Freitag, 21. Oktober 2011
John le Carré
Es ist hoffentlich noch nicht zu spät für die Geburtstagswünsche, John le Carré ist gestern achtzig geworden. Er ist derjenige Autor von realistischen englischen Spionageromanen, den man in Deutschland immer liebte. Immer wieder hat es Interviews mit ihm gegeben, sein Kollege Len Deighton (inzwischen 82) wurde in den deutschen quality papers nie so gefeiert. Wahrscheinlich mögen wir le Carré, weil er so aussieht, wie wir uns den typischen englischen upper middle class Gentleman vorstellen. Und weil er (wie sein Romanheld George Smiley) Deutsch kann. Er war ja auch lange in Deutschland, in Bonn und Hamburg. Offiziell im diplomatischen Dienst, etwas weniger offiziell war er beim MI6. Den hat er irgendwann verlassen (oder vielleicht doch nicht?), um seine Romane über den englischen Geheimdienst zu schreiben. Für den Geheimdienst hatte er schon während seiner Zeit in der Armee und während seines Studiums gearbeitet, er war der perfect spy, doppelte Existenzen und Betrug gehörten von klein auf zu seinem Leben. Seit dem autobiographischen Roman The Perfect Spy wissen wir einiges über die kriminelle Vergangenheit seines Vaters.
Die ersten beiden Romane von le Carré, Call for the Dead und A Murder of Quality, erschienen gleichzeitig mit Len Deightons Debütroman The Ipcress File. Deighton und le Carré veränderten in den sechziger Jahren den englischen Spionageroman vollständig, die abgegriffene Ian Fleming Romanformel hatte ausgedient. Sie hat natürlich nie ausgedient, es wird immer Leute geben, die die James Bond Romane ganz toll finden. Es wird wahrscheinlich auch immer Leser für die G-Man Jerry Cotton Hefte geben.
Len Deighton repräsentierte den Geist der Zeit, das Swinging London swingte auch in seine Romane hinein. Ähnlich wie Antonionis Blow-Up, wie Schlesingers Darling oder Lesters The Knack gehörten Len Deightons Romane in diese Kultur. George Melly hätte sie ruhig in Revolt into Style erwähnen können. Deightons namenloser Held, der in den Filmen Harry Palmer hieß (aber natürlich eigentlich Michael Caine hieß), war cool wie eine Hundeschnauze. Er war einer der ersten literarischen Geheimagenten, der nicht aus der Oberklasse kam. Das passte natürlich wunderbar zu Michael Caine, der mit dem Londoner Cockney Akzent aufgewachsen war; wenn man ein Ohr für Akzente hat, kann man den sprachlichen Klassenunterschied auf der Originaltonspur von The Ipcress File sehr schön hören.
Das Swinging London war nicht die Sache von John le Carré, er strebte in seinen Romanen nach Höherem als ein Chronist des Zeitgeschmacks der sixties zu sein. Er hat in vielen Interviews Joseph Conrad und Graham Greene als seine literarischen Vorbilder bezeichnet, man merkt das auf beinahe jeder Seite seiner Romane. Er hat allerdings auch P.G. Wodehouse als sein Vorbild bezeichnet, das merkt man nun nicht unbedingt. le Carrés Romane sind - im Gegensatz zu den Romanen Deightons - weitgehend humorfrei. Er wäre nie auf die Idee gekommen (oder vielleicht doch), eine völlige Fälschung seines Lebenslaufes in das Who is Who zu schmuggeln wie Len Deighton das getan hat: Eldest son of a Governor-General of the Windward Islands. After an uneventful education at Eton and Worcester College, Oxford, where he read Philosophy, Politics and Economics and was President of the Union, he signed on as a deckhand on a Japanese whaler. Nichts davon ist wahr, ich finde es immer noch sehr komisch.
John le Carré hielt sich nicht in den Niederungen der Trivialliteratur auf, um sich nach oben zu schreiben wie Raymond Chandler. Er begann gleich ganz oben, und nach der Verfilmung von The Spy Who Came in from the Cold wusste die ganze Welt, dass England einen Superstar des Spionageromans hatte. Die Literaturkritiker sind ja auch immer nett zu ihm gewesen und haben ihm beinahe von Anfang an versichert, dass er kein Autor von billigen Thrillern wäre, sondern dass seine Romane zumindest auf der Ebene von Graham Greenes entertainments anzusiedeln wären. Es bestand für ihn also eigentlich gar kein Grund, seine Whippets so abzurichten, dass sie bei der Erwähnung des Wortes critic zu knurren anfingen.
Len Deighton überließ seinem Kollegen erst einmal das Feld des Spionageromans, da ihn andere Dinge interessierten: so schrieb er zwei Kochbücher, einen London-Führer und dann den Roman Bomber, in den Jahre der historischen Recherche hineingegangen waren. Seine Jahre bei der RAF haben ihn nie so recht losgelassen, damit meine ich jetzt nicht einen Roman wie Goodbye, Mickey Mouse sondern sein Buch über den Luftkrieg, Fighter: The True Story of the Battle of Britain, das ihm die Anerkennung der englischen Historikerzunft eintrug. Ich erwähne das mal eben im Kontrast zu John le Carré, um zu zeigen, dass die Bandbreite von Len Deighton viel größer ist als die von John le Carré.
Es kam für die Gemeinde der John le Carré Fans wie ein Schock, dass le Carré seinen vom Publikum geliebten Helden George Smiley aufgab, der in den ersten Romanen - und besonders in der Trilogie, die später unter dem Namen The Quest for Karla veröffentlicht wurde - so etwas wie eine moralische Instanz geworden war. Ähnlich wie der Kapitän Charles Marlow für manche Romane Joseph Conrads. Damals schrieb Bernd Eilert in Der Rabe unter der Rubrik Der Rabe rät ab: Seit le Carré seinen altmodischen Spion Smiley pensioniert hat, fehlt seinen Geschichten das, was sie anderen Spionage-Romanen voraushatten: eine gewisse Würde...Das haben viele Leser ähnlich gesehen, denn George Smiley war ihnen ans Herz gewachsen. Mir auch, ich habe zwar weiterhin die meisten Romane von le Carré gekauft (und manchmal auch gelesen, häufig jedoch nicht), aber es war nicht mehr das, was ich mochte.
George Smiley begann sein literarisches Leben in Call for the Dead. Er kommt leider nicht so furchtbar oft in Filmen vor. Er wurde in ✺The Deadly Affair von James Mason gespielt, der passte genau in die Rolle. In der TV-Fassung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy wird er von Sir Alec Guinness gespielt - aber so sieht der George Smiley meiner Romanwelt nicht aus, sorry. Deshalb gibt es hier als Bild einmal den Helden mehrerer Len Deighton Verfilmungen zu sehen. Glücklicherweise gibt es mittlerweile eine hervorragende Verfilmung von ✺Tinker, Tailor, Soldier, Spy.
Le Carré hatte sich in seinem ersten Roman bemüßigt gefühlt, zur Erklärung der Romanfigur noch A Brief History of George Smiley hinzuzufügen (Sie können sie hier nachlesen). Eigentlich eine ungewöhnliche Sache für einen Romanautor. Sie zeigt aber, dass le Carré von Anfang an diesen George Smiley als Serienhelden im Kopf hatte, so wie Conan Doyle seinen Sherlock Holmes im Kopf hatte - auch wenn le Carré seinem Helden den Sturz in die Reichenbach Fälle erspart. In den nächsten Romanen fristet George Smiley ein wenig eine Randexistenz. Man fürchtete damals als Leser doch schon den Tod in den Reichenbachfällen als le Carré The Naive and Sentimental Lover schrieb. Ein Roman, der ihm von den Kritikern um die Ohren gehauen wurde. Vielleicht stammt die Geschichte mit den Hunden aus dieser Zeit. Aber dann, wie Phönix aus der Asche, war George Smiley wieder da. Und dann gleich als Trilogie (Tinker Tailor Soldier Spy, The Honourable Schoolboy und Smiley's People). Und auch noch passend zu all den Skandalen des englischen Geheimdienstes von Burgess und Maclean bis Kim Philby war er der einzige, der England retten konnte. Dafür sind die Helden des englischen Spionageromans ja da, ob sie Richard Hannay, James Bond oder George Smiley heißen. Immer müssen sie England retten. Meistens noch in der letzten Minute. Was wären die Engländer bloß ohne ihre spy novel Autoren?
John le Carré wurde vor Jahren in einem Interview der BBC gefragt, welche Romane er für seine besten hielte. Seine Antwort war: The Spy Who Came in from the Cold, Tinker, Tailor, Soldier, Spy, The Tailor of Panama, The Constant Gardener. Da Geburtstagskinder immer Recht haben, lassen wir das mal so stehen.
Falls Sie eine kurze Geschichte des englischen Spionageromans lesen wollen, brauchen Sie diesen/dieses Blog nicht zu verlassen. Klicken Sie doch einfach Secret Agents an.
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