Mittwoch, 26. Januar 2022

Interjektionen


Der Kabarettist Wilfried Schmickler hat im letzten Jahr den Bayerischen Kabarettpreis bekommen. Wahrscheinlich deshalb gönnte ihm der WDR an seinem Geburtstag im November einen ganzen Abend und sendeteDas Letzte und Kein Zurück. Beide Sendungen sind noch in der Mediathek, sein neues Programm, mit dem er jetzt unterwegs ist (wenn die Veranstaltungen wegen Corona nicht ausfallen), heißt Es hört nicht auf. Das ist aber noch nicht in der Mediathek. Schmickler ist seit Jahrzehnten für den WDR  tätig (Ich bin ein überzeugter Öffentlich-Rechtlicher. Mein Fernseher ist übrigens auch angemeldet), bei den Mitternachtsspitzen ist er seit zwei Jahren nicht mehr dabei. Sprache und Wortgewalt sind es, die Schmickler auszeichnen, ihn zu einer Institution machen. Schmickler ist groß, hat etwas im Kopf und ist sprachgewaltig.

Das bringt mich zu einem Mann, der auch im Fernsehen tätig ist, und der das genaue Gegenteil von Wilfried Schmickler ist. Er ist klein, hat nichts im Kopf und hat sprachlich wenig zu bieten. Interjektionen sind das, was ihn auszeichnet. Interjektionen sind ein typisches Merkmal der Mündlichkeit, das heißt, sie treten besonders in gesprochener Sprache auf und dienen auch in schriftlicher Kommunikation und literarischer Sprache als Stilmittel fingierter Mündlichkeit. Als Äußerungstyp mit besonderer expressiver oder appellativer Funktion beziehen sich Interjektionen auf die Sprechsituation mit Sprecher und Empfänger und simulieren oder ersetzen dort typischerweise nonverbale oder paraverbale Kommunikationshandlungen wie Reflexlaute (Schmerz, Überraschung u. a. m.), Lachen, Mimik und Gestik. Das sagt uns der Wikipedia Artikel zum Thema Interjektionen. Wir alle kennen sie, wir alle gebrauchen sie. Dagegen ist nichts zu sagen. Bedenklich wird es nur, wenn die Interjektionen die ganze Sendung im Fernsehen ausmachen. Und wenn diese Sendung dann auch noch die höchsten Einschaltquoten des ZDF hat und die meistgesehene Sendung in Deutschland ist. Warum lassen wir uns von Trash-TV berieseln? fragte der Spiegel. Ich weiß es auch nicht, aber die Schwarzwaldklinik war letztens bei ZDFneo auch wieder da.

Man kann mit wenig Deutsch durchs Leben kommen. Das haben Karl-Heinz Wocker und Claus Heinrich Meyer vor beinahe sechzig Jahren mit ihrer Sendung Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer bewiesen, deren einzelne Lektionen der WDR sendete. Sie schickten das Ergebnis dem Kanzler als Schallplatte, der sich auch bedankte: Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 14. Mai 1963, mit dem Sie mir die Schallplatte 'Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer' übersandt haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Wocker und Meyer werteten zahllose stenographische Protokolle und fünfundzwanzig Kilometer Tonband aus um herauszufinden, dass Adenauer sehr kurze Sätze verwendete und einen kleinen Wortschatz besaß. Etwas größer als der von Donald Trump war sein Wortschatz schon, der ehemalige amerikanische Präsident war sprachlich auf dem Stand eines Fünftklässlers, wie uns Linguisten versichern. Der längste Satz Adenauers, den Wocker und Meyer fanden, hatte 59 Wörter, wobei die Anrede Meine Damen und Herren, die noch mehrfach wiederkehrte, mitgezählt wurde. Die Analyse von 350 zusammenhängend esprochenen Sätzen Adenauers ergab eine mittlere Satzlänge von 13,3 Wörtern. Bei der Benutzung komplizierter Sätze steht der Kanzler ständig vor einem Abgrund an Landesverrat, war ein Ergebnis der Untersuchung.

Ja, man kommt mit wenigen Wörtern durchs Leben. Manchmal ist man bei der Sprachverarmung, die uns ebenso wie die Epidemie befallen hat, erschrocken, wenn man Wilfried Schmickler reden hört. Man ist aber auch erschrocken, wenn man den Mann, der das Gegenteil von Wilfried Schmickler ist, reden hört. Und er ist jeden Tag im Fernsehen. Werktags um 15:05 Uhr im ZDF. Und in ZDFneo schon morgens um 8:50 Uhr und abends ab 18:30 Uhr. Dreimal am Tag. Millionen Zuschauer. Soviel Zuschauer hat Wilfried Schmickler nicht. Ich wollte schon als Kind Clown werden, weil ich die Menschen gerne zum Lachen bringe, hat der Mann mit den vielen Zuschauern einmal gesagt. Jetzt bringt er beim ZDF mit seiner Sendung Bares für Rares die Menschen zum Lachen, weil er da der Pausenclown ist. Witzischkeit kennt keine Grenzen. Im Gegensatz zu Wocker und Meyer habe ich keine 25 Kilometer Tonband angehört, um die Sprache des kleinen Mannes, der gerade sechzig geworden ist, zu erforschen. Ich habe mir nur bei einigen Sendungen Notizen gemacht. Alles, was ich mir notierte, kam am nächsten Tag wieder:

Hallöchen
freut mich sehr
wie darf ich Sie denn anreden?
dann bin ich der Horst
ach?
ouijuijui
das hätte ich jetzt nicht gedacht
das freut mich jetzt ganz besonders
ich habe gar nicht gefragt, ob ich Sie duzen darf
wie darf ich jetzt namenstechnisch verfahren?
freut mich außerordentlich
dann bin ich der Horst
mein lieber Herr Gesangverein
Gott im Himmel
ach hör auf
das Du ist mir auch lieber
unglaublich
leck mich fett
ich bin dann mal still
leck mich de Söck, Marie
ein Träumchen
alter Schwede
ich sach besser nix
ich würd' mal so sagen
nee, hör auf!
ich sach mal so
mein lieber Schwan
bosses
ich werd' verrückt
Mein lieber Kokoschinski
ich hör mal auf dummzeuch zu erzählen
jetzt mal ganz unter uns
uiii
aber hallo
boah
ich bin echt geplättet
sensationell
ich werd' irre
ich bin begeistert
sensationell
das interessiert mich nun aber sehr
JungeJungeJunge
hört sich gut an
Jesusmaria
ohlala
Mannomann
doll, was es so alles gibt
iss ja Wahnsinn
ich sach mal so
ich bin total begeistert, ehrlich
das ist schon mal schön
mein lieber Mann
unglaublich
näää
also ganz ehrlich, damit hab' ich jetzt nicht gerechnet
ich würd' mal so sagen
nein?
komm bei mich bei
das überrascht mich jetzt aber
Bitte?
nein!
hör auf!
watt es alles jibt
leck mich am Arsch
aber hallo!
Herrgöttchen!
das ist jetzt nicht wahr
ein Träumchen
ach, hör auf!
jetzt aber ohne Blödsinn
issja unfassbar
ein Hammer
hört sich gut an
Junge Junge Junge
warum denn nicht
ach, du heiliges Kanonenrohr
iss ja Wahnsinn
mein lieber Scholli
wenn ich das sagen darf
ich bin jeck
unglaublich
ist das nicht ein Hammer?
Wahnsinn
hier ist das Händlerkärtschen
Tschüsschen
da geht's rrübber!

Die Sendung Bares für Rares geht jetzt ins neunte Jahr. Wer hierher kommt, will ins Fernsehen, wenn jemand etwas wirklich Wertvolles verkaufen will, wäre er mit einem seriösen Auktionshaus besser beraten als in dieser von Warner Brothers produzierten Show mit den hundert bezahlten Komparsen, die in den Hallen Publikum simulieren. Und wirklich Rares, das der Titel verspricht, ist hier ganz selten zu sehen, entweder gibt es hier den Goldschmuck von der Oma en masse oder besseren Hausmüll. Als die Bild Zeitung Horst Lichter zu seinem sechzigsten Geburtstag am 15. Januar interviewte, sagte er: Wenn ich keine Lust mehr habe, höre ich auf. Aber eines weiß ich jetzt schon. Ich werde nicht mehr mit 70 Jahren im Fernsehen rumhüpfen. Das ist irgendwie beruhigend. Auf seiner Homepage steht: Besucht mich doch mal auf Facebook. Werdet mein Fan und seid immer top informiert über Alles, was ich gerade so mache und was noch so ansteht. ... und pssssst ... es gibt auch öfter was zu gewinnen!!! Einfach hier klicken! Sie brauchen da jetzt nicht zu klicken. Er hat schon Millionen von Fans. Die sich auch in vielen Foren äußern. Und uns sagen, wie nett und sympathisch er ist, wie toll seine Sendung ist, etcetera etcetra.

Auf manche Zuschauer allerdings wirkt er ein wenig abschreckend. Und so kann man in einem Forum im Internet auch lesen: Wenn man die Glotze anmacht, sieht man zuerst den Lichter, egal zu welcher Uhrzeit. Mit zunehmendem Alter wird er immer skurriler, der Walross-Horrorclown-Bart wird immer angsteinflößender (für Kinder), und das Fremdschämen steigt in Dimensionen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Mal abgesehen von dem sinnlosen Geplapper, das jenseits von gut und böse ist und eine Beleidigung für jeden gesunden Menschenverstand darstellt. Aus Versehen hatte ich in eine Abend-Show reingezappt in diesem Schloss, da kam er mit einem Strohhut und in einem lächerlichen 30er-Jahre-Outfit daher und hat gegrinst wie ein Pfannekuchen, ich dachte, ich glaub's nicht, wie man sich so zur Lachnummer machen kann (fast schon Mitleid). Schöner kann man es eigentlich nicht sagen.

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