Montag, 31. Januar 2022

Robert E. Lee


1865: General Robert Edward Lee wird Oberbefehlshaber über die gesamte Armee der Konföderierten Staaten von Amerika im Sezessionskrieg, steht im Datenblatt für den 31. Januar bei Wikipedia. Wie so vieles in diesem Internet Lexikon ist das nicht ganz richtig. Am 31. Januar hat der zweite Confederate States Congress beschlossen, dass es einen General in Chief of the Armies of the Confederate States geben solle. Erst am 6. Februar wurde General Robert E. Lee dazu ernannt. Es ist ein Titel, der nichts mehr wert ist. Drei Monate später muss Lee kapitulieren.

Lincoln hatte 1861 Robert E. Lee durch den Generalleutnant Winfield Scott den Oberbefehl der Armee des Nordens anbieten lassen, aber der Mann aus Virginia hatte höflich abgelehnt: During the whole of that time, more than a quarter of a century, I have experienced nothing but kindness from my superiors & the most Cordial friendships from any Comrades. To no one Genl have I been as much indebted as to yourself for kindness & Consideration & it has always been my ardent desire to merit your approbation. I shall carry with me, to the grave the most grateful recollections of your kind Consideration, & your name & fame will always be dear to me. Lees Familie lebt seit zweihundert Jahren in Virginia, er kann nicht als Oberkommandierender des Norden gegen seinen Heimatstaat kämpfen. In der US Army gibt es allerdings noch sieben andere Colonels, die auch aus Virginia stammen, alle West Point Absolventen wie Lee. Alle sieben bleiben in der Armee der Nordstaaten.

Der Süden macht Lee zum Kommandeur der Armee von Virginia. Macht ihn zum Dreisternegeneral, aber diese Uniform wird Lee nicht tragen. Massa Robert trägt die Uniform eines Colonels der provisorischen Südstaatenarmee. Man erkennt ihn auch so, er ist mit einem Meter achtzig größer als die anderen Generäle. Der Süden hat Dreisternegeneräle, der Norden ist nicht so spendabel, da kriegt man nur zwei Sterne. Lincoln macht George McClellan zum Oberkommandierenden. Der steht gerne vor dem Spiegel und bewundert sich in seiner Uniform. Er kann organisieren und eine Armee aufbauen, aber vor einer Schlacht, da hat er Angst. Vor allem vor Robert Lee hat McClellan Angst. Das weiß Robert E. Lee, und seine Virginia Armee wird viele Schlachten im Bürgerkrieg gewinnen. Irgendwann wird Lincoln McClellan feuern, aber mit den Nachfolgern Burnside und Hooker hat er auch kein Glück. Burnside wird berühmt für seine buschigen Koteletten, die heute noch sideburns heißen. Nach Hooker sind angeblich Huren hookers genannt worden. Das stimmt nicht ganz, aber der trinkfreudige Hooker hat sehr viele hookers in seinem Camp. McClellan kandidiert bei der nächsten Wahl gegen Lincoln, aber auch da wird er verlieren.

Als die Schlacht von Gettysburg zu Ende war, hat es geregnet. Es regnet jetzt immer im Bürgerkrieg, wenn die Schlachten zu Ende sind. Meteorologen vermuten, dass es etwas mit dem Artilleriefeuer zu tun hat. Die Artllerie hatte am 3. Juli 1863 um 13 Uhr zu feuern begonnen, mit allem, was der Süden noch an Munition hatte. Zwei Stunden lang. Offiziell wird die Artillerie von General William Pendleton kommandiert, der diesen Posten wohl nur hat, weil er ein Freund von Präsident Jefferson Davis ist. In Wirklichkeit hat Colonel Edward Porter Alexander, der erst achtundzwanzig ist, die Befehlsgewalt. Er ist einer der fähigsten Ingenieure in den Reihen des Südens. 

Wenn Alexander mit der Kanonade fertig ist, soll der Angriff beginnen, der als Pickett's Charge berühmt geworden ist. Faulkner hat ihn in den Roman Intruder in the Dust hineingeschrieben. Ein Moment, den jeder Vierzehnjährige im Süden so im Kopf hat und jederzeit so abrufen kann: For every Southern boy fourteen years old, not once but whenever he wants it, there is the instant when it's still not yet two o'clock on that July afternoon in 1863, the brigades are in position behind the rail fence, the guns are laid and ready in the woods and the furled flags are already loosened to break out and Pickett himself with his long oiled ringlets and his hat in one hand probably and his sword in the other looking up the hill waiting for Longstreet to give the word and it's all in the balance, it hasn't happened yet, it hasn't even begun yet, it not only hasn't begun yet but there is still time for it not to begin against that position and those circumstances which made more men than Garnett and Kemper and Armistead and Wilcox look grave yet it's going to begin, we all know that, we have come too far with too much at stake and that moment doesn't need even a fourteen-year-old boy to think This time. Maybe this time with all this much to lose than all this much to gain: Pennsylvania, Maryland, the world, the golden dome of Washington itself to crown with desperate and unbelievable victory the desperate gamble, the cast made two years ago

Intruder in the Dust ist 85 Jahre nach der Schlacht von Gettysburg geschrieben, aber im Süden von William Faulkner sind Vergangenheit und Gegenwart ein großes Kontinuum. Und wahrscheinlich können noch viele im Süden den Beginn von Pickett's Charge so evozieren. Auf jeden Fall, nachdem sie die Ted Turner Produktion Gettysburg gesehen haben. Der Angriff wird ein Blutbad. General James Longstreet, Lees Befehlshaber in der Schlacht von Gettysburg, hat diese Schlacht, die sich so zufällig ergeben hat, nicht gewollt. Aber Lee zwingt ihn, auch noch am dritten Tag ohne Chance den Norden auf der kleinen Hügelkette anzugreifen. Longstreet ist sicherlich Lee kompetentester General, und Lee hält große Stücke auf ihn. Aber James Longstreet kommt nicht aus Virginia, wie die meisten Millionäre, Großgrundbesitzer und Sklavenhalter, die Robert E. Lee als Generäle um sich geschart hat. Nach der verlorenen Schlacht und dem verlorenen Krieg wird der Süden Longstreet zum Hauptschuldigen machen, denn Lee macht man nicht zum Schuldigen, der hat eine Art Heiligenstatus im Süden. Beinahe bis heute. Nach der verlorenen Schlacht ist Lee ohne Ziel auf dem Schlachtfeld umhergeritten und hat immer wieder ausgerufen, dass alles seine Schuld gewesen sei. Er hat Pickett angewiesen, seine Division zu sammeln, um den Rückzug zu sichern. General Lee, I have no division, wird Pickett sagen. Sein Bericht über die Schlacht hat Lee nicht gefallen, er verlangte eine neue Fassung. Keine Version ist erhalten.

Als Colonel Edward Porter Alexander das Feuer von Longstreets Artillerie einstellte, konnte er sehen, dass alles zu Ende war. Er sieht, wie General Armistead, den Hut in der Hand, erschossen wird, als er gerade die Kanonen des Feindes erreicht. Alexander sieht, wie Picketts Angriff scheitert, er spart jetzt jeden Schuss für den Fall, dass General Meade der zurückflutenden Armee des Südens nachsetzt. Doch der einzige, der auf Colonel Alexander zureitet, ist General Lee. Später kommt noch der englische Colonel Arthur Fremantle hinzu. Lee stellt die Colonels einander nicht vor, in dem Augenblick wird Alexander klar, wie er aussieht. Er trägt nur sein Hemd und die roten Hosen eines Artillerieoffiziers, nichts weist auf seinen Dienstgrad hin, seine Hosen sind zerfetzt. Er hat es der Nachwelt in Fighting for the Confederacy: The Personal Recollections of General Edward Porter Alexander beschrieben, ein Buch, das in klarer Sprache nichts beschönigt und nichts schönt. Und das erstaunlicherweise bis 1989 warten musste, bis es veröffentlicht wurde.

Die Armee von Virginia wird sich zurückziehen, das kurze Abenteuer, in den Norden zu marschieren und einen Angriff auf Washington zu versuchen, ist vorbei. General George Meade wird Lee nicht verfolgen, um den kümmerlichen Rest von Lees Armee zu vernichten. Er ist erst seit wenigen Tagen im Amt als Oberbefehlshaber der Army of the Potomac. Er möchte lieber ganz vorsichtig sein, er weiß, dass keiner seiner Vorgänger McClellan, Burnside und Hooker sich länger als ein halbes Jahr im Kommando gehalten haben. Er wird bis zum Kriegsende bleiben, obgleich er unter Ulysses S. Grant nicht mehr so viel zu sagen hat.

Am 9. April 1865 wird Robert E. Lee als Oberkommandierender der Südstaatenarmee, der er nur drei Monate war, in Paradeuniform (wieder als Colonel der CSA) gegenüber Ulysses S. Grant kapitulieren. Grant trägt die Uniformjacke eines einfachen Soldaten, da wird man als General nicht so schnell erschossen. Es ist noch Stroh von der Scheune, in der Grant zuvor geschlafen hatte, an der Uniform. I must have contrasted strangely with a man so handsomely dressed, six feet high and of faultless form, wird Grant später schreiben. Man unterzeichnet die Kapitulationsurkunde im Wohnzimmer des Farmers McLean in Appomattox Court House. Wilmer McLean hatte zuvor in Manassas gewohnt, da wo die erste Schlacht des Bürgerkrieges begann. Er kann sagen, dass der Krieg in seinem Vorgarten begann und in seinem Wohnzimmer endete. Die Nordstaatengeneräle, die bei der Kapitulation anwesend sind, kaufen Wilmer McLean seine ganze Wohnzimmereinrichtung ab, um ein Souvenir dieses Tages zu haben. Robert E. Lees Grundbesitz in Virginia wird 1864 enteignet und wird zum Nationalfriedhof Arlington, der Familie Lees wird zwanzig Jahre später eine Entschädigung von 150.000 $ zugesprochen. Zwei Monate nach der Kapitulation, am 23. Juni 1865 wird sich der letzte General der Südstaaten ergeben, es ist der Cherokee Häuptling Stand Watie

In Richmond (Virginia) gibt es eine Monument Avenue, da ritten bis vor kurzem Robert E. Lee, Stonewall Jackson und J.E.B Stuart noch stolz auf dem Pferd. Nach dem Bürgerkrieg konnte man gar nicht genug Statuen für die toten Helden des Bürgerkriegs aufstellen. William Faulkners Großvater, Colonel in der Südstaatenarmee, organisierte ein Ritterturnier, um das Geld für ein Soldatendenkmal zusammen zu bekommen. The stone statues of the abstract Union Soldier grow slimmer and younger each year -- wasp-waisted, they doze over muskets and muse through their sideburns, heißt es in Robert Lowells Gedicht For the Union Dead. Es ist der Steinfraß, der die steinernen Soldaten schlanker macht. Robert E. Lee kann er nichts anhaben, der ist aus Bronze.

Aber Bronze kann man einschmelzen, und das geschieht in Amerika seit einigen Jahren. Die Statuen von Lee und seinen Generälen werden entfernt, eingelagert, eingeschmolzen. Einst waren die Großgrundbesitzer und Sklavenhalter die Helden des Südens, jetzt nicht mehr. Braucht der Süden noch diese Denkmäler? Ambrose Bierce hat in seinem Devil's Dictionary ganz entschiedene Ansichten: Monument, n. A structure intended to commemorate something which either needs no commemoration or cannot be commemorated. Vielleicht ist das größte Denkmal des Bürgerkriegs der Nationalfriedhof von Arlington. Auch da ist Marse Robert, dem Präsident Lincoln einmal das Kommando der Armee des Nordens angeboten hatte, noch gegenwärtig. Selbst wenn es da kein Denkmal für ihn gibt. Aber das Grün hier, das war alles mal seins. Seine Villa Arlington House hat man stehen lassen, auch eine Art von Denkmal. Lowells Satz: Their monument sticks like a fishbone in the city’s throat gilt nicht nur für Boston, der gilt für all die Denkmale des Bürgerkriegs. Sie standen da für die Erinnerung an die Geschichte. 

Man hätte sie stehen lassen sollen. Auch das kleine Monument für den Brigadegeneral Stand Watie hat man entfernt und eingelagert. A lot is going on in this country in terms of racial strife and the Cherokee Nation plays a role in healing, and this is one of the ways we can do that, hat der Sprecher der Cherokee Nation erklärt. In honor of Gen. Stand Watie, the only full blood Indian Brig. Gen. in the Confederate Army. This brave Cherokee rendered heroic service to the Confederate cause in Ind. Terr. Born in GA. Dec. 12, 1806, died in Cher. Nat. Sept. 9, 1871. A tribute to his memory by Okla. Div. United Daughters of the Confederacy. 'Lest we forget.' stand auf dem Denkmal. Politischer Ikonoklasmus hin und her, aber ein Land sollte zu seiner Geschichte stehen.

Sonntag, 30. Januar 2022

Dorothy Malone (once again)


Die amerikanische Schauspielerin Dorothy Malone wurde am 30. Januar 1924 geboren. Sie hatte am 30. Januar 2013 schon einen Post in diesem Blog, den stelle ich heute noch einmal in leicht überarbeiteter Form ein. Es ist nicht ganz dasselbe, es steht schon etwas mehr drin. Ich schreibe zur Zeit an mehreren Dingen, aber ich verheddere mich, nix ist fertig. Ich schreibe über die bunten Duchamp Hemden, wie ich das in style mixed angedeutet habe, aber ich beginne nicht 1989 im Jahre der Firmengründung von Duchamp, sondern 1870. Weil da zum ersten Mal die bunten Streifen, die sogenannten regatta stripes, auf den Hemden der englischen Gentlemen auftauchen. Das kann wieder lang werden. 

Das Cover von den Cahiers du Cinéma aus dem März 1958 täuscht darüber hinweg, dass überhaupt nichts über Dorothy Malone in dem Heft steht. Außer: Dorothy Malone et Rock Hudson sont, aux côtés de Robert Stack, les vedettes du film Universal en Cinéma-Scope 'La ronde de l’aube', tiré du célèbre roman de William Faulkner,  'Pylône' (édité en français par Gallimard). Avec le metteur en scène Douglas Sirk et le producteur Albert Zugsmith se trouve ainsi reconstituée l'équipe qui fit le succès de 'Ecrit sur du vent', pour lequel on avait décerné un Oscar à Dorothy Malone. Ein wenig mehr weiß man in Frankreich schon über Douglas Sirk und Dorothy Malone. François Truffaut wird über Written in the Wind schreiben, und Godard wird uns 1959 in den Cahiers du Cinéma versichern, dass wir es bei Sirk mit einem auteur zu tun haben. Die Auteur-Theorie ist damals eine große und wichtige Sache der Filmkritik.

Der Hamburger Hans Detlef Sierck, der sich nach seiner Emigration in die USA Douglas Sirk nannte, hatte ein Händchen dafür, Filmschauspielerinnen zu entdecken, sie zu förden, und sie plakativ ins Bild zu setzen. Ohne ihn hätte Zarah Leander nicht diesen Erfolg gehabt, den sie mit Zu neuen Ufern und La Habanera hatte. Barbara Stanwyck und Jane Wyman werden in seinen Filmen ihre besten Rollen haben. Und Dorothy Malone wird so gut wie nie zuvor in seinen Filmen sein. An agent kept calling me that there is a director from Europe who wants you and only you. He was every woman’s dream of a director. He was very Prussian, wore a scarf, and maybe he even had a walking stick. If he liked you, he was so much fun. I found him utterly charming. But it must have been terrible if he didn’t like you, hat sie über ihn gesagt.

Am Beginn ihrer Karriere war Dorothy Malone eine von vielen Schönheiten, die Hollywood auf der Leinwand präsentierte. Obgleich sie in The Big Sleep in ihrer ersten Sprechrolle schon Lauren Bacall die Show stahl. Aber dann legte sie das Image des All American Girl, des netten Mädchens von nebenan, ab. So wie sie in The Big Sleep die Brille abnimmt und in Handumdrehen von der kleinen Brillenschlange im Buchladen zum Vamp mutiert. Jetzt spielt sie verruchte Frauen, also soweit Hollywood verruchte Frauen erlaubt. Die haben in den fünfziger Jahren nicht mehr einen solchen Höhepunkt, wie sie ihn im Film Noir hatten, als es nur noch good-bad girls und femmes fatales zu geben schien. Rita Hayworth in Gilda wird unvergessen bleiben.

Zehn Jahre nach The Big Sleep entdeckte Douglas Sirk Dorothy Malone und gab ihr eine gewagte Rolle als frustrierte Nymphomanin in Written on the Wind. Was ihr sogleich einen Oscar einbrachte. Lauren Bacall nicht, obgleich die die Hauptrolle spielte. Das war das zweite Mal, dass Dorothy Malone der Bacall die Show stahl. Ich weiß nicht, ob die beiden jemals Freundinnen geworden sind. Unsere Sympathien (und die der Motion Picture Academy) sind natürlich auf der Seite von Dorothy.

Ich liebe sie wie selten einen Menschen im Kino, hat Rainer Werner Fassbinder gesagt. Denn wir lieben die verruchte Dorothy Malone und können deshalb die edle Lauren Bacall nicht ausstehen. Oder, wie Fassbinder es formulierte: Statt dass sie (Lauren Bacall) mit ihm (Robert Stack) saufen ginge, was begriffe von seinem Schmerz, wird sie immer edler und reiner und immer mehr zum Kotzen, und immer deutlicher sieht man, wie sehr sie eigentlich zu Rock Hudson passen würde, der auch zum kotzen ist und auch edel. Irgendwie hat Fassbinder diesen Film instinktiv begriffen - was natürlich niemanden wundert, weil Douglas Sirk für ihn ein großes Vorbild ist. Written on the Wind ist ein Melodrama in den kitschigsten Farben, die Technicolor zu bieten hatte. 

Wenn Lauren Bacall mit Robert Stack gelebt hätte, statt neben, von ihm und für ihn zu leben, dann hätte er auch glauben können, dass das Kind, das sie kriegt, auch wirklich das seine ist. Er hätte nicht zu stöhnen brauchen. So aber ist sein Kind im Grunde wirklich eher eins von Rock Hudson, obwohl der es nie mit Lauren getrieben hat. Dorothy macht etwas Böses, sie hetzt ihren Bruder auf gegen Lauren und Rock. Trotzdem liebe ich sie wie selten einen Menschen im Kino, ich bin als Zuschauer mit Douglas Sirk auf den Spuren der Verzweiflung der Menschen. In 'Written on the Wind' ist das Gute, das 'Normale', das 'Schöne' immer sehr eklig, das Böse, das Schwache, das Haltlose öffnet das Verständnis. In diesem Haus, das Sirk sich hat für die Hedleys bauen lassen, da müssen die Gefühle die seltsamsten Blüten treiben.

Das Licht bei Sirk ist immer so unnaturalistisch wie möglich. Schatten, wo keine sein dürften, helfen, Empfindungen plausibel zu machen, die man sich gern fremd halten möchte. Genauso die Einstellungen in 'Written on the Wind', fast nur schräge, meist von unten, so ausgesucht, dass das Fremde an der Geschichte nicht im Kopf des Zuschauers passiert, sondern auf der Leinwand. Douglas Sirks Filme befreien den Kopf. Er hat auch noch gesagt: Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut, eben mit all diesen wahnsinnigen Sachen, für die es sich lohnt. Sirk hat außerdem gesagt, das Licht und die Einstellung, das ist die Philosophie des Regisseurs.

Written on the Wind ist, wie so vieles bei Douglas Sirk, Kitsch. Er drehe women's weepies haben seine Kritiker gesagt. Wim Wenders hat ihn den Dante der Soap Operas genannt. Es ist ein im höchsten Maße artifizieller Kitsch - wahrscheinlich war es das, was Fassbinder so anzog. Er hat auch nette Dinge über The Tarnished Angels (deutsch: Duell in den Wolken) gesagt. Ein Film über das Scheitern, wie Written on the Wind - von einem passionate interest in failure hatte er in seinem Interview gesprochen, das Jon Halliday als Sirk on Sirk veröffentlicht hat. Sirk ist der Regisseur, der uns in opulenten Melodramen immer wieder zeigt, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Und natürlich befreien seine Filme den Kopf.

Bosley Crowther von der New York Times konnte dem Film nichts abgewinnen, er schrieb über ihn, er sei badly, cheaply written by George Zuckerman and is abominably played by a hand-picked cast. The sentiments are inflated — blown out of all proportions to the values involved. And the acting, under Douglas Sirk's direction, is elaborate and absurd. Doch in einer neueren Rezension in derselben Zeitung schreibt sein Kollege Dave Kehr: 'The Tarnished Angels' is among Sirk’s most self-conscious and artistically ambitious creations.... This is bravura filmmaking in the service of a haunting vision. Yet there are moments of almost microscopic subtlety: the camera movement that expresses the moral reversal of the Hudson and Stack characters, one growing larger than the other; the infinite tenderness with which Hudson strokes Ms. Malone’s hair, helplessly trying to comfort her after a shock.

Es gibt wenige Filme, die die Kritiker derart entzweien. Ich lasse jetzt mal Pauline Kaels Satz 'The Tarnished Angels' is the kind of bad movie that you know is bad—and yet you’re held by the mixture of polished style and quasi-melodramatics achieved by the director, Douglas Sirk beiseite. William Faulkner, dessen Roman Pylon hier zwanzig Jahre später verfilmt wurde, mochte das Drehbuch nicht (er hatte auch das Angebot, das Drehbuch selbst zu schreiben, abgelehnt). Doch er mochte das Endergebnis: Thought it was pretty good, quite honest. Fügte dem aber hinzu: But I'll have to admit I didn't recognize anything I put into it. Und trotz dieser netten Ironie war er der Meinung, dass dies die gelungenste Verfilmung eines seiner Romane sei.

Frederick Karl wußte in seiner Faulkner Biographie über den Film nur zu sagen: the film was undercut from the start by the miscasting of Dorothy Malone in the role of Laverne. Malone was a fine actress, but the quality of Laverne could perhaps only be caught by someone with an outlaw dimension like Joan Crawford or Barbara Stanwyck. Wahrscheinlich ist Frederick Karl in den vierziger Jahren zum letzten Mal im Kino gewesen, das Beste an seiner 1.100-seitigen Faulkner Biographie ist, dass sie sich als Türstopper eignet. Wenn Sie eine gute Faulkner Biographie lesen wollen, dann lesen Sie Joseph Blotner Faulkner: A Biography, Peter Nicolaisen William Faulkner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten oder Stephen B. Oates William Faulkner. Sein Leben, sein Werk.

The Tarnished Angels soll (wie der Roman Pylon) in den dreißiger Jahren spielen, doch die dreißiger Jahre sehen hier sehr wie die fünfziger Jahre aus. Auch wenn der Film nicht in den grauenhaften Technicolor Farben gedreht worden ist, über die Frieda Grafe sagte: Die Farben nehmen einen an der Hand. Sie sind der verbindende rote Faden zwischen den Personen. Durch sie dringt etwas in die Menschen ein, das erst nach und nach sich zu Gefühlen konkretisiert. Den Film in Schwarzweiß zu drehen war keine künstlerische Entscheidung von Sirk, Universal hatte kein Vertrauen auf einen kommerziellen Erfolg und spendierte dem Regisseur nur das billigere Schwarzweißfilmmaterial.

Dieser Schwarzweißfilm bemüht sich nicht, sich an der Photographie der FSA Photographen der dreißiger Jahre zu orientieren, ist niemals körnig, dunkel, schmutzig. Dies ist nicht the real thing. Dies ist wie ein Filmtitel von Sirk: Imitation of Life. Eine high key Ausleuchtung im fifties style, wie Universal es gerne haben möchte. Nichts mehr mit Film Noir. Es ist der Stil der Zeit. Wäre Cat on a Hot Tin Roof in Schwarzweiß gedreht, würde er genauso aussehen. Dazu zerstört das neue Cinemascope Format jede Möglichkeit - die John Ford bei der Verfilmung von Steinbecks The Grapes of Wrath noch hatte - der Simulation eines Films der dreißiger Jahre. Jedes Bild ist bis in die Ecken durchkomponiert, hat er das an der Universität Hamburg bei Panofsky gelernt? Another influence on me was Erwin Panofsky, later the great art historian, under whom I studied. I was one of the select in his seminar, and for him I wrote a large essay on the relations between medieval German painting and the miracle plays. I owe Panofsky a lot.

Douglas Sirk dreht Written in the Wind ein Jahr später noch einmal. Dieselben Darsteller (Dorothy Malone, Rock Hudson, Robert Stack), aber ein besseres Buch (in 'Written on the Wind', the whole story is artificial), und natürlich wieder ein Melodrama. Andrew Sarris (ein Kritiker, dem man mehr Vertrauen schenken kann als Bosley Crowther) hat das sehr schön formuliert: Even in most dubious projects, Sirk never shrinks away from the ridiculous, but by a full-bodied formal development, his art transcends the ridiculous, as form comments on content. Und 'Written on the Wind' and 'Tarnished Angels' become more impressive with each passing year. Die deutsche Filmkritikerin Frieda Grafe hat die Wirkung der Sirkschen Melodramen plakativ mit Entweder heult man, oder man kotzt beschrieben.

Jetzt pumpt er Faulkners Pylon voll mit Melodrama und Sentimentalität. Seit er in den dreißiger Jahren das Buch gelesen hatte, wollte er es verfilmen. Und das Melodrama ist für ihn die einzige Möglichkeit, das amerikanische Publikum einzufangen: As a theater man, I had to deal with high art. I would play farces and comedy to make money, and classics for the elite. But we were trying to escape the elitaire. So slowly in my mind formed the idea of melodrama, a form I found to perfection in American pictures. They were naive, they were that something completely different. They were completely artless. This tied in with my studies of the Elizabethan period, where you had both l'art pour I'art and you had Shakespeare. He was a melodramatist, infusing all those silly melodramas with style, with signs and meanings. There is a tremendous similarity between this and the Hollywood system — which then I knew from only far away. Shakespeare had to be a commercial producer.

Dorothy Malone, die in gewissem Sinne William Faulkner ihre Karriere verdankt - er hatte das Drehbuch zu Chandlers The Big Sleep geschrieben - bedankt sich jetzt bei Faulkner. Gibt ihm durch ihre schauspielerische Leistung ein wenig Dank zurück. Spielt die LaVerne Shuman mit der abgebrühten toughness der Great Depression, und gleichzeitig ist sie so zart und zerbrechlich. So gut wie in den Filmen von Douglas Sirk ist sie nie wieder gewesen (obgleich man sie in dem Western Warlock, der Fernsehserie Peyton Place und bei ihrem Kurzauftritt in Basic Instinct gerne gesehen hat): Then there is Ms. Malone, who won a supporting actress Oscar for her work in 'Written on the Wind' but gives the true performance of her career here as an angelic figure dressed in white and lighted with searing brightness by Sirk. Her large, pale eyes convey reserves of sadness and experience that the Hudson character will never know (Dave Kehr).

Dorothy Malone hatte noch Erfolg in der Serie Peyton Place, wo sie die Rolle spielte, die Lana Turner in der Kinoversion von Peyton Place hatte. Die Rolle von Miss Ellie Ewing in Dallas lehnte sie ab. Als Malone neben Sharon Stone in Basic Instrinct erschien, lagen ihre großen Erfolge schon Jahrzehnte zurück, aber ganz vergessen war sie nie. Sie ist am 19. Januar 2018, zehn Tage vor ihrem vierundneunzigsten Geburtstag, gestorben. Aber sie lebt weiter in ihren Filmen. Die große Douglas Sirk Collection mit sieben DVDs kostet bei Amazon 35,81 €, der Kauf lohnt sich auf jeden Fall. Wenn Sie Dorothy Malone singen hören wollen, klicken Sie hier. Und ganz, ganz viele Bilder von Dorothy Malone finden Sie hier und hier. Den Film The Tarnished Angels gibt es hier natürlich auch.

Mittwoch, 26. Januar 2022

Interjektionen


Der Kabarettist Wilfried Schmickler hat im letzten Jahr den Bayerischen Kabarettpreis bekommen. Wahrscheinlich deshalb gönnte ihm der WDR an seinem Geburtstag im November einen ganzen Abend und sendeteDas Letzte und Kein Zurück. Beide Sendungen sind noch in der Mediathek, sein neues Programm, mit dem er jetzt unterwegs ist (wenn die Veranstaltungen wegen Corona nicht ausfallen), heißt Es hört nicht auf. Das ist aber noch nicht in der Mediathek. Schmickler ist seit Jahrzehnten für den WDR  tätig (Ich bin ein überzeugter Öffentlich-Rechtlicher. Mein Fernseher ist übrigens auch angemeldet), bei den Mitternachtsspitzen ist er seit zwei Jahren nicht mehr dabei. Sprache und Wortgewalt sind es, die Schmickler auszeichnen, ihn zu einer Institution machen. Schmickler ist groß, hat etwas im Kopf und ist sprachgewaltig.

Das bringt mich zu einem Mann, der auch im Fernsehen tätig ist, und der das genaue Gegenteil von Wilfried Schmickler ist. Er ist klein, hat nichts im Kopf und hat sprachlich wenig zu bieten. Interjektionen sind das, was ihn auszeichnet. Interjektionen sind ein typisches Merkmal der Mündlichkeit, das heißt, sie treten besonders in gesprochener Sprache auf und dienen auch in schriftlicher Kommunikation und literarischer Sprache als Stilmittel fingierter Mündlichkeit. Als Äußerungstyp mit besonderer expressiver oder appellativer Funktion beziehen sich Interjektionen auf die Sprechsituation mit Sprecher und Empfänger und simulieren oder ersetzen dort typischerweise nonverbale oder paraverbale Kommunikationshandlungen wie Reflexlaute (Schmerz, Überraschung u. a. m.), Lachen, Mimik und Gestik. Das sagt uns der Wikipedia Artikel zum Thema Interjektionen. Wir alle kennen sie, wir alle gebrauchen sie. Dagegen ist nichts zu sagen. Bedenklich wird es nur, wenn die Interjektionen die ganze Sendung im Fernsehen ausmachen. Und wenn diese Sendung dann auch noch die höchsten Einschaltquoten des ZDF hat und die meistgesehene Sendung in Deutschland ist. Warum lassen wir uns von Trash-TV berieseln? fragte der Spiegel. Ich weiß es auch nicht, aber die Schwarzwaldklinik war letztens bei ZDFneo auch wieder da.

Man kann mit wenig Deutsch durchs Leben kommen. Das haben Karl-Heinz Wocker und Claus Heinrich Meyer vor beinahe sechzig Jahren mit ihrer Sendung Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer bewiesen, deren einzelne Lektionen der WDR sendete. Sie schickten das Ergebnis dem Kanzler als Schallplatte, der sich auch bedankte: Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 14. Mai 1963, mit dem Sie mir die Schallplatte 'Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer' übersandt haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Wocker und Meyer werteten zahllose stenographische Protokolle und fünfundzwanzig Kilometer Tonband aus um herauszufinden, dass Adenauer sehr kurze Sätze verwendete und einen kleinen Wortschatz besaß. Etwas größer als der von Donald Trump war sein Wortschatz schon, der ehemalige amerikanische Präsident war sprachlich auf dem Stand eines Fünftklässlers, wie uns Linguisten versichern. Der längste Satz Adenauers, den Wocker und Meyer fanden, hatte 59 Wörter, wobei die Anrede Meine Damen und Herren, die noch mehrfach wiederkehrte, mitgezählt wurde. Die Analyse von 350 zusammenhängend esprochenen Sätzen Adenauers ergab eine mittlere Satzlänge von 13,3 Wörtern. Bei der Benutzung komplizierter Sätze steht der Kanzler ständig vor einem Abgrund an Landesverrat, war ein Ergebnis der Untersuchung.

Ja, man kommt mit wenigen Wörtern durchs Leben. Manchmal ist man bei der Sprachverarmung, die uns ebenso wie die Epidemie befallen hat, erschrocken, wenn man Wilfried Schmickler reden hört. Man ist aber auch erschrocken, wenn man den Mann, der das Gegenteil von Wilfried Schmickler ist, reden hört. Und er ist jeden Tag im Fernsehen. Werktags um 15:05 Uhr im ZDF. Und in ZDFneo schon morgens um 8:50 Uhr und abends ab 18:30 Uhr. Dreimal am Tag. Millionen Zuschauer. Soviel Zuschauer hat Wilfried Schmickler nicht. Ich wollte schon als Kind Clown werden, weil ich die Menschen gerne zum Lachen bringe, hat der Mann mit den vielen Zuschauern einmal gesagt. Jetzt bringt er beim ZDF mit seiner Sendung Bares für Rares die Menschen zum Lachen, weil er da der Pausenclown ist. Witzischkeit kennt keine Grenzen. Im Gegensatz zu Wocker und Meyer habe ich keine 25 Kilometer Tonband angehört, um die Sprache des kleinen Mannes, der gerade sechzig geworden ist, zu erforschen. Ich habe mir nur bei einigen Sendungen Notizen gemacht. Alles, was ich mir notierte, kam am nächsten Tag wieder:

Hallöchen
freut mich sehr
wie darf ich Sie denn anreden?
dann bin ich der Horst
ach?
ouijuijui
das hätte ich jetzt nicht gedacht
das freut mich jetzt ganz besonders
ich habe gar nicht gefragt, ob ich Sie duzen darf
wie darf ich jetzt namenstechnisch verfahren?
freut mich außerordentlich
dann bin ich der Horst
mein lieber Herr Gesangverein
Gott im Himmel
ach hör auf
das Du ist mir auch lieber
unglaublich
leck mich fett
ich bin dann mal still
leck mich de Söck, Marie
ein Träumchen
alter Schwede
ich sach besser nix
ich würd' mal so sagen
nee, hör auf!
ich sach mal so
mein lieber Schwan
bosses
ich werd' verrückt
Mein lieber Kokoschinski
ich hör mal auf dummzeuch zu erzählen
jetzt mal ganz unter uns
uiii
aber hallo
boah
ich bin echt geplättet
sensationell
ich werd' irre
ich bin begeistert
sensationell
das interessiert mich nun aber sehr
JungeJungeJunge
hört sich gut an
Jesusmaria
ohlala
Mannomann
doll, was es so alles gibt
iss ja Wahnsinn
ich sach mal so
ich bin total begeistert, ehrlich
das ist schon mal schön
mein lieber Mann
unglaublich
näää
also ganz ehrlich, damit hab' ich jetzt nicht gerechnet
ich würd' mal so sagen
nein?
komm bei mich bei
das überrascht mich jetzt aber
Bitte?
nein!
hör auf!
watt es alles jibt
leck mich am Arsch
aber hallo!
Herrgöttchen!
das ist jetzt nicht wahr
ein Träumchen
ach, hör auf!
jetzt aber ohne Blödsinn
issja unfassbar
ein Hammer
hört sich gut an
Junge Junge Junge
warum denn nicht
ach, du heiliges Kanonenrohr
iss ja Wahnsinn
mein lieber Scholli
wenn ich das sagen darf
ich bin jeck
unglaublich
ist das nicht ein Hammer?
Wahnsinn
hier ist das Händlerkärtschen
Tschüsschen
da geht's rrübber!

Die Sendung Bares für Rares geht jetzt ins neunte Jahr. Wer hierher kommt, will ins Fernsehen, wenn jemand etwas wirklich Wertvolles verkaufen will, wäre er mit einem seriösen Auktionshaus besser beraten als in dieser von Warner Brothers produzierten Show mit den hundert bezahlten Komparsen, die in den Hallen Publikum simulieren. Und wirklich Rares, das der Titel verspricht, ist hier ganz selten zu sehen, entweder gibt es hier den Goldschmuck von der Oma en masse oder besseren Hausmüll. Als die Bild Zeitung Horst Lichter zu seinem sechzigsten Geburtstag am 15. Januar interviewte, sagte er: Wenn ich keine Lust mehr habe, höre ich auf. Aber eines weiß ich jetzt schon. Ich werde nicht mehr mit 70 Jahren im Fernsehen rumhüpfen. Das ist irgendwie beruhigend. Auf seiner Homepage steht: Besucht mich doch mal auf Facebook. Werdet mein Fan und seid immer top informiert über Alles, was ich gerade so mache und was noch so ansteht. ... und pssssst ... es gibt auch öfter was zu gewinnen!!! Einfach hier klicken! Sie brauchen da jetzt nicht zu klicken. Er hat schon Millionen von Fans. Die sich auch in vielen Foren äußern. Und uns sagen, wie nett und sympathisch er ist, wie toll seine Sendung ist, etcetera etcetra.

Auf manche Zuschauer allerdings wirkt er ein wenig abschreckend. Und so kann man in einem Forum im Internet auch lesen: Wenn man die Glotze anmacht, sieht man zuerst den Lichter, egal zu welcher Uhrzeit. Mit zunehmendem Alter wird er immer skurriler, der Walross-Horrorclown-Bart wird immer angsteinflößender (für Kinder), und das Fremdschämen steigt in Dimensionen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Mal abgesehen von dem sinnlosen Geplapper, das jenseits von gut und böse ist und eine Beleidigung für jeden gesunden Menschenverstand darstellt. Aus Versehen hatte ich in eine Abend-Show reingezappt in diesem Schloss, da kam er mit einem Strohhut und in einem lächerlichen 30er-Jahre-Outfit daher und hat gegrinst wie ein Pfannekuchen, ich dachte, ich glaub's nicht, wie man sich so zur Lachnummer machen kann (fast schon Mitleid). Schöner kann man es eigentlich nicht sagen.

Montag, 24. Januar 2022

style mixed

3½ Jahre braucht der Autor, um das Buch zu schreiben, 3½ Monate der Verleger, es herauszubringen, 3½ Tage der Re­zen­sent, es zu lesen (wenn ers liest!), 3½ Stunden, es zu besprechen (wenn er sich Mühe gibt), 3½ Minuten der Leser, um die Re­zen­sion aufzunehmen, 3½ Sekunden, sie wieder zu vergessen. Das ist es: Autoren werden schnell vergessen. In diesem Blog nicht. Auch Wolf von Niebelschütz, der am 24. Januar 1913 geboren wurde, war schon in diesem Blog, in dem Post Wolf von Niebelschütz und dem Post Blankvers. Und im Post Eleonore von Aquitanien wird er auch zitiert. Vor zehn Jahren hat der Schweizer Dominik Riedo eine beinahe tausendseitige Biographie des Autors an der Universität Fribourg abgegeben, die inzwischen als Buch erschienen ist und 112,9€ kostet. Dafür gebe ich kein Geld aus, mir reichen die Werke von Wolf von Niebelschütz. Ich habe keine Schwierigkeiten 99€ für neun Hemden der Londoner Firma Duchamp auszugeben (hier sind sie), aber Dissertationen lese ich nicht mehr. 

Ich habe fünfzig Seiten von dem Buch gelesen, es ist eine wahnwitzige Fleißarbeit, aber Riedo hat nicht das, was die Engländer und Amerkaner können, was nach meiner Meinung einen guten Biographen ausmacht. Ich zitiere da mal einige Sätzte aus dem Post Biographien: Gute Biographien brauchen nicht nur alle Fakten und Daten, sie brauchen auch einen guten Erzähler. Die Detailverliebtheit, mit der manche neueren Biographien brillieren, ist ja ganz nett. Aber häufig fragt man sich: was soll's? Ich kenne zwar zufällig die Baunummer des Mahagonibootes, das die Firma Abeking und Rasmussen an die Familie Pringsheim geliefert hat (und mit dem Thomas Mann gerudert ist), ich würde das aber nicht als einen wichtigen Beitrag zur Thomas Mann Biographie verstehen wollen. Andere schon, die neue Form der Biographie kapriziert sich auf Wäscherechnungen und Arztrezepte, verliert aber manchmal das Subjekt der Biographie aus den Augen. Emil Ludwigs Napoleon, 1925 bei Rowohlt erschienen, verzichtet auf den Kleinkram (und enthält bestimmt tausenderlei Fehler) - aber was ist das für ein Buch! Wir haben in Deutschland nur wenige Biographen von Format, aber viele Biographien von wenig Format.

Niebelschütz ist in Schweizer Händen sicher gut aufgehoben, denn das Werk über das ich heute schreibe, beginnt in der Schweiz und ist 1987 in Zürich erschienen. Es hat den Titel Auch ich in Arkadien: Respektlose Epistel an die Freunde. Auch ich in Arkadien, das klingt nach Goethes Italienischer Reise oder Eichendorffs Auch ich war in Arkadien, nach dieser deutschen Italiensehnsucht von Klassik und Romantik. Die später in der Adenauerzeit zu einem Massentourismus wird. Und Carl Borgward bewegen wird, Automodelle Isabella und Arabellla zu nennen. Aber heißt diese Eindeutschung von Et in Arcadia ego wirklich das, was wir glauben? Im Jahre 1769 zeigt Sir Joshua Reynolds seinem Freund Dr Johnson ein gerade gemaltes Bild zweier Damen der Gesellschaft, die in der Pose der tragischen Musen vor einem Grabstein mit der Aufschrift Et in Arcadia ego meditieren. 'What can this mean?' exclaimed Dr Johnson. 'It seems very nonsensical - I am in Arcadia.' 'The King could have told you,' replied Sir Joshua. 'He saw it yesterday and said at once: 'Oh, there is a tombstone in the background: Ay, ay, death is even in Arcadia.' George III (den wir aus The Madness of King George kennen) ist ein besserer Lateiner als der ewige Besserwisser Dr Johnson. Alle klassischen Philologen und Kunsthistoriker sind sich daran einig, dass dieses Et in Arcadia ego den Tod bedeutet. Die Bedeutung von Auch ich war in Arkadien geboren, wie Schiller dichtet, bekommt der Satz erst viel spät

Ich schreib Euch alles dies, vielliebe Freunde,
Zwei Jahr nachdems gewesen, einmal weil Ihr
Bericht erwartet, und zum Andern dann,
Weil mich seither das Schicksal feindlich hindert,
Der Fiskus tuts, der Fiskus ist auch Schicksal.
Da schafft Erinnerung mir denn Ersatz,
Recht mageren, und Euch den Abglanz, hoff ich

Zwei Jahre nach der Reise beginnt er in Blankversen das Tagebuch einer neuntägigen Bahnreise von der Schweiz nach Italiener zu schreiben, wo er mit seiner Gattin die Tiepolo Ausstellung in Venedig besuchen wollte. Warum so spät? Und warum die Erwähnung des Fiskus, verdient der Autor so viel? Nicht mit seinem Roman, der 1949 bei Suhrkamp erschienen ist. Vier Bände, 719 Seiten, ein Roman, der im 18. Jahrhundert spielt, weit weg vom Nachkriegsdeutschland. Der Roman hat den Titel Der blaue Kammerherr: Ein galanter Roman. Es das erste, das ich von Niebelschütz las, mein Freund Peter hatte mir die Lektüre empfohlen, so wie er mir Proust empfohlen hatte. Es ist auch das erste Buch, das man lesen sollte, wenn man den Autor kennenlernen will. Aber von den Honoraren von Peter Suhrkamp für den Roman, den der Feldwebel Niebelschütz zum größten Teil während des Krieges in Frankreich geschrieben hatte, konnte er nicht leben. Aber Geld bringt dieses Buch hier über den Gründer des Gerling Konzerns. Oder die Monographien über die Feinpapierfabrik Zanders, über die Knapsack AG und über den Züblin Konzern.

Als er Auch ich in Arkadien so gut wie fertig hat, läßt er das Werk aber wieder liegen, weil er mittendrin in einem Roman steckt, der uns wieder in die Vergangenheit führt. Diesmal nicht ins 18. Jahrhundert wie Der blaue Kammerherr, sondern in das 12. Jahrhundert. Auf die Idee war er nach einer Reise in die Provence gekommen. Der Roman hat den Titel Die Kinder der Finsternis, und er hat wieder über 700 Seiten. Ein sprachliches Kunstwerk, ein historischer Roman. Fantasy, wenn wir so wollen. Niebelschütz wird die Publikation des riesigen Werks nicht mehr erleben, er stirbt kurz davor an den Folgen der Operation eines Hirntumors. Und die kleine Respektlose Epistel an die Freunde bleibt als Typoskript liegen.

Niebelschütz hatte die Epistel im Novemer 1954 nach der Niederschrift zum Druck freigegeben, die Druckerlaubnis dann aber wieder zurückgezogen. Er hatte nicht die Schwierigkeiten beim Schreiben, von denen Albrecht von Haller in seinem Gedicht Die Alpen berichtet: Dieses Gedicht ist dasjenige, das mir am schwersten geworden ist. Es war die Frucht der großen Alpen-Reise, die ich An. 1728 mit dem jetzigen Herrn Canonico und Professor Gessner in Zürich gethan hatte. Die starken Vorwürfe lagen mir lebhaft im Gedächtniß. Aber ich wählte eine beschwerliche Art von Gedichten, die mir die Arbeit unnöthig vergrößerte. Die zehenzeilichten Strophen, die ich brauchte, zwangen mich, so viele besondere Gemälde zu machen, als ihrer selber waren, und allemal einen ganzen Vorwurf mit zehen Linien zu schließen. Die Gewohnheit neuerer Zeiten, daß die Stärke der Gedanken in der Strophe allemal gegen das Ende steigen muß, machte mir die Ausführung noch schwerer. Ich wandte die Nebenstunden vieler Monate zu diesen wenigen Reimen an, und da alles fertig war, gefiel mir sehr vieles nicht. Man sieht auch ohne mein warnen noch viele Spuren des Lohensteinischen Geschmacks darin.

Niebelschütz plagt sich nicht mit zehnzeiligen Strophen herum, er wählt den Blankvers, der der gesprochenen Sprache nahekommt. Seine Probleme sind anderer Art. Er hatte sein Gedicht wiederholt Freunden vorgelesen, da war ihm die Notwendigkeit einer Überarbeitung klar geworden. Seine Selbstkritik dem eigenen 'style mixed' gegenüber wuchs bei jedem neuen Lesen, und nach der Bemerkung eines Freundes, er habe hier Perlen und Kieselsteine auf eine und dieselbe Schnur gefädelt, hätte er fast die gesamte Arbeit verworfen. die ihm aber der Perlen wegen, am Herzen lag, und so nahm er sich vor, einige zu apodiktische Urteile zu glätten, Platitüden zu eleminieren, weitschweifige Passagen über unwichtige Vorgänge zu kürzen und dafür Vergessenes einzufügen, schreibt Ilse von Niebelschütz in der Nachbemerkung des zum fünfundzwanzigsten Todestag ihres Mannes erschienenen Buches Auch ich in Arkadien: Respektlose Epistel an die Freunde. Es ist eine Bestätigung des lateinischen Satzes habent sua fata libelli. Das Buch ist mittlerweile vergriffen, aber es läßt sich antiquarisch leicht finden, lohnt sich unbedingt.

Vor Arkadien kommen die Alpen, und damit sie einen kleinen Eindruck vom diesem Werk von Niebelschütz bekommen, gebe ich mal eine kleine Textprobe seines unnachahmlichen style mixed, eine Alpenbeschreibung, die nicht so langweilig ist wie das Gedicht von Albrecht von Haller:

Die lieben Schweizer, gastfrei wie die Griechen, 
Entführten uns aus tagelangem Nebel
In höchst kommoder Limousine bergwärts,
Vom Zürichsee in Richtung Säntis-Seilbahn,
Bis wir bei mehr als dreizehnhundert Metern, 
Umstellt von übergrasten Felsentrümmern, 
Parkieren mussten, wie die Schweizer sagen.
Ein mächtig Holzhaus, lagernd mit Terrassen, 
Das Dach umhüllt vom dicken Wolkensitzfleisch, 
Verschluckte vorne uns, indessen seitlich, 
Metallverstrebt ein Glaskorb ihm ins Maul fuhr,
An Trossen schwebend, die ein Riesenstelzfuss, 
Dreihundert Schritt hinauf, ihm niederreichte – 
Zu ahnen nur, man sah den Stelz zum Viertel, 
Und auch die Trossen endeten in Watte,
Ganz einfach schräg in Luft, die keine Luft war: 
Ein schiefes Wort, sie hätte hemmungslos 
Geweint, geweint, geweint ... Ums Haar sprach ich 
Das Wort, ein Schild verkennend an der Tür,
Ein Schild mit Aufschrift «Säntis hell!», ich hielt es 
Für Bier-Reklame trotz des Ausrufzeichens, 
Verständlich, da ich aus dem Rheinland komme. 

Da aber hingen wir bereits im Nichts,
Im Bodenlosen, glasumpfercht, wattiert:
Ein Felstrumm unten wackelte vorbei,
Es hangelte der Korb am Gittermastwerk
Mit seiner stummen Menschenfracht sich höher, 
Vom Grau umbrodelt – ach, ein schwärzlich Grau, 
Ruhrsuppe nennt mans hier, wir schauten traurig 
Gemüthaft und bedrückt in Partners Augen,
Vom Russ aus Schloten bis ins Hochgebirge
Eklig verfolgt – da überfällt ein Lustschreck
Die Augen, die nicht wissen, was sie sollen,
Weiss wird das Nichts, von tausend Enden rieselt, 
von oben, unten, links und rechts das Licht, 
Gespeist von überall, in unser Glashaus,
Die Lider schmerzen, schliessen sich, mit 
Macht Muss man sie öffnen, schau: ein Ockerschleier 
Schwebt an der steigenden Kabine nieder,
Was war das? mattes Grüngrau, Gras? vorbei, 
Ein Stückchen Felshang, Nebelfetzen lecken 
Um nackten Stein, und unartikuliert,
Halb Schrei, halb Röcheln, seufzt ein wilder 
Schluchzer Zugleich durch fünfzig menschliche Organe,
Ein zieres Händchen krallt sich mir in Ärmel,
Und nach Sekunden erst begreift man: Sonne!
Die Sonne hat uns wieder, Sonne gibt es
Noch auf der Welt! und was für warme Sonne!
Hier oben war sie, schien da ganz allein
So vor sich hin, für sich und für den Säntis
Und jetzt für uns, die wir gelandet waren,
Uns kletternd auf dem Gipfel zu verstreun –
Darunter eine frisch getraute Braut,
Der Myrtenkranz, der Kranz der Hochzeitsgäste,
Der Bräutigam in Toggenburger Tracht,
Ein dralles Mädchen aber, dunklen Haares,
Gab bis nach Österreich den point de vue,
Den Paukenschlag aus sieben Metern Seide:
Fußlang nach Grün changierend kardinalsrot!

Und rings umher das schönste Panorama:
Nur Gipfel, Gardemass Zwei Komma Eins,
Ein Kameradschafts-Treffen der Elite,
Die Crème der Schweiz, die Schweiz als idée pure – 
Nahbei die sieben rötlichen Churfirsten,
Schräg aus dem Nichts gestemmte Mammutschultern, 
Vor ihnen Watte, hinter ihnen Watte,
Die Glarner Alpen, der Pilatus, Tödi,
Scheinbar zum Greifen nah die Blümlisalp [...].
Dann klein, weil fern, die heitere Familie
Von Finsteraarhorn, Schreckhorn, Wetterhorn, 
Leutselig, wie uns däuchte, nicht sehr finster,
Der Mönch zwar keusch, die Jungfrau aber nah, – 
Kein Tal, kein See zu sehn, kein Fluss, kein Dörfchen, 
Nicht Stadt noch Strasse, Auto, Eisenbahn,
Der Mensch als Wesen und als Republik
Von strahlend weisser Wohltat so bepackt,
Dass wir vergassen, dass, zur Höhe freundlich,
Die gleichen Sahne-Baisers unterwärts
Mit Nebelgrau und Nieselregen trostlos
Als wahre Obrigkeit die Welt behocken.
Mit einem Wort, wir fühlten uns genötigt,
Dem Wilhelm-Busch-Zitat zu widersprechen:
Die Welt ist gross, besonders oben? Nonsens!
Der niedre Flächenmensch, er kennt sie nicht! 
Klein ist sie, schrumpfig, völlig spielzeughaft,
Weil halt (zum Glück) die menschlichen Vergleiche, 
Luzern und Bern, der Appenzeller Bote, 
Gasthäuser, Bodensee und Drahtseil fehlen. 

Stattdessen lag Italien uns zu Füssen,
So meinten wir, dort hinten irgendwo,
Wir hättens greifen, nur dem Bristenstock 
Kurz um die Taille fassen, nur die Wolken
Ein wenig lupfen müssen, und wir hatten, 
Wonach uns tief im Busen dürstete!
Nein: gross und endlos wurde alles erst,
Als wir in komfortabler Limousine
Durch leisen Fisselregen heimwärts rollten. 
Der Abend weinte sich in Nacht und Schlaf, 
Die Reifen sangen auf dem spiegelnden,
In Kurven hingeschlängelten Asphalt, 
Erleuchtet blinkten hie und da an Hängen 
Noch Fenster, und ein später Schnellzug reiste 
Als Glühwurmkette in den Tunnelschlund: 
Wie weit allein von Rapperswil nach Stäfa, 
Vom Säntis nach Arkadien, ach, wie weit!

Langweil ich euch? Gemach. Wir sind gleich da .....

Der fünffüßige Jambus hat doch immer seine Wirkung, die Engländer wissen seit der Shakespearezeit schon, weshalb sie ihn immer wieder in ihrer Lyrik verwenden. Und über die wilden englischen Duchamp Hemden da oben schreibe ich irgendwann auch einen Post.

Samstag, 22. Januar 2022

Verliebt in scharfe Kurven

Wir wollen lieber nicht darüber reden, wie schlecht das Fernsehen geworden ist, das ist ein unerschöpfliches Thema. Im völligen Gegensatz zu der Qualität des Fernsehens stehen die Gehälter der Direktoren der Rundfunkanstalten, Tom Buhrow vom WDR bekommt mehr als 400.000 Euro im Jahr. Da wissen wir, wo unsere Fernsehgebühren landen. Vor zehn Jahren schrieb ich in dem Post Axel Eggebrecht:

Man kann überall nachlesen, dass Eggebrecht eine Radio Legende ist. Den NWDR hatte er als Hauptabteilungsleiter schon 1949 wegen parteipolitischer Querelen verlassen, blieb dem Sender aber als Freier Mitarbeiter erhalten. Und er war eine Institution, die nicht wegzudenken war. Eine Woche, ohne Axel Eggebrecht mit seiner unnachahmlichen Stimme gehört zu haben, war keine Woche. Irgendwie verkörperte er den letzten Rest des Geistes der deutschen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Er brachte Bildung und Vernunft in seine Sendungen. Das alles ist verloren gegangen. Der NDR ist vor wenigen Tagen in einer Medienanalyse als bester Sender im Norden herausgestellt worden, wie der Intendant Lutz Marmor stolz vor der Presse bekannt gab. Lutz Marmor verdient 286.000 Euro im Jahr, und das Niveau seines Senders ist flach wie das Land. Ich weiß nicht, ob Axel Eggebrecht für seine Radioarbeit in seinem ganzen Leben soviel Geld bekommen hat wie Lutz Marmor in einem Jahr kriegt.

Das lassen wir mal so stehen, Lutz Marmor ist im Ruhestand, und er bekommt bestimmt eine schöne Rente. Vor der Rente hatte er noch Til Schweiger in den Tatort geholt und war bannig stolz darauf. Die Qualität der Fernsehgeräte ist immer besser geworden, die Qualität des Programms nicht. Das ist so flach wie ein Flachbildschirm. Fernsehen heute - so schlecht war es noch nie, titelte die FAZ. Das war im Jahre 2001. 

Der Stern hatte früher eine erstklassige Programmzeitschrift als Beilage. Haben sie schon seit Jahren nicht mehr, legten da ein kümmerliches Heftchen von RTL ins Heft. Und jetzt? Seit dem 1. Januar gehört der Stern zur RTL Group. Wo soll das noch hinführen? Man braucht auch überhaupt kein Programmheft, es gibt ja sowieso nur noch Horst Lichter, Talkshow und Tatort. Aber wo bleiben Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung, die einen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung leisten sollen? Vor allem Kultur. Warum sendeten arte, 3Sat oder N3 nach dem Tod von Peter Bogdanovich nicht The Last Picture Show? Warum gab es nach dem Tod von Jean-Jacques Beineix nicht Diva im TV? Immerhin zeigt arte für vier Wochen Betty Blue.

Manchmal aber, da gibt es spät in der Nacht doch was richtig Gutes. Vor fünf Tagen gab es bei arte Verliebt in scharfe Kurven (Il Sorpasso), ein italienisches Road Movie von 1962 mit Vittorio Gassman und Jean-Louis Trintignant. Ich kenne den Film, ich habe ihn damals im Kino gesehen, also in dem damals, in dem ich noch so aussah wie Jean-Louis Trintignant. Ich habe auch eine DVD, italienischer Originalton. Ich hab zwar ein paar Italienischkurse an der Uni belegt, weil Professor Tintelnot der Meinung war, man könne kein Kunsthistoriker sein, wenn man kein Italienisch könne, aber doll ist mein Italienisch nicht. Es gibt neben Gassman und Trintignant auch eine Menge schöner Frauen in dem Film. Diese hier erscheint nicht auf der Liste der Darsteller bei dem ansonsten guten Wikipedia Artikel, aber ich glaube, es ist Edda Ferronao

Auch nicht im Wikipedia Artikel erwähnt wird Annette Stroyberg, deretwegen sich Roger Vadim von Brigitte Bardot scheiden ließ. Als Annette Vadim war sie in Les Liaisons Dangereuses zu sehen gewesen. Sie hat im Film nur eine kleine Rolle als deutsche Touristin. Aber wir haben im Film auch noch Luciana Angiolillo, Catherine Spaak und Mila Stanic

Der schüchterne Jurastudent Roberto (Trintignant) wird keine abbkommen, auch sie hier (Mila Stanic) nicht. Der Lebemann und Prahlhans Bruno (Gassman) mit seinem Lancia Aurelia bekommt auch keine, obgleich er in seinen Erzählungen einer zweiter Don Juan ist. Der Film, zu dem Fellinis Freund Ettore Scola das Drehbuch schrieb, ist eine hektische Fahrt auf der Überholspur vom menschenleeren Rom in die Toscana, durch ein Italien des Wirtschaftswunders. Der Film hat manches mit den Filmen von Fellini und Antonioni gemein. Über Antonioni sagt Bruno im Film großspurig: Antonioni? Bei L’éclisse bin ich sanft eingeschlummert. Ein großartiger Regisseur!

Il Sorpasso gilt als ein Meisterwerk Dino Risis. Martin Scorsese hat den Film, der den englischen Verleihtitel The Easy Life hatte, auf die Liste der ihm wichtigsten italienischen Filme gesetzt: Perhaps the least famous movie on the list, 'The Easy Life' is carried to classic status by the chemistry of its two male leads, Jean-Louis Trintignant and Vittorio Gassman. Trintignant plays Roberto, a young and painfully shy law student, studying for an important exam. Looking out his window he notices Bruno (played by Gassman) and his stylish Lancia. Bruno needs to make a phone-call and Roberto offers him to come up. Soon after, Bruno offers Roberto to come for a drink. However, there’s nowhere in the city to drink, because everyone is away on holiday. Not to be put off by this, Bruno decides to take Roberto on a road trip into the country.side. So begins a messy odd-couple friendship. 

As usual with this form of comedy, the plot is driven by the polar opposition of the two characters, and elicits sympathy at those brief moments when their common humanity is revealed. While the movie is often seen as a commentary on Italy’s 'economic miracle', it is not an overtly satirical film. Both characters are treated with tenderness, and both actors were already known for their abilities to charm audiences. But the film does display a suspicion, especially considering it’s final scene, towards Italians’ increasing individualism and consumerism.

Wenn Ihnen das Fernsehprogramm heute und morgen nicht gefällt, dann habe ich hier Verliebt in scharfe Kurven für Sie.