Sonntag, 31. Dezember 2017

Hundert


Das habe ich selten in meinem Blog, dass ich jemandem zum hundertsten Geburtstag gratulieren kann, aber ich hatte es ja schon in dem Post La Périchole gesagt, dass Suzy Delair am 31. Dezember ihren 100. Geburtstag feiert. Suzy Delair war Schauspielerin (hier mit Louis Jouvet in Copie Conforme), Tänzerin und Sängerin. Man hat sie einmal eine zweite Mistinguette genannt. Neben den Chansons hat sie gerne Offenbach gesungen, für ihre CD Suzy Delair chante Offenbach hat sie den Grand prix du disque bekommen.

Durch Henri-George Clouzot, mit dem sie in den vierziger Jahren zusammenlebte, hat sie den Einstieg in die Welt des Filmes bekommen.  L'Assassin Habite au 21 war ihr ersten großer Erfolg, Quai des Orfèvres der zweite. Sie ist keine großartige Schauspielerin, aber sie ist überall dabei. Hier 1960 in Luchino Viscontis Rocco und seine Brüder, wenig später ist sie die Gattin von Louis de Funès in den  Abenteuern des Rabbi Jacob. Als sie mit Clouzot zusammenlebt, wird sie wie er einen kleinen Karriereknick haben, Clouzot hat nichts gegen die Nazis, Suzy Delair schwärmt für sie. Beide werden nach 1945 ein Berufsverbot bekommen. Aber sie werden Paris nicht verlassen müssen wie die Nazitussi ➱Coco Chanel. Später hat sie ➱Le temps des cerises gesungen, was bei ihrer Vergangenheit erstaunlich ist. Denn das ist ein Lied der Revolution, das hat nichts mit Nazis zu tun. Ja, und heute ist es eine Modemarke, die man bei Zalando kaufen kann. Man kann alles banalisieren.

Auf dem Photo im Absatz oben hat sie mit Kleidung zu tun, auf diesem Photo auch. Da spielt sie neben Fernandel in Le couturier de ces dames. Im wirklichen Leben hatte sie auch einmal mit der Damenmode zu tun: sie hat Hutmacherin gelernt. Nicht bei irgendeiner Firma, bei der berühmten Suzanne Talbot, deren Name heute noch auf Parfümflacons steht. Und die Lehrlinge hatte, die noch berühmter wurden als Suzy Delair: Lilly Daché und Jeanne Lanvin. Jedes Museum der Welt ist stolz darauf, einen Hut oder ein Kleid von Suzanne Talbot zu besitzen, dafür hat die Designerin aber keinen Wikipedia Artikel.

Zu ihrem neunzigsten Geburtstag kam Alain Delon vorbei, mit dem hatte sie in Rocco und seine Brüder gespielt. Heute kommen sicherlich auch viele Gäste. Und man wird im Radio ihren Song Avec son tra la la spielen. Den hatte sie in Quai des Orfèvres gesungen, er war zu ihrem Markenzeichen geworden: Avec son tra-la-la Son petit tra-la-la Elle faisait tourner toutes les têtes D’un coup de tra-la-la Elle faisait tra-la-la Et chacun rêvait d’être dans ses bras. Wir wollen nicht mit dem tra-la-la aufhören, wir lassen Suzy Delair noch einmal die schöne kleine Arie aus La Périchole singen.

Ich wünsche all meinen Lesern ein schönes neues Jahr, mögen Ihre Träume und Wünsche in Erfüllung gehen. Und falls Sie auf der Suche nach guten Vorsätzen sind: Es gibt immer ein Stückchen Welt, das man verbessern kann - sich selbst. Hat Gabriel Marcel gesagt, wo er recht hat, hat er recht.

Freitag, 29. Dezember 2017

Stadtmaler


Dieses Bild des Malers Louis Abel-Truchet, der am 29. Dezember 1857 geboren wurdehat den Titel Le Gaumont Palace illuminé dans la nuit. Ganz Paris will offensichtlich in das Luxuskino. Und was gibt es da zu sehen? Römische Orgien. Kein Scherz. Nicht, dass das scheußliche Bild von Thomas Couture da ausgestellt worden wäre, nein, es gibt einen Film von Louis Feuillade, der L'orgie romaine heißt (wenn Sie den Filmtitel anklicken, können Sie den kurzen Film sehen). Das Internet versichert uns, dass es noch einen Film mit dem Titel römische Orgien gibt, aber das ist ein Porno mit Laura Valerie und Joy Karins, das lassen wir jetzt mal weg. L'orgie romaine wird nicht der einzige Film von Louis Feuillade sein, der hier im Gaumont Palace aufgeführt wird. Filmfreaks wissen, dass Feuillade die Fantomâs Filme gedreht hat, die der größte Erfolg des französischen Kinos vor dem Ersten Weltkrieg waren.

Was da drinnen in dem Gaumont Palace, in dem 3.400 Besucher Platz finden, gerade geschieht, das interessiert den Maler nicht. Obgleich es da drinnen so ähnlich ausgesehen haben soll, wie Cecil B. DeMille sich Pompei vorstellte. Unser Maler interessiert sich für das Außen. Und das malt er gerne in der Nacht oder am Abend, wenn sich die Reste des Tageslichts mit dem künstlichen Licht mischen. Wie hier das Vergnügungsviertel Pigalle. Da ist er ähnlich wie der Berliner Maler Franz Skarbina, für den sich Fontane begeistern konnte. Abel-Truchet zählt nicht zu den ganz großen Impressionisten, aber in seiner Zeit war er durchaus bekannt. Im gleichen Jahr, als er den Gaumont Palast malt, wird er Ritter der Ehrenlegion.

Und da ich Cecil B. DeMille erwähnt habe, muss ich auch den wunderbaren Vierzeiler zitieren:

Cecil B. DeMille
Rather against his will
Was persuaded to leave Moses
Out of the War of the Roses


Louis Abel-Truchet ist nicht der einzige, der sich durch Paris malt (hier sein Bild vom Gare Saint-Lazare 1893), es gibt berühmtere Maler als ihn, die ähnliche Bilder malen. ➱Gustave Caillebotte, mit dem er viel Ähnlichkeiten hat, fällt einem natürlich zuerst ein. Und auch die Nacht mit ihren Lichtern haben in Europa andere im Repertoire, die Großstadt in der Dämmerung und in der Nacht ist ein Thema, das das Fin de Siècle liebt. Zum Beispiel der Engländer John Atkinson Grimshaw oder der Russe Fjodor Wassiljew mit seinem Bild von St Petersburg bei Nacht.

Sammler zahlen für Abel-Truchets Bilder heute noch viel Geld, da kann ein Gemälde auf einer Auktion leicht 200.000 Dollar bringen. Abel-Truchet ist auf der Academie Julian gewesen, die Edward Hoppers Lehrer Robert Henri auch besucht hat. Ich nenne, den Namen von Edward Hopper nicht ohne Grund. Er war auch in Paris, als Abel-Truchet seine Bilder vom quirligen Pariser Leben malt, und er liebt auch solche Perspektiven. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Hopper seinen französischen Kollegen sehr genau studiert hat. Man vergleiche einmal sein Kinobild mit Louis Abel-Truchets Bild vom Konzert im Café.

Er ist ein Maler der Großstadt, er gewinnt auch scheußlichem Regenwetter und Schlackerschnee noch etwas Poetisches ab. Louis Abel-Truchet hat etwas länger gebraucht, bis er sich der Malerei verschrieb. Erst 1890 gibt der Amateurmaler eine gut bezahlte Stellung auf, 1891 debütiert er im Salon des Artistes Francais. Danach finden wir ihn in der Société Nationale des Beaux-Arts, dem Salon d'Automne und in in vielen Einzelausstellungen in Pariser Galerien.

Er malt viel, vielleicht zu viel. In seinen besten Bildern, und ich zähle diese Frachtkähne dazu, braucht er den Vergleich mit den großen Impressionisten nicht zu scheuen. Am besten ist er wie hier und bei den Bouquinisten an der Seine im nächsten Absatz in seinen kleinen skizzenhaften Bildern, Öl auf Pappe. Schnell gemalt, aber wunderbar anzuschauen.

Louis Abel-Truchet wird noch eine andere Karriere haben. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldet er sich freiwillig zur Armee. Er ist 57 Jahre alt, da wird niemand mehr eingezogen. Manche Maler malen Bilder von der Front und dem Kriegsgeschehen, wie zum Beispiel der Hauptmann Hans am Ende aus Worpswede.

Aber der Leutnant Abel-Truchet im 1er régiment du génie wird zum Bemalen von Kriegsgerät eingesetzt. Er leitet in Paris das zentrale Atelier für Camouflage Das ähnelt der Tätigkeit von Paul Klee, der in Schleißheim auf der Flugwerft der Königlich-Bayrischen Fliegertruppen Flugzeuge bemalte. Der Feldwebel Klee brauchte nicht an die Front. An die will der Leutnant Louis Abel-Truchet aber unbedingt, und das gelingt ihm auch zu Ende des Krieges. Er wird 1918 an seinen Kriegsverletzungen sterben. Hans am Ende auch.

Mein Opa, auch ein deutscher Hauptmann wie Hans am Ende, kommt heil aus Frankreich zurück. Mit französischer Kunst hatte er nichts am Hut. Mit Kunst überhaupt wenig, es sei denn, sie wäre patriotische deutsche Historienmalerei. Dass seine Tochter auf die Kunsthochschule will, das kann er nicht verstehen. Dass sein Neffe Bildhauer wird, das versteht er noch weniger. Die dicken Bildbände mit Historienmalerei bei meinem Opa werden für mich zu einer Schule des Sehens. Ich bin noch nicht in der Schule, aber ich weiß, dass es eine andere Malerei geben muss als Moritz von Schwind, Defregger, Böcklin und Konsorten. Und dann entdecke ich in einem kleinen blauen Band zur deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts das Bild Blechens vom Park der Villa d'Este - und ich weiß: so muss die Malerei sein. Glücklicherweise hat Louis Abel-Truchet einen ähnlichen Weg beschritten.

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Rudi Schuricke


Das wird heute kurz, ein kleiner Post für Rudi Schuricke, der am 28. Dezember 1973 im Alter von nur sechzig Jahren starb. Den kennen Sie, ich sage nur Capri-Fischer. Hat er 1943 gesungen, war hinterher verboten, als die Amerikaner auf Capri gelandet waren. Kam aber nach dem Krieg wieder ins Radio und auf die Platte. Das Lied wurde in den vierziger Jahren auch von einer Magda Hain gesungen. Oder gepiepst, ganz furchtbar. Kurz vor seinem Tod hatte er noch einen Erfolg mit So eine Liebe gibt es einmal nur, aber das kam nicht an die Capri-Fischer heran.

Viele haben das Lied gesungen, Vico TorrianiMax Raabe und Thomas Quasthoff. Und viele andere. Doch das, was seit der Kindheit in unseren Köpfen ist, ist natürlich die Version von Rudi Schuricke. Klicken Sie hier die originale Version von 1943 an. Es gab in diesem Blog vor Jahren schon einen Post Capri-Fischer, und zur Insel Capri gibt es noch den interessanten Post August Kopisch. Wenn Sie wissen wollen, was die Kölner Heinzelmännchen mit Capri zu tun haben, dann müssen Sie den anklicken.

Dienstag, 26. Dezember 2017

Borsalino


Was wäre der Film Der eiskalte Engel ohne diesen Hut? Es ist natürlich ein Borsalino. Alain Delon hatte solch einen Hut schon in dem Film Borsalino & Co getragen, der eine schöne Werbung für die italienische Hutfabrik bedeutete. Vielleicht sollte man ein Remake von diesem Film drehen, um ein wenig Werbung für Borsalino zu machen, denn die Firma steht vor dem Aus. Dabei läuft die Nachfrage nach den ➱Luxusfilzhüten angeblich gut.

Schuld an der Pleite ist ein gewisser Dr Marco Marenco, zu dessen Firmengefüge Borsalino gehörte. Marco Marenco ist ein kleiner Mann, aber auch kleine Männer können großes Unheil bewirken. Marenco, der schon seine Finger in dem Parmalat Skandal hatte, ist nicht mehr auf der Flucht, vor zwei Jahren hat ihn die Schweiz an Italien ausgeliefert. Eigentlich hat Herr Marenco mit Gas und Strom zu tun, die Aktienmehrheit bei Borsalino hatte er sich nur aus Spaß gekauft. Jetzt hat er 3,5 Milliarden Euro Schulden, und die Insolvenzverwalter werden sagen, wie es mit Borsalino weitergeht.

Giuseppe Borsalino (Bild) hatte das Unternehmen 1857 gegründet. Zuerst war es nur eine kleine Werkstatt, aber die Firma wuchs und wuchs. Seinen Sohn Teresio schickt Giuseppe in die Schweiz, nach Belgien, Deutschland und England, damit er Sprachen lernte. Teresio macht eine Lehre in der Fabrik seines Vaters und arbeitet danach als einfacher Hutmacher in einer deutschen Hutfabrik. Als er die väterliche Firma übernimmt, modernisiert er sie. Und er steckt die Gewinne wieder in die Firma; Teresio, der nebenbei Politiker ist, ist nicht von Banken abhängig. Das ist anders als bei Boss, wo die italienischen Eigner der Firma immer nur Kapital entziehen.

Teresio Borsalinos Geschichte ist eine success story, die nichts mit der kläglichen Geschichte der Firma heute zu tun hat. Die Firma beschäftigt um 1900 (als Giuseppe stirbt) zwischen 1.800 und 2.000 Hutmacher und stellt 1909 1.650.000 Hüte her, 1913 sind es schon zwei Millionen. Mehr als die Hälfte davon geht in den Export. Viel geht nach Amerika. Auch Al Capone trug Borsalino.

Und alle Gangster in Gangsterfilmen auch. Ein Borsalino gehört zum Gangster wie ein Citroen Traction Avant. Wir reden hier nicht von der Wirklichkeit, wir reden von filmischen Symbolen. Der Senator Borsalino wird einige Jahre die Präsidentschaft der faschistischen Industriellenvereinigung innehaben, aber die Faschisten betrachten ihn mit Argwohn. Er sie auch. Er ist jemand, der ein klein wenig angloman ist, und der seinen Arbeitern von der Krankenversicherung bis zur Pension alles zukommen lässt. Dazu kommen Krankenhäuser in Allessandria und zahlreiche Stiftungen. In all dem ähnelt Teresio Borsalino dem Engländer Sir Titus Salt und dem Grafen ➱Ermenegildo Zegna. Niemand von der Familie der Borsalinos ähnelt dem Dottore Marco Marenco. Vielleicht war es ein Fehler, dass die Familie die Firma nach 150 Jahren verkauft hat.

Giuseppe Borsalino hatte in jungen Jahren die berühmte Hutfabrik Battersby in England besucht. Hatte in unbeobachteten Augenblicken Taschentücher in alle herumstehenden Gefäße getaucht, damit seine Chemiker zu Hause herausfinden konnten, was das Geheimnis der Battersby Hüte ausmachte. Das Wort Industriespionage ist noch nicht erfunden. Man ahnt ja heute gar nicht mehr, was da alles an Quecksilber, Teer und Schellack auf das Kaninchenfell kommt. 1888 wird Giuseppe Borsalino Maschinen aus England für die Hutproduktion importieren, er ist der erste in Italien, der das macht. 1894 hat Borsalino seinen Freund, den Bergsteiger Matthias Zurbriggen, nach Neuseeland begleitet. Während der neuseeländische Berge bestieg, sicherte sich Borsalino langfristige Verträge mit neuseeländischen Kaninchenzüchtern.

Borsalino hat die Weltwirtschaftskrise überlebt, aber die Zahlen von 1913 nicht mehr erreicht. In den letzten Jahren war es still geworden um die Firma, angeblich liebäugelten ➱Louis Vuitton und Dolce & Gabbana mit einem Kauf der Firma. Die Konkurenten, die Borsalino einmal hatte, wie Vanzina und Panizza, scheinen verschwunden oder konzentrieren sich auf Damenhüte. Denn Damen tragen noch Hut, Männer nicht mehr. Herren schon, aber die sind selten geworden. Es ist, wie manche Journalisten schreiben, der Untergang der Hutkultur.

Mein Vater trug in den 50er Jahren zu feierlichen Anlässen und zu Beerdigungen einen schwarzen Zylinder. Das war damals durchaus üblich, wie man auf diesem Photo von einer Hochzeit in Süddeutschland in den 50er Jahren sehen kann. Der Mann mit dem grauen Hut da hinten hat natürlich überhaupt keinen Stil. Aber immerhin einen Hut auf dem Kopf.

Als die ➱Zylinder langsam ausstarben, setzte mein Vater einen schwarzen Homburg auf, so einen, wie ihn Adenauer hier trägt. Wenn mein Vater zum Markt ging (das nahm er meiner Mutter gerne ab, weil er dann mit den Bauern Platt schnacken konnte), trug er eine Kapitänsmütze mit einem Vegesacker Wappen vorne drauf. Die trug jeder im Ort, beinahe alle kauften die bei Schiphorst bei uns um die Ecke. Mein Vater auch. Er trug seine Kapitänsmütze aber nur in Vegesack, in Bremen oder anderswo hätte er die nicht aufgesetzt.

Da war er ganz anders als Helmut Schmidt, der seine Elblotsenmütze bei jeder passenden und vor allem unpassenden Gelegenheit trug. Schmidt kaufte seine Mützen beim Mützenmacher Eisenberg. ➱Lars Küntzel, dem der Laden heute gehört, hat immer die Modelle Prinz-Heinrich, Altona, Kiel, Elbsegler und Lotsenmütze im Programm. Er ist der letzte Mützenmacher in Hamburg, dieser Berufsstand scheint auszusterben. Ernst Fricke, bei dem mein Vater seine Hüte kaufte, den gibt es auch nicht mehr. Fricke hatte sein Geschäft in der Sögestrasse Nummer 27, vier Häuser rechts von ➱Stiesing. Herr Fricke hielt nichts von den Italienern, er kaufte seine Hüte in London und Paris ein.

Ich habe vor Jahren hier schon einmal über ➱Hüte geschrieben. Und den Post jugendlich forsch mit diesem Absatz beendet: Ich habe beschlossen - einer der vielen guten Vorsätze für das neue Jahr - irgendwann an dieser Stelle noch mehr über Hüte zu schreiben, über Trilbys, Porkpies, Homburgs und Bowler. Vielleicht gibt es dann wieder eine Hutkultur. Und wenn wir eine Hutkultur haben, kriegen wir vielleicht auch wieder einmal eine richtige Kultur. Ach, wäre das schön. Aus den vielen Posts zu Hüten ist leider bisher nichts geworden, aber vielleicht kommt das noch. Ich stelle heute noch einmal den Post über die Hüte, leicht überarbeitet, hier ein.

Ich wusste noch nichts vom Untergang des Hauses Borsalino, aber ich hatte die ganze Woche einen Borsalino auf dem Kopf. Ich habe bestimmt ein halbes Dutzend, habe auch einen Homburg, aber die schlappen Hüte sind mir lieber. Die Firma war ja immer für ihre weichen Hüte berühmt. Und dafür, dass der Schriftzug mit 24-karätigem Gold ins Etikett gestanzt wird. Wo ist sie hin, die Hutkultur?

Vor einem halben Jahrhundert betrat der Mann von Welt niemals die Straße, wenn er nicht einen Hut auf dem Kopf hatte. Und Handschuhe trug. Das gehörte einfach dazu. Arbeiter trugen Mützen, Herren trugen Hüte. Heute tragen selbst Rentner, die sich eigentlich gut kleiden könnten, Basecaps. Wollen Sie irgendwelche New Yorker Rapper imitieren? Wirkt ja nur peinlich. Der Hutindustrie, wenn man von einer Industrie überhaupt noch reden kann, geht es schlecht. Was ist aus Vanzina geworden? Panizza scheint nur noch als Hutmuseum zu existieren, scheint aber nach dieser Seite wieder zu leben.

Christys stand vor wenigen Jahren vor dem Ruin, wurde aber gerettet. Lock & Co gibt es glücklicherweise noch immer, seit dreihundert Jahren im Familienbesitz. Na ja, nicht ganz, seit 1996 gehören sie zu ➱Swaine Adeney Brigg. Ich weiß noch, als der Laden von Ernst Fricke in der Sögestraße in Bremen schloss, weil der Inhaber verstorben war. Und er war ein so feiner Herr, schluchzte die Verkäuferin, und er ist zweimal im Jahr nach London gefahren, um Hüte zu bestellen. Dafür trugen die Hüte, die er bei Lock & Co geordert hatte, auch seinen Namen neben dem Firmenwapperl im Futter. Dass die Hüte aus England kamen, darauf legte man im anglophilen Bremen viel Wert. Aber die feinen Herren, die Hüte aus London tragen, sind eine bedrohte Spezies geworden.

Kennedy ist schuld, sagen manche ➱Modehistoriker. Weil er Hüte gehasst hat. Das stimmt nicht so ganz, zu seiner Amtseinführung hat er einen Zylinder getragen, wie die Präsidenten vor ihm. Es war schweinekalt an dem 20. Januar 1961 als der Dichter Robert Frost sein Gedicht ➱The Gift Outright vorlas. Und von der Sonne geblendet und Tränen in den Augen vom kalten Wind, mittendrin stockte. Kriegt er es zu Ende? fragten sich die Zuschauer. Er kriegte.

Seit dem Tag gehören amerikanische Dichter schon beinahe zur Amtseinführung eines Präsidenten (Maya Angelou, Miller Williams, Elizabeth Alexander), Hüte nicht mehr. Das war der neue Kennedy Stil, der die Dichtung mit der Politik vermengte. Kennedy hat allerdings manchmal Hüte getragen, es gibt Photos davon. Aber die Kennedy Jahre markieren modehistorisch doch schon einen Einschnitt (nicht nur wegen des Zweiknopf Einreihers, den Kennedy bevorzugte), der Hut verschwindet langsam aus der Öffentlichkeit. Dabei ist die Öffentlichkeit der Ort, wohin der Hut gehört. Man trägt ihn nicht drinnen.

Außer man heißt Indiana Jones oder Crocodile Dundee. Indiana Jones trägt hier übrigens keinen Borsalino, wie man es letztens in jedem Artikel über Borsalino vom Telegraph bis zur Süddeutschen lesen konnte. Dies ist ein Fedora von Herbert Johnson, der ➱The Poet heißt. Manchmal geht der Hut drinnen doch, da es Religionsgemeinschaften gibt, bei denen der Hut in der Kirche oder der Synagoge getragen wird. Der amerikanische Soziologe ➱Richard Sennett hat in seinem Buch The Fall of Public Man den Verfall der Umgangsformen nachgezeichnet. Über Jahrhunderte hat es - ich vereinfache Sennett mal ein wenig - Umgangsformen für das Draußen und das Drinnen gegeben. Die Umgangsformen für die Öffentlichkeit waren von anderer Art als die Umgangsformen im privaten Bereich.

Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht mehr. Verließ man das Haus und betrat die Straße, war man in einer anderen Welt, die ihre eigenen Gesetze hatte. Der Begriff des Straßenanzugs kommt noch aus dieser Zeit. Dem Rentner, der mit einer ➱Jogginghose und Adiletten auf die Straße schlurft, um sich seine Bild Zeitung zu kaufen, ist das heute egal. Man wird für diesen Aufzug nicht mehr gesellschaftlich ostraziert. Die clothes police nimmt heute niemanden mehr in Gewahrsam. Dabei wäre das ein Desideratum von größerer gesellschaftlicher Bedeutung als das Rauchverbot, dass es diesen public man, von dem Richard Sennett spricht, wieder gibt. Die clothes police könnte dann auch gleichzeitig das Handyverbot in der Öffentlichkeit kontrollieren.

Ich muss es gestehen, ich liebe Hüte. Natürlich habe ich auch diese englischen und irischen Mützen in allen Farben. Obgleich ich davon mehrere habe, trage ich in den letzten Jahren nur diese braune Tweedmütze von Lock & Co., die bestimmt schon dreißig Jahre alt ist. Diese Dinge werden ja im Alter, wenn sie nicht von liebenden Frauen entsorgt werden, immer besser. Ich hatte mal einen blauen Bowler von Barbisio, den habe ich aber leichtfertig einer Theater AG geliehen. Als ich ihn zurückbekam, war er nicht mehr der gleiche. Da habe ich ihnen den für ihren Fundus geschenkt. Mein Hutvorrat (von Lock& Co., Christys, Herbert Johnson) hat vor fünfzehn Jahren eine schöne Erweiterung erfahren, als ich bei einem Second Hand Laden ein halbes Dutzend der feinsten Hüte der Welt (ungetragen) für einen Fuffi kaufte. Und der Händler gab noch einen dazu.

Und neben den ganzen Borsalinos, Vanzinas und Panizzas war dieses Gratisgeschenk mein Lieblingshut. Es ist ein graugrüner weicher Sporthut, leider ist sein Etikett irgendwann mal herausgefallen (man liest nur noch Firenze - Paris - London), das mir versicherte, dass er aus lapin sei.

Ich weiß, was lapin bedeutet. Ich war vor Jahrzehnten der einzige aus meinem Bataillon, der kein lapin au vin rouge gegessen hat, als wir ein Vierteljahr in Frankreich im Manöver waren (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Weil ich Offizier vom Dienst war und zu spät zum Essen kam, da war das Kaninchen alle. Der Koch hat mir ein paar Spiegeleier gebraten. Wenige Stunden später war ich der einzige im Bataillon ohne Lebensmittelvergiftung. Seitdem weiß ich, dass lapins nicht zum Essen da sind, sondern nur für Hüte gut sind. Damals trug ich noch so ein Schiffchen, wie das hier drei dieser ➱Offiziere tragen, diese praktische und elegante Kopfbedeckung gibt es heute auch nicht mehr.

Wenn die meisten Männer heute keine Hüte mehr tragen, gibt es doch Bereiche, in denen die Kopfbedeckungen noch florieren. Zum Beispiel der demnächst bevorstehende Karneval, wo Männer, die niemals einen schönen Borsalino aufsetzen würden, sich die seltsamsten Papphüte auf den Kopp setzen. Und natürlich die Welt des Films. Viele Filme wären nichts ohne Hüte, die Firma Baron Hats in Hollywood sorgt dafür, dass die Stars die richtigen Hüte bekommen. Sean Connery trägt in den frühen James Bond Filmen selbstverständlich einen Hut, den er dann elegant in Miss Moneypennys Büro durch die Luft segeln lässt.

Solche Trilbys gibt es heute noch zu kaufen, schauen Sie doch einmal hier hinein. Den Hut von Oddjob hat man da aber nicht im Angebot. Wahrscheinlich ist dass die wahre Bestimmung des Hutes in der Zukunft, dass wir sie in Filmen sehen können. Monsieur Hulot mit einem porkpie, diese Herren hier mit ihren Stetsons ... Man könnte da lange Listen zu diesem vestimentären Symbol erstellen. Für den Bowler gibt es mit Fred Miller Robinsons Buch The Man in the Bowler Hat: His History and Iconography ja schon eine kleine Kulturgeschichte. Da wünscht man sich doch etwas Ähnliches für Hüte im Film.

Montag, 25. Dezember 2017

Danke


Ich habe noch nicht alle Geschenke ausgepackt, dafür lasse ich mir immer Zeit. Das habe ich vor zwei Jahren schon in Weihnachtsgeschenke gesagt. Aber einen Dank an alle kann ich schon mal losschicken. Dieser Herr hier hat sich schon per E-Mail für seine Weihnachtsgeschenke bedankt. Sie kennen ihn vielleicht, sein Vater hat Kiplings Mandalay ins Plattdeutsche übersetzt. Und man kann ihn in dem Post Cricket und in dem Post Morning Coat sehen. Beides Posts, die mehr 20.000 mal angeklickt wurden. Und da ich bei Leserzahlen bin: was ich in dem Post Statistiken beklagte, ist seit einigen Tagen Vergangenheit. Die französischen Leser sind alle wieder da, in großen Zahlen. Da kann ich nur bienvenue sagen.

Ich habe seit vier Tagen mehr Leser als je zuvor, will mir Google da ein Weihnachtsgeschenk machen? Christine Keeler und I took on the sins of everybody, of a generation, really sind viele Male angeklickt worden, aber ganz oben bei den Top Ten der letzten Wochen steht ein anderer Post. In dem es um Dagmars Sektempfang, die Kieler Kunsthalle und englische Hunde geht. Wenn meine Posts seit Jahren ohne Tippfehler daher kommen, dann ist das ein Verdienst des Herren in dem karierten Hemd von Henry Poole da oben. Er ist sozusagen mein Korrektursystem. Kaum steht ein Post im Netz, da bekomme ich eine Mail, in der die Tippfehler aufgelistet sind. Ich bin gut mit Tippfehlern. Ich bin auch gut im Korrekturlesen. Aber nur bei den Manuskripten von anderen. Da finde ich alles. In meinen Texten finde ich nix, das ist eine seltsame Sache.

Ich bin in diesem Jahr etwas gehandicapped, rechtzeitigt zu Weihnachten habe ich einen eingeklemmten Ischiasnerv. Das ist nicht schön, andererseits machen mich die hoch dosierten Schmerztabletten richtig high. Wenn ich wieder mein normales Selbst bin, dann bedanke ich mich bei allen Freunden für die Weihnachtsgeschenke. Erst einmal muss das so gehen.

Sonntag, 24. Dezember 2017

Weihnachtsgeschichte


Wir kennen die Geschichte, es ist eine Geschichte, die jedes Jahr wieder erzählt wird. Überall auf der Welt. Es wird, wie bei allen Geschichten, immer etwas dazu getan, etwas weggelassen. Vieleicht wird die Geschichte eines Tages von Coca Cola erzählt werden, Santa Claus haben sie ja schon vereinnahmt. Manche Unstimmigkeiten in der Weihnachtsgeschichte können auch Übersetzungsfehler sein, die ganze Bibel ist voll davon. Studenten der Kunstgeschichte lernen schon im ersten Semester, dass Moses keine Hörner gewachsen sind, wenn er vom Berg Sinai herabsteigt. Auch wenn der Moses von Michelangelo Hörner hat. Der Bibelübersetzer Hieronymus hatte im hebräischen Urtext die Wörter keren (gehörnt) und karan (glänzend) verwechselt, deshalb die Hörner. Die professionellen Exegeten des Textes tun das ihre zu der Geschichte, um sie ihrem Glauben anzupassen. Und die Maler verwandeln die Erzählung dahin, dass sie in ihr Bild passt. So, dass wir uns das vorstellen können. Damit wir begreifen können, was da geschehen ist. Das Unbegreifliche wird zu einem Bild.

Der Evangelist Lukas versichert uns: Schon viele haben versucht, die Ereignisse zusammenhängend darzustellen, die Gott unter uns geschehen ließ und mit denen er seine Zusagen eingelöst hat. Diese Ereignisse sind uns überliefert in den Berichten der Augenzeugen, die von Anfang an alles miterlebt hatten und die den Auftrag erhielten, die Botschaft  Gottes weiterzugeben. So habe auch ich mich dazu entschlossen, all diesen Überlieferungen bis hin zu den ersten Anfängen sorgfältig nachzugehen und sie für dich, verehrter Theophilus, in der rechten Ordnung und Abfolge niederzuschreiben. Du sollst dadurch die Zuverlässigkeit der Lehre erkennen, in der du unterwiesen wurdest.

Wie immer die Stadt Davids vor zweitausend Jahren ausgesehen haben mag, auf den Bildern sehen wir ganz andere Landschaften im Hintergrund. Bei Pieter Brueghel findet die Schätzung, die der Kaiser Augustus befohlen hat (zur zeit da Kyrenius Landpfleger in Syrien war), im Winter statt, doch bei Lukas und Matthäus finden wir keine Jahreszeit. Bethlehem sieht hier aus wie ein holländisches Dorf im Schnee, Teiche und Flüsse sind zugefroren. Es könnte das gleiche Dorf sein, das wir auf dem ➱Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle sehen.

Den Hirten auf dem Felde wird die Botschaft von der Geburt Christi zuerst verkündet: VND es waren Hirten in der selbigen gegend auff dem felde / bey den Hürten / die hüteten des nachts jrer Herde. Vnd sihe / des HERRN Engel trat zu jnen / vnd die Klarheit des HERRN leuchtet vmb sie / Vnd sie furchten sich seer. Vnd der Engel sprach zu jnen. Fürchtet euch nicht / Sihe / Jch verkündige euch grosse Freude / die allem Volck widerfaren wird / Denn Euch ist heute der Heiland gebörn / welcher ist Christus der HERR / in der stad Dauid. Vnd das habt zum Zeichen / Jr werdet finden das Kind in windeln gewickelt / vnd in einer Krippen ligen. Vnd als bald ward da bey dem Engel die menge der himelischen Herrscharen / die lobten Gott / vnd sprachen / Ehre sey Gott in der Höhe / Vnd Friede auff Erden / Vnd den Menschen ein wolgefallen.

Irgendwann kommen die drei Heiligen Könige, die wohl gar keine Könige sind. Im griechischen Text heißen sie magoi apo anatolôn, Magier von Osten. Magier, Priester, Sterndeuter, Philosophen, was immer sie sein mögen. Die Legenda aurea ist da etwas ungenau. Bei Luther sind sie die Weisen aus dem Morgenland: Da Jhesus geborn war zu Bethlehem / im Jüdischenlande zur zeit des königes Herodis / Sihe / da kamen die Weisen vom Morgenland gen Jerusalem / vnd sprachen / Wo ist der newgeborne König der Jüden? Wir haben seinen Sternen gesehen im Morgenland / vnd sind komen jn an zu beten. Dass sie Caspar, Melchior und Balthasar heißen, dass einer von ihnen schwarz ist, davon finden wir nichts in der Bibel. Denn neben dem, was wir als Bibel kennen, gibt es noch andere biblische Erzählungen, die Legenda aurea, Biblia Pauperum oder Bible moralisée heißen.

Immer wieder wird die Geschichte von den Königen und der Krippe erzählt, meistens von der Kanzel herab. Das klingt dann in den Worten eines englischen Bischofs so: Last we consider the time of their coming, the season of the year. It was no summer progress. A cold coming they had of it at this time of the year, just the worst time of the year to take a journey, and specially a long journey. The ways deep, the weather sharp, the days short, the sun farthest off, in solsitio brumali, the very dead of winter. Venimus, we are come, if that be one, venimus, we are now come, come at this time, that sure is another. Das ist eine Predigt aus dem 17. Jahrhundert, aber sie klingt schon beinahe modern. Das war es wohl auch, was ➱T.S. Eliot daran gereizt hat, dieses A cold coming they had of it von Lancelot Andrewes in sein Gedicht ➱Journey of the Magi hinein zu schreiben.

Lancelot Andrewes ist einer der Väter der englischen Bibelübersetzung gewesen, die wir als Authorized Version oder King James Version der Bibel kennen. Wenn wir einmal einen Blick auf Lukas 2 in der King James Version werfen: And it came to pass in those days, that there went out a decree from Caesar Augustus that all the world should be taxed. (And this taxing was first made when Cyrenius was governor of Syria.) And all went to be taxed, every one into his own city. And Joseph also went up from Galilee, out of the city of Nazareth, into Judaea, unto the city of David, which is called Bethlehem; (because he was of the house and lineage of David:) To be taxed with Mary his espoused wife, being great with child. And so it was, that, while they were there, the days were accomplished that she should be delivered. And she brought forth her firstborn son, and wrapped him in swaddling clothes, and laid him in a manger; because there was no room for them in the inn.

Es ist diese einfache Klarheit der Sprache, die nach vierhundert Jahren immer noch eindrucksvoll ist. Das Englisch dieser Bibel hat Generationen von Schriftstellern geprägt. Vor allem in Amerika. Ich weiß nicht, wer über Hemingway gesagt hat, dass sein Stil eine Mischung aus der Sprache der Bibel in der King James Version und dem Telegraphenstil von Western Union ist, aber es passt doch gut. Das sagt auch Robert Alter, der Autor von Pen of Iron: American Prose and the King James Bible (Princeton University Press). Auf die Frage Is there a particular essence of the style of the KJV—or its effect on the reader—that is passed down through American prose? antwortete Alter: I don't believe that the effects of the KJV can be reduced to a single “essence.” Different writers have taken away different things from the KJV—for Melville, it was the power of biblical poetry; for Hemingway, the parallel syntax and the attachment to plain language; for Faulkner, certain key biblical terms around which he organized his vision of history and human life. Sogar der Stil von ➱Cormac McCarthy wird bei Robert Alter berücksichtigt.

Wenn man die Bibel in englischer Sprache lesen will, dann hätte ich noch eine Literaturempfehlung. Es ist The Bible Designed to be Read as Literature von Ernest Sutherland Bates, seit 1936 ein kleiner Klassiker. Ich habe es vor Jahren von Georg zu Weihnachten bekommen, ich lese immer darin. Es ist die alte King James Version, allerdings befreit von unnötigem Ballast. Doch die altertümlichen Wendungen wie die schönen thous sind geblieben. Aber wenn man Sprache und Stil der englischen King James Version lobt, sollte man doch unsere Lutherbibel nicht kleinreden. 

Auch sie hat eine große sprachliche Kraft, die die deutsche Sprache und Literatur geprägt haben. Es gilt sicherlich das Wort von Johann Gottfried Herder: Er ists, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden; er ists, der die scholastische Wortkrämerei, wie jene Wechslerische, verschüttet; er hat durch seine Reformation eine ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Und Goethe sagt im Gespräch mit Eckermann: Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind in Folge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zu Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen.

Luther schreibt schon frühneuhochdeutsch. Einige Sprachstufen zurück, im Gotischen, hätte die Weihnachtsgeschichte in der Bibel des Wulfila so ausgesehen: Warþ þan in dagans jainans, urrann gagrefts fram kaisara Agustau, gameljan allana midjungard. soh þan gilstrameleins frumista warþ at (wisandin kindina Swriais) raginondin Saurim Kwreinaiau. jah iddjedun allai, ei melidai weseina, ƕarjizuh in seinai baurg. Urrann þan jah Iosef us Galeilaia, us baurg Nazaraiþ, in Iudaian, in baurg Daweidis sei haitada Beþlaihaim, duþe ei was us garda fadreinais Daweidis, anameljan miþ Mariin sei in fragiftim was imma qeins, wisandein inkilþon. warþ þan, miþþanei þo wesun jainar, usfullnodedun dagos du bairan izai. jah gabar sunu seinana þana frumabaur jah biwand ina jah galagida ina in uzetin, unte ni was im rumis in stada þamma. 

Ich habe im Studium ein Gotisch Proseminar besucht, weiß aber nichts mehr davon; weiß nur noch, dass ahak die Taube heißt, weil das das erste Wort im Lexikon war. Und selbst wenn wir das Warþ þan in dagans jainans verstehen können, den Rest können wir nicht lesen. Und deshalb gibt es den Anfang der Weihnachtsgeschichte nach Lukas noch einmal im frühneuhochdeutschen Original:

Es begab sich aber zu der zeit / Das ein Gebot von dem Keiser Augusto ausgieng / Das alle Welt geschetzt würde. Vnd diese Schatzung war die allererste / vnd geschach zur zeit / da Kyrenius Landpfleger in Syrien war. Vnd jederman gieng / das er sich schetzen liesse / ein jglicher in seine Stad. Da machet sich auff auch Joseph / aus Galilea / aus der stad Nazareth / in das Jüdischeland / zur stad Dauid / die da heisst Bethlehem / Darumb das er von dem Hause vnd geschlechte Dauid war / Auff das er sich schetzen liesse mit Maria seinem vertraweten Weibe / die war schwanger. Vnd als sie daselbst waren / kam die zeit / das sie geberen solte. Vnd sie gebar jren ersten Son / vnd wickelt jn in Windeln / vnd leget jn in eine Krippen / Denn sie hatten sonst keinen raum in der Herberge.

Ich wünsche all mein Lesern ein frohes Weihnachtsfest, auch wenn das Wetter mit Dauerregen und frühlingshaften Temperaturen keine ➱Weihnachtsgefühle aufkommen lässt. Als ich gestern Nacht noch einmal um den Block ging und die klitzekleine Mondsichel bewunderte, hatte ich das Gefühl, dass ein Frühlingssturm um die Straßenecken fegte. Aber das hat es auch schon einmal gegeben. So notierte der Pfarrer Gilbert White am 27. Dezember 1768 in seinem Tagebuch: Weather more than April than the end of December. Hedgesparrow sings.

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