Niebelschütz ist in Schweizer Händen sicher gut aufgehoben, denn das Werk über das ich heute schreibe, beginnt in der Schweiz und ist 1987 in Zürich erschienen. Es hat den Titel Auch ich in Arkadien: Respektlose Epistel an die Freunde. Auch ich in Arkadien, das klingt nach Goethes Italienischer Reise oder Eichendorffs Auch ich war in Arkadien, nach dieser deutschen Italiensehnsucht von Klassik und Romantik. Die später in der Adenauerzeit zu einem Massentourismus wird. Und Carl Borgward bewegen wird, Automodelle Isabella und Arabellla zu nennen. Aber heißt diese Eindeutschung von Et in Arcadia ego wirklich das, was wir glauben? Im Jahre 1769 zeigt Sir Joshua Reynolds seinem Freund Dr Johnson ein gerade gemaltes Bild zweier Damen der Gesellschaft, die in der Pose der tragischen Musen vor einem Grabstein mit der Aufschrift Et in Arcadia ego meditieren. 'What can this mean?' exclaimed Dr Johnson. 'It seems very nonsensical - I am in Arcadia.' 'The King could have told you,' replied Sir Joshua. 'He saw it yesterday and said at once: 'Oh, there is a tombstone in the background: Ay, ay, death is even in Arcadia.' George III (den wir aus The Madness of King George kennen) ist ein besserer Lateiner als der ewige Besserwisser Dr Johnson. Alle klassischen Philologen und Kunsthistoriker sind sich daran einig, dass dieses Et in Arcadia ego den Tod bedeutet. Die Bedeutung von Auch ich war in Arkadien geboren, wie Schiller dichtet, bekommt der Satz erst viel spät
Ich schreib Euch alles dies, vielliebe Freunde,Zwei Jahr nachdems gewesen, einmal weil Ihr
Bericht erwartet, und zum Andern dann,
Weil mich seither das Schicksal feindlich hindert,
Der Fiskus tuts, der Fiskus ist auch Schicksal.
Da schafft Erinnerung mir denn Ersatz,
Recht mageren, und Euch den Abglanz, hoff ich
Zwei Jahre nach der Reise beginnt er in Blankversen das Tagebuch einer neuntägigen Bahnreise von der Schweiz nach Italiener zu schreiben, wo er mit seiner Gattin die Tiepolo Ausstellung in Venedig besuchen wollte. Warum so spät? Und warum die Erwähnung des Fiskus, verdient der Autor so viel? Nicht mit seinem Roman, der 1949 bei Suhrkamp erschienen ist. Vier Bände, 719 Seiten, ein Roman, der im 18. Jahrhundert spielt, weit weg vom Nachkriegsdeutschland. Der Roman hat den Titel Der blaue Kammerherr: Ein galanter Roman. Es das erste, das ich von Niebelschütz las, mein Freund Peter hatte mir die Lektüre empfohlen, so wie er mir Proust empfohlen hatte. Es ist auch das erste Buch, das man lesen sollte, wenn man den Autor kennenlernen will. Aber von den Honoraren von Peter Suhrkamp für den Roman, den der Feldwebel Niebelschütz zum größten Teil während des Krieges in Frankreich geschrieben hatte, konnte er nicht leben. Aber Geld bringt dieses Buch hier über den Gründer des Gerling Konzerns. Oder die Monographien über die Feinpapierfabrik Zanders, über die Knapsack AG und über den Züblin Konzern.
In höchst kommoder Limousine bergwärts,
Vom Zürichsee in Richtung Säntis-Seilbahn,
Bis wir bei mehr als dreizehnhundert Metern,
Ein mächtig Holzhaus, lagernd mit Terrassen,
An Trossen schwebend, die ein Riesenstelzfuss,
Ganz einfach schräg in Luft, die keine Luft war:
Ein Schild mit Aufschrift «Säntis hell!», ich hielt es
Im Bodenlosen, glasumpfercht, wattiert:
Ein Felstrumm unten wackelte vorbei,
Es hangelte der Korb am Gittermastwerk
Mit seiner stummen Menschenfracht sich höher,
Vom Russ aus Schloten bis ins Hochgebirge
Eklig verfolgt – da überfällt ein Lustschreck
Die Augen, die nicht wissen, was sie sollen,
Weiss wird das Nichts, von tausend Enden rieselt,
Die Lider schmerzen, schliessen sich, mit
Was war das? mattes Grüngrau, Gras? vorbei,
Halb Schrei, halb Röcheln, seufzt ein wilder
Ein zieres Händchen krallt sich mir in Ärmel,
Und nach Sekunden erst begreift man: Sonne!
Die Sonne hat uns wieder, Sonne gibt es
Noch auf der Welt! und was für warme Sonne!
Hier oben war sie, schien da ganz allein
So vor sich hin, für sich und für den Säntis
Und jetzt für uns, die wir gelandet waren,
Uns kletternd auf dem Gipfel zu verstreun –
Darunter eine frisch getraute Braut,
Der Myrtenkranz, der Kranz der Hochzeitsgäste,
Der Bräutigam in Toggenburger Tracht,
Ein dralles Mädchen aber, dunklen Haares,
Gab bis nach Österreich den point de vue,
Den Paukenschlag aus sieben Metern Seide:
Fußlang nach Grün changierend kardinalsrot!
Nur Gipfel, Gardemass Zwei Komma Eins,
Ein Kameradschafts-Treffen der Elite,
Die Crème der Schweiz, die Schweiz als idée pure –
Schräg aus dem Nichts gestemmte Mammutschultern,
Die Glarner Alpen, der Pilatus, Tödi,
Scheinbar zum Greifen nah die Blümlisalp [...].
Dann klein, weil fern, die heitere Familie
Der Mönch zwar keusch, die Jungfrau aber nah, –
Der Mensch als Wesen und als Republik
Von strahlend weisser Wohltat so bepackt,
Dass wir vergassen, dass, zur Höhe freundlich,
Die gleichen Sahne-Baisers unterwärts
Mit Nebelgrau und Nieselregen trostlos
Als wahre Obrigkeit die Welt behocken.
Mit einem Wort, wir fühlten uns genötigt,
Der niedre Flächenmensch, er kennt sie nicht!
Weil halt (zum Glück) die menschlichen Vergleiche,
So meinten wir, dort hinten irgendwo,
Wir hättens greifen, nur dem Bristenstock
Ein wenig lupfen müssen, und wir hatten,
Nein: gross und endlos wurde alles erst,
Als wir in komfortabler Limousine
Durch leisen Fisselregen heimwärts rollten.
In Kurven hingeschlängelten Asphalt,
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