Freitag, 12. März 2010
Biographien
Englischsprachige Autoren haben in den letzten zwanzig Jahren ein neues Genre gefunden, das noch keinen passenden Namen bekommen hat. Es ist irgendwo zwischen Biographie und Kulturgeschichte anzusiedeln, hat aber durchaus romanhafte, literarische Eigenschaften. Die Geschichte des englischen Uhrenbauers John Harrison und seiner Kreationen Harrison I bis Harrison IV war der Wissenschaft nicht unbekannt, aber erst durch Dava Sobels Longitude wurde ein Bestseller daraus. Weil sie die Geschichte so gut erzählen konnte, wie niemand zuvor. A wonderful story, beautifully told urteilte der New Scientist, Sobel has done the impossible and made horology sexy. Es muss ja nicht immer Sex sein, aber gut erzählt sollte diese neue Form der Biographie schon sein. Wer hätte sich um James Hutton gekümmert, wenn nicht Jack Repcheck in The Man Who Found Time seine Geschichte erzählt hätte? Napoleons Leben ist hunderte von Malen erzählt worden, aber dennoch findet Julia Blackburn mit The Emperor's Last Island: A Journey to St Helena etwas völlig Neues.
Der Name Jorgen Jorgenson sagt einem zuerst nichts. Aber wenn man Sarah Bakewells The English Dane gelesen hat, weiß man alles über den Mann aus der dänischen Meisteruhrmacherfamilie, der sich zum König von Island ernennt und als englischer Strafgefangener nach Australien gebracht wird. Sir Francis Beaufort hat die Beaufort Skala zur Messung der Windstärken erfunden, schön und gut. Mit Defining the Wind von Scott Huler werden der Admiral und seine Zeit aber erst wirklich lebendig. Luke Howard ist Fachwissenschaftlern ein vertrauter Name, dank Richard Hamblyns The Invention of Clouds: How an Amateur Meteorologist Forged the Language of the Skies kennt ihn eine größere Öffentlichkeit. Den Maler William Buelow Gould würde niemand mehr kennen, wenn ihn Richard Flanagan nicht mit Gould's Book of Fish: A Novel in Twelve Fish aus der Obskurität geholt hätte. Wobei man bei dem letzten Titel sagen muss, dass er vielleicht nicht so ganz in diese Reihe passt, es ist mehr ein Roman (aber was für ein Roman!) als popular science. Aber wir wissen nach der Lektüre mehr über Tasmanien und seltene Fische als je zuvor.
Gould's Book of Fish hat den Commonwealth Prize 2002 gewonnen und ist mit Lob überschüttet worden, aber auch all die anderen Titel haben großes Lob erfahren. Was der New Scientist über Dava Sobel sagte, könnte auf jedem der Buchrücken stehen. Immer wieder heißt es an extraordinary story brilliantly told und is told with sympathy, brio and wit oder a wonderful, intelligently told story. Und immer wieder sind die Kritiker enthralled und bewitched. Es kommt offensichtlich auf die Magie des Erzählens an. Simon Schama, dem wir auch so viel an beautifully told Kulturgeschichte verdanken, hat einmal im New Yorker (für den er seit 1994 schreibt) auf Thomas Babington Macaulay hingewiesen. Denn dieser Papst der englischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hatte seinen schreibenden Kollegen empfohlen, sich die historischen Romane von Sir Walter Scott als Vorbild für den Stil des Historikers zu nehmen. Offensichtlich halten sich viele immer noch an den Rat von Lord Macaulay und schreiben nicht den kalten, nüchternen Stil, den deutsche Historiker lieben. Der Erzähler von Gould's Book of Fish, der sich daran macht, das verloren gegangene Buch zu rekonstruieren, sagt über seine Mühen: to make a book, even one so inadequate as this wretched copy you now read, is to learn that the only appropiate feeling to those who live within its pages is love. Perhaps reading and writing is one of the last defenses human dignity has left, because in the end they remind us of what God once reminded us before He too evaporated in this age of relentless humiliations - that we are more than ourselves; that we have souls.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen