Sonntag, 9. Januar 2022

Peter Bogdanovich ✝


Am Anfang des Films The Searchers von John Ford wird eine Tür geöffnet, die Dunkelheit des Rahmens weicht der Helligkeit. Eine Pioniersfrau blickt in die Landschaft, aus deren Mittelgrund ein Reiter auf das Haus zureitet. Drei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs kommt Ethan Edwards (in der Uniform eines Kavalleristen der Südstaaten) zum Haus seines Bruders zurück. Seinen Säbel hat er immer noch, Symbol dafür, dass er sich nie ergeben hat. Drei Jahre hat er sich herumgetrieben, vielleicht war er auf der Seite Maximilians in Mexiko (so wie Gary Cooper in Vera Cruz). Jetzt ist er wieder zuhause, aber es ist nicht sein Zuhause: he was just a plain loner - could never really be a part of the family, hat John Ford über die Rolle von Ethan Edwards, den John Wayne spielt, gesagt. Zwischen dem Anfang des Films und dem Ende liegen viele Jahre einer geradezu epischen Suche nach der Nichte Debbie (die junge Debbie am Anfang des Films wird von der kleinen Schwester von Natalie Wood gespielt).

Ethan Edwards Schwägerin liebt ihn, wir sehen das in einer rührenden Szene, wenn sie zärtlich über seinen angelegten Mantel streicht. Wieder ist das als Bild im Bild gerahmt, im Hintergrund, beinahe wie ein Vermeer Bild. Es sind keine zehn Sekunden, aber wir haben es alle verstanden. Und zur Verdeutlichung erklingt die gleiche Musik wie am Anfang des Films: Lorena, das beliebteste Lied des amerikanischen Bürgerkriegs. Als Peter Bogdanovich John Ford in seinem berühmten Interview die etwas überflüssige Frage stellte, ob diese Szene bedeutete, dass Martha Edwards in ihren Schwager verliebt sei, bekam er die patzige Antwort: Well, I thought it was pretty obvious – that his brother’s wife was in love with Wayne; you couldn’t hit it on the nose, but I think it’s very plain to anyone with intelligence. Manches bleibt eben besser ungesagt. 

Wie diese scheue Liebe. Alles in einer Minute Bildsprache. In einem Interview hat Peter Bogdanovich später gesagt: Einer der interessantesten Aspekte von 'The Searchers' ist die Beziehung zwischen Ethan und seiner Schwägerin. Dass die beiden unerfüllte Gefühle füreinander hegen, wird nur mit Blicken vermittelt. Es gibt keinen einzigen Dialogsatz. Heutzutage würde man das zu Tode quatschen. Denn die jetzige Generation von Filmemachern weiß nicht, wie sie eine Geschichte visuell erzählen soll. Das ist etwas, was wir heute in jedem neuen Film sehen können. Denn sie wissen es heute nicht, weil sie jede Sekunde hin- und her schneiden. Aber das bedeutet ja nicht, dass sie ihre Geschichte visuell erzählen. Sie wissen bloß nicht, was sie wollen. Hier zeigt sich der unselige Einfluss von MTV und Werbung, wo Schnitte rein um ihrer selbst willen erfolgen. Das ist pure Dekadenz. Dadurch wirken die meisten Filme wie ohne jeglichen Orientierungssinn. Nahaufnahmen werden wahllos eingesetzt. Und bräuchte man eine, gibt es keine.

Peter Bogdanovich, der am 6. Januar 2022 starb, war nicht nur Regisseur. Er schrieb auch Drehbücher, schrieb über Filme und interviewte Kollegen. Niemand als er hat mehr Interviews mit den bedeutenden Regisseuren und Schauspielern aus Hollywoods großer Zeit geführt. Ein großer Teil seiner Interviews ist im Jahr 2000 im Haffmanns Verlag unter dem Titel Wer hat denn den gedreht? auf deutsch erschienen. In gewisser Weise war er der François Truffaut oder der Jean-Luc Godard von Amerika; was die Franzosen in den Cahiers du cinéma schrieben, das hatte er alles gelesen. Über den schwierigen Interviewpartner Ford hat das Wunderkind des New Hollywood natürlich ein Buch geschrieben und einen Dokumentarfilm gedreht. Aber die Frage nach Martha Edwards hätte er im Interview wohl besser nicht gestellt. 

Am Ende von The Searchers haben wir wieder den ✺Rahmen der Tür. Einsam bleibt John Wayne in diesem Rahmen stehen und entfernt sich dann immer weiter vom Haus. Ein einsamer alter Mann, der seinen Hass auf die Rothäute überwunden hat, der seine Nichte Debbie nicht getötet hat. Und dann erklingt die Titelmelodie von The SearchersA man will search his heart and soul go searching way out there. His peace of mind he knows he'll find. But where, o Lord, Lord, where. Ride away. Ride away. Ride away. Und dann ist der Film zu Ende. Als Peter Bogdanovich John Ford die Frage stellte: What was the meaning of the door opening on him at the start and closing at the end? hat Ford geantwortet: Mmhmm. Das war wahrscheinlich das bedeutungsvollste Mmhmm der Filmgeschichte. John Ford hat nach dem Interview Bogdanovich seine liebste Schmeißfliege genannt.

Bogdanovichs erster Film war Targets (Bewegliche Ziele), ein Film über ein Thema, das Amerika jede Woche bewegt, ein Film über einen jungen Mann, der sinnlos Menschen erschiesst. Und der am Schluss durch den Grand Old Man des Horrorfilms Boris Karloff überwältigt wird, hier kommen Fiktion und Wirklichkeit, Horrorfilm und Amerikas alltäglicher Schrecken, zusammen. Der Film war der eine Auftragsarbeit für Roger Corman, der damals eine Kaderschmiede für die Regisseure des New Hollywood war, auch der Two-Lane Blacktop Regisseur Monte Hellman und viele Regisseure des New Hollywood hatten bei Corman gelernt. Targets wurde gedreht, bevor Martin Luther King und Bobby Kennedy erschossen wurden. Paramount hatte den Film gekauft, weil er gute Kritiken bekommen hatte, aber nach dem Tod von Martin Luther King und Bobby Kennedy wussten sie nicht, ob sie den Film wirklich ins Kino bringen sollten.

Aus den Filmresten, die ihm Roger Corman überlassen hatte, hatte Bogdanovich mit Hilfe von Samuel Fuller (der eines Tages den Tatort Tote Taube in der Beethovenstraße drehte) das beste gemacht. Nun konnte sich der Assistent Cormans an seinen wirklich ersten eigenen Film wagen: die Verfllmung des Romans The Last Picture Show von Larry McMurtry. Das Drehbuch (hier das Script als Volltext) schrieben Bogdanovich und McMurtry zusammen, sie erhielten auch zusammen die Oscar Nominierung für das beste Drehbuch. Cybill Shepherd, mit der Bogdanovich die nächsten Jahre zusammenlebte, war seine Entdeckung für diesen Film, der acht Oscar Nominierungen und zwei Oscars bekam. Sie war genau die Richtige für diesen Film, und ich will nichts Böses über Cybill Shepherd sagen (die hier schon einen Post hat), aber Bogdanovich glaubte, dass er sie zu einem ganz großen Star aufbauen konnte.

Und drehte Daisy Miller, die Verfilmung eines Henry James Romans, mit ihr. So groß der Erfolg von The Last Picture Show gewesen war, so groß war jetzt der Niedergang. Dies war der größte Flop in Bogdanovichs Karriere, die immer einer Achterbahnfahrt glich. Er hatte sich mit dem Drehbuchautor überworfen (lesen Sie mehr dazu in dem Post Frederic Raphael), und er hat später bereut, diesen Film gedreht zu haben. Cybill Shepherd drehte mit ihm zwanzig Jahre später noch Texasville, ein Sequel zu The Last Picture Show, aber sie ging ihren eigenen Weg. Wir kennen sie aus siebenundachtzig Folgen ihrer Sendung Cybill und als Sängerin

Vierzig Jahre nach den Dreharbeiten von The Last Picture Show trafen sich Regisseur und Darsteller wieder, das Treffen können sie hier sehen. Und The Last Picture Show können Sie hier natürlich auch sehen. Der letzte Film, der in The Last Picture Show in dem Kino der kleinen texanischen Stadt gespielt wird, bevor es geschlossen wird, ist Red River mit John Wayne. Bogdanovichs Film ist eine Verbeugung vor den Meistern des Westernfilms wie Howard Hawks und John Ford, und so haben das die Kritiker auch gesehen: I was moved by the reviews. The picture seems to have brought a melancholy poetry out of the critics by which I feel quite flattered. All the reviews were strangely personal. I suspect most of the critics are of an age to have grown up at the time of the movie.

Bogdanovich hatte große Talente, aber manchmal wollte er zuviel. In den achtziger und neunziger Jahren musste er zweimal Privatinsolvenz anmelden. Großen Erfolgen wie Is' was Doc? mit Barbra Streisand folgten große Flops wie They all laughed. Der Film war eine Tragödie für Bogdanovich, weil seine neue Liebe Dorothy Stratten kurz nach Ende der Dreharbeiten umgebracht wurde: It was a nightmare. Dorothy was murdered and I went crazy. I decided I would buy the film back from Fox and I lost my shirt distributing it myself which was insanity. Unfortunately, nobody stopped me. So it didn’t get great distribution because you can’t self-distribute. It's impossible. Acht Jahre nach Dorothys Tod hat er ihre jüngere Schwester Louise geheiratet, die er angeblich schon als Dreizehnjährige verführt hatte. Die Ehe hat zwölf Jahre gehalten.

1920 hatte der Filmregisseur Allan Dwan, den Bogdanovich durch sein Buch The Last Pioneer vor dem Vergessen bewahrte, gesagt: And I say it’s the doggone most fascinating game there is — directing motion pictures. It’s a sense of power and a sense of creation in one. It’s a gamble. Even if you know something about it, you’re not sure you know anything about it at all. Es ist ein Satz, der sicher auch für Bogdanovich gegolten hat. May he sleep in bliss for eternity, enjoying the thrill of our applause forever, hat Francis Ford Coppola gerade geschrieben.

Peter Bogdanovich war schon häufig in diesem Blog. Sie finden ihn in den Posts Larry McMurtryCybill ShepherdFrederic Raphael, Natalie Wood, Spätwestern und Hal Ashby.

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