Es war ein schöner Sommerabend, als Florio, ein junger Edelmann, langsam auf die Tore von Lucca zuritt, sich erfreuend an dem feinen Dufte, der über der wunderschönen Landschaft und den Türmen und Dächern der Stadt vor ihm zitterte, sowie an den bunten Zügen zierlicher Damen und Herren, welche sich zu beiden Seiten der Straße unter den hohen Kastanienalleen fröhlich schwärmend ergingen. Kein Schriftsteller würde es heute wagen, einen Roman so zu beginnen. Es ist der Anfang von Joseph von Eichendorffs Das Marmorbild. Geschrieben im Jahr 1818. Napoleon ist gerade besiegt, der Leutnant Eichendorff war dabei. Bis nach Paris ist er gekommen. Da war er schon einige Jahre zuvor auf einer Studienreise gewesen. Aber Paris spielt in seinen Erzählungen keine so große Rolle. Eine Ausnahme ist nur Das Schloß Dürande. Die Reisenden bei Eichendorff zieht es nach Italien. Wo Eichendorff nie gewesen ist. Die Frage im Taugenichts: Können Sie mir nicht sagen, wo der Weg nach Italien geht?... Nach Italien, wo die Pomeranzen wachsen, könnte er nicht beantworten. Aber sein Italien ist auch kein Italien der Landkarte. Es ist ein Italien der Sehnsucht, ein Italien der Seele.
Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: «Du Taugenichts! da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und läßt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot.» – «Nun», sagte ich, «wenn ich ein Taugenichts bin, so ists gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.» So beginnt Aus dem Leben eines Taugenichts, und immer, wenn der Frühling nicht kommen will, lohnt es sich, diesen Romananfang zu lesen. Er gibt einem Hoffnung. Hoffnung auf den Frühling und auf eine Entführung in eine märchenhafte Welt. Die hier natürlich wieder Italien heißen wird. Seit diesem Abend hatte ich weder Ruh noch Rast mehr. Es war mir beständig zumute wie sonst immer, wenn der Frühling anfangen sollte, so unruhig und fröhlich, ohne daß ich es wußte warum, als stünde mir ein großes Glück oder sonst etwas Außerordentliches bevor.
Uns steht als Leser immer ein großes Glück bevor, wenn wir Eichendorff lesen. Weil dies Märchen für Erwachsene sind. Und die dürfen nun einmal so kitschig anfangen wie Das Marmorbild oder wie Die Glücksritter: Der Abend funkelte über die Felder, eine Reisekutsche fuhr rasch die glänzende Straße entlang, der Staub wirbelte, der Postillon blies, hinten auf dem Wagentritte aber stand vergnügt ein junger Bursch, der, im Wandern heimlich aufgestiegen, bald auf den Zehen lang gestreckt, bald sich duckend, damit die im Wagen ihn nicht bemerkten. Und hinter ihm ging die Sonne unter und vor ihm der Mond auf, und manchmal, wenn der Wald sich teilte, sah er von ferne Fenster glitzern im Abendgold, dann einen Turm zwischen den Wipfeln und weiße Schornsteine und Dächer immer mehr und mehr, es mußte eine Stadt ganz in der Nähe sein.
Doch die Städte sind nicht das Thema für Eichendorff, seine Erzählungen entführen uns in den Wald. Wenn man auf einem Schloss geboren wird und zum Besitz der Familie Wiesen und Wälder gehören, dann wundert einen das vielleicht nicht. Aber Eichendorfs Wälder sind nicht die Wälder Schlesiens (lediglich ein Literaturkritiker namens Franz Uhlendorff glaubt daran). Es sind Wälder, die wir alle zu kennen meinen (bei einem Blog mit dem Namen Silvae muss ich so etwas sagen). Weil wir sie alle seit der Kindheit kennen. Sie haben etwas von unserem Trauminventar - oder von unseren Albträumen: nur von den Bergen noch rauschet der Wald und mich schauert im Herzensgrunde. Diese Wälder haben etwas Archetypisches mit ihrem kühlen Grunde, wo ein Mühlenrad geht. Es sind auch Erzählungen von der Nacht, die langsam die ungeheuren Drachenflügel über den Kreis der Wildnis unter ihnen dehnt, da wo die Wälder dunkel aus der grenzenlosen Stille heraufrauschen. Wo das Abendrot draußen uns zu einer Aurora eines künftigen, weiten, herrlichen Lebens wird, und unsere ganze Seele wie mit großen Flügeln in die wunderbarste Aussicht hinein fliegt
Uns steht als Leser immer ein großes Glück bevor, wenn wir Eichendorff lesen. Weil dies Märchen für Erwachsene sind. Und die dürfen nun einmal so kitschig anfangen wie Das Marmorbild oder wie Die Glücksritter: Der Abend funkelte über die Felder, eine Reisekutsche fuhr rasch die glänzende Straße entlang, der Staub wirbelte, der Postillon blies, hinten auf dem Wagentritte aber stand vergnügt ein junger Bursch, der, im Wandern heimlich aufgestiegen, bald auf den Zehen lang gestreckt, bald sich duckend, damit die im Wagen ihn nicht bemerkten. Und hinter ihm ging die Sonne unter und vor ihm der Mond auf, und manchmal, wenn der Wald sich teilte, sah er von ferne Fenster glitzern im Abendgold, dann einen Turm zwischen den Wipfeln und weiße Schornsteine und Dächer immer mehr und mehr, es mußte eine Stadt ganz in der Nähe sein.
Doch die Städte sind nicht das Thema für Eichendorff, seine Erzählungen entführen uns in den Wald. Wenn man auf einem Schloss geboren wird und zum Besitz der Familie Wiesen und Wälder gehören, dann wundert einen das vielleicht nicht. Aber Eichendorfs Wälder sind nicht die Wälder Schlesiens (lediglich ein Literaturkritiker namens Franz Uhlendorff glaubt daran). Es sind Wälder, die wir alle zu kennen meinen (bei einem Blog mit dem Namen Silvae muss ich so etwas sagen). Weil wir sie alle seit der Kindheit kennen. Sie haben etwas von unserem Trauminventar - oder von unseren Albträumen: nur von den Bergen noch rauschet der Wald und mich schauert im Herzensgrunde. Diese Wälder haben etwas Archetypisches mit ihrem kühlen Grunde, wo ein Mühlenrad geht. Es sind auch Erzählungen von der Nacht, die langsam die ungeheuren Drachenflügel über den Kreis der Wildnis unter ihnen dehnt, da wo die Wälder dunkel aus der grenzenlosen Stille heraufrauschen. Wo das Abendrot draußen uns zu einer Aurora eines künftigen, weiten, herrlichen Lebens wird, und unsere ganze Seele wie mit großen Flügeln in die wunderbarste Aussicht hinein fliegt
Wo selten durch die weite Stille der dumpfe Schlag eines Eisenhammers herüber klingt. Wir wissen beim Lesen, dass das alles nicht wahr ist, dass die ➱Industrielle Revolution längst angefangen hat - und Eichendorff weiß das natürlich auch. Eine Stelle wie diese wird uns irritierten: An einem schönen warmen Herbstmorgen kam ich auf der Eisenbahn vom andern Ende Deutschlands mit einer Vehemenz’ dahergefahren, als käme es bei Lebensstrafe darauf an, dem Reisen, das doch mein alleiniger Zweck war, auf das allerschleunigste ein Ende zu machen, die Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüberjagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefaßt, immer neue Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer andere Sozietäten bildet, bevor man noch die alten recht überwunden. Diesmal blieb indessen eine Ruine rechts überm Walde ganz ungewöhnlich lange in Sicht. Ist das von Eichendorff? ➱Ja, ist es. Natürlich wird Eichendorff den fliegenden Kasten verlassen: Desto besser! dachte ich, schnürte mein Ränzel und schritt wieder einmal mit lang entbehrter Reiselust in die unbestimmte Abenteuerlichkeit des altmodischen Wanderlebens hinein. Es zieht ihn zu der Ruine da oben im Wald. Die vielleicht auf einer symbolischen Ebene die Ruine der Romantik ist. Das weiß Eichendorff wohl. Schließlich ist bei ihm alles ein Symbol.
In Eichendorffs erstem Roman Ahnung und Gegenwart heißt es gleich am Anfang über den Grafen Friedrich: ein gemeiner Menschensinn hätte ihn leicht für einfältig gehalten. Aber der Graf Friedrich ist nicht einfältig, ebenso wenig wie sein alter ego, der Baron Eichendorff. Wenn das Ich hatte diesen Roman vollendet, ehe noch die Franzosen im letzten Krieg Rußland betraten wirklich wahr ist, dann ist dieser Friedrich geradezu prophetisch: Mir scheint unsre Zeit dieser weiten, ungewissen Dämmerung zu gleichen! Licht und Schatten ringen noch ungeschieden in wunderbaren Massen gewaltig miteinander, dunkle Wolken ziehn verhängnisschwer dazwischen, ungewiß ob sie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpf stiller Erwartung. Kometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen sich wieder, Gespenster wandeln wieder durch unsre Nächte, fabelhafte Sirenen selber tauchen, wie vor nahen Gewittern, von neuem über den Meeresspiegel und singen, alles weist wie mit blutigem Finger warnend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unsere Jugend erfreut kein sorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unsere Väter, uns hat frühe der Ernst des Lebens gefaßt.
Im Kampfe sind wir geboren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphierend, untergehn. Denn aus dem Zauberrauche unsrer Bildung wird sich ein Kriegsgespenst gestalten, geharnischt, mit bleichem Totengesicht und blutigen Haaren; wessen Auge in der Einsamkeit geübt, der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und sich leise formieren. Verloren ist, wen die Zeit unvorbereitet und unbewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zur Lust und fröhlichem Dichten, sich so gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu sich selber sagen: Weh, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fugen wird sie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwischen Altem und Neuem beginnen, die Leidenschaften, die jetzt verkappt schleichen, werden die Larven wegwerfen, und flammender Wahnsinn sich mit Brandfackeln in die Verwirrung stürzen, als wäre die Hölle losgelassen, Recht und Unrecht, beide Parteien, in blinder Wut einander verwechseln. Wunder werden zuletzt geschehen, um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Greuel bricht, die Donner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen, und die Erde hebt sich verweint, wie eine befreite Schöne, in neuer Glorie empor. O Leontin! wer von uns wird das erleben!
Das passt - ebenso wie hüte dich, das wilde Tier zu wecken in der Brust, daß es nicht plötzlich ausbricht und dich selbst zerreißt in Das Schloß Dürande - wenig zu unserem Eichendorff Bild. Das natürlich immer ein Trugbild gewesen ist. Ebenso wie das Bild von Mozart in Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag und auf den Mozartkugeln nicht den wahren Mozart wiedergibt. Es gibt noch einen anderen Eichendorff, der durchaus ein zoon politikon ist. Man brauchte da nur das Fragment Das Inkognito oder die Erzählungen ➱Auch ich war in Arkadien und ➱Libertas und ihre Freier genau zu lesen.
Joseph Freiherr von Eichendorff wurde heute vor 225 Jahren geboren. Es gab hier vor einem Jahr schon einen langen ➱Post zu Eichendorff. Und vor drei Jahren gab auch schon einen kurzen ➱Post, der aber eigentlich mehr ein Mini Forschungsbericht und eine Leseempfehlung für das ➱Eichendorff Buch von Eckhard Henscheid ist. Die Bilder sind von Carl Blechen, Andreas Achenbach, Carl Gustav Carus, Olga Wisinger-Florian, Francisco de Goya und Georg Friedrich Kersting.
Und wenn Sie Eichendorff einmal ganz anders haben wollen, dann klicken Sie dies ➱hier an.
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