Sonntag, 29. Januar 2012
Fahrstuhl zum Schafott
Es wäre beinahe ein perfekter Mord geworden. Was das Töten bedeutet, das weiß der Julien Tavernier, der von Maurice Ronet gespielt wird, der ehemalige Fallschirmjäger ist gerade aus Indochina zurück. Den ungeliebten Ehemann von Jeanne Moreau umzubringen, ist keine große Sache. Und alles wäre perfekt gelaufen, wenn nicht ein Kleinkrimineller mit einer schwarzen Lederjacke Juliens Wagen geklaut und einen Mord begangen hätte. Und wenn der Hausmeister nicht den Fahrstuhl abgeschaltet hätte. So wird der zu einem Fahrstuhl zum Schafott. Wir sind in einem Film von Louis Malle, der heute vor 54 Jahren in die Kinos kam.
Schwarz-Weiß, düster, ein wenig Film Noir, eine wenig Neue Welle. Und ein unvergesslicher Soundtrack, wenn Jeanne Moreau nachts im Regen durch die Straßen von Paris irrt. Und tolle Autos, ein Flügeltüren Mercedes kommt auch drin vor. Der Kleinkriminelle klaut das Auto von Maurice Ronet ja auch nur, weil das ein Cabriodach hat, das sich selbst versenkt. Das sieht man 1958 nicht so häufig. Einen Mercedes 300 SL natürlich auch nicht, das kleine 190er Modell schon. Sogar in unserem Kaff gab es einen, den ein Werftbesitzer seiner Tochter geschenkt hatte. Die Gattin vom Chefarzt des Krankenhauses hatte nur einen NSU Spider, der im Volksmund Facharbeiter-Porsche hieß. Der 190 SL galt immer als ein bisschen prollig, zumal Rosemarie Nitribitt einen hatte. Weshalb die Werbung der Firma Regent das Modell verwendete, weiß ich nicht.
Louis Malle liebt Autos, er hat auch einmal einen Dokumentarfilm über Citroen gedreht. Und er hat einmal gesagt: Wenn man in einem Bentley fahren gelernt hat, tritt der Wunsch nach einem Rolls-Royce etwas in den Hintergrund. Er kommt aus einer sehr reichen Familie, er kennt die Bourgeoisie, die er in seinen Filmen beschreibt. Alte französische Filme sind ja eine Fundgrube für Nebensächlichkeiten. Also für Cinéasten, die den Film schon x-mal gesehen haben und nicht mehr auf die Handlung achten.
Die achten jetzt auf die kleinsten Details: Klamotten, Autos, Werbung im Hintergrund, wie die flackernde Kronenbourg Lichtreklame. Ich habe die Szene nie vergessen, wie Maurice Ronet in ✺Feu Follet im Vorbeigehen dem Zimmermädchen des Hotels, wo er die Nacht mit Lydia (Léna Skerla) verbracht hat, statt eines Trinkgelds seine Armbanduhr schenkt. Er braucht sie eh nicht mehr, er weiß, dass er Selbstmord begehen wird. Es sind diese kleinen Gesten, die große Filme machen.
Und natürlich die eleganten Klamotten. Den dunklen Anzug von Félix Marten oder den Regenmantel von Lino Ventura hätte man damals schon gerne gehabt. Natürlich ging man damals nicht nur wegen der Herrenmode und der Autos in französische Filme, obgleich das schon ein starker Anreiz war. Denn von der Mode und den Automobilen her gesehen gaben deutsche Filme wie Immer diese Radfahrer oder Wehe, wenn sie losgelassen (die gleichzeitig mit Fahrstuhl zum Schafott erschienen) ja nicht so viel her. Da boten französische Filme natürlich mehr; der Facel Vega, den Yves Montand in Aimez-Vous Brahms? fährt, war doch schon das Geld der Kinokarte wert. Ein Facel Vega war schon etwas besonderes, es gab in Bremen einen einzigen, der immer am Osterdeich gegenüber vom Weserstadion stand. Es war übrigens auch ein Facel Vega, in dem Albert Camus zu Tode kam.
Film ist, mit schönen Frauen schöne Sachen anzufangen, hat Truffaut gesagt. Und in diesem Punkt hatte Fahrstuhl zum Schafott auch etwas zu bieten, denn dieser Film bedeutete für Jeanne Moreau den Durchbruch zum internationalen Star. Sie wird in diesem Film hervorragend in Szene gesetzt von dem Kameramann Henri Decaë. Der hat ja auch viele coole Jean Pierre Melville Filme photographiert, das kann er nicht nur in Schwarzweiß, wie er zehn Jahre später in Der eiskalte Engel beweist. Die Photographie hat sicher viel dazu beigetragen, dass der Film den begehrten Prix Louis Delluc gewonnen hat.
Und last but not least hat dieser Film diesen wunderbaren Soundtrack, der Jazz Geschichte gemacht hat. Der Jazzfan Louis Malle hatte Miles Davis dazu überreden können, die Musik für den Film einzuspielen. Eine Studio Session, eine Nacht, völlig improvisiert: Was er machte, war einfach verblüffend. Er verwandelte den Film. Ich erinnere mich, wie er ohne Musik wirkte; als wir die Tonmischung fertig hatten und die Musik hinzufügten, schien der Film plötzlich brillant. Es war nicht so, dass die Musik (…) die Emotionen vertiefte, die die Bilder und der Dialog vermittelten. Sie wirkte kontrapunktisch, elegisch und irgendwie losgelöst. Das Album Ascenseur pour l’échafaud ist zu einer der berühmtesten Miles Davis Platten geworden.
Fahrstuhl zum Schafott ist ein Film, in dem alles stimmt: Darsteller, Photographie und Musik. Dazu die Reste des amerikanischen Film Noir, gewürzt mit einer Prise vom französischen Existentialismus. Die eleganten Klamotten und die Autos nicht zu vergessen. Setzen Sie sich vor den Bildschirm Ihres Computers, klicken Sie ✺hier und zünden Sie sich eine Gauloise an.
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