Der tolle Tag, so der Untertitel von Beaumarchais, beschreibt die Hochzeitsvorbereitungen von Susanna und Figaro, die durch tausenderlei Dinge kompliziert werden. Würden sie nicht alle von der Liebe singen (manche auch vom Geld), würden wir das Boulevardtheater nennen. Aber dank der schönen Arien von Susanna und der Gräfin Almaviva, dank des Voi che sapete che cosa è amor von Cherubino, fällt die ein wenig holpernde Handlung nicht so auf. Manche Melodien wurden sofort zu Schlagern, oder Gassenhauern, wie man damals sagt. Wie das Non piu andrai, farfallone amoroso das Figaro dem Cherubiono im Liebestaumel auf dem Weg zum Militär alla gloria militar mitgibt. Wenig später zitiert Mozart diese Melodie schon in Don Giovanni als ziemlich bekanntes Lied, wenn die Bläser es als Festmusik spielen.
Von Le nozze di Figaro gibt es unzählige Aufnahmen, aber so sehr man für Elisabeth Schwarzkopf oder Frau Netrebko schwärmen mag, ernstzunehmende Kritiker empfehlen immer wieder die Decca Aufnahme von 1955 von Erich Kleiber oder die 1934 in Glyndebourne aufgenommene Inszenierung von Fritz Busch. Die hat als eine der ersten Aufnahmen der Oper natürlich technische Mängel. Gegen eine Decca Aufnahme wird man kaum jemals etwas sagen können, die hatten ja immer die bessere Technik als zum Beispiel die Konkurrenz von der EMI. Obgleich Menschen mit Fledermausohren behaupten, dass sie manchmal das Rumpeln der Londoner U-Bahn unter der Kingsway Hall hören können.
Mit Le nozze di Figaro ist 1934 das erste Festival von Glyndebourne eröffnet worden. Der Dirigent Fritz Busch war im Jahr zuvor von einem SA Mob aus der ➱Semperoper gegrölt worden und hatte Deutschland verlassen. Obgleich ihn Hitler, Goebbels und Göring gerne als Wagnerdirigenten in Deutschland gesehen hätten. Aber als Toscanini sich 1933 geweigert hatte, in Bayreuth aufzutreten, erklärte sich Busch mit seinem Kollegen solidarisch und verzichtete auf diese fragwürdige Ehre der Berufung durch den Wagner Clan. Man kann den Lohengrin ja auch in Buenos Aires und an der Met dirigieren. Erst einmal bietet ihm John Christie in Glyndebourne ein künstlerisches Zuhause. Der reiche Gutsbesitzer und Musikfreund, der nicht mit dem namensgleichen Massenmörder verwechselt werden sollte, hatte 1931 die kanadische Sopranistin Audrey Mildmay geheiratet. Jetzt baut er seiner Frau ein eigenes kleines Opernhaus. Seine ersten Dirigenten, Dramaturgen und Intendanten sind alle Emigranten aus Hitlers Reich, Fritz Busch, Carl Ebert und Rudolf Bing (der später noch Chef an der Met wurde). Das einzige Parteimitglied der NSDAP bei der Figaro Aufnahme von 1934 ist Willi Domgraf-Fassbaender. Der Bariton kann kein so überzeugter Nazi gewesen sein, sonst hätte Busch (und später Toscanini) ihn wohl nicht genommen.
Mit vielen aus diesem Ensemble wird Busch weiterarbeiten. Der Schotte Roy Henderson (der später der Gesanglehrer von Kathleen Ferrier wird), der den Grafen Almaviva singt, bleibt Glyndeborne von der ersten bis zur letzten Aufführung 1939 treu. Nach dem Kriegsausbruch gibt es kein Festival mehr, die Truppe geht mit The Beggar's Opera in England auf Tournee. John Christies Frau singt die Polly. Glyndebourne ist eine kleine, verschworene Gemeinschaft, die sich Mozart verschrieben hat. Eigentlich liebt John Christie, der im Ersten Weltkrieg als Captain gegen die Deutschen gekämpft hatte (und das Military Cross, den dritthöchsten englischen Militärorden, bekommen hatte), ja Richard Wagner. Dass Glyndebourne für seine Wagner Inszenierungen weltberühmt wird, das wird er nicht mehr erleben, denn das ist erst in den letzten zehn Jahren so gekommen.
Obgleich Glyndebourne natürlich etwas anderes ist als Bayreuth, wenn hier auf dem englischen Rasen die Opernfreunde bei schönem Sommerwetter in der anderthalbstündigen Pause in eleganter Abendgarderobe picknicken. Im engen Gestühl von Bayreuth in einem muffigen Saal zu sitzen, ist natürlich für Deutsche ein unverzichtbares, geradezu heiliges Erlebnis. Theodor Fontane hat das Bühnenweihfestspiel Parzifal nicht durchgehalten. Der war schon nach einer Stunde wieder draußen, wie er seiner Frau in einem witzigen Brief schreibt. Aber das Idyll von Glyndebourne, mit Frack, Dinner Jacket und Abendkleid auf dem grünen Rasen, ist bedroht. Man plant hier eine über achtzig Meter hohe Windturbine zu bauen. Um die dann draußen während der Aufführung rotieren zu hören, braucht man keine Fledermausohren wie für die U-Bahn Geräusche auf manchen Decca Aufnahmen.
Eine Schallplattenaufnahme von Fritz Buschs Le nozze di Figaro zu bekommen, war vor zwanzig Jahren so gut wie unmöglich. Heute genügt ein Klick bei Amazon, und wenig später kann man für € 7,99 Audrey Mildmay (Susanna), Aulikki Rautawaara (Contessa), Roy Henderson (Conte Almaviva) und Willi Domgraf-Fassbaender (Figaro) im eigenen Wohnzimmer hören. Man kann da natürlich auch Abendkleidung anlegen und auf dem Teppich ein Picknick machen. Auf DVD gibt es aus Glyndebourne eine sehr schöne Aufnahme von Bernard Haitink, bei der auch die Inszenierung Vergnügen bereitet. Renée Fleming und Andreas Schmidt als Grafenpaar sind O.K., aber sensationell sind Alison Hagley und Gerald Finley als Susanna und Figaro. Da kann man Anna Netrebko getrost vergessen.
Lesen Sie auch: ➱The marriage of Figaro und ➱Opernhaus Hannover.
Kenne Hagley und Finley nicht einmal, Netrebko natürlich (ich wohne derz. in Wien), danke für die Anregungen!
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