Dienstag, 26. April 2016

Tanzseuche


Heute vor 680 Jahren hat Petrarca den Mont Ventoux erklommen, könnte man prima drüber schreiben. Allein, den ausführlichen Post ➱Mont Ventoux, den gibt es in diesem Blog schon. Das hier auf dem Bild von Rob Ijbema ist der Mont Ventoux. Die vielen kleinen Farbflecken, die sich den Berg hinauf ringeln, sind keine Nachfolger von Petrarca. Das ist die Tour de France im Jahre 2013. Ich selbst habe mit Bergen aller Art nicht so viel im Sinn. Wenn Sie den Post ➱Nick Drake lesen, wissen Sie mehr darüber. Wenn auch die Alpen nicht so mein Ding sind, gibt es in diesem Blog erstaunlich viele Posts zu dem Thema, ich liste unten mal einige auf. Natürlich gibt es genügend Gedichte über die Alpen. Auch sehr lange. Wie jenes Gedicht, über das der Verfasser im Vorwort schreibt:

Dieses Gedicht ist dasjenige, das mir am schwersten geworden ist. Es war die Frucht der großen Alpen-Reise, die ich An. 1728 mit dem jetzigen Herrn Canonico und Professor Geßner in Zürich getan hatte. Die starken Vorwürfe lagen mir lebhaft im Gedächtnis. Aber ich wählte eine beschwerliche Art von Gedichten, die mir die Arbeit unnötig vergrößerte. Die zehenzeilichten Strophen, die ich brauchte, zwangen mich, so viele besondere Gemälde zu machen, als ihrer selber waren, und allemal einen ganzen Vorwurf mit zehen Linien zu schließen. Die Gewohnheit neuerer Zeiten, daß die Stärke der Gedanken in der Strophe allemal gegen das Ende steigen muß, machte mir die Ausführung noch schwerer. ich wandte die Nebenstunden vieler Monate zu diesen wenigen Reimen an, und da alles fertig war, gefiel mir sehr vieles nicht. Man sieht auch ohne mein Warnen noch viele Spuren des Lohensteinischen Geschmacks darin. Sie können Albert von Hallers Gedicht ➱hier lesen, vielleicht reicht es auch, wenn Sie den Post ➱Albrecht von Haller lesen.

Mein Alpengedicht kommt heute von Ludwig Uhland, weil der an einem 26. April Geburtstag hat. Sein Gedicht Des Sängers Fluch stand früher in jedem Lesebuch, heute wohl nicht mehr. Ich präsentiere sein Gedicht Der Graf von Greiers:

Der junge Graf von Greiers, er steht vor seinem Haus,
Er sieht am schönen Morgen weit ins Gebirg hinaus,
Er sieht die Felsenhörner verklärt im goldnen Strahl
Und dämmernd mitten inne das grünste Alpenthal:

»O Alpe, grüne Alpe, wie zieht's nach dir mich hin!
Beglückt, die dich befahren, Berghirt und Sennerin!
Oft sah ich sonst hinüber, empfand nicht Leid noch Lust;
Doch heute dringt ein Sehnen mir in die tiefste Brust.«

Und nah und näher klingen Schalmeien an sein Ohr,
Die Hirtinnen und Hirten, sie ziehn zur Burg empor,
Und auf des Schlosses Rasen hebt an der Ringeltanz,
Die weißen Ärmel schimmern, bunt flattern Band und Kranz.

Der Sennerinnen jüngste, schlank wie ein Maienreis,
Erfaßt die Hand des Grafen, da muß er in den Kreis;
Es schlinget ihn der Reigen in seine Wirbel ein:
»Hei, junger Graf von Greiers, gefangen mußt du sein!«

Sie raffen ihn von hinnen mit Sprung und Reigenlied,
Sie tanzen durch die Dörfer, wo Glied sich reiht an Glied,
Sie tanzen über Matten, sie tanzen durch den Wald,
Bis fernhin auf den Alpen der helle Klang verhallt.

Schon steigt der zweite Morgen, der dritte wird schon klar.
Wo bleibt der Graf von Greiers? ist er verschollen gar?
Und wieder sinkt zum Abend der schwülen Sonne Lauf;
Da donnert's im Gebirge, da ziehn die Wetter auf.

Geborsten ist die Wolke, der Bach zum Strom geschwellt,
Und als mit jähem Strahle der Blitz die Nacht erhellt,
Da zeigt sich in den Strudeln ein Mann, der wogt und ringt,
Bis er den Ast ergriffen und sich ans Ufer schwingt:

»Da bin ich, weggerissen aus eurer Berge Schoß;
Im Tanzen und im Schwingen ergriff mich Sturmgetos;
Ihr alle seid geborgen in Hütt' und Felsenspalt,
Nur mich hat fortgeschwemmet des Wolkenbruchs Gewalt.

»Leb' wohl, du grüne Alpe mit deiner frohen Schar!
Lebt wohl, drei sel'ge Tage, da ich ein Hirte war!
O, nicht bin ich geboren zu solchem Paradies,
Aus dem mit Blitzesflamme des Himmels Zorn mich wies.

»Du frische Alpenrose, rühr' nimmer meine Hand!
Ich fühl's, die kalte Woge, sie löscht nicht diesen Brand.
Du zauberischer Reigen, lock' nimmer mich hinaus!
Nimm mich in deine Mauern, du ödes Grafenhaus!«

Die Grafen von Greiers hat es wirklich gegeben, die hat Uhland nicht erfunden, so wie Goethe seinen König von Thule erfunden hat. Uhland hat sich eine Sage zum Vorbild genommen, in der der Graf von Greiers (der da wohnt, wo der Greyerzer Käse herkommt) mit einer Gruppe von Tanzwütigen in die Alpen tanzt: Die Sage erzählt nun: an einem Sonnabende hätten auf der Schloßwiese zu Greiers sieben Personen, worunter die schöne Sennerin Marguita, einen solchen Ringeltanz begonnen, in welchen auch der Graf Rudolph gezogen sei. Es wird viel getanzt im 14. Jahrhundert, die Historiker sprechen da von einer Tanzseuche oder einer Tanzepidemie.

Vielleicht tanzt unser Graf aber auch vor Verzweiflung, die Grafschaft steht vor dem Bankrott. Graf Michael, der letzte Besitzer des Schlosses von Greyerz (Bild) wird 1554 den Städten Bern und Freiburg, die seinen aufwendigen Lebensstil finanziert hatten, sein Schloss und die Grafschaft überlassen müssen. Das Historische Lexikon der Schweiz hat zum Thema Tänze einen interessanten ➱Artikel, vielleicht sollte man bei der Tanzseuche auch einmal an die andere ➱Schweizerkrankheit denken, die in dem Post ➱Kuhreigen beschrieben wird.

Ludwig Uhland (Bild) ist nicht nur Dichter, er ist auch ein reputierlicher Literaturwissenschaftler. Die Geschichte mit dem Grafen von Greiers taucht in seiner Abhandlung Über alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder (➱hier im Volltext) wieder auf: Eines Sonntagabends, sagt die Überlieferung, fingen auf der Schloßwiese zu Greyers sieben Personen einen Ringeltanz an, die Coraula, wie sowohl der Rundtanz selbst als das Reigenlied hieß, einen Tanz, der erst am Dienstag morgens auf dem großen Marktplatze zu Sanen aufhörte, nachdem sich siebenhundert Jünglinge und Mädchen, Männer und Weiber für und für hatten einreihen lassen, daß das Ganze aussah wie ein Schneckenring; vom untern zum obern Greyerserlande hatte der gute Graf Rudolf mitgetanzt und mitgesungen, wenn er müde war, ließ er sich bei seiner Geliebten, der schönen Sennerin Marguita, durch einen seiner Knappen oder Junker vertreten, stieg zu Pferd und ritt dem im hüpfenden Kreise fortrollenden fröhlichen Zuge nach, bis er sich wieder selbst unter die Tanzenden mengte und seine Marguita herzte.

Wir können aus dem Ganzen lernen, dass wir uns als Alpentouristen niemals von jungen Sennerinnen schlank wie ein Maienreis zum Tanz verführen lassen sollen. Und dass wir für den Alpentanz gerüstet sein sollen, wenn das Wetter schlechter wird. Ich könnte da diese Wetterschutz Jacke der Firma Ed Meier empfehlen, die innen rot-orange ist und einen silbernen reflektierenden Silberstreifen hat. Wenn man die verkehrt herum anzieht, sieht einen die Bergwacht überall, wenn mit jähem Strahle der Blitz die Nacht erhellt.

Noch mehr Alpen hier: Ästhetik, 18th century: Grand Tour, Nick DrakeGrand Hotel, Albrecht von Haller, Adalbert Stifter, Kuhreigen, Lodenmäntel, Horace Walpole, Albert Bierstadt

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