Freitag, 26. Januar 2024

Schwedenmädel


Heute vor hundert Jahren wurde die schwedische Sängerin Alice Babs geboren. Damals hatte sie natürlich noch nicht den Künstlernamen Alice Babs, damals hieß sie Hildur Alice Nilsson. Sie war von klein auf auf der Bühne, und mit vierzehn Jahren konnte man sie zum ersten Mal im Radio hören. Mit fünfzehn hatte sie ihre erste Platte, die ✺Joddlarflickan hieß. Dem Titel sollten noch beinahe achthundert Lieder folgen. 1972 verlieh ihr der schwedische König den Titel einer Hofsängerin (hovsångerska), der bisher nur an Opernsängerinnen verliehen worden war. Jenny Lind hatte den Titel auch einmal gehabt.

1998 kam Alice Babs nach achtzehnjähriger Pause mit der CD Swingtime Again zurück ins Geschäft. Aus dieser Aufnahme können Sie hier It's Wonderful hören. 2002 bekam die Sängerin den europäischen Jazzpreis Django d'Or in der Kategorie Master of Jazz. Ein Jahr später erhielt sie die goldene Illis quorum Medaille, die schon Greta Garbo, Ingrid Bergman und Astrid Lindgren erhalten hatten. Die Jazzsängerin Monica Zetterlund bekam die posthum verliehen. 

Mit sechzehn war Alice auf der Leinwand gewesen, da konnte man sie als singende Schülerin in dem Film Swing it, magistern (Lass es swingen, Professor) sehen. Ich habe den Film hier für Sie. Es ist erstaunlich, welch harmlose Filme man 1940 in Schweden drehte, bei uns sah die Kinolandschaft damals anders aus. Alice Babs heiratete 1944 den Schauspieler Nils Ivar Sjöblom und bekam drei Kinder, ihre jüngste Tochter wurde Popsängerin. Nils Ivar Sjöblom starb 2011 im Alter von zweiundneunzig Jahren. Da hatte Alice Babs noch einige Zeit zu leben, sie wurde neunzig Jahre alt. Aber ihr Leben im Alter wurde durch Schlaganfälle und Alzheimer überschattet.

In den fünfziger Jahren war die Schwedin nach Deutschland gekommen. Sang Lieder wie Ein Mann muß nicht immer schön sein und Du, nur du du du allein. Und mit Paul Kuhn In einer kleinen Konditorei. Mit dem sang sie aber auch schon mal Jazz, das sollte man betonen. Bei Erwin Lehn & His Südfunk Tanzorchester hatte sie auch schon gezeigt, dass sie im Swing zu Hause war. Das kam jedoch in Deutschland noch nicht so gut an. Wir hatten sie lieber, wenn sie Ole Dole Dei sang. Sie war Teil dessen, was man die große skandinavische Invasion der fünfziger und sechziger Jahre nennen könnte. Als Nina van Pallandt Mandolinen und Mondschein sang, Vivi Bach ans himmelblaue Mittelmeer mitgenommen werden wollte, und Gitte 'nen Cowboy als Mann haben wollte. 

Das war die Zeit, als wir Ulla Jacobsen in Sie tanzte nur einen Sommer fünf Sekunden nackt sehen konnten. Als Ingmar Bergmans Film Das Schweigen die Nation beschäftigte, und es massenhaft Schwedinnenfilme gab. Die hießen 6 Schwedinnen von der Tankstelle6 Schwedinnen auf Ibiza6 Schwedinnen hinter Gittern und 6 Schwedinnen auf der Alm. Aber da spielten nicht Bergmanns Lieblingsschauspielerinnen wie Bibi Anderson, Harriet Anderson oder Gunnel Lindblom. Da spielten blonde Französinnen wie Marianne Aubert, Jane Baker, Karine Gambier und Brigitte Lahaie die Hauptrollen. Produziert wurden die Streifen von einem Schweizer namens Erwin C. Dittrich. Keine Filmkunstwerke, nur Softpornos. Damit hat der Film Schwedenmädel, mit dem Alice Babs in Deutschland bekannt wurde, nun überhaupt nichts zu tun. Eine Liebesromanze in einem internationalen College in Stockholm zerbricht in der Mittsommernacht zugunsten neuer Bindungen. Liebenswürdige Unterhaltung ohne tiefere Bedeutung. - Ab 14 möglich, schrieb ein Filmlexikon. Das farbige Kinoplakat täuscht ein wenig, Schwedenmädel war ein Schwarzweißfilm.

1958 trat Alice Babs als erste schwedische Kandidatin bei dem 1955 geschaffenen Grand Prix Eurovision in Hilversum an und sang in Nationaltracht ✺Lilla stjärna. Das brachte ihr den vierten Platz. Es war aber auch ein Abschied von all dem, was sie bisher gesungen hatte. Denn sie konnte mehr. Jetzt sang sie elisabethanische Liebeslieder wie zum Beispiel Woeful Heart und sang Bach Choräle. Und Mozarts Exsultate, jubilate. Das ist nun nicht so fetzig wie die Version von Marie FajtováAlice Babs ist bei Bach besser aufgehoben. Sie können auf dieser Seite alles von ihrer Platte aus dem Jahre 1966 hören.

Das waren Ausflüge in die Klassik gewesen, aber in Wirklichkeit machte sie jetzt etwas ganz anderes: sie war Jazzsängerin geworden. Zuerst an der Seite von schwedischen und dänischen Musikern, aber dann an der Seite von Duke Ellington. Der seine Sacred Concerts für sie schrieb, probably the most unique artist hat er sie genannt. Hören Sie einmal in ✺Heaven hinein. Ellington bewunderte ihre Stimme, die über drei Oktaven ging. Mit ihm hatte sie 1963 in Paris die Langspielplatte Serenade to Sweden aufgenommen, vielleicht das Beste, das sie gesungen hat. Billy Strayhorn ist da noch mit drauf, der wenige Jahre später starb.

Alice Babs hatte Ellington verehrt, seit sie zwölf war. Als er 1939 in Stockholm war, wurde sein vierzigster Geburtstag am 29. April den ganzen Tag gefeiert. Das fing schon mit einem musikalischen Ständchen zum Frühstück an, wie wir es hier auf dem Bild sehen. Irgendwann sang dann ein zehnköpfiger weiß gekleideter Mädchenchor. Eine der Sängerinnen war die fünfzehnjährige Alice Babs. Der Bericht über das Jazzkonzert am Abend von Rolf Dahlgren hatte den Titel Negerswing gör succé. So etwas dürfte heute niemand mehr schreiben.

Die Pariser Aufnahme von Serenade to Sweden hat eine seltsame Geschichte. Die Platte war im Frühjahr fertig, sie hätte im Sommer erscheinen können. Erschien aber erst drei Jahre später bei dem neuen Label Reprise. Und war schnell vom Markt verschwunden, angeblich war sie in Amerika gar nicht auf dem Markt gewesen. Serenade to Sweden wurde die seltenste und gesuchteste Duke Ellington Platte, obgleich er den Titel immer noch spielte. So schrieb die New York Times 1973: 

Duke Ellington likes to bring young women to the Newport Jazz Festival. And he knows some interesting ones. At last year's festival, the highlight of his concert at Carnegie Hall was Aura, a dazzling Rumanian beauty with a voice that was astonishing both for its range and its sustained sensuosity. On Sunday night, this time at Philharmonic Hall, Mr. Ellington's special treat, was Alice Babs, a Swedish singer who was the sensation of Mr. Ellington's Second Sacred Concert when he performed it several years ago at the Cathedral Church of St. John the Divine. Miss Babs's range is at least equal to that of Aura, but her voice has a very different quality—clear, clean and sparkling as a running mountain stream. Her superb control and the finesse with which she sustained and shaded notes were immediately apparent as she walked out of the wings vocalizing Mr. Ellington's lovely 'Serenade to Sweden.'

Die Schweden Tournee von 1973, wo Ellington zehn Jahre nach den Pariser Aufnahmen wieder Alice Babs an seiner Seite hatte, war der letzte große Auftritt von Duke Ellington. Die CD dieser Tournee ist noch leicht zu bekommen. Aber es gibt die Serenade to Sweden inzwischen auch wieder. Und seit 2017 zum ersten Mal auch als CD. Aber egal, ob Vinyl oder CD, beide Versionen sind heute noch lieferbar. Aber teuer, sehr teuer. Doch dank des ✺All That Jazz Don Kaart Channel können Sie die Aufnahme jetzt hier hören.


In diesem Blog, der jetzt ins vierzehnte Jahr geht, hat es immer Bach, Mozart und Schubert gegeben. Aver auch immer Jazz. Schon der dritte Post im Januar 2010 hieß JazzDas soll auch so bleiben. Wenn Sie wollen, können Sie dies alles lesen: the best is yet to comela first lady del jazz italianomehr Jazz?Harry Belafonte, Rickie Lee Jones, Play Bach, Birdland, Charlie Parker spielt La Paloma, Michel Legrand, Candy Dulfer, Harry Belafonte, Rickie Lee Jones, Mundharmonika, Nick Drake, Gulda, Rosemary Clooney, Sun Ra, Dexter Gordon, Don Byas, Richard Twardzik, Lena Horne, Monica Zetterlund, Cantate, Aimez-vous Brahms?, Folksongs, Teddy Boys, Mein Dänemark, Sempé, Marshall McLuhan, Arnold Duckwitz, Nico, Lou Reed, Madeleine Peyroux, Die Harmonie der Welt, Jean-Louis Trintignant, Birdland, P.J. Kavanagh, Improvisationen, Saturn, NachtfahrtThe Lady is a TrampLush Life, Fehlkäufe, Frankieboy, Jugendkultur, Paul Kuhn, Hyperlink, Ingeburg Thomsen, Kultur (neo), Chris Barber, Lonnie Donegan, Zickenjazz, Philip Larkin, exis, Melody, 'round midnight, Mademoiselle chante le blues, Ann-Margret, Amazing Grace, Nina van PallandtThe Art of Staying Young and Unhurt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen