Thomas Hardys Gedicht The Darkling Thrush hatte ursprünglich den Titel The Century's End, 1900. Es erschien am 29. Dezember des Jahres 1900 in der Zeitschrift The Graphic. Man ist sich aber ziemlich sicher, dass es schon ein Jahr früher geschrieben wurde. Es ist eins der schönsten Gedichte von ➱Hardy, der mit dem Ende des 19. Jahrhunderts beschlossen zu haben scheint, keine Romane mehr zu schreiben und fortan Dichter zu sein. 1898 war mit Wessex Poems sein erster Gedichtband erschienen, viele weitere sollten folgen. 864 Seiten ist meine Ausgabe der Collected Poems stark. Ich weiß nicht, wie viele Gedichte diese ➱Internetausgabe enthält, aber es scheint mir ausreichend zu sein. Sonst nehmen Sie ➱diese hier, die habe ich auch. Sie kostet bei Amazon mal gerade etwas mehr als fünf Euro: gute Lyrik war noch nie so preiswert.
The Darkling Thrush
I leant upon a coppice gate
When Frost was spectre-gray,
And Winter’s dregs made desolate
The weakening eye of day.
The tangled bine-stems scored the sky
Like strings of broken lyres,
And all mankind that haunted nigh
Had sought their household fires.
The land’s sharp features seemed to be
The Century’s corpse outleant,
His crypt the cloudy canopy,
The wind his death-lament.
The ancient pulse of germ and birth
Was shrunken hard and dry,
And every spirit upon earth
Seemed fervourless as I.
At once a voice arose among
The bleak twigs overhead
In a full-hearted evensong
Of joy illimited;
An aged thrush, frail, gaunt, and small,
In blast-beruffled plume,
Had chosen thus to fling his soul
Upon the growing gloom.
So little cause for carolings
Of such ecstatic sound
Was written on terrestrial things
Afar or nigh around,
That I could think there trembled through
His happy good-night air
Some blessed Hope, whereof he knew
And I was unaware.
Und für jene Leser, die sich immer beklagen, dass hier zuviel Englisch im Blog zitiert wird, habe ich heute einmal eine deutsche Übersetzung. Die habe ich von der interessanten Seite von ➱Walter A. Aue, eine Seite, die ich schon mehrfach erwähnt habe. Nicht nur diese Seite ist interessant, auch Walter A. Aue, ein emeritierter Chemieprofessor ist sehr interessant (klicken Sie diese wunderbare kleine ➱Vignette über sein Einstellungsgespräch an der Dalhousie University einmal an). Hier also Walter A. Aues Übersetzung von The Darkling Thrush:
Die dunkelnde Drossel
Ich stützt mich auf den Zaun im Wald
im Reif gespenstergrau,
als Winters Abschaum, öd und kalt,
bedeckt des Himmels Blau.
Gerank zerschnitt den Himmelsraum
gleich Saiten toter Leier,
und wer geirrt um Busch und Baum
eilt heim zum Abendfeuer.
Die harten Züge dieser Welt
Jahrhunderts Leichnam sind:
Sein Grab das trübe Himmelszelt,
sein Totensang der Wind.
Der alte Puls von Keim und Werd
lag eingeschrumpft und bloß:
Jedweger Geist auf dieser Erd,
gleich mir, war willenlos.
Da barst aus Zweigen kaum erspäht
der ew'gen Freude Klang:
So voll das Herz im Nachtgebet,
so grenzenlos der Sang
der alten Drossel, dürr und klein
im sturmzerzausten Kleid,
die ihrer ganzen Seele Sein
warf gegen Dunkelheit.
So wenig Grund zum Jubiliern,
zu solch verzücktem Schall
war auf dem Erdenkreis zu spürn -
wie hier so überall -
daß es mir schien, als zög durch's Land,
im Drosselsang zur Nacht,
gesegnet Hoffnung, ihr bekannt,
doch von mir nie gedacht.
Wenn Sie das Gedicht vorgelesen hören wollen (das habe ich aber nur in Englisch), dann klicken Sie ➱hier. Ich hätte es ja lieber gehabt, wenn Richard Burton es vorgelesen hätte, der mit dieser walisischen Singsangstimme ein begnadeter Sprecher für die Gedichte von Thomas Hardy war (hören Sie doch einmal in ➱Weathers oder in ➱In Tenebris hinein).
Gedanken zur Jahreswende machen wir uns alle, Thomas Hardy macht sich hier auch noch Gedanken zur Jahrhundertwende, er läßt das engstirnige viktorianische Jahrhundert hinter sich. Er ist skeptisch, aber es ist auch ein klein wenig Hoffnung in dem Gesang des Vogels. Wenn Sie für den Jahresanfang weniger Hoffnung und mehr Skepsis serviert haben wollen, dann hätte ich sozusagen als Weisheit aus einem philosophischen Glückskeks einen Aphorismus von Lichtenberg, zweihundert Jahre älter als das Gedicht von Hardy: Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.
Das war der Satz, der in der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin fehlte.
Jahrhunderts Leichnam sind:
Sein Grab das trübe Himmelszelt,
sein Totensang der Wind.
Der alte Puls von Keim und Werd
lag eingeschrumpft und bloß:
Jedweger Geist auf dieser Erd,
gleich mir, war willenlos.
Da barst aus Zweigen kaum erspäht
der ew'gen Freude Klang:
So voll das Herz im Nachtgebet,
so grenzenlos der Sang
der alten Drossel, dürr und klein
im sturmzerzausten Kleid,
die ihrer ganzen Seele Sein
warf gegen Dunkelheit.
So wenig Grund zum Jubiliern,
zu solch verzücktem Schall
war auf dem Erdenkreis zu spürn -
wie hier so überall -
daß es mir schien, als zög durch's Land,
im Drosselsang zur Nacht,
gesegnet Hoffnung, ihr bekannt,
doch von mir nie gedacht.
Wenn Sie das Gedicht vorgelesen hören wollen (das habe ich aber nur in Englisch), dann klicken Sie ➱hier. Ich hätte es ja lieber gehabt, wenn Richard Burton es vorgelesen hätte, der mit dieser walisischen Singsangstimme ein begnadeter Sprecher für die Gedichte von Thomas Hardy war (hören Sie doch einmal in ➱Weathers oder in ➱In Tenebris hinein).
Gedanken zur Jahreswende machen wir uns alle, Thomas Hardy macht sich hier auch noch Gedanken zur Jahrhundertwende, er läßt das engstirnige viktorianische Jahrhundert hinter sich. Er ist skeptisch, aber es ist auch ein klein wenig Hoffnung in dem Gesang des Vogels. Wenn Sie für den Jahresanfang weniger Hoffnung und mehr Skepsis serviert haben wollen, dann hätte ich sozusagen als Weisheit aus einem philosophischen Glückskeks einen Aphorismus von Lichtenberg, zweihundert Jahre älter als das Gedicht von Hardy: Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.
Das war der Satz, der in der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin fehlte.
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