Dienstag, 2. November 2010

Nachtigallen



Sie nennen dich die Nachtigall
Mit dürftgem Bilderraube,
So süß auch deiner Lieder Schall,
Doch nenn ich dich: die Taube.

Und bist du Rose, wie dus bist,
Seis denn die Alpenrose,
Die, wo sich Schnee und Leben küßt,
Aufglüht aus dunklem Moose.

Du bist nicht Farbe, bist das Licht,
Das Farben erst verkündet,
Das, wenn sein Weiß an Fremdem bricht,
Die bunte Pracht entzündet.

Und spenden sie des Beifalls Lohn
Den Wundern deiner Kehle,
Hier ist nicht Körper, kaum noch Ton,
Ich höre deine Seele.


Das musste Franz Grillparzer ja unbedingt so dichten, auf Jenny Lind, die man die schwedische Nachtigall nannte. Heute vor 123 Jahren ist sie gestorben, es gibt keine Tondokumente von ihr, suchen Sie nicht bei Amazon. Nur Wörter, die ihre Sangeskunst beschreiben. Aber natürlich tritt sie im Film auf, 1941 als Ilse Werner. Die kann zwar pfeifen, aber nicht singen, Erna Berger hat die Lieder für sie gesungen. Aber für Millionen Deutsche ist sie damals Jenny Lind. Und die Vorzeigesängerin für die Nazis, ihre ganze Karriere passt zwischen Wunschkonzert und Große Freiheit Nummer Sieben.

Hans Christian Andersen war von der Lind hingerissen. Hat das Märchen von der Nachtigall geschrieben. Das, wo der ganze chinesische Hof auf der Suche nach der so wunderbar singenden Nachtigall ist. Und nur das kleine arme Mädchen in der Küche (diese kleinen armen Mädchen mit Schwefelhölzern oder Fischschwänzen bei Andersen hängen einem ja allmählich zum Hals raus), das weiß, wo die Nachtigall zu finden ist: O Gott, die Nachtigall, die kenne ich gut, ja, wie kann die singen! Jeden Abend habe ich die Erlaubnis, meiner armen, kranken Mutter einige Überbleibsel vom Tische mit nach Hause zu bringen; sie wohnt unten am Strande, und wenn ich dann zurückgehe, müde bin und im Walde ausruhe, dann höre ich die Nachtigall singen; es kommt mir dabei das Wasser in die Augen, und es ist gerade, als ob meine Mutter mich küßte! 

Damit ist die Lind gemeint, haben die Leser gesagt, und so ist aus ihr die schwedische Nachtigall geworden. Und die Nachtigall im Märchen, die den Tod hinweg gesungen hatte, als der sich schon auf die kalte Brust des Kaisers legte, sagt dem Kaiser am Schluss: Ich kann nicht nisten und wohnen im Schlosse, aber laß mich kommen, wenn ich selbst Lust habe, da will ich des Abends dort beim Fenster sitzen und Dir vorsingen, damit Du froh werden könnest und gedankenvoll zugleich. Ich werde von den Glücklichen singen und von denen, die da leiden; ich werde vom Bösen und Guten singen, was rings um Dich her Dir verborgen bleibt. Der kleine Singvogel fliegt weit herum zu dem armen Fischer, zu des Landmanns Dach, zu jedem, der weit von Dir und Deinem Hofe entfernt ist. Ich liebe Dein Herz mehr als Deine Krone, und doch hat die Krone einen Duft von etwas Heiligem um sich. Ich komme und singe Dir vor! Das hier sind natürlich nicht Jenny Lind und Hans Christian Andersen, das sind Mary Alice Therp und Thorkild Roose, die 1930 in Odense in die Rollen geschlüpft sind.

Ja, l'amour est un oiseau rebelle, niemand kann die Nachtigall besitzen. H.C. Andersen nicht, und viele andere auch nicht. Den Chopin hätte sie gerne zum Ehemann gehabt, sie hat ihn sogar in Paris in seiner Wohnung am Place Vendôme besucht. Aber der will irgendwie nicht. P.T. Barnum hat in Amerika ein Millionenvermögen mit ihr verdient, noch nie hatte es einen solchen Starrummel gegeben. Sie hat auch ganz gut an dem Amerika Gastspiel verdient, aber sie tut mit ihrem Geld nur gute Werke. Unausstehlich edel.

Warum ist sie nicht zickig? Wir sind das aus der Welt der Oper gewöhnt, dass Operndiven schlimme Zicken sind. Wir hätten da eine, Henriette Sontag (oben), die deutsche Nachtigall. Der Maler ➱Carl Blechen hat seine Stelle als Bühnenmaler in Berlin verloren, weil er sich mir ihr gezofft hat. Die Welt ist damals im Sontag Fieber. Fürst Pückler ist in sie verliebt. Goethe ist von ihr hingerissen. Börne ist kritischer. Also das sprachliche Feuerwerk ➱hier über Henriette Sontag in Frankfurt, das muss man einfach gelesen haben.

Es ist jetzt die Zeit der Diven. Spätestens seit Angelica Catalani (links). Oder ➱Maria Malibran. Und Adelina Patti, Thérèse Tietjens oder Christina Nilsson. Wahrscheinlich ist die Sontag gar nicht so gut gewesen, wahrscheinlich wollen wir nur in dem neuen international Diven Zirkus unsere eigene Göttin haben. Und deshalb schreiben Börne und Goethe und Hoffmann von Fallersleben über sie. Ludwig Rellstab sogar einen Roman, Henriette, oder die schöne Sängerin. Heinrich Heine ist da eher skeptisch und sieht das als Modephänomen. Und in dem Romanzero Gedicht 16. Oktober 1849 schreibt er:

Es knallt. Es ist ein Fest vielleicht,
Ein Feuerwerk zur Goethefeier! –
Die Sontag, die dem Grab entsteigt,
Begrüßt Raketenlärm – die alte Leier.


Da ist die Sontag nach 19 Jahren zum ersten Mal wieder auf der Bühne gewesen, hatte sieben Kinder in der Zwischenzeit großgezogen. Jetzt singt sie wieder, sie braucht das Geld. Sie ist dann auf einer Mexiko Tournee an der Cholera gestorben (fünf Jahre vorher war die Catalani in Paris an der Cholera gestorben). Irgendwie haben diese Diven jetzt ein Leben und einen Tod, der wie ein Libretto für eine melodramatische Oper wirkt. Immer wieder kommen sie vom biederen, bürgerlichen Weg der Jenny Lind ab, la traviata. Die Malibran fällt in London auf der Jagd vom Pferd, weigert sich aber, sich behandeln zu lassen. Und steht mit Knochenbrüchen und schwanger weiter auf der Bühne. Ist dann wenig später aber tot.

In unserem Jahrhundert hat es ja eine Vielzahl von Primadonnen gegeben, die den Diven des 19. Jahrhunderts nacheiferten und sich ein melodramatisches Leben inszenierten, die ➱Callas ist nur eine von vielen. Und wenn Anna Netrebko auch noch nicht an die Callas heranreicht, inszeniert sie sich wie eine amerikanische Sängerin namens Madonna. Die heißt zwar nicht Madonna und kann auch nicht singen, aber in der Welt der Selbstinszenierung macht das gar nichts aus. Man kann nur hoffen, dass eine Sängerin mit einer so großen Stimme wie Elīna Garanča diesen Weg nicht geht.

Von dem Zirkus unberührt blieb eine der ganz Großen, die vor drei Wochen gestorben ist, und die die Kritiker la stupenda, die Fabelhafte, genannt haben: Joan Sutherland. Die trotz des Ruhmes und der internationalen Anerkennung immer normal geblieben ist. I'm a mum, sagte sie dem Journalisten des Guardian im Jahre 2002, I never thought of becoming a diva. I just wanted to sing the roles and get on with my work. I used to come to the theatre in a taxi, not in some Rolls-Royce. I didn't have time to do all that silly stuff. Wahrscheinlich hat sie deshalb auch als letztes Lied bei ihrem letzten Auftritt Home, Sweet Home gesungen.

Ich hatte mir vor Wochen überlegt, ob ich sie mit einem kleinen Artikel würdigen sollte, habe es dann aber verworfen. Ich weiß nicht genug über sie. Nicht soviel, wie meine ehemalige Kollegin Iris, die alles über alle Primadonnen wusste. Die schrieb auch für die Opernzeitung orpheus und hatte Joan Sutherland gekannt und eine englische Biographie über Joan Sutherland ins Deutsche übersetzt. Dass ich Opernaufnahmen von Joan Sutherland besitze, ist eigentlich eher ein Zufall. Sie ist mir sozusagen im Doppelpack ins Haus gekommen, weil ich für die kanadische Mezzosopranistin Huguette Tourangeau schwärme. Und Tourangeau und Sutherland in vielen Opern (aber auch bei Händels Messias), die Richard Bonynge dirigierte, nebeneinander auf der Bühne standen. Und sich sängerisch jahrelang wunderbar verstanden. Also zum Beispiel bei der Decca Aufnahme von Maria Stuarda. Aber auch bei Lucia die LammermoorLes Huguenots, Les contes d'Hoffmann und der Fledermaus. Da gibt es für mich auch nach Jahrzehnten nichts Besseres. Und an dieser Stelle gibt es noch eine Diskographie mit weiteren Links.

Wenn ich damals schon nicht über sie geschrieben habe, dann habe ich es doch mit Freude zur Kenntnis genommen, dass einer meiner Leser, der den sehr empfehlenswerten und immer wieder verblüffenden Blog ➱MartininBroda schreibt, die Sangeskunst der prima donna assoluta gewürdigt hat.

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