Mittwoch, 2. Juni 2010

Mandalay


Das hat mich jetzt 'nen büschen auf den Geschmack gebracht, mit dem Platt gestern. Zumal ich eine Anzahl von Mails bekommen habe, deren Absender dankbar waren, einmal wieder Klaus Groth zu lesen oder die sich noch mehr Niederdeutsches wünschten. Also gut, ich komme dem nach, und es gibt hier heute etwas, was noch niemand kennt. Eine deutsche Erstveröffentlichung, wie vor Monaten, als hier im Blog ein Teil des berühmten Tagebuchs von Humphrey O'Sullivan in deutscher Übersetzung erschien.

Das heute ist eine Übersetzung von Kiplings berühmtem Gedicht Mandalay ins Plattdeutsche, der Vater meines Freundes Georg hat sie 1945 angefertigt. Es hatte vorher eine deutsche Übersetzung von einem gewissen Marx Möller gegeben, der hatte 1911 die Balladen aus dem Biwak herausgebracht. Bert Brecht hatte diese Ausgabe benutzt, um Teile daraus für die Dreigroschenoper zu klauen. Hat ihm viel Ärger eingebracht. Aber Marx Möllers Version von Mandalay, in hochgestochener Sprache, die manchmal ein wenig volkstümlich sein will, hat nichts mit Kiplings Cockney zu tun. Denn Kipling will in diesem Gedicht, dass der einfache englische Soldat glaubhaft redet, nicht wie jemand, der mit summa cum laude über Schillers Don Carlos promoviert hat (wie Marx Möller). Denn glaubhaft ist Kiplings Sprecher in jeder Zeile (nicht nur wegen des droppin' the aitches) schon wenn er anfängt:

By the old Moulmein Pagoda, lookin' lazy at the sea,
There's a Burma girl a-settin, and I know she thinks o' me;
For the wind is in the palm-trees, and the temple-bells they say:
"Come you back, you British soldier; come you back to Mandalay!"

Und jetzt schauen Sie sich mal die erste Strophe der Übersetzung an. Ist beinahe besser als das Original, hat mir einmal ein Fachwissenschaftler fürs Plattdeutsche gesagt, dem ich dies zeigte.

Bi de ool’ Moulmein Pagoda, de no Osten kikt op See,
Sitt’n lüttjes Burma-Mäken, un’ ehr Hart is swoor as Blee,
Denn de Wind geit dör de Palmen, Tempelglocken roopt so weh;
„Kumm du trüch, du Britisch’ Tommy, kumm du trüch no Mandalay!“

Kumm du trüch no Mandalay.
As de Scheep komt roop von See:
Heurst jem pladdern nich un’ janken von Rangoon no Mandalay?
An de Stroot no Mandalay
Wo de Fisch flücht in de Höh’,
Un’ de Dag is dor as’t Weder wiet ut China öber See.

Ehr Ünnerrock weer geel meist, un’ ehr lüttje Mütz’ weer grön,
Un’ ehr Nom weer Supi-jo-let as‘n Keunigin so schön,
Un’ ik seeh toerst ehr smeuken an so’n witte Oort Zigarr’,
Un’ den Foot dä se denn küssen von so’n heidenkroomschen Narr:

Von so’n Götzen ganz ut Mutt,
den se nenn den grooten Budd –
As se kreeg von mi’n Seuten weer mit den dat ers’mol ut
An de Stroot no Mandalay-----

As de Nebel kreup up’t Risfeld, un’ de Sün güng sach to Rooh,
Kreeg se rut ehr lüttjes Banjo, un’ se süng “Kallu-lolo!“
Mit ehr’n Arm um mine Schuller un’ ehr Wang’ an mine Wang’
Wi keeken na de Dampers, na de Elefanten lang –

As se arbei’n ünnen an’t Stack
In den Matsch un’ Sabsch von’n Brack,
Oh, door weert so gruslich ruhig, dat keenen von uns wat snack
An de Stroot no Mandalay----

Man dat is all vörbi nu – lang vörbi un’ weg as Snee,
Un’ door geit keen Bus mool eben von de Thems’ no Mandalay,
Un’ ik mark hier nu in London, wat de Oolen see’n to mi:
„Wenn de Osten di erst foot hett, gifft nix anners mehr för di“

Nee, hier ward von nix mehr sung’n
As von Knoblokk op de Tung’n
Wenn de Sün schien op de Palmen un’ de Tempelglocken klung’n
An de Stroot no Mandalay----

Ik heff’t satt, dat oole Loopen op de aasigen Plastersteen,
Dat verdammte Schmuddelweder gifft mi’t Rieten in’ne Been
Wenn ik ook mit foftig Kökschen utgo, un’ de Hälft’ mi schreew
Un’ de annern snackt ehrn Kopp aff – wat weet de hier denn von Leew?

Smeerig’ Snut un’ smeerig’ Hand,
Leew’s to hoch för ehr’n Verstand!
Ik heffn’n feineres, seuteres Mäken in’n reineres, gröneres Land –
An de Stroot no Mandalay----

Loot mi weg, vörbi an Suez, wo de Mann is noch’n Mann,
Wo’t geit ohne Zehn Gebote, un’ man noch een heben kann –
Denn de Tempelglocken roopt mi, un’ dorhen treckt mi dat Weh,
No de ool’ Moulmein Pagoda, de so meud kikt op de See –

An de Stroot no Mandalay
As de Scheep käm för de See
Mit de Kranken ünner't Sünnsail, as wi gung'n no Mandalay!
Oh, de Stroot no Mandalay,
Wo de Fisch fleeg in de Höh'
Un' de Dag is door as't Weder wiet ut China öber See!

Werner Seifert, der Direktor des Winsener Gymnasiums, der dies übersetzt hat, kannte seinen Kipling. Er war in der ganzen englischen Literatur belesen, und er war mit einer Engländerin verheiratet. Kann ein Übersetzer bessere Vorbedingungen haben? Diese Übersetzung ist einer der großen Glückszufälle, bei dem man sich keinen Augenblick über den Übersetzer ärgert. Sie trifft den Ton des pensionierten Soldaten, aber auch das Lyrische, Wehmütige. Manchmal weicht sie vom Original ab, wie in den Zeilen: Tho' I walks with fifty 'ousemaids outer Chelsea to the Strand An' they talks a lot o' lovin', but wot do they understand?

Das ist so nicht nachzumachen, aber das mit den Kökschen, das finde ich schon genial. Mandalay ist eins der bekanntesten Gedichte Kiplings, und manches daraus, wie on the road to Mandalay und ship me somewheres east of Suez ist schon sprichwörtlich im Englischen geworden (genauso wie andere Kipling Zeilen: East is East, and West is Westthe female of the species is more deadly than the male oder What do they know of England who only England know?). Frank Sinatra hat mal Mandalay gesungen. Und Robbie Williams singt einen Song, der On the Road to Mandalay heißt. Das habe ich vor Jahren erwähnt, als ich in einem Seminar Rudyard Kiplings Mandalay behandelt habe. Hätte ich lieber nicht tun sollen. Denn was antworteten fünfzig Prozent der Studis in der Klausur auf die Frage nach dem Autor von Mandalay? Sie ahnen es schon: Robbie Williams.

Auf der Rückreise nach sieben Jahren in Indien hatte sich der vierundzwanzigjährige Kipling notiert: I love the Burman with the blind favouritism born of first impression. When I die I will be a Burman … and I will always walk about with a pretty almond-coloured girl who shall laugh and jest too, as a young maiden ought. She shall not pull a sari over her head when a man looks at her and glare suggestively from behind it, nor shall she tramp behind me when I walk: for these are the customs of India. She shall look all the world between the eyes, in honesty and good fellowship, and I will teach her not to defile her pretty mouth with chopped tobacco in a cabbage leaf, but to inhale good cigarettes of Egypt's best brand.

Der Osten hat also auch bei ihm und nicht nur bei unserem British soldier seine Spuren hinterlassen. Dass seine Barrack-Room Ballads sofort auf die Bühne der Music Hall wandern, verdanken sie der Tatsache, dass sie immens singbar sind, auch Frankieboy kann da nicht viel falsch machen. Selbst Robbie Williams könnte das singen. Obgleich Kipling völlig unmusikalisch war, aber beim Schreiben von Gedichten hat er immer gesummt und leise gesungen. Seine Gedichte, die die Barrack-Room Ballads werden, erscheinen jetzt wöchentlich im Scots Observer, einer Zeitungsneugründung. Beginnend mit Danny Deever begeistern sie die Nation, dies ist eine völlig neue Literatur. Nach The Widow at Windsor braucht er sich bei Königs nicht mehr sehen zu lassen. Dennoch, die Liedversion On the Road to Mandalay zerstört das Gedicht völlig. Lassen Sie mal auf YouTube Leonard Warren On the Road to Mandalay singen, furchtbar.

Es ist schon seit längerem bei Salonlinken schick, auf Kipling als einen Dichter des Imperialismus einzudreschen und sofort The White Man's Burden auf den Tisch zu knallen. Die Dichter der Moderne haben ihn nicht gemocht, aber für die bürgerliche middle class Englands war er ihr Dichter, sein Gedicht Recessional findet sich in vielen Gesangbüchern. Erstaunlicherweise hat kein geringerer als T.S. Eliot Kipling bei Faber & Faber mit einem langen Essay herausgegeben. Aber wenn man ihm ganz gerecht werden wollte, dann müsste man schon 820 Seiten Gedichte lesen. Von Kim und dem Jungle Book ganz zu schweigen. In der Mitte des Krieges hat George Orwell in der Zeitschrift Horizon T.S. Eliots A Choice of Kiplings Verse rezensiert, falls man nun glaubt, dass das eine Abrechnung eines Linken mit einem Imperialisten ist, wird man sich getäuscht sehen. Auch wenn Orwells Lob (good bad poetry) nicht so überschwenglich ausfällt, dem Phänomen Kipling wird er durchaus gerecht. Wenn dies good bad poetry ist, dann ist es eine good bad poetry, der man sich nicht entziehen kann. Das Abgleiten in die Sentimentalität wird durch die Sprachebene verhindert, und das kann das Plattdeutsche ebenso wie das Cockney leisten.

Wer Mandalay im Original lesen möchte, findet hier einen ➱Link. Eliots A Choice of Kipling's Verse bei Faber ist leider vergriffen, ist aber antiquarisch noch zu finden. Die preiswerteste Gesamtausgabe des lyrischen Werks erschien 1994 bei dem Billiganbieter Wordsworth. Sieht nicht so attraktiv aus, ist aber alles drin (auch der Essay von George Orwell). Werner Seiferts plattdeutsche Übersetzung von Mandalay erscheint heute hier zum ersten Mal.

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