Montag, 19. Dezember 2011
J.M.W. Turner
Er ist vor hundertsechzig Jahren gestorben, da muss in diesem Blog, in dem schon häufig englische Kunst präsentiert wurde, natürlich an William Turner erinnert werden. Das hier war das erste Bild, das er 1796 in der Royal Academy ausstellte. Sieht ein wenig nach dem dramatischen Himmel von Loutherbourg aus (dessen Coalbrookdale bei Nacht ➱hier schon einmal zu sehen war), ein wenig auch nach Willem van de Velde d.J. (der einen großen Einfluss auf Turners Meeresbilder hatte). Die Royal Academy wird ihn drei Jahre später als ordentliches Mitglied aufnehmen, sie ist für Turner, der von Beginn an von der Akademie gefördert wurde, immer eine Art Heimat gewesen.
Boote, Schiffe und das Meer, das ganze Inventar der holländischen Marinemalerei findet sich immer wieder bei Turner. So auch in dieser Studie der Themse bei Millbank, die er ein Jahr nach den Fishermen at Sea in der Royal Academy ausstellt. Nicht mehr dieser dramatische Himmel, der wie eine Theaterdekoration für den Auftritt der Königin der Nacht aussieht. Nein, das ist ein Himmel, der schon ein klein wenig nach dem Impressionismus aussieht.
Und ein Jahrzehnt weiter, da ist er der Malerei schon beinahe ein Jahrhundert voraus, wenn er die Fischerboote vor ➱Blythe Sand bei Sheerness malt. Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass ➱Bonington, Girtin oder John Sell Cotman auch längst das Licht des Himmels entdeckt haben. Nicht dass Turner sie imitierte, er ist einer von ihnen, seine erste Aquarelle hat er in der Royal Academy schon lange vor den Fishermen at Sea ausgestellt. Turner beginnt als Zeichner und kommt dann zum Aquarell, das ist die Basis seiner Malerei.
Er hat auch den Mut, die Bilder so zu lassen, wie sie in einer Aquarellskizze erscheinen. Er malt sie nicht feinpinselig pedantisch zu Ende. So wie bei dem kleinformatigen Bild von Walton Reach im Jahre 1807. Sie merken schon, dass ich mir den Turner vor seiner Italienreise herausgepickt habe, wenn er so richtig farbenprächtig und großartig wird. Da wird er mir denn auch schon ein wenig unheimlich.
Ist er mir sowieso mit seinem riesigen Werk, zwei Turner Ausstellungen mit ihren Katalogen und ein halbes Dutzend Bücher haben mich nicht schlauer gemacht. Die Lektüre von dem, was Ruskin über ihn gesagt hat erst recht nicht. Kann ich auch nicht empfehlen. Aber einige Empfehlungen möchte ich doch abgeben. Der beste Band, der großformatig Leben und Werk (plus Katalog der Gemälde) vorstellt, ist J.M.W. Turner: His Art and Life von Andrew Wilton, 527 Seiten stark. Es gibt von dem Autor, der der unumstrittene englische Turner Spezialist ist, auf Deutsch etwas Ähnliches, das William Turner: Leben und Werk heißt. Hat aber nur die Hälfte des Umfangs, ich nehme mal an, dass man den umfangreichen Katalog der Bilder und Zeichnungen hierbei weggelassen hat.
Gute Turner Biographien sind ein Problem. Für A.J. Finberg war Turner 1939 nichts als ein gewöhnlicher Mensch, ein eingefleischter Plebejer, das würde wohl heute kein Biograph mehr schreiben. Seine ➱Biographie (hier im Volltext) ist eher eine Lebenschronik, die sich gegen die fehlerhafte Biographie von ➱Thornbury (auch im Volltext im Net zu lesen) wendet - ein Buch, das großen Schaden für das Bild Turners angerichtet hat. Aber das macht natürlich Finberg auch. Noch Anfang der sechziger Jahre konnte Sir John Rothenstein, der Direktor der Tate Gallery, sagen: Astonishing as it is there is to this day not even a biography of him that is both reliable and organized as a readable Life.
Aber das ändert wenig später Jack Lindsays Buch Turner: His Life and Work. A Critical Biography, das sicher eins der originellsten Werke zu Turner ist - controversial war damals ein vielgebrauchtes Wort der Rezensenten. Aber es wird seinem Titel gerecht, es war die erste kritische Biographie, mehr als ein Jahrhundert nach Turners Tod. Vielleicht ist sie manchmal in ihrem psychologischen Ansatz ein wenig zu simplizistisch (das sagt auf jeden Fall Anthony Bailey), aber das Buch bleibt in der Geschichte der Turner Biographien ein Meilenstein. Die offensichtlich seit Finberg im dreißig Jahre Rhythmus erscheinen: Finberg 1939 (2. Auflage 1961), Lindsay 1966 und die nächste 1997. Das ist die von Anthony Bailey, Standing in the Sun: A Life of J.M.M. Turner. Es ist eine elegant geschriebene Biographie von Turner, doch der Titel ist A Life, nicht His Life and Work wie bei Lindsay. Das Werk überlässt Bailey den Kunsthistorikern.
Wenn Sie nun kein Kunsthistoriker sind, aber einen Zugang zu William Turner suchen, hätte ich auch einen Tipp: Besorgen Sie sich antiquarisch das kleine Buch William Turner. Die Entdeckung des Wetters von Heinz Ohff. Heinz Ohff ist immer gut, ob er nun über Schinkel, den Fürsten Pückler oder Fontane schreibt. Und dieser 150-seitige Essay ist eine schöne Einführung in Turners Werk. Wenn Sie sich dann noch für €24,90 Andrew Wiltons Wiliam Turner: Leben und Werk (2010) kaufen, werden Sie schnell zum Fachmann. Und wenn Sie dann noch den hervorragenden Katalog, den das Folkwang Museum Essen vor zehn Jahren zu Turners 150. Geburtstag auf den Markt brachte (J. M. William Turner. Licht und Farbe. DuMont 2001), antiquarisch finden, dann sind Sie wirklich fein heraus.
Sonntag, 18. Dezember 2011
Donder and Blitzen
Ich kannte Denis Scheck schon lange, bevor dieser putzige kleine Kerl im Fernsehen berühmt wurde. Immer korrekt im Anzug, in dem Punkt ist er so ähnlich wie Götz Alsmann. Ich kannte Denis Scheck, weil ich das Buch King Kong, Spock & Drella besaß und es allen Studenten zum Kauf empfahl. Das Buch hatte den Untertitel Ein amerikanisches TriviaLexikon und war in den Tagen vor Computer&Google das beste Nachschlagewerk für die amerikanische Alltagskultur. Konzipiert war es vom Autor (der selbst Bücher übersetzte) als Hilfe für Übersetzer. Harry Rowohlt hat mal in einem Interview gesagt - ich glaube, er übersetzte damals Padgett Powells Edisto - dass er einen großen Teil seines Honorars für Telephongespräche mit native speakers ausgebe. Heute haben Übersetzer natürlich einen Computer und benutzen Google, aber 1993 hatten sie immerhin King Kong, Spock und Drella. Ist inzwischen leider vergriffen. Die wenigen Restexemplare bei Amazon Marketplace werden in den nächsten Tagen auch weg sein, dafür werden meine Leser schon sorgen.
Wir erfahren in diesem Lexikon wichtige Dinge. Wie zum Beispiel die Sache mit Rudolph, dem rotnasigen Rentier. Das gibt es nämlich erst, seit Gene Autry es 1949 mit dem Song ➱Rudolph the Red-nosed Reindeer richtig berühmt gemacht hat. Die anderen Rentiere, die den Schlitten von Santa Claus ziehen, die gab es schon mehr als ein Jahrhundert länger. 1823 tauchen sie in dem Gedicht A Visit from St Nicholas auf (das auch den Titel ➱The Night before Christmas hat):
When, what to my wondering eyes should appear,
But a miniature sleigh, and eight tiny reindeer,
With a little old driver, so lively and quick,
I knew in a moment it must be St. Nick.
More rapid than eagles his coursers they came,
And he whistled, and shouted, and called them by name;
“Now, Dasher! now, Dancer! now, Prancer and Vixen!
On, Comet! on, Cupid! on, Donder and Blitzen!
To the top of the porch! to the top of the wall!
Now dash away! dash away! dash away all!”
As dry leaves that before the wild hurricane fly,
When they meet with an obstacle, mount to the sky;
So up to the house-top the coursers they flew,
With the sleigh full of Toys, and St. Nicholas too.
Ich habe die Namen der Rentiere fett gedruckt, falls Sie mal danach gefragt werden. Man kann ja nie wissen, wofür es gut ist. Und wenn Sie King Kong, Spock & Drella von A (der Buchstabe für Adulteress in Hawthornes Scarlet Letter) bis Z.P.G (Zero Population Growth) gelesen haben, spielt niemand mehr mit Ihnen Trivial Pursuit.
Ich wünsche all meinen Lesern einen schönen vierten Advent. Wenn Sie wollen, können Sie sich ➱hier einen Adventskranz als Bildschirmschoner herunterladen. Muss aber nicht sein.
Samstag, 17. Dezember 2011
Schlangen
Der kleine Carlo hatte seine Spielzeugschlange im Bus liegenlassen. Als seine Oma bei der Fundstelle der Busgesellschaft anrief, um sich zu erkundigen, ob man vielleicht eine Schlange in einem Bus der Linie 32 gefunden hätte, sagte eine Stimme: Eine richtige Schlange? Offenbar war es nicht unüblich, dass Leute Schlangen im Bus liegenlassen. Man liest ja auch immer von ausgebüchsten Schlangen, die die Besatzungen von Streifenwagen beschäftigen.
Ich persönlich habe ja gar kein Verhältnis zu Schlangen. Die fünfzig Pfennig, die ich vor mehr als einem halben Jahrhundert bezahlen musste, um in der Turnhalle der Schule einen Mann zu sehen, der eine Stunde lang Schlangen zeigte, die tun mir immer noch leid. Aber Schlangen sind natürlich wichtig, Alles Unheil der Welt fängt damit an, mit dieser Schlange, die Eva im Paradies einen Floh ins Ohr setzt. Der heilige ➱Patrick hat angeblich die Schlangen aus Irland vertrieben, doch das ist nur eine Legende. Da war überhaupt nichts zu vertreiben, weil es da keine Schlangen gab. Eidechsen vielleicht, aber definitiv keine Schlangen.
Das schöne Wort Natter, das schon das Althochdeutsche kennt und das in Luthers Bibel noch vorkommt, ist auch so gut wie ausgestorben. Das Rechtschreibprogramm dieses Computers kennt sie auch nicht mehr. Die Engländer haben keine Natter, da heißt sie adder. Ursprünglich hieß sie da aber auch adder. Ist nur durch die falsche Schreibung eines Mönchs entstanden, der statt a nadder die falsche Trennung an adder niederschrieb. Wahrscheinlich wäre es interessant, mal ein Buch über Schlangen in der englischen Literatur zu schreiben. Ein Buch über das ➱Schwein in der Weltliteratur gibt es ja schon. Ich kannte den Autor. Er hat mich jahrelang damit genervt, damit ich ihm alles über Schweine in der englischen Literatur zusammensuchte. Damals gab es noch kein Google, da war man noch auf sein Gedächtnis und seine Findigkeit angewiesen. Das erste, was ich dem Autor präsentierte, war P. G. Wodehouse, denn was wären die Blandings Castle Romane ohne Schweine?
Und mit P.G. Wodehouse bin ich auch schon beim Thema. Er liebte Schlangen. Also nicht nur diese newts, die überall vorkommen, wie in Right Ho, Jeeves. Was übrigens einen amerikanischen Wodehouse Fanclub bewogen hat, sich das Acronym ➱NEWTS zuzulegen. Nein, Wodehouse mochte Schlangen. Und er schrieb sie natürlich in sein Werk, lesen Sie doch mal eben das Kapitel VIII von ➱The Indiscretions of Archie. In Barry Phelps' Buch Wodehouse: Man and Myth habe ich die schöne Anekdote gelesen, wo Beverley Nichols und andere Freunde mit Wodehouse in den Londoner Zoo gehen: Nichols and Wodehouse were once in a party that went to the London Zoo where, Nichols tells us, Plum had a passionate desire to see the snakes, which was frustrated by the rest of the group. Whenever Plum asked after the snakes his friends drew his attention to the charms of other fauna, such as the antelopes. Wodehouse would dutifully look at the antelopes and admire them but...
Alles schön und gut, aber es sind eben keine Schlangen. Die kommen, neben den newts und all dem anderen Getier, natürlich auch in der Textsammlung A Wodehouse Bestiary vor, doch das kann noch nicht das letzte Wort zu dem Thema sein. Die Textsammlung The Serpent's Tale: Snakes in Folklore and Literature von Gregory McNamee auch nicht, aber es ist schon einmal ein Anfang.
Der schönste Roman in dem Schlangen vorkommen, ist meiner Meinung nach ➱Erwin Einzingers Blaue Bilder über die Liebe. 1992 im Residenz Verlag erschienen, leider völlig vergriffen. Der Roman hat seinen Titel nach einer Bilderreihe von Jiri Georg Dokoupil. So ein Bild kostet heute im Kunsthandel schon 200.000 Euro. Da sind die Schlangen schon billiger, die der Held in fremden Hotelzimmern oder in BMWs aussetzt. Ein BMW ist auch ein guter Platz für eine Giftschlange.
Ja, das sind schon faszinierende Biester. Die Schlange, die der kleine Carlo in der Linie 32 verloren hatte, ist nicht wiedergefunden worden, seine Oma hat ihm eine andere gekauft. Die Firma Schleich hat alle möglichen Tiere im Programm, aber die Schlange stellen sie nicht mehr her, bei Ebay kann man allerdings noch fündig werden. Dafür braucht man auch kein ➱CITES Zertifikat.
Ich bin jetzt natürlich in Versuchung, über den Shelby ➱Cobra Sportwagen zu schreiben. Aber ich mache erstmal Schluss. Aber ich habe noch ein kleines Schlangengedicht von Emily Dickinson:
A narrow fellow in the grass
Occasionally rides;
You may have met him, - did you not?
His notice sudden is.
The grass divides as with a comb,
A spotted shaft is seen;
And then it closes at your feet
And opens further on.
He likes a boggy acre,
A floor too cool for corn.
Yet when a child, and barefoot,
I more than once, at morn,
Have passed, I thought, a whip-lash
Unbraiding in the sun, -
When, stooping to secure it,
It wrinkled, and was gone.
Several of nature's people
I know, and they know me;
I feel for them a transport
Of cordiality;
But never met this fellow,
Attended or alone,
Without a tighter breathing,
And zero at the bone.
Freitag, 16. Dezember 2011
Jane Austen
Pride and Prejudice handelt vom Heiraten. Die Unterhaltung zwischen Mrs und Mr Bennet auf der ersten Seite des Romans handelt vom neuen Nachbarn:
"Why, my dear, you must know, Mrs. Long says that Netherfield is taken by a young man of large fortune from the north of England; that he came down on Monday in a chaise and four to see the place, and was so much delighted with it, that he agreed with Mr. Morris immediately; that he is to take possession before Michaelmas, and some of his servants are to be in the house by the end of next week."
"What is his name?"
"Bingley."
"Is he married or single?"
"Oh! Single, my dear, to be sure! A single man of large fortune; four or five thousand a year. What a fine thing for our girls!"
"How so? How can it affect them?"
"My dear Mr. Bennet," replied his wife, "how can you be so tiresome! You must know that I am thinking of his marrying one of them."
"Is that his design in settling here?"
"Design! Nonsense, how can you talk so! But it is very likely that he may fall in love with one of them, and therefore you must visit him as soon as he comes.
Die Jagdsaison ist eröffnet, reiche Junggesellen sind jetzt Freiwild in dem Roman der Autorin Jane Austen. Die übrigens nie geheiratet hat, sie verheiratet immer nur ihre Heldinnen. Heiraten ist wichtig in dieser Gesellschaft, die uns Jane Austen beschreibt. Mit einer Ehe sichert man sich einen sozialen Status im England der Regency Zeit, Liebe und das persönliche Glück werden da zur Nebensache. Denn Happiness in marriage is entirely a matter of chance, wie eine Romanfigur in Pride and Prejudice sagt. Von großen Leidenschaften wie in Brontës Wuthering Heights ist hier nicht die Rede.
Die Welt, die uns Jane Austen beschreibt, ist die Welt der landed gentry der Regency Zeit. Die Großstadt London spielt bei ihr keine Rolle. Arme Leute wie bei Charles Dickens auch nicht. Erstaunlicherweise hat auch die Aristokratie, die in allen Trivialromanen des 19. Jahrhundert von solch großer Bedeutung ist, bei ihr wenig Platz. Dies ist die Welt der upper middle class, die Welt der home counties. Manchmal kommen Marineoffiziere in den Romanen vor, die eigentlich immer positive Figuren sind. Zwei von Jane Austens Brüdern waren Marineoffiziere, sie bringen es beide bis zum Admiral. Francis William Austen wird sogar Admiral of the Fleet.
Und was tut man in dieser Welt zu Weihnachten? Man feiert natürlich. Allerdings sind das noch keine Feiern, bei denen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Weihnachten ist noch kein sentimentales Kinderfest, Dickens' Christmas Carol ist noch nicht geschrieben. Das sind jetzt Feste für Erwachsene, bei denen junge Frauen hoffen, die geliebten Männer wieder zu treffen. Wenn die snobistische Caroline Bingley schreibt: I sincerely hope your Christmas in Hertfordshire may abound in the gaieties which that season generally brings, and that your beaux will be so numerous as to prevent your feeling the loss of the three of whom we shall deprive you, dann meint sie das natürlich überhaupt nicht. Weil sie bösartig ist und es ganz und gar nicht will, dass Jane Bennet ihren Bruder bekommt. Das ist natürlich nicht der richtige Christmas spirit.
Wir wissen über das englische Weihnachtsfest in der Zeit von Jane Austen eine ganze Menge dank des Buches Jane Austen's Christmas von der Gräfin ➱Maria Hubert von Staufer. Und in einem netten Blog finden wir alle ➱Weihnachtsszenen aus Jane Austens Romanen und deren Verfilmungen. Ich werde gern zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal über Jane Austen schreiben, jetzt muss ich erst einmal Weihnachtspäckchen zur Post bringen. Aber zwei Literaturtipps habe ich doch noch. Der eine ist der hervorragende Blog ➱Jane Austen's World, etwas Besseres gibt es in der Blogosphere nicht. Der andere Tipp ist ein ewiger Klassiker, das Buch A Portrait of Jane Austen von Lord David Cecil. Über das John Bayley sagte: I would unhesitantly pronounce the book to be the best portrait of herself and her work that exists.
Donnerstag, 15. Dezember 2011
Post
Die Post bringt keinen Brief für dich. Was drängst du denn so wunderlich, Mein Herz? heißt es in Schuberts Winterreise. Ich kenne das, wenn man keine Post bekommt. Seit einigen Monaten. Weil die Zustellbezirke neu geschnitten sind, wie man mir nach den ersten Beschwerden mitteilte. Ich hatte mal 15 Jahre lang den selben Briefträger. Das war der Herr Biermann, und Herr Biermann war ein Muster an Zuverlässigkeit. Das waren deutsche Briefträger eigentlich immer. Gut, man las mal von betrunkenen Zustellern, die ihre Briefe irgendwo versteckten aber nicht zustellten. Aber das waren Ausnahmen, der deutsche Briefträger war an Zuverlässigkeit und Redlichkeit, Deutschlands Äquivalent zu Englands Bobby. Jemanden wie Walter Spahrbier kannte ganz Deutschland.
Aber jetzt ist alles anders. Weil es ja immer mal alles neu sein muss. Kann sich noch jemand an die so genannte Neue Mathematik erinnern? Mengenlehre? Hinterher konnte kein Kind mehr rechnen. Musste ja unbedingt im Unterricht eingeführt werden. Es soll ja auch mal Lateinlehrer gegeben haben, die versucht haben, die Generative Transformationsgrammatik im Lateinunterricht einzuführen. Und unter der so genannten Rechtschreibreform leide ich noch immer.
Meine Postzustellerinnen in den letzten Jahren kamen immer zur gleichen Zeit und hatten immer gute Laune. Sie bekamen zu Weihnachten eine Flasche Wein und einen größeren Geldschein. Was wohl offiziell eine Vorteilsnahme im Amt ist, aber da sie keine Bundespräsidenten sind, juckte das niemanden. Seit es hier die Zustellreform gibt, kenne ich keinen der Zusteller mehr, es sind jeden Tag andere. Kommen auch aus allen Nationen, Briefträger sind jetzt multi-kulti. Sie kommen auch an jedem Tag zu einer anderen Zeit, irgendwann zwischen 9.30 und 18 Uhr. Natürlich außer montags, da kommt keiner mehr. Die erste Woche kam auch keiner mehr, aber am Sonnabend brachte mir ein wildfremder Mann die Post der ganzen Woche. Ich bekomme neuerdings auch die Post der Nachbarn oder von Leuten, die hier gar nicht wohnen. Eine überforderte Zustellerin am Rande des Nervenzusammenbruchs schmiss die ganze Post auf die Stufen des Treppenhauses. Eine Zeitschrift, die ich im Abonnement habe, bekam ich wochenlang nicht mehr. Die Post nehme die Sache aber sehr ernst, wie sie mir auf meine Beschwerde schrieb. Weshalb sie die Zeitschriften wochenlang mit dem Hinweis Adressat unbekannt verzogen an den Absender zurückgeschickt hatten, erklärten sie aber nicht.
Als ich drei Tage hintereinander zur Hauptpost musste (kilometermeterweit entfernt), um Büchersendungen abzuholen, die angeblich nicht durch den Briefschlitz passten (passten natürlich leicht und locker), wollte ich mich beschweren. Damit haben wir nichts zu tun, wir sind Beamte, sagte mir ein Herr in Blau mit FDP-gelbem Schlips. Den Satz fand ich toll. Er zauberte aber mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit - Billie the Kid hätte seinen Colt nicht schneller gezogen - ein Kärtchen aus der Tasche. Da könne ich anrufen. Man landet natürlich bei einem Callcenter, wahrscheinlich irgendwo in Rumänien. Was ist bloß aus der guten alten face to face communication geworden?
Diese Callcenter, in denen natürlich keine Callgirls arbeiten, sind die moderne Version der Flakgeschütze. Als erstes kommt dieses grauenhafte Musik vom Band, als nächstes kommt eine blecherne Computerstimme, die sagt, dass man die Vier drücken soll... - ich brauche das nicht zu beschreiben. Sie kennen das. Viele geben jetzt schon auf, dann hat die Callcenter Flak gewonnen. Wenn man in angeblich feinen Geschäften nicht bedient wird, kann man immer noch einen teuren Gegenstand aus dem Regal nehmen und laut fragen, ob das zerbrechlich ist. Es ist erstaunlich, wie schnell man dann die Aufmerksamkeit des schnöseligen Personals bekommt. Früher gab es in einem Postamt einen Betriebsleiter, intern BL abgekürzt (was inoffiziell bei der Post Blöder Lümmel hieß), bei dem konnte man sich beschweren. Heute gibt es ja kaum noch Postämter. Aber dafür diese Beamten, die damit nichts zu tun haben und einem die Telephonnummern der Callcenter in die Hand drücken.
Ich würde ja zu gerne diesen Strategen, der sich das neue Briefverteilungssystem ausgedacht hat, wirklich einmal sehen. So in Griffnähe. Aber was soll das Klagen? Die Unfähigkeit der Post ist seit langem bekannt, schon vor Jahren hat die Bundesnetzagentur der Post Bußgelder angedroht. Wenn der Postmann gar nicht klingelt hieß ein Artikel der Süddeutschen im Jahre 2005. Es hat sich nichts geändert, es wird sich nichts ändern. Früher haben wir uns über die unfähige italienische Post totgelacht. Es fragt sich nur, wer heute der Italiener ist. Vielleicht sollte die Post AG ihre Geschäfte wieder der Familie Thurn&Taxis übergeben.
Beschweren Sie sich nur häufig, damit die da oben mal wissen, was hier los ist, vertraute mir ein Zusteller vor Wochen an. Vielleicht haben Beschwerden ja Erfolg. Ich hatte einmal Erfolg damit, es ist aber schon Jahrzehnte her. Ich hatte mich förmlich und formell über die Deutsche Bundespost beschwert, weil sie Adressen, die sie von den Kreiswehrersatzämtern bekommen hatte, an die Werbung verkauft hatte. Nach meiner Rechtsauffassung durfte das nicht sein. Ich bekam zwei Briefe, die mir bestätigten, dass die Beschwerde eingegangen sei. Dann hörte ich nie mehr etwas davon. Ich hatte das Ganze längst vergessen, als mich ein Jahrzehnt später ein Schulfreund anrief, der jetzt Bundestagsabgeordneter war. Er erzählte mir, dass der Postausschuss des Bundestages mir Recht gegeben hätte. Cool.
Eins weiß ich allerdings: dieses Pack von irregulären Zustellern kriegt nix zu Weihnachten. Alles, was ich hier gesagt habe, gilt natürlich nicht für mein reizendes Postamt um die Ecke, das durch ein Wunder erhalten geblieben ist. Die sind alle riesig nett, und zeigen so, dass es durchaus anders gehen könnte. Letztes Jahr habe ich ihnen einen 6er Karton Wein hingeschleppt, weil sie mir mal einen großen Gefallen getan hatten. Und damit dieser Post-Post doch noch einen kulturellen touch bekommt, gibt es zum Schluss ein schönes Gedicht von Rabindranath Tagore, das The Wicked Postman heißt.
Why do you sit there on the floor so quiet and silent, tell me,
mother dear?
The rain is coming in through the open window, making you all
wet, and you don't mind it.
Do you hear the gong striking four? It is time for my brother
to come home from school.
What has happened to you that you look so strange?
Haven't you got a letter from father today?
I saw the postman bringing letters in his bag for almost
everybody in the town.
Only father's letters he keeps to read himself. I am sure the
postman is a wicked man.
But don't be unhappy about that, mother dear.
Tomorrow is market day in the next village. You ask your maid
to buy some pens and papers.
I myself will write all father's letters; you will not find
a single mistake.
I shall write from A right up to K.
But, mother, why do you smile?
You don't believe that I can write as nicely as father does!
But I shall rule my paper carefully, and write all the letters
beautifully big.
When I finish my writing do you think I shall be so foolish
as father and drop it into the horrid postman's bag?
I shall bring it to you myself without waiting, and letter by
letter help you to read my writing.
I know the postman does not like to give you the really nice
letters.
Mittwoch, 14. Dezember 2011
Prince Consort
Heute vor 150 Jahren starb Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der Prinzgemahl der Königin Victoria. Sein Tod stürzte die Königin in tiefe Trauer, die schon leicht pathologische Formen annahm. Und damit meine ich nicht, dass sie beinahe bis zum Ende ihres Lebens schwarz getragen hat. Alberts Schlafzimmer blieb bis zu ihrem Lebensende unverändert. Die Bettwäsche wurde regelmäßig gewechselt, und es wurden an jedem Morgen frische Handtücher und warmes Wasser in das Zimmer gebracht. Bevor uns das nun als etwas sehr Spleeniges von Victoria erscheint, sollte man sagen, dass ein solches Benehmen in der englischen Oberklasse nicht unüblich war.
In der working class, wo man nicht so viele Zimmer im Haus hat, ist es eher unüblich. Aber auch auf die wirkt sich Victorias Trauer aus. Der Kult der schwarzen Trauerkleidung mit tausenderlei Regeln (lesen Sie doch einmal hier die Benimmregeln aus Harper's Bazar aus dem Jahre 1886), macht nur die Familie Courtauld reich, die sich mit dem Verkauf von schwarzem Krepp dumm und dösig verdienen. Arme Arbeiterfamilien macht der viktorianische Totenkult nur noch ärmer. Am Ende des Jahrhunderts wird es sogar eine Parlamentskommission geben, die die Auswüchse dieses Trauerkults zu bekämpfen sucht.
Albert von Sachsen-Coburg (und Gotha) hat lange gebraucht, bis er offiziell den Titel eines Prince Consort erhielt. Eigentlich brauchte er keinen Titel, er war Englands heimlicher König. ...it is obvious that while she has the title he is really discharging the functions of the Sovereign. He is King to all intents and purposes, schrieb Charles Greville. Albert hat der Monarchie zu einer erstaunlichen Machtstellung verholfen; er war ein geschickter Politiker, der im Hintergrund die Fäden zu ziehen verstand. Denn seien wir ehrlich, mit dem Ansehen des Königshauses stand es nicht zum Besten: unter George IV war das Königshaus zu einer Lachnummer geworden. Unter dem Seemann, der für einige Jahre als William IV auf dem Thron war, war die Monarchie auch nicht zu neuem Glanz gekommen. Und Victoria war in ihren ersten Regierungsjahren wirklich nicht beliebt in England. Die bedchamber crisis hatte ihre schlechtesten Charaktereigenschaften gezeigt.
Aber nun kommt Albert. Und alles wird anders. Die Ehe bringt Stabilität in das Leben der jungen Königin, die niemand jemals auf den Job als Königin vorbereitet hatte (außer vielleicht dem Viscount Melbourne). Und sie wird neunmal Mutter. Gott, wie sie die Schwangerschaften hasste! Aber daran gemessen, was bei Adeligen sonst so los ist, ist es eine glückliche Ehe. Die Thronfolge ist gesichert. Und wir bekommen auch noch etwas davon ab, da die Tochter Vicky die Mutter von unserem Willem II wird. Albert bringt viel Neues nach England. Zum Beispiel - darauf muss in diesen Tagen hingewiesen werden - den Tannenbaum.
Und er bringt zusammen mit Henry Cole die Weltausstellung ins Laufen, der Crystal Palace wird gebaut. Und am Ende wird daraus das Victoria & Albert Museum. Das ja jetzt von einem Deutschen geleitet wird. Wie tausende von Lesern, die den Post Homestory gelesen haben, natürlich wissen. Ein Deutscher gründet das Museum - und heute hat es einen deutschen Direktor. Eine Schlagzeile, die kaum eine englische Zeitung ausließ, als Martin Roth da Direktor wurde. Und ich weise gerne auch noch einmal auf die V&A Ausstellung in Bonn hin. Und ich kann es bei dieser Gelegenheit natürlich nicht lassen, dies schöne Bild von Henry Courtney Selous (weiter oben) von der Eröffnung der Weltausstellung zu zeigen. Weil ich dann doch noch den kleinen Gag mit dem Chinesen anbringen kann. Der da vorne, bei der rechten Figurengruppe. War gar kein chinesischer Würdenträger oder Diplomat, war Hafenarbeiter oder Dschunkenkapitän. Hatte sich da einfach reingeschummelt. Ja, das Erhabene und das Lächerliche liegen nicht weit auseinander, da hatte Napoleon schon recht.
Die Engländer tun sich schwer mit Albert. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wie anderthalb Jahrhunderte später. Sie respektieren ihn zwar, aber sie mögen ihn nicht. My praise will be impartial : for he did not fascinate, or command, or attract me through any medium but that of judgment and conscience. There was, I think, a want of freedom, nature, and movement in his demeanour, due partly to a faculty and habit of reflection that never intermitted, partly to an inexorable watchfulness over all he did and said, which produced something that was related to stillness and chillness in a manner which was notwithstanding, invariably modest, frank, and kind, even to one who had no claims upon him for the particular exhibition of such qualities, sagt William Gladstone. Der ehemalige Premierminister hat sich das gut überlegt, bevor er das schrieb, es wird schon stimmen, es gibt eine Vielzahl von ähnlichen Aussagen.
Albert ist ein aufgeklärter Prinzgemahl gewesen, er war ein gebildeter Mann. Das findet man in England seit James I im königlichen Palast nicht so häufig. Er setzt sich sogar für moderate soziale Reformen ein, Almosensozialismus hat man das später ironisch genannt. Sicherlich hat es etwas Dilettantisches an sich, wenn er Modellhäuser für Arbeiterwohnung entwirft - aber der gute Wille ist ihm nicht abzusprechen. Hier hat er sich zusammen mit der jungen Königin für ein Kostümfest verkleidet.
Die Mittelalterbegeisterung, die die Engländer im 19. Jahrhundert wie eine Seuche erfasst (man lese dazu nur Mark Girouards The Return to Camelot), hat auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen. Auch die neue Begeisterung für Schottland: Balmoral wird zum Sommersitz der königlichen Familie, und der Designer Albert entwirft neue Tartans für Tapeten und Teppiche. Albert ist ein Förderer der Künste, und er wird dafür sorgen, dass die königlichen Kunstsammlungen endlich einmal geordnet und gepflegt werden. Das ist eine große Leistung, die aber nur von einer kleinen gebildeten Elite ästimiert wird. Engländer interessieren sich nicht so für Kunst, das Schlagwort der Epoche heißt eher Muscular Christianity.
Nach seinem Tod wird ihm Victoria ein prächtiges Mausoleum in Frogmore bauen lassen (in dem auch sie beerdigt werden wird). Es wird ein Albert Memorial geben. Es gibt heute noch einen Prince Albert Tabak für Pfeifenraucher, und natürlich heißt die Albert Hall nach ihm. Ein Kollege von mir hat mir einmal erzählt, dass er sich in London über den niedrigen Fahrpreis des Taxis zur Albert Hall gewundert hat. Der Taxifahrer hat ihm gesagt, dass sei nur so, weil er Älbert Hall gesagt hätte. Hätte er Orlbert Hall gesagt, wäre es der doppelte Fahrpreis gewesen. Soviel zur angewandten Soziolinguistik.
Er ist seinen Kindern ein guter Vater gewesen. Die größten Probleme hat er mit seinem ältesten Sohn Bertie gehabt. Den wollte er zu seinem Ebenbild erziehen, einem gebildeten, künstlerisch interessierten Thronfolger. Wir alle wissen, dass daraus nichts geworden ist. Über Albert den Prinzgemahl, dessen Leistungen immer etwas unterbewertet worden sind - es gab einfach in der Zeit zu viele Great Victorians - schrieb kein Geringerer als Benjamin Disraeli nach seinem Tod: With Prince Albert we have buried our sovereign. This German prince has governed England for 21 years with a wisdom and energy such as none of our kings has ever shown.
Das Beste, was wir an Biographien in deutscher Sprache über Albert haben ist wahrscheinlich Ein deutscher Prinz in England von Hans-Joachim Netzer (C.H. Beck 1988, Taschenbuch dtv 1992). Ganz hervorragend ist der leider vergriffene Katalog von Wilfried Rogasch Victoria & Albert. Vicky & The Kaiser: Ein Kapitel deutsch-englischer Familiengeschichte (Hatje 1997).
Dienstag, 13. Dezember 2011
Franz von Lenbach
Mein Opa hatte einen Lenbach. Natürlich keinen echten, es war ein Stich oder ein Druck von einem der zahlreichen Bismarck Portraits des Künstlers, unter Glas mit schwarzem Eichenrahmen. Ich nehme an, als mein Großvater dieses Bild kaufte, hing das in jedem deutschen Wohnzimmer. Lenbach hat den Reichskanzler beinahe hundert Mal gemalt, das muss ein einträgliches Geschäft gewesen sein. Es ist mehr als ein Jahrhundert her, dass sich Opa seinen Bismarck gekauft hat. Erstaunlicherweise kann man heute noch eine Vielzahl von Reproduktionen von verschiedenen Bismarck Bildern des während des Kaiserreichs geadelten Künstlers kaufen. Gibt es noch so viele Bismarck Verehrer? Bei meinem Opa war der Kunstkauf ja zu verstehen, er ist in der von Bismarck geprägten Zeit aufgewachsen, aber wer hängt sich heute noch eine Lenbach Kopie ins Wohnzimmer? Ich würde Opas Bismarck ja aufhängen, so aus schier Schandudel (wie der Bremer sagt), aber ich habe keinen Platz mehr an den Wänden. Und so steht der eiserne Kanzler versonnen guckend im Keller.
Der zweite Lenbach, den ich kennenlernte (weil ich schon als Kind alle Kunstbände im Haus auswendig zu lernen begann) ist so schrecklich, dass ich ihn lieber nicht abbilden wollte. Aber ich muss diesen Hirtenknaben aus dem Jahre 1860 hier zeigen, weil man ihn tausendfach heute noch als Kunstkopie kaufen kann. Vielleicht hätte Lenbach gar nichts anderes mehr malen sollen als Bismarcks und Hirtenknaben. Für Kanzlerbilder und Genrekitsch gibt es in Deutschland immer einen Markt.
Dabei hatte der junge Franz Seraph Lenbach, der heute vor 175 Jahren geboren wurde, einmal ganz anders angefangen. Als Deutschlands erster plein air Maler, wie man auf diesem Bild aus dem Sommer 1859 sehen kann. Nimmt sozusagen den Impressionismus vorweg. Aber wenn man viel Geld verdienen will und ein Münchener Malerfürst werden will, ist Impressionismus nicht so gut. Da sind Reichskanzler und Hirtenknaben schon eine sichere Bank. Dies ist der Augenblick, wo sich talentierte Maler entscheiden können: gehen sie den Weg der Lichtmalerei oder malen sie totes Zeug wie Genremalerei, Historienmalerei und Promi-Portraits? Die meisten deutschen Maler entscheiden sich für den zweiten Weg.
Wie malt man nun beinahe fabrikmäßig den Fürsten von Bismarck, wenn der nicht immer im Studio sitzen kann? Sie ahnen es schon: Lenbach arbeitet nach Photographien. Zum einen photographiert er selbst, zum anderen vertraut er auf die Künste des Portraitphotographen Carl Hahn, der ihm hunderte von Bismarck Photos anfertigt. Es ist das Verdienst des im letzten Jahr gestorbenen Kunsthistorikers Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth dies detailliert bewiesen zu haben. Denn wenn ich diesen hochoriginellen Mann nicht gelesen hätte, wäre mir das nie aufgefallen, was es heute hier zum Schluss gibt. Was natürlich auch ein wenig daran liegt, dass mich der Malerkönig von München nun wirklich nicht interessiert.
Dies hier ist ein Familienbild, der Maler, die Ehefrau und zwei Töchter schauen uns an. Ihre Haltung ist angespannt, sie scheinen den Betrachter zu fixieren. Selbstbildnis mit Familie vor der Kamera hätte der korrekte Bildtitel sein müssen, hat von Eisenwerth gesagt. Denn jeder auf dem Bild, das blonde Engelchen (das auch irgendwie ein klein wenig Lolita ist) im Vordergrund und die Gruppe im Mittelgrund guckt natürlich dahin, wo gleich das kleine Vögelchen kommt. Oder was immer der Photograph seinen Objekten zu erzählen pflegt.
Das Ergebnis der photographischen Bemühungen hatte übrigens so ausgesehen. Wer sagt denn, dass die Amerikaner in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts den Photorealismus erfunden haben? Franz von Lenbach ist nicht der einzige, der in seiner Zeit mit der Photographie experimentiert. Degas macht das auch. Und in Amerika Thomas Eakins (über den ich irgendwann noch mal schreibe). Falls Sie dieses Thema interessiert, sollten Sie sich antiquarisch eins der letzten Exemplare von dem von Erika Billeter herausgegebenen Katalog Malerei und Photographie im Dialog sichern (bei dem auch Schmoll von Eisenwerth mitgearbeitet hat). Es gibt keine bessere Einführung.
Abonnieren
Posts (Atom)