Freitag, 5. Januar 2024

François Villon


Als mein Opa mir erzählte, dass er im Krieg in Galizien den Kaiser gesehen hätte, dachte ich mir, dass er in dem Krieg sogar in Spanien gewesen sei. Das spanische Galicien war das einzige Galicien, von dem ich etwas gehört hatte. Dass es noch ein anderes gab, das wusste ich nicht. Ich war ja noch klein. Ich komme auf die Gegend, weil in Ostgalizien ein österreichischer Offizier namens Karl Anton Klammer sich um 1900 ein wenig langweilte und begonnen hatte, François Villon zu übersetzen. Es gibt leider kein Photo von meinem Opa und dem Kaiser; ich weiß auch nicht, wie wahr die Geschichte ist, dass der Kaiser dem Hauptmann der Reserve aus Bremen die Hand geschüttelt hat. Mein Freund Jimmy hatte da eine viel bessere Geschichte von seinem Opa, der hatte ein Photo von seinem Opa und dem Kaiser. Weil der Kaiser seinem Opa an der Front den Pour le Mérite verliehen hat. So etwas hatte Opa nicht, der hatte das Eiserne Kreuz aus der Flandernschlacht und den weinroten Hanseatenorden. Den jeder aus einer Hansestadt bekam, der in den Ersten Weltkrieg gezogen war.

Aber ich muss zu Karl Anton Klammer zurückkommen, dem dichtenden Leutnant vom k. u. k. Dragonerregiment Erzherzog Albrecht Nr. 9. Der jetzt in der Abgeschiedenheit Galiziens - der Krieg ist noch weit weg - beinahe den ganzen François Villon übersetzt. Und einen Großteil der Gedichte Arthur Rimbauds. Beides erscheint 1907 unter dem Pseudonym K.L.Ammer. Dies hier ist nicht die Originalausgabe, dies ist die Ausgabe von 1930. Da war der Oberstleutnant Klammer nicht mehr bei der Armee, da war er Verlagsleiter der Wiener Verlagsanstalt Freytag und Bernd. Seine Villon Übersetzung von 1907 war schon lange vergriffen gewesen, aber als die Ausgabe von 1930 erschien, kannte jeder den Übersetzer. Denn der hatte gerade einen Prozess gegen Bertolt Brecht geführt. Unser Brecht war ein Räuber wie François Villon und hatte sich für seine Dreigroschenoper im großen Stil bei der Übersetzung der Gedichte von François Villon durch Karl Klammer bedient. 

Klammer klagte, obgleich ihm die Sache eigentlich peinlich war. Brecht, der sich selbst eine grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums bescheinigte, musste zahlen. In seiner Autobiographie schrieb Klammer: Die vereinbarten Tantiemen bescherten mir einen derart hohen Betrag, dass ich mir dafür einen Weingarten in Grinzing kaufen konnte. Seine goldflüssige Lese taufte ich pietätvoll Drei-Groschen-Tropfen. Wenn ich auch schon früher keine geradezu schlechten Honorare verdient hatte, mein Anteil an den Erträgnissen der ,Drei-Groschen-Oper‘ stellte alle in den Schatten. Ich beruhigte mein Gewissen damit, dass ich ein Viertel davon für wohltätige Zwecke hingab.

Wenn man heute eine Übersetzung von François Villon sucht, dann scheint der Markt überschwemmt von der Villon Übersetzung eines Mannes namens Paul Zech. Klaus Kinski ist mit seiner Aufnahme von ✺Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund berühmt geworden. Allerdings steht das Gedicht überhaupt nicht bei Villon. Zech, der zu einem deutschen Villon geworden ist, präsentiert uns eine freie Nachdichtung. Der Dragonerleutnant Klammer hatte die Villon Edition von Wolfgang von Wurzbach (1903) als Basis seiner Übersetzung genommen (das Werk habe ich hier im Volltext). Paul Zech kümmert sich nicht um das altfranzösische Original, der bedient sich bei Klammer. Den Villon, den uns Paul Zech vermittelt hat (hier im Volltext), den hat es so nie gegeben. Es ist eine Literatur- und Lebensfälschung im großen Stil. Das sagt uns der Romanistik Professor Gert Pinkenell auf dieser sehr lesenswerten Seite

Heute vor 560 Jahren hat ein Pariser Gericht das Todesurteil gegen François Villon in zehn Jahre Verbannung aus Paris abgewandelt. Zuvor hatte er noch eine Epistel an seine Freunde in Balladenform geschrieben (hier im Originaltext), die es hier heute in der Übersetzung von Karl Anton Klammer gibt. Dessen Villon Übersetzungen kann man in der Diogenes Ausgabe noch preiswert finden.

Nun hört die Stimme, die um Mitleid ruft; 
Villon liegt hier nicht unter Hagedorn, 
nicht unter Buchen, nein, in einer Gruft! 
Hieher verschlug ihn des Geschickes Zorn, 
und Gott, Gott hat ihm nicht gewehrt.

Ihr Mädchen, Jünger, Tändler und Novizen, 
ihr Possenreißer, die ihr tanzt und springt,
so schnell wie Pfeile, scharf wie Lanzenspitzen, 
ihr Jungen, die ihr hell wie Glocken klingt, 
wollt ihr, daß seine Marter ewig währt?

Ihr, die ihr singt, wie’s euch gefällt, ihr Sänger, 
ihr scherzend, spottend, lachendes Gelichter, 
ihr falschen Münzen, Steiger, Müßiggänger, 
ihr Geisteskinder, trüben Kirchenlichter, 
verweilt, daß ihr mein letztes Wort noch hört. 
Ihr Dichter von Rondeaus und Melodien:

ist er gestorben, kocht euch Eierwein;
zu ihm dringt weder Blitz noch Sturmwind hin, 
und dicke Mauern schließen fest ihn ein –
wollt ihr, daß seine Marter ewig währt?

Drum kommt und seht, wie es ihm elend geht, 
ihr Priester, frei von Steuern und Zehent,
die ihr als oberste Autorität
nur Gott im Himmel anerkennt.

Fünf Fasten sind ihm wöchentlich beschert, 
und seine Zähne sind so lang wie Rechen. 
Und keine Kuchen, nein, zu trocknem Brot 
kann er, soviel er Lust hat, Wasser zechen, 
als Tisch steht ihm die Erde zu Gebot:
wollt ihr, daß seine Marter ewig währt?

Geleit

Ihr Herrn und Kameraden, alt und jung,
erwirkt beim König ihm Begnadigung
und schickt sie ihm dann zu, daß ers erfährt, 
wie’s selbst die Schweine machen, die in Haufen, 
wenn eines schreit, sogleich zu Hilfe laufen. 
Wollt ihr, daß seine Marter ewig währt?

Werfen wir doch noch mal eben einen Blick auf den Texträuber Bertolt Brecht. Da heißt es in seiner Dreigroschenoper

Nun hört die Stimme, die um Mitleid ruft,
Macheath liegt hier nicht unterm Hagedorn,
Nicht unter Buchen, nein, in einer Gruft!
Hierher verschlug ihn des Geschickes Zorn.
Geb Gott, daß ihr sein letztes Wort noch hört!
Die dicksten Mauern schließen ihn jetzt ein!
Fragt ihr denn gar nicht, Freunde, wo er sei?
Ist er gestorben, kocht euch Eierwein.
So lang er aber lebt, steht ihm doch bei!
Wollt ihr, daß seine Marter ewig sei?

Jetzt wissen wir, was eine grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums ist. Lediglich den Namen Villon gegen Macheath auszutauschen, das ist einfach nur frech. Es ist schon richtig, dass Karl Anton Klammer seinen Weingarten in Grinzing verdient hat. Es war der Theaterkritiker Alfred Kerr, der 1929 das Plagiat aufgedeckt hatte und mit satter Ironie im Berliner Tageblatt schrieb: Mit ehrfürchtigem Staunen erkenne man, daß der vergriffene K.L. Ammer 1907 geahnt hat, was der Zeitdichter Brecht einst dichten werde.

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