Dienstag, 31. August 2010

Blechliesel


Ein eleganter Mann dieser Henry Ford, was er trägt, könnte man heute noch anziehen. Scharf, diese engen Hosen. Das Auto neben ihm, das im Volksmund den schönen Namen Tin Lizzie tragen sollte, wirkt nicht so modern wie seine Kleidung. Heute vor 79 Jahren wurde das Modell A (der Nachfolger des berühmten Model T) eingestellt und das Modell B gebaut. Vom Modell A waren schon mehr als 4.3 Millionen gebaut worden. Ein wahrer Volkswagen. Das Modell B trägt in Deutschland den Namen Rheinland und den Zusatz Deutsches Erzeugnis, alles ist jetzt in Deutschland deutsch. Bertolt Brecht, der gerade Deutschland verlassen musste, dichtete damals im Alfabet:

Ford hat ein Auto gebaut
das fährt ein wenig laut,
es ist nicht wasserdicht
und fährt auch manchmal nicht.

Brecht fährt jetzt im dänischen Exil einen Ford A, vorher hatte er einen Steyr gefahren. Den hatte er von der österreichischen Firma als Dank für sein Gedicht Singende Steyrwägen bekommen. Den hat jetzt die Gestapo beschlagnahmt. Nach dem Krieg hatte Brecht dann wieder einen Steyr 220 gekauft, er bleibt der Marke treu. Vielleicht fuhr er keinen Ford mehr, weil er inzwischen erfahren hatte, dass Ford von Hitler begeistert war und ein Buch über die Juden geschrieben hatte.

Das offensichtlich, so die Aussage von Baldur von Schirach im Nürnberger Prozess, viele beeinflusst hatte: Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ich damals las und das Buch, das meine Kameraden beeinflußte [...] war das Buch von Henry Ford 'Der internationale Jude'. Ich las es und wurde Antisemit. Dieses Buch hat damals auf mich und meine Freunde einen so großen Eindruck gemacht, weil wir in Henry Ford den Repräsentanten des Erfolgs, den Repräsentanten aber auch einer fortschrittlichen Sozialpolitik sahen.

Und passend zu dem Photo hier von der Verleihung des Deutschen Adlerordens (Henry Ford trägt hier bei der Verleihung einen eleganten weißen Anzug, weiß: die Farbe der Unschuld), habe ich noch ein Gedicht aus der Firmenzeitung von Ford Deutschland aus dem Jahre 1940, das emphatisch den deutschen "Führer" preist:

Wir haben Dir einmal geschworen,
Nun sind wir auf Immer Dein.
Wie Bäche im Strom verloren
Münden wir in Dich ein.
Auch wenn wir Dich einmal nicht fassen,
Werden wir mit Dir gehn.
Einst wirst Du uns schauen lassen,
Was Du vor uns gesehn.
Herzen wie erzene Schilde
Haben wir um Dich gestellt.
Und es ist uns, als hielte
Gott durch Dich seine Welt.


Ford Automobile sind der Beginn von Amerikas love affair mit dem Auto, zwischen 1900 und 1920 ist die Zahl der Automobile von achttausend auf acht Millionen gestiegen. Seit Mitte der zwanziger Jahre gibt es in Amerika auch ein durchgehendes Straßennetz. Dank Napoleon haben wir das in Europa schon etwas früher. Die ersten Tin Lizzies hatten noch den Radstand, der einem Pferdewagen entsprach, so passten sie in die Spur.

1930 ist die Firma Ford nach Deutschland gekommen. Da war sogar Henry Ford nach Köln gekommen. 1929 hatte Konrad Adenauer den Vertrag über den Bau des Fordwerkes in Köln unterschrieben. Obgleich sie vorher (seit 1926) in Berlin Moabit noch importierte T Modelle zusammenschraubten, war das erste, was sie in Köln-Niehl bauten, das Modell A. Kostete 3.750 Mark, das 1,8 Liter Modell von Opel war fünfhundert Mark billiger. Dann brachte Ford ein Billigmodell namens Köln für 2.250 Mark heraus, um mit den preiswerteren Opelmodellen konkurrieren zu können. Sah aber scheußlich aus, dagegen wirkte das Modell Rheinland (3.900 Mark) wie ein richtiges Auto. Hatte aber diese Kastenform, andere Firmen in Amerika wie zum Beispiel das Chrysler Airflow Modell haben jetzt schon das Stromliniendesign. Ganz Amerika tobt sich in den dreißiger Jahren im Design aus, schönere Autos als die Auburns, Cords und Duesenbergs sind nie wieder gebaut worden.

Styling und Design sind niemals die Sache von Ford gewesen, außer dem Ford Mustang hat es ja auch nie ein aufregendes Ford Modell gegeben. Aber Ford kann sich der Stromlinie nicht verschliessen, und so zeigt das Ford Eifel Cabrio von 1935 schon geschwungene Linien. Vollends der Ford V8, das größte Auto, das Ford in Köln baut. Kostet 5.085 Reichsmark, dafür kriegt man schon einen Mercedes. 1939 kam dann der Ford Taunus, der nur Buckeltaunus hieß (und eine schlechte Imitation des Chrysler war). Der wurde noch in den fünfziger Jahren gebaut. Dann kam der potthässliche 12 M mit der Weltkugel am Kühler (und der Vorkriegstechnik vom Ford Eifel innen drin), die später durch das Kölner Stadtwappen ersetzt wurde. Offensichtlich hatte man in Köln begriffen, dass es für die ganze Welt noch nicht reichte.

Wenn man bedenkt, dass es in dieser Zeit in Deutschland noch über hundert verschiedene Automarken gibt, die häufig ein viel schöneres Design haben (und auch häufig qualitativ viel besser sind), finde ich es erstaunlich, dass Ford am deutschen Markt überhaupt reüssiert. Es gibt ja auch wenige Firmen, die für ihr Design so viele Spitznamen bekommen haben, da sind Badewanne und Gelsenkirchener Barock ja geradezu nett. Von der amerikanischen Designkatastrophe, dem Ford Edsel (die Abkürzung von every day something else leaks) wollen wir jetzt lieber nicht reden.

Das Originellste, was Ford zur Zeit produziert, ist ein neuseeländischer Werbespot, der das Gedicht The Road not Taken von Robert Frost in Bilder setzt. Das ist nun schon wieder sophisticated und Welten von dem Führer Gedicht von 1940 entfernt.

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I—
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.


Ich weiß zwar nicht, was Ford uns damit sagen will - das weiß ich bei den meisten Werbespots für Automobile nicht - ist aber nett gemacht. Erstaunlich, wofür man Robert Frost alles gebrauchen kann. Kennedy brauchte ihn damals für seine Inaugurationsfeier, als der greise Dichter The Gift Outright vortrug. Bei dem YouTube Video findet sich ein witziger Kommentar That's a FORD ad? Wow. Awesome interpretation of the poem. I don't much want to buy a Nazi Ford automobile, but still, a good vid.











Das letzte Wort soll heute Dick Feller haben, der den schönen Song Lord, Mr. Ford geschrieben hat, den Jerry Reed 1973 sang

Well, if you're one of the millions who own one of them gas drinking, piston clinking, air polluting, smoke belching, four wheeled buggies from Detroit City, then pay attention; I'm about to sing your song son. 

Well, I'm not a man appointed judge 
To bear ill-will and hold a grudge 
But I think it's time I said me a few choice words 
All about that demon automobile 
A metal box with the polyglass wheel 
The end result to the dream of Henry Ford 
Well, I've got a car that's mine alone 
That me and the finance company own 
A ready made pile of manufactured grief 
And if I ain't out of gas in the pouring rain 
I'm a-changing a flat in a hurricane 
I once spent three days lost on a cloverleaf 
Well, it ain't just the smoke and the traffic jam 
That makes me the bitter fool I am 
But this four wheel buggy is a-dollaring me to death 
For gas and oils and fluids and grease 
And wires and tires and anti-freeze 
And them accessories, well honey that's something else 
Well, you can get a stereo tape and a color tv 
Get a backseat bar and reclining seats 
And just pay once a month, like you do your rent 
Well, I figured it up and over a period of time 
This four thousand dollar car of mine 
Costs fourteen thousand dollars and ninety-nine cents 
Well, now Lord Mr. Ford, I just wish that you could see 
What your simple horseless carriage has become 
Well, it seems your contribution to man 
To say the least, got a little out of hand 
Well, Lord Mr. Ford, what have you done 
Now the average American father and mother 
Own one whole car and half another 
And I bet that half a car is a trick to buy, don't you? 
But the thing that amazes me I guess 
Is the way we measure a man's success 
By the kind of an automobile he can afford to buy 
Well now, red light, green light, traffic cop 
Right turn, no turn, must turn, stop 
Get out the credit card honey, we're out of gas 
Well, now all the car's placed end to end 
Would reach to the moon and back again 
And there'd probably be some fool pull out to pass 
Well now, how I yearn for the good old days 
Without that carbon monoxide haze 
A-hanging over the roar of the interstate 
Well, if the Lord that made the moon and stars 
Would have meant for me and you to have cars 
He'd have seen that we was all born with a parking space 
Lord Mr. Ford, I just wish that you could see 
What your simple horseless carriage has become 
Well, it seems your contribution to man 
To say the least, got a little out of hand 
Well, Lord Mr. Ford, what have you done 
Come away with me Lucille 
In my smoking, choking automobile

Die letzten Zeilen, in denen sich Lucille auf automobile reimt, sind aus dem über hundert Jahren alten Song In my merry Oldsmobile. Damals sah das automobile Paradies noch etwas anders aus.


Montag, 30. August 2010

Emily Ruete


Beim Blick in den Kalender las ich, dass am 30. August 1844 Emily Ruete geboren wurde. Emily Ruete, ich hätte ja gleich den Wikipedia Eintrag anklicken können, aber ich wollte mein Gedächtnis testen. Ich wusste, dass ich den Namen kannte, und dass eine abenteuerliche Geschichte daran hing. Und während ich meine Pfeife stopfte - dabei hat man immer die besten Ideen, das wußte schon Sherlock Holmes - sagte mein Gedächtnis plötzlich Gerhard Rohlfs (über den hatte ich ja schon einmal hier geschrieben). Und da war sie wieder, die Geschichte von der Prinzessin aus Sansibar, die einen Hamburger Kaufmann liebt und mit ihm nach Deutschland flieht. Weil sie von einem Christen schwanger ist, dafür wird man in dieser Welt noch gesteinigt. Könnte in dieser Welt heute wieder geschehen. M.M. Kaye, die mit The Far Pavillions (Palast der Winde) berühmt wurde, hatte die  Geschichte der Sultanstochter schon in den Roman Trade Wind (Insel im Sturm) eingearbeitet, sie schreit ja auch geradezu danach, als Kitschroman recycelt zu werden.

Emily Ruete ist als Sanyyida Salme, Tochter des Sultans von Oman und Sansibar, am 30. August 1844 in Sansibar geboren worden. Sie ist einem Sultanspalast aufgewachsen und hatte eine unbeschwerte Kindheit. Wie immer Sultanspaläste damals aussehen (das Photo weiter unten ist ja ganz eindrucksvoll). Als ihr Vater stirbt, erbt sie viel (unter anderem einige Gewürznelkenplantagen, damit macht man auf Sansibar damals viel Geld). Zu ihrem Halbbruder, dem neuen Sultan, hat sie ein sehr gutes Verhältnis. Über die kleine Palastrevolution, in die verstrickt ist,  wollen wir jetzt mal nicht reden. Der Hamburger Rudolph Heinrich Ruete vertritt (bevor er sich mit Ruete & Co. selbständig macht) die Firma Hansing & Co., die sind neben der Firma O'Swald die einzigen Deutschen auf Sansibar. Sie haben eine Faktorei, sind Reeder und betreiben Bankgeschäfte. Die O'Swalds hießen ursprünglich Oswalds, aber das ist dem Begründer der Dynastie nicht englisch genug, er nennt sich statt Wilhelm Oswald William O'Swald. Ich habe einmal vor Jahrzehnten in einem Hamburger Antiquariat ein Buch mit der Signatur eines O'Swald gekauft, weil mir diese Hamburgische Anglomanie so schön bescheuert vorkam. Ein Nachfolger von Ruete im Dienst von Hansing & Co namens Justus Strandes wird zu den Gründern von Deutsch-Ostafrika gehören.

Als Salme 1866 mit dem Hamburger Ruete flieht, ist Europa vom Orient begeistert. Ein Orientalismus, spätestens seit Napoleons Ägypten Abenteuer und Delacroix' Bildern, macht sich überall breit. Verdi schreibt seine Aida, Flaubert Salambo (ein Lokal auf St. Pauli hieß später auch so), Ingres malt Harems und selbst in Deutschland gibt es Orientmaler wie Gustav Bauernfeind (siehe oben), von Malern wie Makart ganz zu schweigen. Das wäre jetzt die richtige schwül schwülstige Atmosphäre für die geflohene Prinzessin, so einen richtig schönen Kitschroman aus tausendundeiner Nacht zu schreiben. So irgendwas in der Art von Der Tiger von Eschnapur. Der Bestsellerstatus wäre vorprogrammiert. Emily Ruete wird später noch schreiben, aber Die Memoiren einer arabischen Prinzessin sind nicht das, was man erwarten könnte.

Die eigenwillige Sultanstochter (auf allen Photos eine schöne und elegante Frau), die aus Liebe zu dem jungen Hamburger Kaufmann zum Christentum übertritt, wird sie glücklich werden in dem kalten Hamburg? Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber es kommt alles anders. Zuerst überlebt ihr Kind die strapaziöse Reise nicht. Und dann stirbt ihr Mann, dem sie noch drei Kinder geboren hat, im Jahre 1870. Er war von einer Pferdebahn in Uhlenhorst (die Ruetes wohnten damals in Uhlenhorst, Schöne Aussicht 29, ist immer noch eine feine Adresse in Hamburg) abgesprungen, gestolpert und unter die Bahn geraten. Starb eine Woche später, eins der ersten Opfer des öffentlichen Personennahverkehrs in Hamburg. Wenig später stirbt auch ihr Bruder, zu dem sie trotz der Flucht noch die besten Beziehungen hatte. Und da sitzt nun unsere arabische Prinzessin mit drei kleinen Kindern in Hamburg. In dieser Gesellschaft von bornierten Pfeffersäcken, die sie nicht akzeptiert. Vor allem nicht, wenn sie beginnt, geborene Prinzessin von Sansibar und Oman hinter ihren Namen zu setzen. Das mögen die stieseligen Hamburger ja gar nicht. Wenn man die Jugenderinnerungen von Ascan Klée Gobert (der Vater des Schauspielers Boy Gobert) liest, kann man einen schönen Eindruck von dieser Gesellschaft bekommen. Emily hat auch Verständigungsschwierigkeiten, das Hamburgische Missingsch versteht sie nicht, mit ihrem Mann konnte sie sich auf Kisuaheli unterhalten. Sie wird aber die deutsche Sprache eines Tages noch perfekt beherrschen.

Eigentlich möchte sie zurück nach Sansibar. Sie schreibt Briefe über Briefe (die eines Tages als Briefe nach der Heimat erscheinen werden) an die Verwandten, legt auch Photos der Kinder bei. Sie möchte auch an ihr Erbe kommen, das sie nach islamischem Recht eigentlich mit dem Übertritt zum Christentum verloren hat. Aber aus Verpflichtung zu ihrem Mann möchte sie auch, dass ihre Kinder eine gute deutsche Erziehung bekommen. Sie wird Hamburg 1872 verlassen, nach Dresden gehen, Rudolstadt, Berlin, Köln und wieder Berlin. Der deutsche Adel füttert die arabische Prinzessin durch. 1875 beginnt sie zu schreiben, 1886 erscheinen Die Memoiren einer arabischen Prinzessin, die ein beachtlicher Publikumserfolg werden. Da erfahren ihre Kinder auch zum ersten Mal, dass ihre Mutter eine Prinzessin ist.

Zu dem Zeitpunkt ist sie schon eine Schachfigur in Bismarcks Afrikapolitik geworden. Als Bismarck den Afrikaforscher Gerhard Rohlfs (Bild) zum Generalkonsul von Sansibar ernennt (nachdem er zuvor mit ihm in Friedrichsruh Heringshäppchen gegessen hat), schlägt er ihm vor, dass er Frau Ruete auf einem deutschen Kriegsschiff nach Sansibar mitnimmt. Damit sie ihre Ansprüche in Sansibar geltend macht. Doch so wenig Fertigkeiten Rohlfs in der Kunst der Diplomatie hat, das scheint ihm doch ein wenig zuviel des Guten. Er wird Frau Ruete nicht auf dem Kriegsschiff mitnehmen und wird einen großen Teil der Reise auf einem englischen Postdampfer machen (auf Madeira hat er den deutschen Kreuzer verlassen).

Dadurch brüskiert er natürlich Berlin und die kaiserliche Marine. Er nimmt sich der Sache von Emily Ruete an, tritt dabei aber in alle Fettnäpfchen, die so herumstehen. Den deutschen Kreuzer Gneisenau vor der Küste Sansibars Artillerieübungen veranstalten zu lassen, ist vielleicht nicht der richtige Weg für diplomatische Verhandlungen. Obgleich das eigentlich im Sinne Bismarcks sein müsste, der in einer Notiz geschrieben hatte: Frau Ruete ist für uns lediglich ein Anlaß zu Forderungen dem Sultan gegenüber. Für ihr Schicksal und ihre beaux yeux können wir die Reichsinteressen nicht einsetzen. Nötigt uns der Sultan durch sein sonstiges Verhalten zu militärischer Gewalt, so ist die deutsche Bürgerin Ruete mit ihren Rechten ein nützliches Argument, um Gewalt zu rechtfertigen. In Berlin bereitet man schon eine militärische Invasion Sansibars vor und schickt einen Admiral mit Namen Knorr mit Kriegsschiffen vorbei. Als die Bürgerin Ruete mit einem Lloyd Dampfer in Sansibar ankommt, liegen da schon Ihrer Majestät Schiffe Stosch (Bild), Gneisenau, Elisabeth und Prinz Adalbert im Hafen.

Ich lasse jetzt mal alle diplomatischen Winkelzüge beiseite, letztlich wird aus dem Sansibarabenteuer nichts. Bismarck kneift vor den Engländern. Emily Ruetes Sansibarbesuch verläuft ergebnislos, ihr Bruder weigert sich, sie zu empfangen. Und Gerhard Rohlfs ist schon nach einem halben Jahr abberufen worden, da ist er ganz froh drüber, das ist nicht seine Welt. Die deutschen Faktoreien wie Hansing hatten sich beklagt, dass er ihre kolonialistischen Interessen nicht genügend vertrat. Stattdessen wollte der Idealist Rohlfs dem Sultan den Sklavenhandel verbieten. Da wird er sofort von Bismarck abgewatscht, Philantropismus liege außerhalb Ihrer Aufgaben und desgleichen die Beteiligung an der Anti-Sklaverei Politik der Engländer. Gerhard Rohlfs geht auch nicht auf die nötige feindliche Distanz zu dem englischen Generalkonsul, da er Sir John Kirk (der Livingstone begleitet hatte) von früher kennt und als Forscherkollegen schätzt. Überall auf der Welt stehen sich Deutsche und Engländer feindlich gegenüber, hier in Sansibar dinieren der deutsche und englische Generalkonsul wie Freunde miteinander.

Genau wie Kirk (Bild) steht Rohlfs der Plänen von Dr. Peters in Ostafrika negativ entgegen und ist auch naiv genug, das nach Berlin zu schreiben. So kann er sich nicht wundern, wenn er von seinen Berliner Feinden im schönsten Amtsdeutsch beschrieben wird als: Nicht von Haus aus Beamter und von daher mit jenem allen amtlichen Organisationsstrukturen gemäßen Schematismus nicht vertraut, der auch seiner Aufgabe zugrunde lag, nicht dazu zu bewegen, sich den Gepflogenheiten seines - und ebenso des Auswärtigen - Amtes anzupassen, etwa die regelmäßige Berichterstattung strikt einzuhalten, kein geschulter Diplomat und damit innerhalb des exklusiven Diplomatischen Dienstes ein Fremdkörper. Klingt irgendwie sehr deutsch, dieses Todesurteil für idealistische Quereinsteiger, den Text könnte man bestimmt heute noch verwenden. Auch den Mediziner und weltberühmten Botaniker Sir John Kirk werden die Engländer im gleichen Jahr abberufen. Die Berliner Kongokonferenz hatte den Wettlauf um Afrika nur beschleunigt, jetzt werden in der Politik andere gesucht als Botaniker oder Afrikaforscher. Zwar steht das Verbot des Sklavenhandels in dem schönen Papier, auf das man sich einigt, aber niemand wird sich dafür interessieren, was König Leopold im Kongo macht.

Und obgleich sich Frau Ruete auch über ihn beklagt hat (sie beherrscht für die Durchsetzung ihrer Interessen ja alle Formen der Intrige, die Rohlfs fremd sind), wird Gerhard Rohlfs sich weiter für die Familie Ruete einsetzen. Besonders für ihren Sohn Rudolph (der noch ein deutscher Diplomat in Beirut wird), der für ihn eine Art Ersatzsohn ist. Er wird 1890, als Caprivis Sansibar Vertrag zwischen England und Deutschland perfekt ist, in der Kölnischen Zeitung einen langen Artikel schreiben, in dem er für ihre Ansprüche wirbt. Man sollte es kaum für möglich halten, daß einer deutschen Frau ein solches Unrecht geschehen konnte, schreibt er.

Und endet seinen Artikel mit den Worten: Aber noch ist es nicht zu spät, Deutschland hat die Verpflichtung, bei der Regelung der sansibarischen Geschäfte für die deutsche Frau Ruete einzutreten. Aus der Liebesgeschichte zweier junger Leute (Salme ist zweiundzwanzig, Johann Heinrich Ruete siebenundzwanzig Jahre alt, als sie sich treffen) ist Weltpolitik geworden. Oh, East is East, and West is West, and never the twain shall meet, Till Earth and Sky stand presently at God's great Judgment Seat, hatte Kipling gedichtet. Emily Ruete, die 1924 in Jena starb, liegt heute neben ihrem Mann auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg begraben.

Emily Ruetes Autobiographie ist vor Jahren von der deutschen Ethnologieprofessorin Annegret Nippa herausgegeben worden, leider ist diese Ausgabe schon wieder vom Markt verschwunden. Die englische Ausgabe Memoirs of an Arabian Princess from Zanzibar ist dagegen leicht erhältlich (eine Ausgabe von 1907 kann man hier lesen). Die ultimative, kommentierte Ausgabe ihrer Schriften (in englischer Sprache) ist An Arabian Princess Between Two Worlds: Memoirs, Letters Home, Sequels to the Memoirs, Syrian Customs and Usages  herausgegeben von dem holländischen Orientalisten Emeri Johannes van Donzel. Ist allerdings mit 276,99 € etwas teuer. Man kann jedoch den größten Teil der hervorragenden Einleitung (die auch die beste Skizze ihres Lebens enthält) bei Google Books lesen.

Die Briefe von Gerhard Rohlfs an die Familie Ruete liegen im Gerhard Rohlfs Archiv des Vegesacker Heimatmuseums im Schönebecker Schloß. Allerdings hat sich da seit den Tagen, da der Studienrat Dr. Alwin Belger in den dreißiger Jahren begonnen hatte, den gesamten Rohlfs Nachlass zu katalogisieren, editionsmäßig nicht so viel getan. Alwin Belger war der Lieblingslehrer meiner Mutter am Lyceum gewesen, er hatte im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger ein Bein verloren, und er ist in den letzten Kriegstagen zufällig durch eine englische Granate getötet worden. Nur wenige Meter entfernt von unserem Heimatmuseum, in dem er die letzten Jahrzehnte mit der Aufarbeitung des Gerhard Rohlfs Nachlasses verbracht hat. Da hat Dr. Belger gearbeitet, pflegte mein Opa zu sagen, wenn wir sonntags das Heimatmuseum betraten, und dieser kleine Raum mit all den Gerhard Rohlfs Reliquien ist in meiner Erinnerung immer mit Dr. Belger verbunden gewesen, dessen Arbeiten über den berühmten Sohn unserer Stadt nie zu einem Abschluss gekommen sind. Ich finde es schön, dass die Erinnerung an Emily Ruete durch einen Gelehrten wie Emeri Johannes van Donzel wachgehalten wird. Warum schreibt nicht endlich einmal jemand ein wirklich gutes Buch über Gerhard Rohlfs? Seit ich an einer Schule, die seinen Namen trägt, Abitur gemacht habe, verfolgt mich der Kerl. Ich habe alles gelesen, was über ihn erschienen ist, aber bis auf einen schmalen Band eines DDR Autors namens Wolfgang Genschorek aus dem Jahre 1982 kann man das alles vergessen.

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Sonntag, 29. August 2010

Birdland


Heute vor neunzig Jahren wurde Charlie Parker geboren. Er war einer der berühmtesten Saxophonisten des Jazz. Er hatte ein kurzes Leben, fünfunddreißig Jahre später war er schon tot. Der Penguin Guide to Jazz von Richard Cook und Brian Morton widmet ihm dreizehn Seiten, einer der längsten Artikel in dem Buch. Nur noch Miles Davis und John Coltrane kommen da seitenmäßig heran. Unser berühmter deutscher Philosoph Theodor Adorno kannte die Musik von Charlie Parker überhaupt nicht, wie sein Biograph Stefan Müller-Doohm sagt: Wir haben den Jazz gegen Adorno verteidigt. Wir waren der Auffassung, daß Charlie Parker, Miles Davies, Theolonious Monk Avantgarde-Musik gemacht haben. Wobei man sehen muß, daß Adorno wenig Kontakt hatte, den Bebop kannte er überhaupt nicht. Er bezog sich eher auf Benny Goodman, es war da sehr schwer mit ihm Kirschen essen. Und so konnte dieser Geistesriese, an dem sich eine ganze Generation abarbeitete, auch sagen Jazz hat mit Kunst überhaupt nichts zu tun. Andere waren da anderer Meinung.

He breathed in air
He breathed out light
Charlie Parker was my delight.


hat Adrian Mitchell gedichtet, einer der Liverpool Poets. Dichter und Schriftsteller sind immer wieder von Charlie Parker fasziniert gewesen, er ist häufiger in die Literatur gewandert als zum Beispiel Don Byas (obgleich ich den sehr gerne höre). In P.J. Kavanaghs The Perfect Stranger: A Memoir findet sich eine Szene, wo der junge Kavanagh nachts mit Charlie Parker durch Paris wandert. Man glaubt beim Lesen, Charlie Parkers Saxophon in den stillen Straßen zu hören. Und Clint Eastwood hat einen ganzen Film über ihn gedreht. Bei dem Soundtrack hat man aber das Saxophon von Charlie Parker mit einer anderen Band unterlegt, vielleicht hätte man das besser lassen sollen. Ein amerikanischer Dichter namens Joseph Pacheco hat ein langes Charlie Parker Gedicht geschrieben (in der Sammlung The First of the Nuyoricans: Sailing to Sanibel 2002), klingt ein wenig wie John O'Haras Gedicht auf Billie Holiday (The Day Lady Died), nur länger. Falls Sie das gerade nicht parat haben sollten, tue ich es mal hier hin:

The Day Lady Died

It is 12:20 in New York a Friday
three days after Bastille day, yes
it is 1959 and I go get a shoeshine
because I will get off the 4:19 in Easthampton
at 7:15 and then go straight to dinner
and I don’t know the people who will feed me

I walk up the muggy street beginning to sun
and have a hamburger and a malted and buy
an ugly new world writing to see what the poets
in Ghana are doing these days
I go on to the bank
and Miss Stillwagon (first name Linda I once heard)
doesn’t even look up my balance for once in her life
and in the golden griffin I get a little Verlaine
for Patsy with drawings by Bonnard although I do
think of Hesiod, trans. Richmond Lattimore or
Brendan Behan’s new play or Le Balcon or Les Nègres
of Genet, but I don’t, I stick with Verlaine
after practically going to sleep with quandariness

and for Mike I just stroll into the park lane
Liquor Store and ask for a bottle of Strega and
then I go back where I came from to 6th Avenue
and the tobacconist in the Ziegfeld Theatre and
casually ask for a carton of Gauloises and a carton
of Picayunes, and a new york post with her face on it

and I am sweating a lot by now and thinking of
leaning on the john door in the 5 spot
while she whispered a song along the keyboard
to Mal Waldron and everyone and I stopped breathing


Pachecos Gedicht verdankt John O'Hara einiges. Aber es ist schön, sehr dicht, man könnte es nicht besser sagen. Vor dem Lesen sollte man natürlich unbedingt Ornithology von Charlie Parker auflegen.

The Night Charlie Parker Played Tenor at Montmartre Café in Greenwich Village

Like I knew when it was happening
that fifty years after
I could still tell you about it
and you still wouldn't really believe me: It's one 'clock in the morning
and I wander into Montmartre looking
for Tom and Rod so that we can go over
to the White Horse, play chess and drink 'arf n arf',
the half-stout, half-lager house special they serve
that's ten times stronger than the watered down rotgut
they are serving here in Montmartre
because the place is backed and being run by the local dons
who can't run anything strictly legit,
even when they are trying to cash in
on the bohemian craze
and the success of the coffee houses
like Rienzi's and Pandora's Box
and the jazz places like Vanguard
who every night pack in tourists
coming to look at us locals
dressed like bums with our long hair, jeans and sandals,
our uniforms of art and protest,
nursing the cappuccino or the stein of beer
while we carry on our business
of bull----ing each other up and down
the Kierkegaard, Sartre and Zen Buddhist block,

Rienzi's, Pandora's and the Van are making money
like no one was supposed to,
including Tom's place, which is the Café Figaro,
but the guys running the Montmartre
don't like the locals because they dress "sloppy,"
can nurse a drink all night
and try to smoke joints disguised as cigarettes,
which they call "bombers",
so they stop letting the locals sit at tables,
institute (would you believe) a dress code
and now every night
there are fewer tourists to stare
at the handful of better dressed locals
who have bothered to try to make it past Ruffino
the bouncer maitre d' at the door,
who is also my childhood buddy
and who tells me,
"it's slower than Ernie Lombardi tonight,
but something's happening with the jazz guys
in the front." Tom and Rod wave at me,
bursting with excitement like kids
watching the neighbor's wife undress
with the shade up, and I know
it's not a chess move but something real cool and unusual coming down.
Tom points to the musicians, a jazz quartet
Montmartre hired on the cheap,
and they are moving an extra chair onto the stand
and the tenor sax player is handing
his horn and strap to a fat guy in a rumpled suit
who looks just like and is
CHARLIE PARKER!
YARDBIRD!
Here at Montmartre!
And he is going to blow tenor, not alto.

He warms up for a minute with runs and arpeggios
that any sax player would die for
but as a former tenor man
I can tell his tone
is no threat to Byas or the Hawk
and he will thin the tenor into an alto
with his first blow.
The other musicians wait in reverence,
as if they are standing before St. Peter
waiting to be admitted to heaven,
the leader and the Bird nod at each other
and off they fly into Ornithology,
with the Bird trying to teach everyone
just how high the moon was, is, and will ever be
and how high he is now.
He zigs and zags through ins and outs of chords
in quantum leaps of invention,
he follows a two-note "mop mop"
with a five-hundred-notes-a-minute-
run-lasting-for-what-almost-seems-
all-of-jazz-eternity,
leaving us breathless from listening,
segueing back to the melody
and to the other musicians
who have been happy just to listen,
keep the beat and play the chords

but now with encouraging nods from Bird
they try their own tentative solos
which get more confident as they go along
for now they can tell everybody,
agents, other musicians, their children
and their children's children
fifty years after, just like I'm doing now
that they played with Charlie Parker...
Bird grabs the tenor again
and the room bursts into one great haze
of waitresses pushing drinks,
tourists not knowing just where they're at
or what they're listening to,
management and stoned locals wondering
what's the big deal with this Fatso
and when can we close up,
but Tom and Rod and I and just a few others
inhaling and savoring this hippest
of puffy fat black dying junkie miracles
glowing and blowing at the center of the haze
like Orpheus unbound,
know as we gaze at each other
in the coolest of surmises
that we are living in a moment
like no other in jazz and human history
and which most of you won't believe
even fifty years after:
Charlie Parker playing
a borrowed tenor sax for free
in Montmartre Café in Greenwich Village,
a few weeks before he died.


Samstag, 28. August 2010

HiFi


Das wird heute ein gefährliches Thema, da hat jeder seine eigene Meinung. Objektive Kriterien gibt es nicht. Also ich rede von dem da oben, dem NAD Verstärker 3020. Er kam 1979 auf den Markt und bekam praktisch aus dem Stand Kultstatus. War auch nicht teuer, aber klang hervorragend. NAD heißt New Acoustic Dimension, war eine englische Firma, zusammengeschraubt wurde das Teil (wie beinahe alles) in China. Der Konstrukteur Björn Erik Edvardsen hat in der Welt der High Fidelity einen guten Namen. Äußerlich sah der 3020 nach nix aus, orientierte sich eher an dem coolen Design, das Dieter Rams für die Firma Braun entworfen hatte. Der 3020 war ein Vollverstärker, das heißt, dass man auch einen Plattenspieler mit ihm betreiben konnte. Das kann man heute mir vielen Verstärkern nicht mehr. Wahrscheinlich weil viele gar keinen Plattenspieler mehr haben.

Es gibt beim Kauf eines Verstärkers ja eine Vielzahl von Kriterien, von denen die Leistung in Watt nur eine ist. Für viele das entscheidende Kriterium. Je mehr Watt desto besser. Und dann so Wummerboxen, mit denen man die Allianz Arena in München beschallen kann. Mit viel Watt konnte der NAD niemals aufwarten (ich glaube, sogar mein Autoradio hat mehr). Aber dafür hatte er diesen Klang, schon beinahe wie ein Röhrenverstärker. In dem teuersten HiFi Laden meines Ortes lief die Musik aus Lautsprechern, die beinahe die Größe einer Telephonzelle  hatten und zwanzigtausend Mark das Stück kosteten. Und betrieben wurde das Ganze von einem kleinen NAD 3020 für 280 Mark. Die hätten natürlich auch einen schweineteuren Burmester Verstärker nehmen können, aber nein, der kleine NAD diente als Referenzmodell. Cool.

Mein NAD betreibt zwei Lautsprecher der Firma T+A. Die sitzen in Ostwestfalen, nicht in China. T+A heißt Theorie und Anwendung, ein netter Name. Ob das für den Export in englischsprachige Länder so gut ist, weiß ich nicht.  T and A is short for "Tits and Ass", a label applied to forms of entertainment (movies, magazines, videogames) that exist primarily to display scantily clad female bodies. T & A can also refer to that sub-genre of B movies, often seen in the late night slot of cable televisionstations, such as USA and Showtime (but not Skinnimax, which is more likely to have harder stuff). The biggest difference between a T&A film and soft-core porn is that where a soft-core film will actually show exposed breasts and sex scenes multiple times, the whole point of a T&A film is to make you wish you could see some sex and nudity, building anticipation through scantily clad female characters. Das hat man sich in Herford wohl vorher nicht so überlegt. Meine T+A Criterion Boxen lassen aber solche Assoziationen gar nicht erst aufkommen.

Wenn auch heute beinahe alles in der Unterhaltungselektronik (die wahrscheinlich nur deshalb so heißt, weil man sich so gut über sie unterhalten kann) aus Fernost kommt, die besten Lautsprecher kommen aus Deutschland. Gut, es gibt da noch Dynaudio in Dänemark, mit dem Slogan Dänen lügen nicht, die einen possierlichen Waschbären namens Knudsen als Maskottchen haben, leider ist das legendäre HiFi Plüschtier nicht mehr erhältlich. Es gibt natürlich auch noch einige sehr gute Engländer wie Bowers+Wilkins, Tannoy oder Naim. Aber es gibt nichts wirklich Hervorragendes aus Japan oder China. Auf jeden Fall kommen die niemals auf die ersten Plätze bei all diesen Zeitschriften, die sich HiFi und High End verschrieben haben. Obgleich diese Testberichte wahrscheinlich objektiv gesehen auch nichts wert sind. Aber dennoch, ob man das nun preislich oben (T+A, Backes&Müller, Burmester, ELAC) oder unten (Canton, Nubert) betrachtet: in Deutschland werden sehr gute Lautsprecher gebaut. Bei vielen dieser Firmen ist der Firmengründer ein Tüftler, der wie Günther Nubert in der Garage angefangen hat. Wenn wir sonst nichts mehr in diesem Lande herstellen, Lausprecher können wir noch.

Und seit es das Internet gibt, gibt es da ja eine unübersehbare Zahl von Foren, in denen audiophile Besserwisser alles besser wissen. Und immer teuerere Komponenten angepriesen werden. Man weiß, was ein Anzug aus der Savile Row kostet, man weiß, was eine Patek Philippe kostet, aber bei einer Stereoanlage scheinen die Preise nach oben offen zu sein. Das beginnt schon mit der audiophilen Netzleiste (ich muss gestehen, ich habe eine) und geht dann weiter über handgewickelte Kabel und vergoldete Stecker ad infinitum. Die Werbebotschaften für die Rechteckkästen voller Elektronik sind schwerer zu verstehen als der Philosoph Wittgenstein, weil (ebenso wie in der Philosophie) jede Firma ihre eigene Terminologie hat und für den Rest gibt es ein scheinwissenschaftliches Feuerwerk: Der XYZ entwickelt 2x105 Watt Dauerleistung an acht und 2x140 Watt an vier Ohm, für kurze Impulse stellt er gar mit 283 Watt pro Kanal das Doppelte bereit. Beim Klirrfaktor stehen stets zwei Nullen hinter dem Komma (0,003-0,009 Prozent), bei der Intermodulation immerhin eine (0,011-0,07 Prozent) – Verzerrungen sind somit kein Thema. Rauschen übrigens auch nicht, denn mit 84/74 Dezibel für Phono MM/MC und 89 dB für CD (bei 5 Watt) liegt er sehr gut, mit 69 dB (CD, 50 Milliwatt) immer noch gut. Der Phono-Frequenzgang könnte etwas linearer sein, er fällt nach unten (20 Hertz) wie auch nach oben ab, wobei Ersteres als Subsonic-Filter durchaus in Ordnung ist, aber ein Höhenabfall um 1,2 dB ist zuviel. Verblüffend niedrig fanden wir die Eingangsimpedanz der Hochpegeleingänge von 9,2 Kiloohm. Der Gleichlauffehler des Lautstärkestellers von 0,1 dB ist exzellent, ebenso wie die hohe Kanaltrennung (64 dB) und das Übersprechen zwischen den Eingängen (77 dB). Die obere Grenzfrequenz jenseits von 110 Kilohertz verrät eine „schnelle“ Schaltung. Danke, alles klar!

Und dennoch gibt es die ideale Anlage nicht, denn der Satz von Fritz Reuter Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall gilt auch hier. Jeder hört anders, jedes Wohnzimmer ist in der Akustik anders. Wer Robbie Williams möglichst laut hören will, wird eine andere Anlage haben, als jemand, der John Dowland leise hören will. Ich habe mir damals viel Zeit gelassen für den Kauf der einzelnen Komponenten. Ich bin mit immer der selben CD in immer dieselbe Firma gegangen und habe gesagt, Heute möchte ich mal die Boxen von XYZ hören. Nach mehreren Wochen war durch das Angebot durch. Und obgleich mich der Verkäufer (der ein wirkliches whizzkid und ein reizender Mensch war) immer wieder zu den britischen B+W steuern wollte, habe ich die T+A genommen. Als die in meinem Wohnzimmer liefen, war mein erster Gast ein amerikanischer Professor, der natürlich den blöden T&A joke machen musste. Aber seine Frau, die Opernsängerin war, war wirklich beeindruckt von der Klangqualität. Sowas haben die in Amerika nicht (also, ein paar Firmen wie zum Beispiel Klipsch hätten sie schon).

Mein kleiner NAD 3020 hat irgendwann das Handtuch geworfen, die Elkos machten schlapp, er wurde umgehend durch das Nachfolgemodell 3020i ersetzt. Inzwischen gibt es bei der Firma auch schon ein Modell, das den Zusatz BEE trägt (nach Björn Erik Edvardsen). Aber HiFi und High End sind nicht mehr eine solch große Sache, wie sie vor zwanzig, dreißig Jahren waren. Zum einen ist alles billiger geworden (außer Burmester und T+A), zum anderen kaufen die Leute heute Surround und Subwoofer. Und ganze Generationen können die feinen Unterschiede, die gute Verstärker und Boxen abbilden können, gar nicht mehr hören. Jahrelange Disko und Lautsprecher in den Ohren sorgen schon dafür. Man kann zu einem der aggressiv werbenden Mediamärkte fahren und sich in zehn Minuten eine Anlage kaufen, mit viel Watt, Surround und Subwoofer. Aber es gibt auch in jeder Stadt diese kleinen Läden, wo es solche Freaks gibt, die etwas davon verstehen. Die bringen einem auch schon mal die Lautsprecher zum Probehören ins Wohnzimmer.

Meine Liebeserklärung an meinen NAD wird nicht von der Firma gesponsert. Er hat mich die letzten Jahrzehnte begleitet, und er hat ein paar nette Worte verdient. Auch wenn er schon seit vielen Jahren den Status eines Kultobjekts hat und die netten Worte vielleicht nicht mehr braucht. Und falls Bernd Beutler dies zufällig lesen sollte: many thanks für die zwei Knudsen Bären und die geschenkten zehn Zentimeter Kabel, von denen der Meter 1.500 Mark kostete. Ich finde, man kann das hören. Aber ich weiß auch, dass bei all diesem state-of-the-art HighEnd Kram neunzig Prozent Einbildung und Autosuggestion sind.

Als ich klein war, gab es bei uns im Haus noch ein Grammophon. Opa hatte es auf den Boden verbannt, weil es kaputt war. Aber es waren noch genügend Stahlnadeln da, die man in den Tonabnehmer schrauben konnte. Und wenn man mit dem Finger in der Plattenmitte ganz schnell drehte, bekam man Hans Albers zum Singen. Mit genügend Übung kam man auf die idealen 78 Umdrehungen in der Minute. Ich weiß nicht, warum die Hans Albers Platten da oben auf dem Boden lagen, aber für mich war der blonde Hans ein Erlebnis, wenn er sang:

Ich kam aus Alabama übern großen Teich daher
und hatte kein Pyjama und auch keinen Strohhut mehr.
Als ich meine Braut verließ da sprang sie hinter mir ins Meer,
doch die beste Braut des Kriegers ist bekanntlich sein Gewehr.
Oh Susannah, das ist schon lange her,
drum wein dir nicht die Augen aus,
wenn ich nicht wiederkehr.

Als ich aus Alabama zog, fiel der Regen dick und schwer
und es regnet bei der Überfahrt und in Frankreich noch viel mehr
und es regnet in der großen Schlacht
und der Himmel wird nicht leer
und es regnet auf den Mickey Quirt
und auf das ganze Heer.
Oh Susannah, drum weine nicht so sehr.


Denn wir haben nasse Brocken an,
doch ein trocknes Schießgewehr.
Und wenn du in Alabama hörst, daß wieder Frieden wär
dann nimm dir einen Cornedbeefkonservenmillionär.
Lehn deine Wang an seine Wang und sag: you are my care.
Denn dein Mickey war ein Feldsoldat
das ist heut nichts mehr wert.

Oh Susannah das Leben ist nicht schwer
und für einen toten Bräutigam kommen tausend neue her.
Oh Susannah, unser Leben ist nicht schwer
und für einen toten Bräutigam kommen tausend neue her.


Man konnte Hans langsamer oder schneller singen lassen, aber in der dritten Strophe kriegte er immer dieses Kieksen, dann wurde seine Stimme vor Ergriffenheit brüchig. Ich wußte damals nicht, dass Carl Zuckmayer diesen Song geschrieben hatte, aber ich war jedes Mal bei der selbst gemachten Musik genau so ergriffen wie Hans. Das kann man heute mit einer CD nicht haben, da kann man die Scheibe nicht mit dem Zeigefinger antreiben. Aber man kann heute auf YouTube Hans Albers aus dem Grammophon hören. Klingt beinahe wie damals bei uns auf dem Dachboden.

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Freitag, 27. August 2010

Hegel


Heute vor 240 Jahren wurde Hegel geboren. Gilt als einer der bedeutendsten deutschen Philosophen. Wenn Sie ihn nicht gelesen haben, ist der Weltgeist an Ihnen vorbeigelaufen. Man kann aber auch ganz gut ohne ihn leben. Als Schopenhauer vor 190 Jahren an der Berliner Universität anfing, legte er seine Vorlesung auf die gleiche Zeit, in der Hegel zu lesen pflegte. Es kamen sehr wenig Studenten zu Schopenhauer. Der junge baltische Baron Boris von Uexkuell ganz bestimmt nicht. Der war Hegel Verehrer. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Philosophen in Heidelberg fand Uexkuell zu seiner nicht geringen Verwunderung einen ganz schlichten und einfachen Mann, der ziemlich schwerfällig sprach und nichts Bedeutendes vorbrachte. Danach schreibt er: [Ich] kaufte mir die schon erschienenen Werke Hegels und setzte mich abends bequem in meine Sophaecke, um sie durchzulesen. Allein je mehr ich las, und je aufmerksamer ich beim Lesen zu werden mich bemühte, je weniger verstand ich das Gelesene, so daß ich, nachdem ich mich ein paar Stunden mit einem Satz abgequält hatte, ohne etwas davon zu verstehen zu können, das Buch verstimmt weglegte, jedoch aus Neugierde die Vorlesungen besuchte.

Das wäre ja noch schöner, wenn man sich mit dem Buch eines Philosophen in die Sofaecke setzen könnte und ihn einfach so verstehen könnte. Es ist ja das Wesen des Philosophen (besonders bei Hegel), dass man ihn nicht versteht und immer mehrere andere Philosophen lesen muss, die ihn vielleicht verstanden haben. Der Hegel von Alexandre Kojève ist ein anderer als der Hegel von Vittorio Hösle. Aber unser Uexkuell lässt nicht locker und wird zahlreiche Vorlesungen Hegels abschreiben (beziehungsweise abschreiben lassen), was ihm seinen Platz in der Hegel Forschung sichert.  Was aber viel wichtiger als seine Vorlesungsmitschriften ist, ist sein Journal aus dem Vaterländischen Krieg, in dem er auf russischer Seite gegen Napoleon kämpft. Gegen den gleichen Napoleon, der für seinen neuen Lehrmeister einmal die Verkörperung des Weltgeistes zu Pferde war. Das Journal von Uexkuell ist 1965 unter dem Titel Armeen und Armouren zum ersten Mal bei Rowohlt erschienen. Seine Erinnerungen an Hegel sind auch in dem Band.

Was wäre geschehen, wenn Uexkuell Schopenhauer gehört hätte? Vorlesungen bedeutet damals noch, dass der Professor aus einem eigenen Werk vorliest. Die Studenten hören ehrfurchtsvoll zu, wie auf dem Bild oben, das Hegel vor Studenten in Berlin zeigt. da könnten sie ja auch zuhause in ihrer Sofaecke die Schriften des Professors studieren. Die Ehrfurcht vor dem Professor brauchen die Studenten bei Hegel, denn sonst ist er nicht zu ertragen, Uexkuell ist da mit seinem Urteil noch zurückhaltend. Hegel besitzt keinerlei Humor, keinerlei Schlagfertigkeit, er ist die Verkörperung des obrigkeitshörigen deutschen Spießers. Und er kann nicht einmal seine eigenen Werke gut vorlesen. Er spricht schlecht, verhaspelt sich ständig und ist um Worte verlegen. Und dann spricht er dieses breite Schwäbisch, sagt ebbes statt etwas oder Also, dess wär doch wirglich nedd nedig gwäa. Er kommt in den Berliner Kreisen nicht unbedingt an, es gibt da eine schöne kleine Anekdote in Therese Devrients Jugenderinnerungen. Da sitzt sie mit ihrem Ehemann (dem Sänger und Schauspieler Eduard Devrient) und Mendelsohn-Bartholdy in einer Gastwirtschaft "Sagen Sie mir doch, Felix," wandte sie sich nach rechts, "wer ist der dumme Kerl hier neben mir?" Der Gefragte hielt sich einen Augenblick das Taschentuch vor den Mund, dann flüsterte er: "Der dumme Kerl da neben Ihnen ist der berühmte Philosoph Hegel." Der dumme Kerl ist ja noch ganz nett, Schopenhauer ist der Meinung, er habe eine Bierwirtsphysiognomie. Da gucken wir das Bild da unten doch gleich ganz anders an.

Doch der Mann, der in seiner Jugend, als er noch ein Freund von Hölderlin war, für die Sache der Revolution war, der Napoleon für die Verkörperung des Weltgeistes hielt, der wird jetzt zunehmend unsicher, ob er in seinen philosophischen Systemgebäuden die Welt wirklich richtig berechnet hat. Überall zeigen sich jetzt erste Tendenzen eines Liberalismus, das ist ja nun für Hegel das Schrecklichste auf der Welt. Pressefreiheit? Igitt. Im Jahre 1821 attackiert er seinen Kollegen Jakob Friedrich Fries, der wegen seiner liberalen Ansichten gerade zwangsemeritiert wurde. Als die Hallesche Zeitung schrieb, dass dies für einen großen Philosophen keine noble Haltung sei, beschwert er sich beim König über zu große Pressefreiheit. Er muss sich vom preußischen Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein (dem wir das humanistische Gymnasium und unser ganzes Schulsystem verdanken) belehren lassen, dass er sich  ja an die Gerichte wenden könne, wenn er sich diffamiert fühle. Der Mann, der die ganze Welt und den Staat in seiner Philosophie definiert hat, versteht die einfachsten Dinge der richtigen Welt nicht. Den Preußen wird dieser Philosoph, der sich ständig bei der Obrigkeit einschleimt, langsam wirklich peinlich. Auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm III wird Hegels Artikel Über die englische Reformbill in der Preußischen Staatszeitung nicht vollständig gedruckt. Der König möchte wegen der kleinen Giftnudel Hegel keinen Ärger mit England haben. Hegels bestgehasster Kollege Jakob Friedrich Fries hat für ihn den schönen Satz übrig gehabt: Hegels metaphysischer Pilz ist ja nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei gewachsen... Wissenschaftlicher Ernst wird gegen diesen Philosophen unter den Bütteln nicht die rechte Waffe sein.

Fries ist nicht einzige, der so redet, ich hätte da noch ein schönes Zitat: Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, ... hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt. Das ist von Arthur Schopenhauer. Hatte vielleicht derjenige recht, der dem jungen Hegel sagte O Hegel, Du saufscht Dir g ́wiß noch dai glois bißle Verstand vollends ab? Der Satz wird häufig Hölderlin zugeschrieben, aber er ist wahrscheinlich nicht von ihm. Aber vom Wein wird er sein ganzes Leben nicht lassen, dann wird er auch ganz gesellig.

In meiner letzten Hegel Anekdote hat der große Denker wieder einmal dem Punsch ein wenig zu sehr zugesprochen. Man ist bei einem Herrenabend im Jahre 1817 bei Heinrich Voss, der hat heute Jean Paul als Ehrengast. Im Laufe der Unterhaltung fragt ein anwesender Pfarrer, ob der Herr Professor Hegel nicht eine Einführung in die Philosophie für junge Mädchen schreiben könne? Hegel lehnt das mit dem Hinweis ab, dass seine Sprache nicht leicht fasslich sei (was ja immerhin eine Selbsterkenntnis ist), woraufhin der Pfarrer vorschlägt, dass Jean Paul Hegels Gedanken in die richtige sprachliche Form bringen solle. Das Gelächter will jetzt kein Ende nehmen. Und das ist ja auch eine komische Vorstellung, Jean Paul als ghostwriter für Hegel. Man setzt diese Scherze noch ein wenig fort, bis Hegel ausruft, man müsse Jean Paul zum Doktor der Philosophie machen. Was er tatsächlich wenig später in die Praxis umsetzt. Die Doktorurkunde (die ich mir jetzt zu zitieren erspare) liest sich ein wenig, als sei sie noch in der gleichen weinseligen Nacht geschrieben.

Ich weiß bis heute nicht, weshalb Hegel bedeutend sein soll, ich bin ihm auch in meinem ganzen Studium der Philosophie aus dem Weg gegangen. Und es käme mir auch niemals in den Sinn, über seine Zeitgenossen Schopenhauer oder Kierkegaard mit einer ähnlichen Attitüde der Verachtung zu schreiben. Nun mag man sagen, dass alle vorgebrachte Kritik ein argumentum ad hominem ist, und das nichts davon sein System des Denkens berührt. Die Unfähigkeit, sich sprachlich klar verständlich auszudrücken, nehmen wir jetzt mal aus. Das können Philosophen nun mal nicht, schwäbische ganz besonders nicht. Außer sie geben sich volkstümlich: Es ist viel Lobendes gesagt worden, und der Maßstab, nach dem gemessen wurde, hat sein eigenes Recht, aber derjenige, den es angeht, hat noch einen anderen Maßstab, den ich mit einem schwäbischen Spruch kurz formulieren kann: Wenn i wär wia i sein sott. Das ist nun nicht von Hegel, das ist von Heidegger. Dessen Sprache hat Robert Minder einer Analyse unterzogen, und das Ergebnis ist vernichtend. Vielleicht sollte man das auch mal mit Hegel machen, denn die Sprache ist gleichsam der Leib des Denkens oder mit Buffons Worten le style c'est l'homme.

Hegel hat ein System, und von Philosophen, die ein System haben, sind wir Deutschen immer schwer begeistert. Wenn wir es nicht verstehen, macht es nichts, dafür sind Philosophen ja da, dass sie nicht verstanden werden. Dennoch ist es manchmal gefährlich, gehässige Dinge über Philosophen zu sagen. Sie können ja irgendwo Fans haben. Der größte Hegel Fan im Internet heißt Kai und hat eine Hegelwerkstatt, und auf seiner neuen Seite finden Sie Literatur zu Hegel bis zum Abwinken. Hoffentlich liest er dies hier nicht. Ich bin mal vor Jahren von einer Frau zu einer Party mitgeschleppt worden, wo ich niemanden kannte, und wo ich kurz vor Mitternacht, als sich in der Küche eine kleine philosophische Diskussion entspann (wie das auf Parties ja meistens um Mitternacht in der Küche passiert), einen lebenden deutschen Philosophen verbal beleidigte. Würde ich jederzeit wieder tun. Unglücklicherweise stellte sich jetzt heraus, dass sich der mir bis dahin unbekannte Gastgeber als jemand vorstellte, der sich gerade bei dem Objekt meiner Beleidigungen habilitiert hatte. Und zwei seiner Freunde, die auch in der Küche waren, hielten Hermann Schmitz auch für den größten deutschen Philosophen, nicht für den größten deutschen Spinner. Die ausgelassene Partystimmung bekam sehr gereizte Untertöne. Mich rettete Ingomar von Kieseritzky, den ich nonchalant in die Diskussion einbrachte. Die Stimmung schlug augenblicklich um. Und als ich dann noch hinzufügte, dass ich von Kieseritzkys Buch Die ungeheuerliche Ohrfeige ein vom Autor signiertes und mir gewidmetes Exemplar besaß, war alles vergeben und vergessen. Da hätte ich noch viel schlimmere Dinge über Schmitz sagen können.

Flohkunde + Stoizismus - braucht man mehr? (unbekannter Kyniker). Gern zitiert von I. Kieseritzky steht in meinem Exemplar von Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft. Flohkunde wäre sicherlich für die Helden dieses Romans, die mit einem Schwein namens Sophia von einem Philosophen zum anderen durch das antike Griechenland wandern. Auf der Suche nach einer Philosophie zur Verbesserung der Menschheit. Das originellste, was ihnen einfällt, ist eine aus dem Himmel verabfolgte ganz ungeheuerliche Ohrfeige, die denjenigen abwatscht, der völligen Unsinn redet. Unsere drei Philosophen stellen schon Listen auf, wen es treffen soll. Wir als Leser bei der Lektüre des Romans auch. Wäre das nicht schön, all diese Politiker, die man nicht leiden kann, reden zu hören, und dann kommt plötzlich aus dem Himmel diese ungeheure Ohrfeige?

Wo bleibt das Positive? Zuerst wollte ich das hier mit dem Gedicht von Karl Krolow Herbstsonett mit Hegel beenden. Aber angesichts dieses Wetters geht das nicht, wir reden sonst den Herbst herbei und dabei haben wir doch noch Sommer. Auch wenn die Konfektionsgeschäfte schon überall die dicken Tweedjacken in die Fenster geräumt haben. Aber ich habe doch noch etwas Nettes zum Schluss. Es ist ein gelber Reclam Band mit dem Titel Die Philosophenwelt in Versen vorgestellt, selbst gedichtet von dem deutschen Philosophen Lutz Geldsetzer. Das ist nun wirklich einmal eine witzige Einführung in die Philosophie. Ich zitiere daraus mal den Anfang von Strophe 50:

Als Schelling längst in Jena las,
er seines Freundes nicht vergaß,
des Georg Friedrich Wilhelm Hegel,
der - etwas älter - nicht so kregel.
Sie kannten sich seit vielen Jahren
da sie Kommilitonen waren
- was auch den Hölderlin betrifft -
an Tübingens berühmtem Stift.
In Jena sah man diese beiden
so manches Schriftwerk nun verbreiten,
von dem noch heute nicht ganz klar,
was jeweils wohl ihr Anteil war.
Doch hat dann Hegel in der Nacht
der Jena-Auerstedtschen Schlacht
noch letzte Hand ans Werk gelegt,
das späterhin die Welt bewegt:
'Phänomenologie des Geistes,
System der Wissenschaft' - so heißt es.
Da wird der Geist nun absolut,
die ganze Welt ist, was er tut,
und tritt hervor in die Erscheinung
durch seine Kräfte zur Verseinung.
Zunächst ist er nur selber da
- an sich -, eh' irgend was geschah....

Und so geht es weiter. Eine Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Gegenwart in einhundert Strophen, das hätte Hegel nicht gekonnt. Strophe 100 wendet sich zwar erst einmal gegen die neuerdings ins Kraut schießenden philosophischen Theorien, aber ich glaube, man kann das auch als Test für jede Philosophie gebrauchen.

Willst du die Wahrheit nur erfühlen,
versuch den Test des Ridikülen,
denn wie schon Shaftesbury empfahl,
gilt von der Wahrheit allemal,
daß sie in dem hat ihren Sitz,
was standhält einem guten Witz!
Treibst du geduldig dieses Spiel,
so sei gewiß, es bleibt nicht viel
von dem, was da in ernsten Worten
ertönet heute allerorten.
Leicht trennt sich da die Spreu vom Weizen,
der uns alleine kann noch reizen,
die Körnchen aber halt' in Ehren,
denn wahre Einsicht sie gewähren.

Donnerstag, 26. August 2010

Hannover


26. August 1596: Friedrich V von der Pfalz wird geboren. Der, den man den Winterkönig nennt. Weil er mal kurz König von Böhmen war, einer der Verlierer des Dreißigjährigen Krieges. Er soll uns heute nicht weiter interessieren, er hat mindestens noch einen Verehrer, der ihm diesen schönen, ausführlichen Wikipedia Eintrag geschrieben hat. Worauf ich Ihr Interesse lenken möchte, ist die Tatsache, dass er die Tochter von James I von England heiratet. Ja, der das Buch über Hexen geschrieben hat und nach dem die englische Bibel heißt. Und durch diese Heirat wird seine Nachkommenschaft in Europa noch eine Rolle spielen.

Um Elisabeth Stuart hatte auch einmal Gustav Adolf geworben und ihr Vater hätte sie am liebsten mit dem König von Frankreich verheiratet, aber jetzt bekommt Friedrich den Zuschlag. James möchte die protestantischen Fürsten Deutschlands an sich binden. Trotz dieser machtpolitischen Erwägungen haben sich die Eheleute Elisabeth und Friedrich ihr Leben lang gemocht. Das ist in diesen Kreisen nicht die Regel. Elisabeth und Friedrich haben dreizehn Kinder. Eine Tochter wird noch als Malerin unter der Anleitung von Gerrit van Honthorst berühmt werden (Luise Hollandine). Die jüngste Tochter Sophie, die 1630 im holländischen Exil geboren wird, heiratet einen gewissen Ernst August. Bei dem Namen assoziieren Sie jetzt jemand anderen, der auch wie der Winterkönig einen negativen Spottnamen wie Pinkelprinz hat, aber Hannover ist schon richtig. Dieser ➱Ernst August wird 1692 Kurfürst von Hannover. So what?mögen Sie fragen.

In England hält man nach Königen Ausschau seit sie James II fortgejagt und diesen Holländer auf dem Thron haben. Der ist zwar ein Sohn der ältesten Tochter von Charles I, und seine Cousine Mary, die er geheiratet, ist auch eine Stuart, aber irgendwie mögen die Engländer ihn nicht. Gut, sie sagen nicht gerade holländische Hackfresse zu ihm, was manche über Louis van Gaal sagen, aber sie mögen ihn nicht wirklich. Winston Churchill hat in seiner History of the English-Speaking Peoples (für die er den Literaturnobelpreis erhielt!) auch keine netten Worte für ihn gefunden: Wilhelm von Oranien war vaterlos und kinderlos. Sein Leben war liebeleer. Seine Heirat wurde von der Staatsräson diktiert. Eine zänkische Großmutter hatte ihn erzogen, und seine Jugendjahre regelte eine niederländische Erziehungskommission nach der anderen. Seine Kindheit war unglücklich und seine Gesundheit schlecht. Er hatte eine tuberkulöse Lunge, war asthmatisch und ein wenig verwachsen. Aber in dieser ausgezehrten und gebrechlichen Hülle brannte ein unbarmherziges Feuer, angefacht von den Stürmen Europas und noch verstärkt durch den unerbittlichen Druck seiner Umwelt. […] Frauen bedeuteten ihm wenig. Lange Zeit behandelte er seine liebevolle treue Gemahlin gleichgültig. […] Er bekannte sich natürlich zum calvinistischen Glauben, schien jedoch aus dieser gestrengen Lehre nur wenig geistlichen Trost gewonnen zu haben. Als Herrscher und als Befehlshaber war er bar aller religiösen Vorurteile.

Queen Anne, die der Volksmund als die gute Königin bezeichnet, hat ihren Schwager William auch nicht ausstehen können. Sie nennt ihn Mr Caliban oder das Dutch Monster, das ist ja nicht soweit von dem schönen Wort von der holländischen Hackfresse entfernt. Sie folgt ihm 1702 auf den englischen Thron, schon ungeheuer fett, aber sie wird noch zunehmen. Beinahe zwanzig Schwangerschaften (meistens Fehl- oder Totgeburten) hatten ihren Körper verwüstet. Als ihr dänischer Ehemann stirbt, mit dem sie ein Vierteljahrhundert glücklich war, soll sie auch noch an den Gin gekommen sein (den säuft William III in seinen letzten Lebensjahren auch nur). Zur Jagd, diesem Lieblingssport des englischen Adels, geht sie immer noch gerne. Wenn sie zu fett ist, um auf ein Pferd zu kommen, wird sie mit einer kleinen Kutsche hinter der Hundemeute her durch Windsor Forest galoppieren. Als sie am 1. August des Jahres 1714 stirbt, schickt man einen Boten nach Hannover, um Georg Ludwig, dessen Mutter Sophie gerade gestorben ist, mitzuteilen, dass er jetzt König von Großbritannien, Irland und Frankreich ist. Das letzte allerdings nur noch dem Namen nach. Auf dem Bild da unten ist er in voller Schönheit, George macht den Maler, der schon seit Charles II Hofmaler ist, gleich zum Baronet. Sir Godfrey Kneller heißt eigentlich Gottfried Kniller und kommt aus Lübeck. Er kann zwar nicht so toll malen wie Sir Anthonis Van Dyke oder Sir Peter Lely, aber für Königs reicht es immer noch.

Als Georg in England mit seinem ganzen hannoverschen Hofstaat, seinen Geliebten und zwei Mohren namens Mohammed und  Mustafa ankommt, packt er erstmal lange Zeit seine Koffer nicht aus, weil er glaubt, die Engländer jagen ihn sofort wieder zurück an die Leine. Aber dann erkennt er doch die schönen Möglichkeiten, die ihm der englische Thron bietet. Seine Geliebte Melusine von der Schulenburg macht er gleich zur Herzogin, und auch Sophia Charlotte von Kielmannsegg wird eine Countess. Die Engländer nennen sie elephant, weil sie so fett ist, die magere und lange Melusine heißt bei ihnen maypole. Und ansonsten erscheint England dem 54jährigen Hannoveraner ein Selbstbedienungsladen zu sein, in dem niemand an der Kasse sitzt.

So sagt Thackeray in seinem Buch The Four Georges: Take what you can get was the old monarch's maxim... The German women plundered, the German secretaries plundered, the German cooks and attendants plundered, even Mustapha and Mohamet... had a share in the booty. Thackeray mag das Pack aus Hannover nicht so sehr, obgleich sein Schlussurteil über George I geradezu zurückhaltend ist: Though a despot in Hanover, he was a moderate ruler in England. His aim was to leave it to itself as much as possible, and to live out of it as much as he could. His heart was in Hanover. He was more than fifty-four years of age when he came amongst us: we took him because we wanted him, because he served our turn; we laughed at his uncouth German ways, and sneered at him. He took our loyalty for what it was worth; laid hands on what money he could; kept us assuredly from Popery and wooden shoes. I, for one, would have been on his side in those days. Cynical, and selfish, as he was, he was better than a king out of St. Germains [the Old Pretender] with a French King's orders in his pocket, and a swarm of Jesuits in his train. Na ja, klingt schon ein wenig zynisch, aber diesem Autor ist nichts Menschliches fremd, was jeder weiß, der Vanity Fair gelesen hat. Thackeray dient auch einem anderen Viktorianer als Hauptbelastungszeuge. Und das ist die wunderbare Publikation The Impeachment of the House of Brunswick von Charles Bradlaugh (➱hier im Volltext), die im Jahre 1875 ein Bestseller wurde, kaum dass sie auf dem Markt war. Noch nie ist so gnadenlos mit den Georges abgerechnet worden, dagegen ist Thackeray The Four Georges Pillepalle.

Die Tochter von George und seiner Geliebten Melusine, Petronella Melusina (Bild), wird einen gewissen Philip Dormer Stanhope heiraten. Der ist der vierte Earl of Chesterfield und wird die berühmten  Letters to His Son on the Art of Becoming a Man of the World and a Gentleman für seinen Adoptivsohn schreiben. Die gelten heute immer noch als ein Meilenstein der Benimmbücher. Es ist das Werk eines Schriftstellers, nicht das eines Pädagogen. Chesterfield hat uns eine Vielzahl von zitatfähigen Sprüchen hinterlassen wie zum Beispiel The world is a country which nobody ever yet knew by description; one must travel through it one's self to be acquainted with it. Ich weiß nicht, ob der Vater seiner Frau eine solche Weisheit goutiert hätte. I hate all boets and bainters, soll er gesagt haben. Aber die Letters als Anleitung zum guten Benehmen, die wären schon etwas für ihn gewesen.

Man hätte es ihm übersetzen müssen, denn George I kann kaum Englisch. Ist vielleicht in einer Zeit, in der der Adel eh Französisch spricht, nicht so wichtig. Er hat auch andere Sorgen. Kaum ist er König, da macht der Vater von ➱Bonnie Prince Charlie einen kleinen Aufstand. Dabei hatten die Engländer doch im Act of Settlement von 1701 eins ganz klar gemacht: keine Stuarts mehr und keine Katholiken. Können diese Pretenders nicht lesen? Noch mehr Ärger als mit James Francis Edward Stuart hat Georg mit seinem Sohn, die beiden brüllen sich in der Öffentlichkeit an. Also das wirklich gute Benehmen haben die Hannoveraner nicht drauf, das scheint bis heute in der Familie zu liegen.

De jure hätten die Engländer jetzt eigentlich auch eine Königin, aber die bringt Georgie nicht mit auf die Insel, die hat er weggesperrt. Das ist ein dunkles Kapitel in seinem Leben, denn eigentlich ist unser Hannoveraner ein Mörder. Arno Schmidt Fans ahnen schon, was jetzt kommt. Für diejenigen, die Das steinerne Herz nicht gelesen haben, soll die Geschichte mal eben rekapituliert werden. Arno Schmidt ist nicht der erste, der sie erzählt. Der erste ist ein gewisser Christian Friedrich Hunold, der sich bei der Brisanz seines Stoffes mal lieber ein Pseudonym namens Menantes zulegt. Gleichzeitig taucht die Geschichte bei Herzog Anton Ulrich in seiner Römischen Octavia auf. Allerdings ist die Liebesgeschichte von Solane und Orodates nicht von dem Herzog geschrieben, sondern von Aurora von Königsmarck (der Schwester des Grafen). Die gleich ihre eigene Liebesgeschichte mit August dem Starken in diese Geschichte hineinschreibt. Hundert Jahre später möchte ein gewisser Friedrich Schiller kurz vor seinem Tod die Geschichte zu einem Drama machen, es bleibt allerdings nur ein Fragment, Ideen zu einem Trauerspiel: Die Herzogin von Zelle. Hätte was draus werden können.

Es ist die Geschichte der umschwärmten Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg-Celle, deren Vater sie gegen ihren Willen aus Gründen der adligen Besitzstandswahrung mit Georg verheiratet. Da ist sie sechzehn. Dadurch kommt Georg auch an viel Geld. Nachdem ihm Sophie zwei Kinder geboren hat (von denen der Sohn als George II König von England werden wird), erlischt sein Interesse an ihr. Er hat ja seine Melusine, und die Gräfin Platen etc. Angeblich gibt es eine Affäre zwischen Sophie und dem Grafen Königsmarck. Solche Geschichten lässt Theodor Fontane in seinen Wanderungen natürlich nicht aus, und er zitiert Teile aus einem angeblichen Volkslied (wahrscheinlich von Fontane):

Wer geht so spät zu Hofe,
Da alles längst im Schlaf?
Im Vorsaal wacht die Zofe –
Schon naht der schöne Graf.
Er sprach: »Eh ich nach Frankreich geh,
Muß ich sie noch umarmen,
Prinzessin Dorothee.« 
Gräflein, du bist verraten,
Verraten ist dein Glück,
Die böse Gräfin Platen
Ersann ein Bubenstück.
Du schaltst sie eine Wetterfahn,
Sie tät dir gern viel Liebes,
Nun ist’s um dich getan. 
Er ging zur ew’gen Ruhe
Mit vielen Schmerzen ein,
Doch ward in keine Truhe
Gebettet sein Gebein.
Ich weiß nicht, wo er modern mag,
Doch wird er einst erscheinen
Am Auferstehungstag.

Dieser Graf Königsmarck ist ein reicher Mann aus einer vornehmen Familie, General in sächsischen Diensten, seine Schwester Aurora von Königsmarck war die Geliebte von August dem Starken (und die Mutter des nachmalig berühmten ➱Maurice de Saxe). Königsmarck kennt Sophie seit den Kindertagen. In der Nacht vom 1. Juli 1694 verschwindet er auf Nimmerwiedersehn im Schloss von Hannover. Georg hat mit seinem Mordauftrag das Familienmotto suscipere et finire wörtlich genommen. Viele Geschichten wird man sich noch lange im Hannöverschen erzählen. Das zieht weite Kreise im europäischen Adel und in der europäischen Diplomatie. Georg wird sich von Sophie scheiden lassen und seine Frau auf das Schloss Ahlden verbannen, das alles geschieht ein wenig ausserhalb des Gesetzes. Die Kammerzofe von Sophie, Eleonore von Knesebeck, wird in ein Gefängnis geworfen, auch ohne ordentliches Gerichtsverfahren. Aus dem sie nach Jahren in einer Gewitternacht von einem Dachdecker, den ihre Familie bezahlt hat, herausgeholt wird. Ihren Peinigern bleibt der schöne Satz, der mit Kohle an die Wand geschrieben ist Der Churfürst hat mich hergebracht durch seyne Tyranney und Macht, / Doch Gottes Macht ist größer, / die öffnet Thür und Schlösser. Sie hat alle Wände von ihrem Verließ mit Kohle vollgeschrieben, die ganze Geschichte von Sophie steht da. Da haben die Kanzleischreiber was zum Abschreiben für die Akten. Da steht aber kein Wort über den angeblichen Ehebruch an den Wänden.

Die Enkelin der Prinzessin Sophie in Ahlden, Caroline von Hannover (nein, nicht die Caroline aus Monaco), wird ein ähnliches Schicksal haben. Mit dem geisteskranken König von Dänemark verheiratet, flüchtet sie sich in die Arme von Johann Friedrich Struensee, dem Arzt und aufklärerischen Reformer. ➱Per Olov Enquist hat mit Der Besuch des Leibarztes einen schönen Roman über ihr Schicksal geschrieben. Nachdem man Struensee hingerichtet hat (und alle Reformen rückgängig gemacht hat), verbannt man die Prinzessin. Nach Celle. Dort stirbt sie mit 24 Jahren, ihren Sarg stellt man neben den Sarg ihrer Urgroßmutter.

Sophie und Philipp Christoph von Königsmarck haben sich hunderte von Briefen geschrieben. In einem sagt Königsmarck Cela resamble bien un romang et en le racontemps, bien de jans ne vous croirong pas. Ihre Geschichte kommt ihnen wie ein Roman vor, wahrscheinlich weil sie sie inszenieren wie einen galanten Roman.

Was bleibet aber, stiften die Dichter. Vor hundert Jahren erschien die erste deutsche Dissertation über den Sophie-Königsmarck Stoff in der deutschen Literatur, und seitdem haben die Dichter nicht aufgehört zu dichten. Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Frenzel hat in ihrem  Lexikon Stoffe der Weltliteratur einen mehrseitigen Artikel zur Prinzessin von Ahlden. Ich zitiere Frau Dr. Frenzel, die ihren Doktortitel der Dissertation Die Gestalt des Juden auf der neueren deutschen Bühne verdankt, sehr ungern. Noch vor kurzem ist diese Doktorarbeit in der NZZ als eine der übelsten antisemitischen Publikationen aus germanistischer Feder überhaupt bezeichnet worden. Das muss von Zeit über Frau Frenzel gesagt werden, die den Nazis so hingebungsvoll gedient hat, vielleicht kommt ihr das ja noch zu Ohren, sie lebt ja noch. Der Artikel ist übrigens wissenschaftlich nix wert, ich zitiere ihn nur, um zu zeigen, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Dass Aurora von Königsmarck, die Voltaire als die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte bezeichnete, die Verfasserin der Geschichte von Solane und Orodates ist, hat sie nicht bemerkt. Fontane erwähnt sie nicht. Und ➱Arno Schmidts Roman Das Steinerne Herz erst recht nicht. Das bleibt aber immer noch ein Roman, der die Lektüre lohnt.



Noch mehr Posts in diesem Blog, in denen Hannover vorkommt: ➱Ernst August, ➱Hannover 96, ➱Heinrich Hannover, ➱Maurice de Saxe, ➱Besucher, ➱Hoya

Mittwoch, 25. August 2010

Scotland forever


Der da in der Mitte, Nummer 21 mit der weißen Badehose, erkennen Sie ihn? Schottischer Bodybuilding Meister, dritter Platz bei Mr. Universum. Spielt in seiner Jugend Fußball für den Bonnyrigg Rose FC. Hat eine Tätowierung Scotland Forever auf dem Arm, seit er bei der Navy war. War Milchmann, Bademeister und Sargpolierer. Wurde dann Filmschauspieler, dreht irgendwann sogar seinen Hollywoodfilm (Darby O'Gill and the Little People), in dem darf er auch singen (es ist übrigens dieser Film, man glaubt es kaum, in dem die beiden Produzenten von Dr. No ihren Leinwandhelden gefunden haben). Danach steigt der Schotte schon beinahe zum Charakterdarsteller auf.

Er spielt einen charmanten, aber intelligenzmäßig etwas unterbelichteten Zigeuner in der Kriegskomödie On the Fiddle. Wenn das jetzt so weitergeht mit den Nebenrollen in B Pictures, dann wird nie etwas aus ihm. Das ist ihm selbst klar, vielleicht hätte er doch das Angebot von Matt Busby von ManU annehmen sollen und Profifußballer werden sollen. Aber dann hat er eine kleine Rolle (hier im Bild als Private Flanagan) in The Longest Day, diesem Invasionsepos, in dem jeder mitspielt, der damals im Filmgeschäft ist. Sogar solche, die gar keine Schauspieler sind, wie Vicco von Bülow, den wir als Loriot kennen. Danach mutiert er vom schottischen working class hero zum englischen Gentleman und spielt einen Marineoffizier im Geheimdienst ihrer Majestät mit dem Namen James Bond. Da muss der Regisseur Terence Young gewaltig arbeiten, um diesen Sean Connery zu seinem zweiten Ich zu machen. Terence Young hat all das, was der James Bond der Romane von Ian Fleming hat und was der schottische Bodybuilder nicht hat: Public School, Cambridge, Offizier in einem Garderegiment. Er wäre Flemings idealer James Bond gewesen, jetzt macht er Sean Connery zu Terence Young. Lois Maxwell (die wir als Miss Moneypenny kennen) hat einmal gesagt Terence took Sean under his wing. He took him to dinner, showed him how to walk, how to talk, even how to eat. Und er nimmt ihn zu seinem Schneider mit.

Der heißt Anthony Sinclair und sitzt in der Conduit Street und schneidert diese Sorte Anzug, die seit den dreißiger Jahren bei englischen Gardeoffizieren beliebt ist. Dieser drape look der Brustpartie, den der berühmte Schneider Frederick Scholte erfunden hat, eine zivile Version der Uniform. Betonte Taille (etwas höher als die natürliche Taille) und zwei Seitenschlitze, das Jackett etwas länger als gewöhnlich, der dandyhafte Neo-Edwardian Look wirkt hier noch nach. Und enge Hosen. Connerys Anzüge in den James Bond Filmen sind kleine sartoriale Kunstwerke. Es sind Zweiknopf Einreiher, die sind jetzt modern.

John F. Kennedy (zu dessen Lieblingslektüre die Romane von Fleming gehören), der seine Karriere seinen Anzügen verdankt und der eigentlich ein Parallelprodukt zu James Bond ist, trägt das jetzt auch. Man kann diesen Conduit Cut heute noch tragen, und die Savile Row bevorzugt diesen Schnitt in den letzten Jahren ja auch wieder. Sean Connery hatte vorher nie Anzüge getragen, er muss das jetzt erst lernen. Terence Young zwingt ihn, von morgens bis abends die Anzüge zu tragen, bis er sich darin wie zu Hause fühlt. John F. Kennedys Svengali heißt nicht Terence Young sondern Jackie Bouvier. Sie macht aus dem unordentlichen Millionär im Ivy League Freizeitstil das neue coole Produkt JFK. JFK und James Bond repräsentieren die neue Eleganz des Kalten Kriegs.

Dr. No vermittelt uns - wie alle anderen Bond Filme -  den Eindruck, dass nur englische Geheimagenten die Welt retten können. Das ist natürlich im Jahre 1962 nicht so ganz wahr,  England und der englische Geheimdienst haben international keinerlei Bedeutung mehr. Aber die Schneiderkunst der Savile Row (und der umliegenden Straßen wie Conduit Street oder Cork Street), die gibt es noch, und sie wird jetzt weltweit propagiert. Im Kampf um die Weltherrschaft siegen jetzt nicht Dr. No, Ernst Stavro Blofeld oder Auric Goldfinger. Im Kampf um die Weltherrschaft siegt jetzt die Savile Row. Cool Britannia, noch bevor dieser Spruch erfunden worden ist. The English language and the English suit have spread throughout the world and of the two the suit has probably made the deeper impression, hat Elsie Burch Donald in ihrem London Shopping Guide 1975 gesagt. Sie darf das sagen, weil sie aus dem tiefen amerikanischen Süden kommt. Savile Row versteht man überall auf der Welt. Auch in Japan. Da heißt der Anzug sabiro.

Der amerikanische Geheimdienst, dargestellt durch Felix Leiter, hat natürlich nichts von der Eleganz des englischen Gentleman. Wenn es hoch kommt, ist sein Anzug von Brooks Brothers, aber alles was er trägt, sieht scheußlich aus. Noch scheußlicher ist natürlich das, was die Bösewichte tragen. Wenn die nicht von Bond beseitigt würden, dann hätte sie die clothes police jederzeit festnehmen müssen. Die tragen ja immer eine Art Mao Jäckchen, was scheinbar in der Welt der Bösewichte de rigueur ist. Oder wenn sie wie ein englischer Gentleman aussehen wollen, gelingt ihnen nur die Karikatur davon. Wie Gert Fröbe in Goldfinger. Sein größtes Verbrechen ist nicht der Angriff auf Fort Knox, sein größtes Verbrechen ist das dinner jacket aus braunem Lurex mit goldenem Schalkragen. Einzig Adolfo Celi in Thunderball ist gut gekleidet, aber er ist gezeichnet (wie ein gothic villain) durch diese schwarze Augenklappe, das macht ihn verdächtig.

Die ersten James Bond Filme von Sean Connery sind ganz klar Werbefilme für die englische Herrenmode, auf jeden Fall solange Terence Young Regie führt und Anthony Sinclair die Anzüge schneidert. Zur Damenmode braucht man nicht viel zu sagen, da die Damen in dieser Welt mehr oder weniger unbekleidet sind und häufig schon ein Bikini für den ganzen Film ausreicht, das spart Produktionskosten. Und wenn sie mal ein schickes rotes Kleid anhaben wie Eunice Gayson in Dr. No, dann aber auch nicht für lange. Ian Fleming, der selbst modische Maßstäbe gesetzt hat und sein Ideal der Kleidung in seine Romane hineingeschrieben hat, braucht für seinen Helden am wenigsten Worte. Nebenfiguren und Bösewichte werden manchmal seitenlang, zum Teil mit Nennung von Markennamen, beschrieben und durch ihre Kleidung charakterisiert. Aber kaum etwas über Commander Bond.

Das hat einen simplen Grund, Commander James Bond ist Commander Ian Fleming und kann natürlich nur so gekleidet sein wie Fleming selbst. Erstklassiger Schneider, leichte tonic Stoffe (die man auch in der Karibik tragen könnte, wo Fleming gerne ist), kleine dandyhafte Extravaganzen, wie zum Beispiel ein Umschlag am Jackettärmel. Fleming nimmt an, dass es in seiner Welt (und er kennt wie Bond nur die Welt des Geheimdienstes, der Londoner Clubs, Spielcasinos und Luxusrestaurants) völlig klar ist, wie ein Gentleman gekleidet ist. Das braucht man nicht groß zu beschreiben.

Flemings James Bond Romane sind kein großes Ereignis gewesen, aber die Filme werden es. Obgleich es auch da Konkurrenz gibt. Roger Moore als The Saint mit seinem weißen Volvo P 1800 im britischen Fernsehen, Michael Caine als Harry Palmer in den Len Deighton Verfilmungen. Aber diese Helden haben nicht so gute Schneider und die Filme sind auch keine wirklichen Savile Row Werbefilme. Die Industrie erkennt sehr schnell das Potential der Kunstfigur James Bond. Die James Bond Filme werden zu einer Vermarktungsmaschine. Die Firma DAKS/Simpson startet in den colour supplements von Sunday Times und Observer eine aufwendige Werbeaktion, photographiert von Helmut Newton. Ian Fleming ist dabei überredet worden, sich als Geheimdienstchef M photographieren zu lassen. Die colour supplements mit ihren Nachrichten vom Lifestyle der Sixties sind jetzt etwas ganz Neues, sie kommen gleichzeitig mit dem filmischen James Bond auf die Welt. Natürlich gab es damals in Deutschland auch James Bond Anzüge, den ersten habe ich 1965 in einem Schaufenster von DeFaKa gesehen. Die hatten natürlich mit dem Conduit Cut nichts gemein. Hatten aber ganz viel Geheimtaschen, das braucht ein Möchtegern 007 natürlich. Mein kleiner Bruder hatte so ein Teil, und meine Mutter hat noch Jahre später, als sie den James Bond Anzug in die Kleidersammlung gab, erstaunliche Dinge in den Geheimtaschen gefunden.

Der Rolls Royce Verkäufer aus Australien, der der nächste James Bond ist, trägt noch Anzüge von Anthony Sinclair, wie man hier auf dem Photo von 1969 sehen kann. Sowas könnte man heute noch tragen. Was man auf keinen Fall mehr tragen kann, ist beinahe alles, was Roger Moore anhat. Da nützt es auch nichts, dass das alles von Londoner Prominentenschneidern wie Doug Hayward geschneidert wird. Die Anzüge von James Bond/Sean Connery sind die Anzüge des englischen Establishments, und diese Welt verändert sich kaum. Auch wenn sich die Politik verändert. Was Lazenby neben den Sinclair Anzügen (der ja nur einmal James Bond ist) trägt, ist schon ein bisschen outriert.


Mit Roger Moore wird in den Bond Filmen die Aura des Gentleman, der in dem Londoner Biotop namens Clubland lebt, völlig aufgegeben. Aus dem Gentleman ist der Playboy geworden, der in diesen Filmen bekleidungsmäßig kaum noch von seinen Feinden zu unterscheiden ist, wenn sie nicht gerade das Mao Jäckchen tragen. Es mag sein, dass man, da man nun nicht mehr nur ein englisches Publikum einkalkuliert, sondern das Produkt James Bond Film weltweit verkaufen will, auf einen weltweit schlechten Geschmack setzt. Nicht mehr auf den elitären Savile Row Look. American Gigolo statt Anthony Eden.

Das liegt nun nicht unbedingt an Doug Hayward, der durchaus versuchte, eine konservative, klassische Linie zu behalten: Keep them as classic as possible, as I believe that people will be watching James Bond films in twenty years. During the time that we were making clothes for Roger Moore, there were a lot of new styles and colours being promoted for men. I took a view, therefore, that we should keep noticeable details, such as turnback cuffs, to a minimum. Wenn es nur das gewesen wäre. Der unselige Einfluss geht von Roger Moore selbst aus. Der fühlt sich nämlich zum Designer berufen, nachdem er schon einen großen Teil der Klamotten von der Serie Die Zwei entworfen hatte, er hat auch Verträge mit der Bekleidungsindustrie. Aber was für die Kleidung von Tony Curtis O.K. sein mag, geht ja nun für James Bond gar nicht. Oder nur in the decade that style forgot, wie englische Zeitungen so schön im Rückblick sagten.

Irgendwann war Sean Connery die Figur James Bond leid. Wahrscheinlich ahnte er, dass er in den siebziger Jahren so scheußliche Dinge wie Roger Moore hätte tragen müssen, um hip zu sein. Allerdings hat ihn die Auswahl seiner Filmrollen nicht davor bewahrt, so etwas (Bild links) zu tragen. Aber so wollen wir ihn auf keinen Fall in unserem optischen Gedächtnis behalten. Das Photo ist aus dem Film Zardoz (das sind die letzten Buchstaben von Wizard of Oz) von 1974. Den Film konnte man sich ja damals nur ansehen, weil Charlotte Rampling drin vorkam. Connery hat nie wieder so tolle Anzüge getragen, wie in den frühen James Bond Filmen. Aber das ist ja völlig egal, sagen seine weiblichen Fans. Er kann tragen, was er will, er ist the sexiest man alive. Damit wird ihn noch in einem anderen Anzug sehen, gibt es hier unten noch ein Photo. Das ist kein Photo aus Highlander, nein, das ist die Queen, die gerade Thomas Sean Connery mit dem Schwert adelt. Arise, Sir Sean! Der andere James Bond namens Roger Moore hat seinen KBE drei Jahre später bekommen. Sir Sean wird heute achtzig Jahre alt, und deshalb gibt es hier die herzlichsten Glückwünsche an einen sartorialen Helden meiner Jugend. Many happy returns!