Samstag, 8. April 2017
Amerikas Anfänge
Der Examenskandidat, der da ins Bibliothekszimmer kam, war ziemlich doof. Sportstudent, das sind die Schlimmsten. Den brauchte ich mir am frühen Vormittag nicht anzutun, ich verschwand ins Nebenzimmer. Und hörte da den unsterblichen Satz: Ich möchte gerne das Buch von Professor Nicolaisen über Elizabeth Taylor haben. Unsere Bibliothekarin hatte Schwierigkeiten sich zu beherrschen, sie wies den Kandidaten darauf hin, dass Peter Nicolaisen ein Buch über Edward Taylor geschrieben hatte, nicht über Elizabeth Taylor. Und solche Leute wie dieser blonde Sportstudent, die kommen dann irgendwie durch das Staatsexamen und unterrichten hinterher am Gymnasium. Aber was soll's, ich weiß auch wie Wowi sein Referndariat bestanden hat, und der wurde Regierender Bürgermeister von Berlin.
Der Engländer Edward Taylor, der aus Glaubensgründen nach Amerika auswandert, war ganz anders als Wowi und unser Sportstudent. Er war ein pflichtbewusster Puritaner, der in seiner Gemeinde sechsundvierzig Jahre lang als Arzt und Pfarrer wirkte. Er schrieb Gedichte, die ihm zur Vorbereitung für das Abendmahl dienten (sogenannte Preparatory Meditations), die er vielleicht manchmal in seinen Predigten verwendete. Aber er hat sie niemals veröffentlicht. Er soll seine Familie angehalten haben: never publish any of his writings. Die Manuskripte landeten eines Tages bei seinem Enkel Ezra Stiles. Der war zwei Jahre alt, als sein Großvater starb, er konnte sich natürlich an Edward Taylor nicht mehr erinnern.
Aber er hob die Gedichte auf, die er nach dem Tod seines Vaters erbte. Als er 1778 Präsident der ➱Yale University wurde, packte er sie gut weg. Sehr gut. Man hat sie erst 1937 wiedergefunden. Dies Bild von Samuel King zeigt Ezra Stiles, einen der gebildetsten Männer der Kolonie, der mit allen Gründervätern Amerikas in Kontakt stand. In Yale gibt es seit 1961 ein Ezra Stiles College. Edward Taylor ist neben Anne Bradstreet einer der ersten wichtigen Dichter Amerikas, ansonsten haben die da nur wortgewandte Pastoren wie John Winthrop, der von der ➱City upon a Hill gesprochen hat. Eine Predigt, die Donald Trump immer noch nicht richtig begriffen hat.
In seiner Dichtung ist Edward Taylor kein Revolutionär, er bevorzugt weithergeholte Bilder (sogenannte concetti), die wir schon am Anfang des 17. Jahrhunderts in der ➱Metaphysical Poetry finden. Und das tut er auch in dem Gedicht ➱Huswifery, das von den Bildern des Webstuhls und des Webens lebt:
Make me, O Lord, thy Spinning Wheele compleat;
Thy Holy Worde my Distaff make for mee.
Make mine Affections thy Swift Flyers neate,
And make my Soule thy holy Spoole to bee.
My Conversation make to be thy Reele,
And reele the yarn thereon spun of thy Wheele.
Make me thy Loome then, knit therein this Twine:
And make thy Holy Spirit, Lord, winde quills:
Then weave the Web thyselfe. The yarn is fine.
Thine Ordinances make my Fulling Mills.
Then dy the same in Heavenly Colours Choice,
All pinkt with Varnish't Flowers of Paradise.
Then cloath therewith mine Understanding, Will,
Affections, Judgment, Conscience, Memory;
My Words and Actions, that their shine may fill
My wayes with glory and thee glorify.
Then mine apparell shall display before yee
That I am Cloathd in Holy robes for glory.
Dass ich heute ein Gedicht von Edward Taylor genommen habe, hat mit einem anderen amerikanischen Pastor zu tun. Ich suchte nach einem Dichter, der in der Zeit des Pastors ➱John Wise lebte. Der ist am 8. April 1725 gestorben, er war ein Mann, der für Amerika wichtiger als Edward Taylor. Seinen Heimatort ➱Ipswich hat man auch the birthplace of American independence genannt. Und das hat seinen Grund, unser Pastor aus dem kleinen Kaff Ipswich in Massachusetts ist ein Revolutionär gewesen: The first human subject and original of civil power is the people… and when they are free, they may set up what species of government they please. The end of all good government is to cultivate humanity and promote the happiness of all, and the good of every man in all his rights, his life, liberty, estate, honor, etc., without injury or abuse done to any. Das schreibt Wise in den Jahren nach 1700. Lange vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in der es heißt: We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. – That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed.
Wenn wir uns die Schriften von John Wise genau anschauen, können wir eine Vielzahl von Übereinstimmungen feststellen, die bis in wörtliche Formulierungen gehen. Die Founding Fathers Amerikas haben seine Schriften gekannt, nicht nur ➱John Adams, der mit ihm verwandt war. Der amerikanische Präsident Calvin Coolidge, der natürlich nicht so bedeutend ist wie Donald Trump, hat in einer ➱Rede zum 150. Jahrestag der ➱Declaration of Indepence über John Wise gesagt: It can scarcely be imagined that Jefferson was unacquainted with what had been done in his own Commonwealth of Virginia when he took up the task of drafting the Declaration of Independence. But these thoughts can very largely be traced back to what John Wise was writing in 1710. He said, “Every man must be acknowledged equal to every man.” Again, “The end of all good government is to cultivate humanity and promote the happiness of all and the good of every man in all his rights, his life, liberty, estate, honor, and so forth. …” And again, “For as they have a power every man in his natural state, so upon combination they can and do bequeath this power to others and settle it according as their united discretion shall determine.” And still again, “Democracy is Christ’s government in church and state.” Here was the doctrine of equality, popular sovereignty, and the substance of the theory of inalienable rights clearly asserted by Wise at the opening of the eighteenth century, just as we have the principle of the consent of the governed stated by Hooker as early as 1638.
Der Unterschied zwischen John Wise und Thomas Jefferson ist, dass Wise alles aus der Bibel ableitet. Sagt er, tut er aber nicht wirklich. In seiner wichtigsten Schrift ➱A vindication of the government of New England churches (der Link führt zum Volltext, hier eine ➱Kurzfassung) lässt er aber die Katze aus dem Sack. Da gesteht er, dass das alles nicht aus der Bibel kommt, sondern von Samuel von Pufendorf: Of the civil being of man ... I shall principally take Baron Puffendorff for my chief guide and spokesman. Und dann folgt der Satz: I shall consider man in a state of natural being, as a free-born subject under the crown of heaven, and owing homage to none but God himself. Wir sind im Jahre 1717, nicht im Jahre 1776: Ich werde den Menschen in seinem natürlichen Zustand schildern als ein freigeborenes Wesen unter der Krone des Himmels, niemandem untertan als allein Gott.
Der Vater von John Wise war kein freigeborenes Wesen unter der Krone des Himmels, er war ein indentured servant, ein weißer Sklave, ein Knecht. Mäzene verhalfen John Wise zu einem Theologiestudium in Harvard. 1692 trat er für einen Angeklagten der Hexenprozessen von Salem ein. Er blieb seinen Überzeugungen treu, auch wenn der Gouverneur Sir Edmund Andros (Bild) ihn ins Gefängnis werfen lässt und einer seiner Beamten zu ihm sagt: Mr. Wise, you have no more privileges Left you then not to be Sold for Slaves. Im Gefängnis schreibt Wise einen Entschuldigungsbrief an Andros, beklagt sich aber, er habe But Little Sleep Sine I have Been your Prisoner Here in Town the place being so full of Company. Volle Gefänginisse sind überall da, wohin die Krone Sir Edmund Andros schickt. Sie können mehr zu der Geschichte in ➱Vernon L. Parringtons Buch ➱Main Currents in American Thought lesen. Und natürlich in dem Klassiker ➱The New England Mind von Perry Miller.
Edward Taylor und John Wise leben in kleinen Kaffs in Massachusetts in der Zurückgezogenheit, die ein kleines Kaff mit mit sich bringt. Beide studieren in Harvard, Taylor macht 1671 Examen, John Wise erhält zwei Jahre später seinen Magister Artium. Der eine schreibt die beste Lyrik seiner Zeit, aber niemand weiß das. Der andere, kein stiller Mann voller Selbstzweifel wie Taylor, sondern ein großer kräftiger Mann mit der Figur eines Catchers, zeichnet in seinem Kaff die Blaupause für die amerikanische Revolution. Und entwirft mit Blick auf den englischen König eine Utopie der Monarchie: It is such a Monarchy, as by most Admirable Temperament affords very much to the Industry, Liberty, and Happiness of the Subject, and reserves enough for the Majesty and Prerogative of any King, who will own his People as Subjects, not as Slaves. It is a Kingdom, that of all the Kingdoms of the World, is most likely to the Kingdom of Jesus Christ, whose Yoke is easie, and Burden light.
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