Samstag, 6. Dezember 2014

Nikolaus


Es ist vor Weihnachten immer wichtig, möglichst viele schöne Kunstpostkarten zu kaufen. Die sind ja furchtbar teuer geworden, aber ich habe da eine Quelle, wo sie nur zehn Cent kosten. Dort fand ich in der letzten Woche ein Dutzend Karten von ➱Horst Janssen und ganz viele von dänischen Malern, die ich nicht kannte. Die schönste Karte zeigt ein Gemälde von Oluf Høst mit dem Titel Vintereftermiddag aus dem Jahre 1951. Das Bild, das so ähnlich aussieht wie dieses hier, hängt in Vejle im Kunstmuseum. Es zeigt sein eigenes Haus Bognemark, das er immer wieder gemalt hat. Hunderte von Malen. Am eindrucksvollsten auf diesen Bildern, auf denen man durch das offene Scheunentor die untergehende Wintersonne sehen kann.

Dies Bild von Høst hängt in Ribe, es ist aus dem Jahre 1948. Vejle ist viel größer als Ribe, aber dafür ist Ribe älter und hat die schönere Kirche. Mit einem kuriosen kleinen ➱Hl Georg. Oben vom Kirchturm kann man weit über die Nordsee gucken, aber dass man bis England gucken kann, das erzählen wohl nur die Fremdenführer. Professor Alfred Kamphausen hat uns das bei der Dänemark Exkursion natürlich nicht erzählt, aber dafür habe ich gelernt, dass die Steine für den Bau per Schiff aus Köln gekommen sind. Oluf Høst kommt aber nicht aus Ribe oder Vejle, er ist ein Maler aus Bornholm, in Gudjem gibt es ein Oluf Høst Museum. Bornholm kenne ich ziemlich gut, aber ich muss zugeben, dass ich damals mehr an hübschen blonden ➱Däninnen und ➱Schwedinnen, als an den Malern der Bornholmer Schule interessiert war.

Nicht zu der Bornholmer Schule gehört Svend Arne Engelund, aber in dem Konvolut von Postkarten gab es auch eine Vielzahl seiner Landschaftsbilder. Da bilde ich doch mal eben eins ab, auch wenn die Bilder von Høst besser zu dem Winter passen, der uns umgibt. In diesem Blog gibt es zur dänischen Kunst zwar schon Blogs, die ➱Dänische Kunst, ➱Skagen, ➱Vilhelm Marstrand oder ➱Nordlichter heißen, aber ich habe das Gefühl, ich sollte mich mal über die dänische Malerei von den dreißiger bis zu den fünfziger Jahren etwas schlauer machen. Zumal ich mehrere Bilder aus dieser Zeit habe. Vielleicht fange ich mal mit Mogens Kragh Pedersen an. Wir schieben das aber erstmal in den Sommer. Jetzt ist erst einmal Advent, Nikolaus und Weihnachten. Und die schönen Karten behalte ich natürlich. Die bekommt keiner.

In den letzten Jahren ist in diesem Blog der Hl Nikolaus und der Nikolaustag immer mal wieder gewürdigt worden. Im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Blogger gab es hier einen schönen Post über das Nikolauslaufen im Bremen meiner Jugend. Und da mich damals noch nicht so viele Leser lasen wie heute, dachte ich mir, ich stelle den Post, der damals ➱Sünnerklaas hieß, heute noch einmal hierher. Im Gegensatz zu all den Süßigkeiten in Socken und Schuhen hat dieser Text ja kein Verfallsdatum:

Als die Winter noch regelmäßig kälter waren als in diesen Tagen, als die Straßenbeleuchtung noch spärlich war und der Schutzmann noch einen Tschako trug, da waren am Abend des Nikolaustages in Bremen lauter kleine Nikoläuse unterwegs. Der Heilige Nikolaus hieß in dieser Gegend auch Sünnerklaas, was plattdeutsch für Sankt Klaus ist. Je weiter man nach Holland kam, desto mehr verwandelte sich dieses Sünnerklaas (oder Sünnerklaus) zu Sinnerklaas. Es blieb aber immer der selbe Heilige Nikolaus von Myra, der der Schutzheilige der Kinder und der Seefahrer ist. Weshalb auch jede Hafenstadt eine Nikolaikirche hat. Obgleich Bremen von den Amerikanern besetzt war, hatte Halloween mit trick-or-treat auf uns noch nicht abgefärbt. Bei uns gab es das Nikolauslaufen. Dazu musste man sich verkleiden, eine rote Mütze, ein falscher Bart und ein Stock (die symbolischen Reste des Bischofstabs) gehörten zu dem Outfit. Opas Spazierstock eignete sich hervorragend dafür. Und natürlich ein Sack, in den man die empfangenen Süßigkeiten wie Moppen und Spekulatius tat. Und man musste sein Sprüchlein an jeder Tür in der Nachbarschaft aufsagen:

Nikolaus de gode Mann,
kloppt an alle Dören an.
Lüttje Kinner gifft he wat,
grode steckt he in'n Sack.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.
Und wenn da nicht schnell genug die Süßigkeiten rausgerückt wurden, dann kam da noch, unter Aufstampfen des Stockes, eine zweite Strophe:

Ick bin en lüttjen König,
geevt mi nich to wenig,
Laat mi nich so lange stahn,
ick mutt all weder wiedergahn.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.

Es ging immer nah Bremen to, da wollten die Bremer Stadtmusikanten auch hin (Ei, was, du Rotzkopf, sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall). Nun macht es ja keinen großen Sinn, halli, halli, hallo, so geiht nah Bremen to zu singen, wenn man sowieso in Bremen ist. Obgleich die Stadt Bremen für uns in Nordbremen weit, weit weg war. Irgendwie scheint diese Sache mit Bremen (wie vielleicht auch das ganze Nikolauslaufen) aus den Liedern zu kommen, die am Martinstag im in Ostfriesland gesungen wurden, wo es Sünnematten, Mattenherrn oder Matten Matten Mähren hieß. Da sang man dann:

Matten-, Mattenmähren,
die Äpfel und die Beeren,
gute[r] Frau [Mann], gib uns was.
Lass uns nicht so lange steh'n!
Wir wollen noch nach Bremen geh'n.
Bremen is ne große Stadt,
da kriegen alle Kinder wat,
die Großen und die Kleinen,
sonst fang se an zu weinen.

Im 19. Jahrhundert hat es in Bremen - der Stadt von der man in Liedern und im Märchen träumt, dass dort alles besser ist - noch andere Strophen zu dem Nikolauslied gegeben, wie zum Beispiel:

Miin Vadder is Zigarrenmaaker,
miin Mudder ruppt Toback.
Un wenn ji dat nich glöben wüllt,
denn steck ick jo inn'n Sack.
Halli, halli, hallo
So geiht na Bremen to.

Das wurde nun wohl in den Stadtteilen gesungen (es ist auf jeden Fall aus Hastedt überliefert), wo die weniger Begüterten wohnten. Und man muss wahrscheinlich auch betonen, dass das Nikolauslaufen zuerst eine Sache der ärmeren Schichten gewesen ist, bevor es im 19. Jahrhundert von allen Bremer Kindern adaptiert wurde. Die Zigarrenmaaker kommen in unzähligen Bremer Döntjes aus dem 19. Jahrhundert vor. Man kann der Strophe auch entnehmen, dass Frauenarbeit in den Bremer Zigarrenfabriken selbstverständlich ist - miin Mudder ruppt Toback -  und auch die Kinderarbeit, selbst wenn sie hier im Nikolauslied nicht vorkommt. Die Zigarrenmaakers sind die erste gewerkschaftlich organisierte Gruppe in Bremen, wo es in der Mitte des 19. Jahrhunderts 78 Tabakfabriken gab. Sie bildeten auch ein Element gesellschaftlicher Unruhe in der sonst festgefügten konservativen bürgerlichen Struktur des 19. Jahrhunderts. Ihr Zusammenschluss verfolgte neben der Wahrung sozialer Interessen auch Ziele in der Allgemeinbildung. Und sie hatten Vorleser in der Fabrik.

Vielleicht kann man das mit den Zigarrenmachern in Kuba vergleichen, die in ihren Fabriken einen Vorleser hatten, der ihnen während der Arbeit Romane vorlas. So hörten die Arbeiter Victor Hugo, Alexandre Dumas, Jules Verne, Shakespeare und Emile Zola. Angeblich sollen so die Zigarrenmarken Montechristo und Romeo y Julieta nach dem Grafen von Montechristo und Shakespeares Theaterstück benannt worden sein. Manchmal lasen die Vorleser auch Politisches aus Zeitungen vor, was bei den Fabrikbesitzern nicht so gut ankam (und manchmal verboten wurde). Ob der leidenschaftliche Zigarrenraucher Karl Marx das gewusst hat? Auch in den Bremer Tabakfabriken hat es solche Vorleser gegeben, die von den Arbeitern bezahlt wurden. Manchmal waren das auch Kinder und Handlanger, die kosteten nicht so viel. Der Beginn der Arbeiterbildung liegt, auf jeden Fall in Bremen, im Tabakrauch.

Vorleser  (und Vorleserinnen) gibt es in Kuba heute immer noch, auch wenn sie - wie Guillermo Cabrera Infante in seiner wunderbaren Kulturgeschichte des Rauchens Holy Smoke etwas gehässig sagt - heute die Gesammelten Werke von Fidel Castro vorlesen müssen. Die erste Zigarrenfabrik in Kuba, die einen bezahlten Vorleser gehabt haben soll, hieß El Figaro. Wenig später folgte Don Jaime Partagas (die Firma und die Zigarre heißt immer noch so), der dem Vorleser sogar ein Lesepult spendierte. Als der amerikanische Innenminister W.H. Seward kurz nach dem Bürgerkrieg die Fabrik von Partagas besuchte, war er von diesem System begeistert. Da hatten schon alle Tabakfabriken in Cuba einen Vorleser. Was sie damals noch nicht hatten, waren (im Gegensatz zu Bremen) weibliche Arbeitskräfte. Diese Geschichte, dass eine gute Zigarre auf den Schenkeln einer Kubanerin gerollt sein muss, entstammt männlichen Phantasievorstellungen. Erst Ende der 1870er Jahre fängt die erste Frau in einer Zigarrenfabrik auf Cuba an. Da ist die Oper Carmen schon aufgeführt worden.

Ich erwähne die nur, weil da eine Zigarettenfabrik drin vorkommt, die der berühmte Wilfried Minks (von Bremen nach Hannover ausgeliehen) Anfang der sechziger Jahre in Hannover so schön auf die Bühne gezaubert hatte. Und der Regisseur hatte den Einfall, Carmen auf der Bühne rauchen zu lassen. Und sie dann so wahnsinnig cool die Ziggi wegschnippen zu lassen, bevor sie L'amour est un oiseau rebelle singt. Der Effekt wurde aber bei der Premiere noch übertroffen. Ein junger, schlaksiger Verehrer der Sängerin der Carmen wanderte den linken Gang entlang bis zur Bühne und warf der Sängerin eine langstielige rote Rose vor die Füße, als sie mit der Habanera fertig war. Danach verließ er den Zuschauerraum. Die Krönung des Ganzen war, dass er eine rote ➱Lederjacke trug. Wo um alles in der Welt kriegt man Anfang der sechziger Jahre eine quietscherote Lederjacke her? Roter als jeder Nikolausmantel. Ich war die ganze Aufführung lang neidisch. Auf die rote Lederjacke und auf diesen Kerl, der die Sängerin kannte.

Wenn die Strophe mit dem lüttjen König allen geläufig ist, so scheint es in Bremen im 19. Jahrhundert dabei auch noch eine Variation gegeben zu haben, die weniger auf kleine Könige und auf Kinder von Zigarrenmaakers als auf soziales Elend hinweist:

Ick bün so’n lütten Schipperjung,
Mutt all miin Broot verdeen’n,
Den ganzen Dag in’t water stan
Mit mine korten Been’n
Halli, halli, hallo,
Nu geiht’t na Bremen to

Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Schreiben: da fange ich mit einer Kindheitserinnerung an, mit Versen, die ich immer noch aufsagen kann, und dann muss ich erkennen, dass wir Bremer mit diesem schönen Brauch nicht allein gewesen sind. Nikolauslaufen hat es überall gegeben. Inzwischen ist es beinahe ausgestorben, jetzt importieren wir kommerzialisierte amerikanische Bräuche wie Halloween. Im Norddeutschen Rundfunk wird darüber abgestimmt, ob die Hörer Last Christmas von Wham hören sollen. 54 Prozent der Anrufer sind dafür. Ich könnte wetten, dass keiner von denen, die den zum Dudelfunk heruntergekommenen NDR hören, ein halbes Dutzend deutscher Weihnachtslieder mit allen Strophen beherrscht.

Und die Zigarrenfabriken in Bremen gibt es auch nicht mehr, wenn man von Resten wie Martin Brinkmann (Lux, Peer Export, Lord Extra) mal absieht. Das ist aber nichts mehr vom Glanz der großen Zeit, als der Zigarrenkönig Friedrich Biermann von der Firma Leopold Engelhardt&Biermann sechstausend Arbeiter beschäftigte. Durch die für Bremen ungünstige Zollordnung hat sich die Zigarrenfabrikation in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts nach Bünde in Westfalen verlagert. Mein Opa hätte die Villa von Biermann in St. Magnus in den zwanziger Jahren billig kaufen können. Aber dann hätte er jeden Morgen zu seiner Schule durch den Arbeiterstadtteil Grohn (der für ihn den bösen Beinamen Kamerun bei Pumpe hatte) marschieren müssen, und das war dem kaisertreuen Ex-Hauptmann nun wirklich nicht zuzumuten.

Je mehr ich begann, den Anfängen des Nikolauslaufens nachzugehen, musste ich feststellen, dass natürlich die Volkskundler und die Lokalhistoriker sich schon mit dem Thema beschäftigt haben. War ja auch anzunehmen, dass hinter all dem, was wir tun, etwas Mythisches steckt. So wie es uns James George Frazer und Jessie L. Weston (ohne die wäre Eliots The Waste Land nichts geworden) gezeigt haben. Das interessiert einen aber nicht, wenn man mit kalten Füßen, laufender Nase und schidderigem roten Bademantel im Dunkeln an einer fremden Tür klingelt und die magischen Worte sagt: Nikolaus de gode Mann, kloppt an alle Dören an.


Mehr Weihnachtliches in diesem Blog unter: ➱Santa Claus, ➱Weihnachtsvorbereitungen, ➱Donder and Blitzen und ➱Weihnachtsbäume

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen