Reader, I married him. Ein berühmter Kapitelanfang. Es ist das Kapitel 36 von Jane Eyre von Charlotte Bronte. Zehn Kapitel vorher hätte die Heldin diesen Satz auch schon sagen können, aber da ist in der Kirche aus der Hochzeit nichts geworden. Jemand hatte Einwände in letzter Sekunde, man kennt das aus Hollywoodfilmen. So wie in Vier Hochzeiten und ein Todesfall. Aber in Kapitel 26 sind die Einwände schwerer, Mr. Rochester ist schon verheiratet. Zwar nur noch pro forma, da seine Frau wahnsinnig geworden ist. Er hat sie oben im Haus weggesperrt. The madwoman in the attic. Das ist jetzt im viktorianischen Roman noch so ein Rest von der Gothic Novel, dem Schauerroman. Findet sich auch bei Charlottes Schwester Emily in Wuthering Heights immer wieder. Die große Zeit der Gothic Novel ist eigentlich vorbei, aber bei den Brontes und auch bei Dickens und Wilkie Collins finden sich immer noch Reste davon. Vielleicht ist Rochesters Frau gar nicht verrückt, vielleicht ist sie nymphomanisch? (manche Kritiker haben das aus Brontes Text herausgelesen). Das wäre für einen viktorianischen Gentleman natürlich noch schlimmer, no sex please, we are English. Jane Eyre, unter dem Pseudonym Currer Bell erschienen, wird ein großer Erfolg, erstaunlich für einen Romanerstling. Sind es die melodramatischen Elemente oder ist es die willensstarke Erzählerin, die das Lesepublikum so faszinierten?
Charlotte Bronte hat die zweite Auflage des Romans dem führenden Romancier der Zeit, William Makepeace Thackeray, gewidmet. Der letzte Absatz ihres Vorworts liest sich beinahe wie eine Liebeserklärung Why have I alluded to this man? I have alluded to him, Reader, because I think I see in him an intellect profounder and more unique than his contemporaries have yet recognised; because I regard him as the first social regenerator of the day -- as the very master of that working corps who would restore to rectitude the warped system of things; because I think no commentator on his writings has yet found the comparison that suits him, the terms which rightly characterise his talent. They say he is like Fielding: they talk of his wit, humour, comic powers. He resembles Fielding as an eagle does a vulture: Fielding could stoop on carrion, but Thackeray never does. His wit is bright, his humour attractive, but both bear the same relation to his serious genius that the mere lambent sheet-lightning playing under the edge of the summer-cloud does to the electric death-spark hid in its womb. Finally, I have alluded to Mr. Thackeray, because to him -- if he will accept the tribute of a total stranger -- I have dedicated this second edition of JANE EYRE.
Wenig später ist ihr das ganz furchtbar peinlich gewesen. Sie hatte nicht gewusst, dass Thackeray auch eine geisteskranke Frau hatte. Thackeray hat das aber äußerlich ungerührt genommen, und hat das Werk der unbekannten jungen Autorin als the masterwork of a great genius bezeichnet.Aber dieses melodramatische Motiv der madwoman in the attic, die irgendwann das Haus anzündet, wirkt natürlich weiter. Daphne du Maurier klaut es sich für Rebecca (Hitchcock gefällt das auch sehr). Und Jean Rhys erweckt die geheimnisvolle Unbekannte auf dem Dachboden in ihrem Roman Wide Sargasso Sea zu neuem literarischen Leben.
My bride's mother I had never seen: I understood she was dead. The honey-moon over, I learned my mistake; she was only mad, and shut up in a lunatic asylum. There was a younger brother, too; a complete dumb idiot... My father, and my brother Rowland, knew all this; but they thought only of the thirty thousand pounds, and joined in the plot against me.”
These were vile discoveries; but except for the treachery of concealment, I should have made them no subject of reproach to my wife: even when I found her nature wholly alien to mine, her tastes obnoxious to me, her caste of mind common, low, narrow, and singularly incapable of being led to anything higher, expanded to anything larger—when I found that I could not pass a single evening, nor even a single hour of the day, with her in comfort: that kindly conversation could not be sustained between us, because whatever topic I started, immediately received from her a turn at once coarse and trite, perverse and imbecile—when I perceived that I should never have a quiet or settled household, because no servant would bear the continued outbreaks of her violent and unreasonable temper, or the vexations of her absurd, contradictory, exacting orders—even then I restrained myself; I eschewed upbraiding, I curtailed remonstrance; I tried to devour my repentance and disgust in secret; I repressed the deep antipathy I felt.
Jane, I will not trouble you with abominable details: some strong words shall express what I have to say. I lived with that woman up stairs four years, and before that time she had tried me indeed: her character ripened and developed with frightful rapidity; her vices sprang up fast and rank: they were so strong, only cruelty could check them; and I would not use cruelty. What a pigmy intellect she had—and what giant propensities! How fearful were the curses those propensities entailed on me! Bertha Mason—the true daughter of an infamous mother—dragged me through all the hideous and degrading agonies which must attend a man bound to a wife at once intemperate and unchaste.
Schriftsteller lieben es ja im 19. Jahrhundert, ihren Frauenfiguren ein schreckliches Schicksal zu bereiten. Kaum haben sie im Roman Konturen und Eigenleben gewonnen - also jetzt mal abgesehen von dem unerträglichen Typ der engelhaften Hausfrau und liebenden Gattin - da sind sie auch schon tot oder siechen dahin. Madame Bovary, Anna Karenina, Tess (in Tess of the d'Urbervilles) oder Cora Munro (in Coopers The Last of the Mohicans). Und auch Effi Briest hat nicht gerade ein Happy Ending. Aber bevor Antoinette (die Rochester nur Bertha nennt) den Feuertod stirbt, ist sie quicklebendig, eine Parallelgestalt zu der charakterstarken Jane Eyre bei Bronte. Antoinette passt nirgendwo hin, auch sie ist (wie Jean Rhys) Tochter einer kreolischen Mutter, sie gehört nicht zur weißen Oberschicht der Karibikinsel, aber auch nicht zu den Schwarzen. Und erst recht passt sie nicht in das kalte viktorianische England, in das Mr. Rochester sie mitnimmt. Antoinette ist einmal mehr eine Jean Rhys woman, wie man ihre Heldinnen inzwischen nennt, einsam verletzlich, unangepasst.
Der Roman ist zweimal verfilmt worden, 1993 in einer plüschigen Ausstattungsrevue (mit Nathaniel Parker als Rochester, den kennen wir ja sonst als Inspector Lynley) und 2006 als ein Fernsehspiel für die BBC. Man kann beide Versionen im Netz sehen (die BBC Version ist auch als DVD erhältlich). Glücklich bin ich mit beiden nicht, die australische Verfilmung ist eine Art soft porn Version des Romans (obgleich das Element des Sexuellen bei Jean Rhys natürlich im Roman steht, sie denkt da die kryptischen Andeutungen aus Jane Eyre weiter) mit vielen Stars. Die BBC Version hat einen vorzüglichen Anfang und erzählt in den ersten vier Monaten schon die ganze Geschichte bevor der Filmtitel kommt. Aber es spricht natürlich überhaupt nicht dagegen, diese Links nicht anzuklicken und stattdessen den Roman zu lesen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die BBC Jean Rhys durch eine in einer Zeitschrift geschalteten Anzeige gesucht, man wusste nicht, ob sie noch lebte. Eine Autorin (Selma Vaz Dias) wollte Good Morning, Midnight von Jean Rhys für die BBC bearbeiten, durch diesen Kontakt mit der Welt der Literatur fasste Rhys neuen Mut, sie hat über Selma Dias gesagt, dass sie lifted the numb hopeless feeling that stopped me writing for so long. Vielleicht verstand sie sich mit Selma Vaz Dias so gut, weil die Schauspielerin und Tänzerin war, und Jean Rhys hatte auch einmal als Tingeltangeltänzerin angefangen. Dann lernt sie Francis Wyndham kennen, der dafür sorgen wird, dass sie Wide Sargasso Sea zuende schreibt: So I wrote to her and she wrote back and said she was writing something, and this was 'Wide Sargasso Sea'. She would send it to me as she was writing it, bit by bit. It was so exciting. I know that she was difficult, that she had her rages, but I only ever witnessed one rage and that was about being old. I was very moved by it. She knew I was a great fan of her writing. I think she knew, too, that she was good and that quite a lot of people couldn't see that she was good. So we had all that unspoken between us. She was a bit frail, like an actress. Sonia Orwell and I used to stay in a hotel near where she lived in Devon and take her out. She lived in a prefab kind of house.
Da in Cheriton Fitzpaine in Devon wird sie weiter wohnen, wenn der Erfolg kommt. Alle ihre Bücher werden neu wieder aufgelegt, sie bekommt Literaturpreise und den CBE Orden von der Königin. Aber sie hat weiterhin kein Telephon und kein Fernsehen (und sie trinkt auch weiter). Aber sie schreibt auch bis zuletzt, doch ihre Autobiographie wird ein Fragment bleiben. Wenn sie ihr Leben noch einmal leben könnte und die Wahl hätte, glücklich zu sein oder eine Schriftstellerin zu sein, dann würde sie das Glück nehmen, hat sie zu ihrem Lebensende gesagt. Der (sicherlich autobiographische) Roman Good Morning, Midnight hat seinen Titel nach einem Gedicht von ➱Emily Dickinson. Ich drucke das mal hier hin, weil es irgendwie zu ihr passt.
Good morning, Midnight!
I'm coming home,
Day got tired of me –
How could I of him?
Sunshine was a sweet place,
I liked to stay –
But Morn didn't want me – now –
So good night, Day!
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