Kund ward dem fränkischen Geschlechte
Wie Russen stehen im Gefechte,
Was unser Faustkampf heißt!
Wie unsre Brust die Erde dröhnte,
Ein tausendfältig Donnern tönte,
Der Reiter mit dem Rosse stöhnte,
Tod und Verderben kreist.
Es dämmerte. Wir standen fertig
Und waren neuen Kampfs gewärtig
Beim nächsten Morgenroth —
Doch nach und nach verstummt das Knallen,
Zum Rückzug alle Trommeln schallen
Wir aber zählten die gefallen,
Verwundet oder tot
Ja! Männer gab's zu unsern Zeiten,
Stark im Gehorchen und im Streiten,
Männer von Stahl und Erz!
Nur Wen'ge ließ die Schlacht am Leben,
Und, wär' es nicht um höh'res Streben,
Sie hätten nimmer preisgegeben
Moskau, des Landes Herz!
Die Schlacht bei dem Dörfchen Borodino am 7. September 1812 war die blutigste Schlacht von Napoleons →Russlandfeldzug. Napoleon wird ein Viertel seiner Truppen verlieren, die Russen ein Drittel. Von den 600.000 Mann, mit denen Napoleon am 24. Juni die Memel überschritt, sind ihm noch 130.000 geblieben. Ein Jahr nach der Schlacht wird Napoleon im Gespräch mit Metternich in Dresden sagen: Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen ... Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und die Polen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter. Metternich vermerkt in seinen Erinnerungen, dass Napoleon statt des sich scheren etwas Derberes gesagt hätte. Wahrscheinlich hat er je me fous gesagt, was manche mit Ich scheiße auf das Leben von Millionen wiedergeben.
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Es sind die deutschen Verbündeten, die den Blutzoll zahlen müssen. Von den 30.000 Bayern, die Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais kommandiert, kommen nur 5.000 zurück. Der bayrische Maler Albrecht Adam, dessen Bilder schon in den Posts Moskau brennt und Beresina 1812 zu sehen sind, schrieb über die Schlacht von Borodino: Der Mittag kam und des furchtbaren Mordens war noch kein Ende. Ein General nach dem andern wurde verwundet zurückgebracht, von vielen war die Todespost eingetroffen, bluttriefend schleppten sich die Soldaten aus dem Kampfe, an vielen Stellen war das Feld mit Leichen bedeckt; was ich an Verwundungen und Verstümmelungen an Menschen und Pferden an diesem Tage gesehen, ist das Gräßlichste, was mir je begegnete und läßt sich nicht beschreiben. Dies Bild hat er in den 1830er Jahren gemalt, es beruht aber auf einer Bleistiftzeichnung, die er am 7. September 1812 anfertigte. Man kann das Bild als →Borodino 1 bezeichnen, denn er hat für den bayrischen Kronprinzen noch ein zweites sechs Quadratmeter großes →Bild der Schlacht gemalt.

Es ist ein langer Weg von der Memel nach Moskau, auf dem Napoleon immer mehr Truppen verliert. Und zehntausend Pferde. Er hat noch nicht begriffen, dass dies ein Todesmarsch ist. Die ersten Gefechte bei
Mogiljow und
Ostrowno brachten keine taktischen Vorteile. Bei
Witebsk glaubt Napoleon, eine Entscheidungsschlacht schlagen zu können, doch der General
Peter von der Pahlen hält ihn einen halben Tag lang auf. Napoleon verschiebt den Angriff auf den nächsten Tag, aber da sind die Russen schon verschwunden. Die Brücke über die Düna hat Pahlen auch angezündet. Napoleon bleibt erst einmal zwei Wochen in Witebsk, seine ausgehungerte Garde plündert sie Stadt. Napoleon überlegt sich, ob es nicht besser wäre umzukehren.
Wenn die Franzosen dann unter großen Verlusten
Smolensk einnehmen, haben die Russen wie in Witebsk die Stadt geräumt und alles vernichtet, was den Franzosen von Nutzen sein könnte.
Dass man das Vordringen des Feindes bis Smolensk zulässt, übersteigt seine Vorstellungskraft, sagt Tolstoi in
Krieg und Frieden über den russischen Zaren. Aber was soll der General
Barclay de Tolly denn machen? Er hat zu wenig Truppen, um sich Napoleon in offener Schlacht zu stellen. Viele der adligen russischen Offiziere halten den Deutschbalten für einen Verräter.
Sie Deutscher, Sie Wurstmacher, Sie Verräter, Sie Lump; Sie verkaufen Russland! Ich weigere mich, weiterhin unter Ihrem Befehl zu stehen, wird der Bruder des Zaren ihn anbrüllen. In der Schlacht bei Borodino kommandiert Barclay noch den größten Teil der russischen Truppen; er verliert im Kampf fünf Pferde unter sich und neun der Adjutanten an seiner Seite werden getötet oder verwundet. Ein Feigling ist er nicht.
In
Krieg und Frieden wird
→Andre Bolkonskij im Gespräch mit
→Pierre Besuchow auf dem Schlachtfeld von Borodino über Barclay sagen:
»Ja, und in Smolensk hat er durchaus korrekt erwogen, daß die Franzosen uns umgehen könnten und größere Streitkräfte besäßen. Aber das konnte er nicht begreifen«, rief Fürst Andrei in plötzlich hervorbrechendem Ingrimm mit hoher Stimme, »das konnte er nicht begreifen, daß wir dort zum erstenmal für die russische Erde kämpften, daß in den Truppen ein solcher Geist steckte, wie ich ihn noch nie kennengelernt hatte, daß wir zwei Tage hintereinander die Franzosen zurückgeschlagen hatten, und daß dieser Erfolg unsere Kräfte verzehnfachte. Er befahl den Rückzug, und alle Anstrengungen und Verluste waren vergeblich gewesen. Verrat lag ihm ganz fern. Er bemühte sich, alles so gut wie nur irgend möglich zu machen; er überdachte alles: aber eben deshalb taugt er nichts. Gerade deshalb taugt er in diesem Zeitpunkt nichts, weil er alles so gründlich und genau überlegt, wie es eben in der Natur eines jeden Deutschen liegt. Wie kann ich es dir nur deutlich machen, was ich meine ... Nun, denke dir, dein Vater hat einen deutschen Diener, und das ist ein vortrefflicher Diener, der alles, was dein Vater braucht, ihm besser leistet, als du es könntest, und den du beruhigt seinen Dienst verrichten läßt; aber wenn dein Vater todkrank ist, dann schickst du trotzdem den Diener weg und wirst mit deinen ungeübten, ungeschickten Händen deinen Vater besser pflegen und sein Wohlbefinden besser befördern als der geschickte Diener, der ihm ein Fremder ist. So stand es auch mit Barclay. Solange Rußland heil und gesund war, konnte ihm der Fremde dienen und war ein vortrefflicher Minister; aber jetzt, wo es in Gefahr ist, bedarf es der Dienste eines Angehörigen, eines Blutsverwandten. In eurem Klub ist man auf den Gedanken gekommen, Barclay wäre ein Verräter! Dadurch, daß man ihn jetzt ungerechterweise als einen Verräter bezeichnet, bewirkt man nur, daß er später, wenn man sich dieses unzutreffenden Vorwurfes schämen wird, aus einem Verräter plötzlich zu einem Helden oder zu einem Genie werden wird; und dies wird noch weniger gerecht sein. Er ist ein ehrlicher Deutscher von peinlicher Genauigkeit.«
Es gibt bei den russischen Generälen keinen
esprit de corps. Sie sind alle untereinander zerstritten, Balten, Deutsche (wie
Bennigsen oder
Wintzingerode) und Russen. Und da ist da noch
Bagration, der einzige, vor dem Napoleon Angst hat. Aber der kommt aus Georgien, den mögen die Russen auch nicht wirklich. Dann lieber den alten Lebemann
Kutusow, der inzwischen so beleibt ist, dass er kaum noch aufs Pferd kommt. Napoleon benutzt übrigens auch die meiste Zeit die Kutsche, aber das wird nie gegen ihn verwendet. Kutusow, der seit fünfzig Jahren in der Armee ist, mag zwar ein Säufer sein, ist aber wenigstens Russe. Der Zar ernennt ihn widerwillig zum Nachfolger von Barclay de Tolly.

Für den Maler Albrecht Adam, der 1836 Napoleon vor dem brennenden Smolensk malte, war Smolensk eine Wende im Krieg:
Bald verließ der Feind auch diese Stellung und entschlüpfte aufs neue. Abermals war für Napoleon die Hoffnung auf einen entscheidenden Schlag, auf einen glänzenden Sieg dahin. Das Zitat findet sich in seiner Autobiographie
→Aus dem Leben eines Schlachtenmalers, die heute noch erhältlich ist.
Caulaincourt, dessen Bruder bei Borodino fallen wird, weiß über das brennende Smolensk in seinen
→Memoiren zu sagen:
The night was cold. I drew near to a fire burning before the
Emperor’s tent, on the side facing the town, and was growing
drowsy as I sat before it, when His Majesty came up with the
Prince of Neuchatel and the Duke of Istria. They gazed at the
flaming town. It lit up the whole horizon, already studded
with the sparkle of our own bivouac fires.
“An eruption of Vesuvius!” shouted the Emperor, clapping
me on the shoulder and waking me from my stupor. “Isn’t
that a fine sight. Monsieur le Grand Ecuyer?”
“Horrible, Sire!”
“Bah!” he said. “Gentlemen, remember the words of a
Roman Emperor: ‘A dead enemy always smells sweet!’ ” Über das brennende Moskau wird Napoleon sagen:
Es war der erhabenste, sublimste und fürchterlichste Anblick, den die Welt je gesehen hatte! Aber da ist er schon geographisch und zeitlich weit weg, da sitzt er schon auf St Helena.

Die Artillerieschlacht bei Borodino, das hundertzwanzig Kilometer vor Moskau liegt, hatte keinen Sieger. Wenn Napoleon von einem Sieg spricht, weil er das Feld behauptete, dann war es ein Pyrrhus Sieg. Wenn er die 20.000 Mann seiner Garde eingesetzt hätte, hätte er vielleicht gewinnen können, aber das wagte er nicht. Er hat schon so viele Soldaten und so viele Generäle verloren, die
Garde impériale ist seine letzte Reserve.
Zu welchem Zweck wurde die Schlacht bei Borodino geliefert? Weder für die Franzosen noch für die Russen hatte sie den geringsten Sinn. Ihr nächstes Resultat war und mußte sein: für uns Russen, daß wir den Untergang Moskaus beschleunigten (den wir doch über alles in der Welt fürchteten), und für die Franzosen, daß sie den Untergang ihrer Armee beschleunigten (den sie gleichfalls über alles in der Welt fürchteten). Daß dies das Resultat sein mußte, war schon damals vollkommen klar, und dennoch bot Napoleon diese Schlacht an, und Kutusow nahm sie an.

Die Sätze stehen in Tolstois Roman
→Krieg und Frieden. Der ehemalige Artillerieleutnant Graf Leo Tolstoi hatte sich das Schlachtfeld gründlich angeschaut, er ritt viele Tage mit der Generalstabskarte in der Hand über die Gräber der russischen Armee. Die Schlacht von Borodino wird mehr als hundert Seiten seines Romans einnehmen, viele Romanpersonen begegnen sich auf dem Schlachtfeld. →
Pierre Besuchow mit seinem weißen Zylinder irrt wie ein Tourist durch das Geschehen, →
Andre Bolkonskij wird schwer verwundet. Er wird an der Verwundung sterben, aber er wird Natascha noch wiedersehen.

In der Mitte des Geschehens ist immer wieder der in sich ruhende General Kutusow: Aus einer langjährigen Kriegserfahrung wußte er und war darüber mit seinem alten Kopf ins klare gekommen, daß es für einen einzelnen Menschen unmöglich ist, Hunderttausende, die auf Leben und Tod kämpfen, zu leiten, und daß der Ausgang der Schlachten nicht durch die Anordnungen des Oberkommandierenden, nicht durch das Terrain, auf dem die Truppen stehen, nicht durch die Zahl der Kanonen und der getöteten Menschen entschieden wird, sondern durch jene eigenartige Kraft, die man den Geist des Heeres nennt; und diese Kraft beobachtete er und leitete sie, soweit das in seiner Macht lag.

Wenn man bei Google
Theodor Fontane und
Borodino eingibt, sagt einem die Künstliche Intelligenz:
Theodor Fontanes 'Borodino' ist ein Gedicht über die Schlacht bei Borodino im Napoleonischen Russlandfeldzug 1812. Fontane beschreibt darin die brutale Schlacht aus der Perspektive eines Soldaten. Es ist Teil seines Gedichtbandes 'Fontanes Gedichte' von 1851. Das Gedicht wird man vergebens suchen, aber inzwischen weiß man ja, dass so ziemlich alles in den
AI Einträgen von Google Unsinn ist.
Borodino ist kein Gedicht, es ist eine Binnenerzählung in dem Roman
Vor dem Sturm. Fontanes erster Roman ist das preußische Gegenstück zu Tolstois 'Krieg und Frieden', sagt heute die Verlagswerbung des
Aufbau Verlages, da ist etwas dran. Ich habe in den letzten Tagen Teile von
Vor dem Sturm und
Krieg und Frieden wieder gelesen, beide historischen Romane haben viele Gemeinsamkeiten. Sie können das
→11. Kapitel von
Vor dem Sturm hier lesen. Da liest der Rittmeister von Meerheimb, der den Arm wegen einer Kriegsverletzung noch in der Schlinge trägt, aus seinem Kriegstagebuch vor. Der Rittmeister war in der sächsischen Brigade des Generals
Johann Adolf von Thielmann, die Napoleon unterstellt war. Wenige Jahre später werden wir Thielmann auf der anderen Seite wiederfinden. Da hält er in Wavre den Marschall Grouchy auf, was für die Schlacht von
Waterloo von großer Bedeutung ist. Die Erzählung endet mit den Sätzen:
Das Zentrum war durchbrochen, die Rajewskischanze in unseren Händen. Als, um uns abzulösen, die Division Morand heranrückte und General Thielmann den Befehl zum Sammeln der Brigade gab, war kein Trompeter mehr da, um zu blasen. Ein Schwerverwundeter endlich ließ sich aufs Pferd heben und blies die Signale. So gingen wir auf die andere Seite des Grundes zurück.
Es war erst drei Uhr, aber die Kraft beider Heere war wie ausgebrannt. Wir hatten ein Drittel, die Russen die Hälfte ihres Bestandes an diesen Tag gesetzt. Kutusow, in einem Kriegsrat, der abgehalten wurde, beschloß, bis hinter Moskau zurückzugehen. Er wußte, daß man's ihm nicht zum Guten anrechnen werde, und sagte: »Je payerai les pots cassés, mais je me sacrifie pour le bien de ma patrie.«
Am andern Morgen trat er den Rückzug an; Napoleon folgte den Tag darauf. Auch wir. Wir waren nur noch ein Trümmerhaufen; was wir gewesen, das lag bei Semenowskoi und in der Rajewskischanze; aber in unsere Standarten durften wir den Namen schreiben: Borodino!

Das Bild von
Nikolay Samokish mit dem Titel
Der Mut des Generals Rajewski in der Schlacht ist hundert Jahre nach Borodino gemalt worden. Ich weiß nicht, ob es wirklich so ausgesehen hat, es ist kein Schmutz und kein Blut auf dem Bild zu sehen. Der Krieg sieht nur auf Bildern schön aus. Am ehrlichsten vielleicht in der naiven Malerei wie diesem
→Votivbild, das uns sagt:
Der Huber Hans auch in Russland geblieben.
Ich habe zu Borodino für Sie auch noch bewegte Bilder. Einen englischen ✺
Dokumentarfilm und
Sergei Bondartschuks Krieg und Frieden Verfilmung in drei Teilen (✺
Teil 1, ✺
Teil2, ✺
Teil 3). Und noch etwas, das ✺
The Battle of Borodino heißt, das sind Filmszenen aus Bondartschuks Film, unterlegt mit Tschaikowskis
Ouverture solennelle 1812.
Noch mehr zu Napoleons Russlandfeldzug in den Posts
Kutusow,
Krieg und Frieden,
Moskau brennt,
Beresina 1812,
der Robespierre von Hamburg,
Bennigsen,
russischer Adel,
Sibirien,
Schlacht ohne Befehlshaber, ,
Joachim Murat,
Beresina,
С днем рождения,
Vor dem Sturm,
Kanonengedröhn,
Sir Archibald Alison,
der heilige Doktor,
the rockets' red glare: Leipzig 1813
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