Mittwoch, 22. September 2010

Rosamunde Pilcher


Join the Wrens – and free a man for the fleet, lautete der Slogan, den die englische Regierung während des Zweiten Weltkriegs ausgab, um Angehörige für den Women's Royal Naval Service zu werben. Rosamunde Scott, Tochter eines Marineoffiziers, hat ihn beherzigt. Als sie aus dem Krieg zurück war, hat sie den Major Graham Pilcher geheiratet, vier Kinder gekriegt und irgendwann zu schreiben angefangen. Heute wird sie 86, ihr Ehemann ist im letzten Jahr im Alter von 92 Jahren gestorben. Obgleich ich ihre Romane nicht mag, gratuliere ich doch ganz herzlich zum Geburtstag. Sie hat nie behauptet, dass sie große Literatur schreibt: Nennen Sie es Kitsch. Das berührt mich nicht. Ich glaube dennoch, dass ich einen guten Stil habe. Das mit dem guten Stil weiß ich nicht so genau, aber gutes Englisch schreibt sie, das ist richtig. Ich bin Experte, ich besitze einen Rosamunde Pilcher Roman. Habe ich für zwei Mark im Grabbelkasten gefunden, ich wollte endlich mal wissen, was an dem Pilcher Phänomen dran ist. Ich habe die 1.016 Seiten nicht zuende gelesen, weil ich in der Gegend von Seite 200 aufgehört habe. Danach habe ich nur noch kursorisch darin gelesen, hier ein Häppchen, dort eins. Reicht für den Gesamteindruck. Die Sunday Times sprach von warmth, sincerity and easy, undemanding prose. Stimmt alles. Aber wenn man etwas in der Größenordnung von tausend Seiten lesen will, dann könnte es ja auch Gone with the Wind sein. Oder etwas more demanding, die Forsyte Saga.

Der Roman heißt Coming Home, er ist natürlich auch verfilmt worden, 199 Minuten lang (es gibt ihn auch vorgelesen). Aber diesmal ist die Verfilmung nicht eine dieser schrottigen ZDF Produktionen, hier hat man sich schon Mühe gegeben und gute Schauspieler geholt. Peter O'Toole, Joanna Lumley, Emily Mortimer, Susan Hamphire (ja, die hübsche Fleur aus der Forsyte Saga Verfilmung). Zwei Jahre vorher hatte die BBC mit der Verfilmung von September es dem ZDF mal gezeigt, wie man das richtig macht, wieder mit Mengen von Stars Jacqueline Bisset, Edward Fox, Michael York, Mariel Hemingway etc.

Aber das ZDF hat sich von diesen englischen Filmen nicht beeinflussen lassen und haut eine Pilcher Verfilmung nach der anderen raus (natürlich haben sie Coming Home und September auch gezeigt). Ich habe September gesehen, weil ich ➱Jacqueline Bisset ganz schnuckelig finde. Nicht dass sie eine besonders gute Schauspielerin wäre, aber was wäre Truffauts La Nuit Américaine ohne sie? Dass sie auch in Richard Lesters The Knack war, haben wir alle nicht bemerkt. Dafür hat sie in Under the Volcano gezeigt, dass sie auch eine gute Schauspielerin sein kann. In September spielt sie jemanden namens Pandora Blair (was ein toller Name für Tony B-Liars Gattin wäre) und beweist, dass Frauen auch jenseits der fünfzig noch gut aussehen können.

So halbwegs qualitätvoll die BBC Inszenierung daherkommt, auch hier gibt es schlimme Schnitzer. Man guckt diese Sorte Film ja nicht wegen der Handlung oder der Kameraarbeit an. Der englische Professor Malcolm Bradbury, der auch viel für das Fernsehen gearbeitet hat, hat mal in einem Vortrag gesagt, dass man sich in Bezug auf die Genauigkeit bei einer Verfilmung ja große Mühe gäbe. Aber kaum sei der Film gesendet, da rufen die Leute bei der BBC an, um zu sagen, dass es das eben im Film gezeigte Automodell im Jahre 1954 noch gar nicht gegeben hätte. Sie verstehen, was ich meine. Also es gibt in dem Film eine Szene, in der Michael York (die Inkarnation des englischen Gentleman, da kann man ja nicht viel falsch machen) geschäftlich in die Großstadt muss. Er trägt einen eleganten Anzug, hat einen dieser schweineteuren englischen Aktenkoffer (also so etwas, was Swaine, Adeney & Brigg verkaufen) und steigt in einen Land Rover.

So weit so gut. Der Fehler ist: alles ist neu, nagelneuer Anzug, nagelneuer Aktenkoffer, nagelneuer und ganz sauberer Land Rover. Wenn man so, oder so ähnlich wohnt, dann hat man nix Neues! Kein Gentleman würde einen Anzug tragen, dem man das NEU auf hundert Meter ansieht. Das bedeutet, dass wir unsere Arbeit nicht richtig gemacht haben, würden die Savile Row Schneider sagen. Und kein englischer Gentleman würde einen neuen Aktenkoffer in die Hand nehmen. Der rote Koffer, den der jeweilige englische Schatzkanzler bei der Präsentation des Budgets in die Kamera hält, stammt aus dem Jahre 1860. Damals hatte Gladstone ihn für diese Zwecke anfertigen lassen. Und wieso steht ein sauber glänzender Land Rover vor dem Landhaus? Da muss doch die untere Hälfte voller Lehm sein. Das sind schlimme handwerkliche Fehler, die in der Serie Der Doktor und das liebe Vieh nie vorkommen.

Wenn solche Schnitzer in den englischen Produktionen vielleicht marginal sind, in den deutschen Produktionen sind sie die Regel. Hier bastelt man sich ein synthetisches England zusammen, das Cornwall sein soll (aber meistens woanders gedreht wurde). Die Engländer sind natürlich alle aus deutschen Serien bekannt, und sie tragen abscheuliche Dinge, die bestimmt kein Engländer trägt. Oder sagen wir das etwas genauer: kein Engländer aus dieser spezifischen Gesellschaftsschicht. Denn eine bestimmte Sorte Kleidung ist in England wie ein bestimmter Akzent immer noch an eine bestimmte soziale Gruppe gebunden (zu der die meisten deutschen Darsteller auch nicht gerade gehören).

Peter O'Toole, Edward Fox und Michael York könnten den schlimmsten Unsinn anziehen, den man sich in Mainz ausdenken mag, sie würden immer noch einen englischen Landadligen abgeben. Aber den meisten deutschen Darstellern, die in diesen Pilcher Filmen brillieren, gelingt das nun mal nicht. Die echt englischen Outfits wären zur Unterstützung ihrer schauspielerischen Leistungen ebenso wichtig wie die richtige Umgebung. Warum plündern die, wenn es offensichtlich nicht für Rudolf Beaufays in Hamburg reicht, nicht mal zu Beginn der Dreharbeiten einen Oxfam Secondhand Laden?

Nun könnte man sagen, dass diese kleinen Nuancierungen in der Welt der upper middle class völlig nebensächlich sind, aber das ist nicht wahr. Der englische Roman lebt davon, Rosamunde Pilcher ganz besonders. Denn dies ist ja keine working class literature. Dies ist genteel literature für diejenigen, die dahin kommen möchten, wo Pilchers Figuren schon sind, auf den großen Landsitz in Cornwall. Rosamunde Pilcher ist in dem Land der romance nicht allein, sie hat in England massenhaft Konkurrenz, von der guten alten Barbara Cartland bis zu Jilly Cooper. Diese Sorte Literatur macht die Hälfte des englischen Buchmarkts aus.

Wenn man nun glaubt, dass ganz Cornwall Pilcher Country ist, fest im Besitz von Rosamunde, wird man sich getäuscht sehen. Es gibt in England noch eine Autorin, die in Deutschland nicht so bekannt geworden ist, die aber schöne Romane geschrieben hat, die auch in Cornwall spielen. Vor Jahren habe ich im Grabbelkasten eines Antiquariats für eine Mark Mary Wesleys Buch A Sensible Life gefunden. Ich las die ersten Seiten und war hingerissen, hier war eine Frau, die schreiben konnte. Sie war 78 Jahre alt, als sie diesen Roman schrieb. Jane Austen plus Sex, hat die englische Presse ihre Romane klassifiziert. Fand sie nicht so witzig, aber Sex spielt bei ihr schon eine Rolle. Auch in ihrem Leben, nicht nur im Roman. Die upper middle class spielt bei ihr auch eine Rolle, wird aber bei ihr schärfer gezeichnet. Ist kein Gegenstand der heimlichen Verehrung, eher der Ironie.

Rosamunde Pilchers Romane haben hundertausende von Touristen nach Cornwall gelockt, dafür ist sie mit dem British Tourism Award ausgezeichnet worden. Der ZDF Programmdirektor Claus Beling auch. Pilcher hat vor zehn Jahren aufgehört zu schreiben, aber dafür schreibt beim ZDF eine Frau namens Christiane Sadlo weiter. Die die gleiche Formel dann auch noch mal unter dem Namen Inga Lindström vermarktet. Dann spielt das in Schweden, ist aber sonst das gleiche. Die Darsteller meistens auch.

Muss man Rosamund Pilcher lesen? All normal people need both, classics and trash, hat George Bernard Shaw einmal gesagt. Meine kursorische Lektüre von Coming Home hat keine bleibenden Schäden hinterlassen. War auch nicht so schreiend komisch, wie die Lektüre von Kathleen Woodiwiss' Ashes in the Wind (ein Gone with the Wind Derivat). Eine Zeitschrift namens Woman and Home hat Coming Home als A great featherbed of a novel, all the right ingredients bezeichnet. Wahrscheinlich ist das so. Wenn Sie aber nun aus der Bettenabteilung in das richtige Leben wechseln wollen, dann empfehle ich das Buch Class von Jilly Cooper, in dem man ALLES über die englische Gesellschaft erfährt.














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