Ich begann Proust zu lesen, weil mir mein Freund Peter sagte, dass wir unbedingt Proust lesen müssten. Ich las immer, was er empfahl. Er hat mir vor einem halben Jahrhundert aus Paris den Katalog der Proust Ausstellung mitgebracht, da war ich schon lange durch Prousts gewaltiges Werk durch. Mein Freund Peter, der mich mein ganzes Leben lang mit schönen Büchern beschenkt hat, ist vor wenigen Monaten gestorben. In meinem Kopf ist er noch da, immer wenn ich stumme Selbstgespräche führe, rede ich mit ihm.
Das steht im Post zu ▹Anita Albus. Da habe ich es hier zum ersten Mal gesagt, dass der Peter tot ist. Ich hatte schon vor Monaten einen Nachruf angefangen, aber ich kam damit nicht zurecht. Über ihn zu schreiben, bedeutete, wieder einmal die Vergangenheit heraufzubeschwören. Das tue ich eigentlich gern, das wissen Sie. Allerdings ungern, wenn es mit dem Tod verbunden ist. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht, steht auf der Trauerkarte. Die neueren Bibel Versionen haben das Luthersche Zucht durch Besonnenheit ersetzt, die Strenge des Wortes Zucht passt wohl nicht mehr in unsere Zeit. Aber das Wort passt zu ihm. Er war ein sorgfältiger Philologe und ein hervorragender Kunsthistoriker. Wann immer ich wissen wollte, was mein ▹Onkel Karl auf der anderen Seite der deutsch-deutschen Grenze gerade machte, er fand es für mich heraus.
Wir legten uns die Welt zurecht, als wir jung waren, Peter und ich. Die Welt der Kunst und der Literatur. Das Leben war damals noch langsamer, und es machte in seiner Langsamkeit mehr Sinn. Wir lasen gleichzeitig Prousts Recherche. Wir lasen zur gleichen Zeit Ezra Pound und James Joyce. Wir schrieben gleichzeitig Gedichte, die viel von Ezra Pound und James Joyce hatten. Peter sah nachsichtig darüber hinweg, dass mich ▹Charlie überredet hatte, ▹Jack Kerouac zu lesen. Wir blendeten manche Dinge aus. Wir redeten nie über Frauen. Wir beklagten schon früh in unserem Leben den Verfall der Kultur. Seinen Satz Wenn man das hier so sieht, dann kann man ja nur noch im Antiquariat kaufen vor dem Schaufenster einer Bremer ▹Buchhandlung habe ich nie vergessen. Wir definierten Kultur mit ▹Matthew Arnold, wir nahmen mit jugendlicher Selbstverständlichkeit nur das Beste aus der Welt von Literatur, Kunst und Musik. Das darf man, wenn man jung ist, sagte mir ein Freund, als ich ihm vom Tod meines Freundes Peter erzählte. Wann denn sonst? Ich habe alle Briefe von Peter aufgehoben, mit denen kann ich unseren intellektuellen Lebensweg nachwandern. Und seine Resignation über den Niedergang Bremens verfolgen.
Wir sind durch die Wälder Eggestedts gewandert (bevor die Bundeswehr oder die US Army sie vereinahmte). Oder, wenn die Zeit knapp war, durch den Blumenthaler Löh, Wätjens Park eingeschlossen. Oder die Weserdeiche entlang. Zu den den kleinen halbverfallenen Kirchen hinter dem Deich, in denen immer eine Gedenktafel für einen Walfänger an der Wand war. Manchmal waren wir mit Photoapparaten unterwegs. Er hatte schon früh eine Spiegelreflex, ich war froh, dass ich meine ▹Werra hatte. Ich habe mir vor Jahren eine ▹Exakta auf dem Flohmarkt gekauft. Weil ich alte Photoapparate sammle. Und weil ich durch diesen riesigen Sucherschacht die Welt mit seinen Augen sehen wollte. Wenn wir wanderten, redeten wir. Diskutierten. Über Literatur, über französische Filme. Als ich ihm vor zwei Jahren den Post zu Renoirs ▹La règle du Jeu schickte, schrieb er: Liest sich gut. Tage später kamen zwei Pakete an, voll mit den Heften der ▹Cahiers du Cinéma und L'Avant-Scène. Ich habe jetzt wahrscheinlich die größte Sammlung französischer Filmkritik hier im Ort.
Das erste Heft von L'Avant-Scène, das er mir aus Paris mitbrachte, war das zu dem Film ▹La vie de chateau. Peter war damals häufig in Paris. Ich war bei der Bundeswehr. Will ich jetzt nichts Böses drüber sagen. Immerhin bin ich mit meiner Brigade für Monate nach ▹Frankreich gekommen, die ersten deutschen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg, die in Frankreich waren. Das massif central war zwar nicht Paris, war aber Frankreich. Und in Paris war ich schon gewesen, im ▹Sommer 1959. Und dann noch zweimal kurz, um eine Freundin zu besuchen, die da als fille au pair arbeitete. Heiße Abschiede am Gare du Nord, das wäre etwas für die Kamera von Robert Doisneau gewesen. Peter war nicht bei der Bundeswehr, wir haben nie darüber geredet. Das war Privatsache. Ob man nach Berlin zog, um nicht eingezogen zu werden wie ▹Gert, ob man den Wehrdienst verweigerte oder Zeitsoldat wurde wie ich, wir redeten nicht darüber.
Wenn wir durch die Wälder streiften oder ▹Schlittschuh liefen, waren wir praktisch gekleidet. Damals gab es noch Anoraks, die scheinen aus der Mode gekommen zu sein. Wenn wir nach Bremen fuhren, was für uns Nordbremer eine kleine ▹Weltreise war, waren wir zurückhaltend elegant gekleidet: Flanellhosen, Tweedjackett und rahmengenähte Schuhe, so sind wir immer durchs Leben gegangen. Wir redeten darüber, wo man die besten Flanellhosen bekommt, das war vor über fünfzig Jahren durchaus ein Thema. Ich zitiere dazu mal eben etwas - auch als Beleg dafür, dass mein Freund Peter immer in diesem Blog war - was schon in dem Post ▹Aftershave steht:
Ich bin darauf gekommen, weil mir beim Aufräumen eine Photokopie in die Hand fiel, die mir mein Freund Peter mal vor Jahrzehnten geschickt hat. Undatiert, keine Quellenangabe. Könnte aus einer alten Nummer vom ▹Twen sein, hat ein wenig was von diesem coolen Willy Fleckhaus Design. Zeigt auf der rechten Seite einen Mann als anatomische Zeichnung, nur Muskeln und Knochen. Und auf der linken Seite dazu eine Beschreibung als free verse. Der Text beginnt mit der Aufzählung aller Muskeln und Knochen, dann folgt ein kleines Loblied auf den Architekten Wilhelm Büning, und dann endet der Textblock mit:
Doch nun zurück zu unserem model.
Der Mann lebt, und er verdient es,
wieder angezogen zu werden.
Da steht er.
Unterkleidung: Nylon, '55er Qualität,
Lobb-Schuhe, Flanellhosen,
Lacoste-Hemd - ohne Kriechtier,
weiße Socken,
eine alte Rolex in der Hosentasche,
eine Ray-Ban auf der Nase,
über der Schulter
den alten Burberry - ohne Futter,
am Arm den Brigg-Schirm,
Rosenholz, schwarze Seide,
Andron-Aftershave hängt in der Luft.
Jetzt kennen wir ihn besser.
Klingt ein wenig nach den fifties, als man noch ▹weiße Socken tragen durfte, als Lacoste Hemden noch teuer waren und ewig hielten. Zeigt auch einen gewissen Stil: eine ▹Rolex kann man ja nur in der Hosentasche tragen.
Peter hatte früh seinen eigenen Stil, er liebte Strickjacken aus Kaschmir. Auch Cordhosen und gute rahmengenähte Schuhe, er hatte immer etwas von einem bayrischen Landadligen an sich, was vielleicht daran lag, dass seine Mutter aus einer berühmten Münchener Familie kam. Understatement war Peter immer wichtig. Bei ihm zu Hause hing im Wohnzimmer ein echter ▹Corinth an der Wand, eins der vielen Walchensee Bilder. Peter hatte auch einen kleinen Wald in Rieden bei ▹Reutte geerbt, aber ich weiß nicht, was daraus geworden ist. Als ich in Reutte im ▹Skiurlaub war, habe ich seinen Wald gesucht, aber nicht gefunden. Es lag zu viel Schnee auf den Waldwegen. Ich habe das dann aufgegeben, ich wollte nicht im Schnee liegenbleiben wie ▹Robert Walser. Dass ich schon früh den ganzen Walser gelesen habe, verdanke ich nur Peter.
Unsere Bremen Ausflüge, die uns immer wieder in ▹Filmkunsttheater oder die ▹Kunsthalle führten, endeten immer im Café. Zuvor mussten wir bei ▹Hespen am Wall in die Fenster guckend, damit wir auf dem Laufenden waren, wie sich die Bremer die Engländer vorstellten (als Hespen unterging, schickte mir Peter noch die Bremer Zeitungen mit den Anzeigen für den Ausverkauf). Nicht nur englische Klamotten, England und der englische Geist bedeutete uns damals etwas, das war in Bremen eigentlich selbstverständlich. Vor vielen Jahren schrieb er mir: Dank natürlich für die Erinnerungsgaben ans alte England, wie sentimentale Gedächtnisinseln. Wir sind jetzt alle zwei Jahre dort, kariolen - bei festem Standquartier - durch die Gegend, finden noch massenhaft Schönes wie aus der Zeit gefallen, als ob auf irgendeinem Parkplatz aus einem Jaguar nebenan der James [unser ▹Englischlehrer] steigen könnte, - aber dann auch wieder Armut und Elend schlimmer als bei unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Zonengrenze, und immer wieder der Eindruck, daß der Verlust des Empire bis heute nicht bewältigt wurde, und wohl auch nicht bewältigt werden wird.
Wenn wir alles bei Hespen gesehen hatten, mussten wir auch noch mal eben die Schuhe in den Fenstern von ▹Lattemann in der Sögestraße bewundern. ▹Stiesing sparten wie uns, war zu langweilig, später war Peter da aber Kunde. ▹Hans Kalich in der Böttcherstraße, der als erster in Bremen italienische Mode führte, war nicht Peters Sache. Wir gingen nie ins Café Jacobs, wo damals die ersten Schülerhorden aus Bremer Gymnasien auftauchten. Auch nicht zu Hillmann. Oder Knigge (da konnte man ja nur einmal in Jahr den Bremer Klaben kaufen, wenn einem der von der Bäckerei Hellweg in Vegesack nicht gefiel). Das sind Cafés für Leute, die in Flensburg Petuh Tanten heißen oder die in Lübeck beinahe berufsmäßig im Café Niederegger sitzen.
Für uns konnte es nur ▹Stecker in der Knochenhauerstraße sein. Ein Rokokohaus, klein, verwinkelt, das Café geht über mehrere Stockwerke. Intim und mit Stil. Wir tranken nie Kaffee, entweder einen Tee oder eine Schokolade. An einer Schokolade kann man die Qualität eines Cafés erkennen, sagte Peter. Das durfte natürlich nicht diese Plörre sein, die man heute bei Starbucks (oder wie diese austauschbaren Café Macdonalds heißen) bekommt. Die sieht genauso aus wie der Kakao der Schulspeisung 1949. Schmeckt auch so. Hätten wir ein halbes Jahrhundert früher gelebt, dann hätten wir vielleicht zu der Gesellschaft gehört, die in ▹Sommer in Lesmona beschrieben wird. Vielleicht waren wir kleine Snobs, aber wir waren auch dabei, mit einundzwanzig durch die Weltliteratur durch zu sein. Und wir ahnten auch, dass die ganze Welt von Sommer in Lesmona eine romantische Inszenierung war.
Auch wenn wir schon früh kleine Gelehrte waren, wir waren nicht weg von der wirklichen Welt. Peter hatte an der Kurzschule Weißenhaus einen Überlebenskurs gemacht, wo man Leute aus der Brandung rettete und solche Dinge. War vielleicht nützlich für den ▹Ruderverein, in dem er war. Aber ich glaube, er ist nie mit seinem Boot untergegangen, das blieb im VRV meinem Bruder vorbehalten. Peter war auch eine große Hilfe, als wir in ▹Zwischenahn unsere ▹A+R Mahagonijolle abgeschmirgelt haben. Er hat beinahe die ganze Arbeit gemacht. Dafür habe ich für den eiskalten Linie Aquavit gesorgt. In den Semesterferien haben wir beide gejobbt, er hat Öltanks auf einer Werft gereinigt, was damals irrsinnig gut bezahlt wurde. Der Sohn von Kapitän ▹Bögel, selbst schon Kapitän, ist bei einer Explosion in den Öltanks seines Schiffes ums Leben gekommen. Ich machte lieber ungefährlichere Dinge, ich fuhr ▹Bier oder machte ▹Wehrübungen. Peter hat auch ein Volontariat bei Schünemann gemacht, als das noch ein seriöser Verlag war, damals hat er mir witzige Texte mit Bleisatz gedruckt. Bleisatz gibt es heute auch kaum mehr.
Die Stadt Bremen verdankt Peter eine Menge, weil er als Denkmalschützer viele von den historischen Bauten vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Oder das Schlimmste gerade noch verhindern konnte. Kunst- und Baugeschichte; Denkmalpflege, Kunst- und Baugeschichte Bremen und Bremerhaven steht im Vademecum deutscher Lehr- und Forschungsstätten als Tätigkeitsbeschreibung hinter seinem Namen. Häufig waren das Projekte, die über Jahre gingen und an den Nerven fraßen. Manchmal bekam ich in dieser Zeit etwas ab, eine halbzerbrochene Kachel oder ein Stück vergoldeter Tapete aus einem Haus des 18. Jahrhunderts. Das älteste Geschenk ist ein Druck aus dem Jahre 1548, der bei mir an der Wand hängt. Die geringsten Probleme hatte er als Denkmalpfleger mit unserem Haus, da hat er meine Mutter ganz charmant rumgequatscht, und dann stand das ▹Haus aus dem Jahre 1830 unter Denkmalschutz. Wenig später die halbe ▹Straße.
Es zahlte sich aus, dass er nach dem Studium der Kunstgeschichte noch ratzfatz ein Jurastudium absolviert hatte. Als der schwedische Hotelkonzern Scandic das Haus Atlantis mit dem Himmelssaal in der ▹Böttcherstraße kaufte, hatte Peter viel Arbeit, um das Wichtigste zu bewahren. Damals wurde ja die ganze Böttcherstraße heimlich ausgewaidet, nachdem ▹Ludwig Roselius junior die Firma Kaffee Hag und mit der ganzen Böttcherstraße an das amerikanische Unternehmen Kraft Foods verkauft hatte. Die Fassaden sind noch da, aber dahinter sind dann Betonklötze, die Radisson Blu Hotel Bremen oder so ähnlich heißen. Er wurde bei seiner Arbeit nicht immer von der Politik unterstützt. Dazu fällt mir wenig ein. Bremen und Kultur, das war einmal etwas zur Zeit der ▹Goldenen Wolke. Was soll man zu Leuten wie ▹Willy Dehnkamp, ▹Moritz Thape (der die Ära Hübner am Bremer Theater beendete) oder Willy Lemke (ehemals ▹Werder Bremen) als Kultursenatoren sagen?
Manches geht im Leben schief. Unser Plan, an einem Abend Lyrik und Jazz zu präsentieren, zum Beispiel. ▹Lizzie hatte ich schon an der Hand, er war ein hervorragender Jazzpianist. Dass er ein guter Pianist war, fand unser Musiklehrer, der berühmte ▹Ernst Meißner zwar nicht, aber der war mir egal. Eine schöne Frau zum Vorlesen der Gedichte hatte ich auch schon, ich hatte immer gute Beziehungen zu schönen Frauen. Aber Peter kam mit dem Eröffnungsgedicht nicht über, das Morning in Copenhagen heißen sollte. Er gestand mir dann, dass er noch nie in ▹Kopenhagen gewesen sei. Ob er über London oder Paris schreiben könnte? Die schöne Vorleserin wollte aber Kopenhagen haben, nichts anderes. Das war das Ende der Geschichte. Abende mit Jazz und Lyrik waren Jahre später die große Sache, wir hätten die ersten sein können. Peters Gedicht liegt bei mir immer noch in der Schreibtischschublade.
Ich wollte Peter mal dafür begeistern, dass wir einen Katalog der Bilder und Skizzen von ▹Fritz Overbeck machen sollten. Ich hatte Zugang zum Overbeckschen Garten, wo der Rest des Werkes in einem gläsernen Gewächshaus mit zerbrochenen Scheiben dahinrottete. Peter guckte sich das an und schüttelte dann traurig den Kopf. Das lassen wir lieber, sagte er. Wir bedankten uns bei dem Fräulein Overbeck, die einsam in ihrer Villa auf dem Bröcken hockte. Wenn Peter sagte, dass es keinen Sinn hatte, dann hatte es keinen Sinn. Die Idee war aber, wie auch bei Jazz und Lyrik, gut gewesen.
Ein größerer Flop war eine denkmalpflegerische Geschichte Jahre später. Das Landesamt für Denkmalschutz hatte das Haus bei uns um die Ecke, das der Baumeister Johann Friedrich Kimm 1840 für den ▹Kapitän Ruyter gebaut hatte, aus einem völlig versifften Zustand wieder in ein kleines klassizistisches Juwel verwandelt. Und dann brachte die Stadt Bremen straffällig gewordene Jugendliche mit einem sogenannten Erzieher in dem Haus unter. Die es in kürzester Zeit wieder in einen versifften Zustand zurückführten. So etwas muss wehtun, wenn man für das Landesdenkmalamt arbeitet.
Aber der Ensembleschutz für Weserstraße und ▹Hafenstraße sind Peters Verdienst, dass der morsche ▹Walkiefer am Utkiek durch einen Bronzeguss ersetzt wurde, auch. Gegen den widerrechtlichen Abriss des historischen Landsitzes von ▹Arnold Duckwitz durch diesen fiesen Bernd Hockemeyer, der heute in Bremen als Kulturmäzen gilt, konnte er nichts machen. In solchen Fällen zeigt sich leider, dass das Landesamt für Denkmalschutz ein zahnloser Tiger ist. Wir wanderten einmal an der Aue hinter dem Schönebecker Schloss entlang, als ich Peter sagte, dass irgendwo dahinten die Villa von Hockemeyer sei. Der hat sich gerade eine Majolika Sammlung gekauft und spielt sich jetzt als der ganz große Sammler auf, knurrte Peter verächtlich. Ein paar hundert Meter weiter zeigte ich mit dem linken Arm auf den Landsitz der Familie von der Borch (nach denen die Borchshöhe heißt), der da oben durch den Wald schimmerte, und sagte: Und der von der Borch macht gerade Schlagzeilen als der Nuttenmörder von Frankfurt. Es geht alles den Bach runter mit dem Bremer hanseatischen Gehabe.
Es hatte den Peter sehr gefreut, dass ich in dem Post ▹Vaterlandsstolz etwas über den deutschen Aufklärer Helfrich Peter Sturz geschrieben habe, der in Bremen starb. Weil Peter als eins seiner Projekte die Restaurierung des Guts Landruhe, das damals einem Freund von Helfrich Peter Sturz gehörte, geleitet hat. Er hatte damals viel Ärger mit den Auftraggebern, sprich der Bremer Landesbank. Wenn es nach denen gegangen wäre, dann wäre das Haus außen weiß angepönt und innen entkernt worden. Wenn es nach dem Landesamt für Denkmalschutz geht, dann werden die Nägel, die man braucht, von Hand angefertigt. Wie im 18. Jahrhundert. Da kenne ich mich aus. Seinetwegen. Mach' 18. Jahrhundert, hat er mir vor einem halben Jahrhundert gesagt, niemand macht 18. Jahrhundert. Wenn Sie alles in diesem Blog gelesen haben, dann wissen Sie, dass hier viel ▹18. Jahrhundert vorkommt, ▹Peter Nicolaisen hat mit seinem Seminar damals die Basis dafür gelegt.
Über die Sache mit den teuren handgeschmiedeten Nägeln hat sich die Landesbank furchtbar aufgeregt. Peter hat mir im letzten Jahr ein Buch geschenkt, dass Carl Philip Cassel und sein Landgut 'Landruhe' heißt. Das werden Sie bei Amazon vergeblich suchen, es ist ein Privatdruck, in dem mein Freund alles über das Landgut und die Restaurierungsarbeiten schriftlich und photographisch niedergelegt hat. Wir haben uns immer unsere Publikationen zugeschickt, ich weiß nicht, ob ich mal in eine Widmung für ihn il miglior fabbro hineingeschrieben habe. Hätte ich tun sollen, wenn nicht, tue ich es jetzt. Als ich ihm meinen ▹Aufsatz über Thomas Cole und William Cullen Bryant geschickt hatte, schrieb er mir, dass er gerade in den Catskills gewesen sei: schöne Natur, aber überall die scheußlichen weißen Villen von ▹McKim, Meade und White.
Ich bin glücklich, dass ich ihm geschrieben habe - und es immer wieder in diesem Blog gesagt habe - was ich ihm alles verdanke. Einem Freund wie ▹Friedrich Hübner wird es schon peinlich, dass ich ihn immer wieder zitiere, aber wer anders als er schenkt mir einen Katalog der ▹Bremer Kunsthalle mit einem Brief von Günter Busch an ▹Wolfgang J. Müller? Ein Geschenk, das von Peter hätte sein können. Vor Jahrzehnten hatte Peter mir den Roman Der schwarze Herr Bahßetup geschenkt, was mich umgehend zu einem ▹Albert Vigoleis Thelen Fan machte. Dass ich ihm die Lektüre von ▹Le Grand Meaulnes verdanke, habe ich schon gesagt.
Zu Weihnachten bekam ich von ihm die Alfred Lichtwark Biographie von Henrike Junge-Gent, zum Geburtstag vor kurzem bekam ich nichts. Da machte ich mir Sorgen, mehr als ein halbes Jahrhundert kamen Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke auf die Sekunde genau, alles war liebevoll verpackt. Häufig Bücher über Bremen, die er wie ein Trüffelschwein aufspürte. So Sachen wie ▹Konrad Weichberger, den Roman ▹Melchior von Josef Kastein oder Nils Aschenbecks Buch über den Architekten ▹Ernst Becker-Sassenhof. Und neben den Bremensien, die bei mir ein Regal ausmachen (auch wenn wir unsere Heimatstadt nicht mehr mögen, hängen wir doch an ihr), kamen die Kunstbücher. Bücher, die mir neue Wege wiesen. Die muss ich jetzt alleine finden.
Als ▹Ekke mich anrief, um mir zu sagen, dass Peter gestorben war, war ich für einen Augenblick stumm. Aber ich hatte so etwas geahnt. Aus irgendeinem Grund fiel mir Hölderlins Hälfte des Lebens ein: Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Hälfte des Lebens ist lange vorbei. Das Weh mir bleibt.
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