plastik zur Zeit Goethes steht?

Will er überhaupt in den Wald gehen? Er scheint eher zu stehen und sich zu fragen, ob er wirklich in die Dunkelheit gehen soll: Der einsame Soldat hält inne. Er hat offensichtlich den Anschluss an seine Kompanie oder den Spähtrupp verloren. Klein und verloren wirkt er inmitten der winterlichen Natur, die aufgrund von Friedrichs Komposition so wirkt, als wäre sie zu bedrohlicher Aktivität erwacht. Doch kein Weg führt ihn aus dieser misslichen Lage. Sein Blick mag zunächst den rotbraunen Stämmen folgen, die sich jedoch rasch im Dunkel verlieren und dabei an den Mythos vom undurchdringlichen deutschen Wald denken lassen, der in den Jahren der Napoleonischen Kriege verstärkt beschworen wurde. Die eng stehenden Bäume vermitteln aber auch die Vorstellung von Geschlossenheit und können deshalb als assoziativer Verweis auf die Armee der Befreiungskrieger gedeutet werden. Das schreibt Markus Bertsch, der der Mitherausgeber des Katalogs Caspar David Friedrich: Kunst für eine neue Zeit der Hamburger Kunsthalle ist. Ich habe alles gelesen, was er in dem Katalog schreibt, und ich war nicht besonders beeindruckt. Der Katalog der Hamburger Kunsthalle von 1974 bot mehr Substantielles über den Maler Friedrich.

Ich habe den Satz des viel zu früh verstorbenen Kunsthistorikers Gisold Lammel mit dem Krieger auf verlorenem Posten, den bevorstehenden Tod des Handlangers eines machtbesessenen Eroberers, das Ende in der Fremde etwas aus dem Zusammenhang gerupft, aber es ist die hauptsächliche Interpretation des Bildes. So hatte auch die Vossische Zeitung im Jahre 1814 das Bild verstanden, als sie schrieb: Einem französischen Chasseur, der einsam durch den verschneiten Tannenwald geht, singt ein auf einem Stamm sitzender Rabe sein Sterbelied. Das Zitat lässt Lammel natürlich nicht aus. Sein Buch war 1998 erschienen, wurde aber aus mir unerklärlichen Gründen schon wenig später verramscht. Mein Exemplar stammt aus dem Grabbelkasten. Bei Amazon kann man zu dem Buch lesen: Diese bisher umfassendste Monographie über die bildende Kunst zur Zeit Goethes bietet eine sozialgeschichtlich fundierte Darstellung der Kunstverhältnisse und -strömungen dieser Epoche. Von dem Satz ist jedes Wort wahr.

Simon Schamas Buch Landscape and Memory hat das Bild des Heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen von Altdorfer als Cover. Für Schama war das Bild die deutsche Geschichte schlechthin: The story, we begin to understand as the leaves emit light onto yet more leaves, piling up and overlapping in densely embroidered frond-like panels, is the forest. This German wood is not 'the setting'; it is the history itself. Schamas Buch ist ein Leseerlebnis, und das Kapitel über den deutschen Wald ist besonders schön: Religion and patriotism, antiquity and the future — all came together in the Teutonic romance of the woods. In seiner Begeisterung, alles Deutsche zusammenzutragen, was mit dem Wald zu tun hat, macht er leider einen unverzeihlichen Fehler, indem er das Buch Altdeutsche Wälder der Grimms zitiert. Das hat nun gar nichts mit dem Wald zu tun, die Grimms gebrauchen das Wort Wälder im gleichen Sinn, in dem  Statius silvae gebraucht hat, als Titel einer Sammlung von verstreuten Texten.

Simon Schama sieht Friedrichs Bild im Zusammenhang mit diesem Bild von Georg Friedrich Kersting. Das tut auch Gisold Lammel, und das hat seinen Grund. Denn 1814 hingen beide Bilder in einer Ausstellung in Dresden nebeneinander. Das Bild seiner Kameraden im Wald ist ein Erinnerungsbild von Kersting. Alle drei Dargestellten haben den Freiheitskampf nicht überlebt, wenn sie auch zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten gestorben sind. Bevor Kersting, der im Freiheitskrieg das Eiserne Kreuz erhielt, dieses Bild malte, hatte er bezaubernde kleine Interieurbilder gemalt. Wenn man so will, ist auch dies ein Interieurbild, wir sind in diesem Wald zuhause. Er wird beinahe zum Wohnzimmer. Das Grün (das auf jeder Reproduktion des Bildes anders ist) gibt Geborgenheit, hüllt die Freunde ein wie den Heiligen Georg auf Altdorfers Bild. Es ist jetzt viel symbolischer Wald im deutschen Denken, vom Teutoburger Wald des Arminius bis zu Caspar David Friedrichs Bild vom französischen Chasseur im Walde, der für Schama the most enduring of all the icons of the Freiheitskrieg ist. 

Caspar David Friedrichs Wald hat nichts von der Wohnzimmeratmosphäre von Kerstings Bild. Dieser dunkle Tannenwald steht dem Soldaten mit seinem goldenen Helm feindlich gegenüber. Das Bild stellt viele Fragen. Eine ist: wo ist das Pferd des Chasseurs? Denn der lange Säbel, den er trägt, weist ihn als einen Kavalleristen aus, die Infanterie trägt solche Waffen nicht. Der Fürst Malte von Putbus, der Caspar David Friedrich das Bild abgekauft hatte, wusste eine Erklärung: Es ist eine Winterlandschaft, der Reiter, dessen Pferd schon verloren ging, eilt dem Tod in die Arme, ein Rabe krächzt ihm das Todtenlied nach. So steht es im Katalog seiner Kunstsammlung. Ähnliche Sätze waren dem Bild beigegben, als es im März 1814 in Dresden ausgestellt worden war. Das relativ kleine Bild (65,7 x 46,7 cm), das Friedrich im Sommer 1813 zu malen begann, hat noch andere Namen gehabt, es kann auch Wald mit Dragoner, Der Tannenwald mit dem Raben oder Ein beschneiter Tannenwald heißen. Es war hundert Jahre im Besitz der Familie des Fürsten von Putbus, dann kaufte es der Bankier Georg Hirschland. Er hatte nur zwanzig Jahre Freude an dem Bild, dann emigrierte er über Amsterdam in die USA. Seine Kunstsammlung wurde weit unter Wert vom Museum Folkwang angekauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam die Familie Hirschland das Bild restituiert. Die Familie verkaufte das Bild später über die Düsseldorfer Galerie Wilhelm Grosshennig, wer der jetzige Besitzer ist, scheint niemand zu wissen.

Am Ende der Unterhaltung zwischen dem Pfarrer Gottlieb und Caspar David Friedrich heißt es in Christoph Werners Roman: Gottlieb pflichtete dem Maler bei, indem er auf das Wesen der Kunst weiter einging. „Daraus ergibt sich, dass die Wege, die zur Kunst führen, unendlich verschieden sind, und das wussten sehr wohl jene achtenswerten Meister, die die anmaßenden Kunstrichter für alle Zeiten als Vorbilder hinstellen, denen bedenkenlos zu folgen ist."

Dienstag, 10. September 2024

Quarzuhren (II)


'Siehst du,' sprach er zu Victor, 'es ist genau so, wie ich dir neulich sagte. Der Sand ist beinahe troken und in einer Stunde wird man sehr bequem auf ihm herum gehen können. Es ist eine Eigenschaft des hiesigen Quarzbodens, der nur locker auf dem Felsengrunde aufliegt, daß er den Plazregen einschlukt, wie ein Sieb. Darum muß ich bei den Blumen immer so viel Humus nachführen lassen, und darum vergehen die Obstbäume der Mönche so gerne, während die Rüstern, die Eichen, die Buchen und die andern unserer Bergbäume so gedeihen, weil sie den Felsen suchen, dort Spalten treiben und in sie eindringen.' Hier haben wir den Quarz in der Natur, das Zitat findet sich in der Erzählung Der Hagestolz von Adalbert Stifter. Bei Stifter gibt es viel Quarz in den Erzählungen, denn der Bergkristall (der sich in Bunte Steine findet) über den er schreibt, ist nur ein anderer Name für das Mineral Quarz. Niemand hat sich zu Stifters Zeiten vorstellen könnten, dass man Quarze eines Tages zur Zeitmessung verwenden würde.

Ich habe zwar letztens in dem Post Weltzeituhren gesagt: Mit dieser Uhr ist bei mir für Quarzuhren erst einmal Schluss, aber ich muss da noch etwas anfügen, was ich gerade mit dem neuen Computer gefunden habe. Ein begonnener und nicht zu Ende geschriebener Post über Quarzuhren. In dem sich dieses Bild findet, eine Quarzuhr, die mir meine Schwägerin Sabine mal geschenkt hat. Die rechte Hälfte ist das Zifferblatt, da ist schattenhaft auch noch ein Fußballspieler drauf. Ich weiß nicht, ob das Rahn oder Fritz Walter sein soll. Unsere Helden von Bern kannte ich damals alle, weil ich sie vier Wochen vor der WM in Hamburg gesehen habe, als sie gegen Hannover 96 fünf zu eins verloren. Was da links zu sehen ist, sind kleine Bröckchen von Steinen vom Abriss des Wankdorf Stadions in Bern. Da wo wir Weltmeister wurden. Steht auch noch Das Wunder von Bern drauf. 

Ich finde die Weltmeisterschafts Uhr sehr witzig, aber ständig tragen würde ich sie nicht. Sie war auch schon vor Jahren in dem Post 1954 einmal zu sehen gewesen. Sie liegt bei mir in einer Schublade mit vielen kleinen bunten Quarzuhren, die ich mal geschenkt bekam. Eine hat das Bremer Rathaus auf dem Zifferblatt, eine andere die Blaue Mauritius. Die quietscherote Plastikuhr zum Welttag des Buches habe ich schon in dem Post Blankvers erwähnt. Bei der Gestaltung der Zifferblätter sind diesen bunten Dingern, die häufig Werbeuhren sind, geschmacklich keine Grenzen gesetzt. Alles irgendwie originell, aber sind das wirklich richtige Uhren? Zu diesen Spielzeugartikeln zählt sicher auch die Omega X Swatch Bioceramic MoonSwatch Mission To Mercury, aber die ist richtig teuer.

Ich habe Freunde, die deshalb Quarzuhren tragen, weil die sehr flach sind und ein cooles Design haben. Wie zum Beispiel die Braun AW10, die Dietrich Lubs und Dieter Rams 1989 auf den Markt brachten. Der Designer Dieter Rams ist hier schon in den Posts Elektrorasierer und Schneewittchensarg erwähnt worden. Zu dem Design kommt die Werbesprache, ohne die geht es nicht: Dietrich Lubs und Dieter Rams wollten mit der AW10 ihre Vision einer Uhr verwirklichen, die die Zeit auf möglichst funktionale Weise anzeigt und alle ihre Designprinzipien verkörpert. Wenn es für eine Uhr einen bekannten Designer gibt, kann man das gut vermarkten. Die Firma Junghans lebt heute davon, dass Max Bill für sie mal ein paar Zifferblätter entworfen hat. Heute nennen sie alles Max Bill und bieten das zu überhöhten Preisen an.

Das mit den Designprinzipien von Dieter Rams kann man natürlich noch dicker auftragen. In einem Manufactum Katalog fand sich neben dieser Uhr von Ole Mathiesen ein Text, in dem einem versichert wurde, dass die Uhr nicht aufträgt, sie wird praktisch eins mit ihrem Träger. Die gesamte Gestaltung geht auf die Abwesenheit jeglicher Aufdringlichkeiten hin. Ist das nicht schön? Die Uhren sind nicht aufdringlich, die Texte schon. In den Swiss Made Uhren von Ole Mathiesen sind Schweizer ETA Quarzwerke, aber so etwas kostet auch schon vierstellig, kalte Schönheit hat ihren Preis. Preiswerteres dänisches Design findet man bei der Firma Skagen. Und die Braun AW10 kann man ab 119,95 € bei Amazon finden.

Als Seiko 1969 die erste kommerzielle Quarzuhr namens Astron in einem Goldgehäuse auf den Markt brachte (von der wahrscheinlich nur hundert Stück produziert wurden), stürzte das die Schweizer Uhrenindustrie in eine tiefe Krise. Nicht nur die Schweizer Uhrenindustrie war in der Krise, die Quarzuhr bedeutete auch den Tod der amerikanischen Uhrenindustrie. Die Firma Elgin, die als einzige amerikanische Firma eine Automatik gebaut hatte, schloß ihre Tore und verkauft ihre Namensrechte an einen Unternehmer, der Uhren in China herstellen lässt. Die Firma Hamilton ist heute eine Schweizer Firma, sie hat nichts mehr mit der Firma zu tun, die man einmal die Patek Philippe Amerikas nannte. Der Bestseller von Hamilton (Schweiz) ist jetzt die Khaki Field, eine Militäruhr, die aussieht, als sei sie im Vietnamkrieg gewesen. Allerdings war Hamilton damals überhaupt kein Lieferant der US Army. Es wird nirgendwo so viel gelogen, wie in der Uhrenwelt.

Die Quarzkrise trifft nicht nur die Schweiz und Amerika, sie trifft auch Frankreich. 1973 hat die Firma Lip in Besançon, die in den 1930er Jahren Uhren nach Russland geliefert hatte, ihr erstes Quarzwerk vorgestellt. Wenige Monate später musste sie Konkurs anmelden. Man dachte in Frankreich, dass man die Mai Unruhen von 1968 hinter sich hätte, jetzt fängt hier alles wieder an. Jahrelange Arbeitskämpfe, die Arbeiter besetzen die Fabrik und verkaufen alles, was sie im Lager finden, zu Billigpreisen. Das alles könnte die Schweiz kalt lassen, wieder ein Konkurrent weniger, könnte man sagen. Aber so ist es nicht. Die ASUAG Holding, in die sich viele marode Schweizer Firmen geflüchtet hatten, ist durch ihre Tochterfirma Ebauches SA Hauptaktionär der Lip SA. 

Das alles betrifft die Japaner nicht, sie bauen ihren Vorsprung bei den Quarzuhren aus. Am Anfang waren diese Uhren sehr teuer, die Junghans Astro Quarz, die 1971 auf den Markt kam, kostete stolze achthundert Mark. Das kostet die Uhr den Sammler, wenn sie in einem guten Zustand ist, heute immer noch. Aber die Uhren wurden in den nächsten Jahren immer billiger. Irgendwann bekam man sie schon als Werbegeschenke in die Hand gedrückt. Quarzuhren waren billige Massenware geworden. Das wissen wir alle, das stand auch schon in dem Post Quarzuhren. Heute kann man dank der chinesischen Firmen wie Temu, Shein und AliExpress Quarzuhren für beinahe geschenkt bekommen. Die Firmen überschwemmen den Markt, sagt die SPD und will gegen die chinesischen Online Händler vorgehen. Ich weiß nicht, ob der Partei das gelingt. Man weiß ja nicht, ob der Partei überhaupt noch etwas gelingt.

Seiko wollte mehr als nur Quarzuhren bauen, sie wollten genauere Quarzuhren als der Rest der Welt bauen. Das beginnt 1975 mit dem Quarzkaliber 4843, das sich in den King Seiko Modellen findet. Das ging plus-minus zehn Sekunden im Monat falsch. Das war der Firma nicht genug, sie wird jetzt in rascher Folge Quarzuhrwerke für die Modellreihen King Seiko, Grand Seiko und Superior auf den Markt bringen. Sie beginnen erst einmal mit der Seiko Type II, die ist preiswerter als ihre Luxuslinien, erreicht aber die Gangwerte der 48er Kaliber. Doch dann kommt das Twin Quarz Werk, das zwei Quarze hat. Die beiden kleinen silbernen Stäbe kann man hier sehen. Der eine ist für Zeit zuständig, der andere für die Temperaturkompensation. Mit diesem Werk konnte man eine Genauigkeit von +/- 10 Sekunden im Jahr garantieren. Mehr schafft die neueste Grand Seiko mit dem Kaliber 9F auch nicht.

Nachdem ich mir in diesem Jahr zu den drei Seikos, die ich seit Jahrzehnten besitze, noch eine King Seiko von 1974 und eine Grand Seiko von 1978 gekauft hatte, habe ich viel über Seiko und die Entwicklung ihrer Werke gelesen. Interessant ist, dass  Werke nur wenige Jahre im Programm bleiben. Die Skyliner wird nur von 1968 bis 1973 produziert, man hätte sie ewig bauen können. Sollte ich über meine Type II mit dem aufwendigen Zifferblatt und dem erstklassigen Band noch hinausgehen? Die Händler von Tokei Japan, mit denen ich mich gut verstehe (und die auch meinen Blog lasen), hatten da noch etwas ganz Luxuriöses im Angebot. Das eine war eine Superior, die bei ihrer Markteinführung soviel kostete wie ein kleiner Toyota. Die Superior mochte ich nicht, ich mochte auch das Band nicht. Aber sie hatten auch noch eine Seiko Grand Quartz aus dem Jahre 1978 mit dem Twin Quartz Werk im Programm. Musste ich so etwas haben? 

Ich guckte mir jede Woche bei kleinanzeigen das Angebot an. Nach einigen Wochen dachte ich mir, das könnte auch meine Uhr werden, obgleich der nette Herr Wong mir gesagt hatte, sie sei ein bisschen langweilig. Die Uhr wurde mit tollem strukturierten Dial angeboten, bei der Zifferblattgestaltung sind die Japaner ja Weltmeister. Sie sieht auf diesem Photo anders aus als auf dem Photo oben. Was am Arm und im wirklichen Leben wie ein knallig weißes Zifferblatt wirkt, ist in Wirklichkeit ganz fein strukturiert. Deshalb sieht das Zifferblatt auf diesem Photo so ein bisschen milchig-karamellig aus. Man braucht allerdings eine sehr starke Lupe (meine kam von Temu, war mal ein Geschenk), um das zu sehen. Nach langem Überlegen habe ich die Uhr doch gekauft. Weil man mir ein Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte. Und weil ich wusste, dass ich so etwas ich nie wieder bekommen würde. So viele Uhren mit diesem Werk wird es nicht mehr geben, denn das Kaliber 9943 ist nur sechs Jahre lang gebaut worden. Ich habe das elegante flache schwarze Krokoband abgenommen, die Grand Quartz hat jetzt ein dickes weißes Straußenband. Damit sieht dieses coole siebziger Jahre Designerteil jetzt affengeil aus. Ist aber wirklich meine letzte Quarzuhr.



Sonntag, 8. September 2024

Ihr Browser wird nicht mehr unterstützt

Ihr Browser wird nicht mehr unterstützt oder your browser is no longer supported waren Sätze, die ich im letzten Jahr zur Genüge gelesen habe. Mein zehn Jahre alter Safari Browser reichte nicht mehr aus, um mir in der ARD Mediathek einen Film anzusehen oder beim Spiegel etwas zu lesen. Ich musste dann immer auf Googles Chrome gehen, einen Browser, den ich nicht mag. Auf meinem Computer war der so langsam, dass man sich an die Zeiten erinnerte, als Browser den schönen Namen webcrawler hatten. Das hat sich jetzt alles geändert, weil ich einen neuen Computer habe. Wieder so einen Mac Mini, aber jetzt mit dem neuesten Schnickschnack, den Apple bereithält. Der nette Herr Hagge von der Firma hard & soft, die schon im Post Computer erwähnt wird, hat zweieinhalb Stunden gebraucht, um alles vom alten auf den neuen Mac zu kopieren.

Die Firma Apple macht für ihr neues System Werbung mit Sätzen wie: Mit macOS Sonoma kannst du auf deinem Mac mit noch mehr Power arbeiten und spielen. Bleib in Videoanrufen präsenter. Nutze neue Arten, um auf Informationen zuzugreifen. Bring deine Performance beim Spielen auf ein neues Level. Und entdecke noch mehr Möglichkeiten, wie du deinen Mac personalisieren kannst. Ich bekomme eigentlich nie Videoanrufe, meine Performance beim Spielen ist auf dem Level Null, da ich keine Computerspiele benutze. Und liebe Leute bei Apple, wenn ihr mich schon duzt, dann bitte mit einem große Du.

Jetzt sieht mein Bildschirm so aus, mit einem Landschaftsphoto
vom Sonoma Valley und der großem Uhrzeit. Ich muss mal mit den Technikern reden, ich glaube, ich möchte meinen alten blauen Bildschirm wieder zurückhaben. Es funktioniert auch noch nicht alles, wie es funktionieren soll. Gut, ich komme jetzt überall rein, und alles geht schneller. Viel schneller. Aber alles sieht anders aus, jedoch nicht schöner und besser als vorher. Früher stand der Mac ja für einen gewissen Stil im Layout, heute versicht man offenbar, Googles Chrome nachzuahmen. Alles ist bunter und brülliger. Eine neue Mail kam früher als kleiner weißer Luftpostbrief oben rechts in den Bildschirm geflattert; da kommt sie immer noch an, aber jetzt ist alles groß und fettgedruckt. Ich muss mich umgewöhnen, aber richtig glücklich bin ich mit dem Ganzen nicht. Auch das Google System, mit dem ich hier schreibe, hat sich erheblich verändert. Hat sogar neuerdings so etwas wie ein Korrekturprogramm. 

Offenbar hatte der Computer gemerkt, dass ich nicht so viel von dem neuartigen Programm hielt, denn am nächsten Morgen ging nix mehr. Der Browser Safari existierte nicht mehr, ich bekam eine Mitteilung, dass nicht genügend Programmplatz vorhanden sei. Programm beeenden und Neustart halfen nichts, ich sah nur die Weinberge von Sonoma, aber kein Safari. Glücklicherweise erwischte ich Herrn Kraus noch vor der Mittagspause, der guckte mit dem TeamViewer in den Computer. Ließ alle möglichen Korrekturprogramme durchlaufen. Nix. Dann nahm er alle Seiten aus dem Cache heraus, weil er vermutete, ich hätte mir beim Browsen irgend etwas Giftiges eingefngen. Und das war die Lösung, Safari ist wieder da. Hoffentlich bleibt es da auch. Der Browser muss sich offenbar an mich gewöhnen. Ein büschen doof ist er ja noch. Gestern hat er mir hundert Mal die Seite Safari kann den Server nicht finden geschickt. Wenn man mehrfach klickt, dann findet er den Server. 

Ich habe vor Jahren schon über Apples System Catalina gemeckert, das flog auch schnell vom Computer. Dies muss ich behalten. Da bleiben mir nur die schönen Sätze von Bill Bryson For a long time it puzzled me how something so expensive, so leading edge, could be so useless. And then it occurred to me that a computer is a stupid machine with the ability to do incredibly smart things, while computer programmers are smart people with the ability to do incredibly stupid things. They are, in short, a perfect match.

Donnerstag, 5. September 2024

Raketen


Da fieng das fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von Abends um 7 Uhr an hörte das Schiessen auf Koppenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch 12 Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, Namens Congreve, war dabey, der hatte ein neues Zerstörungsmittel erfunden, nemlich die sogenannten Brand-Raketen. Das war ungefähr eine Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuß entzündete sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal, wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was brennen konnte. Auch diese Brand-Raketen flogen die ganze Nacht in das arme Koppenhagen hinein. Koppenhagen hatte damals 4000 Häuser, 85,965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wußte, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der Kanonendonner durch einander gieng ... 

Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat weiß nicht, was er thut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub davon; und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kayser Napoleon will nicht eher mit den Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurückgegeben, und Koppenhagen bezahlt haben. Dieß ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen: es sey nicht so schlimm gemeynt gewesen. Andre aber sagen, es hätte nicht können schlimmer seyn, und die Dänen meynens auch. Das schreibt Johann Peter Hebel über das englische Bombardement von Kopenhagen vom zweiten bis zum fünften September 1807. Er ist kein zuverlässiger Zeitzeuge, er war auch nie in Kopenhagen. Eigentlich schreibt er nur Zeitungsartikel ab und peppt die ein wenig emotional auf.

Wenn er dem Leser versichert, 
der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen, dann täuscht er sich. Der Satan Sir William Congreve wird noch bis 1828 leben. Auf diesem Bild sehen wir ihn im Jahre 1807 in Kopenhagen, während im Hintergrund eine seiner Raketen in den Himmel zischt. Er soll nach der Bombardierung durch Kopenhagen gewandert sein und alle größeren Schäden als sein Verdienst reklamiert haben. Der dänische General Heinrich Ernst von Peymann, der die Stadt und die Flotte übergeben muss, klagte: Die Engländer warfen eine Art Raketen, die sonst von policirten Nationen nicht verwandt werden. Das Adjektiv policirt bedeutet im 18. Jahrhundert: gebildet, gesittet, civilisiert

Die Erfindung der Congreve rockets ist noch nicht so ganz ausgereift. In der Schlacht von Quatre Bras verbietet Wellington dem Captain Whinyates den Einsatz seiner achthundert Raketen: the Duke, who looked upon rockets as nonsense, ordered that they should be put into store, and the troops supplied with guns instead. Dabei hätte Wellington wissen können, was die Raketen anrichten können. Er hatte sie in Indien schon kennengelernt. In der Völkerschlacht von Leipzig, an der ein kleiner englischer Racket Troop teilnimmt, hatten sie eine große Wirkung. Sie können alles über Congreves Raketen in dem Post the rockets' red glare: Leipzig 1813 lesen. 

Und was in Kopenhagen im Jahre 1807 passierte, das wusste Wellington auch. So wie auf diesem Bild sah es auf dem Kongens Nytorv in der Nacht vom vierten auf den fünften September aus, der schlimmsten Nacht des Bombardements. Wellington (damals noch Arthur Wellesley) war in der Nähe, 
denn er hatte gerade mit seinen sechstausend Mann am 29. August 1807 bei Køge die dänische Armee geschlagen. Er hat sein Lieblingspferd später Copenhagen genannt. Aber die Raketen waren für ihn Nonsens. Sie sind es nicht, jeden Tag können wir in den Fernsehnachrichten sehen, was Raketenangriffe bewirken. Von 
policirten Nationen ist nicht mehr die Rede.

Johann Peter Hebel hat 1809 unter dem Titel Unglück in Kopenhagen noch eine andere Geschichte parat: Das sollte man nicht glauben, daß eine Granade, die in den unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde, noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden Grunde reinigen. Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg, und zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaden und Bombenkugeln

Es wurde spekuliert, dass während des Bombardements Tausende oder auch Zehntausende von Congreves Raketen die Stadt erreicht hätten. In Wirklichkeit wurden nur dreihundert Raketen abgefeuert, mehr hatten die Engländer nicht mitgenommen, sie trauten dieser neuen Waffe noch nicht. Und sicherlich können einige Raketen liegengeblieben sein und spielende Kinder getötet haben. Was Hebel aber nicht weiß, ist, dass der dänische Ingenieuroffizier Andreas Anton Frederik Schumacher sich in der Stadt auf die Suche nach nicht explodierten Raketen macht. Er studierte die Raketen genau und baute sie nach. Der dänische König, der die Experimente vonSchumacher mit großem Interesse verfolgte, wird den Secondelieutenant Schumacher zum Kaptain ernennen. Er darf auch ein kleines Raketen Korps kommandieren. Zu Einsatz im Krieg kommen Schumachers Raketen nicht. Sie werden allerdings einem friedlichen Zweck dienen, man kann sie auch für die Wissenschaft gebrauchen. 

Sein Bruder, der Astronom und Geodät Heinrich Christian Schumacher (Bild), der ganz Dänemark vermessen wird, wird später schreiben: Bekanntlich hat mein Bruder schon 1816 die Racketen zu Längenbestimmungen angewendet. Er reisete nach Hielm, einer Insel bei Ebeltoft in Jütland, und ich beobachtete in Copenhagen auf der Sternwarte das Springen der Leuchtkugeln auf seinen Racketen. Die Entfernung ist über 16 geographische Meilen. Es war, nachdem diese Versuche die Möglichkeit gezeigt hatten, Längengrade von Copenhagen nach der Westküste von Jütland, durch ein in der Mitte gegebenes Signal zu messen. dass Seine Majestät der König die Messung dieser Längengrade in Verbindung mit den Breitengraden von Skagen nach Lauen­burg zu befehlen geruhten. Die Beobachtungskunst hat in den lezten Zeiten so bedeutende Fortschritte gemacht, dass Elemente, die noch vor wenigen Jahren als sicher angesehen wurden, jezt einer Bestätigung bedürfen. Ich bitte daher alle Her­ren Vorsteher der Sternwarten, mir die Längen und Breiten mitzutheilen, die sie jezt für die richtigsten halten. 

Dem Köng Frederik gefällt, was die beiden Schuhmachers tun, auch wenn der Astronom nach Altona in die Palmaille zieht, aber das damals ja dänisch.war Er wird dort den Altonaer Meridian festlegen. Den Kaptain Schumacher ernennt er 1814 noch zum Kammerjunker, das ist in der dänischen Klassengesellschaft ziemlich weit oben. Den Altonaer Null Meridian gibt es heute noch, der hat aber seine Bedeutung gegen die grüne Leuchtstoffröhre (die den Nullmeridian markiert) vor Flamsteed House in Greenwich verloren. In diesem Blog kommen Observatorien immer wieder vor. Insgesamt sind es fünfundzwanzig Posts. Der erste hieß 2010 Observatorium. In dem Post Astronomie können Sie sehen, dass es auf dem Dach meines Gymansiums ein kleines Observatorium gab.

Dieses Historienbild von Percy Moran, das hundert Jahre nach dem Ereignis gemalt wurde, zeigt den jungen Rechtsanwalt Francis Scott Key auf einem englischen Kriegsschiff, das gerade das Fort McHenry bombardiert. Wir sind im Jahre 1812, die Engländer haben offenbar nicht genug damit zu tun, gegen Napoleon zu kämpfen. Sie greifen auch noch die USA an. In diesem kleinen Krieg werden sie das Weiße Haus niederbrennen. Die ganze Nacht haben die Engländer mit Mörsergranaten und ihren Congreve rockets das Fort McHenry beschossen. Den Feuerstrahl der Raketen hat Francis Scott Key die ganze Nacht gesehen. Jetzt will er im Morgengrauen wissen, ob das Fort noch steht. Ob die Flagge noch weht. Sie weht noch. Ein Jahr später wird der Kommmandant des Forts George Armistead (der der Onkel des Generals Armistead war, der bei Gettysburg fällt) eine neue Flagge aufziehen lassen. Eine riesige Flagge, a flag so large that the British would have no difficulty seeing it from a distance. Das Bombardement in der Nacht bringt Francis Scott Key dazu, ein vierstrophiges Gedicht auf die Rückseite eines Briefumschlags zu schreiben. Ein Gedicht, das heute alle Amerikaner kennen, auf jeden Fall die erste Strophe:

O! say can you see
by the dawn’s early light,
What so proudly we hailed
at the twilight’s last gleaming,
Whose broad stripes and bright stars
through the perilous fight,
O’er the ramparts we watched,
were so gallantly streaming?
And the rockets’ red glare,
the bombs bursting in air,
Gave proof through the night
that our flag was still there;
O! say does that star-spangled
banner yet wave,
O’er the land of the free
and the home of the brave?

Die Raketen von Sir William Congreve sind mit dem the rockets’ red glare auch in das Gedicht gekommen. Es ist die amerikanische Nationalhymne geworden, jeder in Amerika kann sie singen. Nur  Donald Trump nicht.

Montag, 2. September 2024

der gute Herzog


Henry Scott, der am 2. September 1746 geboren wurde, war schon einige Male in diesem Blog. Nicht unter dem Namen, sondern mit seinem Titel. Er ist der dritte Herzog von Buccleuch. Und er hat noch ein halbes Dutzend anderer Adelsnamen geerbt, die lassen wir jetzt mal weg, der Wikipedia Artikel listet die alle auf. Er hatte auch eine Vielzahl von militärischen Titeln, unter anderem war er 1778 bis 1812 Captain-General der Royal Company of Archers. Er erbte nicht nur Adelstitel, er erbte auch Schlösser und einen riesigen Grundbesitz. Der heutige Herzog von Buccleuch ist der größte private Grundbesitzer Schottlands. Der junge Herzog war mit diesem Bild schon in dem Post Thomas Gainsborough zu sehen. Der Orden, den er an der Brust trägt, ist der schottische Distelorden, das ist der zweithöchste Orden im Königreich. 1794 legte der Herzog seine Mitgliedschaft im Distelorden nieder, weil ihn George III zusammen mit zwei anderen Herzögen in den Hosenbandorden aufgenommen hatte.

Den Titel eines Herzogs von Buccleuch gab es noch nicht so lange. Charles II hatte seinem unehelichen Sohn James Scott 1663 diesen Titel verliehen. Das steht alles schon in dem Post Stuarts, in dem Sie auch das schöne Lied des James Monmouth von Theodor Fontane lesen können: Es zieht sich eine blutige Spur Durch unser Haus von Alters, Meine Mutter war seine Buhle nur Die schöne Lucy Walters. Das müssen Sie jetzt lesen, das geht nicht anders. Über seine Mutter, die schöne Lucy Walters, können Sie mehr in dem Post the finest Woman of her Age lesen , in dem alle Liebschaften des Königs erwähnt werden.

Der junge Henry Scott war in der privaten Schule von Mr Fountaine in Marylebone, wo er sich unglücklich und verlassen fühlte: almost neglected by my mother, neglected in every respect as to my learning by the masters of the school unknown to my family and connections. Aber in Eton, da lebte er auf, auf die Public School lässt er nichts kommen: no person ever derived so much advantage from a public education as I did. Danach hat er eine Bildungsreise gemacht, die ihn nach Frankreich und in die Schweiz führt, wo er Voltaire kennenlernt. Sein Begleiter auf der Grand Tour ist ein berühmter Mann, es ist der Philosophieprofessor Adam Smith. Der seine Professur in Glasgow sausen ließ, als er hörte, dass man ihm für die Position eines Tutors des jungen Herzogs und dessen Bruders Hew Campbell Scott fünfhundert Pfund jährlich zahlen würde. An der Uni verdiente Smith gerade mal die Hälfte. Er bekommt nicht nur während der Reise diese große Summe (es wären heute 50.000 Pfund), der junge Herzog wird Adam Smith auch jährlich dreihundert Pfund als lebenslange Rente gewähren. Der Philosoph ist für den jungen Herzog zu einem Freund geworden: In October 1766, we returned to London, after having spent near three years together, without the slightest disagreement or coolness on my part, with every advantage that could be expected from the society of such a man. We continued to live in friendship to the hour of his death; and I shall always remain with the impression of having lost a friend whom I loved and respected, not only for his great talents, but for every private virtue. 

Ihre Reise hatte in Toulouse begonnen, wo es eine große englische Gemeinde gab. Adam Smith konnte Latein, aber kaum Französisch; er findet keinen Anschluss an die feine französische Gesellschaft, er langweilt sich. Er schreibt in einem Brief an seinen Freund David Hume in Paris: I had begun to write a book to pass away the time. Das Buch, das er jetzt schreibt, hat nichts mit der Moralphilosophie zu tun, die er an der Universität lehrt, es geht hier um das GeldDer Wohlstand der Nationen wird das Buch heißen, man hat es auch als die Bibel des Kapitalismus bezeichnet. Das Buch, das immer wieder nachgedruckt und in viele Sprachen übersetzt wird, macht aus dem Professor aus der Provinz eine europäische Berühmtheit. Mit Geld wird Henry Scott auch zu tun haben, er wird fünfunddreißig Jahre lang der Gouverneur der Royal Bank of Scotland sein.

Der erste Herzog von Buccleuch (Bild), der in einem Bordell aufwuchs, konnte mit neun Jahren nicht lesen und schreiben. Als Henry Scott neun Jahre alt ist, heiratet seine verwitwete Mutter den Schatzkanzler Charles Townshend. Und der wird für eine gute Erziehung seines Stiefsohns sorgen. Wozu unter anderem Eton und die Grand Tour gehörte. Townshend hatte Adam Smith als Tutor ausgesucht. Es war eine erstaunliche Wahl, denn Smith galt für seine Zeitgenossen als zerstreuter Professor. He was the most absent man in company I ever knew, he appeared very unfit for the intercourse of the world as a travelling tutor, versichern uns Zeitgenossen. Er soll einmal nur mit seinem Schlafrock bekleidet stundenlang durch Edinburgh gewandert sein, bevor er bemerkte, dass er nicht richtig bekleidet war. Aber Townshend hat die Bücher von Smith gelesen und weiß, dass in dem Mann etwas steckt. Die zehn Monate in Paris werden Adam Smith zu einem anderen Menschen machen, werden ihn aufleben lassen. Obgleich er in einem Brief an seinen Freund David Hume die Oberflächlichkeit und Selbstverliebtheit der Franzosen kritisiert, irgendwie genießt Smith dieses Leben. 

Die Grand Tour nimmt in Paris ein trauriges Ende. Zuerst erkrankt der junge Herzog nach einer Jagdgesellschaft mit dem König in Compiègne an einem heftigen Fieber, aber dem berühmten François Quesnay (Bild), mit dem Smith über Ökonomie diskutiert hatte, gelingt es, ihn wieder auf die Beine zu stellen. Quesnay ist nicht nur Nationalökonom, er ist auch der Leibarzt von Madame Pompadour und der Arzt des Königs. Wenig später erkrankt auch der Bruder des Herzogs, die beiden Nationalökonomen Quesnay und Smith werden viele Stunden am Krankenbett verbringen, he is my particular and intimate friend, wird Smith über Quesnay schreiben. Aber alle Mittel der ärztlichen Kunst, Opiate und Aderlaß, helfen nicht, der neunzehnjährige Hew Campbell Scott stirbt am 19. Oktober in Paris. In schottischen Zeitungen hält sich das Gerücht, er sei assassinated on the streets of Paris. Das steht noch 1895 in John Raes Life of Adam Smith, aber davon ist keine Zeile wahr.

Wahrscheinlich ist es dieses traurige Ereignis, das Adam Smith in seinem Buch Der Wohlstand der Nationen über die englische Grand Tour schreiben lässt: Wenn jemand in so jungen Jahren reist und die kostbarsten Jahre seines Lebens, der Obhut der Eltern und Verwandten entzogen, in höchst liederlichem Müßiggang zubringt, so kann sich jeder gute Ansatz einer früheren Erziehung weder festigen noch entwickeln. Für Henry Scott (hier im Alter von Sir John Watson Gordon gemalt) ist die Grand Tour dagegen ein Gewinn. Die drei Jahre mit Adam Smith werden dem jungen Herzog die Augen für die geistige Welt öffnen. Er wird der erste Präsident der Royal Society of Edinburgh werden und wird ein lebenslanger Freund des Schriftstellers Sir Walter Scott sein. Dem er immer wieder finanziell aus der Patsche hilft. Nach dem Tod seines Mäzens veröffentlicht Scott den kleinen Nachruf The Late Duke of Buccleuch and Queensberry. In dem er betont, dass Henry Scott zu den Pächtern seiner Ländereien immer fürsorglich gewesen sei. Im Gegensatz zu dem Duke of Sunderland vertreibt er niemanden von der Scholle. Denn die romantische Verherrlichung Schottlands, die mit Walter Scott beginnt, vernebelt die schottische Realität. Die Sunderlands und die Chiefs der Clans vertreiben in den sogenannten Highland Clearances ihre Pächter, weil sie den Grund und Boden für die Schafzucht brauchen. Sie treiben so ihre eigenen clansmen in die Emigration. Eine ethnische Säuberung der besonderen Art. Daran hat Henry Scott nicht den geringsten Anteil. 

Henry Scott, der mit vier Jahren Herzog von Buccleuch geworden war, wird seine Besitzungen in Schottland erst sehen, wenn er zwanzig ist. Danach wird er sich um sie kümmern. Er hatte 1767 Lady Elizabeth Montagu (hier von Gainsborough gemalt) geheiratet und machte mir ihr die Hochzeitsreise nach Dalkeith House, einem Schloss, das den Buccleuchs seit 1642 gehörte. Scott behält zwar noch seine Stadtwohnung in London am Grosvenor Square, aber hier in Midlothian will er bleiben. Er beauftragt den berühmten Architekten Robert Adam, das Schloss umzubauen. Und er freundet sich schnell mit seinem Nachbarn Henry Dundas an, der der politisch mächtigste Mann Schottlands werden wird. Der lässt sich auf seinem Besitz ein scheußliches neugotisches Schloss bauen, er hätte lieber Robert Adam als Architekten nehmen sollen. Der Herzog kümmert sich jetzt um die Landwirtschaft. Er soll sich, so wird berichtet, ähnlich wie Harun al Raschid, in Verkleidung unters Volk gemischt haben, um deren Sorgen und Nöte zu erfahren. Es ist eine schöne Geschichte, aber sie enthält einen wahren Kern. Henry Scott sorgt für seine Pächter, diskutiert mit Bauern und Förstern, lässt neue Wälder anpflanzen und erprobte mit Hilfe seines Verwalters William Keir neue Methoden der Landwirtschaft. Seinen alten Tutor Adam Smith hat er nicht vergessen, er wird dafür sorgen, dass Smith 1778 zum Zollkommissar von Schottland berufen wird. Eine Tätigkeit, die der Philosoph mit großer Energie gegen Tee- und Branntweinschmuggler wahrnehmen wird. Da bekommt die unsichtbare Hand seines poltischen Systems doch etwas Reales.

Leider gibt es keine schöne Biographie über den dritten Herzog von Buccleuch, also so etwas, was Elizabeth Longford zu schreiben pflegte. Es gibt seit zehn Jahren das sehr gute Buch von Brian Bonnyman The Third Duke of Buccleuch and Adam Smith: Estate Management and Improvement in Enlightenment Scotland, von dem man einen Teil bei Google Books lesen kann. Das Portrait auf dem Cover des Buches stammt von der schottischen Malerin Catherine Read, die auch die Kinder des Herzogs portraitierte. Wenn es auch keine schöne Biographie gibt, in der schönen Literatur kann man den Herzog finden. Am Anfang von The Great Gatsby sagt der Erzähler Nick Carraway: My family have been prominent, well-to-do people in this middle-western city for three generations. The Carraways are something of a clan and we have a tradition that we’re descended from the Dukes of Buccleuch, but the actual founder of my line was my grandfather’s brother who came here in fifty-one, sent a substitute to the Civil War and started the wholesale hardware business that my father carries on today. Ich weiß nicht, wie F. Scott Fitzgerald auf die Buccleuchs gekommen ist. Der Herausgeber der Cambridge Edition der Werke Fitzgeralds vermutet einen kleinen privaten Scherz, weil Fitzgerald ja auch ein Scott in seinem Namen hatte.