Dienstag, 28. September 2010

God Save the King


Am 28. September des Jahres 1745 soll das Lied God Save the King im Drury Lane Theater mit dem musikalischen Arrangement von Thomas Arne zuerst gesungen worden sein. Es hat sich bis heute als englische Nationalhymne gehalten. Schon einige Jahre zuvor hatte Thomas Arne, dem die Oxford University 1759 den Titel eines Doktors der Musik verleiht, ein Lied geschrieben, das auch eine heimliche Nationalhymne ist. Es stammt aus seiner Masque of Alfred und ist eine Vertonung des Gedichtes Rule Britannia von James Thomson. Wurde zuerst bei einer Feier des Kronprinzen Frederick aufgeführt, setzt sich aber schnell durch. Bis heute. Lieder schreiben kann dieser Doktor Arne. Er schreibt auch Opern, die aber vielleicht nicht so bedeutend sind, wie die von Friedrich Händel. Obgleich sich sein Artaxerxes jahrzehntelang auf der Bühne hält.

Georg II (oben in der Schlacht von Dettingen) ist der letzte englische König, der ein Heer im Feld angeführt hat. Er kann jetzt jede Unterstützung gebrauchen, auch die musikalische aus dem Drury Lane Theatre. Denn eine Woche bevor man hier God Save the King singt, hat sein General Sir John Cope die Schlacht von Prestonpans gegen die aufrührerischen Schotten verloren. Offiziell führt die Bonnie Prince Charlie an, aber in Wirklichkeit ist es Lord George Murray, der einzig fähige General den Charles Stuart hat, der die Schlacht gewinnt. Die Schotten singen jetzt auch ein Lied, das Hey, Johnnie Cope, are ye waking yet? heißt, das auf den Umstand anspielt, dass die Engländer noch pennten, als sie Lord Murray schon umzingelt hatte. Aber man singt in Schottland auch zur gleichen Melodie wie God save the King mit leicht verändertem Text das Lied als Hymne auf den ➱Kronprätendenten.

Ungeachtet von Kriegen und Aufständen wird jetzt überall gesungen. London ist zur Musikstadt geworden, auch wenn man den Begriff Swinging London noch nicht erfunden hat. In den meisten Fällen muss man die Komponisten und Sänger importieren, oder es sind Zugezogene, die jetzt Engländer sind. Wie unser Frederick Handel. Oder der Dr. John Pepusch, der kommt eigentlich aus Berlin, ist aber schon seit 1700 in London. 1713 verleiht ihm Oxford einen Doktortitel. Pepusch wäre sicherlich vergessen und nur noch für Musikhistoriker interessant, wenn er nicht 1728 die Musik zu der Beggar's Opera geschrieben hätte. Diese neue Form der Oper, die eher eine Parodie der italienischen Oper oder eine Art Musical ist, verändert die Londoner Opernwelt. Händel hat mit seiner Oper große finanzielle Einbußen. Man will nicht mehr Helden und Heldinnen der Antike auf der Bühne sehen, jetzt kommt das gemeine Volk. Polly Peachum und MacHeath. Und Pepusch bedient sich aus dem Fundus der populären Melodien der Zeit. Wenn man so will, ist die Popkultur gerade erfunden worden. Diese Zauberformel funktioniert auch noch Jahrhunderte später, wenn Bertolt Brecht daraus ein neues Süppchen kocht. Seine Dreigroschenoper hat auf das Jahr genau zweihundert Jahre nach der Beggar's Opera Premiere.

Die preiswerteste Möglichkeit, Musik zu hören, sind die neuen Vergnügungsparks. Von denen ist Vauxhall Gardens der berühmteste, aber es gibt auch noch Marylebone Garden und Cuper's Garden. Die Parks bieten alle Sorten der Unterhaltung und des Vergnügens, aber das Wichtigste ist die Musik. Alles bunt nebeneinander und miteinander vermischt, Tanzmusik, Volkslieder, Liebeslieder, Balladen. Patriotische Lieder und Opernarien. Das ist jetzt eine andere Welt als die von Händels italienischer Oper oder die seiner Oratorien. Und die Vauxhall Garden werden die Welt für Dr. Arne (oben auf einem zeitgenössischen Stich) werden, jahrzehntelang wird er Songs für den Vergnügungspark schreiben.

Damit verdient er mehr als sein Schüler Charles Burney (von dem es ein schönes Portrait von Reynolds gibt), der zuerst nur eine Stelle als Organist hat, die ihm gerade mal 100 Pfund im Jahr einbringt. Aber er wird berühmter werden als sein Lehrer, weil er eine große Geschichte der Musik schreibt. Und weil er eine Tochter namens Fanny hat. Die schreibt Romane und erfindet die novel of manners. Jane Austen hat sie sehr bewundert.

Die ersten Noten, die 1745 von dem Lied auftauchen, versichern uns, dass es at both playhouses gesungen würde. Drury Lane und Covent Garden, und diese Zeile macht völlig klar, wo jetzt die Musik spielt. Die Kultur wird in den playhouses und in den pleasure gardens gemacht. Und dann gibt es noch die coffee-houses, da sitzen die Schriftsteller und Philosophen und machen die andere Hälfte der Kultur. Wenn sie nicht gerade in der Oper oder in Vauxhall Gardens sind.

God Save the King/Queen ist eine englische Nationalhymne, es gibt aber keine offizielle Nationalhymne. Bei uns wird so etwas gesetzlich geregelt, hat sogar schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Und so ist die dritte Strophe des Deutschlandliedes als Nationalhymne gemäß § 90a StGB gegen Verunglimpfung geschützt. Vor einem halben Jahrhundert, in den Kindertagen der Bundesrepublik war das alles nicht so eindeutig. So soll der Bundeskanzler Konrad Adenauer in Amerika einmal mit dem Lied Heidewitzka, Herr Kapitän begrüßt worden sein und auch der Karnevalsschlager Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien (als Anspielung auf die drei Westzonen) wurde schon mal als Hymnenersatz gespielt. Aber heute haben wir natürlich eine Hymne, und wie die geht, macht uns Sarah Connor vor. Brüh' im Lichte dieses Glückes, ist das schon eine Verunglimpfung gemäß § 90s StGB?

Ach, die Engländer haben es gut. Wenn sie keine Lust auf God Save the Queen haben, können sie Rule Britannia singen, oder Blakes Jerusalem oder Land of Hope and Glory nach Elgars Pomp and Circumstance. Oder, wie in der Last Night of the Proms, alles hintereinander. Anstelle der peinlichen Sarah Connor hätte ich hier ➱Sarah Connolly, das muss man einfach gesehen und gehört haben. Und damit sind wir plötzlich wieder im 18. Jahrhundert, in dieser quirligen Musikkultur, die das Populäre und das patriotisch Nationale mischt und daraus etwas typisch Englisches macht. Denn die hier entstandene Musikkultur wirkt noch Jahrhunderte weiter, bis zu Gilbert und Sullivan und zur Music Hall. Und natürlich der Last Night of the Proms.

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