Freitag, 3. Juni 2016

Verdun - Cold Harbor


Es ist in diesen Tagen der Schlacht von Verdun gedacht worden. Es hat für das Fernsehen inszenierte Spektakel gegeben, die wenig mit der schrecklichen Wirklichkeit von Verdun zu tun hatten. Die Intelligenz, die man in England bei der Inszenierung für die Eröffnung der Olympischen Spiele hatte (lesen Sie ➱hier mehr) hatte, die besaß Volker Schlöndorff nicht. Der alberne Totentanz von Verdun war schamlos, titelte die ➱Welt, und wo sie recht hat, da hat sie recht.

Die Inszenierung von Merkel und Hollande im blutrot ausgeleuchteten Keller von Douaumont schien aus der Welt der ➱Gothic Novel zu kommen. Die Schwarz-weiß Bilder aus dem Ersten Weltkrieg will heute niemand mehr sehen, alles muss schön bunt sein. Und es gibt längst ein Videospiel, das Verdun heißt, geht's noch perverser? Vielleicht hätten sich Merkel und Hollande ➱Bertrand Taverniers Film Das Leben und nichts anderes (La vie et rien d'autre) zum Vorbild dafür nehmen sollen, wie man eine Gedenkfeier richtig inszeniert.

In den achtziger Jahren konnten die Franzosen das noch, wenn man an Mitterand mit seiner Rose im Panthéon denkt. Das war doch eine ➱Inszenierung, die einen Oscar verdient hätte. Und wenig später Mitterand und Kohl, die der Toten von Verdun auf eine ganz andere Art und Weise - und würdiger - gedachten als das Spektakel von Volker Schlöndorff das tat.

Als ich zur Schule kam, wusste ich schon alles über Verdun. Weil mein Opa mir seinen Krieg erzählt hatte. Er hatte seine ➱Photoalben mit den schon gelbstichig gewordenen Photos auf den Knien, von Zeit zu Zeit griff er zu einem Buch über den Krieg, das viele Abbildungen enthielt. Und so bekam ich Tag für Tag eine Stunde eine Lektion über den Krieg, bis wir zum Kemmelberg, das heißt der Vierten Flandernschlacht, kamen. Für den pensionierten Lehrer war dies die Fortsetzung der Unterrichtstätigkeit mit anderen Mitteln. In der Ersten Flandernschlacht hatte Opa sein Eisernes Kreuz erhalten, Verdun blieb dem Hauptmann der Reserve erspart.

Ein halbes Jahrhundert vor Verdun hat es im amerikanischen Bürgerkrieg schon einmal eine Schlacht gegeben, die Verdun ähnelte, die viel von dem Grauen des modernen Krieges hat. Ich bin nicht der erste, der eine Verbindung von Verdun und Cold Harbour sieht. An der Uni Greifswald hat es im letzten Jahr eine Vorlesung von Robert Riemer mit dem Titel 50 Jahre vor Verdun - Cold Harbour und Petersburg als frühe Beispiele für den industrialisierten Massenkrieg gegeben. Die Schlacht von Cold Harbor ist das Ende von General Ulysses S. Grants Overland Campaign, die 1864 den ganzen Mai über geht. Grant hatte gerade den neuen Dienstgrad eines Generalleutnants bekommen (den zuvor Washington gehabt hatte) und war Oberkommandierender der Armee geworden.

Wäre es nach Mrs Lincoln gegangen, wäre das nicht geschehen: He is a butcher and is not fit to be at the head of an army. Yes, he generally manages to claim a victory, but such a victory! He loses two men to the enemy's one. He has no management, no regard for life, sagt sie ihrem Gatten. Grant will jetzt eine Entscheidung, er will den Showdown: I propose to fight it out on this line if it takes all summer. Hatten sich bisher im Bürgerkrieg nach Schlachten die Truppen beider Seiten zurückgezogen, sich regeneriert und neu aufgestellt, setzt Grant jetzt auf ständigen Kampf. Egal ob er eine Schlacht verliert, er beginnt beinahe am nächsten Tag eine neue. Die Schlachten dauern jetzt auch länger, die von Spotsylvania Court House wird zwölf Tage dauern.

I tell you many a man has gone crazy since this campaign began from the terrible pressure on mind & body, sagt ein Hauptmann der Nordstaaten. Er ist kriegsmüde. Im Mai 1864 hatte er seinen Eltern geschrieben: I have made up my mind to stay on the staff if possible till the end of the campaign & then if I am alive, I shall resign—I have felt for sometime that I didn’t any longer believe in this being a duty & so I mean to leave at the end of the campaign as I said if I’m not killed before. Cold Harbor wird seine zehnte Schlacht sein. Er wird sie überleben und Jahrzehnte später dem Präsidenten ➱Franklin Delano Roosevelt erzählen, wie man ihn als jungen Leutnant auf dem Schlachtfeld liegen ließ, weil man ihn für tot hielt. Da ist Oliver Wendell Holmes schon über neunzig, und ist gerade als Richter des Supreme Court zurückgetreten.

General Lee ist in die Defensive gezwungen, das mag er nicht besonders, er greift lieber an. Seine Armee ist nur halb so groß wie die Armee des Nordens, aber Grant wird in der Overland Campaign Verluste haben, die sich in der Größenordnung von Grants Armee bewegen. War of attrition nennt man so etwas, ein Abnützungskrieg, Verdun war nichts anderes. Am 3. Juni 1864 will Grant mit seinem Angriff auf die Truppen des Südens den Vernichtungsschlag. Es wird für den Norden eine Katastrophe. We felt it was murder, not war, or at best a very serious mistake had been made, schreibt der Soldat Newell Smith vom 155. New York Regiment.

Es gibt keinen Hafen in Cold Harbor, es ist da auch nicht kalt. Es gibt eine Cold Harbor Tavern, die einem Isaac Burnett gehört, der angeblich nur kalte Speisen serviert. Cold Harbor ist für Lee keine unbekannte Gegend, zwei Jahre zuvor hat er hier schon einmal eine Schlacht geschlagen. Cold Harbor ist zehn Meilen von Richmond, der Hauptstadt des Südens, entfernt. Da glaubte man schon 1861 ganz schnell einmarschieren zu können. Die Schlacht von ➱Bull Run wurde zu einer Katastrophe für den Norden. Die Schlacht von Cold Harbour drei Jahre später auch. Grant wird nach der Schlacht über den Angriff vom 3. Juni 1864 sagen: I regret this assault more than any one I have ever ordered. I regarded it as a stern necessity, and believed it would bring compensating results; but, as it has proved, no advantages have been gained sufficient to justify the heavy losses suffered.

Am Ende von Grants großem Feldzug geht alles schief, was schiefgehen kann. Man hat vergessen, eine solide Aufklärung zu betreiben, jede der kämpfenden Einheiten nahm an, dass die andere das gemacht hätte. Man weiß so gut wie nichts über das Befestigungssystem, das Lee in wenigen Tagen aufgebaut hat. Das ein Journalist so beschrieb: They are intricate, zig-zagged lines within lines, lines protecting flanks of lines. Lines built to enfilade an opposing line, lines within which lies a battery ... a maze and labyrinth of works within works and works without works. Einzig General Barlow wird es für einen kurzen Augenblick gelingen, in die Befestigungen des Südens einzudringen, aber dann muss er sich zurückziehen. General Barlow Charging the Enemy at Cold Harbor heißt dieses Bild, auf dem nichts von dem Grauen zu sehen ist. Diese schönen Bilder vom Krieg, auf denen wir nie erkennen können, was geschieht, werden den Photographien weichen.

Francis Barlow, der wegen seines jugendlichen Aussehens auch the Boy General genannt wird, ist ein Vorzeigesoldat der Union. Barlow (auf diesem Photo ganz links, rechts neben ihm sitzend General Winfried Scott Hancock) ist der junge Dandy, der sich niemals an die Vorschriften der Dienstkleidung hält. Nur auf dem Gemälde von seinem Cousin ➱Winslow Homer ist er korrekt gekleidet. Er trägt auf dem Photo seine Uniformjacke gegen alle Vorschriften aufgeknöpft. Wahrscheinlich sollen wir sein kariertes Hemd mit dem weißen Kragen bewundern, das sich in keiner Dienstvorschrift findet. Und dann diese arrogante überlegene Pose - wenn einer sich zu inszenieren versteht, dann ist das Francis Barlow. Die Presse liebt ihn, denn wenn jemand aussieht wie Paul Newman, Steve McQueen oder Robert Redford, dann kann man den auch gut verkaufen. Wo es doch jetzt Mathew Brady und die Photographie gibt. Neben dem ➱Krimkrieg ist dies der erste photographierte Krieg der Geschichte. Von nun an haben wir Bilder von allem, vor allem von Tod und Zerstörung. Sie haben aber keinen Lerneffekt für die Menschheit, die Bilder von Tod und Zerstörung haben wir heute noch.

Um halb fünf am Morgen des 3. Juni hatte der Angriff der Nordstaaten begonnen. Die Soldaten hatten ihre Namen auf Zettel geschrieben, die sie in ihrer Uniform befestigten, sie ahnten, was kommen würde. Sie marschieren im Nebel in ihr Unheil. Es gibt wie immer zuerst ein Artilleriefeuer, aber kaum ist das zu Ende, antwortet der Süden mit einem konzentrierten Gewehrfeuer aus tausenden von Gewehren. Ein Artillerist des Nordens wird das beschreiben als: It had the fury of the Wilderness musketry with the thunders of the Gettysburg artillery super-added. It was simply terrific.

Der Angriff gegen die Schützengräben Lees ist in wenigen Minuten zu Ende. Um sieben Uhr erteilt Grant General Meade noch einen Angriffsbefehl. Die Soldaten weigern sich. Ihre Kommandeure auch. General William Baldy Smith hält den Befehl für a wanton waste of life. Um halb eins teilt Grant dem General Meade mit, dass die Schlacht verloren sei. Er schreibt ein schönes Englisch, Gertrude Stein hat seinen Stil bewundert. Er kann nicht schreiben: We have lost the battle. Er schreibt: The opinion of the corps commanders not being sanguine of success in case an assault is ordered, you may direct a suspension of further advance for the present. Seinen Präsidenten wird Grant erst einmal belügen: We assaulted at 4:30 this morning, driving the enemy within his intrenchments at all points, but without gaining any decisive advantage. Our troops now occupy a position close to the enemy, some places within 50 yards, and are intrenching. Our loss was not severe, nor do I suppose the enemy to have lost heavily, steht in dem Telegramm, das er nach Washington schickt.

Er will nicht anerkennen, dass er verloren hat. Er weigert sich tagelang, einen Unterhändler mit einer weißen Flagge zu Lee zu schicken, damit die Verwundeten und Toten auf dem Schlachtfeld geborgen werden können. Die Zeit der Ritterlichkeit ist vorbei. Das ist eine weitere Katastrophe. Grant delayed sending a flag of truce to General Lee for this purpose because it would amount to an admission that he had been beaten on the 3d of June. It now seems incredible that he should, for a moment, have supposed that any other view could be taken of that action, wird General Francis Amasa Walker schreiben, kein Mann aus dem Süden, sondern ein Offizier im Stab von Hancock. Es wird noch vier Tage dauern, bis die Toten und Verwundeten geborgen werden können. Falls dann noch ein Verwundeter gelebt haben sollte.

Die Schlacht von Spotsylvania Court House war die erste Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges gewesen, in der es eine Front aus ausgebauten Grabensystemen und Brustwehren gab. Die Schlacht zeigte (wie wenig später Cold Harbor) schon eindrucksvoll, dass bei dieser Art des Kampfes ein Angriff der Infanterie auf gut ausgebaute Stellungen reiner Wahnsinn war. Und Spotsylvania und Cold Harbor werden ihre Spuren bei den Soldaten des Nordens hinterlassen: The men feel just at present a great horror and dread of attacking earthworks again and the unusual loss of officers, which leave regiments in command of lieutenants, and brigades in command of inexperienced officers, leaves us in a very unfavorable condition for such enterprises, wird General Barlow seinen Vorgesetzen schreiben. 

Cold Harbor war der letzte Sieg des Südens, Jubal Early muss bei seinem ➱Angriff auf Washington zehn Meilen vor dem Weißen Haus wieder abdrehen. We haven’t taken Washington, but we scared Abe Lincoln like hell, wird er seinem Adjutanten sagen. Das stimmt wohl, Grant schickt aus lauter Angst per Bahn und Schiff ein ganzes Korps gegen die kleine Truppe von General Early. Edward Porter Alexander, der bei Gettysburg die Artillerie der Konföderierten kommandierte, hat Cold Harbor als our last, and perhaps our highest tide bezeichnet. Moltke hielt den Bürgerkrieg für Scharmützel zweier bewaffneter Pöbelhaufen die sich durch das Land verfolgten und von denen nichts gelernt werden kann. Dennoch sind genügend Militärbeobachter aus Europa in Amerika (unter anderem der junge Graf Zeppelin), die Berichte über die Schlacht von Cold Harbor werden in den Generalstäben studiert werden. Man zieht aus Kriegen nie die Lehre, wie man sie vermeidet, sondern immer nur die, wie man noch effektiver töten kann.

Einen Tag nach der Schlacht wird der Leutnant Curtis Clay Pollock vom 48 Pensylvania Regiment seiner Mutter schreiben: My Dear Ma, I was very much pleased to receive your letters, the one of the 20th a few days ago and the one of the 27th yesterday. We had another severe engagement yesterday and lost pretty heavily. Alex Govan and James Alison were killed. Both were hit in the head and killed almost instantly. Sergt. C.F. Kuentzler was wounded severely in the arm. John Hutton was struck on the back of the fingers and cut a little. He will be back to the Company today. William Martin was struck in the ankle and bruised pretty badly. The loss in the Regt. is 10 killed and 42 wounded I do not know anything new and have no idea what is going on. The Rebs we were fighting yesterday left again last night and we are now out as skirmishers but there are no Rebels in front of us. John Hodgson is well and quite anxious to hear from home. He has not had a letter for some time. [Edward] Flanagan and [John] Humble are all right. I had a ball cut a piece out of the top of my hat yesterday and knocked it about ten feet from me. It is the nearest I have ever had a ball come to me. Hoping you are all well, I remain Your Affectionate Son C.C.P. With Much Love To All

Vierzehn Tage nach diesem Brief fällt Leutnant Pollock im Stellungskrieg von Petersburg, wo sich Lee eingegraben hat. Neun Monate später wird Lee bei ➱Appomattox kapitulieren.


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