Ich habe eine Fasoldt Taschenuhr, was ist sie wert? fragte mich der Amerikaner. Er hielt mich für die Autorität auf dem Gebiet der amerikanischen Taschenuhr im 19. Jahrhundert. So etwas schmeichelt einem ja schon. Ich bin zwar Mitglied der National Association of Watch and Clock Collectors und hatte gerade einen Artikel über amerikanische Taschenuhren geschrieben (den er offensichtlich gelesen hatte), aber die Autorität auf diesem Gebiet, das bin ich nicht. Aber was eine Fasoldt ist, das weiß ich schon. Kommt auf die Seriennummer an, sagte ich. So etwas klingt immer fachmännisch, und ist bei den wenigen Taschenuhren, die der deutsche Emigrant Karl Fasoldt in Amerika gebaut hat, auch nicht falsch. Und dann sagte ich: Mindestens 25.000 Dollar. Die Sache ist schon einige Zeit her, heute wäre diese Summe wahrscheinlich höher.
Und dann hat er mir die Geschichte dieser Uhr erzählt. Einer seiner Vorfahren hatte sie in den 1860er Jahren gekauft, der war Bürgermeister von Atlanta gewesen im Bürgerkrieg. Da wo der Feuerschein von Atlanta in Gone with the Wind so rot ist, dass er beinahe durch die großen Ohren von Clark Gable hindurch scheint. Der Bürgermeister war mit einer Tochter von Davy Crockett verheiratet. Und da dachte ich mir, dass man da die ganze amerikanische Geschichte des 19. Jahrhunderts hat, von den Pioniertagen im Westen bis zum Bürgerkrieg. Und mittendrin ein deutscher 1848er Revolutionär, der nach Amerika flieht und Uhren baut. Es sind schon Romane geschrieben worden, die haben weniger Handlung. Ende der fünfziger Jahre war ich als Ingenieur in Alaska, und da bin ich mit der Uhr zu einem Uhrmacher, erzählte mein Amerikaner.
Mich fröstelte ein wenig, nicht wegen Alaska. Das kannte ich aus dem Roman The Tent Peg von ➱Aritha van Herk, mit der ich mir mal ein Unibüro geteilt hatte. Ihr Mann (den ich auch kennenlernte) war Ingenieur in Alaska. In der Zeit, in der alles zugefroren war, hatte er frei, dann bretterte er mit einem Porsche ohne Einhaltung der Geschwindigkeitsgrenzen durch Kanada. Cool. Nein, mich fröstelte es wegen der Vorstellung, dass jemand ein Juwel der Uhrmacherkunst nach Alaska mitschleppt und es nicht in einen Tresor legt. Oder wenigstens eine Schublade. Der Uhrmacher hatte ihm gesagt, dass das eine alte Uhr wäre, die könne man nicht reparieren. Die sei auch nichts wert. Links neben der Tür sei eine Tonne, da könne er sie beim Rausgehen reinwerfen. Das war natürlich das Sahnetüpfelchen auf dem kleinen Uhrenroman, den ich in Gedanken schrieb. Eine Fasoldt in die Tonne werfen! Der Höhepunkt der amerikanischen Wegwerfmentalität. Glücklicherweise war mein Amerikaner so schlau, oder hatte soviel Respekt gegenüber seinem Erbstück, dass er dem Rat des stümperhaften Uhrmachers in Alaska nicht gefolgt ist.
Charles Fasoldt 1848 kam aus Dresden nach Amerika, angeblich gab es in seiner Heimat ein Todesurteil gegen ihn wegen revolutionärer Umtriebe. Aber leider ist über den Karl Fasoldt zwischen 1818 und 1848 wenig Gesichertes bekannt, außer dass er wie sein Vater Uhrmacher war. Es würde mich schon interessieren, ob er mit dem Rechtsanwalt C. Th. Fasoldt in Dresden verwandt war, der für Karl Gutzkow so wichtig war. Aber so wenig man über den Karl Fasoldt weiß, so viel weiß man über Charles Fasoldt. Arbeitet zuerst in Rome (New York), wo sein Bruder wohnte, als Uhrmacher und Instrumentenbauer und macht dann 1861 in Albany eine kleine Manufaktur für Uhren und mikromechanische Präzisionsgeräte auf. Er beschäftigt stellenweise fünfzig Arbeiter. Alles was er baut, ob Mikroskop, Taschenuhr, Großuhr und Turmuhr, ist wegen der hohen Qualität gesucht. Und das noch heute. Seine Turmuhren und seine Taschenuhren gehen immer noch, seine Mikroskope kann man immer noch benutzen. Seine Taschenuhren, von denen es nur wenige hundert gibt, zeichnen sich durch die ungewöhnliche Anordnung von Brücken und Kloben aus (die ein wenig an die Uhren von Albert H. Potter erinnert). Sie haben eine spezielle Feinregulierung, deren Patent ihm die Firma Howard abkauft. Und er erfindet eine spezielle Hemmung, die an die Coaxial Hemmung erinnert, die der englische Meisteruhrmacher George Daniels für Omega konstruiert hat. Fasoldt hat auch einmal werbewirksam eine seiner Uhren mit dieser speziellen Hemmung an einer Lokomotive befestigt. Nur seine Uhr überstand die Fahrt von Albany nach New York. Die anderen Uhren, die er zum Vergleich an der Lok befestigt hatte, waren alle stehen geblieben.
Unser deutscher Uhrmacher ist sicherlich eine Bereicherung der jetzt aufblühenden amerikanischen Uhrenindustrie, die in den Jahren nach dem Bürgerkrieg die qualitativ besten Taschenuhren der Welt herstellen wird. Nicht die Schweiz, wie man immer glaubt, nein, es sind die Amerikaner. Erstaunlicherweise verlassen in dieser Zeit drei der wichtigsten amerikanischen Uhrmacher die USA, um in die Schweiz zu gehen: Aaron Lufkin Dennison, Florentine Ariosto Jones und Albert H. Potter. Qualifizierte Arbeitskräfte für die Uhrenindustrie sind in Amerika bei der Vielzahl der neugegründeten Uhrenfabriken rar geworden, also sucht man sie in der Schweiz. Dort fühlt sich Dennison, der Vater der amerikanischen Uhrenindustrie nicht so recht zuhause. Und so zieht er weiter nach England, wo er die bedeutendste Fabrik für Uhrengehäuse gründet. Jones gründet in Schaffhausen die International Watch Company. Uhren mit dem Kaliber Jones zählen heute noch zu den gesuchtesten Taschenuhren, und die IWC hat vor einigen Jahren ein Replikat des Kaliber Jones auf den Markt gebracht. Und Albert H. Potter wird in Genf die qualitativ hochwertigsten und ästhetisch schönsten Taschenuhrwerke bauen, amerikanische Uhrmacherkunst made in Switzerland. Das hier ist eins davon:
Ich ärgere mich immer noch ein wenig, dass ich mir die Geschichte mit der Fasoldt damals nicht aufgeschrieben habe und meinen Uhrenbesitzer mit Fragen gelöchert habe. Welcher Bürgermeister von Atlanta war es, Thomas F. Lowe oder James Calhoun, der Sohn des berühmten John C. Calhoun? Oder hat er mir in der Tradition des amerikanischen tall tale einen gewaltigen Bären aufgebunden? Ich glaube es eigentlich nicht, irgendwie stimmte alles an der Geschichte. Aber se non e vero, e ben trovato, die Geschichte bleibt gut. Vor allem der Teil mit der Tonne, links von der Eingangstür.
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