Liederkreis

Von Zeit zu Zeit schaue ich in alte Posts, ich habe da längst keine Übersicht mehr, es sind schon beinahe zweitausend. Immer wieder verschwinden Bilder, oder ich möchte einen Link hinzufügen. An den Texten ändere ich eigentlich nie etwas. Als ich in den Post ➱Die schöne Müllerin: Helle Stimmen angeklickt hatte, wusste ich, dass das ein Fehler war. Hatte ich doch damals versprochen, noch einen Post mit dem Titel Fremde Zungen zu schreiben. Über all die Ausländer, die Schubert singen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, ich gebe das zu. Ich glaube, ich fange irgendwann mal klein an und schreibe über Aksel Schiøtz.

Ich hatte den Schubert Post angeklickt, weil ich bei YouTube überprüfen wollte, ob ich die Aufnahme von ➱Der Hirt auf dem Felsen mit Julia Kleiter immer noch empfehlenswert finde (ja), und ob sie immer noch bei YouTube zu hören ist (ja). Nachdem sich Gema und YouTube geeinigt haben, wird man demnächst ja noch mehr finden können. Und dann klickte ich noch einige andere Aufnahmen an und stieß auf eine Sängerin namens Anna Lucia Richter, die offensichtlich am Anfang ihrer Karriere stand. Dachte ich mir so, weil ich sie nicht kannte, aber sie ist in der Musikwelt längst keine Unbekannte mehr.

Sie hat gerade den mit 30.000 Pfund dotierten Borletti Buitoni Preis gewonnen, auch andere ➱Wettbewerbe. Und Wolfgang Rihm hat einen Liederzyklus für sie komponiert. Das will etwas heißen. Sie hat neben ihrer butterblumenhaft hellen Stimme (das stand in der Rheinischen Post) auch ➱schauspielerische Qualitäten. Schauen Sie doch einmal in das ➱Waldgespräch  hinein, man merkt, dass ihr die Hexe Lorelei (lesen Sie ➱hier mehr dazu) liegt. Sie hat auch schon die Barbarina in Mozarts ➱Le Nozze di Figaro gesungen. Irgendwann wird sie die Susanna singen.

Aber zurück zu Schuberts Hirten. Hören Sie doch mal eben in Richters ➱Der Hirt auf dem Felsen hinein. Es ist eine helle, frische Stimme, man merkt, dass ihr das Singen Spaß macht. Man möchte ihr zurufen: Mädchen, bleib' wie Du bist, arbeite noch ein wenig an der Stimme. Und sing' niemals Wagner! Ich habe mir natürlich sofort die CD Liederkreis gekauft, die sie im letzten Jahr mit dem Pianisten Michael Gees gemacht hat.

Robert Schumann hat seinen Liederkreis, die Vertonung von zwölf Eichendorff Gedichten, als sein aller Romantischstes bezeichnet, Anna Lucia Richter und Michael Gees setzen noch eins drauf und präsentieren Romantik hoch zwei. In ihren Liederkreis nehmen sie mehr als die zwölf Lieder auf. Zusätzlich zu den Schumann Vertonungen gibt es noch ➱Brahms und ➱Britten. Und zusätzlich Interpretationen von ➱Richter und Geests, eine Art romantischer Freejazz. Wir begehen also kein Sakrileg, wenn wir Schumanns Werk einmal nicht unter Denkmalschutz stellen, sondern uns allerromantischt vom Möglichkeitssinn leiten lassen, heißt es in dem Booklet, das der CD beiliegt.

Die Romantik, die nach der blauen Blume suchte, hatte das Volkslied entdeckt. Es war der Beweis, dass Kunst im Volke war. Die Engländer hatten damit angefangen, hier muss man Bishop Percy Reliques of Ancient English Poetry und ➱Sir Water Scott nennen. Wir in Deutschland werden eines Tages Des Knaben Wunderhorn haben, wobei Dichter und Komponisten das Volkslied leicht verändern und zum Kunstlied machen. ➱Benjamin Britten hat das ein Jahrhundert später auch gemacht (hören Sie hier in die ➱Last Rose of Summer). Wobei er glücklich sein konnte, jemanden wie ➱Peter Pears an seiner Seite zu haben.

Die CD Liederkreis (vor zwei Jahren bei dem holländischen Label Challenge erschienen) ist ein Experiment, aber es ist ein Experiment, das aufgeht. Besonders gilt das für die Improvisationen, die zeigen, dass man für das romantische Lied manchmal gar keinen Schumann, Brahms oder Britten braucht. Hören Sie doch ➱hier einmal in das Extempore von Eichendorffs Hörst du die Gründe rufen hinein. Ich glaube, das würde auch Eichendorf gefallen, der da gedichtet hat:

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Wenn man eine Stimme wie Anna Lucia Richter hat, dann trifft man auch das Zauberwort.